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Etwa zwey Nächte nachher, während Thorstein immer noch auf der Dingstätte Wahlfeld zu schaffen hatte, geschah es, daß Jofridur von einem Töchterlein entbunden ward. – »Ein Töchterlein!« seufzte sie, als die umstehenden Frauen ihr das Geschlecht des Kindes nannten, und hüllte sich tief in ihre Decken. Die hülfreichen Freundinnen dachten sie zu erheitern, wenn sie die in der That recht wundersame Schönheit des neugebornen Mägdleins mit preisenden Worten erhüben, und so lobte denn Eine das reiche Goldgelock der Kleinen, die Andere deren tiefblaue, freundliche Augen, die Dritte den lieblich blühenden Mund, die Vierte die schneeig zarte Haut und die Rosenwängelein, indessen die Fünfte sich nicht genug an den zierlich zarten Händchen erfreuen konnten.
56 Frau Jofridur – denn jedes dieser Worte ward ihrem verletzten Mutterherzen wie zu einem Dolchstiche mehr – weinte unter ihren Decken heiß, aber so leise, würdig und still, daß keine von den fröhlichen Helferinnen dessen inne ward.
Als man ihr aber nun das Kind bringen wollte, daß sie es umarme und segne, sprach sie mit schnell getrockneten Augen und aus all ihren Zügen zurückgedrängten Jammer, sich feyerlich emporrichtend:
»Das ist ein wunderlicher Rath, noch erst in eine Mutter zu dringen, daß sie ihr liebes Kind segnen und liebhaben soll. Haltet Ihr das für nöthig, so gehet doch auch sorgsamlich hinaus, und gebiethet der nahenden Morgendämmerung, daß sie nun bald zu leuchten beginne, oder dem untersinkenden Mond, daß er einmahl noch sich glühroth färbe, und dann verschwinde. Wenn Ihr jedoch meint, das werde alles von selbst geschehen, auch sonder Euer Geboth, so könnt Ihr auch ohne Weiteres nach dieser durchwachten Nacht Eurer Ruhe pflegen. Und ich glaube, daran werdet Ihr am besten thun.«
Die Frauen gingen scheu von hinnen vor Frau Jofridurs strengen Worten, und Diese 57 behielt nur eine einzige Magd bey sich. Die schickte sie nach einem alten Schäfer in Thorsteins Dienst, welcher Thorwardur geheißen war, und Niemanden auf der Welt Liebes erzeugte, ausgenommen nach strenger Pflicht. Manche Leute wollten behaupten, dem Thorwardur sey in den frühesten Jünglingstagen sein Lieb recht häßlich untreu geworden, und nachdem er nun diesen Schmerz überwunden gehabt, sey es ihm so ziemlich einerley mit Lieb oder Leid.
Da erhub sich zwischen der Herrinn und ihm folgendes Gespräch:
»Du treuer Schäfer, Greis Thorwardur, willst Du von hinnen reiten in einem wichtigen Auftrage zu meinem Dienst?«
»Da müßt Ihr nicht erst fragen, Herrinn, ob ich will. Euch zu dienen geziemt mir, und was mir geziemt, das will ich immer.«
»Es soll aber ein Geheimniß bleiben vor Thorstein Deinem Herrn.«
»Das steht bey Euch, und nicht bey mir zu ermessen, Frau Jofridur, ob dem Hausherrn etwas geheim bleiben mag oder nicht.«
»Und wenn Du nimmer nun wieder kommen dürftest in diese Gegend von Deinem Ritte – wie dann?«
58 »Schafe gibt es allwärts zu hüthen, und Träume verschwundenen Glückes gibt es allwärts zu träumen. Was macht sich Schäfer Thorwardur eben Großes daraus, wo er hüthet und wo er träumt!«
»Weißt Du denn gar nichts mehr auf der Welt, als zu hüthen und zu träumen!«
»O ja, Herrinn! Auch Fechten kann ich wohl, wo es Noth ist. Und dann auch kann ich noch singen. Und eben des Singens wegen möcht' ich, Ihr schicktet mich an einen Ort, wo man unsere schöne alte Nordlandssprache versteht. Meint Ihr es aber anders – auch dann gut! man singt sich selber etwas vor, als wäre man zu Zweyen, und allenfalls auch findet man noch einen Wiederhall in Hain oder Kluft.«
»Du sollst nicht sehr weit, o Thorwardur; Du sollst vor der Hand auf Island bleiben. Und dann magst Du Dir nach Belieben einen andern Aufenthalt suchen, wo man gleichfalls unsere edle Nordlandssprache redet und singt.«
»Das ist mir lieb, Herrinn. Die Fremden sagen freylich, unser Nordland seye nicht schön. Wer aber einmahl darauf geboren ist, kann nicht gut wieder davon los.«
59 »Du sollst auch drey Mark Silbers haben, um Dir in anderer Gegend zu ersetzen, was Du hier etwa verlörest. Da! nimm sie hin.« –
»Das thu' ich nicht eben gern, Herrinn. Aber doch! Gebt nur her. Ich thu' es dennoch recht gern. Arm bin ich, wie ein Vogel, dem man die Eyer aus seinem Neste gestohlen hat, und Ihr würdet mir ja doch nun und nimmer Sold geben wollen zu einer schnöden That. – Was soll ich also ausrichten, Herrinn?« –
Da fing sie an zu weinen, und er blieb verwundert vor ihr stehen, aber in Demuth abwartend, was endlich daraus werden soll.
Endlich sprach sie, sich weiter erkräftigend in ihrem starken Geiste:
»Ziehe das schöne Graurößlein aus dem Stalle, worauf ich sonst wohl öfter zu reiten pflegte. Auch das muß Dein bleiben. Es darf nicht wiederkommen. – Kommt ja so Vieles nicht wieder in dieser armen, armen Welt! – Dem Graurößlein leg' einen Sattel recht sorgsam auf; denn recht bequem mußt Du dieß liebe Kind, das jetzt noch hier neben mir liegt, von hinnen tragen. O staune nicht so vor meinen Worten! (O staune Du auch vor meinen Blicken nicht!) 60 – Nach Hiardarholt mußt Du mit diesem armen, kleinen, bedroheten Mägdlein reiten. Nach Hiardarholt zu meiner Schwägerinn Thorgerdur, der Egilstochter. Dein Herr und Meister Thorstein aber darf nimmer andere Kunde hören, als: sein armes, kleines, schönes Töchterlein seye ausgesetzt. Und da geb' ich Dir auch Runentäflein für meines Eheherrn Schwester, und sie wird daraus lesen können, was in Deinem Bericht ihr noch ungewiß bleiben mag, denn sie ist ein sehr weises Weib. Und fördern wird sie Dich über Meer, Du treuer Hirte, noch ehe die herbstlichen Stürme zu blasen beginnen – hin, wo Du hinbegehrst.«
»Und für meine Ehre, des Flüchtlings Ehre, sorget Ihr, Frau Jofridur?« fragte der Hirt, aber mit einem Klange, welcher die Zuversicht der Bejahung schon in sich trug, und der jammervollen Mutter, die jetzt erschöpft zurückgesunken war, keinen Laut mehr abnöthigen sollte. Zugleich hob er das Kind in den weichen Decken sanft empor, und schritt leise von hinnen. Sich mit der lieblich ängstlichen Last auf das Graurößlein schwingend und von hinnen trabend, sang er in sich hinein: 61
Menschen mischen
Mancherley Thaten.
Wähnend wissen sie
Was soll gedeihen.
Anders doch immer
Erndtet die Saat sich,
Sinnender Sämann,
Als Du's ersannest!« 62