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Oeffentliches Festmahl in Edinburg.
1841.
Unter den Vorgängen des Jahres wurde, abgesehen von seiner Arbeit an dem Roman, die Geburt seines vierten Kindes und zweiten Sohnes kurz erwähnt. »Ich beabsichtige, den Jungen Edgar zu nennen,« schrieb er einen Tag nach seiner Geburt (9. Februar), »ein guter ehrlicher sächsischer Name, glaube ich.« Einige Tage später jedoch besann er sich anders, indem er beschloß, Landor zu Gevatter zu bitten. Er kündigte diese Absicht unmittelbar darauf unserm trefflichen alten Freunde an, mit der Bemerkung, daß es dem Kinde zum Ruhme gereichen werde, Walter Landor zu heißen und daß es seinem eignen Herzen wohlthun werde, es so zu nennen. Denn so viel wirkliche Bedeutung die Ceremonie der Taufe auch eingebüßt haben möge, für ihn habe sie doch immer noch die Bedeutung bewahrt, daß er dadurch in den Stand gesetzt werde, mit den Freunden, die er am meisten liebe, in nähere Beziehung zu treten, und was den Knaben angehe, so halte er dafür, daß man ihm mit einem Namen, worauf er stolz sein könne, auch einen neuen Grund gebe, nichts Unwürdiges oder Unwahres zu thun, wenn er ein Mann geworden sei. Walter lebte leider nur bis zum Beginn des Mannesalters. Er erlangte durch die Freundlichkeit von Miß Coutts eine Ernennung als Cadett in der Armee und starb in Calcutta, am letzten Tage des Jahres 1863, in seinem 23. Jahre.
Das Interesse, welches diese ausgezeichnete Dame an ihm und den Seinigen nahm, hatte, wie ich bereits bemerkte, schon vor dieser Zeit angefangen und ich erinnre mich, während er an »Oliver Twist« arbeitete, seiner Freude darüber, daß ihr Vater ihn in einer in Birmingham gehaltenen Rede wegen seiner Vertretung der Sache der Armen rühmend erwähnt hatte. Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, ob Sir Francis Burdett Der eben erwähnte Vater der Miß Coutts und hervorragender radikaler Politiker. – D. Uebers. dem neuen Armengesetz ebenso entschieden abgeneigt war wie Dickens und viele andre vortreffliche Männer, die in ihrer Entrüstung über die nutzlose und grausame Härte, mit der es zuerst wirkte, die Barbarei des Systems vergaßen, an dessen Stelle es trat. Aber gewiß ist, daß Dickens entschieden an dieser Ansicht festhielt und sich über Nichts mehr freute, als über das Mißgeschick, welches die Whigs im Zusammenhange damit betraf. »Wie oft pflegten Black und ich«, schrieb er mir im April, »über die Wirkung des Armengesetzes zu streiten! Walter kommt unter diesem Parteiruf in die Welt. Wir werden sehen, ob die Whigs dadurch aus dem Amte kommen.« Es war in Folge seines lebhaften Wunsches, über diesen Punkt selbst im Parlament gehört zu werden, daß er nicht sofort einen ihm damals von mehreren Magnaten von Reading privatim gemachten Vorschlag, sich für diesen Ort wählen zu lassen, ablehnte; aber er entschlug sich dieses Gedankens bald, wie er auch bei dem spätern wiederholten Auftauchen desselben immer weise genug war zu thun. Uebrigens hatte er, wie sich gleich herausstellen wird, damals äußerst radikale Ansichten und Peel's Majorität von einer Stimme war durchaus nicht nach seinem Geschmack, als sie bald nachher kam und die Whigs aus dem Amte trieb. Grade um diese Zeit machte ihm auch eine ruhige Abfertigung Thomas Moore's, der sich an Sir Francis Burdett's Tische in ultratorystischem Sinne äußerte, durch Samuel Rogers, großes Vergnügen. So entartet sei das Unterhaus durch Reform, sagte Moore, daß ein Burke, auch wenn man ihn fände, gar nicht angehört werden würde. »Unsinn, Tommy«, sagte Rogers, » finde Dich selbst nur und man würde sogar Dich anhören.«
Es war nicht viele Tage später, als er mir zuerst ein Vorhaben andeutete, das bald in denkwürdiger Weise zur Ausführung kommen sollte. »Ich habe heute Nichts gethan« (18. März; wir hatten den Tag vorher bei einer Auction zusammen Bücher gekauft), »als den » Swift« aufschneiden, – wobei ich mit entzückender Faulenzerei an allen möglichen schönen Stellen hineinsah – und die Bücher bei Seite bringen. Ich bekam heute Morgen einen Brief aus Edinburg, woraus ich erfuhr, daß Jeffrey's Francis Jeffrey, der berühmte Kritiker und Mitbegründer der Edinburgh Review, später Lord-Advokat und einer der Oberrichter von Schottland. – D. Uebers. Besuch in London in der Woche nach der nächsten stattfinden wird, daß er in Edinburg herumfährt und erklärt, ›seit Cordelia sei nichts so gutes dagewesen wie Nell‹, was er auch allen möglichen Leuten schreibt und, daß man in jener romantischen Stadt den Wunsch hegt, mir Gruß und Willkommen zu bieten. Aus diesen und aus andern Gründen bin ich geneigt, im Juni lieber nach Schottland zu gehen als nach Irland. Ueberlege Dir's inzwischen (Du hast zehn gute Wochen Zeit), ob Du nicht, mittelst einer des Besitzers des gigantischen Helms würdigen Anstrengung, uns begleiten könntest. Denke an zwei Wochen wie diese: York, Carlisle, Berwick, Dein eigenes Grenzland, Edinburg, Rob Roy's Land, Eisenbahnen, Kathedralen, Landwirthshäuser, Arthurs-Seat, Seen, Thäler und über's Meer nach Hause. Bitte, überlege Dir's ernsthaft, mit Muße.« Es war sehr verlockend, sollte aber nicht sein.
Jeffrey kam zu Anfang April, bewillkommnet durch viele Feste und Unterhaltungen, an denen er sich nur mäßig betheiligte und ehe er abreiste, war der Besuch in Schottland in aller Form festgestellt. Derselbe sollte eingeleitet werden durch das glänzende Willkommen eines öffentlichen Festessens in Edinburg, unter dem Vorsitz Lord Jeffrey's selbst. Der Maler Allan war inzwischen nach London gekommen, mit neuen Nachrichten über die gemachten Vorbereitungen und während wir alle Wilkie's Abwesenheit im Auslande bedauerten und Dickens mit berechtigtem Stolze sagte, wie gewiß der große Maler an diesem Festessen theilgenommen haben würde, kam die Erschütterung seines plötzlichen Todes Dickens wollte es zuerst nicht glauben. »Mein Herz versichert mich, daß Wilkie lebt,« schrieb er. »Er ist ganz der Mann, erst in sehr hohem Alter zu sterben« – und allerdings hätte man dies denken sollen. und es blieb nur die traurige Genugthuung, sein Andenken zu ehren. Noch eine Aenderung fand vor dem festgesetzten Tage statt. »Ich hörte heute Morgen ans Edinburg«, schrieb er am 15. Juni, »Jeffrey sei nicht wohl genug, um den Vorsitz zu führen, so thut Wilson es. Mir scheint das unter allen Umständen der Politik, der Bekanntschaft, der Edinburgh Review viel besser – Dir nicht auch?«
Sein erster Brief aus Edinburg, wo er und seine Frau bei ihrer Ankunft am Abend vorher in dem Royal-Hotel ihre Wohnung aufgeschlagen hatten, ist vom 23. Juni datirt. »Ich bin heute Morgen nach dem Parlamentshause gewesen und bin jetzt, wie ich hoffe, Jedermann in Edinburg vorgestellt. Das Hotel wird förmlich belagert und ich habe in einem abgelegenen Zimmer am Ende eines langen Ganges Zuflucht nehmen müssen, wo ich diesen Brief schreibe. Man spricht von 300 Personen bei dem Festessen. In Bezug auf Zimmer sind wir sehr gut versehen. Wir haben nämlich ein schönes Gesellschaftszimmer, ein andres daneben zum Arbeiten für mich, ein geräumiges Schlafzimmer und ein daran stoßendes großes Ankleidezimmer. Man sieht von den Fenstern grade auf das Schloß und die Aussicht ist herrlich. Wir hatten gestern Abend ein Souper, das sich überall als Dîner hätte präsentiren können.« Dies war seine erste praktische Erfahrung von den Ehrenbezeigungen, welche sein Ruhm ihm eintrug, und sie fand ihn ebenso begierig zu empfangen, als Alle begierig waren zu geben. Sehr interessant sind auch noch die Persönlichkeiten, die einen hervorragenden Antheil an der Feier nahmen, und in seinen angenehmen Skizzen über sie finden sich mehrere einst berühmte und wohlbekannte Gestalten, welche dem gegenwärtigen Geschlecht nicht so gut bekannt sind. Wir heben hier unter den ersten Wilson und Robertson hervor.
»Der berühmte Peter Robertson Berühmt als Advokat, Humorist und Geschichtenerzähler. Bald nachher durch Sir Robert Peel zum Oberrichter in Schottland ernannt, wurde er Lord Robertson. – D. Uebers. ist ein großer stattlicher Mann mit vollem Gesicht, vergnügten Augen und einer sonderbaren Art und Weise, unter der Brille hervorzusehen, die charakteristisch und angenehm ist. Er scheint auch ein sehr warmherziger ernster Mann und ich fühlte mich sofort bei ihm ganz zu Hause.
»Auf und nieder in der Gerichtshalle (die von Advokaten, Schreibern und Müßiggängern angefüllt war) wanderte ein großer, starker, schöner Mann von achtundfünfzig, mit einem Gange, wie dem O'Connell's, den blausten Augen die Du Dir denken kannst und langem – länger als meines – in wilder Weise unter dem breiten Rande seines Hutes niederfallendem Haar. Er hatte einen Ueberrock an, ein blaues gestreiftes Hemd mit aufstehendem Kragen, den ein Wisch von einem schwarzen Halstuch zusammenhielt, keine Weste und ein großes Taschentuch in seiner Brust, die ganz offen stand. Auf den Fersen folgte ihm ein sehniger, scharfäugiger, ruppiger Teufel von einem Dachshund, der auf Schritt und Tritt hinter ihm herlief, während er auf und ab strich, bald mit einem Menschen an seiner Seite, bald mit einem andern und dann wieder ganz allein, aber immer mit schnellem rollenden Schritt, den Kopf in der Luft und die Augen so weit geöffnet, als er sie öffnen konnte. Ich dachte, es wäre Wilson und er war es. Ein heller, gesund aussehender, bergartiger Mensch, scheint er erst eben von den Hochlanden herabgestiegen zu sein und die Feder nie in der Hand gehabt zu haben. Aber er hat noch in diesem Monat einen Anfall von Lähmung in seinem rechten Arm gehabt. Er wand sich, als ich ihm die Hand schüttelte und glitt, während wir auf und ab wanderten, mehrmals aus, als hätte er auf ein Stück Orangeschaale getreten. Er ist ein großer Mensch, zum Ansehen und zur Unterhaltung und ganz die Gestalt, die man an Scott's Stelle setzen würde, könnte man sich der Erinnerung an den wirklichen Scott entschlagen.« Die hier beschriebene Persönlichkeit ist der Essayist, Novellist und Dichter John Wilson, Verfasser der Noctes Ambrosianae, Herausgeber von Blackwood's Magazine und Professor der Moralphilosophie an der Universität Edinburg. Als Autor bediente er sich des Pseudonyms Christopher North, unter dem er allgemein bekannt wurde. – D. Uebers.
Und auch die gewöhnlichsten Zwischenfälle des Besuchs entbehren jetzt nicht des Interesses für uns, insofern sie Dickens' eigenes Bild vervollständigen helfen. »Allan hat mich den ganzen Morgen umhergeführt. Er und Fletcher sind jetzt bei einer Versammlung des Festcomités und ich benutze diese Gelegenheit, Dir zu schreiben. Sie speisen heute Abend bei uns, nach dem Essen werden wir ins Theater gehen. Mac Jan spielt dort. Ich beabsichtige, ihm noch vorher meine Aufwartung zu machen. Wir sind schon für jeden Tag unsres Aufenthalts engagirt; aber die Leute, die ich gesehen habe, begegnen mir so herzlich und warm, daß viel von dem Schrecken des Löwenthums dabei verschwindet. Es freut mich zu hören, daß sie mir am Freitag das Andenken Wilkie's als Trinkspruch übertragen wollen. Hätte ich die Wahl gehabt, so würde mir dies vor allen andern zugesagt haben. Theile dies Alles an Mac Maclise. mit. Ich wollte, Ihr wärt Beide hier. Ihr müßt am Freitag zusammen in Gray's-Inn diniren und an mich denken. Wenn ich nicht mein erstes Glas Wein auf Euer Wohl trinke, so mögen mir meine Pistolen versagen und meine Stute sich die Schulter verrenken. Alle möglichen Empfehlungen von Kate. Sie ist mit Miß Allan hingegangen, ihr Geburtshaus zu sehen. Schreibe mir bald und lang.«
Sein nächster Brief wurde am Morgen nach dem Festessen, am Sonnabend den 26. Juni, geschrieben. »Die große Begebenheit ist vorüber und da sie vorüber ist, bin ich wieder ein Mensch. Es war das Glänzendste, was Du Dir denken kannst, ein großer Erfolg, von Anfang bis zu Ende. Der Saal war gedrängt voll und mehr als siebenzig Applicationen um Billette mußten gestern abgewiesen werden. Wilson war krank, raffte sich aber auf wie ein Löwe und sprach vortrefflich. Die Reden waren im Allgemeinen gut, aber die von Dickens selbst im Text gegebene Beschreibung wird hier als genügend erachtet werden. Einige Sätze aus Wilson's Rede müssen wir jedoch mittheilen, um den Ton seines Lobes zu zeigen und ich will nur die Bemerkung vorausschicken, daß Dickens Erwiederung sowie der Tribut, den er Wilkie darbrachte, in sehr glücklich gewählten Ausdrücken vorgetragen wurde und daß Peter Robertson die Gesellschaft in einen Lachkrampf versetzt zu haben scheint durch seine Nachahmung von Dominic Sampson's »Außer-ord-ent-lich«, bei einer erdichteten Zusammenkunft zwischen diesem würdigen Schulmeister und Mr. Squeers von Dotheboys. Ich citire jetzt aus Professor Wilson's Rede:
›Unser Freund hat sich auf den gewöhnlichen Bahnen des Lebens ungethan, er hat sich mit den niedern Klassen der Gesellschaft bekannt gemacht. Er hat sich nicht abschrecken lassen durch den Anblick des Lasters und der Gottlosigkeit und des Elends und der Schuld, einen Geist des Guten zu suchen in dem Bösen, sondern hat sich durch die Macht seines Genius bestrebt, was gemein war umzuwandeln in Etwas, das kostbar ist wie geschlagenes Gold. . . . Aber wenn ich noch lange so fortfahre – was sich für mich nicht passen würde – werde ich zu einer kritischen Darstellung des Genies unsres berühmten Gastes verleitet werden. Eine solche will ich nicht versuchen; allein ich kann nicht umhin, in einigen schwachen Worten die Freude auszudrücken, welche jede menschliche Brust über den liebevollen Geist empfindet, der alle seine Schöpfungen durchdringt. Was für ein gütiger und guter Mensch er ist, brauche ich nicht zu sagen, ebensowenig als was für eine Kraft des Genies er erworben hat durch jene tiefe Sympathie mit seinen Mitgeschöpfen, einerlei, ob sie im Wohlstand und Glück leben oder von Unglück überwältigt sind, die aber doch nicht unter ihrem Elend erliegen, sondern auf die Stärke ihrer Ausdauer, auf jenen Grundsatz der Wahrheit und der Ehre und der Rechtschaffenheit vertrauen, der ungebildeten Geistern nicht fremd ist und in den niedrigsten Hütten ebenso lebendig gefunden wird wie in den Hallen des Adels und den Palästen der Könige. Dickens ist auch ein Satyriker. Er satyrisirt das menschliche Leben, aber er satyrisirt es nicht, um es zu entwürdigen. Er will nicht das Hohe zu dem Niedrigen herabreißen. Er sucht nicht, alle Tugend als ein hohles Ding darzustellen, auf das man nicht bauen könne. Er satyrisirt nur die Hartherzigen und die Selbstsüchtigen und die Grausamen. Unser berühmter Gast mag uns noch keine volle und vollständige Schilderung des weiblichen Charakters gegeben haben. Aber eins hat er gethan: er hat sich bemüht, die Frauen als nicht bloß durch die Künste der höhern Bildung, so elegant und anmuthig dieselben auch sein mögen, reizend darzustellen. Er hat diese Künste der höhern Bildung nicht als ihr wahres Wesen geschildert, sondern vielmehr von ihnen gesprochen als beseelt von Liebe zur Häuslichkeit, von Treue, von Reinheit, von Unschuld, von Liebe und von Hoffnung, durch welche sie in den Stand gesetzt werden, unter den schwierigsten Umständen ihre Pflichten zu erfüllen und die über ihren Pfad in dieser Welt Lichtblicke vom Himmel fallen lassen. Dickens mag versichert sein, daß in ganz Schottland ein Gefühl des Wohlwollens, der Zuneigung, der Bewunderung und der Liebe für ihn herrscht und ich bin fest überzeugt, daß das Bewußtsein dieser Gefühle ihn glücklich machen muß.‹
Ich schicke Dir anbei eine Zeitung, aber der Bericht ist höchst trübselig. Man sagt, ein besserer wird nachfolgen – ich weiß nicht wo und wann. Falls er erscheint, werde ich ihn Dir schicken. Ich glaube (ahem!) daß ich ganz gut gesprochen habe. Der Saal war vortrefflich und aus den beiden Gegenständen (Wilson und die schottische Literatur und das Andenken Wilkie's) ließ sich etwas machen. Es waren fast zweihundert Damen zugegen. Die Anordnungen waren so getroffen, daß der Quertisch außerordentlich hoch über die Köpfe der unten sitzenden Leute hervorragte und als ich zuerst hineinkam, war die Wirkung (ich meine auf mich) ungeheuer. Allein ich war vollkommen gefaßt und trotz des gewaltigen Enthusiasmus kühl wie eine Gurke. Ich wollte, Du wärest dagewesen, da es für den »berühmten Gast« unmöglich ist, die Scene zu beschreiben. Nichts in der Welt läßt sich damit vergleichen.« . . .Der Brief schloß folgendermaßen: »Ich habe jeden Tag erwartet von Dir zu hören und beabsichtige, da ich nicht von Dir gehört habe, diesen Brief so kurz zu fassen als möglich. Wir werden nächsten Sonntag, d. h. morgen über acht Tage, aufbrechen. Heute gehen wir zu Jeffrey hinaus (er ist sehr unwohl) und kehren morgen Abend hierher zurück. Wenn ich bei meiner Rückkehr keinen Brief von Dir finde, so erwarte Du auch keine Lichter und Schatten des schottischen Lebens von Deinem erzürnten Correspondenten. Theaterdirektor Murray sprach auf sehr vortreffliche, geschmackvolle und zarte Weise über Macready, über den Wilson während des Festessens verschiedene Fragen an mich gerichtet hatte.« »Tausend Dank für Deinen Brief«, schreibt er vier Tage später. »Ich las ihn diesen Morgen mit der größten Befriedigung und Freude und beantworte ihn mit ditto ditto. Wo soll ich anfangen? – bei meinen kleinen Lieblingen? Ich bin entzückt über Charley's Frühreife. Er schlägt nach seinem Vater, fürwahr. Gott segne sie! Du kannst Dir nicht vorstellen (Du! wie könntest Du!), wie ich mich danach sehne, sie zu sehen. Es macht mich ganz traurig, an sie zu denken . . . Gestern, Sir, votirten mir der Lord Provost, der Stadtrath und die Magistrate durch Acclamation das Bürgerrecht der Stadt, zum Beweise (ich citire den eben empfangenen Brief von »James Forest, Lord Provost«) ›der hohen Achtung, welche sie vor Ihren ausgezeichneten Talenten als Schriftsteller hegen‹. Ich dankte heute morgen in angemessenen Ausdrücken für die Ehre, die sie mir und durch mich dem Berufe, dem ich mich gewidmet, erwiesen hatten. Du mußt selbst sagen, daß das hübsch ist.«
Die Pergamentrolle mit dem Bürgerrecht, worauf die Gründe verzeichnet standen, weshalb es ihm zuerkannt wurde, hing bis zuletzt eingerahmt in seinem Studirzimmer und war eins seiner hochgehaltenen Besitzthümer. Als Antwort auf eine meiner Fragen erzählte er mir noch mehr von den Rednern und gab einige belustigende Einblicke in den Parteigeist, der damals in der Hauptstadt des Nordens noch sehr hoch ging.
»Die Leute, die bei dem Festessen sprachen, waren sämmtlich die hervorragendsten Männer hier, meistens Advokaten. Sie waren alle abwechselnd Whigs und Tories, nebst einigen wenigen Radikalen, wie Gordon, der einen Trinkspruch auf das Andenken von Burns ausbrachte. Er ist Wilson's Schwiegersohn und der Neffe des Lord-Advokaten, ein wirklich meisterhafter Redner, der ein ausgezeichneter Mann werden sollte. Neaves, der einen Trinkspruch auf die andern Dichter ausbrachte (etwas zu advokatenartig für meinen Geschmack), ist ein Koryphäe in den Gerichtshöfen. Mr. Primrose ist Lord Rosebery's Sohn. Adam Black, den Verleger, kennst Du. Dr. Alison, ein sehr volksthümlicher Freund der Armen. Robertson kennst Du. Allan kennst Du. Colquhoun ist ein Advokat. Alle diese Männer wurden für die Trinksprüche ausgewählt, weil sie vortreffliche Redner, bekannte Leute und in politischer Beziehung einander sehr entgegengesetzt waren. Aus diesem Grunde hielten die Professoren und so fort, die um mich her auf der Platform saßen, keine Reden und wurden nicht zum Reden aufgefordert. Es kam mir sehr merkwürdig vor, eine solche Anzahl grauköpfiger Männer um meine braun herabwallenden Locken versammelt zu sehen und es brachte auf die meisten Anwesenden einen starken Eindruck hervor. Die Richter, der Ober-Staatsanwalt, der Lord-Advokat und so fort besuchten uns alle hier, den Tag nach unsrer Ankunft. Die Richter gehen in Schottland nie zu öffentlichen Festessen. Nur Lord Meadowbank hat sich an diese Sitte nicht gekehrt und keiner seiner Nachfolger hat ihn nachgeahmt. Es wird Dir eine gute Vorstellung von dem hier herrschenden Parteigeist geben, wenn ich Dir sage, daß der Oberstaatsanwalt und der Lord-Advokat, obgleich sie schon zugesagt hatten, sich weigerten zu kommen, wenn der Croupier oder der Vorsitzende nicht ein Whig wäre. Beide (Wilson und Robertson) waren Tories, und zwar einfach deshalb, weil, mit Ausnahme Jeffries, kein Whig zu finden war, der für das Amt paßte. Der Oberstaatsanwalt schärfte es Napier dringend ein, nicht zu gehen, wenn kein Whig den Vorsitz führte. Kein Whig führte den Vorsitz und er blieb weg. Das ist herrlich, besonders wenn man bedenkt, daß sämmtliche alte Whigs von Edinburg sich bei dem Festessen die Kehle heiser schrieen. Sie erklären, sie seien krank gewesen und der Staatsanwalt lag faktisch den ganzen Nachmittag im Bette; aber der eigentliche Grund war der eben erwähnte und einer der Richter theilte mir dies mit großer Heiterkeit mit. Es scheint, daß sie, ihrer Meinung nach, sich nicht ganz auf Wilson und Robertson verlassen konnten und eine Tory-Demonstration fürchteten. Nichts derartiges fand statt; und seitdem haben eben diese Leute am lautesten das Lob der ganzen Geschichte gesungen.«
Der Schluß seines Briefes berichtet über alle an ihn ergangene Einladungen und vervollständigt sein erfreuliches Gemälde von dem ihm zu Theil gewordenen herzlichen schottischen Willkommen. Es finden sich auch einige persönliche Züge darin, die der Aufbewahrung werth scheinen. »Gestern Abend erreichte mich (es scheint, als ob sie in ihren Zeitungen einige Zeit daran gehämmert haben) die Drohung eines Festessens in Glasgow. Da ich aber falsche Gerüchte über meine ferneren Pläne in Umlauf gesetzt habe, hoffe ich, fortzukommen, ehe sie mir die Einladung schicken und dort nur auf meinem Rückwege anzuhalten, um die Pferde zu wechseln und nach dem Postamt zu schicken. . . . Es wird Dir angenehm sein zu hören, wie wir gelebt haben. Hier ist eine Liste unserer vergangenen und künftigen Engagements. Am Mittwoch dinirten wir zu Hause und gingen Abends incognito ins Theater, in Murray's Loge: die Stücke wurden vortrefflich aufgeführt und Mc Jan war in den Two Drovers ganz wunderbar und sehr ergreifend. Am Donnerstag zu Lord Murray, Dîner und Abendgesellschaft. Freitag, das Festessen. Sonnabend zu Jeffrey, der etwa eine Stunde von hier ein schönes Haus bewohnt (Craig-crook, das ich auf Lord Jeffrey's Einladung später noch einmal mit ihm besuchte), blieben die Nacht dort, dinirten mit ihm am Sonntage und kehrten um 11 Uhr nach Hause zurück. Am Montag Dîner bei Dr. Allison, vier Meilen von hier. Am Dienstag, Dîner und Abendgesellschaft bei Allan. Am Mittwoch, Frühstück bei Napier, Dîner bei Blackwood, sieben Meilen von hier, Abendgesellschaft bei dem Schatzmeister des Stadtraths, Abendessen mit sämmtlichen Künstlern. (!!) Donnerstag, Gabelfrühstück bei dem Ober-Staatsanwalt, Dîner bei Lord Gillies, Abendgesellschaft bei Joseph Gordon, einem der frühesten Anhänger Lord Brougham's. Freitag, Dîner und Abendgesellschaft bei Robertson. Sonnabend, wieder Dîner bei Jeffries; zurück ins Theater, Schlag halb neun, um vor dem Publikum zu erscheinen; Bei dieser Gelegenheit schlug, wie er mir später erzählte, das Orchester zu seinem eignen und dem Erstaunen seiner Freunde, zwei Fliegen mit einer Klappe, indem es bei seinem Eintritt, unter rauschendem Beifallsrufen, Charley is my Darling improvisirte. – ( Charley is my Darling ist der Titel und Refrain eines noch jetzt in Schottland volksthümlichen Liedes zu Ehren des Prätendenten Karl Stuart. – D. Uebers.) alle Plätze gefüllt &c. Sonntag um 7 Uhr Morgens nach Stirling und dann nach Callender, eine Station weiter. Tags darauf nach Loch-earn, wo wir auf drei Tage einkehren, um auszuruhen und zu arbeiten. Die Moral von diesem Allen ist, daß es keinen Ort gibt, der sich mit dem eignen Hause vergleichen ließe und daß ich Gott von Herzen danke, daß er mir ein ruhiges Gemüth gegeben hat und ein Herz, das nicht viele Leute halten will. Ich seufze nach Devonshire Terrace und Broadstairs, nach Rackett und Federball; ich möchte in einem Kittel mit Dir und Mac speisen und ich empfinde Topping's Verdienste tiefer als je zuvor in meinem ganzen Leben. Am Sonntag Abend, den 17. Juli, werde ich hoffentlich meine Hausgötter wieder sehen. Ich wollte, der Tag wäre da. Um alles in der Welt, erwarte mich! Ich möchte, daß Du und Mac mit Fred an diesem Tage in Devonshire Terrace dinirten. Er hat den Schlüssel zu dem Keller. Bitte, thut es! Wir werden am Dienstag über acht Tage in Inverary in den Hochlanden sein, wohin wir durch den Paß von Glencoe gehen, von dem Du wohl gehört hast. Am Donnerstag darauf werden wir in Glasgow sein, wo ich Deinen letzten Brief vor unserm Wiedersehn zu erhalten hoffe. Auch in Inverary werde ich fest darauf rechnen, wenigstens einen auf dem Postamt zu finden. Der kleine Allan bemüht sich nach Kräften um die Anstellung als Hofmaler, die durch Wilkie's Tod vakant geworden ist. Jedermann ist für ihn, mit Ausnahme von **, der für einen Andern arbeitet. Wenn Du ihn anstellen willst, will ich meinen Posten als Premier-Minister aufgeben. – Wie ich heute in dem Haufe, wo Scott siebenundzwanzig Jahre wohnte, frühstückte; wie ich feierliche Gelübde gethan habe, einen Artikel über vermißte Kinder für die Edinburgh Review zu schreiben und mein Bestes thun werde, sie zu halten; wie ich abgelehnt habe, ohne jede Kosten und obendrein mit der nöthigen Vermögens-Qualification, mich für eine schottische Grafschaft, die um einen Abgeordneten bettelt, ins Parlament wählen zu lassen, damit man nicht etwa meint, ich habe am Freitag unter falschen Vorwänden an dem Festessen theilgenommen – diese und andere Wunder sollen Dir später offenbar werden. . . . Ich muß hier rasch abbrechen, weil ich mich ankleiden und für den Ausflug zu dem anderthalb Meilen entfernten Dîner fertig machen muß. Kate grüßt herzlich. Meine besten Grüße an Mac und Grim.« Grim war ein andrer großer Künstler, dessen Namen auf dieselbe Art anfing und dessen tragische Studien Dickens veranlaßt hatten, ihm einen Beinamen zu geben, der auf seine persönlichen Eigenschaften ganz unanwendbar war. Macready, der schon öfter erwähnte berühmte Schauspieler. Das englische Grim entspricht dem deutschen grimmig, schrecklich. – D. Uebers.
Die Erzählung des Ausflugs in die Hochlande muß ein Kapitel für sich und seine abenteuerlichen und komischen Vorfälle haben. Die letzteren waren hauptsächlich dem Führer zuzuschreiben, der ihn begleitete, selbst einem Quasi-Hochländer, den wir schon oben als Mr. Kindheart nannten, dessen wirklicher Name Angus Fletcher war und den ich kaum weiter zu erwähnen brauche, außer in den künftigen Bemerkungen über ihn, welche die Briefe meines Freundes enthalten. Er besaß eine launenhafte Art von Talent, das er nie auf ein festes Ziel zu concentriren vermochte, und obgleich er um die Zeit, als wir zuerst mit ihm bekannt wurden, den Beruf eines Bildhauers ergriffen hatte, gab er denselben doch bald nachher auf. Seine Mutter, eine durch viele bemerkenswerthe Eigenschaften ausgezeichnete Dame, wohnte damals in dem englischen See-Distrikt und es war nicht ihre Schuld, daß diese Heimath nicht mehr ihres Sohnes Heimath war. Was sie ihm aber besonders verschlossen hatte, war unzweifelhaft das Geheimniß der Neigung, welche Dickens für ihn empfand. Fletcher's Excentricitäten und Thorheiten, die oft nur durch die dünnste Scheidewand von der tollsten Ausschweifung getrennt, aber gelegentlich geistreich und immer der echte, obschon grillenhafte Auswuchs des Lebens waren, das er führte, hatten einen eigenthümlichen Reiz für Dickens. Er freute sich an der Sonderbarkeit und dem Humor, ertrug alles Andre und öffnete während der nächsten Jahre, in Italien wie in England, Niemandem sein Haus mit größerer Gastfreiheit als Mr. Kindheart. Das Lebensende des armen Menschen war leider in nur zu genauer Uebereinstimmung mit seinem ganzen früheren Lebenslauf; doch hierüber später mehr. Jetzt wartet er darauf, Dickens in die Hochlande einzuführen.
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