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Es gibt keinen Zufall in der Welt, denn was wir mit diesen Worten bezeichnen, ist eine Schickung des großen Geistes, in dessen Händen unser Aller Schicksal ruht. Und so war jener Lichtschein, den Tiburcio gesehen, ebenfalls kein zufälliger, hatten sich ja doch an dem Wachtfeuer Männer niedergelassen, mit denen der Jüngling unbedingt zusammenkommen mußte, um Aufklärung über seine räthselhafte Vergangenheit zu erlangen und durch sie glücklich zu werden. Die beiden Männer, welche sich vor dem Feuer am Waldessaum gelagert, sind uns nicht fremd, erkennen wir in ihnen ja doch die beiden unerschrockenen Tigertödter von der Poza wieder. Ermüdet von einem langen Tagemarsche, hatten sie diesen Ruheplatz für sich ausgesucht, ungeachtet der Nähe der Hacienda und ihres gastfreundlichen Besitzers. Die beiden Jäger liebten Freiheit und Ungebundenheit mehr, als die Bequemlichkeit der Ansiedelung. Es ist jetzt wohl an der Zeit, auch das Aeußere der beiden Waldläufer dem jungen Leser etwas näher zu beschreiben.
Der Canadier trug ein Wamms, das sich für alle Jahreszeiten eignete und an die Tracht der Indianer und Weißen zugleich erinnerte; seine Kopfbedeckung, bestand aus einer Mütze von Fuchspelz in Form eines abgestumpften Kegels. Unter dem Wammse schaute ein baumwollenes, blaugestreiftes Hemd hervor und neben ihm auf dem Erdboden lag eine wollene Decke, welche den Mantel ersetzte. Die Beine waren nach indianischer Art mit ledernen Gamaschen bekleidet, dagegen trug er statt der üblichen Mocassins (wildlederne Schuhe der Indianer) schwere, mit Nägeln beschlagene Schuhe, deren Sohlen mindestens zwei Jahre Dauer versprachen. Ein über seine Schulter hängendes, fein polirtes Büffelhorn enthielt sein Pulver, während ein lederner Beutel einen großen Vorrath von Bleikugeln barg. Das in einem bunten wollenen Gürtel steckende Jagdmesser, sowie die neben ihm liegende langläufige Büchse vollendeten das Rüstzeug des Jägers, dessen schon stark ins Graue spielendes Haupthaar kaum gegen die Farbe seiner Mütze abgestochen haben würde, wenn nicht eine breite, kreisförmige Narbe, die von einer Schläfe zur andern lief, die Grenze beider bezeichnet hätte. Diese Narbe bewies, daß er sich dereinst in den Händen der Indianer befunden hatte und nahe daran gewesen war, von ihnen scalpirt,d. h. seiner Kopfhaut beraubt zu werden. Trotz der markirten Züge des sonneverbrannten Gesichts lag eine Gutmütigkeit darüber gebreitet, welche derartigen herkulischen Gestalten eigen zu sein pflegt. Obgleich sein Gefährte gleichfalls von hohem Wuchse war, so erschien er doch neben dem Riesen beinahe klein, er trug dieselbe Kleidung und mochte ungefähr fünfundvierzig Jahre zählen. Von Gutmüthigkeit war jedoch auf seinem Gesicht nichts zu sehen, auch gehörte er augenscheinlich einem südlicheren Himmelsstriche an, während sich in seinem Gefährten einer der kühnen Abkömmlinge der ersten Normannen in Canada erkennen ließ.
Der Canadier hatte sich behaglich auf das Moos gestreckt und liebäugelte mit einer mächtigen Hammelskeule, welche auf ein Eisenholzstäbchen gespießt war und über glühenden Kohlen röstete, und hörte nur mit halber Aufmerksamkeit auf die Rede seines Kameraden, welcher aus seinem Leben Ereignisse erzählte, die wir bereits am Anfang unserer Erzählung gehört haben, – denn der Jägersmann war niemand anders, als Pepe, der Schläfer. Als er nach jener grauenvollen Nacht erfahren, was sich unter ihrem Deckmantel zugetragen hatte, begann sein Gewissen unruhig zu pochen und er ruhte nicht eher, als bis sein Kapitän, der ihn damals auf jenen Posten an der Bucht beordert hatte, vor Gericht gefordert und der Theilnahme des an der Gräfin verübten Mordes beschuldigt worden war. Durch Bestechung der Richter erlangte indessen der Kapitän ein freisprechendes Urtheil, während Pepe nach Ceuta, eine spanische Festung an der Ostküste von Afrika, transportirt wurde, um daselbst sich am Thunfischfang zu betheiligen. Nach vielfachen Abenteuern gelang es dem armen Burschen, nach Amerika zu entkommen, wo er mit dem Waldläufer zusammentraf, der ihn zu einem tüchtigen Schützen heranbildete und mit ihm ein inniges Freundschaftsbündnis schloß.
»Du kannst Dir daher denken,« beendete Joseph seine Erzählung, »wie wild es gestern in meinem Herzen aussah, als ich in dem Don Estevan jenen elenden Officier wiedererkannte, der den Mord in Scene gesetzt, denn die Reihe der Jahre hat weder an seiner Gestalt noch an seiner Stimme etwas geändert, und meine Augen sind mir gleichfalls treu geblieben.«
»Ach ja,« seufzte der Andere, »man trifft einen Feind viel eher wieder, als ein geliebtes Wesen, nach dem man sich vergebens sehnt.«
»Wer weiß, Rosenholz,« tröstete der Gefährte, »ob Gott Dir nicht schließlich noch Deinen Fabian in die Arme führt, laß die Hoffnung nicht sinken.«
Der Canadier schüttelte schwermüthig das graue Haupt und sagte leise: »Wenn man, wie ich, zwanzig lange Jahre gesucht und gehofft hat, ohne auch nur die kleinste Spur zu entdecken, wo soll da noch Hoffnung herkommen?«
»Trotzdem bleibe ich dabei,« entgegnete Josef, »Berge und Thäler begegnen sich nicht, aber Menschen finden sich wieder.«
»St!« unterbrach ihn der Canadier, indem er den Finger auf die Lippen legte. »Hörst Du nichts?«
Josef lauschte und antwortete dann: »So wahr ich lebe, es nähert sich Jemand unserm Feuer.« Die Jäger griffen nach ihren Büchsen und ein deutlich wahrnehmbarer Schatten zeigte ihnen die Gestalt eines Mannes, der rasch auf das Feuer zuschritt.
»Wer da?« rief Rosenholz mit einer Stentorstimme.
»Ein armer Bursche, der an Eurem Feuer eine Zufluchtsstätte sucht,« antwortete eine jugendliche Stimme und in demselben Augenblicke trat Tiburcio in den Lichtkreis des Wachtfeuers. Die beiden Jäger erkannten ihn sofort wieder und Josef fuhr, nachdem er ihn willkommen geheißen, fort:
»Habt Ihr Euch verirrt und die Spur Eurer Gefährten verloren? In diesem Fall thätet Ihr aber besser, den Hacendera da drüben um ein Nachtlager zu bitten. Ihr würdet jedenfalls bequemer in seinen weichen Betten ruhen, als bei uns auf dem feuchten Rasen.«
»Glaubt das nicht,« widersprach Tiburcio kopfschüttelnd, »unter dem Dache Don Augustins verweilen Gäste, mit denen ich, meiner Sicherheit wegen, nicht länger zusammen bleiben darf.«
»Ei, ei,« brummte Josef, »gibt es in Don Estevans Gefolge derartige schurkische Seelen?«
Der Jüngling bejahte und erzählte, der Wahrheit gemäß, welchem Mordanfall er ausgesetzt gewesen war.
»Möge den Elenden der Blitz treffen,« rief der alte Canadier, dessen freundlicher, warmer Blick den Antheil verkündete, den er an dem Geschick Tiburcios nahm. »Da kommt her, mein Junge, laßt Euch bei uns nieder, und habt Ihr Appetit, so steht Euch gebratenes Hammelfleisch und ein Schluck Branntwein zu Diensten.«
»Ich danke Ihnen herzlich für Ihr freundliches Anerbieten,« versetzte der Jüngling, »doch fühle ich keinerlei Hunger, wohl aber sehne ich mich nach ein paar Stunden Schlaf, der mir sicherlich die Kräfte zurückbringen wird, deren ich jetzt so dringend bedarf.«
»Gut, gut, mein Junge,« sagte der Canadier zustimmend, »legt Euer müdes Haupt hier auf meine Decke und gebt Euch süßen Träumen hin, während Josef und ich schmausen wollen.« Damit nickte er Tiburcio noch einmal freundlich zu, um sodann mit seinem Messer die saftige Hammelskeule zu zerlegen.
Tiburcio versank in einen tiefen Schlaf. Als der Canadier seinen Hunger gestillt, wandte er seinen Blick von Neuem dem Jüngling zu und sagte zu Josef:
»Ein hübscher Bursche. Wie alt mag er wol sein?«
»Nicht älter als fünfundzwanzig Jahre, dafür stehe ich,« antwortete der ehemalige Miquelet.
»Magst recht haben,« meinte der Canadier, über dessen wettergebräuntes Gesicht eine stille Wehmuth huschte. »Das ist das Alter, in welchem auch er stehen muß, wenn er noch lebt.« Und ein tiefer Seufzer folgte diesen Worten.
Nachdem die beiden Waldläufer einige Zeit schweigend dagesessen hatten, ein jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, machte sich Josef auf, um eines der wild in der Hacienda herumlaufenden Pferde zu fangen, was er und sein Gefährte bei der großen Anzahl derselben für kein Verbrechen hielt. Der Canadier blieb allein zurück. Immer und immer wieder betrachtete er den schlafenden Tiburcio, bis endlich auch seine Augen sich schlossen und er einschlief.
Es zeigte sich, daß Josef vom Glück begünstigt worden war, denn er kehrte mit einem Pferde zurück, dessen zierlich kräftigen Körperbau jeder Kenner bewundern mußte. Er band das erbeutete Rößlein mit dem Lasso, wie die Schlinge genannt wird, mit welcher man Steppenpferde und Büffel in Südamerika fängt, an dem nächsten Baumstamme an und weckte den Canadier, an welchem jetzt die Reihe der Wache war.
Kaum hatte Josef sich neben dem Feuer niedergelassen, als er auch schon kräftig zu schnarchen begann, während der Canadier sich über den schlafenden Tiburcio neigte, aufmerksam die Gesichtszüge desselben betrachtete und vor sich hinmurmelte:
»Das ist wirklich das Alter, in welchem er sein muß, wenn er noch unter den Lebenden wandelt. Ach, mein Gott, werde ich mein süßes Herzenskind noch einmal wiedersehen, oder muß ich einsam sterben, wie ich in den Wäldern einsam gelebt habe?« Und auf's Neue näherte sich der Jäger dem schlafenden Jünglinge, um zu erforschen, ob er in den Zügen Tiburcios eine Aehnlichkeit mit dem kleinen Fabian herausfinden könne, den er einst gerettet und wie einen Sohn geliebt hatte. Da plötzlich schnaubte das Pferd, welches Josef an einen Baum gebunden hatte, und sprang zur Seite. Offenbar hatte ein noch unsichtbarer Gegenstand das Pferd erschreckt. Mit lauschendem Ohr und spähendem Auge ging Rosenholz langsam vorwärts, ohne indessen etwas Verdächtiges zu bemerken. Er kehrte daher zum Wachtfeuer wieder zurück und fand Tiburcio erwacht.
»Nun, wie steht's, mein junger Freund, verspüren wir jetzt keinen Appetit?« redete ihn der Canadier freundlich an und reichte ihm zwei kalte Fleischschnitten hin. Diesmal ließ der Jüngling sich den Braten trefflich schmecken, und nachdem er auf den Rath des Jägers noch einen Schluck Branntwein zur Erwärmung des Magens genommen, kam er sich wie ein neuer Mensch vor.
»Hört einmal, mein junger Freund,« begann der Canadier endlich, »die Indianer haben die Gewohnheit, ihre Gäste erst dann nach Stand und Namen zu fragen, wenn sie unter ihrem Dache gegessen haben. Ihr nehmt es mir daher sicher nicht übel, wenn ich jetzt bei Euch dasselbe thue.«
Ueber des Jünglings Gesicht glitt es wie ein düsterer Schatten und er entgegnete: »Mein Schicksal ist kein beneidenswertes, und trotz meines jugendlichen Alters haben mich bereits rauhe Stürme des Mißgeschicks umtobt.«
»Erzählt,« rief der Canadier warm. »Ihr findet in mir einen Freund, der Euch versteht. Ist doch auch mit mir das Schicksal nicht eben sanft umgesprungen.«
»Mein Name ist Tiburcio Arellanos,« begann der Jüngling, während der Canadier, welcher einen andern Namen erwartet hatte, einen Seufzer nicht zu unterdrücken vermochte, »ich habe das Gewerbe meines Pflegevaters ergriffen und bin ein Gambusino. Wenn ich Ihnen nun wahrheitsgetreu sage, daß ich trotzdem ein sehr armer Bursche bin, der nichts besitzt, als was er auf dem Leibe trägt, so ist dies eine schlechte Empfehlung für meine Geschicklichkeit. Nun hat mir aber mein Vater den Ort eines mächtigen Goldlagers entdeckt, dessen Reichthümer für uns alle drei mehr als genügen würden, falls Sie und Ihr Gefährte sich mit mir verbinden wollen.«
Tiburcio hegte die Ueberzeugung, daß der Canadier mit Freuden Ja sagen würde; daher war sein Erstaunen nicht gering, als der alte Jäger antwortete:
»Nein, mein lieber Tiburcio, ich bin nicht von der Parthie. Wald und Wüste sind mir zur Heimat geworden; was sollte ich mit Gold anfangen? Ich habe Niemanden, dem es von Nutzen sein könnte, und somit danke ich Ihnen herzlich für Ihr freundliches Anerbieten.«
»Ihre Weigerung vernichtet alle meine Hoffnungen,« entgegnete Tiburcio und eine Wolke von Traurigkeit lagerte aus seiner Stirne. »Ich muß jetzt das Goldthal mit seiner reichen Ausbeute jenem Don Estevan und seinen Genossen überlassen, die gleichfalls um das Geheimniß zu wissen scheinen.«
»Je nun, mein lieber Junge,« erwiderte Rosenholz in tröstendem Tone, »ich weigere mich ja nicht, Ihnen das Geleite nach dem Goldthale zu geben und Ihnen behilflich zu sein, und Josef wird gewiß dasselbe thun, nur von einem Antheil will ich nichts wissen.«
»Einverstanden,« rief Josef, welcher inzwischen erwacht war. »Also Don Estevan nennt sich der Anführer des Reitertrupps, zu dem Sie noch gestern gehörten, junger Herr? Dies ist also der Name, den er hier angenommen hat.«
»Kennen Sie ihn?« fragte Tiburcio.
»Und ob,« erwiederte Josef, »'s ist ein alter Bekannter von mir, mit dem ich noch Abrechnung halten muß.«
»So wollen Sie mich also nicht verlassen?« rief Tiburcio feuchtglänzenden Auges.
»Sicherlich nicht,« antworteten die beiden Jäger wie aus einem Munde.
»Oh, mein Gott,« sagte der Jüngling in innigem Tone, »ich danke Dir aus vollem, ganzen Herzen, daß Du die arme Waise nicht verläßt.«
»Waise?« wiederholte Rosenholz. »Sind Ihre Eltern denn todt?«
»Mein Pflegevater, sowie meine Pflegemutter,« antwortete Tiburcio, »meine wirklichen Eltern dagegen habe ich gar nicht gekannt.«
»Was ... was?« rief der Canadier erregt und beleuchtete mit einem brennenden Holzstück des Jünglings Gesicht, »aber Sie wissen doch, in welchem Lande Sie geboren sind?«
»Ich weiß es nicht,« gab Tiburcio zurück, »wol aber umschweben mich Erinnerungen, die indessen einer längst entschwundenen Vergangenheit angehören müssen, denn sie sind verworren und dunkel.«
Der riesige Körper des Canadiers erbebte, als er jetzt die Ansicht aussprach, daß Tiburcios Erinnerungen sich vielleicht auffrischen ließen, er solle nur beginnen.
»Es kommt mir zuweilen vor,« ergriff der Jüngling träumerisch das Wort, »als befände ich mich in einem großen Zimmer, zu dessen offenem Fenster ein eisiger Windzug hereindringt; es scheint mir, als höre ich das Schluchzen einer Frau und eine rauhe, drohende Stimme, die antwortet, – dann wird es wieder Nacht um mich und ich vernehme ein wildes Rauschen – und ich liege neben dem Leichnam einer Frau, die ich für meine Mutter halte, gleich darauf aber verwandelt sie sich in ein gebräuntes, rauhes, aber gutmüthiges Seemannsgesicht.«
»In ein ... rauhes ... gutmüthiges Seemanns–gesicht,« wiederholte der alte Canadier mit gebrochener, schluckender Stimme.
»Ich erinnere mich jetzt dieses Mannes wieder,« begann Tiburcio von Neuem, »und weiß, daß er mich herzlich liebte und ich ihn wieder liebte.«
»Und ... Sie... ihn wieder liebten,« ertönte es leise und überaus weich von des rauhen Jägers Lippen, dessen gefaltete Hände auf dem Herzen ruhten. »Und wie wurden Sie von diesem Manne getrennt? Erinnern Sie sich keines Umstandes?« Die Stimme versagte dem ehrlichen Canadier und er erwartete mit Zittern die Antwort Tiburcios. Nach einer kurzen Pause unterbrach der Jüngling endlich das Schweigen:
»Warum thun sich mir alte Erinnerungen wieder auf, indem ich Sie anblicke? ... Es ist, als ob ein Nebelschleier vor meinem geistigen Blicke zerrisse ... ich sehe jetzt Blutströme um mich her und der Boden zittert unter meinen Füßen ... Kanonen krachen und Balken stürzen ... und da ist das alte treue Seemannsgesicht wieder und spricht zu mir: »Knie nieder, mein Kind, und bete ... für –«
Ein Schluchzen unterbrach Tiburcio; es rührte von dem alten Jäger her, der jetzt auf seine Knie fallend vollendete: »Und bete für Deine Mutter, die ich sterbend bei Dir gefunden habe!«
»Ja, ja,« schrie der Jüngling, »das sind die Worte! Aber woher sind Sie und woher wissen Sie dies Alles?«
Der Canadier stand auf, preßte den Jüngling an sein Herz und sagte, wahrend Thränen über seine braunen Wangen herabrollten: »So ist mir der alte, treue Gott doch gnädig gewesen und hat mir mein Liebstes, meinen Fabian, zurückgegeben! Ja, Fabian, ich bin das wettergebräunte Seemannsgesicht ... ich bin jener Matrose, der ...« Hier unterbrach plötzlich ein Schuß die Rede des canadischen Jägers und eine Kugel schlug in Tiburcios Nähe pfeifend in den Boden. Gleichzeitig vernahm man im Gebüsch fliehende Tritte.
»Kameraden,« rief Josef nach dem ersten Schrecken aus, »ich möchte wohl wissen, für wen diese Kugel bestimmt gewesen, ob für mich oder für Sie, junger Herr, denn auch ich stehe der Geschichte Ihrer Jugend nicht ganz fremd gegenüber; indessen ist jetzt nicht, der Augenblick, davon zu sprechen. Vorwärts, Rosenholz, laß uns das Terrain absuchen, vielleicht fällt der heimtückische Schurke noch in unsere Hände.«
Cuchillo jedoch, welcher aus seinem Hinterhalte die Kugel auf Fabian entsendet hatte, war schneller, als die beiden Jäger und befand sich mit seinem Pferd gar bald innerhalb der schützenden Hacienda.
Eben begann das erste Tageslicht durch die Zweige der Bäume zu dringen, als der heimtückische Geselle in das Gemach Don Estevans trat, welcher sich bereits von seinem Lager erhoben hatte.
»Nun, was giebt's?« rief er dem Eintretenden entgegen.
»Unsere Vermuthung hat sich bestätigt, Don Estevan,« gab Cuchillo zurück, »jener Tribucio weiß um das Geheimniß und befindet sich auf dem Wege nach dem Goldthale; er hat sich mit den beiden Tigerjägern verbunden, die ihm das Geleit geben werden.«
»Verwünscht,« sagte der Spanier und stampfte auf den Boden, »was nun beginnen?«
»Ich habe bereits einen Plan.«
»Heraus damit.«
»Wenn es uns gelingt, vor den Dreien jenen Wasserfall zu erreichen, der das Gebiet Arispes von jenem Tubac's trennt, und die Brücke zu zerstören, welche über die Brandung führt, so werden wir jedenfalls früher im Goldthale anlangen, denn ehe die Drei eine Furth finden, können Tage vergehen.«
»Gut so, zerstören wir die Brücke und brechen wir sofort auf, denn Zeit gewonnen, Alles gewonnen.«
Eine halbe Stunde später setzte sich die Reiterschaar von Neuem in Bewegung, nachdem sie ihrem freundlichen Wirthe gebührend gedankt.
In des Spaniers wie in Cuchillos Brust gährte eine namenlose Unruhe, und sie gaben ihren Rossen die Sporen und sprengten der Karawane weit voran ...
Unterdessen waren unsere drei Freunde von ihrer Suche unverrichteter Sache wieder zurückgekehrt und, nachdem sich Rosenholz und Fabian am Lagerfeuer nach kurzer Zeit der oft ersehnten und doch kaum erhofften Freude des Wiederfindens hingegeben, und sich viel des während der langen Trennung Erlebten hin und her erzählt hatten, wurde gleichfalls beschlossen, nach dem Wasserfalle aufzubrechen, dessen hölzerne Brücke den einzigen Weg bildete, der nach Tubac führte. Unterwegs begann Josef:
»Ich bin überzeugt, daß die Gäste der Hacienda gleichfalls ihre Wanderung nach der Brücke beginnen und somit birgt dieser Wald, so öde er auch ist, Ihre Feinde, Herr Fabian.«
»Sprechen Sie von Cuchillo?« frug der Jüngling lebhaft.
»Allerdings, – aber auch von dem Mörder Ihrer Mutter, d. h. von dem Manne, der Ihnen Ihre Titel, Ihre Reichthümer und Ihren Namen gestohlen hat.«
Fabian – wie wir Tiburcio von nun an nennen wollen – blickte den Sprecher in großer Ueberraschung an und schüttelte verwundert den Kopf.
»Ja, ja,« fuhr Josef fort, »Sie sind von einem edeln Stande, und der Mörder Ihrer Mutter, Don Antonio von Mediana, hat sich jetzt zum Anführer jener Reiterschaar aufgeworfen, deren Lager Sie am gestrigen Abend noch theilten.«
»Wie,« rief Fabian, »jener Don Estevan –«
»Ist der Mörder Ihrer Mutter und der Räuber Ihres Erbes,« vollendete Josef, jedes einzelne Wort betonend. Und er erzählte dem Jüngling die traurige Geschichte, welche wir aus dem Anfang unseres Buches bereits kennen.
Der ausführlichen Rede Josefs folgte eine längere Pause, und die Blicke der beiden Jäger waren auf den Jüngling gerichtet, dem Alles, was er soeben vernommen, wie ein Traum vorzukommen schien.
»So wäre ich –« begann er endlich, stockte aber sofort wieder und Josef vollendete:
»Don Fabian de Mediana, aus dem alten Grafengeschlechte der Castellada's!«
»Und wir,« mischte sich der ehrliche Canadier ein, »wir sind Ihre treuen Diener, mein liebes, süßes Kind. Ach, welches Glück ist doch dem alten Rosenholz geworden,« unterbrach sich der alte Jägersmann, mit stolzer Freude den Wiedergefundenen betrachtend, »und wie groß und schön er jetzt ist, der kleine Fabian.«
»Jawol,« brummte Josef, »und über Deiner Freude werden wir unsere Pflicht versäumen und den Mörder von Don Fabians Mutter entkommen lassen.«
»Das verhüte Gott,« rief der Jüngling, »weder Don Estevan noch Cuchillo dürfen entkommen.«
»Meinen Sie, daß er jenen Schuß abgefeuert hat, der uns am Wachtfeuer so erschreckte?«
»Ich bin davon überzeugt,« bestätigte Fabian, »aber nicht meinethalben verfolge ich den Menschen, sondern ich habe gegen ihn noch eine Pflicht zu erfüllen, die ich den Manen meiner Pflegeeltern schuldig bin.«
Und in kurzer bündiger Rede theilte der Jüngling den beiden Jägern mit, daß seine Mutter ihm auf dem Sterbebett das Gelübde abgenommen habe, den alten Arellanos zu rächen, der nicht als Opfer der Indianer gefallen, sondern von einem heimtückischen Kameraden ermordet worden sei.
»Ein Vaquero, welcher von Tubac zurückkehrte, war meinem Vater und dessen Gefährten, den er indessen nicht kannte, einige Tage vor dem Morde begegnet, später näherte er sich einem Orte, der, nach seiner Beschreibung zu schließen, dicht an das Goldthal grenzt. Niedergetretenes Gras, sowie eine Blutlache deuteten den Schauplatz eines schrecklichen Kampfes an. Die blutigen Spuren setzten sich bis an einen Fluß fort, in welchen der Mörder sein Opfer geworfen zu haben schien. Das Pferd meines Pflegevaters hatte der Meuchelmörder jedoch an sich gerissen; es strauchelt mit dem linken Vorderfuße und befindet sich gegenwärtig in dem Besitze jenes Cuchillo, und dieses sowie noch andere Umstände drängen mir die Ueberzeugung auf, daß er der Mörder meines Pflegevaters ist.«
Der Canadier und Josef, welche mit großer Theilnahme den Worten Fabians gelauscht hatten, waren derselben Ansicht, und alle Dreie jagten dem erwähnten Wasserfalle zu. Fabian mußte das von Josef erbeutete Pferd besteigen, da er sonst unmöglich den beiden Gefährten folgen konnte, welche Zeit und Uebung zu wahren Schnellläufern gemacht hatte. Nachdem sie unausgesetzt dem schmalen Pfade, der sich durch den Wald schlängelte, gefolgt waren, drang das entfernte Getöse des Wasserfalls an ihr Ohr; mit jedem Schritte, den sie vorwärts thaten, verstärkte sich das Rauschen, bis sie endlich das steile Ufer des Waldstroms selbst erblickten, von welchem eine, aus grob zugehauenen Baumstämmen bestehende Brücke an das jenseitige Ufer führte. Die beiden Enden dieser Balken, welche breit genug waren, um einem Pferde den Uebergang zu gestatten, ruhten lose auf dem nackten Felsen; einige starke Männer konnten daher mit Leichtigkeit diese Brücke zerstören und den Uebergang zum jenseitigen Ufer unmöglich machen. In dem Augenblicke, wo unsere Freunde sich der Brücke näherten, zogen vier von ihren Reitern angetriebene Pferde aus Leibeskräften an den Balken, welche an Lasso's befestigt waren. Die Balken setzten sich jetzt in Bewegung und stürzten in den Strom hinab, während das Wasser hoch aufspritzte. Fabian stieß einen Zornesruf aus, bei dessen Klange sich einer der Reiter umwandte; es war Don Estevan. Mit einem höhnischen Lachen blickte er auf Fabian, der sein Pferd wie ein Rasender anspornte, um über den Wasserfall zu setzen; am Rande des Abgrundes angekommen, bäumte jedoch das Pferd und fuhr erschreckt zurück.
»Gebt dem vorwitzigen Burschen eine Ladung Blei!« schrie Don Estevan, »sonst vereitelt er all' unsere Pläne, – feuert auf ihn!«
»Wehe dem, der schießt,« donnerte es von den Lippen des Canadiers und er erhob seine ihr Ziel nie fehlende Kentucky-Büchse. »Du aber, Fabian, gehe diesen Banditen aus dem Wege.«
»Fabian?« wiederholte Don Estevan und erbebte jetzt beim Anblicke des Jünglings, der sein Pferd von Neuem anspornte, um über den Waldstrom zu setzen.
»Jawol, Fabian,« ließ sich Josef jetzt vernehmen. »Fabian ist es, mein sehr ehrenwerther Don Antonio de Mediana, der von Ihnen Rechenschaft verlangt über das Blut seiner Mutter.«
Der Spanier blieb wie festgebannt mit seinem Thiere halten, seine düsteren Ahnungen, die über ihn gekommen waren, als er ein paar Abende zuvor am Wachtfeuer der Poza das Antlitz des Jünglings gesehen, hatten sich erfüllt und jenes schwache Kind, das er vor mehr als zwanzig Jahren den gepeitschten Meereswogen preisgegeben, war durch Gottes Fügung gerettet worden und er konnte nunmehr eine Vorsehung nicht hinwegläugnen, die zu finden und zu rächen wisse. Angst und Schrecken legten all' seine Willenskraft lahm. Der ungestüme Fabian aber zog sein Messer, ließ seinem Rosse die Spitze desselben fühlen und sprengte pfeilschnell über den Abgrund, auf das gegenüberliegende Ufer. Allein das Thier glitt mit einem Hinterfuße auf dem feuchten Abhange aus, und umsonst versuchte es, das Gleichgewicht wieder zu gewinnen. Ein angstvolles Gewieher entrang sich seiner Kehle und im nächsten Augenblicke stürzte es mit seinem Reiter hinab in die hochaufschäumende Fluth des Waldstroms, der sich sofort über seiner doppelten Beute schloß. Ein herzzerreißender Schrei drang durch die Luft; er rührte von dem armen Canadier her, der sein heißgeliebtes Kind zum zweiten Male verloren hatte. Aber er ward übertönt von dem Triumphgeschrei, das die am jenseitigen Ufer haltenden Gefährten Don Estevans ausstießen.