Karl Emil Franzos
Ein Kampf ums Recht
Karl Emil Franzos

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Erstes Kapitel

Wer von Stanislau im Waggon der Lemberg-Czernowitzer Bahn gegen Südost fährt, den schilfigen Ufern des Pruth und den Buchenwäldern der Bukowina entgegen, dem liegt zur Linken immer dasselbe Bild: die unermeßliche Ebene, an welcher die Jahreszeit nur die Farben ändert; weißglänzend liegt sie im Winter, gelbschimmernd im Sommer, in Frühlings- und Herbsttagen bräunlich-fahl. Zur Rechten aber schiebt sich dem Reisenden fast bei jeder Umdrehung der Achse ein neues Bild vor die Augen, jäh und rasch wächst ihm da das Waldgebirg der Karpaten entgegen, anfangs nur wie eine dunkle Linie, rätselhaft in das Blau des Horizonts eingezeichnet, dann wie abenteuerlich geballtes, aufsteigendes Sturmgewölk, bis nach geringer Zeit der Bergzug erkennbar wird, aber noch weit, sehr weit, verschwimmend im bläulich oder rötlich angehauchten Dufte der Ferne. Wer hier sein Auge losreißt, eine Weile auf die Ebene hinausblickt mit ihren grauen Hütten, dürftigen Äckern, fahlen Heiden, und sich dann wieder zur Rechten kehrt, dem wird eine reizvolle Überraschung: die erst so fernen Berge stehen dicht vor ihm, stolze, ernste Riesen, ewig grün im Kleide ihrer Tannen. Im Bergwald rauscht der Wind durch das nadelige Geäst und schlägt dem Reisenden den berauschenden Harzduft entgegen; über felsiges Geklüft brausen die eisigkalten, demantklaren Bergwasser zu Tal und stürmen schäumend im künstlichen Bette dahin, das man ihnen längs des Bahndamms gegraben, und in dem schmalen, blaugoldigen Luftband, das über den kühlen, tiefen Talschluchten blinkt, kreist langsam der große, braune, blutgierige Falke der Karpaten. Das Herz des Bergwalds liegt dem Blick geöffnet, aber die Pracht dauert kurz, nur wenige Atemzüge. Denn eigensinnig wendet sich nun die Bahn in schroffer Biegung nach Osten, und rechts und links liegt bald dem sehnsüchtig ausspähenden Auge bloß die traurige Ebene. Eine Krümmung des wilden Pruthflusses hat es notwendig gemacht, daß der Schienenstrang gerade die Stelle der Landschaft durchschneidet, wo sich Gebirg und Ebene so jäh, so unvermittelt berühren wie Haß und Liebe in der Menschenbrust.

Diese Stelle – sie liegt zwischen der hügeligen Kreisstadt Kolomea und dem armen Judenstädtchen der Ebene, Zablotow, was zu deutsch bezeichnend genug: »Hinter den Kotlachen« bedeutet – gehört zum Gebiet des Dorfes Zulawce. Doch sind die Hütten vom Waggonfenster nicht sichtbar, sie bedecken, etwa eine Stunde entfernt, die östliche Abdachung des mächtigen Gebirgsstocks. Es sind dürftige, strohgedeckte Hütten, wie man sie überall im östlichen Galizien findet, auch die Kirche und das Jagdkastell der Herrschaft vermögen kaum den Blick zu fesseln. Um so reizvoller ist die Lage des Dorfes. Wer vom Pruth kommt, erreicht, ohne zu klimmen, die ersten Hütten, und wenn er zur letzten emporgestiegen, liegt das Tiefland vor ihm ausgebreitet: weit, weit, gelbe Saatfelder, grüne Wälder und lichtbraunes Heideland, eingefaßt von dem breiten Silberbande des Pruth zu seinen Füßen und dem schimmernden Fädchen der Czerniawa, die sich, drei Meilen von hier, träg durch die Ebene schlängelt. Aber auch darüber hinaus fliegt der Blick, so weit des Auges Sehkraft reicht; eine andere Grenze ist ihm nach Norden nicht gezogen. Nach Osten bietet sich ein grundverschiedenes, noch schöneres Landschaftsbild: das üppig bewaldete Hügelland der Bukowina, das sich sachte und staffelförmig aufbaut aus der tiefgerissenen Talsohle des Czeremosz. Das ist von diesem Dorfe fast märchenhaft anzuschauen, wie eine riesige Treppe, die von der Erde emporwächst in den Himmel hinein; denn die höchsten Kuppen sind schon so fern, daß sie mit dem Blau des Himmels in eins verschwimmen. Nach den beiden anderen Richtungen aber, nach West und Süd, steht dem Blick der ›Welyki Lys‹, der ungeheure Bergwald, der Galizien von Ungarn scheidet, tiefgrau, düster, das Herz beklemmend durch seine unsägliche Einförmigkeit. Es gibt keinen Ort im Anland der Karpaten, der gleichen Wechsel der Landschaftsbilder bietet.

Aber auch in anderer Hinsicht ist das Dorf Zulawce einzig; die Verhältnisse sind geordnet wie im Flachland, die Leute jedoch zeigen bereits Sitte und Eigenart der Bergbewohner, der ›Huzulen‹. Dieses Völklein wird gewöhnlich, der gemeinsamen Sprache wegen, den Ruthenen beigezählt, aber Ursprung und Lebensbedingungen sind verschieden und darum auch Typus, Brauch und Charakter. Der Huzule ist ein Mischling, in dessen Adern sich das slawische Blut des Ruthenen und das mongolische des Uzen vereint hat; an das erstere mahnt die Sprache, an das letztere der Volksname und die kühntrotzige Art, die sich unter dem Schein kühler Gemessenheit birgt, aber plötzlich emporlodert, wie der Hekla die Schneedecke durchbricht. Der Ruthene der Ebene hingegen ist ein reinblütiger Slawe, darum ist er fleißig, zäh und geduldig, schwer entflammt, dann jedoch stetig fortlodernd. Aber diesen Tugenden stehen auch böse Laster entgegen: dumpfe, stumpfe Roheit und tiefste Demut, die den Unterworfenen das Haupt tiefer beugen läßt, als er muß. Freilich hat äußeres Ungemach die schlimmen Triebe dieser Volksseele gemehrt: der Ruthene war durch Jahrhunderte der Leibeigene, durch Jahrzehnte der Untertan des polnischen Schlachzizen, völlig rechtlos, nicht einmal im Leben geschützt, geschweige denn im Besitz, ohne jegliche geistige Unterweisung, bei unerquicklicher geistlicher Führung. Nur dieses letzte waltete auch bei den Huzulen; im übrigen lebten sie frei in ihren Bergen, keinem Adeligen, keinem Vogt der Krone Untertan. Kümmerlich genug fristet sich das Leben im Bergwald: das Schaf gibt Milch und Käse, der harte Boden nur etwas Hafer für kaum genießbares Brot; wer Braten essen will, muß vorher sein Leben einsetzen, den Bären zu erlegen. Noch heute gibt es da Einschichten, wo niemand in seinem ganzen Leben einen Gulden gesehen hat. Darum kam auch niemand hinauf, die Steuer zu holen, und der Adel blieb im Tale, wo es fette Äcker und geduldige Sklaven gab. »In diesem Gebirge sind nur Bären zu finden und wilde Menschen, so man Uzels nennt«, hat im siebzehnten Jahrhundert ein deutscher Reisender geschrieben, er könnte es gestern berichtet haben. Nur mit dem Bären teilt der Huzule die Herrschaft dieser Berge; auch seine Freiheit ist im Grunde nur die Freiheit des Bären, aber Freiheit ist's doch! So ist die Kluft zwischen dem Ruthenen der Berge und jenem der Ebene breit und tief gerissen; hier zahme geknechtete Ackerbauern, dort freie Jäger und Hirten.

»Der Falke erträgt keinen Käfig, der Huzule keine Knechtschaft«, geht das Sprichwort in den Bergen. In Zulawce schien das Wort Lügen gestraft, aber es bewährte sich auch da. Die Bauern des Dorfes trieben Ackerbau, gingen zur Kirche, lieferten den Zehnten und leisteten die Fronde, aber Huzulen blieben sie doch, Vettern der Bärenjäger im ›Welyki Lys‹. Sie vergaßen nie, daß sie auch Menschen seien, ordneten ihre Angelegenheiten selbständig und waren jeden Augenblick bereit, eine Ungerechtigkeit mit der Flinte und dem Handbeil abzuwehren. Das wußte der Besitzer des Dorfes, der alte Graf Henryk Borecki, und fügte sich seufzend darein, die Bauern von Zulawce anders zu behandeln als die auf seinen größeren Besitzungen im Flachland. Er war auch hier kein milder, aber ein kluger Herr. Und weil er als leidenschaftlicher Jäger den Sommer regelmäßig an dieser Grenze des Urwalds zuzubringen pflegte, so kam es bei seinen Lebzeiten zwar zu unzähligen Reibungen, aber zu keinem offenen Streit.

Nachdem er gestorben war, gestalteten sich die Dinge allmählich schlimmer. Sein Sohn, Graf Georg Borecki, ließ sich nie im Lande blicken, er wohnte in Paris, ein fleißiger, tatkräftiger Kavalier, der sich gründlichen Studien über das junge Frankreich widmete, so weit es weiblichen Geschlechts war. Seiner Güter dachte er nur, wenn er Geld brauchte, aber darum dachte er ihrer so oft wie der eifrigste Landwirt. Mit seinen Verwaltern in Podolien stand er in lebhaftem Briefwechsel: er forderte Geld, und kam es nicht, so drohte er mit Entlassung. Die Herren Mandatare hatten einen schweren Stand, aber weil geteiltes Leid halbes Leid ist, so erpreßten sie den Bauern ihren letzten Heller und blieben auf ihren Posten. Auch der Mandatar von Zulawce, Herr Severin Gonta, hätte vielleicht gern dasselbe Rezept gebraucht. Aber weil er zwanzig Jahre im Dorfe weilte und die Leute, ihre Fäuste und Flinten kannte, darum ließ er lieber die gräflichen Wälder gewaltig lichten, ehe er den Untertanen an ihr bißchen Besitz zu greifen wagte. Leider geriet inzwischen Graf Georg immer tiefer in seine Studien und erweiterte seinen Bekanntenkreis, indem er zu den Grisetten auch die Wucherer fügte. Und so erhielt Herr Severin eines Tages ein kurzes Schreiben: »Entweder schickst Du jährlich um tausend Gulden mehr, oder Du kannst zum Teufel gehen.« Herr Severin überlegte nicht lange. Der Wald war schon so stark gelichtet, daß man mit der schärfsten Brille keinen Baum mehr gewahren konnte, und schöner als die schönste Versorgung sind gesunde Glieder. Der Mandatar ging nicht zum Teufel, aber in den Ruhestand nach Lemberg. An seine Stelle kam der bisherige Sekretär des Grafen in Paris, Herr Wenzel Hajek.

Herr Wenzel war damals – im Jahre 1835 – ein Mann von achtundzwanzig Jahren, hatte aber bereits mancherlei erlebt. Wie schon der Name verrät, war er ein Enkel des Huß und Ziska und trat daher früh in die Dienste der k. k. Polizei. Nachdem er in Italien als Spion Treffliches geleistet, das Französische perfekt erlernt und einem Hofrat in Mailand eine Geldkassette gestohlen hatte, wurde er in Würdigung dieser drei Tatsachen nicht als Dieb eingesperrt, sondern als Agent von Metternich nach Paris geschickt. Auch dort lieferte er verdienstliche Berichte über die Emigration, indem er sich in ihre Kreise drängte und durch listige Fragen alles erkundete. Leider war er eine dankbare Seele, die sich dadurch verpflichtet fühlte, den Emigranten auch ihre Fragen zu beantworten. Anfangs lohnte sich die gute Tat, und in seine Tasche floß doppelter Sold, aber bald hatten ihn beide Parteien durchschaut und setzten ihn vor die Tür. Herr Hajek, eine elastische Natur, wendete nun der Politik für immer den Rücken und wurde Vermittler für mehr oder minder schmutzige Geschäfte; die reinlichsten darunter waren noch jene, die er zwischen Kavalieren und Wucherern zustande brachte. In dieser Eigenschaft wurde er dem Grafen Georg bekannt und bald so unentbehrlich, daß dieser ihn zu seinem Sekretär machte. Nun hätte Wenzel wieder in tausend Freuden leben können, wenn er nicht leider ein so idealer Mensch gewesen wäre. Sein Ideal war eine ansehnliche Rente, und so betrog er seinen Herrn auf Schritt und Tritt. Graf Georg war ohnmächtig gegen den Menschen, der um alle seine Geheimnisse wußte, und so schickte er ihn zwar aus Paris fort, aber als Verwalter nach Zulawce. ›Wenn er mir nur meine Gelder eintreibt!‹ dachte der edle Mann. ›Was er den Bauern für sich erpreßt, geht nicht aus meiner Tasche!‹

Es war an einem Maitage des Jahres 1835, als Herr Wenzel Hajek in Zulawce seinen Einzug hielt. Die junge Frühlingspracht der schönen, stolzen Berglandschaft machte ihm keinen Eindruck, wohl aber die Schar der Bauern, die ihn am Eingange des Ortes empfing. Mit Staunen blickte er auf diese hünenhaften Reiter mit den kühnen Falkenaugen. Sie waren allesamt festlich gekleidet; den hohen, schwarzen, federgeschmückten Filzhut auf dem haarumstarrten Haupte, braune wollene Reitröcke, dunkelrote Beinkleider, schwarze Sandalen; und wie angewachsen saßen sie auf ihren kleinen unruhigen Pferden. Denn die Huzulen sind das einzige Reitervolk der Erde, das in den Bergen haust, und unter den Nordslawen sind sie die einzigen, die Waffen führen: die Flinte über dem Rücken, die Pistole im Gurt, das blanke Beil am Arme. Dieser reisige Schmuck machte Herrn Wenzel erbleichen, als der Wagen hielt und die bewaffnete Schar ihn umringte. Er hatte beschlossen, beim Einzuge huldvoll zu lächeln, und er führte dieses Vorhaben aus, aber es kostete ihn schwere Mühe.

Nur einer der Bauern entblößte sein Haupt zum Gruße, ein Greis mit milchweißem Haar, von riesigem Wuchse, das kühne Antlitz stolz erhoben. Dicht am Wagenschlage parierte er sein Pferd, und die hellen, gebieterischen Augen musterten mit durchdringendem Blick die Züge des Verwalters. Das war der Richter Stefan Woronka. »Neuer Mandatar!« sprach er, »unser Herr sendet dich, sei uns darum gegrüßt! Du kommst von fern und kennst uns nicht. Darum sage ich dir: Wir Männer von Zulawce tun die Pflicht gegen den Herrn und wollen, daß er die Pflicht gegen uns tue. Nicht mehr, nicht weniger! Sei gegrüßt!«

Herr Wenzel hatte die Anrede verstanden. Denn ein slawischer Dialekt war ja auch seine Muttersprache gewesen, und er hatte auf der langen, mühevollen Reise durch Galizien Gelegenheit gehabt, das Ruthenische halb und halb zu erlernen. Aber nicht bloß den Wortlaut, auch den Geist der Anrede hatte er verstanden und richtete darnach seine Antwort ein. »Ich werde gerecht sein!« erwiderte er. »Nicht mehr, nicht weniger! Seid gegrüßt!«

Der Richter schwang den Hut. »Urrahah!« scholl darauf kurz, gellend aus zweihundert Kehlen der Ruf. Dann eine Salve aus den Pistolen und wieder das gellende »Urrahah!« Mit diesem Jubelruf, der wie Kriegsgeschrei klang, zogen Wagen und Reiter zur Schenke.

Dort, auf dem freien Platz vor dem Hause, rings um die mächtige Dorflinde geschart, standen die übrigen Bewohner von Zulawce, Greise und Burschen, Weiber und Kinder, alle in Festtracht. Als der Wagen hielt und Herr Hajek, noch immer huldvoll lächelnd, abstieg, trat ihm zunächst der Pope des Dorfes entgegen und verneigte sich tief. Se. Hochwürden Herr Martin Sustenkowicz waren ein loyaler Mann, hatten sich auch vorgenommen, dieser Loyalität in einer Rede Ausdruck zu geben, aber es kam nicht dazu. Denn erstens waren Se. Hochwürden stark angeheitert, und dann erwiderte Herr Hajek zwar die tiefe Verbeugung des Priesters sehr gnädig, wendete sich dann jedoch sofort einem alten Mütterchen zu, das Brot und Salz bot.

Lächelnd würgte er einen großen Bissen des Haferbrotes hinab und gab dann dem Schenker Avrumko in einem Flüstertone, den man auf hundert Schritte hören konnte, den Auftrag, zwei Fässer Schnaps herbeizurollen. Er war verblüfft, als der Richter auf ihn zutrat: »Verzeih, Herr Mandatar, aber dergleichen ist in der Ebene üblich, hier nicht. Wir Männer von Zulawce trinken zwar gerne Schnaps, aber wir bezahlen ihn selbst!«

Einen Augenblick zuckte es im Antlitz des Mandatars, dann lächelte er noch huldvoller. »Aber lieben Leute«, sprach er, »ich vertrete ja unseren gnädigsten Herrn, den Grafen Georg. Er ist euer Väterchen, ihr seid seine Kindlein. Darf der Vater nicht seine Kinder bewirten?«

Der alte Richter schüttelte den Kopf. »Verzeih, Herr«, erwiderte er, »aber das sind wieder nur so Reden, wie man sie in der Ebene hört! Wir sind, mit Verlaub, keine Kinder, der junge Graf kein Vater, wir sind Bauern, er der Gutsherr, wir fordern unser Recht, tun unsere Pflicht, das ist alles!«

»Aber, guter Herr Richter, Ihr müßt doch . . .«

»Verzeih, Herr«, wiederholte Stefan zum dritten Male. »Aber das ist wieder eine Rede wie in der Ebene. Dort sagt man ›Ihr‹, hier aber ›du!‹ Und ob ich ein guter Richter bin, weißt du noch nicht. Also für deinen Schnaps danken wir! Aber auf unsere Kosten wollen wir ihn zu Ehren des Grafen trinken!« Er winkte dem Schenker, der Trank wurde in großen Kannen gebracht, sie lagerten sich im Kreise und begannen zu zechen. Herr Hajek besann sich einen Augenblick, was zu tun sei, dann lächelte er wieder gnädig, begann unter den Zechenden umherzugehen und sprach den und jenen an. Je länger er dies tat, desto süßlicher wurde sein Lächeln, desto finsterer sein Herz. Die stolzen, hageren Männer mit den kecken Augen machten ihm bange. Und diese Waffen! Jeder dieser ›Untertanen‹, wie der galizische Bauer damals in der Amtssprache hieß, trug ein kleines Arsenal auf dem Leibe. »Wozu die Pistolen?« fragte er den Richter.

»Zur Pracht und für den Notfall!« war die Antwort.

Der Mandatar lächelte. »Für den Notfall?« fragte er. »Was soll das heißen?«

»Das kannst du bei Gelegenheit erfahren!« erwiderte der alte Stefan finster und wandte sich ab.

Hajek zuckte zusammen. Aber er faßte sich rasch und ließ seinen Blick wieder mit dem Ausdruck herzlichen Wohlwollens über die Zechenden schweifen. Sie schienen sich nicht um ihn zu bekümmern, nur einer, ein Mann mit rotem, zottigem Haar, starrte ihn mit unverhohlener Feindseligkeit an. Der Mandatar trat auf ihn zu. »Lieber Nachbar«, fragte er herzlich, »wie heißest du?«

»Der Teufel ist dein Nachbar«, erwiderte der Mann grimmig. »Übrigens heiße ich Schymko Trudak, der ›rote Schymko‹. Aber was geht's dich an?«

»Nun, weil ich ja jetzt auch zum Dorfe gehöre!« sagte Herr Wenzel, noch immer freundlich. Aber die Lust, sich populär zu machen, war ihm nun doch vergangen, und unsicher irrte sein Blick über die Menge hin.

Da fiel ihm ein Mann ins Auge, der unbewaffnet war und auch sonst verschieden von den anderen. Gleichfalls ein Prachtmensch, schön und stark, aber mit sanftem Antlitz, blondhaarig, blauäugig, wohlbeleibt. Er trug einen weißen, mit bunter Wolle ausgestickten Pelzrock, eine schwarze Pelzmütze, hohe Stiefel: die Festtracht des podolischen Bauern. Hajek trat auf ihn zu. Der junge Bauer zog demütig die Mütze und neigte das Haupt.

»Wie heißest du?« – »Taras Barabola.« – »Wohnst du hier?« – »Ja.« – »Doch nicht als Knecht?« – »Nein.« Und so demütig, als hätte er die Frage bejahen müssen, fügte der junge Bauer hinzu: »Ich besitze den zweitgrößten Hof des Dorfes.« – »Aber du stammst aus der Ebene?« – »Ja, aus Ridowa.« – »Warum hast du dich gerade hier angesiedelt?« – »Aus Liebe«, sagte der Bauer errötend. »Das heißt, ich habe eine Erbtochter geheiratet.« – »Und wie gefallen dir die Leute im Dorfe?« – Der junge Mann errötete wieder. »Andere Menschen als in meiner Heimat«, antwortete er, »aber auch brave Menschen.« – »Ich wollte, sie wären alle wie du!« sagte der Mandatar und ging mit freundlichem Gruße weiter. Dieser Wunsch kam ihm aus dem Herzen. Demütige Leute, ohne Waffen ›für den Notfall‹, wären ihm gewiß viel lieber gewesen.

Als er mehrere Stunden später aus dem Fenster seines Schlafzimmers im Jagdkastell auf der Höhe das Dorf überblickte, maß er mit sonderbarem Lächeln die Dicke des Gemäuers, an dem er lehnte. »Wer weiß, wozu diese solide Bauart gut ist!« murmelte er. »Aber das wäre, wenn es zum Schlimmsten käme, ein schwacher Trost, und dich, Sohn meiner Mutter, will ich nicht belügen. Du bist kein Held und wirst dich wohl hüten, dein teures Leben in Gefahr zu bringen. Das trotzige Pack soll erfahren, was ein ›Untertan‹ ist, aber das muß ja nicht schon heute oder morgen geschehen! Brauche deinen Verstand, mein Junge, brauche deinen Verstand!«

 


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