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Gunlaugur hatte seinen Thorkill geheissen, die Geschenke des König Sigtryggur Seidenbart von dem Tauwerk abzunehmen, und sie sorgfältig einzupacken, daß sie keinen Schaden litten. Auch ging er ihm selbst dabey – ganz wider seine sonstige Gewohnheit – achtsam zur Hand. Da lachte ihn endlich während des Geschäftes Thorkill mit fröhlichem Kopfschütteln an, und entgegnete auf Gunlaugurs Frage darüber:
»Ey nun, Ihr seyd gut, kühn und stark, aber wunderlich dabey über alle Maßen! Bedenkt nur, als der Schatzmeister Euch diese bunten und blanken Sachen vor den Füßen ausbreitete, machtet Ihr ja doch ein so verachtendes Gesicht dazu, als wolltet Ihr sprechen: Was soll mir der Plunder!«
»Ich dachte auch damahls nicht viel besser 127 davon;« sagte Gunlaugur. »War doch nur kaum erst die ganze Träumerey von Sigtryggur Seidenbarts Zauberleben vor meiner getäuschten Seele vergangen. Da mußten mir ja die blinkenden Dinge zu meinen Füßen vorkommen, wie abgetragnes Zeug, womit sich Kinder zu einem albern verunglückten Possenspiele herausgeputzt haben!« Thorkill fragte lächelnd: »Und als sie am Takelwerke hingen, warum denn waren sie da so sehr viel schöner vor Eurer Seele geworden?« »Weil meine Seele die Seele des alten Königs unversehens in die Kleider hineinbannte, und seinen Weissagerarm in den goldnen Reifen!« erwiederte Gunlaugur mit wachsendem Ernst und Eifer. »Gottlob, es hat nie König Sigtryggur oder sonst ein greisender Mann zu meinen Füßen gelegen. Wie also die Kleider dorten lagen, kamen sie mir ganz albern und bedeutungsleer vor. Wie sie nachher am Takelwerke schwebten, ward es mir zu Sinne, als grüße und neige sich zu mir der feyerliche Seidenbart von seinem Hochsitze herab. Und da auch ward ich erst inne, daß es dieselben Kleider seyen, die er gestern zu Abend trug! O Thorkill, die Gewande eines greisenden Fürsten! Und er sendet sie mir nach, wie zur Abbitte. Das ist eine wundersame 128 Ehrenbezeugung! Wenn man nähmlich zu erwägen versteht: Das Kleid ist des Leibes Kleid, und der Leib das Kleid der Seele!« »Das klingt bedeutsamlich;« sprach Thorkill. »Aber aufrichtig gesagt, lieber Herr und Vetter, aus dem eigentlichen Sinn Eurer Worte kann ich doch nicht so recht klug werden.« »Ich kann's für dasmahl nicht deutlicher geben;« erwiederte Gunlaugur. »Nicht all und jede Stunde, wie der räthselhafte Reigen an uns vorüberzieht, hat auch allemahl den räthsellösenden Schlüssel mit zur Hand. Vielmehr sind sie oft mit so wunderlichen Dingen reich belastet, daß Räthsel aus Räthseln entspriessen, und von Schlüsseln gar die Rede nicht mehr ist!« Er sahe wehmüthig scharfblickend in das Meer hinaus, als wallete dort der wundersame Zug vor seinen leiblichen Augen vorüber.
Thorkill unterbrach den Sinnenden mit der Frage:
»Sagt mir's nur lieber ganz grade heraus: Ihr seyd wohl dennoch verhext?«
»Wär' ich es,« sagte Gunlaugur, »da würd' ich mich nicht so sehr über die Welt verwundern, als es mir jetzo begegnet. Überleg' es nur selbst, Thorkill: was läge denn eben so Unerhörtes darin, daß eine seltsam verschlungne Zeichnung, ein 129 halb verstandnes und halb unverstandnes Wort, ein Blick, Dich bedräuend und dennoch Dir winkend; oder was es von diesen schauerlich närrischen Mischungen noch unendlich Vieles geben mag; was läge denn so Unerhörtes darin, daß dergleichen uns bannen möchte in mancherley ängstig anmuthige Kreise, die man nicht mehr zu lösen verstände! Man könnte sich drin ergeben, wie in so unendlich viel des Unbegreiflichen auf dieser Welt! In diese Meeresströmung zum Beyspiel, die jetzt eben unser Schiff ganz unerwartet, statt gen Norden, gen Westen treibt! Von wannen sie kommt, wer weiß es? Nicht Steuermann, nicht Matrose! Aber sie kennen sie aus vielfacher Erfahrung als ein wirksames Ding. Und so lauschen sie ihr den Vortheil ab, und kommen endlich zu Rande mit ihr. Nur, daß man sich einbilden kann, von irgend einem Getriebe unwiderstehlich ergriffen zu seyn – wie Du und ich in der vergangnen Nacht von einer verzauberten Welt – und es ist dann am Ende solch ein Getriebe gar nicht vorhanden, das ist das Wundersame an der Sache. Und da könnte man ganz irre darüber werden, was denn eigentlich wirklich sey in der Welt und in uns, oder was eitel Traum sey und Trug!«
130 Er versank in tiefes Nachdenken.
Da sagte Thorkill nach einer Weile ganz fröhlich:
»Lieber Herr und Vetter, ich habe mir's überlegt, und das, womit Ihr Euch jetzt in Eurem Geiste herumschlagt, sind Grillen, oder wohl böse Geister gar. Hört einmahl geduldig an, was mir darüber in meinem Geist aufgegangen ist. Es wird vermuthlich auf eine ziemlich einfältige Weise herauskommen, denn ich bin weder ein Skalde noch ein Hexenmeister. Aber dafür stecken auch weder Grillen, noch böse Geister in meinem Spruch. Der heißt also:
»Trifft mich ein Schlag, so schlägt mich wer.
Trifft mich ein Kuß, so küßt mich wer.
Nicht allemahl weiß man, woher!
Doch ob's von da, von dorten wär',
Es gab's 'ne Sie, es gab's ein Er,
Ich weiß, es that es irgend wer.
Man nehm' es eben nicht zu schwer,
Doch nicht auch, als ob's gar nichts wär'!
Und käm' ein ganzes Klüglingsheer,
Und schrie auf mich die Kreuz, die Quer,
Mir leistet doch mein Spruch Gewähr:
Trifft mich ein Schlag, so schlägt mich wer!
Trifft mich ein Kuß, so küßt mich wer!«
131 Und Gunlaugur sang lachend:
»Den Spruch zerreißt nicht Wolf nicht Bär,
Ob Bär und Wolf auch wüthig wär!
Frischauf damit durch Land und Meer!«
»Segel auf, Schiffmann!« rief er dann kühnjubelnd. »Segel auf! denn es erhebt sich ein Sturm von Mittag her, kühn fördernd unsere Fahrt. Und nicht ist das edlen Nordmanns Sitte, die Segel ängstlich einzureffen, wenn Sturmesgunst unser Schiff kühnlich vorwärts treiben will. Kühn war der Väter Sitte! Kühn soll auch unsere Sitte seyn. Die Segel allsammt auf!«
Und sie gehorchten ihm – obgleich wohl Einigen dabey schwindlich ward – als ob er ihr Schiffshauptmann wär', ja fast, als ob er ihr junger König wär'. Und mit fliegenden Segeln schwebte das Schiff, wie eine recht wilde Schwalbe vor dem Sturme dahin, lustig auf den höchsten Wogenspitzen tanzend. 132