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Der Lenz war so früh in diesem Jahre in Berlin eingezogen, daß die Pessimisten seine Beständigkeit von vorn herein in starke Zweifel gezogen.
Es schien als sollten sie recht behalten, denn nachdem die Sonne fast drei Wochen warm und klar vom Himmel gelacht und alle Herzen schwellen gemacht hatte, schlug die Temperatur plötzlich wieder um.
Der Sturmwind machte sich auf und pfiff durch die Straßen, peitschte die Regenschauer, mit scharfen Hagelkörnern vermischt, gegen die Spiegelscheiben und zog so dichte, graue Wolkenvorhänge vor die Himmelsfensterchen, daß die Nächte schwarz und sternlos über der Großstadt dräuten. –
Grenadina hatte das elektrische Licht schon sehr viel früher wie sonst angeknipst.
Sie saß in ihrem Salon und arbeitete schillernde Metallfäden in feinen Tüll, um sich selber eine originelle Blusenpasse zu schaffen. Wo war sie bei diesem abscheulichen Wetter besser aufgehoben, als wie zu Hause? –
Sie war so empfindlich gegen rauhe Luft und in den Theatern und Konzerthäusern zieht es meistens auf den Korridoren und in den Logen, daß man besser tut, sie zu meiden.
Die meisten Einladungen zu bekannten Familien hatte sie abgelehnt, da sie ihre Kräfte für die beiden folgenden Musikabende, welche große Anforderungen an ihre Kehle stellten, schonen wollte.
Nun saß sie allein und hing ihren Gedanken nach, welche zudringlich wie Mückenschwärme stets um ein und denselben Punkt kreisten und sich nicht verscheuchen ließen.
Graf Giöreczy!
Neben ihr auf dem Schreibtisch duftete ein köstlicher Strauß roter Rosen, welchen er heute morgen durch seinen wackeren kleinen Monteur für sie abgeben ließ. – Diesmal mit seiner Karte.
Grenadina war auf das höchste überrascht, und als sie die Blumen in der Vase ordnete und ihr Blick dabei in den Spiegel fiel, war sie selber erstaunt über den glückseligen Ausdruck ihres Gesichtes, – über den lachenden Glanz ihrer Augen, als sie sich selber musterte.
Rote Rosen
Was bedeutet diese Wandlung?
Auf dem Flugplatz Johannisthal fiel ihr die Art und Weise auf, wie der Graf Abschied von ihr nahm, es war nichts konventionelles, hergebrachtes, – es lag ein eigener Klang in seiner Stimme.
Oder wollte sie ihn nur heraushören?
Wohl möglich! – und doch … warum kam er noch selber an das Telephon und plauderte so lange, daß ihre Gedanken fühlbare Begleiter für ihn gewesen seien! daß sie es so hell und licht um ihn her gemacht hätten, ihm guten Weg zu bereiten!
Und heute morgen schickt er rote Rosen! –
Grenadina läßt die fleißige Hand einen Augenblick sinken und schaut mit verklärtem Blick auf die purpurnen Blüten.
Wie schön! – Noch schöner wie die Lilien.
Mit recht nennt man doch die Rose die Königin der Blumen und behauptet, daß ihre Sprache lautet: »ich liebe Dich!«
Die Denkerin zuckt jäh zusammen.
Die Männer lügen ja, wenn sie einem Weibe Liebe und Treue schwören –! Wie sehr warnte ihre Mutter vor den kaltherzigen Egoisten.
Grenadinas Blick schrickt von den roten Rosen zurück und senkt sich traurig auf ihr Stickmuster nieder.
Die Blumen sprechen: »ich liebe Dich!« – Was geht ihr Geständnis den Grafen von Giöreczy an?
Seine Lippen werden es niemals sagen, er ist ein freier Mann und will es bleiben. Den Aviatiker darf nichts an die Erde fesseln.
Es klopft. Der Kellner überreicht eine Karte. »Der Herr behauptet, er werde erwartet!
Grenadina schaut flüchtig auf das groß geschnittene weiße Blatt.
»Hubert Graf von Giöreczy.«
Wie ein Erstarren geht es durch ihren Körper, dann flammt es in ihre Wangen empor.
»Er werde erwartet?« wiederholte sie mit bebender Stimme.
»Sehr wohl, gnädiges Fräulein, so sagte er.«
»Es muß ein Irrtum sein …« Die junge Dame zögert und scheint nach Fassung zu ringen, dann macht sie eine schnelle Handbewegung: »Ich lasse dennoch bitten! Es wird sich aufklären.«
Sie hat keine Zeit die Stickarbeit wegzuräumen, die hohe Gestalt des Grafen steht bereits auf der Schwelle.
Völlig unbefangen tritt er ihr entgegen und drückt die bebende kleine Hand, welche ihm etwas zögernd gereicht wird, an die Lippen.
»Es ist doch heute Dienstag?!« sagt er heiter und tut einen schnellen Umblick durch den Salon: »Und Sie sind noch allein, mein gnädiges Fräulein?«
»Dienstag?« stammelte Grenadina mit großen, erstaunten Augen. »Allerdings … aber ich verstehe nicht …«
»Nun, Sie haben doch jeden Dienstag jour? Vor acht Tagen hatte ich auch die Ehre hier zu sein!« –
Nun lachte sie und atmete auf: »Welch ein fataler Irrtum, Graf! Ich habe niemals einen bestimmten Empfangstag, da es sich fast nie mit meiner Zeit vereinbaren läßt!« –
»So etwas!! Ich hätte darauf geschworen, daß Steinbach mir sagte: ›jeden Dienstag!‹ Aber warum ›fataler‹ Irrtum? Komme ich Ihnen ungelegen? Haben Sie etwas vor?« –
Sie gräbt unschlüssig die weißen Zähne in die Lippe.
»Ich bin allein, Herr Graf, und empfange prinzipiell keine Herrenbesuche!« sagt sie leise, aber sehr bestimmt. –
Er hat seinen Zylinder auf den Spiegeltisch gestellt und sieht sehr zufrieden aus. »Darin handeln Sie sehr recht, – die Herren würden Sie zum Schluß als Massenandrang belagern! Aber was geht das mich an. – Dem Aviatiker sind Schwingen gewachsen, er ist aus den Reihen der Menschen ausgeschieden und einer jener Falken, Adler oder Tauben geworden, von welchen Sie neulich sangen, und welche in der Rasse seinem Charakter am ähnlichsten sind!«
Grenadina lacht: »Sie rechnen sich selber unter die Raubvögel und begehren trotzdem Einlaß?«
»Gewiß!« – Der Sprecher rückt sich ungeniert einen Sessel neben das Tischchen, auf welchem die bunte Stickarbeit der jungen Dame liegt. »Auch diese armen Gesellen sind sehr friedlicher Natur, wenn sie satt sind, und ich habe heute mit dem goldenen Löffel gefrühstückt! – Außerdem werden Sie auch nicht gern naß. Hören Sie einmal das Wetter da draußen, Fräulein Nirsky! – Wie der Sturm heult! Und diese Regenfluten! Können Sie es tatsächlich über ihr gutes Herz bringen, mich in solch eine Sündflut hinaus zu jagen?« –
Sie schüttelt das Köpfchen, ihre Befangenheit weicht vollkommen, – sie berührt den Knopf des elektrischen Lichtes und läßt die Krone aufflammen.
»Nein! Ich trage nicht einmal Federn oder Posen auf dem Hut, weil ich dem Vogelschutzverein angehöre!« scherzte sie. »Also beuge ich mich in dieser Stunde dem Gesetz edler Menschlichkeit! – Bitte trinken Sie den Tee mit mir bis sich der Sturm gelegt hat, und als Tochter eines der ersten Zigarrenimporthäuser, ist es wohl mein Recht, Ihnen eine Havanna anzubieten?«
»Alle Achtung! Ist das gemütlich!!« reibt sich der Graf schmunzelnd die Hände: »Wenn es Sie nicht belästigt, rauche ich sehr gern, – es ist eine Leidenschaft von mir!« –
Die junge Dame hat den Spiegelschrank geöffnet und ihm ein Zigarrenkistchen entnommen.
Sie schlägt den Deckel zurück und bietet an.
Hubert ist aufgesprungen und verneigt sich sehr höflich und schaut auf das Dargereichte. Er liest mit überraschtem Gesicht: »Sumatra Havanna, feinste Qualität! La Grenadina mild und pikant!« dann starrt er die Geberin an: »Diese Zigarre heißt nach Ihnen?«
Grenadina lächelt: »Umgekehrt! ich heiße nach dieser edlen alten Marke!!«
»Wie verstehe ich das?« –
Die Gefragte ordnet das Rauchservice auf das Tischchen und bestellt bei dem Kellner, welchem sie geklingelt, den Tee; dann nimmt sie dem Grafen gegenüber Platz und greift wieder zu ihrer Handarbeit.
»Die Sache liegt einfach, wenn auch für normale Verhältnisse etwas eigenartig. Sie wissen, daß mein Vater Teilhaber der ersten Tabakshäuser ist und während seines halben Lebens in Habanna wohnte. Er hatte die launige Idee, seine Töchter nach den, von ihm am meisten geliebten Zigarren zu nennen, was seiner Zeit in den ihm befreundeten Kreisen einem Sturm der Heiterkeit erregte!«
»Tatsächlich?! nach Zigarren? das ist allerdings hochgradig originell! Wie heißen Ihre Schwestern, mein gnädiges Fräulein?«
Hubert hielt das Streichholz an den Tabak und und setzte ihn durch langen, wohligen Zug in Brand. –
»Meine noch lebenden Schwestern heißen: Virginia und Cathedrala, die verstorbenen führten die Namen: Regalia, La Gira und Adelande!«
»Fünf Töchter!! In diesem Fall äußerst zweckentsprechend und höchst poetisch! Das Glück war Ihnen doch gleich in die Wiege gelegt!«
»In wie fern?« –
»Der Vergleich eines jungen Mädchens mit einer Zigarre kann doch nur sehr schmeichelhaft ausfallen!« Hubert lehnte sich behaglich zurück und schaute auf die zierlich arbeitenden Hände seines Gegenübers. »Sie wissen, welch eine Rolle die Zigarre in der Welt spielt, daß sie die Höchsten wie die Niedrigsten, Reich und Arm zu ihren Füßen sieht! Man hat oft behauptet, die Zigarre sei die einzige, wahre und ehrliche Geliebte des Mannes, in welche er sich meistens so leidenschaftlich vernarrt, daß er nicht von ihr lassen kann, selbst wenn sie ihn vergiftet und zugrunde richtet!« –
Grenadina schüttelte mit einem fast wehmütigen Zug um die Lippen das Köpfchen.
»So scheint es, aber in Wahrheit verhält es sich grade umgekehrt!« –
»Ich bitte um die Lösung dieses Rätsels!«
»Sie nennen die Zigarre die Geliebte des Mannes. – Gut, diesen Vergleich lasse ich gelten; denn sie wird tatsächlich geliebt, – aber lediglich aus schreiendstem Egoismus. Die Geliebte ist gleicher Zeit das Spielzeug, der Zeitvertreib, die Anregung, welche überall am Platze ist!« –
»Sie ist für viele Männer der höchste Genuß, den es gibt!«
Grenadina lächelte abermals. »Fraglos, sonst würden sie nicht so viel Zeit und Geld an die Unglückselige wenden!« –
»Unglückselige?!« –
Sie ließ die Hände sinken und erhob sich, um dem Kellner das Tischchen für das Tablett mit dem Teegeschirr zu räumen. Sie stellte selber die Tasse vor ihren Gast und goß ihm ein, bot das Fläschchen mit Rum und die kleinen Kuchen an und fuhr fort, als der Befrackte den Salon wieder verlassen hatte: »Ja, Unglückselige! Ich finde wenigstens nichts grausamer als das Schicksal eines armen Weibes, welches an der Liebe des Geliebten zugrunde geht!« –
»Weib und Zigarre sind in diesem Falle identisch.«
Grenadina nickte, ihre langen Wimpern sanken tief über die Augen.
»Beobachten Sie einmal eine Zigarre, welche doch mit meinem Geschick als Namensschwester zu vergleichen ist! – Von den werbenden Händen des Mannes, welcher sie erwählt, wird sie in Glut versetzt! – Jeder seiner Atemzüge läßt sie heißer entbrennen, in unersättlicher Sehnsucht hängt sie an seinen Lippen; – seine Lippen – seine Küsse verzehren sie! – Sie achtet es nicht, voll freudiger Wonne opfert sie sich einem Egoisten, welcher vernichtet, was ihm so wohl gefällt! Sie stirbt an dem Hauch seines Mundes, – ihr letztes Aufleuchten ist ein letzter Gruß an ihn … und dann sinkt sie zusammen – ein Häuflein Asche, – vergehend und verwehend, – hinausgestreut in den Wind, der ihr Andenken verweht, dieweil die Hand des Geliebten im gleichen Werben nach einer anderen greift – –!«
Sie hatte leise, sehr leise gesprochen und das erst so heitere Gesicht des Grafen ward ernst. Mit jäher Bewegung legte er die kaum entzündete Zigarre bei Seite.
»Sie verleiden mir durch diesen Vergleich das Rauchen!« sagte er mit einem Blick, welcher noch mehr ausdrückte wie die Worte.
Wehrend hob sie die Hand, ein melancholisches Lächeln ging um ihre Lippen. »Warum das? Seinem Schicksal entgeht man nicht, und für poetische Gemüter ist es fraglos ein ebenso süßer Liebestod wie derjenige der Isolde! – Bitte rauchen Sie weiter!«
»Nein! – Auf keinen Fall eine Grenadina!« Nun lachte die junge Sängerin scherzend auf.
»Sie sind zu verwöhnt? Sie schmeckt Ihnen nicht?«
Er zuckt die Achseln und sieht sie neckend an.
»Sumatra-Havanna hochfeine Qualität, La Grenadina! mild und pikant!« liest er von dem Kistchen ab: »Im Gegenteil –! durchaus mein Geschmack! Aber ich bin weder Egoist noch grausam und die Grenadina, welche mir entgegen glüht, soll leben lange, sehr lange leben und vollkommen glücklich sein!«
Sie neigte sich voll jäher Betroffenheit, ihre Silberfäden suchend, so weit zur Seite, daß er nur ihr zartes Profil sieht.
»Zigarren und Frauenseelen gleichen sich auch darin, daß ein Funken, welcher einmal gezündet, nicht so schnell wieder zu löschen ist! – Was soll aus dieser armen Grenadina werden?« – Sie hob voll heiterem Vorwurf die glimmende Zigarre. – »Schon jetzt beiseite geworfen? das wäre erst recht grausam! Wer weiß, welch häßlicher Straßenkehrer sich ihrer bemächtigen würde! Sie ist nun einmal als Zigarre geboren und muß sich mit ihrem Los abfinden. – Hier der Becher! – Friede ihrer Asche!!!« –
Hubert nickte. »Gut, auf Ihre Verantwortung hin! Ich werde ihr Leben aufsaugen, wie ein Vampyr! – Hüt Dich, schönes Mägdelein!«
»Sie zitieren den ›Schnitter Tod‹!« hob Grenadina lebhaft das Köpfchen, »und mahnen mich, daß ich Ihnen, gleich dem unbarmherzigen Sensenmann zürnen müßte! Da sehen Sie die köstlichen roten Rosen! Sie haben mit dem Messer unter ihnen gewütet, um sie mir zu Füßen zu legen, und dafür muß ich Ihnen noch danken!«
»Durchaus nicht. Ich bitte Sie nur, ganz stillschweigend zu akzeptieren und die Blumen dadurch auszuzeichnen, daß sie für Sie blühen dürfen. – Ich liebe die Rosen mehr wie die Lilien!«
Sie blickte flüchtig auf, ein feines Zucken stiehlt sich um ihre Lippen. Ganz unvermittelt frägt sie: »Verzeihen Sie mir meine Wißbegierde; eine Frage! Kennen Sie den Sieger der letzten süddeutschen Flugwoche, Leutnant X., welcher kurz vor dem Ziel so schwer, aber Gottlob nicht tödlich abstürzte?«
»Ja, ich schätze mich glücklich es zu tun. Freilich war unsere Begegnung bei der Flugwoche in Budapest nur sehr flüchtig, aber sie wird mir, ebenso wie der wackere junge Kollege, unvergeßlich bleiben.«
»Ihre Namen haben so viel Ähnlichkeit! Ist dies ein Zufall? Die ungarische Endung ist unverkennbar. – Es fiel mir sofort auf!«
Hubert blies die blauen Rauchwölkchen gedankenvoll in die Luft. »Lediglich ein Zufall, falls nicht vor unkontrollierbaren Zeiten, die Wurzeln der beiden Namen zusammen liefen. Der Oberleutnant war Österreicher und stammt von ungarischen Eltern ab, – ich bin Deutscher, aber väterlicherseits ebenfalls ungarischer Abstammung.«
»Möchten Ihre Schicksale ebenso verschieden sein, wie Ihre Namen sich ähnlich sehen!«
Grenadina sagte es leise und neigte sich tief über ihre Arbeit, ein Windstoß brauste um die Erkerfenster und schüttete einen Regenschauer gegen die Scheiben.
Hubert blickte sinnend auf. »Warum das? Wünschen Sie mir nicht ebenso die Sympathien einer ganzen Welt zu erwerben, wie dieser junge Held?«
»Das wohl! Aber Sie sollen sich Ihrer Triumphe, so Gott will, lange Jahre hindurch erfreuen!« –
Er zuckte die Achseln. Sein schönes Antlitz hob sich frei und furchtlos, sein Auge blitzte auf.
»Warum? – Es gibt kein schrecklicheres Schicksal für einen Mann, als wie sich selber zu überleben und gleich einem Runenstein vergessener Zeiten in eine neue Weltepoche hinein zu ragen! Kennen Sie nicht den schönen Vers:
›Viel besser ist's, jung, kräftig, kühn –
im Arm der Liebe sterben –
als ungeliebt und liebelos
in dumpfer Freuden mattem Schoß
veralten und verderben.‹«
Grenadina atmete so unruhig wie ein Kind, welches ängstlich träumt, aber ehe sie antworten konnte, öffnete sich hastig die Tür des Nebenzimmers und Frau Hammer stand in Hut und Gummimantel auf der Schwelle. Sie starrte aufs höchste betroffen den ungewohnten Besuch an dem Teetischchen an. –
»Vergebung –«
Die junge Sängerin machte eine schnelle Bewegung und winkte die Kammerfrau näher.
»Sie kommen aus der Stadt zurück?« fragte sie mit sichtlicher Anstrengung äußerst unbefangen zu erscheinen.
»Sehr wohl gnädiges Fräulein! Ich habe die Direktrice gleich mitgebracht, das Kleid hier persönlich abzustecken! Anderenfalls würde es ja nie und nimmer bis übermorgen fertig gestellt!«
»Ach, die Direktrice ist mitgekommen?!« –
Grenadina sagte es sehr betroffen, beinah erschreckt und ihr Blick traf dabei den Grafen, als wolle sie sagen: Du hörst es! Berliner Direktricen warten nicht! –
Hubert seufzte und wandte den Kopf nach dem Fenster, um welches das Unwetter ärger brauste, wie je zuvor.
Frau Hammer schien sehr schnell zu begreifen.
Auch interessierte und erfreute sie der Besuch des berühmten Mannes ersichtlich.
»Es ist ein Schandwetter, gnädiges Fräulein! Die Probe dauert auch höchstens zehn Minuten, wenn der gnädge Herr so lang entschuldigen wollte …?« –
Grenadina errötete und Giöreczy sah die Kammerfrau an, als wolle er sie für diese Worte umarmen!
»Sie sind eine barmherzige Seele, Verehrteste,« lachte er charmant und rückte sich wieder sehr behaglich auf seinem Stuhl zurecht. »Ich habe endlos Zeit und kann auch fünfzehn Minuten warten! Bitte, gnädiges Fräulein! Eilen Sie zu der Gestrengen! Ich sticke während dessen Ihre sämtlichen Silber- und Goldfäden hier in den Plüsch hinein!«
Leises Lachen. »Es ist Battist, Herr Graf!« –
»Auch das genehmige ich.« Er nahm den duftigen Stoff in die Hand und schüttelte den Kopf. »Für Aero-Tragflächen absolut unbrauchbar!« Frau Hammer fand diese Bemerkung einfach zum Sterben komisch und lachte noch lebhafteren Beifall, Grenadina aber erhob sich und sagte mit noch immer etwas zögerndem Ton:
»Wenn Sie tatsächlich warten wollen, Graf Giöreczy … das Wetter vergewaltigt ja zu edelsten Gesinnungen!«
Hubert besah die Stickerei so eingehend, daß er gar nicht auf den »verabschiedenden« Klang in Fräulein Nirskys Stimme achtete. –
»Sie sehen, mein gnädiges Fräulein, – ich spiele ganz artig auch für mich allein! Den Kuchen könnten Sie besser bei Seite stellen … in dieser Beziehung garantiere ich nichts, wenn man mich mit ihm allein läßt!«
Frau Hammer fand diese Bemerkung wieder »goldig« und sie trat hastig bei Seite, ihrer Gebieterin die Türe frei zu geben und hinter derselben in einem wahren Taumel des Entzückens über den so wunderbar amüsanten Grafen auszubrechen! Er! Von dem ganz Berlin, ja die ganze Welt spräche und der hier so behaglich tue, als sei er bei uns zu Haus! –
– Hubert war allein.
Er lehnte sich wohlig in den Sessel zurück und sein Blick schweifte durch den Salon. Grenadina war reizend!
Ihre Persönlichkeit übte einen eigenartigen Zauber auf ihn aus. – Er wollte eigentlich nur eine kurze Visite bei ihr machen und nun saß er und dachte gar nicht an Abschied nehmen. Sein Blick fiel auf die Zigarre in seiner Hand, welche sich mehr und mehr in dem Feuer ihrer Liebe zu ihm, – an seinen Küssen verzehrte. Grenadina. – Sie ist zart und lieblich wie ein Hauch, – auch sie konnte an der Liebe zu einem Mann zugrunde gehen – an seinen heißen Küssen sterben. – Seliger Tod! Seliges Küssen.
Ob sie tatsächlich einer derart tiefinnigen Liebesleidenschaft fähig wäre?
Sie macht einen so kühlen Eindruck! Ihr Wesen ist so ernst, so rein und priesterlich wie eine Lilie. Sie interessiert sich für ihn wie für andere Flieger – selbst für die warmherzig beklagten abgestürzten Helden, – weil er ein berühmter Mann ist und ihr imponiert. Für ihn schwärmen … sich in seine Person verlieben? –
Nein, dazu hält Hubert dieses stille, kindlich kühle Wesen nicht für fähig.
Schade darum! – Es muß süß sein, solch eine Blumenseele mit den Lippen zu trinken, wie die glimmende Schwester aus Havanna, welche sein Atem verzehrt. –
Schwestern! Wie originell, daß sie alle die Namen edler Zigarren tragen!
Auf dem Schreibtisch stehen so viele Bilder – ob die Virginia, Regalia – &c., &c. dabei sind? Er muß doch einmal kontrollieren, was die kleine Schneekönigin mit den verschleierten Augen alles aufgestellt hat!
Hubert erhebt sich und tritt an den kleinen, eleganten Sekretär heran. –
Photographien, – meist Damen … hier wohl der so jovial lachende Herr Papa! – Eine Villa … wohl die Hamburger … hier ein Pastellbildchen anscheinend Riviera … dort eine Gruppe lustiger Menschen im Piknik um ein Auto versammelt, Grenadina sitzt mit großen, ernsten Augen seitwärts auf einem Meilenstein. – Sie scheint keinen Wein zu trinken und nicht zu flirten – kühl … kühl wie eine Lilie!
Und da … eine Postkarte in kleinem Lorbeerrahmen. Nanu? Von wem stammt denn die? Ah … Mascagni!! – Sicherlich ihr Musikideal! Ist er etwa jetzt hier in Berlin? Er hörte davon läuten, daß er eine seiner Opern persönlich dirigieren wolle … Was schreibt er denn? Nein, nur einen Gruß und »hoffentlich auf baldiges Wiedersehen!« – Wäre doch interessant, ob das hier in der Stadt sein soll. Je nun, die Briefmarke und der Stempel geben wohl Auskunft! Es ist gewiß nicht indiskret, nachzusehen!
Und mit schnellem Griff zieht er die Karte aus den Glasrahmen hervor.
Ein leiser Laut höchster Überraschung und Betroffenheit –
Hubert neigt sich vor und starrt wie versteinert auf sein eigenes Bild!
Keine Täuschung, er ist es … und hier … ein paar rote Rosenblätter, – von seinen Rosen darauf gelegt.
Das Bild ist aus einem Journal geschnitten. – Giöreczy atmet so schwer, daß die Hand, in welcher er das Bild hält, erbebt. Dann schrickt er empor, schiebt hastig die Postkarte vor ihr süßes Geheimnis, stellt sie wieder an ihren Platz und wirft sich in seinen Sessel zurück.
Ihm ist es wie einem Trunkenen.
Seine Gedanken wirbeln, unbeschreibliche Gefühle durchtoben ihn.
Liebt ihn Grenadina?
Ist es denkbar, daß diese überraschende Wahrnehmung auf ihn, den Kaltblütigen, besonnenen Mann einen derart verwirrenden Eindruck macht? Sein Blick trifft die Zigarre, wie ein feiner Schauer rieselt es durch seine Adern.
Wehe, wenn eine Grenadine liebt!
An diese Möglichkeit hat er nicht gedacht, er hat überhaupt an nichts Sonderliches gedacht, als er sich ihr näherte, – auch heute nicht. – Ein paar interessante Stunden, – vielleicht ein harmloser Flirt, eine Immortelle mehr in dem Strauß angenehmer Erinnerungen!
Und nun? – Liebt ihn Grenadina?
Das süße Geheimnis hinter der Postkarte flüstert: ja! –
Ist er Egoist, Barbar – Vampyr – um ihr Leben in heißen Liebesküssen aufzusaugen? Quälende Unruhe faßt ihn plötzlich, er starrt auf das mene tekel vor ihm in der Cigarrenschale; ein Häuflein Asche.
Er möchte aufspringen und entfliehen, er möchte zu seinem und ihrem Neid mit jähem Griff die Hände der Norne fassen und bei Seite schleudern, ehe sie die Schicksalsfäden, unlöslich fest um zwei Menschenherzen webt! –
Zu spät.
Auf der Schwelle steht die junge Sängerin, hastig, ein wenig atemlos von der Eile, mit welcher sie anprobte.
Ihr fällt das veränderte Aussehen ihres Gastes nicht auf, sie blickt ja so selten in seine Augen, sie sieht auch jetzt nicht den unruhig flackernden Blick, mit welchem er ihre schlanke Gestalt umfaßt.
Sie plaudert in der heitern Weise fort, wie er soeben den Ton angeschlagen, als sie ging. Er will nur noch ein paar Minuten bleiben – und doch … es ist plötzlich wie ein heimlicher Zauber, welcher ihn fesselt.
Wie ist es so süß und berauschend, ein so holdes eigenartig junges Geschöpf anzusehen in dem Gedanken, ihr innigstes Geheimnis erforscht, ihre schwärmerische Liebe ergründet zu haben. Sie liebt ihn! – Sie liebt ihn! –
Dort auf dem Schreibtisch, hinter roten Rosenblättern versteckt, steht sein Bild.
Ob sie es heimlich küßt?
Hüt dich, schön Mägdelein! Eine Grenadina erküßt sich an Manneslippen den Tod! –
Sie fragt noch einmal nach dem ungarischen Namen des deutschen Mannes. Sind die Giöreczy nach Deutschland ausgewandert? Kamen Sie durch interessante Verwicklungen oder Familienverhältnisse nach hier? Da neigt er sich weit vor, verschlingt die Hände zwischen den Knieen und erzählt den Roman seiner Eltern, – sein Leben im Haidehaus – von den Drachen, welche sie als Kinder steigen ließen, von seiner ersten, heißen Sehnsucht nach dem wahren Glück, welches für ihn das Erreichen edelster Ziele bedeutete. – Dem Himmel so nah. Der Sonne entgegen! –
Sie arbeitet nicht mehr, sie lauscht mit großen, verträumten Kinderaugen, – und wenn sein Blick den ihren trifft, senkt sie nicht mehr scheu und zaghaft die Wimpern, als blende sie ein fremder Glanz, sondern ihre Seele strahlt ihm unverschleiert entgegen in warmherzigem Verstehen. –
Wie prägt sich ihr Bild tief und tiefer in sein Herz – wie wirkt dies Beisammensein im sturmumbrausten Zimmer »heimlich und traut« gleich einer Narkose auf ihn.
Mit meinem Lieb so ganz allein … und könnte Keiner uns belauschen!
Ist es nicht dieser, ihr weicher kleiner Mund, der die Worte so bebend in heißer Sehnsucht sang? Wehe dir Grenadina –: Ist es auch dein hartes Geschick an den Küssen deiner Liebe zu sterben? Fast gewaltsam reißt er sich empor.
»Der Sturmwind tut, als wäre er mein Verbündeter!« – sagt er in einem Gemisch von Ernst und Scherz. »Und vergißt doch, daß es nur der Wahn eines Dichters ist, wenn er behauptet: dem Glücklichen schlage keine Stunde! Leben Sie wohl, mein gnädiges Fräulein, und seien Sie versichert, daß Sie dem armen, vereinsamten Gesell aus dem Haidehaus ein paar unvergeßliche Stunden schenkten!« Er küßt ihre Hand – er geht. – Er sah so ernst aus beim Sprechen – und doch … in seinen Augen blitzt und glüht es manchmal auf …
So springt die heiße Flamme auf die Grenadina über, welche sie zu Staub und Asche verzehrt! – Die junge Sängerin preßt die Hände gegen die Brust.
Ihr ist es so seltsam zu Sinn, – himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt Klärchen in Goethes »Egmont«, III, 2.. –
Warum kam er? – Bekannte er nicht selber seine Ansicht offen und ehrlich vor aller Welt?
Ein Aviatiker muß frei sein! Nichts darf ihn an die Erde fesseln! –
Ist dem so, – warum nähert er sich ihr? warum schickt er plötzlich nach den heiligen, entsagungsvollen Lilien die Purpurrosen, welche so ganz andere Sprache sprechen? Warum kreuzt er ihren Weg und stiehlt ihrem Herzen den Frieden?
Was will er von ihr? –
Grenadina hat den Salon wieder verdunkelt, langsam schreitet sie an den Flügel und öffnet ihn. Die roten Rosen leuchten ihr grell in die Augen, – sie fühlt den Druck seiner Hand – langsam, wie im Traum gleiten ihre schlanken Finger über die Tasten. Das Lied der Frau von Rothschild. »Warum kamst Du zu mir, wenn Du mir nichts zu sagen hast?« Es handelt sich hier um Victor Hugos Gedicht » Si vous n'avez rien à me dire«, das von Mathilde de Rothschild (1832-1924) vertont wurde (in » 5 Mélodies, Op. 5«). – – Wie ein Hauch unendlicher Wehmut zieht der süße Klang durch das Zimmer. Draußen rüttelt der Sturm wild an dem Fenster – und in der Silberschale auf dem Tisch verglimmt der letzte Funken in einem Häufchen Asche. – –