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Sabach-Gülü

Margit Uhlop war die Tochter eines österreichischen Obersten, der Kommandant einer Festung in der Karlstadter Grenze war. Nach dreijähriger Abwesenheit, die sie um ihrer Ausbildung willen bei einer Base in Wien verbracht hatte, sollte sie eben wieder dort eintreffen, als der Krieg aufs neue ausbrach. Ein Bote, den ihr der Vater entgegenschickte, um ihr schleunigst die Umkehr aufzutragen, erreichte sie nicht, und als sie ankam, war es zu spät. Die Baschibosuks streiften schon durch das Land; wenige Tage später war die Festung von den Türken belagert und am dritten darauf erstürmt. In den Straßen wurde noch wütend gekämpft; die ganze Besatzung ward niedergemacht. Als die plündernden Türken in das Haus des Kommandanten drangen, sah sich Margit, mit den Frauen von Zimmer zu Zimmer flüchtend, plötzlich allein mehreren Janitscharen gegenüber. Sie schoß einen nieder und schlug einem andern, der nach ihr griff, die entladene Pistole so heftig übers Gesicht, daß er taumelte. Wohl wissend, welches Schicksal ihrer wartete, sprang sie auf das offene Fenster zu: aber einer der Männer war ihr zuvorgekommen; an Kleidern und Armen gefaßt, mußte sie sich fortschleppen lassen. Entkleidet ward sie vor den Pascha geführt, der, ohne ihrer Schönheit mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken, sie mit anderen Kostbarkeiten als versprochene Gabe einem seiner Freunde zu überbringen befahl. Als die wilden Krieger lachend erzählten, wie heftig die Christin sich verteidigt, schwur er, daß er sie, ihren Mut bewundernd, freigegeben hätte; nun könne er sein Wort und Geschenk nicht rückgängig machen. Sie wußte von alledem, da sie nur ganz wenige türkische Wort verstand, nichts; sie sah nur, daß man ihr kostbare Kleidung brachte und sie mit unerwarteter Rücksicht behandelte.

Nach einer langen und wunderbaren Reise, die sie teils zu Pferde, teils in einer Sänfte und zuletzt zu Schiff zurücklegte, wobei sie von demütigen braunen Frauen bedient ward, die sie nicht verstand, und selbst der Führer, der über ihr Tun und ihren Weg gebot, ihr mit Ehrfurcht nahte, erwachte sie an einem strahlenden Morgen in dem blauen, von weißen Häusern umgebenen Hafen einer unbekannten Stadt. Auf einer Barke fuhr sie auf einem gelben trägen Strom zwischen Palmen und Feigenbäumen hin, um zuletzt in einem stillen duftenden Garten mit nie gesehenen brennenden großen Blumen zu stehen, zwischen Höfen mit schlanken gedoppelten Säulen unter spitz gewölbten Bogen aus buntem, weiß und grün, rot, blau und golden gemaltem Gestein.

Schritte tönten auf dem Kies ... vor ihr stand ein Mann, schlank, spitzbärtig, das Gesicht unter dem grünen, reiherbuschgeschmückten Turban kaum dunkler als das eines sonngebräunten Europäers, der sie aus großen ernsten Augen lange ansah. Mit den Blicken folgte er jeder ihrer Bewegungen, ohne Neugier und doch tief gespannt, daß ihr in der wunderlichen Stille bange und doch bei der Schönheit des schweigenden Orientalen unwillkürlich froh zumute ward. Nun verbeugte er sich tief: und »Mademoiselle,« sagte er, »da das Schicksal Sie in mein Haus geführt, mögen Sie mit meiner bescheidenen Gastfreundschaft zufrieden sein!«

Voll Erstaunen über die französisch gesprochenen Worte folgte sie ihm ins Haus; die bunten Gestalten in Mantel und Fes und Turban, die sie schon vorher im Schatten des Steinganges gesehen, schlossen sich ihnen an, bis zu einer metallenen Türe, vor der ein Bärtiger mit dunklem Gesicht und breiten Lippen, ein bloßes Schwert in Händen, Wache stand, an der sie zurückblieben. In den teppichbelegenen Zimmern neigten sich buntgekleidete braune und weiße Mädchen, mit langen, unter einem Kopfputz aus silbergesticktem Schleiertuch in vielen Zöpfen herabhängenden schwarzen Haaren, vor ihr.

In dem Märchen, in das sie einging, schien selbstverständlich, was ihr das Verwunderlichste gewesen wäre. Ein bezaubernder Liebhaber warb um sie. Und so vornehm waren seine Bewegungen, so leidenschaftlich ergeben seine Worte und eine so feine berückende Männlichkeit strahlte von ihm aus, daß sie sein war, ehe sie es nur für möglich gehalten hätte.

Dann lebte sie ihren heißen Traum in den weiten Zimmern mit Marmorbecken und Brunnen, den blumeneingelegten Wänden und Decken, wo viele Kissen aus flammendem Brokat die auf der Erde spielenden Verliebten weich aufnahmen, während Töpfchen mit Essenzen zwischen den rundbogigen Gitterfenstern in den Gemächern seltsame Wohlgerüche verbreiteten.

Zehn Monate mochten vergangen sein; sie kehrten von einer Jagd am Gebirgssaum zurück, wo sie die Falken wie kleine Schatten in die Höhe steigen und dann wie weiße Blitze auf geduckte Gazellen hatten niederschießen sehen, die selbst wie braune bewegte Flecken pfeilschnell über die gelbbraune Erde glitten, und sie ritten langsam durch die steigende Glut, als sie in der Ferne zwischen den windgeschaffenen Sandhügeln einen schweigenden Zug von Reitern der weißleuchtenden Stadt sich nähern sahen. Achmed Seyjid, der neben ihr ritt, hielt sein Pferd an, und sie sah, daß sein Gesicht verändert war. Aber zu ihren Fragen lächelte er nur.

Er stand noch in ihrem Zimmer, einen der zahmen Falken, der schneeweiß war bis auf die braungewellten Schwingen, auf dem Arm; und sein Blick war nicht auf ihr. Dann ließ er den Vogel frei, der mit einem lauten Schwingenschlag zu einem silbernen Reifen unter der Decke aufflog, und ging mit einem Scherz.

Am andern Tage stand er über sie gebeugt, als sie aus ihrem Mittagsschlaf erwachte.

»Ich muß nun gehen, Sabach-Gülü«, sagte er. So nannte er sie seit jener strahlenden Frühe, die sie ihm gebracht hatte: »Rose des Morgens.«

Sie verstand ihn nicht gleich; erst als er fortfuhr: »Warte meiner und bleibe treu!« richtete sie sich erschrocken auf. »Kein Pfeil des Schicksals trifft mich, ehe meine Lebenszeit abgelaufen ist«, sagte er. »Willst du meiner warten?«

Sie sah ihn noch immer wie erstarrt an. Der Falke saß wie am Tage zuvor in seinem Ring unter der Decke. Er pfiff ihm, aber der Vogel kreischte nur und kam nicht. Da lächelte er und sagte: »Auch er kommt nicht mehr, wenn ich ihn rufe.«

Sie sprang aus dem Bett und sank vor ihm hin, fragend, flehend, wohin er gehe und daß er sie mitnähme. Er hob sie auf und küßte sie, blieb aber stumm. Verzweifelt und trotzig kehrte sie sich zur Wand; als sie aufsah, war niemand mehr im Zimmer. Da sie ihre Kleider umgetan und ihm folgte, kam sie an verschlossene Türen, und in ihren Schmerz mischte sich ein plötzlicher Zorn über eine Liebe, die sie gefangen hielt.

Am andern Tage hörte sie, daß er mit wenigen Begleitern in der Nacht fortgeritten war. Da sie durch die leeren Zimmer schritt, sah sie den Falken tot auf der Erde liegen. Er war erwürgt worden.

Zu stolz, andere zu befragen, nachdem er ihr nichts vertraut hatte, hörte sie doch mit Befremden Wehklagen aus einem Teil des Hauses, den sie nie betreten hatte. Nun erst erfuhr sie, daß dort Mutter und Schwester Achmed Seyjids wohnten, und sie fühlte ein noch größeres Befremden darüber, daß sie von dieser Nähe nie etwas gewußt hatte, während ihre Angst vermehrt ward. Aber eines Tages war auch das Wehklagen verstummt, und nun ward das Haus vernachlässigt und verfiel; der Sklaven waren weit weniger geworden; auf den perlmutterglänzenden Stühlen lag der Staub, der Garten verwilderte, die Gold- und Silberfische starben in den Brunnenbecken, und die Pfauen und all das andere schillernde Gevögel verschwand aus den Höfen. Sie selbst saß müde harrend in den Zimmern, in die das schweigende Grün der Gärten unter einem glühenden Streifen Blau sah. Die Eunuchen wurden immer frecher, und da sie ihnen mit Strafen bei Achmed Seyjids Heimkehr drohte, antwortete ihr Gelächter und die Nachricht, daß er nicht wiederkehren werde. Eines Tages sah sie fremde Männer im Hause, die unter lebhaften Gebärden mit dem einen Eunuchen verhandelten und wiederholt nach ihrem Fenster wiesen.

Da raffte sie sich aus ihrer Schwermut und Mattheit auf und dachte an ihre eigene Gefahr. Rasch entschlossen gewann sie durch ein kostbares Geschenk einen der Einkäufer, und dieser setzte sie mit einem griechischen Händler in Verbindung. Sie ließ sich nach dem Bazar bringen, wie sie oft getan, und scheinbar feilschend, besprach sie mit den Männern ihren Plan. An dem bestimmten Tage führte der Einkäufer in der Dämmerung sie, verschleiert und gering gekleidet, durch einen der Küchenausgänge in eine finstere Gasse zwischen Mauern, die nur hie und da ein vergittertes Fenster wiesen. Schon nach wenigen Schritten bogen sie in einen noch schmaleren Weg und dann durch eine schattenhafte Türe in einen fremden kleinen Hof ein und kamen durch ein menschenleeres Haus nach einer anderen Straße. Dort stand ein Mann, der wie ein Jude aussah, mit zwei Maultieren. Er sei der Schwager des Griechen, sagte er, und da er ohnehin aus dem Lande reise, nähme er die freigebige Dame gerne mit. Lärmend trieb er die Maultiere, und auf das Weib, das auf dem einen Tiere saß, scheltend, die Straße hinab ans Wasser, wo neben einem Palmenwäldchen, halb im Mondlicht, halb im Schatten der Bäume eine gedeckte Barke lag. In dieser Barke, die schmutzig war und mit allerlei Kram beladen und nach fauligem Wasser und Abfällen roch, fuhren sie drei Tage lang dem Meere zu. Dort aber wurde sie nicht, wie man ihr versprochen, auf ein französisches oder englisches Schiff gebracht, obgleich sie sich durch einen Blick aus der Luke überzeugte, daß europäische Schiffe im Hafen lagen, sondern auf ein griechisches Fahrzeug. Er habe es nicht anders machen können, sagte der Schwager des Händlers. Aber auch dieses Schiff brachte sie nach vieltägiger stürmischer Fahrt, während der sie seekrank und gequält in der Kajüte lag, zuletzt glücklich nach einer europäischen Stadt.

In einem kleinen Ledersack hatte sie unter dem Schleier Juwelen, Geschenke Achmed Seyjids, mitgenommen; jetzt entdeckte sie, daß der Sack Holz- und Bleistücke enthielt. Grinsend standen die Schiffsleute, als sie es dem Führer klagte; der nahm sie beiseite: sie täte am besten zu schweigen, das Schiffsvolk sei wüst und gefährlich, und man wisse wohl, was sie sei; er selbst habe im Hafen keine Gewalt mehr über die Mannschaft; aber er wolle, aus Mitleid und ohne für die Überfahrt eine Bezahlung zu fordern, sie zu ehrlichen Leuten bringen und ihr auch einiges Geld zur Weiterreise vorstrecken.

In der Tat brachte er sie in einem stattlichen Hause bei einem gutmütigen und beleibten Ehepaar unter. Sehr verlockend und sauber sah es zwar nicht aus: aus einem kleinen Zimmer mit alt und dumpf riechenden Möbeln sah sie durch ein vergittertes Fenster in einen engen Hof; über sich hörte sie einen Papagei kreischen und zankende Frauenstimmen; die Wand gegenüber war fensterlos, und an einer Leine hingen bunte Röcke und Strümpfe. Noch ermattet von der Fahrt, wartete sie dort auf eine Gelegenheit zur Abreise und staunte nur, daß gerade sie so seltsame Schicksale erleben mußte. Am dritten Tag bat ihr Wirt sie, hinauszukommen, er habe Besuch. Sie wollte nicht, gab aber schließlich, um den weißhaarigen Mann nicht zu kränken, nach. In der oberen Stube saßen zwei Männer: der eine hatte ein bläulichrotes Gesicht, von einer grünen Mütze fiel ihm eine Troddel in den breiten Nacken; der andere sah blaß und ölig aus, doch war er würdig in Schwarz gekleidet mit schmutzig weißen Manschetten und Jabot; hinter dem Tisch saß ihre Hauswirtin in einem gelben Kleid, mit grünem Umhängetuch und hoher violetter Haube und goß Wein ein; aus dem Nebenzimmer tönte eine blecherne Musik zu einer schlechten Violine und Stimmengeräusch.

Sie blieb erstaunt stehen; während der Mann mit der Mütze sie angrinste, stand der Schwarzgekleidete höflich auf und machte ihr Platz; zaudernd setzte sie sich zur Wirtin aufs Sofa, die sie »mein Schützling, mein Herzchen!« nannte und ihr Wein ins Glas goß. Sie dankte; in der Tür erschien für einen Augenblick ein Mann, der ihr der Kapitän ihres Schiffes zu sein schien, aber er war wieder verschwunden, ehe sie dessen gewiß war. »Also dreihundert Säcke!« sagte der blasse Mann am Tisch. »Ohne Weiber!« erwiderte der andere; die Wirtin warf ihm einen Blick zu.

Müde und verwirrt saß sie vor der schwälenden Lampe und den üblen Leuten, ihre Seele war wie geduckt und wehrlos in ihrem Schicksal und ihrer Armut. Da fühlte sie, daß sich ein Arm um ihre Hüfte legte. Sie sprang auf und schrie um Hilfe; aber man drängte sie zurück und eine Hand hielt ihr den Mund zu; Gestalten erschienen in der Türe; der schwarzgekleidete Mann beugte sich über sie und flüsterte, sie möge sich nicht fürchten und nur an ihn halten, es dürfe ihr nichts geschehen. Schon wieder geistesgegenwärtig gab sie nach und saß eine Weile still da. Wie die anderen sahen, daß sie sich ergab, tranken sie weiter; plötzlich wollte der Rotgesichtige sie küssen; sie stieß ihn mit solcher Kraft von sich, daß er vom Stuhl gegen den Ofen fiel und das Blut sogleich von seiner Schläfe quoll. Jetzt stürzten von allen Seiten Männer und geschminkte Weiber ins Zimmer. Laut rief sie, ob denn kein Ehrenmann da wäre, der die Tochter eines kaiserlichen Offiziers, die man hierher gelockt, befreien hülfe; dabei hatte sie ein Tischmesser ergriffen. Es hätte ihr kaum genützt, wenn nicht ein kriegerisch aussehender langer junger Mensch, der lässig zwischen zwei Weibern an der Tür gelehnt hatte, jetzt vorgetreten wäre und die anderen von ihr zurückgedrängt hätte. Da standen auch schon der Hauswirt, der Seemann und zu ihrem Staunen auch der Schwager des Griechen da, den sie während der ganzen Überfahrt nie bemerkt hatte, und zeterten: sie hätten sie gekauft und von Ägypten hierher gebracht; mehrere drohten; der Blutende und Verschwollene erhob sich vom Boden und kam erbost mit tückischen Augen auf sie zu; aber der junge Mensch nahm seinen Degen aus der Ecke des Zimmers, faßte den Wirt bei seinem weißen Schopf und rief: ob sie nicht wüßten, wer er sei und daß er morgen das ganze Haus würde sperren lassen, wenn sie nur muckten?! Damit pfiff er einem Manne, der aus den Vorzimmern kam, und beide führten die Erregte unter dem Murren des Gesindels hinaus und die Treppe hinab auf die Straße. An der nächsten Ecke fanden sie einen Wagen und fuhren mit ihr davon.

Der andere Morgen fand sie aus tiefstem Schlaf erwachend in der Kammer des Offiziers; ein einziges hohes Fenster öffnete sich auf die sonnige Straße, sie konnte die Schritte der unten Gehenden hören. Im Zimmer lagen Waffen, Stöcke, Stulphandschuhe und Sporenstiefel, Karten und Bücher in Unordnung auf der Erde wie auf Tischen und Stühlen, Mäntel und Kleidungsstücke hingen übereinander an der Wand und in den Ecken und alles roch nach Tabak- und Pfeifenrauch. In der Mitte des Wustes saß sie, noch immer in ihrer türkischen Kleidung, auf dem Bett, bleich, mit gelösten Haaren.

Es pochte an der Türe; ein alter Mann mit vorgebundener weißer Schürze trat ein, der ihr auf silberner Tasse eine Schokolade brachte und fragte, ob der »Signor Tenente« ihr seine Aufwartung machen dürfe. Sie machte sich, so gut sie konnte, zurecht.

Nun erst sah sie den jungen Mann von gestern genauer. Er hatte ein angenehmes langes Gesicht, das nur ganz wenig blatternarbig war; eine lässige Kraft in den Bewegungen, ungelenke Höflichkeit in den Worten. Er fragte, wie sie geruht, bedauerte, daß er ihr kein besseres Zimmer als das seine hatte bieten können, das freilich schlecht genug sei. Ihre Rettung war ihr noch so wunderbar, seine Bescheidenheit so rührend und sie selbst so erregt, daß sie bitterlich zu weinen anfing. Das machte ihn unruhig.

Sie erzählte ihm dann das Allernötigste von ihren Schicksalen. Er sagte ihr, daß er Hans von Schöneck heiße, erst seit vier Wochen hier in Garnison und Adjutant des Kommandeurs sei. »Der Name des Obersten Uhlop sei ihm wohlbekannt, er sei glücklich, seiner Tochter ...« hier brach er ab und bemerkte, »zunächst werde sie europäische Kleidung haben müssen.«

Er brachte sie sicher unter und sorgte mit Zartheit für sie. Die zur Reise nötigen Papiere und die Gelegenheit waren nicht so leicht zu beschaffen, schon wegen des noch immer währenden Kriegs und der Pest in den südlichen Ländern, gegen die scharfe Absperrung war. Doch schien ihr, als bemühe er sich nicht eben eifrig darum. Er sagte ihr indessen selbst, es geschehe aus Vorsicht, ihr Dasein geheim zu halten; sie würde sonst ein Spektakel für die ganze Stadt werden, und das wolle er nicht. Dann fragte er, was sie denn in Wien erwarte? Sie erwiderte, als brotlose Offizierswaise werde sie wohl irgendeine bescheidene Stellung suchen, sie vielleicht bei Verwandten finden ... und ihr selbst ward bange bei diesem Ausblick. Er aber ging im Zimmer auf und ab und stieß zuletzt einen Fluch aus; er bat sie aber sogleich um Verzeihung: er habe in den Jahren etwas wüst gelebt, was ihm jetzt leid tue. Zugleich wurde er feuerrot.

Sie sah, wie es um ihn stand, und schüttelte den Kopf. Er sprach nicht mehr viel und ging dann rasch fort.

Tags darauf kam er in Paradeuniform gekleidet wieder und fragte sie feierlich, ob sie seine Frau werden wolle?

»Nein,« sagte sie, »niemals!«

Er blickte nach der Wand, stand endlich auf, sagte mit veränderter Stimme: er werde ihr die Papiere zur Reise schon schaffen, und ging.

Aber sie hatte sich wohl auf dem Schiff ein Fieber geholt, das jetzt gefährlich ausbrach; in den irren Träumen, die sie quälten, redete sie viel in türkischer Sprache, und die sie pflegten, verstanden sie nicht. Eines Tages wachte sie ganz klar auf und sagte zu dem ihrem Bette gegenübersitzenden Schöneck »Guten Morgen!« Ein Leuchten flog über sein Gesicht, aber sie war noch zu schwach und schloß die Augen wieder, und nach einer Weile fragte sie: wo man den Vogel hingetan? Sie wußte genau, daß sie in all der wirren Traumzeit den toten Falken gesehen hatte. Einmal, als sie schon viel wohler aus ruhigem Schlaf erwachte, sah sie Schöneck am Feuer stehen und die Kohlen schüren; dann ging er auf den Zehenspitzen durch das Zimmer, ein Glas mit Gewürzwein holen, das er mit ungeschickten Fingern am Feuer für sie zu wärmen suchte; und da er sich immer wieder dabei verbrannte und die Finger zurückzog, mußte sie lachen; dann aber rief sie ihn heran und küßte in plötzlicher Rührung seine Hand; er sank vor ihrem Bette nieder, dankte ihr für ihre Genesung und sprach leidenschaftliche Worte. Sie schwieg und hob schwach abwehrend ihre Hand, aber in den nächsten Tagen lag sie sinnend und fragte ihn viel nach seiner Kindheit und seinem Leben.

Sie war schon aufgestanden und fuhr zum erstenmal in einem Wagen aus, den er für sie besorgt hatte: da fragte er sie, als sie schweigend dem Meer entlangfuhren, wieder, ob sie seine Frau werden wolle.

Wiederum sagte sie »nein«, aber gleichzeitig küßte sie seinen Mund; und als sie allein in ihrem Zimmer war, sagte sie laut zu sich selbst: »Der Falke ist tot«, und es war ihr nach ihrer Krankheit, als wäre Afrika und alles, was sie dort erlebt, ein Traum gewesen.

Sie sah, wie er sich verzehrte, und da es nicht in ihrer Natur lag, Flammen zu schüren, so ließ sie ihn nicht lange dürsten, sondern gab sich ihm ohne Tränen und Zieren.

Mit ihm aber ging sogleich eine Veränderung vor: er war glücklich und aufmerksam, aber sie fühlte, daß sie ein Abenteuer für ihn geworden war. Er war, als er sie einmal besaß, den Gedanken und Blicken der Leute unterworfen; und während seine Meinung von ihr litt, quälte ihn auch, da sie und sein Verhältnis zu ihr nicht unbemerkt bleiben konnten, Sorge und Eifersucht. Als er für einige Wochen verreisen mußte und sie nicht mitnehmen konnte, da es dienstlich in Begleitung des Kommandeurs geschah, ließ er sich so viele Versprechungen von ihr geben und schrieb ihr so vieles für ihr Verhalten vor, daß sie belustigt zugleich und gekränkt war. Liebedürstend und sorgerfüllt kam er wieder. Sie sagte ihm, er brauche nicht eifersüchtig zu sein, und sprach beruhigend zu ihm, wie zu einem unwilligen Knaben. Er aber, der wußte, daß mehrere Offiziere und Edelleute der Stadt ihr nachstellten, fragte sogleich, ob sie dem Grafen Porzia nie begegnet sei und ihn nie gesprochen hätte. Sie verneinte es, und da er weitere Fragen stellte, sagte sie, sich erinnernd, vor zwei Tagen seien Blumen für sie gekommen, die noch im Fenster stünden. Sie habe die schönen Blumen genommen und weiter nicht darauf geachtet; von wem sie kämen, wäre nicht gesagt worden. Sie sah, daß er weiß im Gesicht wurde vor Wut. Er stieß die Blumen mitsamt dem Glase zum Fenster hinab und schritt drohend auf sie zu. Sie aber stand empört auf und sagte, wer immer der Spender der Blumen gewesen, jedenfalls sei er ein artigerer Mann als er: er möge nur wieder abreisen, wenn er in dieser Laune gekommen sei. Damit drehte sie ihm den Rücken zu. Schöneck wurde bedrückt und begann sich zu entschuldigen. Sie stellte ihm vor, wie sehr sie ihm vertraut und ihr Schicksal ihm anheimgegeben hätte, wie schändlich es von ihm sei, dies mit ebenso kränkendem als unsinnigem Verdacht zu lohnen ... und der große starke Mann lag bald zu ihren Füßen und hielt ihren Leib umschlungen, während sie, das Kinn auf die Hand gestützt, unmutig zum Fenster hinausblickte. Er entschuldigte sich mit seiner übergroßen Liebe, und zuletzt küßte sie ihn auf Stirn und Mund und dachte dabei, wie lange sie sich nicht daran hatte gewöhnen können, ein bartloses Gesicht zu küssen. Wieder sagte sie ihm, er möge ohne Furcht sein, sie habe ihn lieb und keinen andern; nur ein einziger Mann auf Erden hätte ihm je gefährlich werden können, der aber sei, wie sie nicht zweifeln könne, ein Toter.

Dies genügte, ihn aufs neue zu erregen. Er sprang auf, machte heftig ein paar Schritte durch das Gemach und fragte dann gereizt, wer dieser Mann gewesen sei?

Sie hatte ihm einmal gesagt, sie wäre in der Gefangenschaft gut behandelt worden, möge aber nicht davon sprechen. Und aus Gehorsam oder aus Angst, zu viel zu hören, hatte er nicht weiter geforscht. Jetzt verlangte er mehr zu wissen, und ob sie um dieses Toten willen nicht seine Frau habe werden wollen?

»Nein«, erwiderte sie, sie hätte es nicht für recht und erlaubt gehalten ... und da er sie fragend ansah, wurde sie ein wenig rot und sagte: er müsse doch wissen, daß sie nicht wie ... ein junges Mädchen gewesen ... als sie die Seine geworden ...

Er stieß seinen bespornten Fuß so heftig auf den Steinboden, daß die kleinen Mosaikplättchen heraussprangen. »Ja, ja!« sagte er durch die Zähne. Er forderte, daß sie ihm nun alles erzählte.

Sie schüttelte den Kopf und sagte: er möge begraben lassen, was tot und kaum mehr wahr sei. Sie sei ganz sein, so gut, als ob sie sein angetrautes Eheweib wäre; aber sie habe es nicht für recht gehalten, ihn an sie zu fesseln; wenn er sie verlassen wollte, er sei frei!

Das sei ein Beweis, daß sie ihn nicht liebe! rief er.

Sie sah gequält auf und erwiderte: er wisse gut, wie unglücklich sie sein würde, ihn zu verlieren, da sie sonst nichts auf der Welt hätte ... und sie stand auf und, ihre Arme mit seinen verschränkend, bat sie ihn, vernünftig zu sein und seiner und ihrer zu schonen.

Er schwieg; sie setzte sich und nahm eine Näharbeit auf, die sie bei seinem Kommen unterbrochen hatte. Draußen war hell und im Zimmer Dämmerung; es war lange still; auch er hatte sich in einen niederen Stuhl gesetzt, die Beine weit vor sich gestreckt, den Rücken gekrümmt, mit dem vorgebeugten Antlitz auf seine Schuhspitzen starrend, an denen er mit seiner Reitgerte herumspielte. »Und wenn jener Mann wiederkäme?« fragte er endlich.

Da sprang sie erschrocken auf. Sie hatte das Gefühl, daß sie sich, daß sie ihn nicht kannte; aber sie sagte nur langsam: »Die Toten kommen nicht wieder!« Dann begann sie zu weinen und bat ihn, fortzugehen.

Wütend über sich und sie, ging er in der Tat. Er ließ sein Pferd satteln und ritt ins Freie, um vor der Stadt dem Grafen Porzia zu begegnen, der, ohne auf sein unheilkündendes Gesicht zu achten, sich ihm anschloß. Schöneck ritt schweigend und gab dem Grafen nur sehr einsilbige Antworten, bis dieser sein prachtvolles Pferd bewunderte und sagte: er habe eben immer Chance, beim Kommandeur, in der Reitkunst und in seinen Amours.

Er möge gefälligst seine Amours, und so es ihm recht sei, auch alles andere, was ihn angehe, ungeschoren lassen, antwortete Schöneck grob; und da Porzia ihn »einen deutschen Bären« nannte, schrie er: nun, wenn er ein Bär sei, dann möchten welsche Katzen sich vor ihm hüten, die allerdings nie so viel Mut als Tücke hätten! Der Graf wurde ein wenig blasser, grüßte flüchtig und ritt davon.

Sie schlugen sich am anderen Tage. Obgleich nicht viel Schaden dabei geschah, weil beide vortrefflich fochten, so hatte es doch, schon weil auch zwischen anderen Offizieren und Schöneck eine offenkundige Spannung bestand, die Folge, daß er versetzt wurde.

Er war darüber erfreut und sie folgte ihm zu kurzem Aufenthalt nach Wien und dann nach Peterwardein, wo er zum Rittmeister ernannt wurde. Wieder begehrte er, da sie nun in eine Stadt kämen, in der niemand etwas von ihnen wüßte, sie möge seine Frau werden.

Sie weigerte sich. Wenn er gut zu ihr wäre, sagte sie, mache ihr das Verhalten der Menschen nichts aus. Übrigens begegne man ihr überall freundlich. Und so war es auch. Selten geschah ihr etwas Mißfälliges. Und Schöneck gestand sich, daß keine Edelfrau so ging und solche Haltung hatte wie sie. Man gewöhnte sich daran, sie als seine Frau anzusehen. So, wie sie sich an sein bald rauhes, bald zärtliches Wesen gewöhnt hatte. Daß er manchmal bis zum Übermaß trank und immer rauchte, das verzieh sie ihm gern; schließlich taten das die Offiziere alle. Sie führte sein Haus liebreich und gut, und wenn sie hoch und schlank neben ihm ausritt, folgte ihm der Neid der Männer.

Einmal aber faßte sie ein junger Offizier ins Auge, der eben erst in die Garnison gekommen war, und rief: »Das ist die Margit Uhlop!« Er hatte sie einst in Wien gekannt. Sie hatte sich, als sie jetzt wieder dort gewesen, völlig verborgen gehalten und war nur manchmal des Abends an Schönecks Arm, nicht ohne eigentümliche Empfindungen, an dem Ursulinenstift vorübergegangen, wo sie als Mädchen mit anderen Fräuleins Unterricht empfangen, an den Häusern, in denen sie Bekannte vermuten konnte. Nun war ihr einer hierher nachgekommen. Sie sah an ihm vorbei und ritt weiter.

In der Folge aber begann auch hier ein Geflüster, das sich mehr noch gegen Schöneck als gegen seine Geliebte richtete, bis er in besonderer Unterredung dem Kommandanten darlegte, daß nicht an ihm die Schuld lag, wenn er mit der Tochter des Obersten Uhlop in einem so unregelmäßigen Verhältnis lebte. Als aber einer der Offiziere sich gegen sie vergaß, schlug er ihn nieder und schoß ihm dann im Duell den Arm entzwei. Man begann seinen Zorn zu fürchten, und da er zudem ein ausgezeichneter Offizier war, ließ man beide in Ruhe.

Es war schon seit längerer Zeit Friede geschlossen worden, kam aber noch immer vor, daß die Bergstämme oder türkische Räuber die Grenze überschritten, und Verhandlungen mit dem Wali des Wilajets oder irgendeinem Pascha an der Grenze nötig wurden. Da aus solchem Grunde eine Abordnung in die Festung kam, geschah es, daß Margit in der stillen Straße, die aus der unteren Stadt zur Festung hinaufführte, einer Schar türkischer Reiter begegnete. Ihr Herz hörte auf zu schlagen, als sie die herrlichen buntgezäumten, langmähnigen und langschweifigen Rosse, die breiten bunten Bügel, die Turbane und Büsche der Männer sah. Während sie regungslos dastand, ritten jene vorüber, die einen unbekümmert mit unbeweglichen Mienen, andere über die schöne Christin lächelnd. Erst, als alle vorbei waren, erwachte sie aus ihrer Erstarrung und sah ihnen nach wie einem Gesicht. Da ritt ein Letzter, Versprengter die Straße herauf, und nun kam es über sie: sie rief ihn auf türkisch an, und alle Sehnsucht ihrer Seele war in dem Gruß, den sie ihm bot.

Der Reiter hielt; es war ein noch junger Mann, mit einem kühlen Kriegergesicht unter dem weißen Turban. Sie hieß ihn willkommen, fragte nach seiner Heimat, fragte Dinge, die ein Landfremder nicht fragen konnte, und da er ihr gelassen Rede stand, fragte sie zuletzt mit bebender Zunge nach Achmed Seyjid Pascha, und vernahm, daß er nach einiger Zeit der Ungnade und Gefangenschaft beim Großherrn wieder zu Ehren gekommen und im Augenblick nicht allzuweit von ihr entfernt in irgendeinem Auftrage sich zu Skodra befände.

Zitternd, weinend kam sie nach Hause. Sie dankte Gott, daß sie nicht Schönecks Frau geworden, dankte Gott, daß sie kein Kind hatte. So abgetan war die Gegenwart für sie, so deutlich sah sie den Garten mit den stillen Höfen und den brennenden Blumen um sich, so brannte jenes erste süße Fieber in ihrem Blut, daß sie Schöneck, als er sie fragte, was ihr sei, sofort und unbedenklich antwortete, daß alles zu Ende, daß der andere Mann am Leben sei und sie zu ihm zurück müsse.

Der Rittmeister brüllte auf. Dann faßte er sie am Arm und fragte, ob sie wahnsinnig wäre. Sie sprach in begütigendem Ton; er ward ganz weiß und wollte mehr wissen, aber sie wollte mehr nicht sagen. Er drohte und bat; sie sah, daß er die Tränen verbiß; dann geriet er in rasenden Zorn. Ob sie eine Christin sei, fragte er, ob sie denke, daß die Türken ihren Vater umgebracht, ob sie denn Scham und Zucht und Treue gar nicht kenne? Als sie wiederholte, daß sie nur wisse, daß sie fort müsse, nannte er sie eine Hure, die er aus dem Bordell nicht hätte holen sollen, in das sie gehörte. Und da sie diesen Schimpf mit verächtlicher Miene und Handbewegung abtat, schlug er sie mit seinem Reitstock und dann mit den Fäusten. Sie wich ein wenig zurück und hielt die Hand vors Gesicht; sie fühlte den Schmerz und fühlte ihn nicht; sie suchte sich seiner Mißhandlung nicht zu entziehen, sondern sah ihn nur, den Arm senkend, mit heißen, fremden Augen an, bis er sie plötzlich wieder umarmte und zu küssen versuchte und beschwor, bei ihm zu bleiben.

»Ich kann nicht«, sagte sie.

Da trat er zurück und fluchte; er werde sie den Hunden von Türken, den verdammten Schweinen nicht ausliefern, er habe schon zu lange geflennt, nun werde er ihr den Mann zeigen. Damit schloß er sie ein und ging.

In dieser Stimmung kam er auf den Platz und goß, vor dem Caféhaus sitzend, ein paar Gläser hinab, dann starrte er auf die sonnenbeschienenen Steine und den Turm, der sich vor ihm in die blaue Luft hob. Indessen waren einige der türkischen Abgesandten auf den Platz getreten, und einer kam an Schöneck vorbei, der kaum, daß er ihn sah, ihm mit verzerrtem Gesicht einige ungarische Schimpfworte nachschrie. Der Moslem wandte sich um und spie vor dem trunkenen Christen verächtlich aus; da warf ihm dieser das Glas an den Kopf. Der Türke hatte schon den Säbel gezogen, aber andere Offiziere, die Schönecks wahnsinniges Gebaren mit angesehen hatten, sprangen dazwischen; Lärm entstand, der Kommandeur erschien und ließ, den Gesandten Genugtuung zu geben, Schöneck den Säbel abnehmen und ihn vorläufig in Arrest abführen.

Das kam Margit zugute. Unter dem Verwand, sich einer Wallfahrt nach Mariaschnee anzuschließen, die eben die Stadt verließ, gelang es ihr, zu entkommen und mit irgendwelchen Schiffsleuten die Donau hinabzufahren. Nach hundert Schwierigkeiten und Gefahren, über die nur ihr unbezwinglicher Frauenwille sie wie eine geheime Macht hinwegführte, fand sie dann einen jüdischen Kaufmann, der einen Geleitbrief hatte und der auf ihre Versicherung, sie gehöre Achmed Seyjid Pascha und er werde sich in hohe Gunst setzen, wenn er sie zu ihm bringe, ihr auf einem seiner Wagen einen Platz schaffte. Da die Jahreszeit günstig war, kam sie ohne weitere Anfechtung ziemlich rasch nach der Stadt, in der jener war.

Am Fuß steiler schneebedeckter Berge sah sie einen See, über dem Vögel kreisten, und eine Stadt in bläulichem Schatten liegen. Ein flaches Boot führte sie über das dunkle Wasser. Dann sah und wußte sie nicht mehr viel; man sagte ihr, der Pascha wäre auf der Jagd; wie eine Muselmännin verschleiert, wartete sie bewegungslos vor seinem Hause und hörte dann nur seine Stimme »Sabach-Gülü!« sagen, als sie ihn anrief.

Dann folgte sie ihm ins Haus.

Zu seinen Füßen liegend, zog sie seine Hände zu sich herab und strich mit ihnen über ihre Wangen, preßte sie an ihre Brüste. Als die ersten gestammelten Zärtlichkeiten vorüber waren, begannen sie, einander unterbrechend und verwirrend, zu erzählen, er, was ihm widerfahren, sie, wie sie auf ihn gewartet hatte und zuletzt entflohen war. Und liebevoll fragte er: »Warst du treu?«

Sie fühlte eine leichte Verwirrung. »Ja!« antwortete sie, »und doch auch nein! Nicht treu und doch treu!« Aber sie sah, wie sein Gesicht sich veränderte und in die großen Augen etwas kalt Drohendes trat.

Bis ins Herz drang ihr diese Kälte und schien sie zu lähmen, sie bewegte ein paarmal ihr Haupt und strich mit der Hand ihr Gewand zurecht, dann all ihre Seelenkraft in ihre Worte drängend, versuchte sie zu erzählen. Aber sie hatte noch nicht viel gesprochen, als er mit Abscheu aufsprang und sie finster von sich wies. Sie wollte ihn festhalten und fühlte doch, daß sie sich dem Manne nie begreiflich machen würde, der sie mit dem Fuße wegstieß, sein Gewand aus ihren Händen riß und ging.

Aber sie sah auch, daß er sich noch einmal leidenschaftlich nach ihr umwendete; und sie rief: »Herr, nimm mich zu dir, und dann magst du mich töten wie den Falken!«

Und er nahm sie mit sich, und am anderen Morgen tötete er sie wie den Falken.


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