Friedrich de la Motte Fouqué
Die Saga von dem Gunlaugur genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden
Friedrich de la Motte Fouqué

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Siebenzehntes Kapitel.

Illugi der Schwarze, den ein Vorauseilender von der Heimkehr und dem Unfalle seines Sohnes benachrichtigt hatte, freute sich über jene, und in seinem kecken Muth erschrack er eben nicht über diesen. »Der Gunlaugur wird sich schon wieder besinnen!« sprach er zu der zagenden Gattinn. »Der vergeht nicht so leicht.« Und somit veranstaltete er ein fröhliches Mahl.

Wirklich hatte sich Gunlaugur auch bald wieder erhohlt, Vater und Mutter begrüßend, und saß jetzt mit in der Halle bey den Bechern.

Doch blieb er sehr still und nachdenklich, und unversehens stand er auf, und ging, sich an einen Speerschaft stützend, schweigend nach der Thür. Da begann zwischen seinem Vater und ihm folgendes Gespräch:

129 »Wo willst Du hin mein Sohn Gunlaugur?«

»Nach Borgarfiörde will ich.«

»Und was suchest Du dort?«

»Fragt Ihr noch erst, Vater? Den Thorstein such' ich dort an seinem Herde, und will mir meine Verlobte von ihm fodern.«

»Mein Sohn, Du bist um viele Monde zu lange ausgeblieben. Ich selbst habe den Thorstein seines Dir gegebenen Wortes los und ledig erklären müssen, denn es war recht so. Und heute ist Winters Anfang. So lange hat der edle Thorstein gewartet. Doch heute nun wird Schön-Helga's und Rafn des Skalden Hochzeitfeyer in der Wehrfeste Borg auf Borgarfiörde gehalten. Möchtest Du gern dabey seyn?«

»Ja Vater, ich will. Denn ich muß.«

»Und was denkst Du dorten anzufangen?«

»Ich will in Schön-Helga's weinende Augen sehen. Denn gewißlich, ihre blauen Himmelsaugen stehen heute Abend voll Thau. Daraus werd' ich dann lesen, was ich zu thun oder zu lassen habe. Mag seyn, daß ich das ungültige Hochzeitfest im rasenden Jubel zersprenge; ich spüre so etwas in mir! Mag seyn aber auch, daß ich voll süßen Schmerzes wieder friedlich heimwärts ziehe; auch dergleichen spür' ich in mir. 130 »O laßt!« fügte er im sanftesten, ja im bittenden, an ihm ganz ungewöhnlichen Tone hinzu. »O wolle doch Niemand mich hemmen. Den blauen, thauperlenden Himmeln – bitt' Euch – überlasset mein und Euer und aller Andern Heil.«

Es war etwas in dieser milden Gewalt, welchem Niemand zu widerstehen vermochte. Sie hätten ihn ziehen lassen, und Hallfredur begann schon, wehmüthig kühne Klänge auf der Harfe zu wecken, um den wundersamen Zug des unbeglückten Freundes zu sänftigen und zu segnen.

Aber da hemmte eine trübe Macht den Weg Gunlaugurs; vielleicht damit nicht am Ziele noch weit Trüberes erwache.

Der Wundenwahnsinn überwältigte fiebernd plötzlich den bisher allen Schmerzen an Seel' und Leib so ungeheuer trotzenden Jüngling.

Zur Festestafel sich wieder hinsetzend, sagte der arme Verstörte:

»Nicht so fern ist es von hier nach Borgarfiörde, als man es denken sollte. Guten Abend, Meister Thorstein! Da bin ich ja schon. Wie ein Wolkenriese durch die nächtigen Himmelsräume schreitet, bin ich herübergeschritten zu Euch. O glaubt mir, hätt' ich auch an Norwegsküste 131 gestanden, oder am Thamesstrand, oder auf den Orkney-Inseln, Ein Wort wie das:

»Heut ist Winters Anfang da,
Heute spricht Schön-Helga Ja!
Spricht nicht, »Ja!« zum Gunlaugur,
Sieh, der Gunlaugur wär' nah!
Sieh, der Gunlaugur ist da!«

Er schaute ingrimmig um sich her. Alle, selbst seinen Vater, überkam der Graus des Wunden- und Herzensfiebers in des Jünglings Blicken. Selbst der wirre Skalde fühlte seinen eignen Wahnsinn vor dem stärkern des unglücklichen Gunlaugur weichen, und mußte im tiefsten Innern vor Jenem wie ein gänzlich Besiegter erbeben.

Gunlaugur aber lächelte plötzlich sehr mild, und flüsterte, nach einer leeren Stelle des Hochsitzes hinaufschauend:

»O still! O sacht! O Alles still, wie die heilige Mondnacht auf Meeresfluth! Schön-Helga hat geweint. – Nein, weinen müsset Ihr nicht, Ihr blauen Himmel. Dann stumpfen sich die schönen, hellen Klingenschneiden, und überziehn sich wie mit Nebelschleyern. O weinen nicht, Ihr blauen, sanften Himmel! Ach, und Ihr habt wohl schon sehr viel geweint? Denn 132 ein morgenröthlicher Dämmerschein webt sich um Eure Lilienränder und schattigen Wimpern her. Wie? Kann es ein liebender Mann denn auch ertragen, daß weine – ja daß Spuren schon vielgeweinter Thränen im Engelsauge trage sein geliebtes Bild? O Helga, aber da lässest du die Schleyer vor dein Auge herunterwallen, du Schweigende! Und nicht ich, und Niemand schauet dein süßes Angesicht mehr. Ja, nun ist es aus mit dem Leben!«

Und er sank in volle Ohnmacht zurück, und Vater und Freunde brachten ihn seufzend zur Ruhe, und es war ihnen fast, als feyerten sie sein Begräbniß.

Hallfredur sang in gedämpfte Saiten:

»Wende sich zur Schlafesnacht,
Wer zu bang im Leben wacht.
Gelt es Schlummer, Ohnmacht, Tod,
Schlaf ist süß vor Morgenroth.« 133

 


 


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