Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Während sich dies vor der Kirche begab, eilte der Priester aus der Sakristei auf einem Richtsteig über die Felder dem Hause des Taras zu. Es war eine Entfernung von kaum zehn Minuten, ihn dünkte sie diesmal eine unerträglich weite. Endlich hatte er den Hof erreicht und stürzte ins Haus. Aber es war stille darin und kein Mensch zu sehen. Erst nach langem Spähen und Rufen entdeckte er neben der Hühnersteige die kleine vierjährige Tereska. Das Kind hatte verweinte Augen, spielte aber schon ganz fröhlich mit einer Henne, die es im Kreise herumtrieb. »Wo ist der Vater?« fragte der Pope atemlos.
»Fort!« sagte das Kind und begann nun wieder zu weinen.
›Sie werden zur Versammlung gegangen sein‹, dachte der Pope und eilte wieder denselben Weg zurück; die Schenke lag in der Nähe der Kirche, aber noch tiefer am Abhang. Das Dorf war wie ausgestorben, nur ein steinalter Mann saß auf dem Bänkchen vor seiner Tür und sonnte sich. »Schick mir doch meine Enkelin heim«, bat er den Vorbeieilenden. »Taras wird es schon ohne sie richten, er hat genug Zuhörer.«
In der Tat fand der Pope, als er endlich die Schenke erreicht, den Platz vor derselben dicht erfüllt von Menschen. Es mochten wenige Bewohner von Zulawce fehlen, die ältesten und jüngsten ausgenommen. Denn eine ›große Versammlung‹ ist ein seltenes Ereignis im Dorfleben und wird nur bei besonders wichtigen Gelegenheiten einberufen. Das Bewußtsein dieser Wichtigkeit prägte sich auch in den Mienen der Menschen aus, die da harrend standen und auf die Linde vor der Schenke schauten. Dort war eine hohe Bank hingestellt, die Tribüne für die Redner. Als der Pope anlangte, hatte sie Taras eben bestiegen. Durch die Menge, die sich bisher schweigend verhalten hatte, ging ein Murmeln der Erwartung, des Mitleids, vielleicht auch der Schadenfreude. Aber es gab gewiß nur sehr wenige, die sich dieser häßlichen Empfindung hingaben, als des unglücklichen Mannes Gestalt allen sichtbar wurde. Sein Haar war vollends ergraut, das Antlitz verfallen, die Augen loderten in unheimlicher Glut aus ihren tiefen Höhlen.
»Ihr Hausväter des Dorfes«, begann er mit zitternder und doch weithin tönender Stimme, »und ihr alle, die ihr zur Gemeinde gehöret! Ich danke euch, daß ihr gekommen seid, wie ich dem Richter danke, daß er die Versammlung berufen hat. Denn wohl tat er und tut ihr dadurch nur eure Pflicht an mir und wendet mir zu, was mir gebührt, aber wer erfahren hat, was ich erfuhr, bedankt sich schon dafür, daß ihm sein Recht geschieht!
Jewgeni hat euch gesagt, wozu ihr gekommen: meine Rechtfertigung zu hören. Aber nicht wegen des Vergangenen, wie er zu glauben scheint, sondern wegen des Zukünftigen will ich mich rechtfertigen. So höret denn an, was euch ein Mann zu sagen hat, der glücklich gewesen und unglücklich geworden ist, weil er die Gerechtigkeit über alles geliebt hat. Es gibt einige unter euch, die mich lieben, mehrere, die mich hassen, viele, denen ich gleichgültig bin. Euch alle bitte ich, mich ohne Haß und ohne Liebe anzuhören, mit demselben Herzen, als hörtet ihr die Beichte eines fremden Wanderers, der in diesem Dorfe veratmet und einem von euch noch vorher sein letztes Bekenntnis ablegt. Ihr werdet wenig für ihn fühlen, aber ihr werdet ihm glauben, weil er ein Sterbender ist. So glaubet denn auch mir, denn ich bin ein Sterbender für euch alle!«
Ein schriller Schrei unterbrach ihn, dann ging stürmische Bewegung durch die dichtgestaute Menge. Vergeblich versuchte der Pope vorzudringen; diese lebende Mauer ließ sich nicht durchbrechen. Nur drüben, von der Linde hinweg, brachen sich einige Männer gewaltsam Bahn gegen die Schenke zu. »Sie tragen sein Weib hinweg!« ging es von Mund zu Mund, »sie ist ohnmächtig geworden!« Taras war nicht von seinem Platze gewichen. Wohl wühlte in seinen Zügen der bitterste Seelenschmerz, aber er regte sich nicht. Nun hob er die Hand, und die Wogen glätteten sich, es wurde stille.
»Ihr Leute!« begann er wieder, »was ihr eben gesehen habt, ist wohl fähig, ein Herz zu rühren. So schenket denn euer Mitleid diesem unglücklichen Weibe! Sie ist doppelt unglücklich, weil sie nicht begreift, daß ich nur das tun will, was ich tun muß. Die Liebe zu mir und den Kindern umhüllt ihren Blick. Ihr aber werdet klarer schauen. Ihr werdet erkennen, daß ich mich nicht aus Schlechtigkeit, nicht aus Leichtsinn von den Menschen scheide, die im Frieden wohnen. Die Schuld daran fällt nicht auf mein Haupt. Darum fürchte ich mich nicht vor dem Zorne Gottes. Wenn er mich einstens fragt, so werde ich zu antworten wissen. Aber dann werde auch ich fragen und harre dem entgegen, was er mir zu antworten hat. Ich will hoffen, daß es dieselbe Antwort ist, die ich mir selbst in seinem Namen gegeben habe.
Nun meine Beichte! Ich werde Gutes und Schlimmes von mir sagen, wie es die Wahrheit ist. Es mag sonst nur falsche Scham sein, seine Laster und Tugenden zu verschweigen, in meinem Falle wäre es ein Verbrechen. Mein armes Herz, aus dem ich das Mitleid mit mir selbst noch immer nicht habe verbannen können, soll dabei nicht mitsprechen. Wozu auch das Klagen? Seht, ich bin wie ein Landmann, dem die Frühlingsfluten von den Bergen den Acker verwüstet und die Hütte weggeschwemmt haben. Da steht er nun auf den Trümmern und jammert: ›Warum schlägt Gott gerade mich so hart? Warum mußte sich die Flut gerade auf mein Gütchen ergießen?‹ Warum? Es war sicherlich kein Zufall, daß sich die gestauten Wasser gerade in dieser Richtung den Durchbruch erzwangen, und wenn er vernünftig ist, so jammert er nicht, sondern steigt das Rinnsal entlang zur Höhe, den Grund zu erkennen. Ich will nicht, daß ihr mich mitleidsvoll umstehet, ich führe euch die Höhe empor, um zu zeigen, wie die Flut gerade mein Glück hinwegschwemmen mußte.
Ihr wißt um mein früheres Leben, als wäre ich unter euch aufgewachsen. Ihr wißt, daß ich ein Bastard bin und deshalb Furchtbares erleiden mußte. Aber ihr wißt auch, wie diese Verfolgung, dank meiner Mutter, für mich zum Guten ausschlug. Ihr war es klar, daß jedes Herz vergiftet ist, das nicht mehr an die Gerechtigkeit auf Erden glauben kann, und darum brachte sie sich selbst zum Opfer, mir diesen Glauben zu erhalten. Nachdem ich eine gräßliche Versuchung siegreich bestanden und mir die Freundlichkeit der Menschen erworben hatte, ward mir dieser Glaube zur felsenfesten Überzeugung. Ja, ihr Leute, recht wie ein herrliches Ackergut, wie eine Musterwirtschaft erschien mir diese Erde: Jeder hat seine zugewiesene Arbeit und erhält seinen Lohn, je nachdem er sie leistet, und auf Ordnung, Pflichttreue und Gerechtigkeit ist alles gebaut!
Wer solches im Herzen und Hirne trägt, kann nie unglücklich werden, auch wenn die Trübsal über ihn niederhagelt wie ein Gewitter um Mariä Himmelfahrt. Wohl kam schweres Leid über mich, aber ich ertrug es standhaft, zuerst die Krankheit und den Tod meiner Mutter, dann die Heimkehr des Vaters. Die erste Prüfung tat meiner Seele weher, aber leichter verwand ich sie doch als den Verkehr mit dem Vagabunden, wie ja auch der Körper besser von einer überaus schmerzhaften Schußwunde genest als von einem widrigen, langwierigen Fieber. Wie ich es mit meinem Vater hielt, wißt ihr alle. Auch ihr habt es mir als Edelmut angerechnet, aber es war nur Gerechtigkeit, Vergeltung der Opfer, die mir meine Mutter gebracht hatte. Er leugnete es, mein Vater zu sein, das gute Angedenken der Toten stand auf dem Spiele, darum nahm ich alle Opfer auf mich, darum konnte ich die Last ertragen, ohne aufzustöhnen oder gar zusammenzubrechen, und mein Sinn wurde ernst, jedoch nicht traurig. Denn ich litt ja um der Gerechtigkeit willen und lernte sie eben deshalb doppelt ehren und lieben.
Als der alte Mann starb, da jauchzte ich nicht. Mir war damals zumute wie etwa einem der Knechte, die ihr Leben lang das Salz in mächtigen Packen von hier nach Ungarn tragen und auf dem Heimwege ungarischen Tabak hierher. Der arme Mann trocknet sich die Stirne, wenn er wieder einmal ans Ziel gelangt; er ist zufrieden, daß er das Salz richtig abgeliefert hat, aber er jubelt nicht, denn er weiß, daß er am nächsten Morgen den Tabakballen auf seine Schultern wird laden müssen, der nicht minder schwer ist, obwohl er sich anders anfühlt als das Salz. Ja, Nachbarn, so jung ich war, ich begriff, daß in unserem Leben nur eben die Lasten wechseln, und fand es so recht und billig. Darauf war ja die Ordnung auf Erden gegründet! Nur die einzige Erleichterung wollte ich mir gönnen, meinen Pack künftighin anderswo zu tragen als bisher; mir war's, als würden mir in Ridowa ewig die Schimpfreden meines Vaters ins Ohr klingen. Man kann es ja auch an vielen Tieren im Walde gewahren: wenn man ihnen ihre Heimstätte zerstört, so bauen sie sie von neuem, aber wenn man sie ihnen beschmutzt, dann wandern sie aus. So suchte denn auch ich mir anderwärts einen Dienst, und der Zufall brachte mich hierher.
Ich kann nicht ohne Wehmut daran zurückdenken, wie ich damals war. Ein fleißiger Knecht, tüchtig und erfahren, ehrbar und gefestigt. Von den Freuden des Lebens wußte ich nichts. Ich hatte nie einen Rausch gehabt, nie einen Genossen im Ringkampf bezwungen, nie ein Mädchen in Liebe geküßt. Aber arm fühlte ich mich deshalb nicht. Denn ich genoß zumeist ungetrübt, was mir damals als höchste Freude erschien, die volle Zufriedenheit mit mir selbst. Warum auch nicht? Ich tat ja meine Pflicht, ich war ja gerecht und hatte sogar um der Gerechtigkeit willen gelitten! Dazu kam, daß ich mich völlig in der Hand hatte; ich wußte, daß dieser Taras, der durch eigene Kraft aus einem verachteten Bastard ein geachteter Mann geworden war, zeit seines Lebens pflichteifrig, hilfreich und gerecht bleiben werde. So fühlte ich mich für alle Zeit geborgen; ich konnte mich nimmer selbst verlassen, und ebensowenig konnte mir die Welt jemals lügen. Denn sie ruhte ja fest, so weit mein Auge blickte, breit und sicher, auf Recht und Gerechtigkeit aufgebaut!«
Er atmete tief auf, ein wehmütiges Lächeln zuckte um seine Lippen. »Ihr dürft euch nicht beklagen, Nachbarn, ich habe euch gesagt, daß ihr auch mein Lob werdet anhören müssen. Aber seid getrost, an Tadel wird es gleichfalls nicht fehlen, und den schwersten muß ich schon von diesen Tagen her gegen mich erheben. Mein Selbstgefühl war stärker, als durch meine Erfolge gerechtfertigt war. Ich hielt mich für den tüchtigsten Menschen meines Alters und Standes. Dieser häßliche Wahn war ebenso natürlich in mir entstanden wie meine Tugenden: durch meine Schicksale. Wer einen überaus steilen Berg zu erklimmen hat, muß sich stärker halten, als er ist, weil ihm sonst der Mut fehlen würde, den Anstieg zu wagen. Und nun gar erst, wenn er allein gehen muß!
Ihr seid wohl erstaunt, daß ich mich gerade dieses Lasters anklage; denn ein hochmütiges Wort, eine hochmütige Tat wüßte niemand von mir zu berichten. Oh, der Heuchler, werdet ihr denken, wie lange hat er uns belogen! Aber so erklärt sich dieser Widerspruch nicht. Es kostete mich keine Mühe, still und sanft zu sein und gegen jeden Menschen freundlich und dienstfertig. Denn mein Hochmut war eben von ganz besonderer Art. Auf Schritt und Tritt war ich mir bewußt: ›Dieser Taras ist ein tüchtiger, braver, gerechter Mensch. Es ist mir eine rechte Freude, daß er gerade – ich selbst bin.‹ Also ein glücklicher Mensch, werdet ihr glauben, ewig das eigene Seelchen liebkosend! . . . Wieder ein Irrtum! Mein Hochmut hat mir oft Leid gebracht, wenn ich mein eigenes Tun betrachtete und das der anderen. ›Kein Mensch ist eine Kirchentür‹, sagt das Sprichwort; auch ich geriet zuweilen in Fehl und Sünde. Es waren freilich nur kleine Sünden, über die ein anderer gelächelt hätte. Mir erschienen sie überaus peinlich. Aber kein guter Vorsatz schützte mich gegen sie; der Mensch bleibt nur eben ein Mensch, und wer auf der staubigen Erde wandelt, kann sein Kleid unmöglich blank erhalten. Wer sich überhaupt nachlässig trägt, kann auch ein wenig Staub ohne Ärger auf seinem Gewande sehen, aber wer sich gleichsam stündlich im Spiegel besieht, muß jedes Staubkorn wie eine Last empfinden. Aber auch die schlimmen Gewohnheiten der anderen quälten mich. So, wenn einer meiner Bekannten ein Säufer war; da ließ mein Hochmut keine Ruhe: ›Wozu bist du, Taras, so vernünftig, sparsam und nüchtern, als damit du ein Beispiel wirst für diesen armen Toren?!‹ Und ich mußte etwas tun, den Mann zu bekehren, mein Hochmut zerwühlte mir sonst die Seele, und wenn mein Rettungswerk mißglückte, wie dies meist so kam, dann schien ich mir selbst schlecht und dumm. Ähnlich erging es mir, wenn ich bei anderen Trägheit oder Ungeschicklichkeit in der Arbeit sah. Aber dies glückte mir viel öfter, denn erstens sprechen die Menschen doch lieber über das Pflügen und Kälberzüchten als darüber, ob es für sie schicklich ist, allnächtlich in der Schenke liegen zu bleiben, und zweitens blieb mir ja hier die eigene Tat! Wenn der ungeschickte Nachbar mit seiner Arbeit nicht fertig wurde, so konnte ich sie für ihn zu Ende bringen; der Tag ist lang, und man braucht deshalb der eigenen Arbeit keinen Abbruch zu tun. Ja, auch dies tat ich oft, und wenn es auch zuweilen aus Mitleid geschah, zumeist war es doch nur der Hochmut, der mich für andere arbeiten ließ.«
»Sprich nicht so!« unterbrach ihn eine zitternde, erregte Stimme. »Es ist eine Unwahrheit und eine Versündigung an dir selbst! Wie kannst du etwas ein Laster nennen, was seltene Tugend ist?«
Es war Vater Leo. Todbange im Gemüt hatte er die Rede des Freundes angehört. Er allein deutete es recht, als Taras davon sprach, daß er sich von den Menschen scheiden müsse, ›die im Frieden wohnen‹; so erfüllte sich denn die furchtbare Ahnung, die ihn bei der Erzählung des Knechtes Jemilian überkommen hatte. Aber was tun? Alle Fibern seiner Seele spannten sich schmerzhaft, und sein Hirn mühte sich vergeblich ab nach einem rettenden Ausweg. »Ich halte das Verderben nicht auf«, murmelte er mit bleichen Lippen und drängte doch gegen die Bank hin, dem Freunde näher zu sein, wenn das entscheidende Wort fiel. Und während er so klopfenden Herzens dastand und lauschte, zog noch einmal an seiner Seele alles vorüber, wie es sich mit Taras gefügt hatte und wie er es kommen gesehen von jener Stunde, da er ihn zuerst kennen gelernt, bei dem Empfange am Holzbrücklein über den Pruth, bis zu dem kurzen Gespräch in der verwichenen Nacht, bis zu jenem Schrei, der ihm noch immer im Ohre nachtönte, aber wie aus weiter, weiter Ferne herüberklingend – wie vieles war in den wenigen Stunden geschehen . . . »Es ist alles gekommen, wie es kommen mußte«, seufzte er und beugte sein Haupt. Gleichwohl duldete sein leidenschaftliches Herz keine stumpfe Ergebung. Und konnte er nichts anderes für den Freund tun, so wollte er doch nicht dulden, daß sich der Brave selbst ungerecht schmähe vor diesen Menschen, von denen die meisten den Einblick in ein so edles Gemüt nicht verdienten. Darum hatte er sich aufgerafft und war ihm in die Rede gefallen, obwohl er bei der tiefen Erregung des Mannes auf eine heftige Gegenrede gefaßt sein mußte.
Aber Taras blieb ruhig, er lächelte sogar, als er erwiderte: »Nein, Hochwürdiger, ich weiß es leider besser, es war wirklich nur Hochmut. Denn alles geschah doch nur, weil ich mir selbst so gut erschien. Ihr alle aber – nun ihr mein innerstes Wesen kennet, nun werdet ihr selbst ermessen, wie seltsam mir zumute war, als ich euch kennen lernte! Als wäre ich in eine fremde Welt geraten, alles war anders als bei mir daheim; anders und, wie mir zuerst erschien, schlechter! Aber mein Hochmut ließ es nicht zu, mich daran zu freuen, im Gegenteil, er trieb mich, alles daranzusetzen, um das Unsinnige hinwegzufegen! Es kostete mich Mühe, eure Art zu begreifen, aber dann wußte ich auch, wo anfangen, wo aufhören. Klar lag meine Aufgabe vor mir. Es galt bezüglich des Ackerbaus, für die fetten Felder das Pfluggerät der Ebene einzubürgern. Es galt bezüglich der Viehzucht, die Zahl der Hirten zu verdreifachen und gedeckte Hürden zu erbauen. Es galt bezüglich der Kleidung, euch bei der Arbeit an ein bequemes Gewand zu gewöhnen. Es galt bezüglich der Nahrung, Kornbrot und Rindfleisch in Gebrauch zu bringen. Es galt, das gefährliche Waffentragen zu beschränken . . .«
Er richtete sich hoch auf und streckte die Hand mit stolzer Gebärde über die Menge hin. Seine Augen leuchteten, und die Stimme hob sich zu ihrer vollen Kraft: »Zwölf Jahre bin ich im Dorfe. Als ein armer Knecht bin ich hergekommen und war jahrelang von allen verhöhnt. Niemals habe ich erwähnt, was ich für euch erarbeitet und erreicht habe; mit keinem Wort, keinem Blick, keiner Gebärde habe ich je eure Aufmerksamkeit darauf gelenkt. Mit keinem Wort, keinem Blick, keiner Gebärde habe ich je euren Dank verlangt. Ich tue es auch heute nicht; was soll mir euer Dank, wozu braucht ihn ein Mann in meiner Lage? Aber ich will, daß ihr die Wahrheit über mich erkennt, daß ihr mich gerecht beurteilt, und darum frage ich euch: Ist heute alles vollbracht, was ich eben aufgezählt habe? War es zum Guten? Und wessen Verdienst ist es, als das meine? Das meine ganz und gar, das meine allein!« Seine Stimme erhob sich zum Donnerton: »Sprecht, ihr Männer! Der Wahrheit die Ehre! Ja oder nein?«
Einige Sekunden lang herrschte tiefste Stille. Dann aber, wie wenn durch den Bergwald urplötzlich ein Windstoß fährt und alles Gezweig zu rauschen beginnt und jeder Stamm erdröhnt und jegliches Getier aufkreischt, daß alle Stimmen dem Lauschenden wie ein einziger übergewaltiger Hall ins Ohr dringen, so scholl es dem bleichen, stolzen Manne urplötzlich aus hundert und aber hundert Kehlen entgegen: »Ja! Taras! Ja! Es war dein Werk!«
Dann erst vernahm man die erregten Rufe der einzelnen. »Hoch Taras!« rief Simeon, schluchzend vor tiefster Bewegung. »Ja! Ja!« donnerte Wassilj, der Fleischer, dazwischen, »wenn ihr euch jetzt gut nährt, so danket ihr es dem da!« – »Und mit dem Pfluge hat es auch seine Richtigkeit!« rief eine kreischende Knabenstimme. Es war Marko, der Schmied, in dessen Hünengestalt dieses Stimmchen steckte. »Das weiß ich am besten!« – »Hoch Taras!« wiederholte Simeon seinen Ruf, und diesmal pflanzte er sich von Mund zu Mund fort und erscholl hundertstimmig: »Hoch! Hoch Taras!«
Bebend stand der unglückliche Mann oben. Stürmisch hob und senkte sich seine Brust, jähe Tränen jagten über seine Wangen herab, in dem Antlitz zuckte es. Er wollte sprechen und konnte nicht und mühte sich vergeblich, Worte zu finden, indes die Hochrufe fortwährten. Endlich gelang es ihm. Er hielt ihnen die Hände gefaltet entgegen und rief mit einer Stimme, so voll wilden Schmerzes, daß es alle kalt überlief: »Haltet ein! Um Gottes Barmherzigkeit willen, haltet ein! Erdrückt mich nicht mit eurem Dank, damit mich nicht später euer Vorwurf erdrücke. Denn so rein mein Herz war und so gut mein Wille, ich bin ja doch mir und den Meinen und euch allen, allen nur zum Schaden, zum Fluch gewesen . . .!«
Es war nach diesen Worten sehr still geworden. Und darum klang in diese feierliche Stille doppelt gellend die höhnische Stimme des Korporals. »Zum Fluch!« rief er. »Siehst du es jetzt wenigstens ein? Allen bist du zum Fluch gewesen, nur nicht dir selbst! Du hast eine Erbtochter betört und Ehrenstellen erschlichen, du hast dich weich genug gebettet!«
Die Menge brauste unwillig auf. »Schweig!« scholl es ihm hundertstimmig entgegen, und als Simeon entrüstet rief: »Hinweg, du Halunke!« da pflanzte sich auch dieser Ruf von Mund zu Mund. Der witzige Konstantin erbleichte, fuhr jedoch fort zu lächeln. Aber es wurde ihm immer unbehaglicher, besonders als er die bewaffnete Schar gewahrte, die sich in der Nähe der Rednerbank zusammengefunden hatte und nun unter Wutgeheul den Weg zu ihm zu gewinnen suchte. Es waren sechs Leute: die beiden Söhne des Simeon, Hritzko und Giorgi Pomenko, ferner die Knechte des Taras, die nachts mit ihm heimgekehrt waren, Sefko und Jemilian, endlich Wassilj Soklewicz und ein fremder Bursche, jener Lazarko Rodakowicz, den Taras aus der Bande des ›grünen Giorgi‹ in seine Gesellschaft gezogen hatte. Sie alle waren in wilder Erregung und drängten ungestüm heran.
Zitternd stand Konstantin inmitten des Aufruhrs und duldete es schließlich nicht ungern, daß ihn zwei andere Urlauber faßten und langsam durch die dichtgestauten Reihen gegen die Schenke führten. Man gab ihnen Raum, aber was der Held, Stolz und Liebling von Zulawce auf diesem Wege zu hören bekam, waren gerade keine Schmeichelreden. »Hund!« schrien ihm die Männer zu, »hast du kein Herz in der Brust, daß du diesen Ärmsten auch noch zu höhnen wagst? Hörst du ihm nicht an, daß er Entsetzlicheres vorhat als den eigenen Tod? Und, davon abgesehen, Lump, bist du nicht auch ein Dorfkind? Weißt du nicht, welche Ehrfurcht man einer großen Versammlung schuldet?«
Der junge Held hielt es für klug, nichts zu erwidern, sondern nur rasch die sichere Schenke zu erreichen. Hier erst atmete er auf. Aber als er in die Schenkstube trat, da wich er verlegen zurück. In einen Winkel des großen, wüsten Raumes auf eine der breiten Holzbänke hatten die Männer vorhin das Weib des Taras gebettet. Da lag sie nun hingestreckt, und die Weiber mühten sich um die gebrochene Gestalt, allen voran die gute dicke Popadja und die Jüdin, das Weib des Schenkwirts. Die Ohnmacht war gewichen, denn die Unglückliche hielt die Augen weit geöffnet, die Lippen bewegten sich, und die Finger wühlten in dem dichten, schwarzen Haar, das aufgelöst über das todfahle Antlitz quoll und über das blaue Festtagsgewand. Aber noch schien die Besinnung nicht wiedergekehrt, denn mit wirren Augen blickte sie um sich, und von ihren Lippen klang kein Wort, nur ein Wimmern, laut anschwellend und wieder verstummend, um dann abermals mit einem jähen Schrei zu beginnen und leise zu verhallen. Den Umstehenden gerann das Blut zu Eis, und ihr Herz wollte still stehen vor Mitleid. Kein Wort, keine Tränenflut hätte sie so tief ergreifen und rühren können als dieser schrille Klageruf, der fast wie das Geheul eines gequälten Tieres klang. Nur einmal fand sie Worte, als sie den Korporal erkannte. »Hinweg, Weißrock!« schrie sie auf.
Dann aber richtete sie sich auf und streckte ihm flehend die gefalteten Hände entgegen: »Nein! Bleib! Hör meine Bitte! Nimm ihn gefangen, ehe er geht, um Christi Barmherzigkeit willen, nimm ihn gefangen!« Sie suchte sich zu erheben, die Weiber drückten sie auf ihr Lager nieder. »Die Ärmste ist wahnsinnig geworden«, flüsterten sie einander scheu zu und winkten dem Soldaten, die Stube zu verlassen. Er gehorchte, von Grauen geschüttelt, und trat wieder vor die Schenke, wo die Menge abermals still und andächtig den Worten des bleichen, verwilderten Mannes lauschte, der einst der sanftmütigste, friedfertigste Hausvater seines Dorfes gewesen und dessen Weib nun seinen Todfeind anflehen mußte, ihn unschädlich zu machen . . .
»Nun das Wichtigste, das Schmerzlichste, warum ich mir und euch zum Fluche werden mußte! Es geschah infolge eines furchtbaren Irrtums, aber nicht meine eigene Überzeugung war irrig, sondern nur mein Vertrauen in andere! Noch heute ist es mein heiliger Glaube, für den ich leben und sterben will, daß diese Welt auf Gerechtigkeit gebaut ist. Jedem von uns, so denke ich heute wie einst, hat Gott seine Pflicht zugeteilt, die er erfüllen muß, aber auch sein Recht, das die andern achten müssen. Denn dieses ist der Stab, der ihm gegeben ist, damit er seine Last tragen könne und nicht unter ihr zusammenbreche. Darum darf niemand seinem Nächsten an diesen Stab tasten, niemand seinem Nächsten einen Teil seiner eigenen Last aufbürden wollen. Denn Gott hat alles genau nach dem Maß der einzelnen Kraft verteilt, allgerecht und allweise. Wer dagegen frevelt, stürzt die Ordnung um, die er auf Erden aufgerichtet hat zu aller Heil, und er wacht darüber, daß dieses nicht straflos geschehe. Gleichwohl will er nicht selbst täglich und stündlich mit seinem eigenen Arm hinuntergreifen auf die Erde, denn er will nicht, daß uns Menschen die Sühne für verübtes Unrecht als ein Wunder erscheine, sondern als etwas Gewohntes und Alltägliches. Darum hat er die Erde mit all ihren Bewohnern in einzelne Länder eingeteilt und über jedes Land einen Mann gesetzt, der Richter sei an seiner Stelle, der für ihn das Unrecht strafe, das Recht schütze. So ist diesem einzelnen, dem Kaiser, eine schwere Last von Gott aufgebürdet; aber weil er allweise ist, so hat er ihm auch einen stärkeren Stab gegeben als jedem von uns: die kaiserliche Macht. Doch der mächtigste Mensch bleibt immer nur ein Mensch. Auch der Kaiser hat nur zwei Augen und Ohren, auch er kann nur an einem Orte zugleich sein wie der geringste Tagelöhner. Darum tut der Kaiser nach dem Beispiele Gottes: er teilt sein Land in kleine Bezirke und setzt über jeden einen Menschen, der Richter sei an seiner Stelle, und gibt ihm einen Teil seiner Last und ein Stück seines Stabes. Das sind die Schreiber des Kaisers, und diese tun nach dem Beispiel Gottes und des Kaisers: sie achten darauf, daß jedes Dorf seinen Richter wähle, und gönnen ihm ihrerseits einen Teil ihrer Kraft und ihres Rechtes. Und das Gleiche tun die Richter gegen jeden der Hausväter. Dies ist die herrliche, tröstliche Leiter, welche die Erde mit dem Himmel und uns arme sündige Menschen mit unserem Schöpfer verbindet. Herrlich nenne ich sie, weil kein Menschensinn sie sich vollkommener ausmalen könnte, und tröstlich, weil auch über der untersten Sprosse dasselbe Gesetz wacht wie über der obersten. Denn es ist gleichviel, ob ich Hirte oder Kaiser bin; wer mir Unrecht tut, begeht gleiche Sünde, und es ist die Pflicht derer, denen Gott die Macht dazu verliehen hat, sie mit gleicher Entschiedenheit abzuwehren. Darum habe ich nur die Sorge, recht zu handeln und erlittenes Unrecht nicht etwa schweigend hinzunehmen, sondern denen mitzuteilen, die von Gott eingesetzt sind, es abzuwehren. Alles weitere ist ihre Sache!
Weil mir dies noch heute als heilige Überzeugung feststeht, darum scheint mir mein einstiges Urteil über euch auch jetzt nicht irrig. Ihr dünktet mich wie die wilden Tiere, bis ich zum mindesten den Grund erkannte: ihr hattet die Art eurer Väter beibehalten, die einst vom Gebirge herabgestiegen und hier seßhaft geworden waren. Sie hatten recht daran getan, sich auf ihre Flinte zu verlassen, denn Gott will, daß jedem sein Recht werde. Darum hat er jene Ordnung aufgerichtet; da jedoch, wohin diese Ordnung nicht reicht, in der Bergwüste oben, muß die Macht, über seinem eigenen Recht zu wachen, an jeden einzelnen zurückfallen. Euch aber, die ihr Recht finden konntet, euch galt Gottes Ordnung gleichfalls für Dunst! Das fiel mir mit entsetzlicher Wucht auf die Brust, und wenn schon das Verkehrte in euren Sitten und Einrichtungen meinen Hochmut aufgestachelt hatte, um so mehr dieser Frevel! Ich ging ans Werk. Aber bald mußte ich einsehen, daß ich als einzelner Hausvater wenig vollbringen konnte; ich mußte Macht gewinnen, zum Ältesten gewählt werden. Aber kleinliche Mittel dazu anzuwenden, ging mir gegen das Gemüt. Ich mußte es Gott, dessen Reich auf Erden ich mehren wollte, überlassen, eure Herzen zu lenken. Und als ich nun wirklich Ältester wurde, bot ich auch alles auf, was ich für dieses Ziel tun konnte. Dies tat ich auch, als der neue Mandatar vor nun vier Jahren hierherkam. Euch mißfiel er sofort, während ich ihn verteidigte. Die Erfahrung hat euer Urteil bekräftigt, gleichwohl wart damals ihr im Unrecht, ich im Recht, denn ihr haßtet ja den Hajek nur deshalb, weil er der Mandatar war. Dieser Haß ward mir zur Probe auf meinen Einfluß im Dorfe. Wen ich überzeugen konnte, daß dieser Mann nicht schon deshalb ein Feind war, weil er die Fronde einfordern mußte, der konnte auch den Willen Gottes verstehen. Wirklich brachte ich viele zu dieser Einsicht, und es kam der Tag, wo sich dies erprobte. Als der Mandatar unverhofft zu Maria Geburt das Vieh forderte, stimmtet ihr mir bei. Und dasselbe tatet ihr in der schwierigeren Sache bezüglich der Waldrobot. Was ich nach jenen Versammlungen empfand, kann ich kaum beschreiben. ›Du Allgerechter‹, jubelte mein Herz, ›nun wird auch hier dein Wille erfüllt!‹ Der alte Stefan wendete sich nun für immer von mir ab, es tat mir sehr weh, aber jene reine, große Freude konnte mir dies nicht nehmen. Sie wäre mir auch dann im Herzen geblieben, wenn mich jene Versammlungen« – er sprach es langsam, mit wuchtiger Betonung – »etwa die Liebe meines Weibes oder das Wohl meiner Kinder gekostet hätten! Der Bruch war unheilbar; es konnte keine Versöhnung geben zwischen dem Dorfe, wie es einst war und wie es nun nach meinen Absichten werden sollte, und darum auch keine zwischen Stefan und mir. Ich verstand ihn nicht, als er mir sagte: ›Es muß schlimm ausgehen, wenn der Richter von anderem Schlage ist als die anderen Männer.‹ Ich war im Gegenteil überzeugt: es muß in Zulawce schlimm ausgehen, wenn der Richter gleichfalls ein gewalttätiger Mann ist. Hätte ich einen Mann meiner Gesinnung und einen besseren als mich unter euch gekannt, ich hätte es für Sünde gehalten, selbst Richter zu werden; so aber gebot es mir mein Gewissen, meine Wahl zu wünschen. Ich wurde gewählt, einstimmig, wie nie ein Mann vor oder nach mir. ›Wohl mir‹, dachte ich, aber auch ›wohl euch‹. Nun war die Ordnung Gottes auch hier gesichert. Daß Hajek ein Schurke war, wußte ich natürlich sehr bald. Es machte mir Verdruß und Ekel, denselben Ekel, als wenn ich häufig eine Kröte hätte berühren müssen. Aber Sorge für uns flößte mir diese Wahrnehmung nicht ein. Was konnte dem Gerechten geschehen in diesem gerecht regierten Lande? Und darum drohte ich ihm nie, ja noch mehr –« Er hielt einen Augenblick inne, als fiele es ihm schwer, das folgende auszusprechen. Dann aber fuhr er fort: »Ich habe nun zu sagen, was bisher niemand von euch erfahren hat! Zermalmet mich mit eurem Zorn, wenn ihr es vernehmet, denn darin liegt der Grund, daß ihr zu Schaden gekommen seid. Aber ich konnte nicht anders! Ich selbst war es, der dem Schurken, als er mich in heuchlerischem Zorn darum fragte, beteuerte: ›Wir werden nie Gewalt mit Gewalt abwehren.‹ Und nur daraus ist dem Feigling der Mut gekommen, Gewalttat zu üben!« Ein Aufschrei des Zornes, des Erstaunens erklang aus hundert Kehlen. Dann aber ward es wieder still, und man vernahm nur noch die schweren Atemzüge der Erregten, und sie lauschten wieder, als er fortfuhr:
»Ihr habt Recht zu grollen! Aber auch ich hatte Recht, als ich also sprach! Und die stolze Zuversicht, welche mir diese Worte auf die Lippen gelegt hatte, verließ mich auch nicht, da er nun zur Gewalt griff. Ich war tiefer empört als ihr alle, weil ich das Recht inniger liebte. Wir aber mußten uns rein erhalten um des Rechtes wie um unsertwillen, auf ihm allein mußte die Schuld des Verbrechens haften bleiben; darum setzte ich mein Leben ein, Gewalttat zu verhüten. Als mir dies gelungen war, atmete ich wieder frei auf. Nun ging die Sache nicht mehr uns an, sondern das Kreisamt. Ich harrte auf das Urteil, wie nie ein Mensch vor mir auf ein Menschenwort geharrt hat! Und als es nun endlich kam – wie soll ich die Empörung schildern, die mich durchtobte! Aber nicht der Zorn, nicht die Entrüstung über diesen elenden Menschen warf mich nieder, sondern das Mitleid mit mir selbst. Denn schon damals, während der bucklige Schreiber vorlas und übersetzte, durchzuckte es mich: ›Armer Taras! Soll nicht das Recht zuschanden werden, so wirst du ein Frevler werden müssen in den Augen der Menschen!‹ Ich, der glückliche Hausvater, der friedliche Richter, ein Frevler! Darum sank ich ohnmächtig nieder, deshalb weinte und jammerte ich nach dem Erwachen. Freilich war es damals nur ein Gefühl, noch kein Entschluß. Die Wetterwolke war aufgestiegen in meinem Gemüt und stand da, düster und drohend. Noch grübelte ich nicht darüber, wie sie sich entladen würde, noch starrte ich sie erschreckt an, als wäre sie ein Fremdes und nicht mein Eigenstes. Dann freilich schnellte die Zuversicht wieder empor. Wenn die Schreiber des Kreisamtes Unrecht getan hatten, was lag daran? Die herrliche Leiter reichte ja höher! Ich reichte die Klage beim Lemberger Gubernium ein und hoffte und harrte wieder. Aber die alte Zuversicht wollte nicht wiederkehren. Meinen Verstand konnte ich noch zuweilen überreden, mein Gemüt nicht mehr; dort blieb die Wolke. Und sie wuchs und wuchs, und nun mußte ich auch, so sehr ich mich dagegen sträubte, darüber grübeln: ›Wie wird sie sich einst entladen?‹ Und dann« – seine Stimme sank zu heiserem Flüstern herab –, »dann zog es mich in den Bergwald . . ., dort wurde mir alles klar . . .
Als ich heimkam – es ist etwa ein halbes Jahr her –, fand ich beim Popen die Entscheidung des Guberniums. Die Klage war abgewiesen. Ich tobte nicht, ich jammerte nicht. Nun mußte sich die Wolke entladen. Aber ich war es mir und den Meinen, war es allen Menschen schuldig, den Advokaten noch einmal zu befragen. Da erwähnte er des Kaisers. Es war nur eine Ausflucht, weil er in Verlegenheit war und Mitleid mit mir hatte, mich aber traf das Wort, wie einen Verirrten in wüster Nacht der Lichtschein seines eigenen Hauses trifft. Alles Irren ist vorbei, alle Schrecken vergessen, nun fühlt er sich wieder sicher und geborgen, er ist daheim. Ich hatte vergessen, daß ein Mensch auf Erden lebte, den die Sache noch näher anging als mich, weil Gott selbst ihn dazu berufen hatte, und wußte nun, daß es meine Pflicht war, zu diesem Menschen, zum Kaiser, zu gehen. Heiter und hoffend ging ich nach Wien. Mich schreckte nicht die Fremde, nicht die Schwierigkeit, die sie mir machten, den Kaiser zu sprechen. Nachdem ich ihn gesprochen, nachdem ich ihn gesehen hatte, wußte ich auch, daß ich vergeblich gekommen war. Es soll kein Mensch auf Erden leben, von dem man mir nachsagen könnte, daß ich ungerecht gegen ihn gewesen bin. Und darum sage ich es, wie ich denke: ich halte den Herrn Kaiser von Österreich für keinen schlechten, ungerechten Mann. Er ist von schwächlichem Körper und drechselt gerne, auch hat er mich um meine Stiefelhosen befragt, als ich ihm unsere Sache vortrug. Mehr will ich nicht sagen. Denn er ist nun mein Gegner, den ich bekämpfen werde, so lange ein Atem in mir ist, und über seinen Gegner muß man rücksichtsvoller sprechen als über seinen besten Freund . . .
Ich kehrte heim als ein Mann, der weiß, was ihm bevorsteht, und daher die Pflicht hat, rechtzeitig die Vorbereitungen zu treffen. Ich erfüllte diese letzte traurige Pflicht und harrte nur noch auf die Entscheidung des Kaisers. Nicht etwa, als ob ich noch so töricht gewesen wäre, Günstiges zu erhoffen. Aber zu dem, was ich vorhatte, gewann ich erst das Recht, sobald mein Gesuch verworfen war. Früher nicht! Früher wäre es Frevel gewesen. Die Zwischenzeit durfte nicht ungenützt verstreichen. Ich ging in den Bergwald und erkundete ihn noch genauer als die früheren Male . . .
Heute nacht erfuhr ich vom Popen die Entscheidung. Sie lautet abweisend. Es liegt mir sehr am Herzen auszusprechen, daß nur dieses ›Nein!‹ meinen Entschluß besiegelt, nicht aber alles andere, was darin steht. Irgendein Schreiberlein hat mir im Namen des Kaisers streng und grob geschrieben, daß mir jede weitere Behelligung bei Strafe verboten wird. Ich weiß, daß der gutmütige, freundliche Mann dies nicht angeordnet hat und nichts davon weiß, er könnte keine Fliege kränken. Aber selbst wenn er es mit eigener Hand geschrieben hätte, so wäre mir dieser Beisatz gleichgültig gewesen, ebenso gleichgültig, als wenn er mir etwa selbst geschrieben hätte: ›Mein lieber Taras, mir blutet das Herz, daß ich deine Forderung nicht erfüllen kann, aber um deine Treue und Trefflichkeit zu lohnen, schicke ich dir das goldene Verdienstkreuz.‹ Auch dieses hätte nichts genützt, ich hätte das Kreuz nicht genommen und getan, was ich tun muß.«
Während dieser letzten Worte hatten sich seine bewaffneten Begleiter, Sefko und Jemilian, dann Wassilj Soklewicz und Lazarko Rodakowicz, der Rednerbank genähert, so daß sie ihn nun zunächst umstanden. Sie alle waren bleich und erregt, am tiefsten der alte Jemilian. Die Tränen rannen über das Antlitz des treuen Knechtes, als er seinem Herrn nun die Flinte, darreichte. Taras nahm sie und stützte sich auf die Waffe, als er mit lauter, langsamer, feierlicher Stimme fortfuhr: »Nun höret, ihr Männer und ihr alle, die ihr meine Stimme vernehmet! Höret wohl, damit ihr meine Worte jedem wiederholen könnt, der euch darum befragt. Furchtbarer Frevel hat sich in diesem Dorfe begeben, Raub und Meineid. Was immer das Recht und Gesetz befiehlt, diesen Frevel zu tilgen, habe ich getan. Es hat nichts gefruchtet. Der Meineidige geht frei umher, der Räuber hat das Geraubte behalten. Aber noch mehr, es war nicht bloß vergeblich, daß ich Gottes Ordnung befolgte, sondern sogar schädlich für euch und mich. Ich bin durch meine Gerechtigkeit dem Dorfe zum Fluche geworden. Wer das Recht ehrt, geht daran zugrunde! Wer Unrecht tut, gedeiht! Wie erklärt sich dieses Entsetzliche? War etwa der Glaube meines Lebens Wahnsinn und Lüge? Oder hat Gott nicht deshalb dem Kaiser die Macht gegeben, damit er das Recht schütze? Ragt jene Leiter nicht wirklich von der Erde zum Himmel empor? Ja, ja! und dreimal ja! So ist es allüberall, wo Menschen beieinander wohnen, nur hier nicht! Hier hat die Willkür, Unvernunft und Ohnmacht der Menschen die Ordnung Gottes vernichtet und zum Bösen genützt!
Was folgt daraus für jeden Rechtlichen? Wohin jene Ordnung nicht reicht, so im Bergwald, ist es Gottes Wille, daß jeder selbst sein Recht schütze. Und sollte sein Wille anders sein an jenen Unglücksstätten, wo die Machthaber Willkür üben, das Recht in Unrecht verkehren? Auch hier fällt die Macht, sein Leben und Eigentum gegen den Frevler zu wahren, an den einzelnen zurück. Hilft mir der Kaiser nicht, so helfe ich mir selbst! So vernehmet denn diese drei Dinge und traget sie von Mund zu Mund, daß sie in alle Hütten dringen und zu allen Menschen, die dieses unglückliche Land bewohnen, wo man kein Recht finden kann!
Zum ersten! Da der Kaiser nicht seine Pflicht gegen mich erfüllt, so bin ich meiner Pflicht gegen ihn entbunden. Und so erkläre ich, Taras Barabola, hiermit vor dem Allgerechten und diesen Menschen hier, daß ich den Herrn Kaiser Ferdinand von Österreich fürderhin nicht mehr als meinen Herrn anerkenne. Sein Wille ist mir Dunst, seine Worte sind mir Wind, ich werde ihnen nicht mehr gehorsamen. In allem, worin ich mich bisher seinen Gesetzen gefügt habe, werde ich fürderhin nur mein eigenes Gewissen befragen und danach handeln. Schickt er mir eine Mahnung, so werde ich sie nicht anhören; schickt er mir seine Soldaten, so werde ich mich gegen sie wehren. Und weil seine Schreiber die Macht zum Unrecht nützen und er ihnen nicht steuert, so werde ich diese Macht vermindern, wo mir möglich ist, und vernichten, wo ich kann! Überall und immer, so lange ein Atem in mir ist! Und so erkläre ich, Taras Barabola, im Namen des allgerechten Gottes dem Herrn Kaiser Ferdinand von Österreich Krieg! – Krieg! – Krieg!«
Ein gellender Aufschrei aus hundert und aber hundert Kehlen folgte diesen Worten. Verwunderung und Entsetzen, Zustimmung und Entrüstung, Hohn und Mitleid – dies alles klang hier zu einem einzigen kurzen Schrei zusammen, der ebenso rasch verstummte, wie er sich erhoben, als hätte die gepreßte Brust dieser Hunderte nur eben zu diesem einzigen Laut Atem gefunden.
»Zum zweiten! Weil uns unser Recht nicht geworden ist, so werde ich es selbst nehmen. Ich werde den Mandatar zwingen, dem Dorfe vollen Ersatz zu leisten. Aber damit ist meine Aufgabe nicht beendet, sondern kaum erst begonnen. Soll der Name des allgerechten Gottes in dieser Landschaft nicht zuschanden werden, so bedarf es eines Richters und Rächers, vor dem die Frevler zittern, dem die Guten vertrauen. Da sich kein anderer für dieses heilige Amt gefunden hat, so werde ich es übernehmen und führen, so lange ich es vermag! Ich werde sein, was des Kaisers Gericht sein sollte, aber nicht ist: ein Hort der Unterdrückten. Weil aber auf Seiten des Unrechts die Macht ist, darum bedarf auch ich der Macht. Ich werde sie mir schaffen, indem ich meine Fahne im Bergwald entrolle und alle, die dem Rechte dienen wollen, aufrufe, ihr zu folgen. Das unwegsame Gebirge, bisher nur die Freistatt der Ruchlosen, muß nun zum Sammelplatz der Gerechten werden. Dort, wohin keines Schergen Arm reicht, werde ich hausen, von dort werde ich hinabstoßen in die Ebene, mein erhabenes Amt zu erfüllen, dorthin werde ich zurückkehren nach vollbrachter Tat.«
»Ein Hajdamak!« schrie Simeon verzweiflungsvoll. »Unser Taras ein Hajdamak!« »Ein Hajdamak!« wiederholte die Menge in allen Tonarten, laut und leise, höhnisch, mitleidsvoll und zornmütig.
»Nein!« rief Taras, und eine dunkle Röte färbte sein blasses Antlitz. »Das verzeihe dir Gott, Greis, daß du mich in dieser Stunde schmähst! Ein Hajdamak ist ein Räuber, ich aber werde der Führer der Rächer sein, und meine Waffe wird sich gegen jeden Frevler kehren, also auch gegen die Strolche, die ihr mit diesem Schimpfnamen beleget! Und darum höret und beherziget, was ich zum dritten und letzten zu sagen habe. Binnen einer Woche von heute, am Ostersonntag, wird meine Fahne im Bergwald entrollt sein. Wer mich reinen Herzens aufsucht, sei es, um mir ein Unrecht zu klagen, sei es, um zu meiner Schar zu stoßen, wird von jedem braven Hirten und Jäger da oben erfragen können, wo er mich finden kann. Nur möge es sich jeder dreimal überlegen, ehe er einer der Meinen wird! Wer lustig und ungebunden leben will, komme nicht zu mir; wir werden ein armseliges Dasein führen, und ich werde strenge Mannszucht halten. Wer auf Beute hofft, komme nicht zu mir; ich werde nie für mich und meine Leute Beute machen und jeden mit eigener Hand erschießen, der sich böswillig an fremdem Gute vergreift. Wer sich glücklich fühlt, komme nicht zu mir, denn jeder aus meiner Schar muß wissen, daß es keine Wiederkehr für ihn gibt, daß er sich für immer von den Menschen scheidet, die im Frieden wohnen, daß ihn stündlich der Tod erreichen kann, der schöne Tod im offenen Kampfe, der häßliche Tod auf dem Galgen! Es müßte nicht so sein, wenn die Menschen anders wären: großherzig und opferfreudig. Dann würde ich eine andere Fahne entrollen: die des offenen Aufruhrs aller gegen den gemeinsamen Feind, das Unrecht. Das ist nicht möglich, und ich bescheide mich mit dem Möglichen.
Dies alles bitte ich euch zu verkünden und hinzuzufügen: So lange wird Taras Barabola diesen Krieg führen, bis sein Zweck erreicht, die herrliche, tröstliche Ordnung auch in diesem Lande allen sichtbar aufgerichtet ist. Gelingt dies, so mag mit mir geschehen, was da wolle. Und müßte ich dann zum Opfer fallen, so würde ich zum Hochgericht gehen wie ein Sieger.«
Er verstummte nun und fügte erst nach einigen langen Atemzügen halblaut und mit einer fast erstickten Stimme hinzu:
»Und nun . . . lebet alle wohl! Möge es jedem von euch, möge es dem Dorfe so gut ergehen, wie ich wünsche . . . Ich danke allen, die mir Gutes, erwiesen haben, und verzeihe denen, die mir Unrecht getan haben . . . Nehmet euch freundlich meines armen Weibes an, meiner lieben Kindlein. Sie bleiben so verlassen zurück, ach so verlassen . . . Schenket ihnen euer Mitleid, ich begehre es nicht für mich . . . Lebet wohl!«
Tiefe Stille herrschte, während er diese Worte sprach, so daß man sie über den ganzen weiten Platz hin verstehen konnte, obwohl die verhaltenen Tränen seine Stimme zum Geflüster dämpften. Auch nachdem er geendet hatte, währte dieses Schweigen einige Sekunden lang fort, bis er sich abwendete, von der Bank sprang und, von seinen Gefährten umringt, sich Bahn durch die Menge zu schaffen suchte, gegen die Kirche hin.
Da erst war der Bann andächtiger Rührung von den Seelen genommen, da erst brach ein Aufruhr los, wie er sich selbst auf diesem Platze, dem Versammlungsorte ungebändigter Naturmenschen, noch nie ereignet hatte. Jeder drängte und schrie auf seinen Nachbar ein; es war eine unsägliche Verwirrung. Endlich gelang es einer der Stimmen, durchzudringen und sich allgemein verständlich zu machen. Es war abermals der Korporal. »Haltet ihn!« rief er. »Ich verhafte den Empörer im Namen des Kaisers. Helft, ihr Männer! Jewgeni, tu deine Pflicht!« Diesmal stand er nicht allein. Wohl ein Dutzend Urlauber und alte Soldaten stimmten in seinen Ruf ein.
Aber nun regte sich auch der entrüstete Widerspruch. »Wir sind keine Schergen!« rief die kreischende Stimme des Schmiedes, und die meisten stimmten ein: »Keine Schergen! Laß ihn im Frieden ziehen! Was in der ›großen Versammlung‹ gesprochen wird, ist straflos.« »Im Namen des Kaisers!« rief der Korporal totenbleich, riß seinem Nachbar die Pistole aus dem Gürtel und schlug sie auf die Männer vor ihm an. »Gebt Raum, laßt mich meine Pflicht tun, oder ich schieße!« »Und wir schlagen dich nieder!« rief Wassilj, der Fleischer, und sprang vor, sein Handbeil über das Haupt des Soldaten schwingend. Ein blutiger Zusammenstoß schien unvermeidlich. Da eilte Jewgeni, der Richter, herbei. Der Drang des Augenblickes hatte das bißchen Verstand und Tatkraft in dem Manne wachgerüttelt. »Kennt ihr dieses Zeichen?« rief er und streckte seinen Richterstab zwischen die Hadernden. »Noch gilt es, noch ist Versammlung! Ich gebiete Ruhe!« Das Wort wirkte. Wassilj ließ das Handbeil sinken, der Korporal die Pistole.
Während sich dies vor der Linde begab, wendete Taras, von seinen Begleitern unterstützt, alle Kraft darauf, die Reihen rasch zu durchbrechen. Es wollte ihm nicht gelingen, die Leute umdrängten ihn, faßten sein Gewand und riefen ihm wirre Worte zu. Aber nicht dies ertrug er am schwersten, sondern das Wehklagen und Flehen der Freunde. Der alte Alexa Sembrow war vor ihn hingesunken, umklammerte seine Knie und wiederholte immer wieder jammernd: »Tu's nicht! Taras! Tu's nicht!« Simeon hatte ein anderes Mittel gewählt, er drängte gegen die Schenke zu, die Anusia zu holen. Nur der Pope stand schweigend da, das Antlitz fahl, die Lippen fest zusammengepreßt. Er war der einzige, an den sich Taras noch wendete. »Du Guter, du Kluger«, sagte er bewegt, »verzeih mein Schweigen, verzeih mir das Weh, das ich dir bereite. Ich weiß, du hast mich am meisten geliebt!«
Da konnte Leo seine Fassung nicht länger bewahren. Laut aufweinend stürzte er in die Arme des Scheidenden. »Ach«, schluchzte er, »welch ein Mensch geht an dir verloren!« – »Nicht so!« erwiderte Taras und wand sich aus seinen Armen. »Wer tut, was ihm sein ehrliches Herz gebietet, geht nicht verloren, mindestens in den Augen der Guten nicht . . .« Er wollte gehen und hielt doch wieder an. »Hochwürdiger«, sagte er so leise, daß ihn nur dieser verstehen konnte, »ich habe noch eine Bitte.«
»Sprich – deines Weibes wegen?«
»Da ist nicht erst die Bitte nötig. Ich kenne dein Herz. Nein, meinetwegen . . . Wenn einst – meine letzte Stunde naht, darf ich dich holen lassen? Wirst du kommen, gleichviel wohin? . . . Auch wenn es ein . . . unheimlicher Ort wäre?«
»Ich werde kommen!« stammelte der Pope.
»Ich danke dir für alles – für dieses letzte Versprechen am meisten . . .«
Er wendete sich an Jemilian. »Sind die Pferde hinter der Kirche? Dann kommt!« Aber vorher hatte er noch einen schweren Augenblick zu durchleben. Die Söhne des Simeon, Hritzko und Giorgi, stürzten vor ihn hin. »Nimm uns mit!« flehten sie. »Wir verlassen dich nicht.«
»Steht auf!« befahl er kurz und rauh, mit so gebietender Stimme, daß sie sofort gehorchten. »Ich bin kein Schurke, der die Söhne seiner Freunde ins Verderben führt.« Dann aber umarmte er sie innig. »Ihr seid doch unverbesserlich«, sagte er mit wehmütigem Lächeln. »Was hat es nun genützt, daß ich euch wohlweislich beim letzten Zuge nicht mehr mitgenommen habe? Lieb habt ihr mich deshalb doch! Und ich euch! Aber eben darum – lebt wohl!«
Er schritt hastig weiter und bestieg eben mit seinen Begleitern die bereitgehaltenen Pferde, als noch einmal sein Name sein Ohr traf, und in einem Tone, so erschütternd, daß er zusammenfuhr. Er blickte zurück, er wußte, wer ihn rufe. Da stand das unglückliche Weib in der Tür der Schenke, die Augen starr auf ihn gerichtet, während Simeon die wankende Gestalt unterstützte.
»Leb wohl!« Er wollte es laut rufen und konnte es nur stammeln. Dann winkte er noch einmal mit der Hand und gab seinem Rosse die Sporen, daß es ihn im Galopp den steilen Weg emportrug in den Bergwald hinein, dessen tiefgrüne Schatten bald die Umrisse seiner Gestalt verschlangen.