Friedrich de la Motte Fouqué
Die Saga von dem Gunlaugur genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden
Friedrich de la Motte Fouqué

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Neunzehntes Kapitel.

Auf den Orkney-Inseln wurden die Schiffenden freudig empfangen vom Jarl, der dorten regierte. Auch die Lieder Gunlaugurs fanden offnes Ohr und offnes Herz, und der edle Wirth schenkte ihm ein großes, silberleuchtendes Kampfesbeil. Das nahm Gunlaugur freudig an, aber als vom Dortverweilen die Rede war, sang er:

»Fürder gen Nordostlands Fluren
Fahr' ich! Hin, wo Sonne blutroth
Winkt aus Wolken wilden Sturmes!
Was mir dort winkt, läßt nicht Rast mir.«

Und als der Jarl ihn befragte, ob das etwa eine edle Freundinn sey, sang er abermahl:

»Viele Nächte, viele Tage
Flieh'n und wall'n, bis ich die Freundinn
Find' in ihren Vaterhallen.
Viel verschiednen Gruß jetzt such' ich.«

133 »Ist es Freund oder Feind, den Du suchest?« fragte der Jarl.

Gunlaugur sang:

»Freund wird Feind, und Feind wird Freund oft!
Findet oft der flinkste Jäger
Freud'ge Finken statt des Wolfes,
Statt der freud'gen Finken Wölfe.
Den ich suche, sah ich niemahls.
Suchen muß ich doch ihn rastlos.
Ruh gibt mir der Ruhm, ob ihm nur,
Ob dem Rafn, dem Skaldenjüngling!«

»Da helf' Euch lieber ein günstiges Geschick zu Ruh und Frieden mit ihm!« sagte der Jarl der Orkney-Inseln. »Rafn der Skalde, wie zart an Sitten er sich auch offenbart, und wie lieblich seinen Freunden; seinen Feinden ist er ein verderbliches Feuer. Einen Hekla unter Blumengefilden möchte man ihn heissen, oder – wie in dem südländischen Eilande Sicilia wirklich ein solcher blühender Flammenberg heissen soll – einen Aetna.«

»Aetna!« wiederhohlte der Jüngling nachdenklich. »Der Nahme klingt schön! Und himmlisch hold und reich mögen Blumen und Bäume blühen und grünen und Rasenstellen funkeln, wo 134 unterirdische Gluthen sie einem viel schöpferischeren Sonnenlicht entgegen treiben, als es über unserm Hekla herniederstrahlt. Aber Herr, der starrende Hekla ist mir lieber, als solch ein lügenhaft lockendes Blumen- und Blüthengebirg mit dem Flammenzorn im Herzen.«

»Hüthe Dich, Hekla, Du stolzer Berg,« sagte der Jarl der Orkney-Inseln zu Gunlaugur, »hüthe Dich vor dem blühenden Aetna! Wenn etwa einmahl ein zornigeres Walten der Sterne – noch jetzt hält es liebend und schonend Euch von einander fern – aber wenn es dereinst Euch gegeneinander drängte im wundersamlichen Streit, o Hekla, Du wärest verloren!«

»Dann Aetna mit!« sagte Gunlaugur trotzig, und beeilte nur um so mehr seine Fahrt gen Nord-Osten hinaus, als von wo die Liedestöne, welche auf seines Gegners Bahnen immer vernehmlicher und bezeichnender aufklangen, ihm die Erfüllung seines strengen Verlangens verhiessen.

Aber im nördlichen Schwedenlande fand er ihn dennoch nicht, und nicht auch, wie er doch gewiß gehofft hatte, in einem Kaufmannhafen des westlichen Gothlandes, welcher Skörum geheissen war. Und darüber stieg nun wieder der ernste Winter am Nordlandhimmel auf, und 135 begann die Schiffahrt zu hemmen, und den Fahrten zu Lande Schneegruben und Schneeverwallungen entgegenzuwerfen, die oft auch der entschlossenste Wille und die rüstigste Kraft nicht zu bewältigen vermag.

Wehmüthigen Zornes voll sahe Gunlaugur seinen Thorkill an, sprechend:

»Wir haben schon wieder den Rafn verfehlt!«

Und Thorkill erwiederte ganz lustig:

»Vielleicht desto besser, Herr Vetter!«

Darüber mußte Gunlaugur lachen und dennoch sich sehr ärgern zugleich.

Das ist auch Eins von den wunderlichen Gefühlen, die im Leben weit öfter vorkommen, als man es sich einzubilden pflegt, wenn man noch um sehr Vieles näher am Eingange steht, als an der Ausgangsschwelle. Man erfährt nach und nach das und viel Anderes sonst, worüber man sich ausnehmend wundern würde, wenn es uns um etwa zehn bis zwanzig Jahre früher in deutlich vernommenen Bildern durch die Seele ziehen könnte. 136

 


 


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