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Der Kaufherr, mit welchem Gunlaugur schiffte, hatte seine Richtung nach der Insel Irland genommen, und eben deßhalb hatte sich auch der Islandsjüngling dieses Schiff ausgesucht. Nach Eilanden stand ihm nun einmahl der ganze Sinn. Ihm war oftmahl in Träumen, als müsse an Inselstranden ihm ein Bild auftauchen, wie Schön-Helga, das er beschützen und verfechten dürfe, oder wohl gar Schön-Helga selbst, durch irgend ein wundersames Geschick dorthingetrieben. »Und findest du auch Schön-Helga nicht dort« – so flüsterten bisweilen wildere Gedanken ihm zu – »da findest du doch wohl Rafn, den Skalden, und magst ihn besiegen mit Zitherschlag und mit Schwertesschlag, den wunderlichen Gegner, der immer vielgepriesen und 98 noch nie gesehen vor dir hinschwebt, als fodre er dich zum Wettkampf heraus, und verschmähe doch im neckenden Übermuth, sich dir zu stellen!«
Wenn dann Gunlaugur von seinen starken Träumen erwachte, pflegte er wohl zu ihnen und zu sich selbst zu sprechen: »Ihr nächtigen Lüftegaukler, was wollt Ihr von mir? Und du wachend Bethörter, was vertrauest du ihnen?«
Aber er wußte dennoch in Wachen und Schlaf sich ihrer nicht zu erwehren.
Dießmahl, als er nun auf Irland aus dem Schiffe stieg, und sich einer edlen Burg, Duflinnur geheissen, nahete, hatten ihn schon wieder die Träume betrogen. Er fand dort weder Schön-Helga, noch Eine, die ihr ähnlich gesehen hätte, noch auch den Skalden Rafn, oder irgend einen Sänger, mit welchem er sich hätte in Wettkampf einlassen mögen.
Da droben herrschte in selbigen Tagen ein alter König, Sigtryggur geheissen, und weil man eben nicht viel anderes an ihm zu loben wußte, als sein ehrwürdiges Alter, hieß man ihn Sigtryggur Seidenbart. Denn, gleich weisser, schön gebleichter Seide hingen ihm die ehrsamen Barthaare über Lippen und Kinn bis auf den Gürtel herab.
99 »Der sieht fürwahr sehr hübsch aus! Ja möchte man beynahe sprechen: sehr herrlich!« dachte Gunlaugur bey sich, während er in König Sigtryggurs Halle trat, und der alte freundliche Mann ihn von dem Hochsitze so feyerlich und gütig ansah.
Deßhalb, als der Greis ihn huldreich befragte, aus welcher Absicht er hierhergekommen sey, entgegnete Gunlaugur:
»Dir ein Lied zu singen zu Deinem Preise, kam ich hierher, und, o König Sigtryggur, vergönne mir das!«
»Ey, von ganzem Herzen gern!« sagte der alte freundliche König. »Ein Skaldenlied zu meinem Preise anzustimmen, das ist – aufrichtig gesagt – noch Niemanden eingefallen, seitdem ich diese Lande beherrsche. Und darüber ist doch schon eine ziemliche Zeit vergangen. Singe, mein junger Gast! Und möchte ich Dich mit so vielen Freuden begrüssen und belohnen können, als schon Dein Erbiethen in mir erweckt!«
Seltsam bewegt von des alten, unberühmten Mannes Freude, sang der Skaldenjüngling folgendes Lied: 100
»Wallet Ihr Träume, wallende Liederträume,
Wallet, wie schaurige Winterflocken!
Schönes gelüstet Euch, schaurig zu singen?
Schauet schöngreisenden Königesbart an!
Herrliches Greisen Haupthaar blickt an!
Hochher funkelts in Silberlichtern!
Lockende Träume lauern in Locken;
Lauern ja nicht nur in Mägdleinslocken!
Schüttelt die schöngewaltigen Locken
Schneeweiß und schaurig ein Fürst, – nicht wißt Ihr
Was unter weissem Gewebe gereift ist!
Wendet vertrauend zum weissen Geweb' Euch!
Seidenbart! Du, seidnes Gespinst auch
Senkend vom Kinn, Sigtryggur, dich grüß' ich!
Räthsel reihen sich reich dir im Haupt wohl
Reich, wie um's Haupt dir die Silberlocken!«
»Das ist ein sehr lobenswerthes Lied!« sagte König Sigtryggur. »Seit sehr langer Zeit hab' ich kein so anständiges Lied vernommen; absonderlich von herumziehenden Skalden nicht. Dieser Sänger soll an meinem Hofe verharren, und mein Heldensänger bleiben für alle Zeit, so lang' ich das Leben habe! Denn selbst ich bin nie dazu gekommen, über meinen weissen Seidenbart etwas so ausnehmend Klares und Sinnreiches mit Worten auszusprechen, als dieser!«
101 »Klar?« wiederhohlte staunend Gunlaugur. »Klares hätt' ich mit Worten ausgesprochen, mein hoher Herr? Weiß es der Himmel, mir schwebte nur etwas sehr Dunkles bey meinem Liede vor der Seele! Etwas Geheimnißreiches, das in Euerm vielerfahrnen Herzen ruhen müßte, und der Welt urplötzlich eine andere Gestalt gäbe, wenn es unversehens hervorbräche an das Licht –«
Er hielt schaudernd inne.
König Sigtryggur Seidenbart aber sprach mit sehr wohlgefälligem Lächeln: »Ey, so versuche einmahl, ob Du es in Deine Saiten zu singen vermagst, was in mir vorgeht. Ich wäre selbst begierig darauf, ob Du es triffst.«
Gunlaugur regte zu ahnungsvollen Akkorden leise seine Harfe an, und sang mit sehnsuchthauchender Stimme dazu:
»Ist es ein innig
In tiefster Seele
Lieb gehaltnes
Erdenleben?
Entschwunden ehmahls,
Ein flücht'ger Hauch,
Aus deinem aufquellenden
Lebensaufgang? 102
Ein Leben, nun lieblich
Lispelnd in Träumen
Weissagende Worte
Deiner Wallfahrt?
Siehe, sie neigt sich
Süß deinem Geist zu,
Warnend und wendend,
Weckend selige Wehmuth.«
»Das ist es nicht!« sagte König Sigtryggur kopfschüttelnd. »Ich habe nur ein einzigesmahl geheirathet, und die Königinn lebt noch.«
Gunlaugur schlug rascher in die Saiten, und sang:
»Auf ferne Kriegsthat schiffet hinaus
Ein König in Meeres Wechselgebraus.
Und wie eine Sonne steigt's auf ihm aus Meeres Schäumen!
Der König war jung, war stark wie Stahl!
Ihm schien das Erdrund ein Kampfessaal.
Und wie eine Sonne steigt's auf ihm aus Meeres Schäumen!
Der König vollbrachte manch rettende That.
Da wurden ihm dankende Geister zu Rath.
Und wie eine Sonne steigt's auf ihm aus Meeres Schäumen! 103
Und seit er nun alt ist im Silberbart,
Hat glänzend Erinnern um ihn sich geschaart,
Und wie eine Sonne steigt's auf ihm aus Meeres Schäumen!«
»Das ist es auch nicht!« sagte König Sigtryggur. »Ich bin wohl unterweilen zur See gewesen; aber nicht eben auf sehr ferne Kriegsthat. Höchstens nach England hinüber, oder um unsere Inselküsten her.«
Gunlaugur versenkte sich in tiefes Sinnen. Dann sang er zu einer seltsam feyerlichen Weise folgendes Lied:
»Uralt unterird'sche Wunder,
Unter Zauberschutz behüthet,
Wanken wohl in wüsten Grotten,
Winken schaurig: Komm herunter!«
Und nach unbekannter Lockung
Unterwärts klimmt muth'ger Jüngling.
Aufgeblüht im Jugendhaupthaar
Folgt er, taucht herauf als Greis dann!«
»Nein!« sagte König Seidenbart freundlich. »Mein hellgelbes Knabengelock hab' ich mir wohl bewahrt bis in die sechziger Jahre meines Lebens. Und dann sind mir Locken und Bart so nach und nach in behaglicher Friedlichkeit weiß 104 geworden, ohne daß ich tiefer in den Abgrund geschaut hätte, als in die schönen Keller dieses Schlosses, welche den Meth und Wein, daran wir uns jetzt erquicken, in trefflicher Verwahrung halten.« Dazu lachte er herzlich, und Gunlaugur hätte fast im wilden Ingrimm seine Harfe gegen den Boden geschmettert. Einzig und allein um Schön-Helga's Andenken willen hielt er sich artig und still.
König Sigtryggur sagte nach einigem Besinnen sehr nachdenklich: »Seltsam! Errathen hat es der Islandssänger eigentlich nicht mit seinen drey Liedern. Und doch, wenn sie allzumahl zusammenklingen könnten in ein einziges wundersames Lied, da hätte er es errathen. Denn der Mensch lebt ja auch nach Innen, nicht nach Aussen nur ganz allein. Und tief in meinem Innern –?–Doch jenes Lied müßte ja nur wiederum zu einem noch unauflöslicheren Räthsel gedeihen. Und vielleicht ist es mit der Liedeskunst überhaupt so. Wohl deßhalb sang vor Zeiten Einer aus der tönenden Schaar:
Skaldenleben,
Schmerzensreigen!
Süße Schmerzen!
Sel'ges Seufzen! 105
Sieghaft Sehnen!
So erfüllt sich
Skaldenleben,
Schmerzensreigen!«
Er hatte die Worte mit wohllautender Stimme feyerlich leise vor sich hingesungen, und wie besiegt von träumerischer Zaubergewalt nahm Gunlaugur auf des Königs ernsten Wink seinen Platz gegen ihm über, und dachte heimlich in sich: »Wenn nur der alte Seidenbart kein Hexenmeister ist, mich festbannend zu einem ruhm- und thatenlosen Träumen in seinen wunderlichen Irland-Hallen!« 106