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Philadelphia, Washington und der Süden.
1842.
Dickens' nächster Brief wurde in dem ›United-States Hotel, Philadelphia‹ angefangen und war datirt ›Sonntag, 6. März 1842‹. Er handelte von manchen Dingen, die später in den » Noten« ausführlicher dargestellt wurden, aber die Frische und Lebhaftigkeit der darin niedergelegten Eindrücke haben mich überrascht. Ich theile hier jedoch keine Stellen mit, die nicht ganz unabhängig von dem Inhalte des Buches ein selbständiges Interesse haben. Als Regel wird es mir auch hier, wie bei den schon gegebenen Auszügen, dienen, daß ich nichts mittheile, was schon vorher gedruckt war, oder was auch nur eine entfernte Aehnlichkeit mit den Beschreibungen hat, die sich in den » Noten« finden.
»Da dies wahrscheinlich der einzige ruhige Tag ist, den ich auf eine lange Zeit haben werde, widme ich ihn dem Schreiben an Dich. Wir haben noch Nichts von Dir gehört Oben auf dem Briefbogen, über der Adresse und dem Datum, stehen die Worte: »Lies weiter. Wir haben Deine lieben Briefe, aber Du wirst zuerst denken, daß wir sie noch nicht haben. C. D.« und unser einziger Trost ist der Gedanke, daß die Columbia sich jetzt auf dem Wege hierher befindet. Von der Caledonia war gestern Nachmittag, als wir New-York verließen, keine Nachricht eingelaufen. Wir hätten New-York vorigen Dienstag verlassen sollen, wurden aber eine ganze Woche dort aufgehalten, weil Kate eine so schlimme Halsentzündung hatte, daß sie das Bett hüten mußte. Wir reisten gestern Nachmittag um fünf Uhr ab und kamen hier gestern Abend um 11 Uhr an. Beiläufig will ich bemerken, daß das Klima äußerst beschwerlich ist.
»Ich habe oft Amerikaner in London gefragt, welche Eisenbahnen besser seien – unsre oder ihre? Sie haben sich Zeit zum Nachdenken genommen und gewöhnlich nach reiflicher Ueberlegung erklärt, daß den unsern der Vorzug gebühre, in Hinsicht auf die Pünktlichkeit, mit der wir an unsern Stationen ankämen und auf die Sanftheit unsres Fahrens. Ich wollte, Du könntest sehen, was eine amerikanische Eisenbahn ist, in einigen Gegenden, wo ich sie jetzt gesehen habe. Ich will nicht sagen, ich wünsche Du könntest fühlen, was sie ist, weil das ein unchristlicher und barbarischer Wunsch sein würde. Sie ist nie eingehegt oder umzäunt. Man geht die Hauptstraße einer großen Stadt hinunter und bautz! über Hals und Kopf, durcheinander, die Mitte der Straße hinunter, indeß Schweine darin umherwühlen und Jungen ihre Drachen fliegen lassen und mit Knipperkugeln spielen und Männer rauchen und Frauen reden und Kinder ganz dicht an den Schienen umherkriechen, kommt eine tolle Locomotive mit ihrem Wagenzuge dahergefegt, streut ein glühendrothes Schauer von Funken (von ihrem Holzfeuer) nach allen Seiten, schreit, zischt, gellt und keucht und Niemand kümmert sich einen Deut mehr darum, als wäre sie hundert Meilen entfernt. Man überschreitet eine Chaussee und Nichts, kein Thor, kein Polizeimann, kein Signal hält den Wandrer oder den ruhigen Reisenden aus dem Wege, als ein hölzerner Bogen, worauf in großen Buchstaben geschrieben steht: ›Man schaue nach der Locomotive aus‹. Und wenn ein Mann, eine Frau oder ein Kind nicht danach ausschaut, nun, so ist es ihr eigner Fehler und damit hat die Sache ihr Ende.
»Die Waggons gleichen sehr schäbigen Omnibussen – nur sind sie größer, denn sie fassen 60–70 Leute. Die Sitze sind nicht der Länge nach sondern kreuzweise angebracht, mit dem Rücken nach der Vorderseite. Ein jeder Sitz faßt zwei Personen. Eine lange Reihe derselben befindet sich auf jeder Seite des Waggons und ein enger Gang in der Mitte. Die Fenster sind gewöhnlich alle geschlossen und sehr oft ist außerdem ein heißer, enger, unerträglicher, in rother Hitze glühender Kohlofen da. Die Hitze und die Beklommenheit sind völlig unaushaltbar. Aber das ist für alle amerikanischen Häuser, alle öffentlichen Institute, Kapellen, Theater und Gefängnisse charakteristisch. Durch den beständigen Gebrauch der harten Anthracitkohle in diesen bestialischen Oefen entsteht eine ganz neue Classe von Krankheiten im Lande. Ihre Wirkung auf einen Engländer läßt sich kurz beschreiben. Er fühlt sich fast immer übel und ohnmächtig und hat ein unerträgliches Kopfweh, Morgens, Mittags und Nachts.
»In dem Damenwaggon ist das Tabakrauchen verboten. Alle Herren, die Damen bei sich haben, reisen in diesem Waggon und er ist gewöhnlich sehr voll. Vor ihm ist der Herrenwaggon, der etwas enger ist. Da ich gestern dicht an einem Fenster saß, welches diesen Herrenwaggon beherrschte, sah ich nothgedrungenerweise ziemlich oft hinein. Die Speichelstrahlen fuhren auf dem ganzen Wege so beständig und unaufhörlich aus den Fenstern, daß es aussah, als ob man drinnen Federbetten offen schnitte und den Wind mit den Federn spielen ließe. Aber dies Spucken ist allgemein. In den Gerichtshöfen hat der Richter seinen Spucknapf auf der Bank, die Advokaten haben die ihrigen, der Zeuge hat den seinigen, der Gefangene hat den seinigen und der Ausrufer hat den seinigen. Die Geschworenen werden je drei Mann mit einem Spucknapf (oder Spuckkasten, wie man es hier nennt) versehen und die Zuschauer in der Galerie werden versorgt wie Leute, die im Laufe der Natur ohne Aufhören expectoriren. Es sind Spuckkasten in jedem Dampfboot, jedem Gastzimmer, öffentlichen Speisesaal, Büreau und allen öffentlichen Lokalen, welcher Art sie auch sein mögen. In den Hospitälern werden die Studenten durch Anschlagzettel ersucht, die für sie bestimmten Kasten zu gebrauchen und nicht auf die Treppen zu spucken. Ich habe in Abendgesellschaften in New York zweimal Herren gesehen, die sich, wenn sie nicht in Unterhaltung begriffen waren, abwendeten und auf den Teppich des Salons spuckten. Und in jedem Gastzimmer und jedem Hotel-Corridor sieht der steinerne Fußboden aus als wäre er mit offenen Austern gepflastert – wegen der Menge dieser Art von Niederschlag, die ihn in seiner ganzen Ausdehnung würfelt. . . .
»Die öffentlichen Institute in Boston und Hartford sind bewundernswürdig. Es würde sehr schwer halten, sie zu verbessern. Aber dies ist nicht der Fall in New-York, wo sich ein schlechtverwaltetes Irrenhaus, ein schlechtes Gefängniß, ein trübseliges Armenhaus und ein völlig unerträgliches Polizeigefängniß befindet. Man findet einen Menschen betrunken in der Straße und wirft ihn in eine Zelle unter der Oberfläche der Erde, vollkommen finster, so voll von schädlichen Dünsten, daß, wenn man mit einem Lichte hineintritt, sich ein Ring um dasselbe bildet, wie der Ring, der den Mond in feuchtem und nebligem Wetter umgibt und so widerwärtig und ekelhaft in seinen schmutzigen Gerüchen, daß der Gestank unerträglich ist. Er wird hinter einer eisernen Thüre in einer Reihe gewölbter Gänge eingeschlossen, wo Niemand sich aufhält, hat keinen Tropfen Wasser, keinen Lichtstrahl, oder Besucher, oder Beistand irgend welcher Art; und da bleibt er bis zur Ankunft der Obrigkeit. Wenn er stirbt (wie ein Mann vor nicht langer Zeit that), wird er binnen einer Stunde halb von den Ratten aufgefressen (wie bei diesem Manne der Fall war). Ich drückte, als ich diese Orte neulich Abend sah, den Ekel aus, den ich empfand und den es unmöglich sein würde zu unterdrücken. ›Nun, ich weiß nicht,‹ sagte der Nachtconstabler – das ist, beiläufig bemerkt, eine nationale Antwort – ›Nun, ich weiß nicht. Ich habe hier sechsundzwanzig junge Frauen zusammen eingesperrt gehabt, und schöne auch, und das ist wahr.‹ Die Zelle war sicherlich nicht größer als der Weinkeller in Devonshire-Terrace, wenigstens drei Fuß niedriger und stank wie eine Kloake. Es war eine Frauensperson darin. Der Polizeirichter fängt seine Untersuchungen um fünf Uhr Morgens an; die Wache wird um sieben Uhr Abends aufgestellt; wenn die Gefangenen durch einen Polizeibeamten in Anklage versetzt sind, werden sie nicht vor neun oder zehn herausgeholt und während der Zwischenzeit bleiben sie an diesen Orten, wo man im Falle einer Ohnmacht oder eines Krankheitsanfalls ihr Hülferufen ebensowenig würde hören können, als man eines Menschen Stimme hört, wenn er in seinem Grabe eingesargt ist.
»In eben dieser Stadt und zwar in demselben Gebäude befindet sich ein Gefängniß, wo die wegen schwerer Verbrechen angeklagten Gefangenen ihren Proceß erwarten und wohin sie zurückgebracht werden, wenn sie ein neues Verhör zu bestehen haben. Zuweilen kommt es vor, daß ein Mann oder eine Frau hier zwölf Monate bleiben, wenn sie den Erfolg von Anträgen auf einen neuen Proceß, oder auf Verzögerung des Urtheils und auf was sonst nicht warten. Ich ging neulich hinein, ohne jede Anzeige oder Vorbereitung; da ich es sonst schwer finde, sie in ihrem werktäglichen Zustande anzutreffen. Ich stand in einem langen, hohen, engen Gebäude, das aus vier übereinanderliegenden Galerien bestand, über deren jede eine Brücke führte, auf der ein Schließer saß, schlafend oder lesend, wie es grade kam. Von dem Dache flatterten ein Paar Windsegel nieder, schlaff und nutzlos, denn das Gewölbfenster war fest geschlossen und jene nur zum Sommergebrauch bestimmt. In der Mitte des Gebäudes stand der ewige Ofen und an beiden Seiten jeder Galerie entlang war eine lange Reihe eiserner Thüren – die wie Ofenthüren aussahen, sehr klein, aber schwarz und kalt, als wäre das Feuer drinnen ausgegangen.
»Ein Mann mit Schlüsseln erscheint, um uns das Ganze zu zeigen. Ein gut aussehender Mensch und in seiner Weise höflich und gefällig.« (Ich lasse hier eine Unterredung aus, die der Hauptsache nach gedruckt ist und theile nur das mit, was hier zum erstenmal erscheint.)
»›Gesetzt, daß Jemand zwölf Monate hier ist. Ist es wahr, daß er dann nie aus jener kleinen eisernen Thür herauskommt?‹
»›Er kann vielleicht zuweilen herauskommen – aber nicht viel.‹
»›Wollen Sie mir einige von den Gefangenen zeigen?‹
»›Ah! Alle, wenn Sie wollen.‹
»Er öffnete eine Thüre und ich sah hinein. Ein alter Mann saß auf seinem Bett und las. Das Licht fiel durch eine kleine Spalte, hoch in der Mauer, herein. Durch das Zimmer führte eine dicke eiserne Röhre zur Entfernung des Schmutzes; diese war für die Aufnahme von etwas einem großen Trichter Aehnlichen gebohrt und über dem Trichter befand sich ein Wasserhahn. Das war zugleich sein Waschapparat und sein Abtritt. Es war nicht wohlriechend, aber auch nicht sehr anstößig. Er blickte zu mir auf, schüttelte sich auf eine seltsame verdrießliche Weise und heftete die Augen wieder auf das Buch. Ich trat hinaus und die Thüre wurde geschlossen und verriegelt. Er war einen Monat dort gewesen und hatte noch einen Monat auf seinen Proceß zu warten. ›Ist der nun zum Beispiel je herausgekommen?‹ ›Nein.‹ . . .
»›In England haben selbst die Gefangenen, die zum Tode verurtheilt sind, einen Hof, wo sie zu gewissen Zeiten spazieren gehen können.‹ – ›Ist es möglich?‹
»Nachdem er nur in einer kühlen Weise, die völlig unübersetzbar und unbeschreiblich, aber für das Land charakteristisch ist, diese Antwort gegeben hatte, führte er mich nach der Seite, wo die Frauen waren und erzählte mir unterwegs Alles über diesen Mann, der, wie es scheint, seine Frau ermordet hat und ganz gewiß gehängt werden wird. In den Thüren der Frauen befindet sich eine kleine viereckige Oeffnung. Ich blickte durch eine hindurch und sah einen hübschen Jungen von zehn oder zwölf Jahren, der äußerst einsam und elend schien, wie er wohl mochte. ›Was hat der gethan?‹ sage ich. ›Nichts,‹ sagt mein Freund. ›Nichts?‹ sage ich. ›Nein,‹ sagt er. ›Er ist hier um in sicherm Gewahrsam zu sein. Er sah seinen Vater seine Mutter ermorden und wird hier gefangen gehalten, um gegen ihn zu zeugen – das war sein Vater, den Sie eben gesehen haben.‹ ›Das ist aber eine etwas harte Behandlung für einen Zeugen, ist es nicht?‹ ›Nun, ich weiß nicht. Es ist kein sehr schlechtes Leben und das ist wahr.‹ So führte mein Freund, der in seiner Weise ein vortrefflicher Mensch und sehr gefällig und überdies ein hübscher junger Mann war, mich denn weiter, um mir noch einige Curiositäten zu zeigen und ich war ihm sehr dankbar dafür, denn der Ort war so heiß und ich so schwindelig, daß ich kaum stehen konnte. . . .
»Wenn Jemand in New-York gehängt wird, so führt man ihn aus einer dieser Zellen, ohne jede religiöse Formalität grade in den engen Gefängnißhof, der ungefähr die Weite von Cranbourne-Alley Ein enger Durchgang bei Leicester-Square in London. – D. Uebers. haben mag. Dort ist ein Galgen von sonderbarer Bauart aufgestellt. Denn der Schuldige steht auf der Erde mit dem Strick um den Hals, der über einen oben am ›Baume‹ (siehe den Kalender von Newgate passim) angebrachten Flaschenzug geht und an einem Gewichte befestigt ist, das etwas schwerer ist als der Mann. Wenn man dies Gewicht plötzlich fallen läßt, so zieht es den Strick mit hinunter und läßt den Verbrecher vierzehn Fuß hoch in die Luft fliegen, während der Richter und die Geschworenen und fünfundzwanzig Bürger (deren Anwesenheit durch das Gesetz geboten ist) dabei stehen, damit sie die Thatsache nachher bezeugen können. Dieser Hof ist ein höchst trübseliger Ort und als ich ihn mir betrachtete, schien mir das hiesige Verfahren dem unsrigen unendlich überlegen, viel feierlicher und viel weniger entehrend und unanständig.
»Noch ein andres Gefängniß, ein Zuchthaus, ist in der Nähe von New-York. Die Sträflinge arbeiten in nahe dabei gelegenen Steinbrüchen, aber das Gefängniß hat keine bedeckten Höfe oder Läden, so daß, wenn das Wetter naß ist (wie zu der Zeit als ich dort war), jeder Mann den lieben langen Tag in seiner Zelle eingeschlossen ist. Die Zellen sind in allen Zuchthäusern, die ich gesehen habe, nach demselben Plane eingerichtet – so:
»A, B, C und D sind die Mauern des Gebäudes, mit hoch oben in der Mauer angebrachten Fenstern. Der schwarz liniirte Platz in der Mitte stellt vier Reihen von Zellen dar, eine über der andern, mit eisernen Gitterthüren und einer hellen vergitterten Galerie für jede Reihe. Vier Reihen liegen nach B und vier nach D zu, so daß man auf diese Weise, indem man umhergeht, gewissermaßen acht Reihen sieht. In dem dazwischen liegenden weißen Raume geht man umher und blickt nach diesen Galerien hinauf, so daß man, wenn man bei der Thüre E hereinkommt, und entweder rechts oder links geht, bis man an die Thür zurückgelangt, alle Zellen unter einem Dach und in einem hohen Raume sieht. Stelle Dir vor, daß im Ganzen 400 Zellen da sind und daß in jeder ein Mann eingeschlossen ist, dieser mit seinen Händen durch die Eisenstangen seines Gitters greifend, jener im Bette (mitten am Tage, bedenke das) und ein andrer auf dem Fußboden ausgestreckt, mit dem Kopfe gegen die Eisenstangen, wie ein wildes Thier. Laß den Regen draußen in Strömen niedergießen. Setze den ewigen Ofen in die Mitte, heiß, erstickend und Dünste verbreitend, wie ein Hexenkessel. Füge einen Geruch hinzu wie von tausend alten, schimmligen, völlig durchnäßten Regenschirmen und tausend schmutzigen, muffigen, feuchten und übelriechenden Kleidersäcken und Du wirst eine Vorstellung haben – eine sehr schwache, mein lieber Freund, auf mein Wort – wie dieser Ort gestern vor acht Tagen war. Du weißt natürlich, daß wir unsre Verbesserungen in der Gefängnißdisciplin nach dem amerikanischen Muster vorgenommen haben, aber ich bin überzeugt, daß die Schriftsteller, welche die amerikanischen Gefängnisse am lustigsten loben, Chesterton's oder Tracey's Vergl. oben S. 253. Gebiet nie gesehen haben. Diese unsre beiden Gefängnisse lassen sich ebensowenig mit den Gefängnissen vergleichen, die ich hier bis jetzt gesehen, als ein Vergleich zwischen den hiesigen Gefängnißwärtern und jenen beiden Herren möglich ist. Abgesehen von der Schwierigkeit, in England für die Gefangenen nützliche Beschäftigung zu finden (die natürlich aus dem Umstand entspringt, daß wir ein älteres Volk sind und sehr viele unbeschäftigte Arbeiter haben), ist unser System in jeder Hinsicht vollständiger, eindringlicher und befriedigender. Es ist sehr möglich, daß ich noch nicht in das beste Gefängniß gekommen bin, da ich Mount Auburn nicht gesehen habe. Ich werde Dich's wissen lassen, wenn dies der Fall ist. Und auch wenn ich in jene von Miß Martineau etwas unbestimmt erwähnten Gasthöfe komme, wo man literarischen Leuten wegen der Neigung, welche die Wirthe für sie empfinden, kleine Rechnungen macht. Ich bin bis jetzt nur mit Hotels bekannt geworden, wo man (vielleicht aus demselben Grunde) einem Manne, dessen Stellung ihm keine Einwendungen erlaubt, ungeheuerlich große Rechnungen ansetzt.«
Washington, Sonntag, 13. März 1842.
»In Bezug auf den letzten Satz, mein lieber Freund, muß ich Dir eine kleine Erfahrung mittheilen, die ich in Philadelphia machte. Meine Zimmer waren auf eine Woche bestellt, aber wegen Kate's Krankheit waren nur Mr. O. und das Gepäck abgegangen. Mr. O. speist immer an der Table d'Hôte, so daß unsre Zimmer während unsres Aufenthalts in New-York leer standen. Der Wirth berechnete mir nicht nur die Hälfte der vollen Miethe für die Zeit, während deren die Zimmer für uns reservirt wurden (was ganz in der Ordnung war), sondern auch für denselben Zeitraum neun Dollars per Tag Tischgeld für mich, Kate und Anne, während wir faktisch auf dieselben Kosten in New-York lebten!!! Ich machte hiergegen Einwendungen, wurde jedoch ganz kühl benachrichtigt, es sei so die Sitte (was, wie mir seitdem versichert wurde, eine Lüge war) und mir blieb weiter nichts übrig, als die Summe zu bezahlen. Was ließ sich sonst thun? Ich wollte um fünf Uhr Morgens mit dem Dampfschiff abfahren und der Wirth wußte sehr wohl, daß ich, wenn ich ein Item seiner Rechnung bestritte, den heiligen Zorn der Zeitungen auf mich herabziehen würde, die ohne Ausnahme in großen Buchstaben gefragt haben würden, ob das die Dankbarkeit des Mannes sei, den Amerika empfangen habe, wie es nie einen andern Mann empfangen, außer La Fayette?
»Ich ging vorigen Dienstag nach dem Eastern Penitentiary, bei Philadelphia, dem einzigen Gefängniß in den Vereinigten Staaten und, wie ich glaube, in der Welt, wo der Grundsatz hoffnungsloser, strenger und ungemilderter Einzelhaft, während der ganzen Dauer der Strafe, zur Ausführung gebracht wird. Es wird in wunderbarer Ordnung gehalten, ist aber ein schrecklicher, furchtbarer Ort. Die Inspectoren luden mich unmittelbar nach meiner Ankunft in Philadelphia ein, den Tag in dem Gefängniß zuzubringen und, nachdem ich mit meiner Besichtigung zu Ende gekommen, bei ihnen zu speisen, damit sie meine Ansicht über das System hören könnten. Ich brachte demnach den ganzen Tag damit hin, daß ich von Zelle zu Zelle ging und mich mit den Gefangenen unterhielt. Man machte mir die Sache so bequem als möglich und legte der freien Rede keines Gefangenen den mindesten Zwang auf. Wenn ich Dir einen Brief von zwanzig Bogen schriebe, könnte ich die Arbeit dieses einen Tages nicht beschreiben; ich will es daher aufsparen bis zu der glücklichen Zeit, wenn wir wieder um den Tisch in Jack Straw's Castle sitzen – Du und ich und Mac – und mein Tagebuch durchgehen. Die Eindrücke jenes Tages werden nie in meinem Geiste erlöschen. Notizen darüber aufzuzeichnen, wie ich gethan habe, ist eine Thorheit, denn sie sind über jede Macht der Zerstörung hinaus meinem Gedächtnisse eingeprägt. Ich sah Männer, die fünf Jahre, sechs Jahre, elf Jahre, zwei Jahre, zwei Monate, zwei Tage dort gewesen waren; einige, deren Zeit fast vorüber war und andre, deren Zeit erst eben begonnen hatte. . . . Auch Frauen, unter derselben Mannigfaltigkeit der Umstände. Jeder Gefangene, der in das Gefängniß kommt, kommt in der Nacht, wird gebadet und in die Gefängnißtracht gekleidet und dann wird ihm eine schwarze Kaputze über Gesicht und Kopf gezogen und er wird in die Zelle geführt, aus der er nie wieder herauskommt, ehe der ganze Termin seiner Haft erloschen ist. Ich sah einige mit demselben Grauen an, mit dem ich Menschen ansehen würde, die lebendig begraben und wieder aus der Erde ausgegraben wären.
»Wir speisten in dem Gefängniß; und nach dem Essen sagte ich ihnen, wie der Anblick mich ergriffen hätte und was für eine furchtbare Strafe es wäre. Ich verweilte hierbei; denn obgleich die Inspektoren äußerst freundliche und wohlwollende Männer sind, so zweifle ich doch, ob sie den menschlichen Geist hinreichend kennen, um zu wissen, was sie thun. Ja, ich bin gewiß, sie wissen es nicht. Ich legte, wie Jeder der das Institut gesehen hat, thun muß, Zeugniß ab für seine vorzügliche Verwaltung, fügte aber hinzu, daß Nichts eine solche Strafe rechtfertigen könne, außer, daß sie bei den Gefangenen eine Besserung bewirke. Daß sie für kurze Termine – mit etwa zwei Jahren als Maximum – meiner Ansicht nach, besonders nach dem, was sie mir über die gute Wirkung in gewissen Fällen erzählt hatten, vielleicht sehr wohlthätig sein möge; daß ich jedoch ihre Ausdehnung auf eine so lange Zeit für grausam und für nicht zu rechtfertigen halte, und daß ferner ihre Strafen für kleine Vergehen sehr strenge, um nicht zu sagen, barbarisch seien. Sie nahmen dies Alles auf wie Männer, denen es wirklich darum zu thun ist, freie Meinungsäußerungen zu hören und das Rechte zu thun. Und wir gefielen uns gegenseitig sehr und nahmen auf die freundschaftlichste Weise von einander Abschied.
»Sie schickten mich nach Philadelphia zurück in einem Wagen, in dem sie mich am Morgen hatten abholen lassen; und dann mußte ich mich eilig in meinen Abendanzug werfen und Kate zu Cary, dem Buchhändler, folgen, wo eine Gesellschaft war. Cary ist mit einer Schwester Leslie's verheirathet Charles Robert Leslie, von amerikanischen Eltern in London geboren, in Philadelphia erzogen, aber später den größten Theil seines Lebens in England ansässig. Er war einer der ausgezeichnetsten Vertreter des höhern Genre in der neueren englischen Malerschule, Königl. Akademiker, Professor der Malerei &c., starb 1859. – D. Uebers.. Es sind drei Mißes Leslie hier, sehr fein gebildete Damen und eine von ihnen hat alle Hauptbilder ihres Bruders copirt. Diese Copieen hängen im Zimmer. Wir entfernten uns sobald wir konnten und mußten am nächsten Morgen um fünf Uhr hinaus. Am Morgen hatte ich fünfhundert Leute empfangen und ihnen die Hände geschüttelt, so kannst Du Dir denken, daß ich ziemlich müde war. In der That muß ich mich sehr in Acht nehmen, das Rauchen und Trinken vermeiden, früh zu Bett gehen und besonders vorsichtig sein mit dem, was ich esse. . . . Du glaubst nicht, wie galleerregend und beschwerlich das Klima ist. An einem Tage ist es heißer Sommer, ohne einen Hauch von Luft, den nächsten zwanzig Grad unter dem Gefrierpunkt, mit einem Winde, der einem die Haut wie Stahl durchschneidet. Dieser Wechsel hat hier seit vorigem Mittwoch Abend mehreremal stattgefunden.
»Ich habe meine Reiseroute abgeändert und denke nicht nach Charleston zu gehen. Das Land ist, die ganze Strecke von hier, nichts als ein öder Sumpf; man hat eine schlimme Nacht-Küstenfahrt auf der Reise, die Aequinoctialstürme toben und Clay (beiläufig gesagt, ein allerliebster Mensch), den ich um Rath fragte, räth mir entschieden ab. Das Wetter ist dort drückend heiß; das Frühlingsfieber kommt heran und am Ende gibt es sehr wenig zu sehen. Wir gehen daher nächsten Mittwoch Abend nach Richmond, das wir am Donnerstag erreichen werden. Dort werden wir drei Tage bleiben; mein Zweck dabei ist, einige Tabacks-Plantagen zu sehen. Dann werden wir auf dem Jamesfluß zurückfahren nach Baltimore, wo wir bereits durchgekommen sind und wo wir zwei Tage bleiben werden. Hierauf werden wir sofort nach Westen aufbrechen, grade durch den riesenhaftesten Theil dieses Continents, über das Alleghanygebirge und durch eine Prairie.«
» Noch in Washington, 15. März 1842. . . . Es ist unmöglich, mein lieber Freund, Dir zu schildern, was wir fühlten, als Mr. O. (der ein furchtbar sentimentales Genie ist, aber aufrichtig interessirt für Alles, was uns angeht) hinkam wo wir am vorigen Sonntag dinirten und ein Billet hereinschickte, mit der Meldung, die Caledonia sei angekommen. Es war die Acadia, mit der Post der Caledonia. Nachdem wir wirklich ihrer Rettung versichert waren, war uns zu Muthe, als sei die Entfernung zwischen uns und der Heimath wenigstens um die Hälfte vermindert. Es herrschte hier überall große Freude, denn man hatte sie vollständig aufgegeben, aber unsre Freude war unbeschreiblich. Diese Nachricht kam durch Expreß. Gestern Abend erreichten uns Deine Briefe. Ich dinirte mit einem Club (denn ein Dîner dieser Art ist von Zeit zu Zeit unvermeidlich) und Kate schickte mir um neun Uhr ein Billet, worin sie mir anzeigte, die Briefe seien da. Aber sie öffnete sie nicht – was ich für heroisch halte – ehe ich nach Hause kam. Das war ungefähr um halb elf und wir lasen sie dann bis zwei Uhr Morgens.
»Ich will kein Wort über Deine Briefe sagen, außer daß Kate und ich zu einem Schluß gekommen sind, der mich bis in die Schuhe erbeben macht; denn wir entscheiden, daß die humoristische Erzählung Deine starke Seite ist und nicht die Staatsmänner der Republik. Eins der Hauptwerke Forsters führt den Titel: Statesmen of the Commonwealth (5 Bde.). – D. Uebers. Ich will kein Wort über Deine Nachrichten sagen; denn wie könnte ich in diesem Falle, während Du zu hören wünschest, was wir anfangen, der Versuchung widerstehen, ganze Seiten auf die lieben Kinder zu verwenden. . . .
»Ich besitze das Privileg des Zutritts zu den Sitzungssälen beider Häuser hier und gehe täglich hin. Sie sind sehr schön und bequem. Es kommt sehr viel schlechtes Reden vor, aber es sind auch sehr viele ausgezeichnete Männer in der gesetzgebenden Versammlung, wie John Quincey Adams, Clay, Preston, Calhoun und Andre, zu denen ich, wie ich kaum hinzuzufügen brauche, in die freundschaftlichsten Beziehungen getreten bin. Adams ist ein prächtiger alter Mann, fünfundsiebzig Jahre alt, aber noch immer von erstaunlicher Kraft, Gedächtniß, Gewandtheit und Muth. Clay ist vollständig bezaubernd, ein unwiderstehlicher Mensch. Auch aus dem Westen sind einige sehr edle Charaktergestalten da. Herrliche Menschen zum Ansehen, schwer zu täuschen, schnell bereit zum Handeln, Löwen an Energie, Crichtons an Reichthum der Fähigkeiten, Indianer an Schnelligkeit des Auges und der Gebärde, Amerikaner in warmem und edlem Streben. Es würde schwer halten, den Adel einiger dieser herrlichen Menschen zu hoch zu preisen.
»Wenn Clay sich zurückzieht, wie in diesem Monat geschieht, wird Preston der Führer der Whigpartei werden. Er versichert mir auf so feierliche Weise, daß der internationale Vertrag zum Schutze des literarischen Eigenthums angenommen werden soll und wird, daß ich beinahe anfange es zu hoffen, und ich werde, wenn dem so ist, das Recht haben zu sagen, daß ich ihn herbeigeführt habe. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie allgemein die Erörterung der Vortheile und Nachtheile eines solchen Vertrags geworden ist und ein welch lebhaftes Verlangen danach ich bei einem Theile des Volkes erweckt habe.
»Du erinnerst Dich, was * in England war. Könntest Du ihn nur hier sehen! Hättest Du ihn nur sehen können, als er uns neulich einen Besuch abstattete, wie er, unter dem furchtbaren Druck der Staatsangelegenheiten, zerstreut zu sein vorgab, wie er sich die Stirne rieb wie einer, der der Welt müde ist und eine erhabne Carrikatur Lord Burleigh's darstellte. Er ist der einzige von Grund aus unwirkliche Mensch, den ich auf dieser Seite des Meeres gesehen habe. Der Himmel stehe dem Präsidenten bei. Alle Parteien sind gegen ihn und er scheint wahrhaft unglücklich. Wir gehen heute Abend zu einem Levée zu ihm. Er hat mich für Freitag zum Dîner eingeladen; ich muß aber ablehnen, da wir morgen Abend mit dem Dampfschiff abfahren.
»Ich sagte, ich wollte nichts mehr über das amerikanische Volk schreiben, bis zwei Monate vorüber seien. Nachgedanken sind die besten. Ich werde nicht andrer Meinung werden und kann mich daher schon jetzt aussprechen – gegen Dich. Sie sind freundschaftlich, ernst, gastfrei, gütig, offen, sehr oft hochgebildet, weit weniger vorurtheilsvoll als man denkt, warmherzig, glühend und enthusiastisch. Sie sind ritterlich in ihrer allgemeinen Höflichkeit gegen die Frauen, zuvorkommend, gefällig, selbstlos; und wenn sie eine wirkliche Neigung zu einem Menschen fassen (wie, ich darf dies wol sagen, zu mir), ihm völlig ergeben. Ich habe Tausende von Leuten aus allen Ständen und Klassen empfangen und Keiner hat je eine beleidigende oder unhöfliche Frage an mich gerichtet – ausgenommen Engländer, die, wenn sie einige Jahre hier ansäßig gewesen sind, schlimmer sind als der Teufel in seinen schwärzesten Farben. Der Staat ist ein Vater für sein Volk, wacht mit väterlicher Sorge über alle arme Kinder, Schwangere, Kranke und Gefangene. Die gemeinen Leute leisten einem Beistand in den Straßen und würden sich gegen die Anerbietung eines Geldstückes empören. Der Wunsch, gefällig zu sein, ist allgemein und ich bin nie in einem öffentlichen Fuhrwerk gereist, ohne mit einer edel gesinnten Person bekannt zu werden, von der es mir leid that scheiden zu müssen und die in manchen Fällen viele Meilen weit herkam, um uns noch einmal zu sehen. Aber das Land gefällt mir nicht. Ich halte es für einen Engländer unmöglich, völlig unmöglich, hier zu leben und glücklich zu sein. Ich glaube, ich muß Recht damit haben, denn, Gott weiß, ich habe Alles, was mich zu dem entgegengesetztesten Schluß führen könnte und ich kann doch nicht umhin, zu diesem zu kommen. Was die Ursachen angeht, so sind deren zu viele, als daß ich hier darauf eingehen könnte. . . .
»Eine von zwei Petitionen um einen internationalen Vertrag zum Schutze des literarischen Eigenthums, mit Unterschriften amerikanischer Schriftsteller, Irving an der Spitze, die ich hierher brachte, ist dem Hause der Repräsentanten vorgelegt worden. Clay behält die andre, um sie dem Senat vorzulegen, nachdem ich Washington verlassen habe. Die bereits vorgelegte ist einem Comité überwiesen worden. Der Sprecher hat zum Vorsitzer desselben Mr. Kennedy, Abgeordneten für Baltimore, ernannt, der selbst Autor und einem solchen Gesetze, wie allgemein bekannt, günstig ist und ich werde ihm bei seinem Berichte helfen.«
»Richmond, in Virginien, Donnerstag Nacht, 17. März.
»Irving war gestern in Washington bei mir und weinte herzlich beim Abschied. Er ist ein prächtiger Mensch, wenn man ihn gut kennt, und Du, mein lieber Freund, würdest ihn vor allen Andern leiden mögen. Wir lachten zusammen über einige Absurditäten, denen wir in Gesellschaft begegnet sind, ganz in meinem lärmenden Devonshire-Terrace-Styl. Die amerikanische Regierung hat ihn, wie er sagt, in jeder Beziehung äußerst liberal und anständig behandelt. Irving ging damals als Gesandter nach Spanien. – D. Uebers. Er beabsichtigt am 7. April nach Liverpool abzusegeln, eine kurze Zeit in London zu bleiben und dann nach Paris zu gehen. Vielleicht wirst Du ihm begegnen. Sollte dies der Fall sein, so wird er wissen, daß Du mein liebster Freund bist und wird Dir sofort sein ganzes Herz öffnen. Sein Gesandtschaftssekretär, Mr. Coggleswell, ist ein Mensch von sehr bedeutenden Kenntnissen, ein großer Reisender, ein guter Sprecher und ein Gelehrter.
»Ich will Dir unsre Fahrt von Washington hierher beschreiben, da sie neun Meilen einer ›virginischen Straße‹ einschließt. Wenn das geschehen ist, muß ich mich kurz fassen, guter Bruder. . . .«
Der Leser der ›Amerikanischen Noten‹ wird sich der vortrefflichen und höchst humoristischen Beschreibung des Nacht-Dampfschiffs auf dem Potomac und des schwarzen Kutschers auf der virginischen Straße erinnern. Beide standen in diesem Briefe, den er nach drei Tagen wieder aufnahm ›In Washington, Montag, 21. März.‹
»Wir hatten von Richmond über einen Ort Namens Norfolk nach Baltimore gehen wollen, aber da eines der Schiffe grade ausgebessert wird, fand ich, daß wir in diesem Norfolk zwei Tage aufgehalten werden würden. Wir kamen deshalb gestern auf demselben Wege hierher zurück, den wir vorher gereist waren, blieben die Nacht hier und gehen heute Nachmittag vier Uhr nach Baltimore weiter. Es ist eine Fahrt von nur drittehalb Stunden. Richmond ist eine sehr hübsch gelegene Stadt, hat aber, wie andre Städte in den Sklavenstaaten (wie die Pflanzer selbst zugeben), ein Aussehen von Düsterkeit und Verfall, das für ein nicht daran gewohntes Auge höchst peinlich ist. In dem schwarzen Waggon (denn man läßt die Neger nicht zusammen mit den Weißen sitzen) auf der Eisenbahn, als wir hinfuhren, war eine Mutter nebst Familie, die das Dampfboot zum Verkauf abführen sollte, während der Mann (d. h. der Gatte und Vater) auf seiner Plantage blieb. Die Kinder weinten den ganzen Weg. Gestern, am Bord des Dampfschiffs, waren ein Sklavenhalter und zwei Constabler unsre Mit-Passagiere. Sie kamen hierher, um nach zwei Negern zu suchen, die den Tag vorher weggelaufen waren. Auf der Brücke in Richmond steht eine Warnungstafel gegen schnelles Hinüberfahren, weil sie verrottet und gebrechlich ist: Strafe – für Weiße fünf Dollars; für Sklaven fünfzehn Peitschenhiebe. Mein Herz ist erleichtert, als wäre ihm eine große Last abgenommen, wenn ich denke, daß wir diesem fluchwürdigen und verabscheuungswerthen System den Rücken kehren. Ich glaube wahrhaftig nicht, daß ich es länger hätte ertragen können. Es ist sehr schön zu sagen: ›Schweige über diesen Gegenstand!‹ Man will Dich nicht schweigen lassen. Man besteht darauf, Dich zu fragen, was Du davon denkst und läßt sich selbstgefällig über die Sklaverei aus, als wäre sie eine der größten Segnungen der Menschheit. ›Es ist nicht‹, sagte ein hart und schlecht aussehender Mensch neulich zu mir, ›es ist nicht im Interesse eines Mannes, seine Sklaven schlecht zu behandeln. Was ihr in England darüber hört, ist verfluchter Unsinn.‹ – Ich erwiederte ihm ruhig, daß es nicht im Interesse eines Menschen sei, sich zu betrinken, oder zu stehlen, oder zu spielen, oder sich irgend einem andern Laster hinzugeben, aber daß er es nichtsdestoweniger thue; daß Grausamkeit und der Mißbrauch unverantwortlicher Macht zwei der schlechten Leidenschaften der menschlichen Natur seien, mit deren Befriedigung Rücksichten des Interesses oder des Verderbens nichts zu thun hätten und daß, während jeder aufrichtige Mensch zugeben müsse, daß selbst ein Sklave unter einem guten Herrn glücklich genug sein könne, alle menschlichen Wesen wüßten, daß schlechte Herren, grausame Herren und Herren, welche eine Schande für die Menschheit seien, Gegenstände der Erfahrung und der Geschichte seien, deren Dasein ebenso unbestreitbar sei als das der Sklaven selbst. Diese Antwort überraschte ihn einigermaßen und er fragte mich, ob ich an die Bibel glaube. Ja, sagte ich, aber wenn Jemand mir beweisen könne, daß sie die Sklaverei gutheiße, werde ich ihr keinen Glauben mehr beimessen. ›Nun denn,‹ sagte er, ›bei Gott, Sir, die Neger müssen niedergehalten werden und die Weißen haben die Farbigen überall niedergehalten, wo sie ihnen begegnet sind.‹ Das ist die ganze Frage, sagte ich. ›Ja und bei Gott,‹ sagt er, ›die Engländer sollten lieber nicht auf diesem Punkte bestehen, wenn Lord Ashburton herüberkommt, Lord Ashburton wurde damals als Specialcommissar nach Amerika geschickt, um Streitigkeiten wegen des Gebietes von Maine zu regeln, die einen Krieg zwischen England und Amerika herbeizuführen drohten. Seine Mission endete friedlich mit dem nach ihm genannten Vertrage. – D. Uebers. denn ich bin nie so kriegerisch gestimmt gewesen als jetzt – und das ist wahr.‹ Ich mußte ein öffentliches Banquet in Richmond annehmen und ich sah dort klar genug, daß der Haß, welchen diese Südstaaten gegen uns als Nation hegen, durch die Kreolenfrage von neuem angefacht ist und kaum in übertriebener Weise geschildert werden kann. . . .
»Wir waren herzlich müde von Richmond, da wir sehr viele Orte besuchten und sehr viele Besucher empfingen. Zu diesem letzteren Zweck setzen wir gewöhnlich zwei Stunden täglich fest und haben um diese Zeit unsre Zimmer so voll, daß man sich kaum rühren oder athmen kann. Ehe wir Richmond verließen, sagte mir ein Herr, als ich so erschöpft war, daß ich kaum stehen konnte, ›drei sehr fashionable Personen‹ seien außerordentlich beleidigt, daß man ihnen, als sie mich gestern Abend hätten besuchen wollen, gesagt habe, ich sei müde und nicht sichtbar, würde aber am nächsten Tage von zwölf bis zwei zu Hause sein. Ein andrer Herr (ohne Zweifel auch ein sehr fashionabler) schickte mir, zwei Stunden nachdem ich, um mich für das Aufstehen um vier Uhr am folgenden Morgen vorzubereiten, zu Bette gegangen war, einen Brief mit Befehlen an den Sklaven, der ihn überbrachte, mich aufzuwecken und auf eine Antwort zu warten!
»Ich werde meinem Entschluß, keine öffentlichen Unterhaltungen mehr anzunehmen, zu Gunsten der Urheber des umstehenden gedruckten Dokumentes untreu werden. Sie wohnen an den Grenzen des Indianergebiets, zwei tausend Meilen oder mehr westlich von New-York. Stelle Dir vor, daß man mir dort ein Festessen geben will. Und doch wird, so Gott will, diese Festlichkeit stattfinden, – etwa am 12. oder 15. des nächsten Monats.«
Das gedruckte Dokument bestand aus einer Reihe von Beschlüssen, gefaßt in einer von den vornehmsten Bürgern, Richtern, Professoren und Doktoren von St. Louis gehaltenen öffentlichen Versammlung, die den berühmten Schriftsteller, jetzt den Gast Amerika's, dringend in jene Stadt des fernen Westens einluden, sein Genie priesen und ihm ihre wärmste Gastfreiheit darboten. Er war in Baltimore als er seinen Brief schloß.
»Baltimore, Dienstag, 22. März.
»Ich erkläre mich mit großem Mißtrauen gegen eine Vorstellung, die ein Mann von Maclise's Genius nach reiflicher Erwägung über irgend einen Gegenstand gefaßt hat.« (Er bezog sich, wie es scheint, auf eine Bemerkung von mir über das in jenem Jahre ausgestellte Bild der Theaterscene in Hamlet.) Aber ich stimme hinsichtlich des Königs im Hamlet ganz mit Dir überein. Da ich von Hamlet spreche, muß ich Dir auch sagen, daß ich den Shakespeare, den Du in Liverpool für mich kauftest, beständig in der Tasche meines Ueberrocks mit mir führe. Welch eine unsägliche Quelle des Genusses ist dies Buch für mich!
»Dein Ontario-Brief erreichte mich hier heute Abend; er wurde mir zugeschickt von dem wachsamen und treuen Colden, der Alles, was uns oder unsre Angelegenheiten betrifft, zu einer Arbeit der herzlichsten Liebe macht. Wir verschlangen gierig seinen Inhalt. Großer Gott, mein lieber Mensch, wie ich Dich vermisse! und wie ich die Zeit von jetzt bis zu meiner Heimkehr zähle! Werde ich je den Tag unsres Abschieds in Liverpool vergessen, als sogar * vergnügt und strahlend wurde in seinem Mitgefühl für unsre Trennung! Nie, nie werde ich die Zeit vergessen. Ach, wie ernst dachte ich damals und wie ernst habe ich seitdem viele, viele Male an die schreckliche Thorheit gedacht, sich je mit einem wahren Freunde wegen nichtsnutziger Kleinigkeiten zu überwerfen. Jedes unbedachte kleine Wort, das je zwischen uns vorgekommen ist, stieg wie ein strafender Geist vor mir auf. In dieser großen Entfernung blicke ich auf jede elende kleine Unterbrechung unsres warmen freundschaftlichen Verkehrs, wenn sie auch nie den Moment überdauerte, mit einer Art Mitleiden gegen mich selbst hin, als wäre ich ein anderes Geschöpf!
»Ich habe noch ein Accordion gekauft. Der Schiffsproviantmeister lieh mir eins auf der Herfahrt und ich traktirte die Damenkajüte mit meinem Spiel. Du kannst Dir nicht vorstellen, mit welchem Gefühl ich jeden Abend Home, Sweet Home spiele, oder in welch sanfte Trauer es uns versetzt. . . . Und so segne Dich Gott. . . . Ich lasse Raum für eine kurze Nachschrift, ehe ich dies zusiegle, aber sie wird wahrscheinlich Nichts enthalten. Die lieben, lieben Kinder! Welch ein Glück ist es, sie in solchen Händen zu wissen!
»P.S. 23. März 1842. Nichts Neues; und Alles wohl. Ich habe noch nicht gehört, daß die Columbia herein ist, aber sie wird stündlich erwartet. Washington Irving ist hierher gekommen um noch einmal Abschied zu nehmen Als Dickens bei seinem zweiten Besuch in Amerika im Februar 1868 in Washington war, beschrieb er, in seiner Antwort auf einen Brief, worin Irving erwähnt wurde, die oben angedeutete letzte Zusammenkunft und seinen Abschied von ihm auf folgende Weise: »Die Anspielung auf meinen lieben Freund, Washington Irving, hat die lebhaften Eindrücke, welche neulich in Baltimore in meinem Geiste erweckt wurden, erneuert. Ich sah sein schönes Gesicht in jener Stadt zum letztenmale. Er kam von New-York herüber, um noch einige Tage mit mir zu verleben, ehe ich nach Westen fuhr, und seine entzückende Phantasie und sein genialer Humor gesellten diese Tage den denkwürdigsten meines Lebens zu. Ein unbekannter Bewunderer seiner und meiner Bücher schickte eine ungeheure blumenumwundene Bowle Krausemünze-Kühltrank ( Mint-Julep) in das Hotel. Wir saßen mit großer Feierlichkeit zu beiden Seiten derselben (sie füllte einen respectablen runden Tisch an), aber die Feierlichkeit war von kurzer Dauer. Es war ein ganz verzauberter Kühltrank, der uns zu unzähligen Leuten und Orten trug, die wir beide kannten. Der Kühltrank reichte bis tief in die Nacht aus und ich sah in meinem Gedächtniß Irving später nie anders, als wie er sich mit seinem Strohhalm, mit einem angenommenen Ausdruck von Ernst (nach irgend einer Anekdote, die wunderbar drollige und zarte Charakterbeobachtungen enthielt) darüber hinbeugte und dann, wenn sein Auge dem meinen begegnete, in jenes bezaubernde Lachen überging, das hellste und beste, das ich je gehört habe.« und speist heute bei mir. Wir brechen um halb neun morgen früh nach Westen auf. Ich schicke Dir eine Zeitung, die respektabelste in den Vereinigten Staaten, mit einem sehr guten Artikel über den Vertrag zum Schutze des literarischen Eigenthums.«
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