Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Pantalon und sein Feind

Seit einigen Tagen fühle ich mich nicht wohl. Es fehlt mir eigentlich nichts; ich schlafe nur des Nachts schlecht oder gar nicht und die Tage sind bleiern und endlos. Es ist noch immer heiß und die Stadt ist leer. Heute abend ging ich in den Klub. Ich dachte, ich würde Pantler treffen. – Ich nenne ihn jetzt nur »Pantalon«, für mich. Er saß auch da und las seine Zeitung. Ich setzte mich zu ihm; ich wußte, er würde von Politik oder von Geschäften reden, um mir zu zeigen, wie richtig er alles auffaßt und voraussieht. Ich widersprach ihm indessen oft und geriet in Eifer. Er sitzt stets zurückgelehnt da, satt und lächelnd, sein rotblonder runder Bart lächelt gleichsam mit; in seiner fetten Hand hält er die Zeitung von sich, wenn er spricht, und wendet mir das Gesicht zu. Er sagte etwas über die Frauen; ich grinste: »Pantalon«, dachte ich.

»Wie geht es Ihrer Frau?« sagte ich laut. »Wann kommt sie zurück?«

»Morgen«, erwidert er und sein Ton wird kalt. Ich beuge mich weit vor, um meine Zigarre abzustreifen. Er liest wieder, und auch ich nehme eine Zeitung.

Aber ich konnte nicht lesen, und auf einmal fiel mir auf, daß er mich ansah. Ich lege die Zeitung nieder und sehe ihn auch an. Er lächelt. Er hat runde Backen, aber seine Gesichtsfarbe ist ungesund.

»Sie tun mir eigentlich leid«, sagte er plötzlich.

»Warum?«

»Alle Junggesellen tun mir leid.«

»Vergeben Sie,« sagte ich, »es gibt auch misères de la vie conjugale

»Die kenne ich nicht.«

Ich fühlte eine Bubenlust, nach ihm zu spucken, aber ich sagte nur: »Ja, Ihnen ist Glück zu wünschen!« Sein Gesicht ist ganz bestimmt das eines Pavians, besonders wenn er die Zähne fletscht vor Genuß an sich selber. Ich werde mir einen Affen kaufen und ihn »Pantalon« nennen. – Ich nahm meine Zeitung wieder vor und er die seine, dabei streckte er das Bein vor und berührte mich mit dem Schenkel; er schien es gar nicht zu merken, aber mich faßte Unbehagen und Ekel, und ich zog meinen Fuß vorsichtig zurück.

Es war spät und nur wenige Gäste waren noch da. Der Diener brachte Wasser und fragte, ob er noch Whisky einschenken könnte. Ich bejahte; Pantler sah mir zu, wie ich trank. Dann legte er den Kopf an dem Lederrücken des Stuhls seitwärts; sein fetter Hals trat aus dem Kragen und ich dachte: ich brauche nur da zu drücken ...

Plötzlich stand er auf, um zu gehen; ich ging mit und begleitete ihn. Ich weiß, daß er sich fürchtet und froh ist, wenn so spät jemand mit ihm geht, sonst würde er es von mir nicht annehmen. Wir gingen durch die breiten leeren Straßen; alle Haustore waren geschlossen; unsere Schritte hallten; wir redeten fast nichts; in mir war nur ein Gedanke. Wir kamen vor seinem Hause an; es ist stattlich mit großen Fenstern, in der besten Straße.

»Grüßen Sie Ihre Frau,« sagte ich, »ich werde gelegentlich vorsprechen.«

»Ja, jetzt wird sie noch zu müde sein«, antwortete er.

Wir schütteln einander die Hände; er geht ins Haus, die Türe schließt sich hinter ihm. Ich gehe quer über die Straße und sehe hinauf; aber nur einen Augenblick; ich fürchtete, er könnte ans Fenster kommen und es bemerken. –

Ich habe wieder schlecht geschlafen und verworrenes Zeug geträumt, von einem Affen, der mich würgen wollte, und dann von einem Turm, in dem hoch oben zwei Kinder schliefen; und dann hatte ich diese Kinder umgebracht, wegen einer Erbschaft ... ich hatte Kinder umgebracht! Es verfolgte mich wie Wahnsinn, und ich begriff es selber nicht, auch im Traum nicht! Was bedeuten solche Träume und wie komme ich zu diesen Vorstellungen? ...

... Ich bin sieben Tage verschmachtend in der Wüste gelegen, in der grauen Steinwüste, oder in meinem Zimmer ohne Schlaf und ohne Ruhe, und habe dann von einem Quell getrunken, nein, nur die Zunge mit Tropfen benetzt, und bin selig! aber ... brennen Wassertropfen wie Feuer, wenn man verdurstet?

Ich habe sieben Tage gezählt, und bin am siebenten in Pantlers Haus gegangen; ich wußte, daß er im Bureau war. Es sind monotone, gewöhnliche Steintreppen; warum braust alles, wenn ich sie hinaufsteige? ... Sie saß in dem Zimmer mit den Seidentapeten: es hat gar keinen Stil, – Pantler hat es für teures Geld einrichten lassen, – aber sie saß darin, und das letzte Licht fiel durch die Fenster; ihre Augen sahen mich an, und ich habe ihre Hände gefühlt und geküßt. Ich weiß nicht, was für einen fremden Ausdruck sie hatte, nach ihrer Sommerreise; etwas war um sie, was ich mir noch nicht deuten kann. Sie sagte in halben Sätzen, vieles würde nun anders werden ...

»Gut!« sagte ich.

»Ja! gut ... für Sie ...!«

»Für mich gibt es nur ein Gut«, rief ich und kniete vor ihr hin und sah zu ihr auf; da beugte sie sich herab und küßte mich, und ich drückte ihre Füße. Auf einmal sah ich einen Schrecken und ein Zeichen in ihren Augen; ich sprang auf: das Mädchen hatte die Türe schon halb geöffnet: es kam Besuch, und ich mußte gehen.

Seither habe ich wieder geschlafen und glückliche Tage verbracht, denn ich sitze still in meinem Zimmer und lasse die Jalousien herab und träume den Kuß wieder und träume den Tag, an dem sie wieder in mein Zimmer treten wird. Damals hatte ich die Jalousien immer unten, damit es nicht auffallen sollte, wenn ich sie herunterließ; ich will es nun wieder so halten; auch tut das Dämmerlicht im Zimmer so wohl; ich habe noch viel heimliche Dinge, die ihr gehören: rote Schuhe und einen chinesischen Seidenmantel und einen Kamm ...

Ich bin auch in den Wäldern umhergegangen, um allein mit meinen Träumen zu sein.

... Pantler ist Generaldirektor geworden. Ich habe ihm eine Karte geschickt; ich hatte »p.c.« darauf geschrieben: das sollte »Pantalon Cocu« heißen; ich lachte mich tot darüber, dann erst fiel mir ein, daß es ja »p.f.« sein mußte. Da dachte ich mir auch etwas.

Sie habe ich nicht gesehen, obwohl ich immer in der Nähe des Hauses durch die Straßen ging, immer in bestimmten Wegen rund um das Haus, in dem sie wohnt, und manchmal daran vorbei und in den Garten, in dem ihre Kinder spazieren gehen, aber da traf ich nur die Engländerin, sie selbst nie. Ich kann nicht mehr warten und habe ihr geschrieben; und sie hatte einen köstlichen Einfall: ich sollte Glück wünschen kommen, und sie schrieb mir genau die Stunden, zu denen der Generaldirektor nicht zu Hause ist ...

Aber als ich hinkam, saßen noch zwei oder drei Frauen da. So war es nicht gemeint. – Ich stand unbeweglich beim Fenster, bis sie auf mich zukam und mich bat, vernünftig zu sein.

»Wann kommen Sie zu mir?« fragte ich.

»Bald,« antwortete sie leise, »bald!«

Aber als der letzte Besuch fort und wir allein waren und ich wieder fragte, da nahm sie ihr Versprechen zurück, gab ausweichende Antworten und sagte: »Es ist zu gefährlich.«

»Früher war es das nicht.«

Sie seufzte, und ich redete ihr lange zu; sie sah nach der Uhr. »Er kommt noch nicht,« rief sie, »aber vielleicht langweile ich Sie?«

Ich war aufgestanden; sie nahm meine beiden Hände und zog mich zu sich. Dann ging sie an das eine Fenster, dessen Vorhänge noch nicht geschlossen waren, und zog sie zu. Sie trug ein blaues Kleid, ihr Haar war heute anders frisiert. Wir sehen einander an; sie hat etwas in ihren Augen, was mich verrückt macht, das weiß sie. Und ich habe zu viel Erinnerungen; ich sehe diese langen blonden Haare immer gelöst über mir ... Die Lampe stand in der Ecke des Salons auf dem Tisch; die Türen waren zu, aber ich kenne alle Räume der Wohnung, auch das Schlafzimmer hinter der Seidentapete; ich habe einmal einen Blick hineingetan und nie wieder ... und ich dachte, daß ich in einer Stunde wieder allein in meinem Zimmer am Rande der Stadt sitzen und warten würde ... Mir ward schwindlig.

»Warum verdrehen Sie so schrecklich die Augen?« fragt sie und hält sich die ihren zu.

Ich stand vor ihr: »Ich will nicht mehr, daß du mit ihm lebst,« rief ich, »ich will nicht, daß der dicke Pantler dich küßt, ich will nicht, daß er mit dir zu Bette geht! Mach ein Ende, hörst du.«

»Und die Kinder?«

Aber ich weiß wohl, daß es andere Gründe sind, die sie halten, und sie erriet meine Gedanken. Ich wußte, sie sann auf eine Ausflucht, aber ich lief durch das Zimmer und begann die Möbel und Bilder zu schätzen: »Das kann ich freilich nicht zahlen!«

»Pfui, das ist häßlich!« rief sie.

»Ist Sich-verkaufen nicht häßlich?«

Sie sah mich böse an. »Komm zu mir!« sagte ich.

»Ich fürchte mich!«

»Gut!« sagte ich, »dann sollst du dich noch mehr fürchten!« und ging.

Es war Wut, Verrücktheit, gewiß. Aber eben daraus erwuchs mir die hellste Klarheit. Es muß ein Ende nehmen, und man kann alles erreichen, wenn man nur will.

Ich habe schon früher oft darüber nachgedacht: ich habe in meiner Wut über Gifte nachgedacht und viel über ihre Wirkung gelesen; aber die Materie läßt immer Spuren. Und man weiß es und ist unruhig und kommt nicht zum Genuß, auch wenn man nicht bereut. Bereuen?!

Es gibt reinere Wege, für den, der wollen kann. Ich habe alles aufgeschrieben: in klaren, starken Worten und in großer, klarer Schrift, auf festem weißen Papier, und mich dann hingesetzt zwischen zwei Kerzen und einem Spiegel, die Blätter vor mir, oft die halbe Nacht, und eins nach dem andern mit lauter Stimme gelesen: »Ich will, daß der dicke Pantler stirbt!« »Ich will, daß Margaret von mir nicht lassen kann«, und noch viel mehr.

Ich weiß, daß er herzkrank ist; es soll nicht schlimm sein, man kann damit alt werden: aber ich will es anders.

Ich wiederhole das jeden Abend, jede Nacht, und es ist unglaublich, wie es mich beruhigt und gestärkt hat. Ich kann sogar wieder mit ihr verkehren, und wir haben uns versöhnt.

... Die Dinge werden immer komischer, lustig beinahe. Pantler ist Stadtrat geworden, und wenn das Fronleichnamsfest kommt, wird er hinter dem roten Baldachin des Erzbischofs gehen mit den andern Stadträten; und ich werde mit seiner Frau von seinen Fenstern zusehen und über ihn lachen und denken, was ich denke. Aber bis dahin ist noch lange Zeit und viel kann geschehen.

... Es ist sonderbar, es ist erstaunlich, wie die Wirklichkeit sich nach meinem Sinnen und Wünschen gestaltet. Heute erhielt ich einen Brief von Pantler, in dem er mich bat, ihn in seinem Büro zu besuchen. Einen Augenblick dachte ich bereits Schlimmes ... ein Zittern befiel mich und doch auch ein Gelächter, und ich dachte, meinen Browning mitzunehmen, denn Pantalon ist feige; dann besann ich mich und klingelte bei ihr an; sie kam ganz gleichmütig ans Telephon, ich sagte ihr, daß ihr Mann mir geschrieben; sie antwortet: »Ja, ich weiß davon, gehen Sie nur und tun Sie, was er sagt!«

Ich ging hin. Die Steintreppen in der Bank sind pompös, oben ein mächtiger Gang mit einem Steingeländer. Beim Generaldirektor sind Herren; dann empfängt er mich. Ich erfahre, daß es eine geschäftliche Sache ist, eine Neugründung; und er fragt, ob ich in den Verwaltungsrat eintreten will, jemand habe mich vorgeschlagen. Ich verstehe und verstehe wieder nicht; Pantler tut keinen Schritt, dessen Nutzen er nicht vorher berechnet hat. Er liest mir meine Bedenken vom Gesicht und sagt lächelnd: »Sie sind ganz frei und werden meine Anträge nur dann gutheißen, wenn Sie sie billigen.« Ich erlaube mir zu fragen, wer mich denn vorgeschlagen hat? Pantler lächelt geheimnisvoll. Mir ist unbehaglich zumut, wie einem Fisch im Netz. Er nennt mir wie nebenbei, während er mir die Zwecke der Gesellschaft erklärt, die Tantieme, das vermutliche Einkommen, das mir daraus zufällt, und beobachtet mich. Ich konnte den Eindruck nicht ganz verhehlen, den die Summe auf mich machte. Er gibt mir Bedenkzeit bis Abend, drückt mir die Statuten und einen Bericht mit einer Rede von ihm in die Hand, und entläßt mich, indem er mich zum Frühstück einlädt. Ich sollte auf ihn warten.

Ich überlege mir aufgeregt, was ich tun soll. Ich will ihm nichts verdanken und muß doch vorläufig jede Verbindung gutheißen. Indessen kommt er bereits, mich zu holen und wir fahren in seinem Automobil nach der Wohnung. – »Tun Sie es doch,« sagte sie zu mir, »tun Sie es doch!« und sah mich an. Ich wartete auf einen Augenblick des Alleinseins mit ihr. Pantler streichelt ihre Hände, ihren Arm, während er mit mir über den neuen Stadtbauplan spricht; ich presse die Zähne zusammen. Sie schien besonders vergnügt. Ich warte jetzt ganz ruhig.

Für den Abend lud Pantler mich zum Diner in die Traube mit den anderen Herren. Toll! Wir waren die ersten dort; und ich hatte einen Einfall: ich setzte mich in die Schreibstube und schrieb auf ein Papier »Pantalon Cocu!« und schob es heimlich unter das Kissen auf Pantlers Stuhl: er saß den ganzen Abend darauf!

Nun aber das Wunderbare: gestern überlegte ich, daß ich wieder eine Stellung werde suchen müssen, weil mein Einkommen nicht ausreicht, während doch jeder Bürodienst, die bestimmten Stunden, ein Vorgesetzter mir unerträglich sind. Das war gestern; heute kam Pantlers Brief.

... Ich gehe wirklich zu den Sitzungen und beziehe vorläufig Tagegelder. Es kommt mir lächerlich vor, aber ist nicht alles höchst lächerlich? Ich muß Pantler immer ansehen; er wendet seine kleinen Augen ab, um meinem Blick zu entgehen, und kann doch nichts sagen; er fühlt körperlich das Fluidum, das von mir ausgeht.

... Gestern hat Pantler einen Anfall von Herzschwäche gehabt; nach irgendeiner Aufregung. Er ließ die Sitzung absagen.

Jeden Abend in meinem Zimmer vor dem Spiegel und vor den Kerzen tue ich das gleiche, lese die Sätze, die ich geschrieben, mit lauter Stimme und mit festem Wollen.

Warum ich immer so gräßlich träume? Ich hänge an einer Bergspitze, und der ganze Berg schwankt unter mir, oder ich trete aus einem Landhause, und ein Tiger kriecht vom Waldrand durch die Wiese langsam auf mich zu, dabei hebt sich die ganze Wiese immer mehr, bis sie beinahe senkrecht vor mir steht, so daß das Tigermaul über mir ist ... Gestern träumte ich, daß sie kam und ihre Haare über mich hängen ließ, und jedes ihrer Haare drang in mich ein und klebte und brannte, und es wurde immer mehr und immer klebriger; ich wollte sie küssen, da sah ich, daß sie keinen Kopf hatte: nur ein nackter Leib ohne Kopf und um uns die klebrigen Haare!

... Ich habe Pantlers Arzt getroffen und ihn gefragt; er antwortete, es hätte gar nichts zu bedeuten: etwas Überanstrengung; Pantler sei der gesündeste Mensch der Welt. Ich sagte ihm, daß ich mich freute; aber ich war wie gebrochen. Indessen, vielleicht bestimmt Pantler ihn, dies zu verbreiten! Er hat eine ungesunde Farbe, daran ist kein Zweifel.

Gestern sah ich im Zoologischen Garten einen Affen, der genau wie Pantler aussah. Ich droht« ihm und rief ihn: »Pantalon! Pantalon Cocu!« und seltsam, nie noch habe ich bei einem Tier eine so unbeschreibliche Wut gesehen; schon vorher fletschte er die Zähne: er haßte mich vom Augenblick, da er mich sah! Im Raubtierhaus vor dem Tigerkäfig bekam ich Herzklopfen, infolge jenes Traumes, und weil die Käfige hochliegen und ich das Tigermaul über mir sah; dazu ein trübes, unwirkliches Licht. Überhaupt nehme ich Zusammenhänge zwischen meinem Innenleben und den Vorgängen draußen wahr, die höchst sonderbar sind.

... Es ist Weihnachten; in den Straßen liegt Schnee; die Menschen gehen eilig und festlich; die frühen Abende haben etwas Warmes in ihren Lichtern. Ich bin zu Pantler geladen und besorge Geschenke; ich sah eine Uhr in einem Laden, auf der ein kleiner Tod mit seiner Sense die Ziffern zeigt. Ich hatte nicht übel Lust, sie Pantler zu kaufen, aber ich mache ihm kein Geschenk.

... Ein Christfest bei dem Herrn Generaldirektor: ein ungeheurer Baum mit elektrischen Lichtern, ein ungeheurer Tisch mit Geschenken, ein ungeheures Diner mit Fisch, Truthahn und Champagner, und Gästen im Frack. Ich fror und fieberte. Da ich durch die Zimmer ging, fand ich auf ihrem Schreibtisch eine Photographie ihres Mannes und nahm sie mit.

... Auch in unserer Stadt ist ein Fieber: Verbrechen, Skandale, Unglücksfälle und dazwischen Feste ohne Ende. Der Karneval wird toll. Pantler sagt, die Neubauten wären so vergeben worden, daß die Stadt darüber bankrott machen kann. Es stand etwas darüber in einer Volkszeitung, und gestern schrien die Leute ihm und dem Bürgermeister nach, als sie über den Pfannmarkt fuhren. Der Justizrat Mühler hat sich erhängt; niemand weiß den Grund.

Ich gehe viel in Gesellschaft, weil ich ihr dadurch begegne. Sie macht mich oft böse, aber sie macht mich auch verrückt glücklich, wenn sie will. In diesem Winter war sie nur einmal bei mir. Eine rote Flamme brennt in einer ungeheuren Wüste.

Und alle Tiere glotzen nach der Flamme. Nur ein Mensch weiß ...! Auch jüngst auf dem Ball: alles war erregt, alles gaffte nach ihr; sie ist zu schön!

Ich habe Pantlers Photographie zu Hause aufgestellt und sie mit einer Nadel durchstochen. Merkwürdig, daß ich meine Gedanken dabei nicht so konzentrieren konnte, wie ich wollte. Dennoch empfand ich am andern Tag in der Sitzung ein boshaftes Vergnügen, und ich merkte auch, daß Pantler unruhig ward unter meinen Blicken.

... Gestern auf dem Logenfest in den Rheinsälen. Ende. Pantler als dicker grüner König, mit der Krone über den kleinen Schweinsaugen. Sie trug im blonden Haar einen goldenen Rosenkranz, in den sie alle ihre Diamanten gesteckt hatte. Ich kam als Astrolog in ihrem Hofstaat. Auf einmal um halb zwölf erscheint ein Harlekin in Trikots, auf denen schwarz-weiße Dreiecke sich um die Gestalt fügten, schlank und riesengroß, mit schwarzer Maske und schwarzen Klingelohren, der nicht zu unserer Gruppe gehört, und scherwenzelt um sie. Sie muß mit allen möglichen Leuten tanzen. Indessen sitze ich in der altdeutschen Weinstube mit Köhlermann, meinem früheren Kollegen von der Bank her. Er beglückwünscht mich zu meiner Karriere; ich merke an seinen Ausdrücken, daß er mich für Pantlers Kreatur hält, und verwahre mich dagegen. Köhlermann, der schon getrunken hat, wird ausfällig, und mit seiner dünnen jagenden Stimme und seinem zappelnden Spitzbart prophezeit er: »Pantler werde noch viel erreichen, wenn er es erlebe ... dafür aber ...«

»Dafür?«

Er lacht. »... betrügt ihn seine Frau hinten und vorne!«

»Mit wem?« frage ich.

Er sieht mich an und feixt. »Das ist doch stadtbekannt!«

Er meint also andere. Zitternd erwidere ich, daß ich es nicht glaube.

»Sie sind aber auch zu naiv!« sagte er.

Ich verteidige sie und dringe in ihn. »Sind Sie etwa verliebt?« fragt er und sieht mich noch schärfer an.

»Dann hätte ich erst recht Lust und Grund zu wissen, wer begünstigt wird.« Darauf er mir ins Ohr: »Sie werden befriedigt werden. Pantler wird früher oder später ein Herzschlag treffen: er ist schwer herzleidend. Dann werden Sie ja sehen, wen seine Witwe zum Mann nehmen wird.« Damit steht er auf, macht eine narrenhafte Bewegung und einen Kratzfuß, hebt sein Glas: »Salute!« lächelt mir schlau zu und läuft einem Mädchen nach.

Ich habe einmal in einem Keller einen Haufen Ratten über eine junge Katze herfallen sehen, die sie totbissen. So war mir zumut unter den Gedanken, die mich anfielen, als ich allein war.

Langsam kehrte ich in den Saal zurück. Sie tanzte mit einem grünen Ritter. Ein Troubadour und ein Maure folgen ihr und warten, daß sie frei werde. Auf einmal kommt der schwarz-weiße Harlekin, und wie der Ritter sie losläßt, drängt er sich vor, faßt sie an und walzt mit ihr davon. Pantler scheint eifersüchtig, denn da sie wieder heraufkommen, geht er auf sie zu, aber der Harlekin rast mit ihr vorüber. Ich bin im Gedränge an seiner Seite und frage: »Willst du dein Horoskop wissen?« Er ist nicht zu Scherzen aufgelegt, sieht mich an und geht weiter. Ich folge ihm; da kommt der Harlekin wieder und hält sie im Arm. Ich weise auf die beiden und frage: »Willst du dein Horoskop wissen?« und ich mache die baumelnden schwarzen Klingelohren mit meinen Fingern nach.

Pantler wird bleich. Mir schlägt das Herz furchtbar. Im Tanz war eine Pause. Der Harlekin, der um drei Köpfe länger ist als alle andern, steht mit seiner Maske vor uns. Da sagte ich: »Tod, ich habe einen Auftrag für dich!« Erst versteht er nicht, dann ruft er: »Wende dich an den!« und weist auf einen roten Henker mit geschorenem Kopf. »Musik!« ruft er. Aber die Estrade war leer. Mit seinen Riesenbeinen steigt er über die Stühle auf die Estrade und schreit etwas in den Saal. Ich klettere nach, setze mich ans Klavier und beginne einen Totenmarsch. Erst wurde alles still, dann lachten einige, andere wurden verstimmt und lärmten, und der Harlekin zog mich vom Klavier. Aber seine ungeheure Länge und sein Kostüm machten ihn jetzt vielen unheimlich. Mir paßte er sehr gut und überlaut schrie ich ihm nochmals zu: »Tod, ich habe einen Auftrag für dich!«

Pantler in meiner Nähe, sagt leise: »Mensch, machen Sie sich doch nicht so lächerlich!«

Und ich böse: »Wenn er dich holt, Pantalon, lachst du nicht mehr!«

Wieder wird Pantler bleich. Die Musik ist schon wieder lustig, und der Harlekin hat seine Frau weggeholt.

Mir wird mein Bart und mein Talar zu heiß und ich werfe beides ab. Ich hatte das vorgesehen und ein dunkles Trikot mit Wams darunter angelegt. Ich band eine schwarze Halbmaske vor und, da die beiden nicht wiederkehrten, begann ich zu suchen. Oben in einem kleinen Zimmer hinter der Galerie saß Margaret dem großen Harlekin auf den Knien.

Ich stand in der Türe. Meine veränderte Maske konnten sie nicht erkennen, und redeten zärtlich und ohne Furcht miteinander fort.

Plötzlich sagte ich: »Margaret!« und sie fuhr empor. Sie erkannte meine Stimme.

»Margaret!« sagte ich nochmals und ging auf sie zu. Sie rührte sich nicht. Der Harlekin stieß mit dem Fuß nach mir. Aber ich faßte seinen Fuß und zog daran, so daß er sie fahren lassen mußte. Er hätte mich über die Galerie hinabwerfen können; seine Handgelenke waren drei Zoll breit. »Gib acht,« sagte ich, da er auf mich zukam, »ich bin mehr Tod als du!« und zog meinen Browning, den ich immer bei mir trage, aus der Tasche. Da blieb er stehen.

»Mit einer Kugel könnte ich euch beide über den Haufen schießen,« sagte ich, »aber ich will nur mit dir sprechen!« Zu dem andern: »Haben Sie die Güte, uns zu verlassen!«

Er wollte nicht, wenn ich ihm nicht zuvor den Browning gäbe. Das tat ich nicht, aber ich gab ihm mein Ehrenwort, daß ich der Dame nichts tun würde, und sie selbst hieß ihn gehen, sie fürchte sich nicht. Er trat auf die Galerie hinaus.

»Margaret,« sagte ich, »wer ist das?«

»Ein Bekannter«, erwiderte sie ruhig.

»Was hast du mit ihm?«

»Nichts. Du hast alles gesehen. Es war Übermut.«

Ich zitterte. »Wenn Pantler stirbt, wirst du meine Frau?«

»Sprich nicht so albernes Zeug!«

Ich faßte sie an beiden Handgelenken und hielt sie fest. »Wenn Pantler in diesem Jahre stirbt, Margaret, wirst du meine Frau?«

»Nein,« sagte sie böse, »ich denke nicht daran! Weißt du das nicht?«

»Geh,« sagte ich, »ich will auch nicht mehr. Ich schäme mich.«

Ich dachte plötzlich an Pantler, drum tat ich nicht, wozu ich vor ihren Augen am meisten Lust gehabt hätte. Der Harlekin saß draußen auf dem Galeriegeländer, das Gesicht nach unserer Türe gekehrt. »Komm, Tod,« sagte ich, »wir wollen Brüderschaft trinken. Wir gehören zusammen, wie mir scheint, auch bei ihr!« und ich wies auf Margaret.

Da lachte sie ... wirklich! und reichte uns beiden den Arm, aber ich stieß ihn zurück und spie aus. Der lange Harlekin mit der schwarzen Maske rührte sich nicht.

Ich konnte mich kaum schleppen und so ging ich in die Weinstube hinab, um etwas zu trinken. Neben mir saß Köhlermann, der mich nicht erkennen konnte, und schwatzte und erklärte den Leuten, warum Mühler sich erhängt hatte. Es scheint, daß Pantlers Gründung ihn zugrunde gerichtet hat. Ein wunderschöner Kreislauf.

Bim, bam, bum ... draußen läuten die Glocken, und mir ist, als säße der große Harlekin über der Stadt und seine schwarzen Ohren bimmelten.

Seither sind Monate vergangen. Es ist Sommer geworden. Ich habe im Verwaltungsrat der Ballgesellschaft meine Demission gegeben. Pantler baut sich eine Villa draußen vor der Stadt auf dem neuen Terrain. Ich sah ihn jüngst im Klub, aber ich kehrte in der Türe um, als ich ihn sah. Er wird nun wirklich demnächst im Fronleichnamszug hinter dem Baldachin des Erzbischofs gehen, nur daß ich nicht von den Fenstern seiner Frau zusehen werde. Pantalon Cocu bleibt er doch. Ich habe ihr demütig geschrieben und sie um Gnade und um die Wahrheit gebeten. Ich habe meine Briefe zurückbekommen. Das Erstaunliche ist, daß niemand weiß, wer der lange Harlekin war. Köhlermann behauptet, es sei ein Offizier aus einer fremden Garnison gewesen, der nur für eine Nacht herkam. Nun, mir ist alles gleich. Die Blätter, vor denen ich so viele Nächte saß, habe ich verbrannt.

Pantalon Cocu bleibt er!

... Es war ein Unfall, infolge der Hitze, daß Pantler im Zuge zusammenbrach. Nun muß er doch sterben. Ich fühle nichts.

In der vergangenen Nacht träumte ich, daß ich ihn ermordet hätte und flüchtete. Ich saß in dem trüben engen Kupee, während der Zug durch die Nacht rasselte. Ich wußte, der Mord sei entdeckt und Polizei vielleicht mit mir im Zuge; ich dachte, an einer Station den Zug zu verlassen und fürchtete doch, auch da festgenommen zu werden. Dann war ich in einem ungeheuren Wartesaal und überlegte und stieg zuletzt doch wieder ein und fuhr weiter. Ich habe alle Gefühle eines flüchtenden Verbrechers durchgemacht, und heiß und schrecklich wünschte ich die Tat ungeschehen.

Morgen ist das Begräbnis. Die Leute sagen, sie werde einen Offizier heiraten; andere nennen einen Rechtsanwalt.

... Die Haare gehen mir aus. Ich fange an, kahl zu werden ...

*


 << zurück weiter >>