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Einige Tage später saßen in der Dämmerung der Kreishauptmann und Dr. Eugen Starkowski in vertraulichem Gespräch zusammen. Es war im Büro des Beamten, er hatte dem befreundeten Advokaten vertraulich eröffnet, daß das Urteil des Kreisamts bereits formuliert sei, durch das der am Pruth gelegene, seit fünf Jahren strittige Teil des Gemeindeackers von Zulawce wieder dem Dorfe zugesprochen werde.
»Gottlob!« rief der alte Herr und rieb sich erfreut die Hände. »Seit ich den wirklichen Sachverhalt kenne, hat mir das erste Urteil das Herz belastet wie ein Alp. Nun endlich kann ich ihn abschütteln.«
»Und dennoch war auch jenes Urteil rechtskräftig erflossen«, bemerkte der Advokat mit traurigem Lächeln, »rechtskräftig, nach gewissenhafter Prüfung, nach Anhörung beider Parteien usw . . .«
»Soll dies ein Vorwurf sein?«
»Nein, am wenigsten gegen Sie«, beteuerte der Anwalt. »Aber mich faßt, so oft ich diese unselige Geschichte überdenke, tiefste Wehmut über die Kurzsichtigkeit menschlicher Gerechtigkeit.«
»Das muß ich gelten lassen.« Der alte Herr seufzte tief auf. »Mein Trost ist nur, daß dem Gericht der Vorwurf bewußter Ungerechtigkeit nicht gemacht werden kann, selbst dem Helden nicht, der zuerst eingriff. Die Bauern waren so leichtsinnig gewesen, den Grenzstein zu verrücken, der Mandatar war so ruchlos gewesen, den Acker zu besetzen. Es war bei dieser Sachlage ordnungsgemäß, daß der Kommissär die Bauern auf den Zivilweg verwies. Der Prozeß begann; beide Parteien verlangten die Beeidigung des Gegners, und es kam ja wirklich alles darauf an; durch ein anderes Rechtsmittel war die Wahrheit unmöglich zu erkunden. Beide Parteien leisteten den Eid. Unser wackerer Kaplonski ist dabei summarisch vorgegangen, id est: leichtsinnig und schleuderhaft, aber ich bin der festen Überzeugung, daß etwa ich selbst bei aller Gewissenhaftigkeit kein anderes Ergebnis erzielt hätte. Wer sich bestechen ließ, einen Meineid zu leisten, wer sich ganz in die Hände des Verführers gegeben hat, auf den werden Mahnungen des Richters schwerlich wirken. Eid stand gegen Eid, eine große Anzahl Bauern hatte gegen ihr Interesse für die Herrschaft geschworen, für die Herrschaft entschied der gerichtliche Augenschein und die Tatsache des Besitzes – unser Urteil konnte nicht anders sprechen, als es gesprochen hat. Wie gesagt, dies ist mein Trost, aber – Ihnen kann ich es gestehen – ich wäre deshalb doch recht unglücklich, wenn ich nicht auch den besseren Trost hätte, daß das Unrecht samt seinen Folgen so weit als irgend möglich gutgemacht ist.«
»So weit als irgend möglich«, erwiderte der Anwalt gedankenvoll. »Dieser unglückliche Taras . . .«
»Sprechen Sie mir nicht von diesem Menschen«, unterbrach ihn der Kreishauptmann heftig. »Soll ich etwa auch sein Schicksal in das Schuldbuch der ›kurzsichtigen irdischen Gerechtigkeit‹ schreiben?«
»Ich denke, ja!«
»Nein, dreimal nein! Denken Sie an unseren armen Hochenau! Und erst kürzlich der Mord in Bossowka!«
»Der Fall ist mir völlig rätselhaft.«
»Weil Sie die Psychologie dabei ins Treffen führen. Die Psychologie!« wiederholte der alte Herr mit einer Betonung, welche die tiefste Verachtung dieser Wissenschaft bekundete. »Ich aber, der ich gottlob kein ›Psychologe‹ bin, dafür aber leider seit zwanzig Jahren Kreishauptmann in Kolomea, ich, der ich das Hajdamakenwesen kenne, ich sage Ihnen: es ist auch mit diesem Taras gegangen wie mit jedem anderen Hetman. Zuerst hängt man sich ein schönes Mäntelchen um, dann lüftet man es und wirft es schließlich ganz ab, und mordet da, wo es völlig gefahrlos ist und einigen Gewinn bringt. Tun Sie mir also den Gefallen und schweigen Sie mir von diesem Menschen. Lassen Sie sich lieber Gutes und Schönes erzählen. Sie wissen, es laufen da draußen in Zulawce noch ein halb Dutzend armer Kerle herum, denen die Untersuchung wegen Meineids am Halse hängt wie ein Mühlstein. Nun, ich kann sie natürlich nicht davon befreien, und sie werden rechtskräftig verurteilt, dann aber sofort –«. Er lächelte.
»Begnadigt werden?« ergänzte der Anwalt, »Sie wissen es?«
»Ich weiß es. Und so wenig mir Kabinettsjustiz sonst gefällt, hier muß ich ihr Eingreifen dankbar preisen. Natürlich gilt diese Milde nur den Verführten und nicht auch den Verführern. Wir haben die Aussicht, Herrn Wenzel Hajek einige Jahre als Gast beherbergen zu können . . . Herein!«
Es hatte bereits mehrere Male an die Tür gepocht, die Herren hatten es im Eifer des Gesprächs überhört. Endlich vernahm es der Kreishauptmann. »Komm er nur herein, Dorn!« wiederholte er. In der geöffneten Tür erschien eine dunkle Gestalt und blieb da unbeweglich stehen. »Ein Bauer, wie mir scheint«, sagte der Kreishauptmann und spähte ins Halbdunkel. »Heute ist keine Amtszeit mehr, Komm morgen!«
Noch immer regte sich der Mann im Hintergrunde nicht. Dann jedoch trat er einen Schritt vor und begann mit gepreßter Stimme: »Verzeiht, ihr Herren, wenn ich störe. Aber ich habe es dringend . . .«
»Taras!« schrie der Advokat auf. Der Kreishauptmann aber schnellte von seinem Sitz empor, blieb einen Augenblick wie gelähmt vor Entsetzen stehen, riß dann das Fenster auf und rief einen gellenden Hilferuf um den andern auf die Gasse hinab.
Taras war neben der Tür stehengeblieben. »Erschreckt nicht«, bat er. »Seht her, ich habe keine Waffen und bin in friedlicher Absicht gekommen.«
Inzwischen hatten die Wachen vor dem Tore, dann der Schreiber Dorn den Hilferuf vernommen und kamen herbeigestürzt. »Bindet ihn!« rief ihnen der Kreishauptmann zu. Sie warfen sich auf den Mann und machten Miene, ihn zu mißhandeln. Der Anwalt trat dazwischen. »Halt!« befahl er. »Ihr seid fünf gegen einen, und ihr seht ja, daß er keinen Finger rührt.« Er trat dicht auf Taras zu und blickte ihm fest ins Auge. »Du führst nichts Böses im Schilde?«
»Nein, Herr.« Die einfache Versicherung schien dem Advokaten zu genügen. »Herr Kreishauptmann«, sagte er, »lassen Sie die Leute immerhin im Zimmer, aber Fesseln sind nicht notwendig. Ich verbürge mich dafür.«
Der Beamte hatte sich noch immer nicht gefaßt, und seine Stimme zitterte, als er sich endlich zu dem Gefürchteten wendete: »Tritt vor! Was hast du zu sagen?«
Wankenden Schrittes kam der todmüde, gebrochene Mann an den Tisch heran, aber seine Stimme klang fest und laut, als er erwiderte: »Ich bin gekommen, mich selbst dem Gerichte zu überliefern und zu erbitten, daß mir die Strafe werde, die mir gebührt.«
»Und deine Leute?«
»Sie sind nicht mehr beisammen und werden, gleich mir, nie mehr Gewalttat üben.«
»Wo sind sie?«
»Ich weiß es nicht von allen, aber von keinem werde ich es sagen. Weder heute noch morgen, noch in Zukunft, so oft ihr mich auch befragen möget. Was mich selbst betrifft, so werde ich nicht das Geringste verbergen, und damit werdet ihr euch begnügen müssen. Aber ehe du weiter fragst und ich antworte, bitte ich, daß du einen Schreiber hierher setzest, der alles aufzeichnet. Denn ich wünsche, daß es dann auch die Herren in Lemberg und Wien erfahren mögen, besonders der Herr Kaiser und sein alter Onkel Ludwig.«
Der Kreishauptmann wollte heftig erwidern, aber er bezwang sich, zudem war ja das Begehren des Mannes ein berechtigtes. Nur fühlte sich der alte Herr zu angegriffen, jetzt ein Verhör zu beginnen. »Du wirst morgen früh vernommen werden«, sagte er. »«Was immer du begangen hast, es soll dir angerechnet werden, daß du reuig hergekommen bist. Ich werde dir keine Ketten anlegen lassen; auch soll sich niemand herausnehmen, dich zu beschimpfen oder zu mißhandeln. Ich werde mich begnügen, dich bewachen zu lassen.«
»Tue, was deine Pflicht ist«, erwiderte Taras. »Zu deiner Beruhigung will ich dir aber sagen, daß ich nicht wieder davon ginge, auch wenn du alle Türen offen ließest. Mein Gewissen hat mich hierher gebracht und wird mich festhalten. Und wenn mich jemand befreien wollte, ich würde mich gegen ihn wehren, als ob er mir das schlimmste Unglück zufügen wollte.«
Der Kreishauptmann erwiderte nichts mehr, sondern gab der Wache den Befehl, den Mann ins Gefängnis zu bringen. Aber Taras blieb stehen. »Ich habe noch eine Bitte«, sagte er im Tone innigsten Flehens. »Darf ich dem Herrn Doktor hier etwas sagen? Es liegt mir sehr am Herzen.«
Der Kreishauptmann nickte stumm, der Anwalt trat auf den Gefangenen zu. »Herr Doktor!« flehte dieser, »glaube nicht, daß ich schließlich doch ein Räuber und Mörder geworden bin. Du hast gewiß davon vernommen, daß ich den alten Zukowski in Bossowka habe töten lassen. Ja, ich habe es getan, aber nur deshalb, weil mich Schurken getäuscht haben. Ich habe auch in diesem Falle ein gerechtes Gericht zu üben geglaubt. Herr Doktor, du weißt, ich habe nie eine Lüge gesprochen, glaube mir auch dieses.«
»Ich glaube es dir«, erwiderte Starkowski und reichte ihm die Hand. Taras nahm sie nicht; es zuckte in seinem Antlitz, er wankte, und ehe es der Anwalt hindern konnte, war er vor ihm auf die Knie gesunken und bedeckte seine Hand mit Küssen und Tränen. »Herr Doktor«, schluchzte er, »das war das Barmherzigste, was du im Leben getan hast.«
Dann erhob er sich und folgte den Wachen . . .
Eine Stunde später sprengten aus dem Kreisamt nach allen Richtungen die Eilboten ins Land, es den Truppen und Behörden zu verkünden, daß die große Not zu Ende sei. Noch früher hatte sich die Nachricht in Kolomea von Haus zu Haus verbreitet und war überall mit Jubel begrüßt worden. Nur die beiden Männer, die vielleicht das größte Interesse an dem Schicksal des Taras hatten, erfuhren die Nachricht erst spät, und obwohl es ihr Todfeind war, der sich nun selbst die Schlinge um den Nacken gelegt hatte, konnten sie doch keine Freude darüber empfinden, im Gegenteil qualvolle Angst.
Der ehrenwerte Ladislaus Kaplonski war einige Tage zuvor endlich aus Lemberg zurückgekehrt, nicht freiwillig, sondern weil das Disziplinargericht des Kreisamts sich wiederholt und so dringlich die Ehre seines Erscheinens erbeten hatte, daß der Herr Kommissär nur die Wahl hatte, entweder den Staatsdienst zu quittieren oder der schmeichelhaften Einladung zu folgen. Er hatte das letztere erwählt, in der Hoffnung, mit einer Rüge davonzukommen; aber schon die Art, wie ihn seine Kollegen empfingen, ließ ihn Schlimmeres befürchten, und noch mehr das erste Verhör vor dem Kreishauptmann. Gleichwohl hatte er bisher die Hoffnung festgehalten, sich durch all die Klippen hindurchzulügen, da ja der Zeuge, den er am meisten zu fürchten hatte, einstweilen noch in Wäldern und Bergen sein Unwesen trieb und nicht darüber befragt werden konnte, welche Botschaft er denn eigentlich seinerzeit dem Herrn Kommissär aufgetragen habe. Nun war der Mann plötzlich da; es war eine dunkle Stunde im Leben des Herrn Ladislaus, als sein Diener noch zu später Abendstunde in sein Schlafzimmer trat und meldete: »Taras ist gefangen!« Er sprang entsetzt auf und hätte gern sofort in der Weinstube der Chane Berggrün oder bei Bekannten Näheres erkundet, aber er wagte es nicht; die sonderbare Gewohnheit vieler Bewohner von Kolomea, nicht zu hören, wenn Herr Kaplonski sie ansprach, hatte nachgerade seit seiner Rückkehr alle Menschen ergriffen, mit denen er verkehren wollte. So blieb er denn trübselig in seiner Wohnung sitzen; an der Richtigkeit der Nachricht konnte er nicht zweifeln; vernahm er sie doch aus den erregten Gesprächen der Menschen, die an seinen Fenstern vorbeizogen . . .
In noch weitaus unbequemerer Position befand sich zur selben Stunde jener andere Mann, dem Taras ebenfalls sehr ungelegen gekommen war, Herr Wenzel Hajek. Er hatte mehrere Tage vorher seine luxuriös eingerichteten Gemächer im Schlosse zu Drinkowce mit einer bescheiden eingerichteten Zelle im Kreisgefängnisse von Kolomea vertauschen müssen. Das Kreisgericht hatte ihn im Beginn der Untersuchung, die es wegen Verführung zum Meineide gegen ihn begonnen hatte, auf freiem Fuß belassen und erst dann seine Festnahme bewirkt, als es in Erfahrung brachte, daß Herr Wenzel heimlich zu einem Ausflug nach Paris rüste. In der Tat waren die Gerichtsdiener in dem Augenblicke erschienen, als er eben seinen Koffer schloß. Das Erscheinen der beiden Männer berührte ihn sichtlich unangenehm, hingegen nahm Frau Wanda, die übrigens an der Reise nicht hatte teilnehmen wollen, die Verhaftung ihres Gatten mit einer Ruhe auf, deren sich eine antike Römerin nicht hätte zu schämen brauchen. Sie schluchzte nicht, sie klagte nicht, ja, sie fiel ihm nicht einmal um den Hals, sondern sagte mit fester Stimme, der man die innere Bewegung nicht anzuhören vermochte: »Gottlob, du Lump! Nun kommst du endlich an den Ort, wohin du gehörst.« Dies rüttelte auch ihn zu männlicher Fassung auf, und er erwiderte: »Meinetwegen in die Hölle, wenn ich nur dich nicht mehr zu sehen brauche.« So hatte sich, wie man sieht, diese gleichermaßen auf Liebe wie auf Achtung gegründete Ehe wirklich so glücklich gestaltet, wie vorauszusehen war. Herr Bogdan von Antoniewicz trug dieser Tatsache Rechnung, indem er sofort nach der Verhaftung seines geliebten Eidams namens seiner Tochter um gerichtliche Scheidung einschritt. Das machte Herrn Wenzel Hajek geringe Sorge. «Wer so glücklich war, eine Gattin wie Wanda sein eigen zu nennen, war auch vor dem Schicksal bewahrt, in einem Scheidungsprozeß als einzig schuldtragender Teil verurteilt zu werden. Um so bekümmerter blickte er den Ergebnissen der Untersuchung entgegen, besonders, da auch der Meier Boleslaw Stipinski leider so unvorsichtig gewesen war, sich fangen zu lassen. Doch war dieser Mann andererseits vorsichtig, genug, alles so frech und hartnäckig abzuleugnen, wie Hajek selbst, und so gab sich dieser vorläufig noch lange nicht verloren. Der einzige Mann, der um alle seine Frevel wußte, war ja zum Glücke ferne! Und nun male man sich das Erschrecken des Gefangenen, als plötzlich an jenem Abend in seine dunkle Zelle der Ruf drang: »Auf, Hawrilo! Sie bringen den Taras!« Es war einer der Wärter, der es draußen auf dem Korridor seinem Gefährten zurief. Dann vernahm der Lauschende das Rufen erregter Stimmen, den Hall vieler Tritte, und darauf wurde es still. Er wußte ja nicht, ob er recht gehört hatte, und fragen konnte er ja nicht. Erst am nächsten Morgen bestätigte es der Wärter. »Ja«, sagte er mürrisch, »er ist allerdings im Hause, aber es ist mir strengstens verboten, irgendwelche Grüße zu bestellen.« Der gute Mann wußte gar nicht, welche furchtbare Ironie in dieser pflichtgetreuen Beteuerung lag.
Am nächsten Morgen ließ der Kreishauptmann, der sich die Führung dieser Untersuchung selbst vorbehalten hatte, den Gefangenen zum ersten Verhör vorführen. Taras hielt sein Versprechen ein, auf jede Frage, die seine eigenen Handlungen betreffe, ausführlich und der Wahrheit gemäß Bescheid zu geben, aber ebenso hartnäckig weigerte er jede Auskunft über die Mitwirkung anderer. Nur die vier Männer, die ihn zum Morde in Bossowka verleitet hatten, gab er preis; sonst war kein Name, keine Tatsache von ihm zu erfahren. Ebenso hartnäckig verschwieg er die Namen der Bauern, die ihm freiwillige Gaben für den Unterhalt seiner Bande gespendet hatten. »Sie haben«, erklärte er, »allerdings einen Frevel unterstützt, aber aus ehrlicher Absicht, aus Ehrfurcht vor dem Willen Gottes und aus Mitleid für ihre geknechteten Mitmenschen.«
»Sieh dich vor«, mahnte der Kreishauptmann. »Nennst du die Spender nicht, so müssen wir die Spenden selbst für ein Märchen halten, und du kommst in die Gefahr, als gemeiner Verbrecher zu gelten, der gemordet und geraubt hat, um sich und seine Bande zu erhalten. Willst du deinen Kindern diesen Ruf hinterlassen?«
»Wie es Gott gefällt«, erwiderte Taras düster. »Er weiß, daß ich auch darin die Wahrheit rede.«
Das Verhör endete mit den Fragen, die das müde Gesetz der großen Kaiserin dem Richter, selbst dem schlimmsten Verbrecher gegenüber, zur Pflicht gemacht hat. »Wünschest du geistlichen Zuspruch?« fragte der Kreishauptmann.
»Nein«, erwiderte Taras entschieden. »Ich bin mit mir und Gott einig und bedarf keines Vermittlers zwischen mir und ihm. Nur vor dem Tode mag mir der letzte Trost des Christen nicht versagt sein, aber das hat ja wohl noch einige Wochen Zeit. Dann werde ich bitten, den Pfarrer meines Dorfes, dem hochwürdigen Vater Leo, zu berufen; er hat es mir am Palmsonntag dieses Jahres zugesichert zu kommen und wird gewiß auch darin ein ehrlicher Worthalter sein.«
»Wünschest du deinem Weibe einen Auftrag zu senden?«
Über das bleiche Antlitz jagte eine dunkle Röte und stieg bis in die Stirne empor. »Auch dies nicht«, erwiderte er fast stammelnd. »Mein Weib hat recht gehabt, ich habe den Anspruch auf sie und die Kinder verwirkt. Es wäre Gnade und Barmherzigkeit, wenn sie sich noch um mich bekümmern wollten. Aber Gnade darf man nicht fordern, sondern muß warten, bis sie gewährt wird. Ich will darauf harren.«
Er schien vergeblich harren zu sollen. Während der ganzen Dauer der Untersuchung, die an vier Monate währte, fanden sich weder der Pope noch Anusia in der Kreisstadt ein. Der einzige Mann, der sich während dieser Zeit die Erlaubnis erbat, den Gefangenen im Beisein eines Wächters sprechen zu dürfen, war Dr. Starkowski; als Recht konnte er dies nicht beanspruchen, da der Verteidiger erst nach geschlossener Untersuchung sein Amt antreten durfte. Er fand den Unglücklichen, für den er das wärmste Mitleid empfand, merkwürdig gefaßt und ruhig. »Ich klage nicht«, sagte Taras, »es ist gekommen, wie es kommen mußte. Und denke ich daran zurück wie mir zumute war, als mir jenes Weib in der Schenke den Betrug gestand, so erscheint mir mein jetziger Zustand wie ein Glück. Ich büße meine Frevel schon auf Erden, das ist alles, was ich noch von den Menschen erhoffen darf.«
»Alles?« fragte der Anwalt mit scharfer Betonung und hielt es für seine Pflicht der Barmherzigkeit, dem Unglücklichen anzubieten, in seinem Namen mit Anusia zu sprechen. »Es ist kein besonderes Opfer«, versicherte er. »Ich habe in den nächsten Tagen ohnehin in Zulawce zu tun!«
»Ich bitte dich, es zu unterlassen«, sagte Taras. »Es wäre ihr das Bitterste, mit einem Fremden darüber verhandeln zu müssen, und ich für mein Teil habe ihr so viel Schmerzliches zugefügt, daß ich es nicht mehren darf.«
Gleichwohl versuchte der Anwalt einige Tage später die Vermittlung, jedoch vergeblich. Leo riet ihm dringend ab, Anusia zu besuchen. »Glauben Sie mir«, beteuerte der wackere Pfarrer bekümmert, »könnte hier ein Menschenwort fruchten, so wären meine Bitten genügend gewesen. Kein Zürnen, kein Flehen vermag den eisernen Sinn dieses Weibes zu biegen oder zu brechen. Eben darum habe ich es auch bisher vermieden, nach Kolomea zu kommen: Was soll ich dem Ärmsten erwidern, wenn er fragt?«
»Vielleicht nützt gerade die Vorstellung eines ferner stehenden Freundes«, sagte der Anwalt und begab sich nach dem Hofe des Taras. Aber schon am Tore trat ihm der Jungknecht Halko entgegen. »Die Frau wünscht dich nicht zu sprechen«, meldete er, »es sei denn, du kämest im Auftrage der Schreiber, ihr einen Befehl zu verkünden.«
. . . Gegen Ende Januar 1840 war die Untersuchung abgeschlossen. Sie ergab wenig, was dem Gerichte nicht bereits früher durch die einzelnen Anzeigen bekannt war. Wie es feststand, daß Taras vieler Menschen Tod und Schaden auf dem Gewissen hatte, so ließ sich auch andrerseits feststellen, daß er überall eine Art gerichtlichen Verfahrens hatte vorangehen lassen, um die Wahrheit zu erkunden. Auch fanden sich zahlreiche Zeugen zu seiner Entlastung ein, so insbesondere Baron Zborowski aus Hankowce. Gelang es dergestalt, ein ziemlich getreues Bild der Tätigkeit des Taras während der sieben Monate, da er der Schrecken des Landes gewesen war, zu gewinnen, so blieb doch das tiefe Dunkel, das seine Helfer und Genossen schützend barg, völlig ungeachtet. Die Burschen schienen wie vom Erdboden verschwunden, allerdings ereignete sich auch keine einzige Untat mehr. Nur Karol Wygoda, auf dessen Spur Taras selbst hingelenkt hatte, wurde in der Nähe von Kotzman gefangen. Er leugnete, bis ihn der Kreishauptmann mit seinem einstigen Hetman konfrontierte. Da knickte er zusammen und gestand alles, auch den Frevel, den er bezüglich des Gutsherrn von Bossowka ins Werk gesetzt hatte.
Wie es sich hier erwies, daß der Einfluß, den dieser Mann auf seine Mitmenschen geübt hatte, selbst jetzt noch nicht erloschen sei, so auch in einigen andern Fällen, wo ihn der Kreishauptmann als Zeugen den Meineidigen von Zulawce gegenüberstellte. Aber der beste Beweis, wie stark und gefürchtet dieser Einfluß noch immer sei, war wohl der, daß Wenzel Hajek auf die bloße Ankündigung des Kreishauptmanns: »Morgen konfrontiere ich Sie mit dem Taras!« beinahe ohnmächtig zusammenbrach und sich zwei Stunden später zum Geständnisse meldete. Allerdings mochte hierzu die nüchterne Erwägung beigetragen haben, daß er ohnehin bereits überführt sei und daher am klügsten tue, sich diese peinliche Begegnung zu ersparen.
In anderer Lage befand sich Herr Ladislaus Kaplonski; sein Schicksal hing davon ab, wie er diese Stunde ertrug, und darum raffte er alle Frechheit seiner Lakaienseele zusammen, dem ›Raubmörder‹ zu imponieren. Aber es blieb bei dem guten Willen; wie Hammerschläge fielen die Worte des Taras auf das Haupt des Mannes nieder, so daß er schließlich kaum mehr zu stammeln wagte. Der eine war ein Mensch, der sich im Blute seiner Mitmenschen gebadet hatte, der andere ein k. k. Beamter, der nur eines Disziplinarvergehens angeklagt war, aber wahrlich, wer sie so beisammen sah, konnte schwerlich darüber im Zweifel bleiben, welcher von ihnen doch im Grunde die edlere und bessere Natur sei.
Bei dem letzten Verhör, das Taras zu bestehen hatte, stellte der Kreishauptmann schließlich an ihn die Frage, welchen Verteidiger er wählen wolle.
»Gottlob«, war die freudige Antwort. »Es ist mir also erlaubt, einen Mann zu wählen, der für mich spricht? Natürlich wähle ich, wenn es erlaubt ist, Herrn Dr. Starkowski.«
»Es ist erlaubt«, sagte der Kreishauptmann. »Aber«, fuhr er erstaunt fort, »du hast ja wiederholt versichert, du hättest mit dem Leben abgeschlossen. Und nun setzest du, wie es scheint, die größte Hoffnung auf die Hilfe des Verteidigers?«
»Oh«, erwiderte Taras, »daß ich sterben muß, weiß ich ja, und es ist auch gut und recht so. Nein, nein! Daran soll auch nicht gerüttelt werden. Aber es gibt noch eine andere wichtige Sache, in welcher ich einen Beistand brauche.«
Was dies sei, erfuhr der Anwalt bei dem ersten Besuche, den er in der Zelle machte. »Die Herren Schreiber«, sagte Taras bekümmert, »glauben mir nicht, daß ich den Kampf teils aus eigenen Mitteln geführt habe, teils durch freiwillige Spenden ehrlicher Leute. Und beweisen kann ich es ihnen nicht, denn wenn ich einen der Spender nenne, so bringe ich ihn ja ins Unglück. Muß es denn also wirklich ungerechterweise auf mir und den Meinen haften bleiben, daß ich ein gemeiner Räuber war?«
Der Anwalt suchte ihn zu beruhigen, er hoffe, diesen Verdacht durch das Gesamtbild seines Charakters und seiner Handlungsweise, wie es sich ja aus den Akten ergebe, zu entkräften. »Aber nun«, fuhr er fort, »wollen wir von dem Wichtigsten sprechen: deinem eigenen Schicksal.«
»Das steht ja fest«, erwiderte Taras. »Ich habe getötet und werde darum getötet werden. Rüttle nicht daran, ich bitte dich.«
»Höre«, sagte der Anwalt ruhig und nachdrücklich, »wir wollen die Sache vernünftig besprechen. Du hast dich selbst gestellt, damit kann dein Gewissen beruhigt sein, und es wäre geradezu ein Frevel gegen dich und die Deinen, wenn du dir den Tod durch Henkershand wünschen solltest. So viel zur Beruhigung deines erregten Gemüts. Was aber nun den Stand der Sache betrifft, so kann ich zwar nicht zweifeln, daß dich das Gericht zum Tode verurteilt, weil es durch das Gesetz dazu verpflichtet ist, gebe jedoch die Hoffnung nicht auf, daß dich der Kaiser begnadigen wird. Es liegen Milderungsgründe vor, die dies sogar wahrscheinlich machen. Dazu kommt, daß der alte Herr Erzherzog Ludwig lebhafte Teilnahme für deine Sache bekundet und sicherlich dein Fürsprecher sein wird.«
»Und nun höre auch du mich, Herr Doktor«, erwiderte Taras ebenso ruhig und entschieden. »Ich will in dieser Sache nur, was ich mein Leben lang gewollt habe: Gerechtigkeit, und gerecht wäre nur ein Todesurteil. Ich kann den Herrn Kaiser nicht verhindern, mich zu begnadigen, du aber wirst ihn nicht etwa in meinem Namen darum anflehen. Ich habe in dieser Sache nur eine Bitte . . .« Er stockte, seinen Körper überflog ein Zittern.
»Ich weiß«, sagte der Anwalt erschüttert, »du möchtest durch Pulver und Blei gerichtet werden. Der Pope hat es mir gesagt; der alte Jemilian hat ihn einmal heimlich aufgesucht, um ihm zu beichten . . . Beruhige dich; kommt es wirklich zum Äußersten, so werde ich dir mindestens dies sicherlich erwirken können.«
Ende Februar sprach das Kreisgericht das Urteil; es lautete, wie es lauten mußte, auf Tod durch den Strang. Aber gleichzeitig mit diesem Urteil erfuhr der Unglückliche, daß die Gemeinde Ridowa und Zulawce sowie auch Baron Zborowski Gnadengesuche an den Kaiser gesendet hätten.
Noch am selben Tage richtete der Anwalt ein Schreiben an den Popen, worin er ihn beschwor, nochmals auf Anusia zu wirken. Vater Leo las es mit tiefer Betrübnis. »Ach!« klagte er seiner Gattin, »welchen Grund soll ich ihr noch sagen, welche Bitte und Beschwörung vorbringen, die ich nicht bereits vergeblich erschöpft hätte.« – »Du mußt es dennoch versuchen«, ermahnte sie, »es ist die heiligste Pflicht, welche du jemals zu erfüllen hattest!« – »Gewiß«, erwiderte er. »Und eben darum blutet mir das Herz, wenn ich an den Bescheid denke, den ich mir wieder für den Ärmsten hole. Ich bemitleide die Anusia, ich werde nie aufhören, ihr ein Freund zu sein, aber diese Härte, diese Rachsucht lassen mich nachgerade ein tiefes Grauen vor ihr empfinden.«
Schweren Herzens trat er den Gang an. Er traf Anusia in der Stube, ihr ältestes Söhnchen, Wassilj, der beste Schüler des Popen, saß zu ihren Füßen und las ihr mit heller Stimme aus einem Erbauungsbuche vor. Als der Pope eintrat, nickte sie ihm zu und befahl dem Knaben, zu gehen. Aber dieser zauderte und gehorchte erst, nachdem sie den Befehl wiederholt hatte. Dann trat sie dem Popen entgegen, auf dem hageren, früh gealterten Antlitz den gewohnten Ausdruck starrer Ruhe. Auch ihre Stimme klang fast unbewegt, als sie sagte: »Ich weiß, weshalb du gekommen bist Er ist zum Tode verurteilt.« – »Ja«, begann er. »Und wenn jemals . . .« – »Schweige, sollen etwa ich und die Kinder dabeistehen, wenn . . .« – »Anusia!« schrie er auf. »Du versündigst dich so furchtbar, daß die Reue eines ganzen Lebens deine Schuld nicht wird tilgen können.« – »Meinst du?« stieß sie mühsam mit heiserer Stimme hervor. »Weißt du denn aber auch, wie sehr ich ihn geliebt habe? Weißt du denn aber auch, wie viel ich gelitten habe? Gott sieht mein Herz . . .« – »Rufe Gott nicht an!« rief er in äußerster Erregung. »Er hat nichts gemein mit der Rache und Erbarmungslosigkeit der Menschen.« – »Priester«, flüsterte sie drohend und trat dicht an ihn heran, »raube mir die Hoffnung auf Gott nicht . . . Ich werde sonst wahnsinnig!« schrie sie schrill auf und sank zu seinen Füßen nieder und umklammerte seine Knie. »Verstoße mich nicht. Bedenke, was ich leide.«
Er hob sie empor und geleitete sie zum nächsten Sitze. »Ich bedenke es«, sagte er, »ich habe es stets treulich mitgefühlt. Aber glaube mir, dieses Leid wird nicht geringer durch Haß und Bitterkeit . . . Komm mit zur Stadt«, fuhr er mit gefalteten Händen im Tone innigsten Flehens fort. »Erfülle seine letzte Bitte. Ich will ja nicht von seinem Rechte auf dich und die Kinder sprechen . . .«
»Das darfst du auch nicht«, unterbrach sie ihn mit furchtbarer Entschiedenheit. »Er hat dieses Recht in dem Augenblicke verwirkt, als er Weib und Kind im Stiche ließ, ohne Grund, ohne Nötigung, bloß um die Sache anderer, fremder Menschen zu verfechten. Ich jedoch zürnte nicht, ich flehte nur, vergeblich. Er aber dachte nur an seine Sache und nie an uns. Und als wir um seinetwillen in den Kerker mußten, was sagte er? ›Tötet sie, ich lasse deshalb doch nicht ab!‹ Spricht so ein Mensch, ein Gatte, ein Vater? Und als wir freigegeben waren und mit dir zu ihm kamen und ihn anflehten, dieses wüste Morden zu enden und uns die äußerste Schmach zu ersparen, was erwiderte er? ›Ich tue, wie ich muß.‹ Wohlan«, schrie sie auf, »so tue auch ich, wie ich muß, und halte mein Versprechen.«
»Wird dadurch dein Unglück geringer?«
»Ich tue ihm, wie er mir getan hat!«
»Hat dies der Heiland gelehrt?« fragte er. »Hoffst du, mit diesen Worten im Herzen dereinst vor Gott Barmherzigkeit zu finden?« Dann aber änderte er den Ton und sprach wieder flehend, begütigend, beschwörend. Sie unterbrach ihn nicht, er konnte ihr Antlitz nicht sehen, da sie es mit den Händen bedeckte, aber als er gewahrte, wie ein Schluchzen ihre Brust erschütterte und die Tränen hervorbrachen, da stärkte dies seinen Mut, und während er fortfuhr, weich und gutmütig mit ihr zu sprechen, flehte er zugleich zu Gott, daß er ihm die wirksamsten Worte eingeben möge, dieses arme, dunkle Herz zu rühren und zu erleuchten.
So überhörten sie es, daß sich die Tür geöffnet hatte, und schraken fast zusammen, als plötzlich die schluchzende Stimme des Knaben Wassilj hinter ihnen erklang. »Väterchen Leo«, stammelte das Kind, »ich will dir bitten helfen. Und will die Mutter dennoch nicht, so gehe doch ich mit dir, vom Vater Abschied zu nehmen.« Da entrang sich ein gellender Schrei der Brust des Weibes; sie warf sich auf den Knaben, bedeckte sein Antlitz mit Küssen und Tränen und rief: »Ich gehe, ich gehe!«
Zwei Tage später trat Dr. Starkowski erregt in die Zelle des Taras. »Mann«, sagte er, »bereite dich auf Freudiges vor, dein Weib . . .« – »Will sie kommen?« stammelte Taras. »O mein Gott . . ., es ist ja nicht möglich!« Er wankte wie ein Trunkener. Der Anwalt klopfte an die Tür der Zelle, der Schließer öffnete und ließ Anusia eintreten. Die beiden Gatten waren wieder vereint.
Der Kreishauptmann gestattete es, daß Anusia mit den Kindern viele Stunden lang bei dem Verurteilten verweile.
Sie sprachen oft von der Vergangenheit, von der Zukunft der Kinder, vom Dorfe, von allem, was ihnen gemeinsam war, nur von dem grausigen Ereignisse nicht, das ihnen so nahe bevorstand. Taras nahm täglich von ihr und den Kindern Abschied, so innig und bewegt, als sollte das Todesurteil am nächsten Tage an ihm vollstreckt werden, aber er schwieg, und Anusia nahm dies als günstiges Zeichen auf, daß er doch insgeheim auf Begnadigung hoffe.
Am 15. Mai 1840 kam die Entscheidung aus Wien.
Der Kaiser bestätigte das Todesurteil; dem Gnadengesuche könne nicht willfahrt werden, ›weil in Anbetracht der Ruchbarkeit des Falles ein abschreckendes Beispiel statuiert werden müsse‹. Art und Ort der Hinrichtung wurden dem Ermessen des Kreishauptmanns überlassen.
Als Herr von Bauer am Morgen des genannten Tages diese Entscheidung erhielt, war gerade der Pope Leo bei ihm, um sich die Erlaubnis zum Besuche des Verurteilten zu erbitten. Nachdem der Anwalt herbeigeholt war, begaben sich die drei Herren in die Zelle des Taras.
Als sie eintraten, überzog tiefe Blässe sein Antlitz, doch konnte er das Urteil stehend anhören.
»Du wirst also morgen erschossen werden«, sagte der Kreishauptmann. »Der hochwürdige Herr wird dich begleiten. Deine Hinrichtung soll kein Schauspiel für die Neugierigen sein; die Exekution wird daher in aller Frühe und in der Schlucht auf dem Wege nach Zablotow stattfinden, wo im vorigen Jahre ein Deserteur erschossen wurde. Nur die Amtspersonen werden beigezogen und haben für heute strenges Schweigen zu bewahren. Wünschest du, daß dein Weib dich geleite?«
»Nein«, sagte Taras. »Auch bitte ich, daß ihr nichts gesagt werde. Wir haben alles besprochen, und ich werde heute abends von ihr und den Kindern Abschied nehmen, als sollten wir uns morgen wiedersehen. Ich denke, so ist es am besten für sie . . .«
Er führte den frommen Betrug mit Seelenstärke durch und verbrachte den Tag in ruhigem Gespräche mit Anusia und den Kleinen. Erst als sie sich in der Dämmerung ahnungslos entfernt hatten, wurde er in die hell erleuchtete, mit Altar und Kruzifix ausgestattete Zelle gebracht, in welcher der Verurteilte die letzte Nacht verbringen mußte. Er beichtete seinem Freunde lange in leiser, bewegter Rede, aber ohne Tränen, empfing den letzten Trost und verbrachte den Rest der Nacht in stillem Gebet.
Im Morgengrauen des nächsten Tages fuhren drei Wagen durch die noch öden Straßen der Kreisstadt gegen Zablotow zu. In dem ersten saßen der Kreishauptmann und ein Offizier, in dem zweiten der Priester, der Verurteilte und zwei Soldaten, in dem dritten die übrige Exekutionsmannschaft. Es war ein herrlicher Frühlingsmorgen. Taras zog die erquickende Luft tief ein, und sein Auge schweifte über die Blütenbäume am Wege.
»Siehst du«, sagte er dem Popen, »wie gut es Gott mit mir meint. Er schenkt mir eine so schöne Sterbestunde.«
»Gott ist barmherzig«, erwiderte der Priester, »barmherziger als die Menschen . . .«
Das Wort kam ihm aus tiefstem Herzen, gleichwohl bereute er es bitter: war es seines Amtes, des Sterbenden Gemüt zu verbittern?
Taras schüttelte das Haupt.
»Vater Leo«, sagte er, »dich macht das Weh um mich ungerecht. Sieh, wenn ich alles überdenke, so darf ich nicht klagen! Über das Los meines Weibes und gar meiner Kinder kann ich beruhigt sein. Ich bin überzeugt, du und Anusia, ihr werdet sie zu braven Menschen erziehen.«
»Ich gelobe es, mein Teil dazu zu tun«, erwiderte der Pope feierlich. Und er hat sein Gelöbnis ehrlich gehalten. Die Söhne des Taras lebten als rechtliche, wohlhabende und angesehene Leute in Zulawce und Debeslawce, und Wassilj Barabola wurde nur deshalb nicht Richter, weil er jenen Schwur hielt, den er einst dem Vater geleistet hatte.
»Und mein eigenes Geschick?« fuhr Taras fort, »Ich habe mich allezeit, so weit dies ein armer, sündiger Mensch tun kann, für Recht und Gerechtigkeit gemüht, und obwohl ich dabei in Fehler und Frevel geriet, ist mein Mühen doch kein vergebliches gewesen. Ohne mich wäre heute mehr Bedrückung im Lande, als jetzt zu finden ist; ohne mich hätte die Gemeinde nicht wieder ihren Acker und einen menschlich gesinnten Mandatar. Sieh, Freund, Gottes Gnade ist mir reichlich zuteil geworden! Meine Frevel sühne ich, wie es gerecht ist. Warum sollte ich klagen?«
»O Taras!« rief Leo, »welcher Mensch stirbt an dir!«
»Ein sündiger, hochmütiger Mensch«, erwiderte Taras, »der aber stets das Gute und Rechte gewollt hat. Und darum, hoffe ich, wird mir auch der Richter da oben barmherzig sein.«
»Amen!« sagte Leo tief bewegt und fing wieder halblaut zu beten an. Taras flüsterte die frommen Worte nach. So erreichten sie jene Schlucht. Der Richter verlas das Urteil, und der Pope begann leise zu beten.
Taras trat an den angewiesenen Platz. Die Schüsse trafen ihn ins Herz. Das Antlitz des Toten war unentstellt und hielt den Ausdruck ruhigen Sinnens fest.
In der Dämmerung begruben sie ihn auf der Richtstätte.
Kein Kreuz bezeichnet die Stelle. Aber die Schlucht heißt noch heute im Volksmunde die ›Schlucht des Taras‹.
Ende