Gabriel Ferry
Der Waldläufer – Für die reifere Jugend bearbeitet
Gabriel Ferry

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Viertes Kapitel. Von den Herrlichkeiten der Savane.

In dem vorigen Kapitel ist einige Male von drei Bleichgesichtern die Rede gewesen, welche sich auf einer kleinen Insel im Gilafluß verborgen hielten. Der junge Leser wird bereits errathen haben, daß unsere drei Freunde, Rosenholz, Josef und Fabian damit gemeint waren. Der Sturz Fabians hatte glücklicherweise nur für sein Pferd tödtliche Folgen gehabt, während der kühne Schwimmer wie durch ein Wunder gerettet worden und die Trennung von seinen väterlichen Freunden daher diesmal nur eine kurze war. Wohlbehalten hatte das Kleeblatt die kleine Insel erreicht und gedachte nunmehr von dort aus die Streifzüge nach dem Goldthale zu unternehmen. Jedenfalls konnte das kleine Eiland als ein sicheres Asyl betrachtet werden, denn von dem mit Weidenbäumen und Zitterespen bewachsenen Flußufer aus war dasselbe kaum wahrzunehmen. Die Wurzeln genannter Bäume hatten sich tief in das Wasser hineingestreckt und mit einer Unmenge von Schlingpflanzen zu einem undurchdringlichen Dickicht verbunden. Die Ufer der Insel waren gleichfalls von Wasserpflanzen eingefaßt und Schilfrohr und Pfeilkraut machten das Landen außerordentlich schwierig. Die Entstehung der Insel war zu interessant, um nicht einige Worte darüber zu sagen.

Alle Ströme des großen amerikanischen Festlandes, welche durch die oft hunderte von Meilen großen Urwälder fließen, nehmen in ihren Fluthen die Stämme gestürzter Waldbäume auf, und einige solcher Stämme hatten die Grundlage der kleinen Insel geliefert, indem sie sich mit ihren langen Wurzeln im Bette des Flusses festhakten. Andere Bäume waren angetrieben und gleichfalls festgehalten worden, und da ihre Wurzeln sich miteinander verschlangen, so bildeten sie gleichsam eine Art Floß. Im Laufe der Zeit füllten sich die leeren Räume zwischen den Aesten durch trockenes Gras, Staub und allerlei Blätterwerk aus, bis sich schließlich eine Erdkruste bildete, die allen Bedingungen zum Gedeihen pflanzlichen und thierischen Lebens gerecht wurde. Die kleine Insel mochte sieben bis acht Fuß im Durchmesser haben und das Laubwerk der darauf wuchernden Stauden war so dicht, daß ein Mensch, der sich auf den Boden legte oder auch nur kniete, gänzlich hinter dem grünen Vorhänge verschwand.

Es war zu derselben Nachmittagsstunde, wo die Indianer an ihrem Feuer Rath gehalten und über die Mittel nachgesonnen hatten, wie wohl das Lager der Goldsucher am wirksamsten anzugreifen sei, als unser Jägertrio behaglich im Grase lag und den kühleren Luftzug über sich hinstreichen ließ. Fabian, durch die Anstrengungen der letzten Tage sehr ermüdet, war sanft entschlummert, während Rosenholz gleich einer zärtlich besorgten Mutter seinen Schlaf bewachte, Josef dagegen tauchte seine Beine in das klare kühle Wasser, um sich zu erfrischen.

»Ah, ein wahrer Göttergenuß,« begann er mit leiser Stimme, »so im Wasser zu plätschern. Trotz alledem wäre es jedenfalls besser gewesen, wir hätten den Tag nicht verloren, sondern wären dem Goldthale entgegenmarschirt, von dem wir gar nicht mehr weit sein können.«

»Ich gebe es zu,« flüsterte Rosenholz, »indessen bedenke, daß wir innerhalb zwölf Tagen sechszig Wegstunden zurückgelegt haben, und daß Fabian müde ist. Wenn der gute Junge nur erst ein Jahr mit uns gewandert sein wird, dann –«

»Na,« unterbrach Josef ihn lächelnd, »mich soll's wundern, wenn das Kind bei uns bleibt, nachdem es das Gold dadrüben eingeheimst hat.«

»Pah!« polterte der alte Jäger, »ich will Fabian schon dahin bringen, daß er ein freies, lustiges Leben in den Wäldern dem Stubenhocker vorzieht, denn, die Hand auf's Herz, alter Junge, geht das Leben in den Wäldern nicht über alle Herrlichkeit der Städte?«

»Sicherlich,« antwortete Josef trocken, »darum sind auch die Städte so menschenleer und die Prärien so bevölkert.«

»Bleib' mir vom Leibe mit Deinen schlechten Witzen,« entgegnete Rosenholz ärgerlich, »denn ich rede von ernsten Dingen. Nimm' gleich einmal die Landschaft hier an, ist sie nicht herrlich, ist sie nicht wunderschön? Blicke auf den Nebel da unten, den eben die Sonne zu färben beginnt, und dann blicke auf die Staubwolke, die dort drüben am Fuße des Berges aufsteigt und eine Heerde wilder Pferde verbirgt, die zur Tränke gehen, ehe sie ihre fernen Weideplätze wieder aufsuchen, und sieh', jetzt treten sie hervor aus der Staubwolke mit all der stolzen Schönheit, die Gott den Thieren in der Freiheit verleiht. Schau' nur, wie ihr Auge flammt und ihre Mähne im Winde flattert, wahrhaftig ich verspüre Lust, unser liebes Kind aufzuwecken, damit es sie sehen und bewundern kann ...«

»Laß Fabian doch schlafen,« meinte Josef.

»Es ist aber ein prachtvolles Schauspiel, das ihm entgeht,« widersprach der Canadier, gab aber dem Gefährten nach, zumal die Pferde jetzt, dem Winde gleich, wieder davonjagten. »Ah,« fuhr Rosenholz leuchtenden Blickes fort, »jetzt ändert sich die Scene und ein Hirsch hat die Stelle eingenommen. Er scheint durstig zu sein und trotz alledem säuft er nicht. Er richtet den Kopf in die Höhe und lauscht. Ah, er wittert eine Gefahr! Nein, jetzt lasse ich das Kind aber länger nicht schlafen.«

»Nun, so wecke es auf,« lachte Josef und zog seine büffelledernen Halbstiefel wieder an.

Sanft rüttelte der alte Jäger den Jüngling, welcher, schon längst gewohnt, zu jeder Stunde aus dem Schlafe geweckt zu werden, mit einem Rucke auf den Beinen war.

Rosenholz verständigte ihn rasch, hielt dann einen Augenblick lauschend inne und begann endlich von Neuem: »Hört Ihr das Bellen in der Ferne? Es sind Wölfe, die auf der Ebene jagen. Der arme Hirsch! Wie wird es ihm ergehen?« In demselben Augenblick warf der Hirsch sein stolzes Geweih zurück und floh in mächtigen Sätzen über die Savane. Fern am Horizont aber wirbelte eine Staubwolke empor, in deren Mitte sich eine schwarze Masse zeigte. Es war, als rollten eine Menge Kugeln pfeilschnell heran. Zwar hatte der Hirsch einen bedeutenden Vorsprung vor den ihn verfolgenden Wölfen voraus, dennoch verstrichen nur wenige Minuten und er war von den heulenden Bestien eingeschlossen, da auch auf der entgegengesetzten Seite eine Schaar von Wölfen erschien. Der verfolgte Hirsch merkte jetzt die Gefahr, die ihm da drüben drohte, und hielt einen Augenblick an, um Athem zu schöpfen, während der Kreis seiner Feinde sich immer enger um ihn schloß. Da nahm der Hirsch einen wüthenden Anlauf, um in gewaltigem Sprunge über die Masse heulender Wolfsköpfe hinwegzusetzen, allein der Versuch mißglückte und das edle Wild fiel mitten unter seine Verfolger. Ohne aber nur im geringsten den Kampf zu scheuen, spießte er nacheinander zwei der Bestien auf die Schaufeln seines Geweihs und schleuderte sie hoch in die Luft, so daß sie betäubt und zerschlagen wieder den Erdboden erreichten. Dagegen vermochte er einen Vierten, der sich in seine Flanken festgebissen hatte, nicht abzuschütteln, und blutend und mit weit hervorgestreckter Zunge floh das gehetzte Wild dem Ufer des Flusses zu, den drei Zuschauern dieses seltsamen Kampfes gerade gegenüber.

»Wahrhaftig! er stürzt sich in den Fluß,« rief Fabian, welcher mit großem Interesse dem Schauspiele gefolgt war.

Zischend spritzte das Wasser auf unter dem jähen Sturz des armen Hirsches und eine Wolke von glitzernden Staubperlen senkte sich auf sein Geweih, desgleichen aber auch auf die Köpfe der ihrem Opfer nachschwimmenden, vor Hunger und Gier heulenden Wölfe. Schon stand der Hirsch im Begriff, die Insel zu erklimmen, als die Scenerie urplötzlich wechselte. Jene Wölfe nämlich, welche das kalte Bad gefürchtet hatten und wie toll am Ufer auf- und abrannten, ließen ein klägliches Gekläff hören und ergriffen die Flucht, während die Heerde wilder Pferde von vorhin wieder erschien.

»Was ist das?« rief Fabian überrascht.

»Bückt Euch,« antwortete Rosenholz in ängstlicher Hast, »versteckt Euch um Gottes Willen hinter das Gras! Die Pferde werden von Indianern verfolgt.« Und kaum waren diese Worte gesprochen, als eine Schaar von zwanzig indianischen Reitern auf ungesattelten Pferden heranjagte. Auf den Rücken der Thiere zusammengekauert, so daß die Kniee bis an das Kinn heranragten, vermochte keinerlei Hemmniß die kühnen Reiter aufzuhalten; ihr weithin dringendes Geschrei ausstoßend, schwangen sie die Lassos von geflochtenem Leder, und der Erdboden erzitterte unter den Huftritten der wilden und gezähmten Pferde.

Der fliehende Hirsch hatte unterdessen das jenseitige Ufer erreicht und war seinen Feinden glücklich entkommen; die drei Jäger auf der Insel aber bemerkten es nicht, denn ein neues Ereigniß nahm ihr ganzes Interesse in Anspruch. Ein Reiter tauchte nämlich auf und seine Kleidung deutete darauf hin, daß er zu der Abenteurerschaar Don Estevans gehörte. Die drei Freunde vermochten sich nicht zu erklären, wie der Reiter unter die indianische Schaar hatte gerathen können, ohne zuvor die Gefahr zu sehen, die ihm drohte. Höchst wahrscheinlich trugen die kleinen Hügel des Bodens Schuld daran, und zeigten ihm erst dann die umherschwärmenden Apachen, wo er sich von ihnen bereits eingeschlossen fand; denn ringsum tauchten jetzt die dunkeln Gestalten der Indianer auf und bildeten einen Halbkreis, dessen Mittelpunkt leider der weiße Reiter einnahm, dem nur nach der Seite des Flusses hin noch ein Ausweg blieb.

»Der Unglückliche ist verloren, was er auch anfangen mag,« flüsterte Rosenholz, »es ist zu spät, um über den Fluß zu setzen, die Apachen sind ihm zu nah auf den Fersen.«

»Herr des Himmels,« rief Fabian erschreckt, »sollen und dürfen wir ruhig zusehen, wie die Indianer einen Christen vor unsern Augen ermorden?«

»Die Pflicht der Selbsterhaltung zwingt uns dazu,« antwortete Josef, »denn es giebt kein Mittel, ihm zu helfen, das nicht unsern Zufluchtsort preisgäbe.«

»Josef hat recht,« bestätigte der Canadier auf einen fragenden Blick Fabians hin, »denn wir sind unserer nur Drei, während zwanzig Indianer uns entgegenstehen; somit ist es besser, es stirbt nur Einer, als alle Viere. Gott verzeihe mir meine scheinbare Hartherzigkeit, aber sie ist nothwendig.«

Während dieses kurzen Gesprächs floh der weiße Reiter auf das Ufer des Flusses zu und schon konnten die Drei auf der Insel seine durch Angst entstellten Gesichtszüge erkennen, als der geworfene Lasso eines Apachen ihn erfaßte und der Unglückliche, aus dem Sattel gehoben, auf den sandigen Boden stürzte. Ein Triumph- und Freudengeschrei von Seiten der Indianer wirbelte in die Luft, dann trat eine tiefe Stille ein.

»Was werden die Unmenschen jetzt beginnen?« fragte Fabian seinen väterlichen Freund. »Darüber kann kein Zweifel walten,« lautete die Antwort des alten Jägers, »die rothen Teufel denken jetzt über die Martern nach, mit denen sie den Unglücklichen zu Tode quälen wollen.«

Rosenholz hatte wahr gesprochen; die Apachen sprangen von ihren Pferden herab, umringten ihren Gefangenen und warfen düstere Blicke auf ihn, welche durchaus nichts Gutes weissagten. Einer der Indianer jedoch, welcher der Anführer des Trupps zu sein schien, und dessen dunklere Hautfarbe und schwarzer Kopfputz ihn vor seinen Genossen auszeichnete, sonderte sich von der Gruppe ab und näherte sich jener Uferstelle, welcher gegenüber die kleine Insel lag. Aufmerksam heftete sich sein Blick auf den Boden, in dessen Sande er nach Fußspuren zu suchen schien.

»Da haben wir die Bescheerung,« murmelte Rosenholz beklommenen Herzens, denn die Angst und Besorgniß um Fabians Leben dämpfte seinen Heldenmuth. »Der Bursche wittert uns, wie der Hund das Wild.«

Da der Apachenhäuptling im Sande keine Spuren fand, so schickte er sich an, den Fluß weiter hinauf zu gehen, um seine Nachforschungen fortzusetzen.

»Wie ich gesagt,« seufzte Rosenholz, »der Teufelskerl hegt Verdacht und wird unweit von hier die Spuren finden, die wir zurückgelassen haben, als wir in das Flußbett traten, um die Insel zu erreichen. Kenne ich ja doch die Schlauheit dieses Burschen, den seine Stammesgenossen den »Schwarzvogel« nennen.« Und der Häuptling fand, wie Rosenholz vorausgesagt, die betreffende Stelle und zweifelte jetzt nicht mehr daran, daß die drei Jäger auf der Insel sich versteckt hielten. Innerlich triumphirend über seinen Scharfsinn, äußerlich aber kalt und ruhig, kehrte der Schwarzvogel zu seinen Stammesbrüdern zurück und hörte mit zustimmendem Kopfnicken an, was diese inzwischen hinsichtlich des Gefangenen beschlossen hatten. Nachdem er fünf von den Reitern mit leiser Stimme einen Befehl ertheilt, demzufolge diese Söhne der Steppe ihre Pferde ausgreifen ließen, um bald nachher gänzlich zu verschwinden, trat der Häuptling hart an das Ufer des Flusses, bildete mit seinen Händen eine Art Sprachrohr und schrie in einem seltsamen Gemisch von Spanisch und Indianisch: »Warum verbergen sich die weißen Krieger aus Mitternacht? Der Schwarzvogel und seine Gefährten sind ihnen freundlich gesinnt!«

»Was wollen wir dem Hallunken antworten?« fragte Rosenholz den ehemaligen Miquelet, indem er seinen Arm heftig drückte.

»Nichts,« antwortete Josef lakonisch.

Der apachische Häuptling fuhr nach kurzer Pause fort:

»Wenn die weißen Krieger aus Mitternacht, welche nur drei an der Zahl sind, die Absichten des Schwarzvogels erfahren, werden sie sicherlich aus ihrem Versteck hervorkommen.«

»Meinst Du wirklich, Du Schafskopf?« brummte Josef für sich.

»Der Schwarzvogel weiß,« begann der Apache von Neuem, »daß die weißen Männer von Mittag und Mitternacht gegen einander mehr Feindschaft hegen, als das Bleichgesicht und der rothe Mann. Nun aber haben die Apachen ein ganzes Lager von Kriegern aus Mittag in den Händen.«

»Dann Gnade Gott den Goldsuchern,« flüsterte Rosenholz. Der Schwarzvogel lauschte auf eine Antwort, aber die Worte des alten Jägers waren so leise gesprochen, daß sein Ohr sie nicht vernahm. Er rief daher abermals durch sein künstliches Sprachrohr: »Die rothen Krieger verpfänden ihr Ehrenwort, daß sie den weißen Kriegern aus Mitternacht freundlich gesinnt sind. Warum wollen die Bleichgesichter aus Mitternacht nicht ihre Büchsen vereinigen mit den Schlachtkeulen der Apachen gegen die weißen Männer aus Mittag, – warum wollen sie nicht mit ihnen die Kopfhäute ihrer Feinde und die Pferde und all' das Hab und Gut theilen und mit ihren rothen Freunden um die Leichname der weißen Schurken tanzen?«

Rosenholz und Josef begriffen jetzt den Zweck, warum der apachische Häuptling ihre Freundschaft suchte, und in tiefster Entrüstung flüsterte der Canadier: »Oh, wie schade, daß ich dem spitzbübischen Heiden mit meiner guten Büchse nicht antworten darf. Wäre Fabian nicht da, ich würde es schon längst gethan haben, allein die Sicherheit dieses Kindes legt meinem gerechten Zorne Fesseln auf.«

»Ich erwarte endlich die Antwort der Bleichgesichter,« rief der Schwarzvogel in einem Tone, dem man anmerkte, daß ihm endlich die Geduld ausgehe. »Sie mögen bedenken, daß aus einem verschmähten Freunde gar oft ein Feind wird, den man fürchtet!«

»Nicht übel gesagt,« murmelte Josef, »bin nur neugierig, auf welche Weise der Schlingel sich uns furchtbar zu machen gedenkt.«

»Noch immer keine Antwort?« rief es drohend vom Ufer herüber. »Nun wohl, die weißen Krieger mögen überlegen, was sie thun wollen, der Indianer wird bis auf hundert zählen.« Nach diesen Worten winkte der Schwarzvogel den Gefangenen zu sich heran und entriß ihm seine Büchse, dieselbe schußfertig erhebend. Während er zu zählen begann, sahen die drei Freunde jene fünf Indianer zurückkehren, welche sich zuvor entfernt hatten. Sie waren jetzt sämmtlich mit kurzen Flinten bewaffnet, und eine gleiche Anzahl setzte hierauf ihre Pferde in Galopp, offenbar um dasselbe zu thun.

»Verwünscht,« sagte Josef, »die Sache fängt an bedenklich zu werden, – zudem bin ich fest überzeugt, daß der rothe Teufelskerl da drüben auf uns abfeuert, sobald er hundert gezählt hat. Jetzt ist er schon bei 67.«

»Suche Dir einen Platz hinter mir, Fabian,« rief der besorgte Rosenholz; allein der Jüngling wollte nichts davon wissen, sondern war vielmehr fest entschlossen, mit seinem Körper den väterlichen Freund zu schützen.

»Aber Kind,« entgegnete der alte Jäger, »siehst Du denn nicht, daß mein Körper den Deinigen nach allen Seiten hin um sechs Zoll überragt? Es wäre ja Thorheit, der Kugel des Indianers ein doppeltes Ziel zu bieten.«

Und ohne auch nur ein einziges Schilfrohr in dem grünen Laube der Insel zittern zu machen, veränderte der Canadier seinen Platz und kniete vor Fabian hin, welcher noch immer dagegen protestiren wollte, bis endlich Josef bewegt sprach:

»Lassen Sie es geschehen, Don Fabian, nie hat ein Mensch einen edlern Schild gehabt, als das Herz dieses Riesen, das nur darum heute so ängstlich schlägt, weil es Sie in Gefahr weiß.«

»Hun–dert!« klang es jetzt vernehmlich herüber und fast gleichzeitig krachte ein Schuß. Da aber die drei Jäger hintereinander knieten, so boten sie keinen großen Zielpunkt dar und die Kugel pfiff, einige Blätter und Krautstücke in die Luft aufwirbelnd, in einiger Entfernung an ihnen vorüber. Eine volle Minute verstrich, ehe der Schwarzvogel von Neuem rief:

»Der Indianer hat sich getäuscht, die weißen Krieger sind nicht auf der Insel, er wird sie daher anderswo suchen.«

»Jawohl, glaub das und sauf' Wasser,« brummte Josef ingrimmig, »der Hund ist seiner Sache gewisser, denn je.«

Scheinbar gleichgültig hatte der apachische Häuptling sich umgedreht und seine Aufmerksamkeit dem Gefangenen zugewandt, welcher auf seinen Befehl hin eine Strecke weit vom Ufer fortgeführt wurde. Während die Rothhäute sich sodann in einer Reihe aufstellten, flüsterte Rosenholz:

»Jetzt merke ich, was die Hunde vorhaben, sie wollen sich das Vergnügen einer Hetzjagd machen. Sie werden den armen Teufel einen kleinen Vorsprung gewinnen lassen und ihm dann mit ihren Spießen und Tomahawk's nachrennen, um ihn schonungslos niederzustoßen, sobald sie ihn erreichen.«

»Aller Wahrscheinlichkeit nach wird der arme Gefangene dem Flusse zufliehen,« sagte Fabian, »könnten wir dann nicht etwas zu seiner Rettung thun?«

»Für den Fall, daß die Angst nicht seine Beine lähmt,« begann der Canadier nach kurzem Besinnen, »und er das Ufer erreicht, könnten wir ihm zurufen, zu uns herüber zu schwimmen. Einige Schüsse aus unsern Büchsen würden ihn schützen und er mit heiler Haut auf die Insel gelangen, dann hätten wir an ihm einen Verbündeten und könnten es von unserm sichern Hinterhalte aus wohl mit den rothen Teufeln aufnehmen. Doch seht,« unterbrach er seine Rede, »da drüben drängt Alles zur Entscheidung.«

Bereits schwangen die grausamen Apachen mit wieherndem Jauchzen ihre Speere und Mordkeulen, ungeduldig das Zeichen ihres Häuptlings erwartend, die Jagd beginnen zu dürfen. Noch aber zögerte der Schwarzvogel, bis die fünf Indianer, welche sich, wie die frühern, entfernt hatten, bewaffnet zurückkehrten. Sodann deutete er auf die safianenen Halbstiefeln des weißen Gefangenen und auf die nackten Füße seiner Krieger und gab dadurch dem armen Teufel zu verstehen, daß er sich dieser schützenden Fußbekleidung entledigen solle. Zögernd setzte dieser sich auf den Erdboden nieder und that, wie ihm geheißen worden war.

»O, diese Hunde, diese Teufel,« knirschte Fabian; der Canadier aber legte ihm rasch die Hand auf den Mund, indem er warnend sagte: »Ruhig, der leiseste Laut, den der Wind den Indianern zuträgt, raubt dem unglücklichen Gefangenen die letzte Hoffnung und er ist unrettbar verloren, ohne daß wir auch nur einen Versuch zu seiner Befreiung machen können.«

Endlich stand der arme Teufel abermals aufrecht da, während seine Augen sehnsüchtig in die Ferne schweiften; wie zum Sprunge bereite Tiger standen aber auch die Indianer da und ihre wilden Blicke schienen das unglückliche Opfer zu verschlingen. Noch ein paar Augenblicke der höchsten Spannung – und der Apachenhäuptling klatschte in die Hände. Mit einem Geheul, wie es nur eine Bande entmenschter Teufel auszustoßen vermag, begann die schauerliche Hetze; wohl stürmte der von der Todesangst beflügelte Gefangene mit der Schnelligkeit eines Hirsches vorwärts, allein die spitzen Kiesel und stachlichten Cacteen, welche in der Ebene umherlagen und wucherten, zerrissen seine Füße und mehr und mehr verminderte sich der Zwischenraum, welcher ihn von seinen Verfolgern trennte, die, jagenden Tigern ähnlich, ihm nachsetzten. Die drei Jäger auf der Insel folgten ängstlich diesem gräßlichen Wettlaufe, – da glänzte plötzlich inmitten der Staubwolke, welche die Verfolger aufgewirbelt hatten, der scharfe Stahl eines Messers über dem Kopfe des unglücklichen Gayferos, – denn dieser und kein anderer war der Gefangene, – noch einmal raffte er all' seine Kraft zusammen und mit einem gewaltigen Satze erreichte er beinahe das Ufer, da aber glitt er aus und fiel zu Boden. Blitzschnell fuhr die Büchse des Canadiers in die Höhe, der Schuß krachte und der Indianer mit dem blitzenden Messer machte einen Sprung und sank dann gleichfalls zu Boden. Die nie ihr Ziel fehlende Kugel des Waldläufers hatte ihn tödtlich getroffen – aber zu spät, denn noch im Sterben stieß der Apache das Siegesgeschrei seines Stammes aus und schwang die blutige Kopfhaut seines Opfers durch die Luft. Ein furchtbares Wuthgeheul antwortete dem Schusse des Canadiers und die verwegensten der Apachen schickten sich an, in's Wasser zu springen und nach der Insel hinüber zu schwimmen. Da aber richtete Rosenholz sich in seiner ganzen riesigen Höhe empor und die Indianer stutzten bei dem Anblicke ihres gefürchtetsten Feindes, von dem die Sage ging, daß er seine Büchse nur zu erheben brauche, um eine Rothhaut zur Erde zu strecken, und blitzschnell verschwanden die nackten Gestalten hinter dem grünen Vorhang des Ufers, unbeachtet den armen Scalpirten liegen lassend, welcher sich jetzt aufrichtete, zwei Schritte vorwärts stürzte und dann, geblendet durch das strömende Blut, erschöpft wieder zusammensank.

»Ha!« rief der Canadier zornbebend, »jetzt vorwärts mit Gott! Wenn der arme Teufel nur nach einen Funken Leben in sich hat, so werden wir ihn retten!« Und bei den letzten Worten sprang er in das ziemlich tiefe Wasser, welches jedem Andern über den Kopf gegangen wäre, dem Riesen aber nur bis an die Schultern reichte. Seine Büchse, die er schußfertig über das Wasser hielt, scheuchte die Indianer von Neuem in das Dickicht zurück, aus dem sie sich bei dem kühnen Beginnen des Jägers hervorgewagt hatten. Selbstverständlich verwandten Josef und Fabian keinen Blick von Rosenholz und den Indianern, um im Augenblicke der Gefahr auf ihre Feinde Feuer zu geben. Der Canadier schritt furchtlos vorwärts und schon hatte das Wasser um ihn her merklich abgenommen, als einer der Apachen sein Gewehr gegen ihn anschlug. Da aber brach ein Feuerstrom aus dem Schilfdickicht der Insel und die Rothhaut stürzte mit einem gellenden Schmerzensschrei, tödtlich getroffen, zu Boden.

»So, jetzt ist die Reihe an Ihnen, Don Fabian,« sprach mit großer Gemüthsruhe Josef und warf sich auf den Rücken, um, gemäß seiner amerikanischen Gewohnheit, in dieser Lage seine Büchse wieder zu laden.

Auch Fabian feuerte jetzt, allein die entsendete Kugel streifte nur die Schulter des Apachen, den er auf's Korn genommen hatte, und die Indianer benützten nunmehr den Augenblick, wo die beiden Büchsen noch nicht wieder schußfertig waren, und sandten einen Hagel von Pfeilen auf den unerschrocken vordringenden Canadier ab. Indessen richteten sie nichts aus, Rosenholz bückte sich entweder, oder wies die Pfeile mit der Hand ab und setzte sodann kühn den Fuß auf das Ufer, wo der unglückliche Gayferos lag, der jetzt seine zitternden Hände nach dem Riesen ausstreckte und mit schwacher Stimme um Hilfe rief. Die stolze, unerschütterliche Ruhe des löwenkühnen Mannes imponirte offenbar den Indianern, sie wußten im ersten Augenblick nicht, was sie thun sollten, und der Canadier benutzte ihre Unentschlossenheit, indem er den verwundeten Gayferos auf seinen Rücken lud und in's Wasser zurück watete. Dies Mal that er es jedoch rückwärts, seine Feinde fest im Auge behaltend. Langsam durchschritt er die Fluth und nur ein einziges Mal ließ sich der scharfe Knall seiner Büchse hören und der Todesschrei eines Indianers antwortete auf diesen Schuß. Keiner der Apachen wagte einen Angriff und wenige Minuten später legte der siegreiche Rosenholz den fast ohnmächtigen Gayferos auf das Gras der Insel nieder.

»So, Kinder, da wären wir,« brummte er im fidelsten Baß, »und was die Hauptsache ist, wir haben drei von den Hunden kampfunfähig gemacht. Hast Dich brav gehalten, Fabian, wirst ein Staatsjäger werden, brauch Dich nur noch ein wenig in die Schule zu nehmen.« Dann wandte er sich zu Gayferos, der schmerzlich zu stöhnen begann, und tröstete ihn in seiner gutmüthig rauhen Weise, indem er sagte: »Wir sind freilich etwas zu spät gekommen, um Ihnen den Haarschmuck zu erhalten, mein armer Junge, indessen grämen Sie sich nicht allzu sehr darum, die Sache hat nicht viel zu bedeuten. Ich kenne gar manchen wackern Mann, dessen Schädel von diesen indianischen Hunden barbirt worden ist, und wenn da der Josef nicht zur rechten Zeit gekommen wäre, als ich mich in der Gewalt der Apachen befand, so würde es mir gerade so gegangen sein. Wie gesagt, es thut nichts – man erspart sich dadurch für immer den Haarkräusler. Die Hauptsache ist, daß man das Leben erhält und dafür wollen wir bei Ihnen schon Sorge tragen. So und jetzt, Josef, wollen wir unserem christlichen Mitbruder den Verband auflegen.«

Josef brachte eine Hand voll Weidenblätter herbei, welche er zerdrückte und stark mit Wasser anfeuchtete, um sie sodann auf den entblößten Schädel Gayferos zu legen. Aus einigen Fetzen der zerrissenen Kleider des Verwundeten fertigte der Canadier einen rohen Verband an, um damit die Weidenblätter festzuhalten. Zuletzt wurde das Gesicht des Scalpirten durch Waschen von dem Blute befreit, und es war bald von der gräßlichen Wunde nichts zu sehen.

Die beiden Jäger hatten ohne jegliche Störung ihr Werk der Barmherzigkeit verrichten können. Still und schweigsam lag die Savane da, nur das Wasser des Flusses plätscherte an den Ufern der Insel und der Wind sang in den Weidenbüschen und Zitterespen sein eintöniges Lied.

Die Kühle der Weidenblätter that dem Verwundeten außerordentlich wohl und er blickte dankbar zu dem Canadier auf, der ihm freundlich zunickte und fragte, ob er zu der Schaar Don Estevans gehöre.

Der Verwundete bejahte und erzählte, daß er sich auf den Befehl Don Estevans aufgemacht habe, um einen gewissen Cuchillo, der recognoscirend vorausgegangen sei, aufzusuchen. Er habe sich aber verirrt und sein böser Stern es gefügt, daß er den Apachen in die Hände gefallen sei, welche sich gerade auf der Jagd wilder Pferde befanden.

»So, so,« erwiederte der Canadier, indem er zum zweiten Mal den brennenden Schädel Gayferos mit Wasser kühlte, »also Cuchillo heißt der Mann.«

»Er ist der Führer der Expedition,« sagte der Verwundete, »welche nach dem Goldthale aufbrechen will.«

Der Canadier warf Fabian einen bedeutungsvollen Blick zu, dann forderte er Gayferos auf, sich ruhig und unbesorgt dem Schlafe hinzugeben, der nach dem bedeutenden Blutverluste das beste Mittel zur Stärkung sei, und wandte sich hierauf mit den Worten an Josef und Fabian:

»Jetzt, Kinder, wollen wir die Insel so gut als möglich verschanzen. Die rothen Spitzbuben können uns weder von Rechts noch von Links angreifen, und wir haben daher nur nöthig, die den beiden Ufern zugekehrten Seiten der Insel gegen die Pfeile und Kugeln des Gewürms zu befestigen. Mir scheint es sehr wahrscheinlich, daß ein Theil der Apachen über den Fluß gehen wird, um uns zwischen zwei Feuern zu fassen.«

Mit Josefs Hilfe gelang es dem Canadier, einige erst vor kurzem angeschwemmte große Aeste und Baumstämme aus dem Wasser zu reißen und damit jene Seite der Insel, welche einem etwaigen Angriffe am wenigsten Stand zu halten vermochte, zu verschanzen.

»So,« sagte Rosenholz, indem er das vollbrachte Werk mit Befriedigung betrachtete, »diese Baumstämme schützen uns vollständig und auf der andern Seite bilden die ungeheuren Wurzeln und Rohrstauden, die gleich Palisaden in die Höhe stehen, eine natürliche Brustwehr. Das Einzige, was uns gefährlich werden kann, sind die hohen Bäume des Ufers; allein ich werde schon dafür sorgen, daß keiner dieser rothen Hunde bis zur Spitze hinauf zu klettern wagt. Mögen sie jetzt immer kommen, sie sollen uns als Männer finden.« Damit drückte er den beiden Freunden die Hände und ein Jeder begab sich schweigend an seinen Posten.

Das Licht des Tages machte der Dämmerung Platz und die am Ufer stehenden Bäume und Gebüsche nahmen allerlei phantastische Formen an, namentlich war es ein Weidenstrauch, der sich seltsam dehnte und streckte. Auch dem Canadier fiel es auf und er machte Josef darauf aufmerksam.

»Habe gleichfalls meine Gedanken darüber,« flüsterte Josef zurück, »es ist nicht ganz richtig mit dem Busch.«

»Fabian,« winkte jetzt der Waldläufer dem Jüngling zu, »komm einmal hierher und betrachte den Weidenbusch da drüben, der rechts neben der Espe steht; fällt Dir nichts an ihm auf?«

»Doch,« versetzte der Jüngling, »zehn Schritt dahinter erhebt sich ein Busch, der vor einer Stunde noch nicht dort war.«

»Brav, mein Junge,« flüsterte der Canadier leuchtenden Blicks, »ein solches wachsames Auge bekommt man nur, wenn man fern von den großen Städten lebt. Du bist ein Jäger von Gottes Gnaden. Jetzt nimm einmal den Strauch auf's Korn und ziele gerade nach der Mitte, und Du, Josef, halte den Lauf Deiner Büchse ein wenig höher, dann wird der hinter dem Gebüsche steckende Indianer einen hübschen Nasenstüber bekommen.«

Die beiden Schüsse krachten zu gleicher Zeit; der künstliche Busch sank zusammen und ein rother Körper zappelte hinter dem Blätterwerk.

»Jetzt sind ihrer nur noch fünfzehn,« sagte der Canadier, indem er einen dürren Zweig in fünf Stücke brach und diese in den weichen Boden steckte. »Es ist gut, wenn wir unsere todten Feinde zählen.« Diese Worte waren kaum verklungen, als in unmittelbarer Nähe der Freunde einige Kugeln vorüberflogen und das Geschrei der Apachen die abendliche Stille unterbrach.

»Ah,« flüsterte Rosenholz, »unsere rothen Lieblinge scheinen sich im Gipfel der Zitterespe dort festsetzen zu wollen, – wollen sie doch nöthigen, uns den Anblick ihrer werthgeschätzten Personen zum Besten zu geben.« Er nahm seine Pelzmütze ab, zog sein ledernes Wamms aus und befestigte beide Kleidungsstücke zwischen den Aesten der Verschanzung, so daß es den Anschein gewann, als beabsichtige er Rundschau zu halten. Ehe noch eine Minute verstrichen war, schlugen feindliche Kugeln links und rechts neben dem Strohmanne ein. Bei dieser Gelegenheit hatte jedoch der Canadier, welcher mit seinen zwei Gefährten bei Seite gegangen war, dicht an einem Aste der Zitterespe das rothe Bein eines Apachen bemerkt. Die Büchse des Jägers krachte und der Indianer stürzte getroffen von Ast zu Ast in das Weidendickicht hinunter. Langgezogenes Wuthgeheul beantwortete diesen neuen Sieg der weißen Männer, und so markerschütternd klangen diese Töne, daß für einen Augenblick sogar der verwundete Gayferos aus seinem todtenähnlichen Schlafe auffuhr.

»Die Schufte wollen uns mit ihrem Geheul glauben machen,« lachte der Canadier, »sie seien ihrer Hunderte, während sie in Wahrheit doch nur noch ein Dutzend ausmachen. Wenn wir sie nur in's Wasser zu locken vermöchten, dann sollte von ihnen auch nicht einer übrig bleiben, um ihre Niederlage in ihrem Dorfe zu verkünden.« Als sei ihm plötzlich ein Gedanke gekommen, wandte er sich zu seinen Gefährten und sagte: »Versuchen wir es noch einmal mit der List, stellen wir uns todt!« Und indem er sich der Länge nach auf den Rücken legte, folgten Josef und Fabian seinem Beispiel.

»Jetzt mäuschenstill gelegen,« brummte Rosenholz von Neuem, »und auf die Gipfel der Bäume geachtet, denn nur von dort aus haben wir ihre Geschosse zu fürchten. Die Spitzbuben werden nicht ohne unsere Kopfhäute heimgehen wollen und sich daher entschließen müssen, uns auf der Insel einen Besuch abzustatten.« Während der nächsten zehn Minuten sah man mehrere Apachen, schwarzen Schatten ähnlich, längs des Ufers hingleiten und dann mit affenartiger Gelenkigkeit an den Baumstämmen emporklettern. Ein Kugel- und Pfeilhagel sauste auf das Inselchen herab und zerriß die Aeste und das Wurzelgeflecht der Verschanzung, ohne indessen einen der drei Freunde zu verletzen. Schnell ließ der schlaue Rosenholz sein aufgestelltes Wamms zusammen sinken, als hätte ihn eine der feindlichen Kugeln getödtet. Als die Apachen das sahen, stießen sie ein lautes Triumphgeschrei aus. Eine tiefe Stille folgte, worauf die Indianer eine zweite Salve zur Insel herüber schickten. Aber auch jetzt blieb es auf dem Eiland so düster und stumm, wie der Tod.

»Josef,« flüsterte der Canadier, ohne dabei ein Glied zu rühren, »steigt nicht einer dieser rothen Teufel auf den Weidenbaum hinauf, der sich dort schräg über das Wasser neigt? Die Schurken haben ihn bisher aus Furcht vor unsern Büchsen unberührt gelassen.«

»Dein Auge hat Dich nicht getäuscht,« lautete die Antwort des Gefährten. »Rühren wir uns trotz alledem nicht; dann wird er herabsteigen und zu seinen Gefährten sagen, er habe die Leichname der vier Bleichgesichter auf dem Boden liegen sehen.«

Es ließ sich nicht läugnen, daß die mit dieser List verbundene Gefahr sehr groß war. Trotz alledem verharrten die drei Jäger in ihrer bisherigen Regungslosigkeit, alle Bewegungen des Indianers scharf beobachtend. Behutsam schwang sich der rothe Krieger von Ast zu Ast, bis er endlich die nöthige Höhe erreicht hatte, um die Insel übersehen zu können. Der Mond, welcher inzwischen aufgegangen war, warf sein klares Licht auf das Eiland und somit vermochte der scharfe Blick des Indianers jeden Gegenstand genau zu erkennen.

»Rührt kein Glied! zuckt nicht mit der Wimper,« warnte der Canadier, »es ist der Schwarzvogel, der uns beobachtet. Ein schlauer Teufel, wie keiner.«

Durch das Blätternetz des Weidenbaumes blinkte jetzt der Lauf einer Büchse, deren Mündung sich abwechselnd auf die drei Jäger richtete, aber diese rührten sich so wenig, als ob sie in Wahrheit Leichname gewesen wären. Der Schwarzvogel beugte sich noch weiter vor und der Lauf seines Gewehrs richtete sich jetzt auf Josef.

»Verfluchte Situation!« murmelte der Letztere, »allein ich will's dem Schurken schon gedenken und mit ihm wett machen.« Endlich drückte der Schwarzvogel ab und die Kugel schlug einen Zoll von Josef entfernt in einen Baumstamm ein und riß einen Splitter los, welcher die Stirn des Spaniers leicht verletzte. »Oh, Du vermaledeite Rothhaut!« fluchte der ehemalige Miquelet leise, regte sich aber nicht.

»Bist Du verwundet?« fragte Rosenholz mit bebender Stimme.

»Nur ein leichter Ritz,« antwortete Josef.

Jetzt schien der Schwarzvogel überzeugt zu sein, daß man die weißen Männer nicht mehr zu fürchten habe, und ein lauter Freudenschrei verkündete es den Apachen. Der Indianer verschwand vom Baume und gespenstisch huschten die Rothhäute am Ufer dahin. Ein Apache setzte bereits den Fuß vorsichtig in's Wasser. »Jetzt aufgepaßt,« begann Rosenholz, welcher mit den beiden Freunden sich wieder auf den Beinen befand. »Die Kerle werden hinter einander durch den Fluß waten. Du, Fabian, nimmst den Ersten auf's Korn, Josef zielt auf den Mittelsten und ich werde dem Letzten einen Gruß zusenden. Auf solche Weise werden wir dann leichter mit ihnen fertig, obschon es einen Kampf Mann gegen Mann geben dürfte. Du aber, mein Junge, mischest Dich nicht in's Handgemenge, sondern lädst nur unsere Büchsen. Josef und ich werden mit den Hunden schon fertig werden.«

Inzwischen war ein Krieger von hohem Wuchse in den Fluß hineingegangen und der Mond beleuchtete noch neun Indianer, die ihm folgten. Wie sie vorsichtig durch die Fluth dahin schritten und kein Geräusch ihr Kommen verrieth, erinnerten sie an einen Geisterchor, der über dem Wasser schwebt. Der Erste in der Reihe, der Schwarzvogel, war nicht mehr fern von dem Punkte, an welchem das Wasser tiefer zu werden begann, und somit der Augenblick, Feuer zu geben, gekommen. Eben wollte Fabian auf den Apachenhäuptling seine Büchse anlegen, als dieser – sei es nun, daß er die Gefahr ahnte oder das Blitzen einer Waffe ihn warnte, – urplötzlich untertauchte.

»Feuer!« kommandirte in diesem Augenblick Rosenholz mit Donnerstimme und sofort stürzte der die Reihe schließende Indianer im Wasser zusammen; zwei andere, die Fabian und Josef auf's Korn genommen hatten, zappelten noch einige Augenblicke im Wasser, um dann von der Fluth mit fortgerissen zu werden.

Rosenholz und Josef hatten ihre Büchsen Fabian zugeworfen, damit dieser sie von Neuem lade, und erwarteten nun mit vorgestrecktem Leibe und gezücktem Messer die Indianer, um den Kampf Mann gegen Mann auszufechten.

»Die Zahl der Apachen ist weit über die Hälfte geschmolzen,« rief donnernd der Canadier, der vor Begierde brannte, seinen Feinden den Garaus zu machen. »Wird es der Rest noch wagen, die Kopfhäute dreier tapfern Weißen zu holen?«

Keine Antwort erfolgte; das Verschwinden ihres Häuptlings so wie der Tod dreier der Ihrigen schien die Apachen außer Fassung gebracht zu haben; sie standen unbeweglich wie Baumstämme, welche eine jähe Ueberschwemmung unter Wasser gesetzt hat.

»Nun,« rief jetzt auch Josef, »warum antwortet das Lumpenpack nicht? Kommt doch heran, Ihr Hunde, Ihr Geier, Ihr feigen Weiber!«

Die Indianer schienen jetzt für jede Beleidigung taub zu sein und kehrten rasch an's Ufer zurück. Schon stand Josef im Begriff, sie durch die Fluth zu verfolgen, als er in einiger Entfernung einen schwarzen, auf dem Rücken schwimmenden Körper bemerkte; die im Mondlicht funkelnden Augen bewiesen indessen, daß es kein Leichnam war, obgleich die ausgestreckten Arme und Beine es hätten glauben machen können.

»Schnell, Don Fabian, meine Büchse her,« raunte Josef dem Jüngling zu, »es ist der Schwarzvogel, der sich todt stellt und von der Strömung forttragen läßt. Jetzt wollen wir ihm sein Zielen von vorhin auf dem Weidenbaume vergelten und ihm das Bad segnen.«

Josef erhob bedächtig die Büchse und zielte auf den schwimmenden Körper; aber keine Muskel regte der Häuptling, nur seine Augen glühten in ihren Höhlen, wie feurige Kohlen.

»Ich habe mich geirrt,« sagte der schlaue Josef jetzt überlaut und senkte die Büchse, »die Rothhaut ist doch todt. Sparen wir mithin unser Pulver für die lieben Brüder da drüben.« Der Körper des Schwarzvogels schwamm weiter und die Strömung trieb ihn langsam dem Ufer zu. »Hm,« rief Josef abermals, »wollen ihm doch einen kleinen Gruß zusenden.« Gleich darauf setzte er wieder den Kolben der Büchse auf den Boden, mit heimlichem Lachen den schwimmenden Indianer betrachtend. Als dieser jedoch jetzt dicht am Ufer war, donnerte Josef: »Wollen doch noch einmal zielen, denn aller guten Dinge sind drei, pflegte meine Mutter zu sagen.« Diesmal aber krachte der Schuß und der Schwarzvogel verschwand unter dem Wasser.

»Hast Du ihn getödtet?« fragte der Canadier.

»Nein, ich habe ihm nur eine Schulter zerschmettert, damit er der Angst, die er mir verursacht, stets eingedenk bleiben möge.«

»Es wäre besser gewesen, Du hättest ihm den Garaus gemacht,« antwortete Rosenholz, »denn daß uns die sieben Apachen entkommen sind, macht uns einen gewaltigen Strich durch die Rechnung.« »Es giebt jetzt für uns nur zwei Wege,« meinte Josef achselzuckend, »entweder sofort auf das andere Ufer zu fliehen, oder hier zu bleiben.«

»Wären wir beide allein,« erwiederte Rosenholz mit leiser Stimme, »so würde ich unbedingt für die Flucht stimmen, möchten uns dann auch immer die sieben Apachen einholen, wir zwei würden sie doch zu zwiebeln wissen; aber da ist Fabian, dessen Wohlfahrt mir am Herzen liegt und den ich vor einem Handgemenge mit den Indianern bewahren möchte, und sodann denke auch an den armen Scalpirten, der unfehlbar in die Hände der Rothhäute fiele.«

Josef brummte einige unverständliche Worte und holte aus einem Ledersacke gedörrtes Fleisch und ein wenig grobes Maismehl, die beiden Freunde einladend, an dem einfachen Mahle Theil zu nehmen.

Rosenholz aß nur ein paar Bissen und sein graues Haupt senkte sich mit dem Ausdrucke der Entmuthigung tief auf die Brust hinab. Ruhe und Stille herrschten abermals; schon fielen die Mondstrahlen tiefer auf die kleinen Wirbel im Wasser und die wandelnden Sternbilder zogen in ihrer silbernen Pracht langsam gen Westen zu. Aus der Wasserfluth stiegen Nebelsäulen empor und bildeten alsbald einen weißen Baldachin, unter dem die ganze Natur zu schlummern schien, da er sich auch über die angrenzenden Gefilde ausbreitete.

Diese heilige Stille sollte indessen nicht lange andauern.


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