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Zwölftes Kapitel.

Giöreczy saß an seinem Schreibtisch und starrte gedankenvoll auf einen Brief nieder, welchen er beantworten mußte.

Es war die Offerte einer deutschen Aerofabrik, einen ihrer vorzüglichen Apparate in Johannisthal ausprobieren zu wollen und eventuell unter glänzenden Bedingungen die Stelle eines Fluglehrers für Militärpiloten bei derselben anzunehmen!

Hubert war Deutscher, sein Wunsch und seine Pflicht war es, in seinem Vaterland zu verbleiben, an Deutschlands Ruhm zu arbeiten.

Vor längerer Zeit schon hatte er jedoch eine Einladung zu Schauflügen nach Bulgarien angenommen. So würde es sehr gut passen, wenn er schon jetzt, etliche Monate früher nach Sofia und im Anschluß nach der Türkei abreisen würde.

Und doch! – Warum wird ihm der Abschied von Berlin plötzlich so schwer? –

Hubert gräbt die Zähne in die Lippen und neigt sinnend das schöne Haupt.

Will sie dennoch kommen, die süße, unheimliche Liebe, die gewaltige Herzbezwingerin, an deren Macht er nicht geglaubt?

Er hat sie nicht gesucht, warum überfällt sie ihn plötzlich wie eine Krankheit und macht ihn zum Sklaven seines schwachen, eitlen Herzens, ihn, den Himmelstürmer, den stolzen König der Lüfte, welchen nichts an diese niedre Erde fesseln soll? –

Diese Erde! – Sie ist plötzlich so schön, so interessant geworden! Die ehemals so große, öde, ist zusammengeschrumpft zu einem winzigen kleinen Eden, – vier Wände – ein paar behagliche Sesselchen – ein kleiner Tisch auf welchem eine bunte Stickarbeit liegt – und vor derselben ein schlankes, blondes Weib, zart wie ein Duftgebilde, mit großen Augen in welchen die Sehnsucht träumt.

Eine Grenadina, deren Schicksal es ist, an den Küssen des Geliebten zu sterben! –

Warum fesselt ihn dieses kleine Stücklein Welt so sehr, daß seine glänzenden Schwingen matt hernieder sinken und kaum noch den Tatendrang verspüren, sich in Johannisthal zu neuen Erfolgen und Siegen zur Sonne zu heben? –

Grenadina liebt ihn, – ja sie liebt ihn. Gestern besuchte er ihr zweites Konzert.

Sie sang für ihn, allein für ihn, – das sah und fühlte er, – auch wenn er nicht gewußt hätte, daß sie sein Bild heimlich aufbewahrt und mit roten Rosen schmückt.

Warum sang sie das Lied der Frau von Rothschild:

»Wenn Du mir nichts zu sagen hast
warum kommst Du zu mir?« –

Nur, weil es die Leute so lieben?

Nein, diese ernste, schwermütige Frage war an ihn gerichtet, – das las er in dem Blick, welcher den seinen suchte!

Ja, warum kam er zu ihr, wenn er ihr nichts weiter zu sagen hatte, als gleichgültige Dinge?

Warum drückte er ihre Hand – wenn er sie nicht festhalten wollte fürs Leben, – wenn er ihr nichts von solchem Wunsch zu sagen hatte?

Am Tag nach dem Konzert empfing Grenadina wieder Gäste zum Thee.

Er kämpfte stundenlang, ob er zu ihr gehen solle, oder nicht?

Dann schickte er Sören mit einem Strauß und einem Brief zu ihr. – Er schrieb in demselben nur wenige Worte.

 

»Statt meiner kommen ein paar Stengel Rittersporn und Eisenhut (sehen Sie die Rosen bitte dafür an!) und fragen, wie Ihnen Ihre gestrigen Triumphe bekommen sind? Ich selber komme mit Ihrer gütigen Erlaubnis erst morgen Abend. – Vielleicht erkannten Sie schon, was für ein wunderlicher Gesell ich bin. Ich teile nicht gern mit andern, – am wenigsten die Plauderstunden bei Ihnen. Ich bin arrogant, – ich liebe und verlange es, daß sich die Gastgeberin mit mir allein beschäftigt. Also auf Wiedersehn morgen, Mittwoch, um 5 Uhr. Mit Handkuß ganz der Ihre

Hubert Graf von Giöreczy.«

 

– Warum tat er das? Der Brief mit einer Erkundigung nach ihrem Befinden und die Blumen hätten auch allein genügt. Warum ging er doch wieder zu ihr, obwohl er ihr nichts zu sagen hatte? –

Nein, er hatte andern Tags wieder stundenlang in ihrem Salon gesessen. Sie hatten geplaudert wie Menschen, die sich schon seit Jahren kennen und verstehen. –

Wie tief blickten sie einander in die Herzen, wie wonnig heiß durchschauerte ihn das Entzücken, als er – trotz aller guten Vorsätze es nicht zu tun doch wieder die köstliche »Grenadina« zwischen den Lippen hielt und diese mild-pikante Blume von Sumatra Havanna zu Tode küßte! –

Die Zigarre – nur die Zigarre!

Ihre blasse, liebliche Schwester mit dem Goldhaar soll leben! leben und in den Armen eines Mannes glücklich sein, welchen die Sehnsucht nicht zu dem Himmel treibt. –

So spricht er in Gedanken, – aber er glaubt selber nicht an seine Worte.

Und dann ist er wieder gegangen, – ohne das Wort zu sprechen, welches doch wie ein Hauch von Myrten und Orangen geheimnisvoll in der Luft schwebt … –

Auch keine Andeutung – kein noch so leises Zugeständnis, daß er mehr für sie fühlt wie freundschaftliches Interesse. –

»Wenn Sie mir nichts zu sagen haben «

» Si vous n' avez rien à me dire …«

Diese Melodie ist zum verrückt werden! Er sieht dabei stets in die großen, traurigen Augen der Süßen, welche voll stummen Vorwurfs diese Frage an ihn stellen.

»Wenn Sie mir nichts zu sagen haben …«

Nein, er hat ihr nichts zu sagen! Er kann und darf ihr nichts sagen!

Er ist streng und konsequent in all seinem Denken, – ein Aviatiker muß frei sein! – Wer den Himmel sucht, muß die Erde verloren geben! Und dann … wenn selbst diese Ansicht wie ein Kartenhaus über den Haufen geblasen werden könnte, – ein anderes bleibt besteh'n.

Er kann nicht an die Liebe glauben, – er kann es nicht! –

Er liebt auch Grenadina nicht. Es ist ein Rausch – eine momentane Erregung seiner Phantasie und Sinne, – aber keine Liebe!

Und wäre es wahrlich Liebe – so wäre sie ihm klein und nichtssagend, – sie könnte doch nicht das unvergleichliche Gefühl stolzer Genugtuung aufwiegen, welches ein Erfolg, ein Erreichen hoher Ziele gibt. –

Giöreczy springt empor und durchmißt noch ein paarmal mit fast heftigen Schritten das Zimmer, wie ein Riese, welcher sich verzweifelt gegen Kerker und Fesseln wehrt, und dann preßt er die Lippen zusammen, rafft in jähem Entschluß die Feder empor und taucht sie ein. –

Mit seinen großen, energischen Schriftzügen wirft er etliche Zeilen auf das Papier. Er verpflichtet sich, bereits in 8 Tagen nach Sofia zu kommen und etliche Probeflüge, eventuell auch einen Überlandflug zu unternehmen. Hastig, sich überstürzend, als traue er sich selber nicht mehr, schließt und adressiert er den Brief, nimmt Mantel und Hut und trägt ihn selber auf die Post ihn einschreiben zu lassen. Als er zurückkommt, sitzt er in dem Sessel und liest die Zeitung.

Er will lesen, – aber seltsam … er hat heute so gar keine Gedanken dafür, kaum, daß er die Sportnachrichten mit schnellem Blick durchsieht. –

Sören kommt; – sonst hat sein Gesicht in der letzten Zeit immer still verklärt gelächelt, er hat mit warmem Blick gelauscht, wenn sein Chef von Fräulein Nirsky erzählte und nach dem zweiten Konzert, zu welchem Hubert seinem Getreuen ein Billet schenkte, hat er Brief und Blumen des Grafen der Sängerin abgegeben und sein Ideal dabei wieder persönlich gesprochen.

Wie freundlich! wie herzensgut ist sie! Sören hat einen Klang in der Stimme, wenn er von ihr spricht, als ob er betet. Seit gestern blickt Sören aber anders. Unruhig, voll heimlichen Forschens. – Wie schwere Sorgenschatten lagerts auf seiner Stirn.

Giöreczy bemerkt es wohl. – Aber er mag nicht darüber grübeln.

Ist es gar Eifersucht? – Lächerlich. – Sein treuer Sören! – Der arme, kleine, verwachsene Monteur! Welch ein absurder Gedanke!

Nein, Sören weiß von der Offerte, welche man dem Grafen gemacht, er fürchtet, daß der Vielbegehrte Berlin verlassen wird, daß er dem dritten Konzert seines Ideals nicht mehr beiwohnen kann. –

So lange wie möglich wird Hubert ihm seinen Entschluß verheimlichen. – Aber dieses erste Geheimnis vor Sören gibt seinem ganzen Wesen etwas Befangenes, Unsicheres. Er fühlt es selbst. So flüchtig wie heute hat er noch nie mit seinem Getreuen gesprochen. –

Sören sieht, daß der Graf sehr in die Zeitung vertieft ist. Er hört, daß bei dem schlechten Wetter in nächster Zeit nicht geflogen werden soll. Noch ein paar zerstreute Worte … Hallwege fühlt, daß er verabschiedet ist. –

Dieser Zustand ist sehr unbehaglich, – er könnte wohl unerträglich werden. –

Hubert springt abermals empor und nimmt die erregte Promenade im Zimmer wieder auf. – Mit schnellem Hieb den Knoten, welcher sich zusammenziehen will, durchgehauen! – Noch ist es Zeit, und je eher, desto besser. – Grenadina soll wissen, daß er von Berlin scheidet, daß er so viel Reisevorbereitungen zu erledigen hat, – daß er aus diesem Grunde nicht noch einmal kommen kann! –

Das wird das Beste sein.

Schnell entschlossen schreibt er einen Brief, daß er ganz plötzlich und unerwartet nach Bulgarien gerufen sei, wo er mehrere Wochen auf dem Flugplatz und in Sofia beschäftigt sein werde. Seine Zeit sei bis zu der letzten Minute in Anspruch genommen. Könne er es ermöglichen, käme er noch persönlich, sich zu verabschieden, anderenfalls hoffe er, bald wieder ihren Weg zu kreuzen um das Versäumte nachzuholen. Er bleibe später allerdings in seinem Vaterlande, werde aber noch an internationalen Flugwochen in aller Herren Länder teilnehmen. –

Noch ein paar höfliche Abschiedsworte – und Hubert besorgt auch diesen Brief persönlich zur Post. – Er hat nicht den Mut, ihn durch Sören hinzuschicken. – Warum nicht? –

Der König der Luft streicht mit der Hand nervös über die Stirn, als wolle er quälende Gedanken fortwischen.

Nun kann er wieder frei aufatmen! Es wird ihm zu Mut sein, wie einem Mann, welcher in die offene Kerkertür hinein taumeln wollte – und doch noch den starken Willen fand, dem lockendsten, lieblichsten Gefängnis, welches je ein Schwärmer mit trunkenem Blick geschaut, – zu entrinnen, ehe es seine Pforte hinter ihm schloß.

Fata morgana! –

Frei! Ja, er ist wieder frei! Nichts hemmt mehr seinen Flug zur Sonne … und doch … es lockt ihn nicht, empor zu steigen. Das Wetter ist schlecht, – in den Lüften droben ist es kalt einsam … so furchtbar öd und leer … –

Sein Herz erschrickt plötzlich bei dem Gedanken an solch ein Verlassen- und Vergessensein im dunklen Weltenraum. –

Bei Grenadina war es so traut, so warm und hell … ihre süße Stimme lullte sein Herz ein wie ein Wiegenlied, welches wonnevollen Traum gibt. –

Er fühlte sich so behaglich, – so wohl bei ihr! – Torheit! – Er ist eine Phantast. – Rosen tragen Dornen! weichlich und wohllüstig So die Vorlage! wollen sie darüber hinweg täuschen. – Der Lorbeer ist bitter, aber treu und standhaft – er allein ist eines Mannes Schmuck und Glück! – Und das Kraut der Vergessenheit? – wo blüht das? –


Das Wetter war kühl und regnerisch geblieben, es schien beinah, als wollte der Winter wieder zurückkehren, das fröhlich »ganz Berlin« noch einmal mit eisigen Armen zu umschlingen.

Trotz des schlechten Wetters öffnet die elegante, großartige Stadt die strahlenden Fensteraugen ebenso weit wie sonst. Die fürstlich schönen Paläste welche am bayrischen Viertel um den Kurfürstendamm und den Tiergarten-Promenaden liegen, glühen auf im elektrischen Licht, mild verschleiert hinter Purpur und Spitzen! Die Schaufenster der großen Verkehrsstraßen stechen voll blendender Helle in die Augen.

Grenadina steht an der großen Spiegelscheibe und blickt voll seligen Lachens hinaus auf die Straße, die Hast der frierenden Menschen zu beobachten.

Sie war sehr zufrieden, daß sie eben allen Lockungen von Ruhm und Gold widerstanden und Herrn Pachelli, trotz seiner glühenden Beredsamkeit unverrichteter Sache gehen ließ. Der Impresario hatte heute Vormittag fast zwei Stunden lang hier im Salon gesessen und der »Gottbegnadeten« die Offerten vorgelegt, welche die Agenten aus aller Herren Länder gesandt hatten.

Glänzend! Geradezu großartige Anerbieten! Wenn Fräulein Nirsky sich entschließen wollte, noch während des Aprils in Stockholm oder Wien zwei Konzerte zu geben, würde ein famoser Erfolg garantiert sein, Lorbeeren sowohl wie Rosen! –

Aber Grenadina war so energisch und lehnte die Offerten so bestimmt ab, daß der redegewandte kleine Italiener schließlich seufzend aufstand und sprach: »Wenn Ihr Arzt eine Reise nach nordischen Metropolen und dem kalten Wien für absolut unmöglich und höchst gefährlich erklärt hat, so kann ich natürlich nicht weiter zureden. Aber da so sehr viel auf dem Spiel steht, bitte ich Sie inständig, noch einmal mit dem Herrn Rücksprache zu nehmen, ob bei äußerster Vorsicht nicht dennoch ein Versuch zu wagen wäre!« –

Die junge Dame zuckte so hoffnungslos die Achseln, daß man diese Bewegung schon für eine Antwort nehmen konnte, aber sie versprach trotzdem sehr höflich, noch einmal an den Doktor telephonieren zu wollen.

Nun stand sie allein und lächelte ob des errungenen Sieges.

Sie sollte um keinen Preis vor Ende Mai weitere Reisen unternehmen. Dieser ärztliche Befehl war Tatsache, aber was hätte sie nach allen Doktoren der Welt gefragt, wenn sie den Wunsch gehabt hätte, Berlin zu verlassen! Alles andere, – nur das nicht.

Wie könnte sie jetzt scheiden, – wo er – er – noch hier weilt?

»Er!« –

Welch ein »er« ist plötzlich ein derartiger Magnet für sie geworden, daß sie Tag und Nacht nur noch an ihn denkt?

Was ist mit ihr geschehen? Ist es plötzlich in ihrem kühlen, einsamen, öden Herzen Frühling geworden?

Rote Rosen blühen und die Nachtigall schluchzt ein Lied von heißer Liebessehnsucht in den Myrtenzweigen.

Sehnsucht! –

Grenadina breitet die Arme aus wie nach etwas Unsichtbarem, – Fernen, – was ihrem Herzen plötzlich so sichtbar nah gerückt ist.

Blind war sie – und sehend ist sie geworden! Ihr Ohr war taub und verschlossen – nun ist es aufgetan! –

Wo ist es hin, das Ziel ihrer geheimen, unverstandenen Sehnsucht, – nur die Kunst und ihre idealsten Höhen zu erreichen? –

Schlägt wahrlich diese edle, reine Kunst, die Musik, die einzige Brücke, auf welcher ein Menschenherz zum vollkommenen Glück in den Himmel wandeln kann? –

Nein! Tausendmal nein!

Wie ein Kartenhaus sind diese Illusionen zusammen gefallen, als ein süßer, weicher Frühlingshauch sie traf, – als neben die Kunst ein noch viel tausendmal schöneres Weib trat und sprach: »Ich bin die Liebe! Ich bin die Einzige, welche aus dem Himmel kommt und Menschenherzen zurück in den Himmel tragen kann!« –

Die Liebe! –

Grenadina hat in stillen Nachtstunden gelächelt und geschluchzt und das Bild eines Mannes an Herz und Lippen gedrückt, – da wußte sie plötzlich, daß ihre Sehnsucht den Weg zum wahren Glück gefunden.

An der Tür klopfte es. Der Kellner bringt die Post.

Die junge Sängerin sieht die Schreiben ohne sonderliches Interesse durch.

Plötzlich zuckt sie zusammen. Glühende Blutwellen wogen nach ihrem Herzen.

Von ihm! – Von ihm?! –

Mit bebenden Händen erbricht sie den Umschlag und liest.

Ihr erst so gerötetes Antlitz wird leichenblaß. Sekundenlang starrt sie ins Leere, – sinkt auf einen Sessel nieder und liest den Brief abermals.

Ein Lebewohl, – er muß nach Bulgarien. Nach Sofia!

Grenadina zuckt empor, – ihr Auge leuchtet auf. – Muß sie nicht auch nach dort? Hält es der Impresario nicht für absolut notwendig? Er wohl! Aber der Arzt! – Er hat ihr das Reisen jetzt so streng verboten. –

Das junge Mädchen sinkt wie gebrochen in sich zusammen. Es kann, – es darf nicht sein. Sie müssen scheiden, – und wer weiß, ob sie ihn dann jemals wieder sieht!

Sie preßt die bebenden Hände gegen das Herz, wie ein qualvoller Seufzer zittert es über ihre Lippen.

Sie kann es nicht! sie kann ihn nicht verlieren, wenn sie ihn auch nie besitzen wird! – In seiner Nähe weilen, die Möglichkeit wenigstens haben, ihn zu sehen – das muß sie haben – sonst stirbt sie vor Herzeleid.

Sie kämpft, sie ringt während etlicher Stunden mit sich, – sie will nicht schwach sein – und ist es doch! –

Sehnsucht! – Wie ein Aufschrei klingen die Worte einer Mignon durch ihre Seele –: nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide!

Ja, sie leidet! – Aber die Sehnsucht ist eine Riesin, sie überwindet alles. – Und doch … es kann, es kann und darf nicht sein!

Das Telefon klingelt.

Grenadina wird von Signore Pachelli angerufen: »Ich habe den Doktor gesprochen. Selbst bei größter Vorsicht ist jeder Gedanke an einen Luftwechsel jetzt ausgeschlossen. Vom 20. bis 30. Juni frühestens stehe ich zur Verfügung, mein Sinn ist nach Schweden und Norwegen gerichtet, wählen Sie die geeignetsten Städte und lassen Sie mich seiner Zeit das nähere wissen.«


Sören hatte vor seinem Chef gestanden und ihn erwartungsvoll angeblickt, obwohl er entlassen war.

»Willst Du noch etwas, mein guter Junge? –«

»Herr Graf sprachen neulich darüber, daß ich wieder einen Strauß zu Fräulein Nirsky tragen solle?«

Hubert lachte leise auf. »Ach so! Du hast recht, ich muß mich für den letzten Tee revanchieren! Wenn Du Zeit hast, besorg wieder recht schöne Blumen und bring sie hin!« –

»Wieder rote Rosen?« – Wie scharf und durchdringend die sonst so milden Augen des jungen Menschen blicken können! Der Aviatiker kramt eifrig in seiner Schreibtischschublade. »Ich denke ja! es sind doch die schönsten Blüten jetzt! –« sagt er so ruhig wie möglich – »und wenn Du Fräulein Nirsky selber siehst« – »Ich gebe die Blumen nur ab, Herr Graf, es sieht sonst aus, als gelte es einem Trinkgeld! –«

»Natürlich – sehr recht, Sören! – Na, dann sag Frau Hammer, ich würde mir erlauben, in nächsten Tagen vorzusprechen! –«

Hallwege nickt. Er atmet auf und faßt nach der Türklinke »Ich besorge es sogleich, Herr Graf! –«

»Danke Dir, Sören.«

Hubert sieht sich nicht mehr um, er starrt zerstreut in die Schreibtischschublade, in welcher er wühlte, ohne etwas darin zu suchen. Komischer Kerl, der Sören! Erinnert ihn an die Blumen!

Und er wollte eigentlich keine mehr schicken auch nicht mehr hingehn, – – aber was hätte Hallwege denken sollen! – Und im Grunde genommen … er hat schon selber den ganzen Vormittag daran gedacht, ihr noch einen Gruß zu schicken. –

Daß er noch einmal hingeht, ist wohl selbstverständlich.

Er weiß ja gar nicht, wie lange Grenadina noch hier bleibt, und wohin sie später reist!

Man interessiert sich doch schließlich für seine guten Freunde! –

Hubert stützt den Kopf in die Hand und sein Blick fällt in den Spiegel.

Sieht er tatsächlich so verändert aus? Ein Kollege fragte ihn heute, ob er krank sei!

Krank? – Kein Gedanke.

Aber er schlief die letzten Nächte schlecht, er ist nervös und so ruhelos –

Die Überanstrengung der letzten Flüge kommt doch wohl nach. –

Sonst hat ihm die größte Anstrengung nichts ausgemacht. Nein – es muß noch etwas anderes sein, was ihn so aus dem Gleichgewicht gebracht hat. –

Grenadina. – Er denkt so viel an sie, ob er will, oder nicht. –

So leicht läßt sich das holde Zauberfädchen, über dessen Macht schon Goethe klagt, doch nicht zerreißen.

Er wollte fliehen – und nun, da er sich den Weg zur Freiheit gewaltsam bahnte, lockt sie ihn nicht mehr.

Die weite, lange Reise – sie ist so unbequem. Im Grunde genommen blieb er viel lieber hier. Und warum soll er nicht zu Grenadina gehn? Warum soll er sich nicht von ihr lieben lassen? Der Gedanke ist so süß!

Von Heiraten braucht darum keine Rede zu sein, – sie kennt ja seine Ansichten. Möglicherweise denkt sie selber am wenigsten daran. Sie geht anscheinend ganz in ihrem Beruf als Sängerin auf.

Erzählte sie nicht selber, daß die große, geheime Sehnsucht, welche seit Jahren in ihrer Seele schlummert, durch das Erreichen höchster Kunstideale gestillt sei?

Seltsam, – und doch bewahrt sie heimlich sein Bild auf und kränzt es mit roten Rosen.

Sie liebt ihn!

Aber ihre Kunst liebt sie möglicherweise noch mehr?

Hubert nagt nervös an der Lippe.

Warum ist ihm dieser Gedanke unsympathisch?

Wäre es für ihn nicht das beste, wenn Grenadina ihr Interesse für ihn absolut nicht als Liebe, sondern nur als kleine Schwärmerei auffaßt, welche mehr dem kühnen Flieger, als wie dem Menschen gilt? –

Solche Möglichkeit regt ihn auf, daß er Essen und Trinken darüber vergißt. Er ist kein Spielzeug, kein »Etwas«, das man heute vergöttert und morgen um eines Andern willen beiseite wirft!

Wehe dem, der da kommen wollte, einer Grenadina Seele in einem Kuß zu trinken! –

Wunderlich! Dieser seltsame Vergleich mit der edlen Havanna ist ihm auf die Nerven gegangen wie Opium.

Süße, traumhafte Bilder gaukeln ihm vor. Der Gedanke hat etwas berauschendes, so unaussprechlich wonniges, ein liebendes Weib im Arm zu halten, um es tot zu küssen! –

Seligster Liebestod! sagte Grenadina nicht so?

»Ich flög am Tag der Sonne zu –
Kehrt abends heim von Streit und Jagen!«

Wer weiß, wie liebeswund der Falke sich zu den Füßen der weißen Taube schmiegt, – wie er mit jedem Hauch, welcher sie verzehrt, selber den heißen, süßen Liebestod im Herzen fühlt!

Hubert wühlt aufgeregt die Hände in das dunkellockige Haar.

Solches Sinnen und Träumen ist zum rasend werden!

Was ist es, das ihn ruhelos zu ihr hintreibt? Was ist es, das ihn alles andere vergessen läßt, das ihn mit Grimm erfüllt und sich doch nicht zwingen läßt, ob er entfliehen wird oder nicht? –

Sehnsucht! – Sehnsucht? –

Wo bleibt Sören?

Er pflegte sonst stets zu kommen und Rapport abzustatten, wenn er Blumen zu Fräulein Nirsky gebracht hatte, – und heut?

Giöreczy reißt ungeduldig die Uhr heraus und wirft einen schnellen Blick darauf.

Ist's möglich! Der gute Kerl kann ja kaum da sein, – geschweige schon zurückkommen! –

Er ist doch sonst nicht so ungeduldig gewesen!

Soll er ausgehn? –

Nein, – er hat keine Lust dazu, – will doch auch Sören erst abwarten.

Vielleicht bringt er eine Bestellung.

Lesen! –

Er greift nach einem Buch und versucht sich zu vertiefen.

Verrückte Liebesgeschichte!! – Hat sich denn alles verschworen, ihm, dem kühlherzigen Kämpen auf dem Feld der Ehre, plötzlich lauter Psalter der Liebe vorzujubeln?

Warum ist die Heldin so blond geschildert?

Er muß immer an Grenadina denken, und dann ärgert es ihn, daß sie sich in einen so faden, schlappen Kerl, einen Musiker verliebt! Gräßlich! – Sammtjoppe und Schlangenlocken, – sicher auch flatternden Schlips und bei etwas Nordwind Husten und Schnupfen!

Schauerlich! – Ob Grenadina so etwas fertig brächte, auch das Bild eines solchen Jammerlappens, bloß weil er Geige quietscht, auszuschneiden und mit Rosenblättern zu schmücken?

Es klopft. – Ah! endlich! – Sören! Na, es ward auch Zeit!!

Giöreczy springt auf und geht seinem Monteur entgegen; er starrt ihm ungeduldig auf die Lippen. Aber was ist das? Der Mensch sieht ja ganz verfallen aus, – wahrhaft gräßlich

»Hallwege! Mensch! was hast Du? Ist Dir ein Unglück passiert?!« –

Sören schüttelt resigniert den Kopf. »Fräulein Nirsky läßt tausendmal danken …«

»Ah … du sprachst sie?« –

»Nein, Herr Graf; nur Frau Hammer, – und die erzählte mir als Neustes, daß das gnädige Fräulein – –«

Hubert steht neben dem Sprecher und packt seinen Arm. »Was ist los? ist sie krank?!« stößt er fast heiser hervor.

Sören atmet schwer auf. »Fräulein Grenadina reist in ein paar Tagen von hier ab!« –

Giöreczy starrt ihn momentan an, als habe er nicht recht gehört. Dann geht ein Leuchten durch sein Auge, wie das eines großen, starken Glücks, das sich heimlich im Herzen birgt und das gern ans Licht möchte. – Er lacht hell auf. – »Ist das so schlimm? – da hier lies, Sören! Ein Brief aus Bulgarien – wir werden am 18. April dort erwartet!«

»Herr Graf …« Sören wird blutrot und starrt auf das Schreiben. »Mit den neuen Apparat?« –

»Natürlich! mit was sonst? – Na, und wie ist es mit meiner Visite bei dem gnädigen Fräulein?«

Hallweges Lippen beben, er streicht ein paarmal mit der Hand über die Stirn, sein hageres Gesicht verändert sich, wie in tiefer, unaussprechlicher Wehmut senkt sich sein Blick in den seines Chefs: »Leider ist es dem gnädigen Fräulein unmöglich, den Herrn Grafen noch einmal zu empfangen!« – sagt er kurz, aber es klingt durch seine Stimme wie bittere Qual.



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