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Am Brink, der Hofapotheke direct gegenüber, wohnte in der zweiten Etage der Calculator Obrichter mit seiner Familie, der Frau Calculatorin und drei noch nicht erwachsenen Töchtern von sechs bis zwölf Jahren, wie einem jungen Calculator, dem aber hinten die Höschen zugeknöpft wurden, da er erst der Jahre vier zählte.
Der Calculator bezog natürlich ein sehr kümmerliches Gehalt, hatte aber nichtsdestoweniger eine sehr hübsche und geräumige Etage gemiethet, um einen Theil derselben wieder an Aftermiether abzugeben und daraus einen kleinen Nutzen zu ziehen. Er riskirte allerdings dabei, daß ihm diese einmal ausblieben; bis jetzt war es ihm aber immer noch geglückt, und in diesem Jahre sogar doppelt, da er die erste Sängerin am Stadttheater als Einzug bekam.
Die junge Dame stand allein in der Welt, und da sie in eine Familie einzuziehen wünschte, um dort auch zugleich ihre Mahlzeiten zu haben, und eine ganz anständige Pension dafür zahlte, eröffnete sich der Familie dadurch eine neue, bis jetzt noch nicht gekannte Erwerbsquelle. Aber beide Theile befanden sich darunter wohl, denn die Frau selber war wirklich das Muster einer Wirthin, bis aufs Peinlichste reinlich, sorgsam dabei und immer mit einer gutmüthigen Freundlichkeit, während Constanze Blendheim dagegen, mit sehr bescheidenen Ansprüchen, jede kleine Aufmerksamkeit dankbar erkannte und sich bald recht wohl in einem ihr doch sonst wohl fern liegenden Kreise fand.
Sie bewohnte zwei sehr hübsche Zimmer – das Eckzimmer mit dem daranstoßenden Gemach, – und ihre Wirthin hatte sich dadurch allerdings sehr einschränken müssen, bekam aber auch von ihr fast die ganze Miethe für die Etage gezahlt, Kostgeld exclusive, und ließ sich da gern eine kleine Unbequemlichkeit gefallen – was der Calculator selber nicht gerade von sich sagen konnte.
Er war von Herzen eigentlich ein ganz guter Mensch; den ganzen Tag aber, ja das ganze Jahr draußen von seinen Vorgesetzten hin- und hergestoßen und über die Achseln angesehen und trotzdem gezwungen, nur stets auf das Devoteste mit ihnen zu verkehren, that er sich dafür in seinen eigenen vier Wänden eine Güte, schüttelte die devoten Bücklinge ab, hielt den Rücken steif und spielte den Haustyrannen en miniature – etwas, was wir im Leben leider nur zu häufig finden. Er zeigte das aber nicht etwa durch ein rauhes Betragen gegen seine Frau – das kleine, gemüthliche Weibchen würde ihm auch nie Gelegenheit dazu geboten haben –, nein er betrachtete sich nur einfach als die gesetzgebende Gewalt im Hause, um die sich eben alles drehen mußte, als den Ernährer der Familie, der die einzige Arbeit dafür that, wie er meinte. In der That arbeitete seine Frau aber in einer Stunde mehr, als er den ganzen Tag auf seinem Bureau, wo sich die verschiedenen Beamten oft selber im Wege saßen und mit Gähnen den Schluß der Geschäftsstunden abwarteten, der sie aus ihrer »Marterkammer«, wie sie scherzhafter Weise das Bureau nannten, erlöste.
Mit der täglichen Kost war es bis dahin sehr knapp gegangen, denn seine paar hundert Thaler Gehalt wollten eingetheilt werden, wenn sie überhaupt ausreichen sollten, und Fleisch zum Beispiel kam früher nur Sonntags auf den Tisch. Jetzt dagegen hatte sich das geändert, denn ihre Abmietherin, die auch reichlich dafür bezahlte, verlangte, wenn auch einfache, doch nahrhafte Kost, besonders Abends, wenn sie aus dem Theater kam, etwas Warmes von Fleischspeisen, und wem das daneben zu Gute kam, war allein der Calculator. Er hatte seit dieser Zeit jeden Mittag sein Stück Fleisch, denn die junge Sängerin aß entsetzlich wenig, und außerdem kargte er auch noch seiner Frau, auf den Zuschuß fußend, einen kleinen Theil des bis jetzt gezahlten Wirthschaftsgeldes ab, was er, wie er sagte, nothwendig brauchte, um seinem durch die Bureauluft angegriffenen Körper mit einem Glase Lagerbier zu stärken.
Die kleine Frau ertrug das auch mit eines Engels Geduld; sie hatte ihre Kinder, für die sie sorgte und lebte, und was sie selber betraf, so war sie doch von Jugend auf an Entbehrungen gewöhnt gewesen und verlangte für sich nicht mehr als das Allernothwendigste – und wie wenig war das!
Auch in der sonst nicht zu engen Wohnung sah sie sich beschränkt. Der Gatte mußte ein Arbeitszimmer – in dem er nie etwas arbeitete, was er nicht an jedem andern Tische hätte eben so gut verrichten können – und ein besonderes Schlafzimmer haben, während sich die Frau gezwungen sah, mit ihren vier Kindern in einem andern Zimmer zu schlafen, denn eine »gute Stube« durfte auch natürlich hier nicht fehlen. Wenn sie einmal Besuch bekamen, was das ganze Jahr kaum zweimal vorfiel, war es doch nöthig, einen »anständigen« Platz zu besitzen, in den man die Gäste führen konnte, und deshalb allein athmeten Mutter und Kinder das ganze Jahr lang die ungesunde Stickluft des engen Raumes ein, in dem ihre sämmtlichen Betten standen.
Die gute Stube hatte nun jetzt für Constanze Blendheim den Vortheil (da sie neben ihrer Stube lag und mit dieser die ganze Front des Hauses nach dem Brink zu bildete), daß sie dort hinein Herrenbesuch führen konnte, wenn sie Jemand aufsuchte, und die Frau Obrichter freute sich dann jedesmal, daß wieder einmal Jemand ihre »guten« Möbel zu sehen bekam. Sie hatte die kleine Schwäche allerdings, stolz darauf zu sein, denn durch sie waren sie ja, als Theil ihrer Ausstattung, mit in die Wirtschaft gekommen und bis dahin immer mit der größten Achtung behandelt worden.
In dieser »guten Stube« der Familie empfing auch Constanze Blendheim die Besuche ihres Bräutigams, und die Frau Calculator ging dann ab und zu und wirthschaftete auf eine so liebenswürdige und sorgliche Weise im Hause herum und sah dabei in ihrem einfachen Kattunröckchen immer so sauber aus, daß es eine ordentliche Freude war, ihr nur zuzusehen. Wie manche lange Nacht sie freilich allein am Waschtrog stand, um sich und ihre Kinder alle so reinlich zu halten, wußte Niemand, denn sie sprach nie ein Wort darüber, und selbst ihr Gatte wunderte sich manchmal über die stets reine Wäsche. Da er jedoch kein Geld dazu herzugeben brauchte und auch nicht dadurch belästigt wurde, interessirte es ihn zu wenig, um viel darüber nachzudenken oder gar die Ursache zu erfragen; aber er befand sich natürlich wohl dabei.
Constanze hatte den ganzen Nachmittag studirt; sie war heut Abend nicht beschäftigt und bereitete sich auf eine größere Rolle vor, aber sie horchte doch immer dazwischen nach der Thür, denn Bernhard hatte ihr versprochen, jedenfalls heut gegen Abend noch einmal vorzukommen und ihr Antwort zu sagen, welches Resultat seine mit dem Director gepflogene Unterhaltung gehabt. Es war ein böses Zeichen, daß er schon so lange auf sich warten ließ; denn wäre die Antwort zustimmend ausgefallen, so würde er sicherlich keinen Moment versäumt haben, es ihr mitzutheilen – und er kam nicht.
Calculator Obrichter war aus seinem Bureau schon seit fünf Minuten nach Fünf zurück, und das Regierungsgebäude – in dem er dem Namen nach arbeitete, in Wirklichkeit aber seine Stunden nur absaß – lag wenigstens zehn Minuten Weges von seiner Wohnung entfernt – aber lieber Gott, die Uhren gingen so ungleich in der Stadt, und Niemand konnte verlangen, daß ein Beamter je den Glockenschlag im Bureau selber abgewartet hätte!
Er trank eben seinen Kaffee und hatte seine Privatzuckerdose neben sich stehen, denn die übrige Familie gab sich keinem solchen Luxus hin, weil der Calculator behauptete, er zahle dem Staate schon genug directe Steuern (und darin hatte er Recht), als daß er sich auch noch zur Extravaganz auf die indirecten werfen sollte. Da klopfte Jemand an. »Herein!« sagte der Herr Obrichter, und Hauptmann von Dürrbeck stand in der Thür.
»Ich störe doch nicht?«
»Bitte, Herr Hauptmann,« sagte der Calculator, sich mit einem blaubaumwollenen Taschentuch den Mund wischend, indem er von seinem Stuhl emporfuhr, denn er achtete das Officiercorps hoch – »bitte, belieben Sie näher zu treten.«
»Fräulein Blendheim ist zu Hause, wie ich höre?«
»Sie singt wie eine Nachtigall,« sagte der Calculator – »vielleicht eine Tasse Kaffee gefällig?«
»Danke aufrichtig,« sagte der Hauptmann abwehrend – er war einer solchen Einladung einmal gefolgt und ging, als kein besonderer Freund von Cichorien, nicht wieder in die Falle –, »ich möchte das Fräulein nur einen Augenblick sprechen.«
Der Calculator lächelte, denn er wußte, was solch ein Augenblick bedeute. »Wollen Sie gefälligst sich dort hinüber bemühen – Sie kennen ja schon den Weg.«
»Wollen wir nicht noch einen Augenblick warten, bis Fräulein Blendheim geendet hat? Sie singt gar so lieb, und ich möchte sie nicht gern stören.«
Der Beamte schob ihm sehr artig einen Stuhl hin, den Dürrbeck dankend nahm, und jener, in dem Bewußtsein, daß er selber eine sehr angenehme Rente verlieren würde, wenn die junge Dame zum Altar trat, sagte, nach der Richtung deutend, aus welcher die Töne drangen: »Es würde in der That ein schwerer Verlust für das hiesige Theater sein, wenn die junge Dame es quittirte. Hoffentlich steht der Zeitpunkt doch nicht so nahe bevor …«
»Es ist noch unbestimmt, lieber Herr,« erwiderte Dürrbeck ausweichend, denn er wollte dem Gesange der Geliebten lauschen und dachte auch nicht daran, Constanzens Hauswirth zum Vertrauten zu machen.
Der Calculator kam noch einmal auf den Kaffee zurück. »Wäre Ihnen denn nicht wenigstens ein halbes Täßchen gefällig? Es ist genug da,« setzte er hinzu, den Deckel der Kanne lüftend – »meine Frau macht immer reichlich …«
»Ich bin Ihnen wirklich sehr verbunden, verehrter Herr,« wehrte der Hauptmann noch einmal ab; ich habe schon lange Kaffee getrunken – Sie nehmen ihn, wie es scheint sehr spät.«
»Ja, sehen Sie,« erwiderte der Beamte, der plötzlich auf seinem Steckenpferd fest im Sattel saß, denn es handelte sich dabei um seine eigene Person, »ich thue alles regelmäßig, und ich möchte sagen: nach dem Glockenschlage. Im Sommer Morgens um sechs, im Winter um sieben Uhr steh' ich auf, und dann muß die Stube schon ein bischen warm sein; nachher trink ich Kaffee und rauche meine Pfeife dazu, die mir das Linchen, meine älteste Tochter, schon gestopft hat; dann kommt das Tageblatt, das les' ich, dann trink ich ein Glas Wasser – ich habe das, besonders in der letzten Zeit, als sehr zuträglich gefunden –, nachher rasire ich mich und ziehe mich langsam an und gehe dann Punkt neun Uhr in mein Bureau. Wir sollen eigentlich schon um neun Uhr dort sein, aber so früh kommt doch Niemand. Um zwölf Uhr wird dort geschlossen, auch mit dem Glockenschlage. Dann mache ich einen kleinen Spaziergang, immer den nämlichen Weg über die Promenade und gerade zweitausend sechshundert Schritt – ich habe es schon mehrere Male abgezählt –, wonach ich dann Punkt halb ein Uhr, wo wir essen, hier in meiner Wohnung am Tische sitze. Um ein Uhr sind wir fertig; nach Tische muß ich jedesmal ein Glas Wasser trinken, denn ich habe gefunden, daß mir das außerordentlich …«
»Ich glaube, Fräulein Blendheim ist am Schlusse,« sagte Dürrbeck, der kein einziges Wort von der ganzen langweiligen Auseinandersetzung gehört oder auch nur darauf geachtet hatte – was ging ihn die Lebensweise dieses oder irgend eines andern Calculators an! – »Sie werden entschuldigen, verehrter Herr …«
»Bitte,« sagte der Beamte mit einer Handbewegung, die alles einbegriff, was der Hauptmann nur wünschen konnte – er entließ ihn förmlich, denn daß er in seinen Biographien unterbrochen wurde, war er schon gewohnt –, und Dürrbeck eilte jetzt zu der Geliebten hinüber, die er durch ein bestimmtes Klopfen in das »gute Zimmer« der Familie citirte.
»Bernhard,« sagte Constanze mit herzlicher Stimme, als sie dem Rufe rasch Folge leistete, »wie freue ich mich, Dich heute noch einmal zu sprechen – wie habe ich mich danach gesehnt!«
»Du siehst blaß aus, mein Herz,« sagte der Hauptmann besorgt, als er einen Kuß auf ihre Lippen gedrückt und ihren Kopf zurückbog, um ihr in die Augen zu schauen – »fehlt Dir etwas?«
»Körperlich nein, Bernhard,« sagte das junge, schöne Mädchen, indem sie sich an ihn schmiegte und ihr Haupt an seine Schulter lehnte, »und auch in diesem Augenblicke, wo Du wieder bei mir bist, selbst geistig nichts; aber bin ich allein, dann erfaßt mich manchmal eine unsagbare Angst, ein Gefühl, dem ich keine Worte geben kann und das mir doch trotzdem zuweilen den Athem versetzt und das Blut in den Adern stocken macht.«
»Wer was für ein Gefühl, Constanze?« bat Dürrbeck. »Haben wir nicht die Hauptschwierigkeit glücklich überwunden – und was Anderes könnte Dir noch Sorgen oder Bangen machen? Dein Contract?«
»Ich weiß es nicht; die lange Zögerung vielleicht, die Ungewißheit dessen, was dazwischen liegt – aber das auch nicht – mehr ein unbestimmtes Etwas, wie eine Ahnung drohenden Unheils. Und doch, wenn ich vernünftig darüber nachdenke, so bietet sich mir kein Anhalt an irgend 'was.«
»Träume, mein Schatz,« lächelte Dürrbeck, »schweres Blut; Du machst Dir zu wenig Bewegung, und ich fürchte auch,« setzte er leiser hinzu, »die Kost hier im Hause ist für Dich und Deine ewige geistige Aufregung wie körperliche Anstrengung auf der Bühne nicht kräftig, nicht nahrhaft genug.«
»Die Leute thun wirklich, was sie können, Bernhard,« sagte Constanze gutmüthig. »Aber es ist auch nicht das, denn sobald Du bei mir bist, schwindet dieses fast tödtende Gefühl im Nu, und mir ist so wohl und leicht, daß ich aufjauchzen möchte in Lust und Seligkeit.«
»Mein Herz, mein liebes Herz,« dankte ihr der junge Mann, sie wieder fester an sich ziehend; »aber nun schüttle auch die bösen Träume ab, die mein armes Mädchen nicht viel länger mehr quälen sollen. Ich habe heute wieder einen gar so lieben Brief von meiner guten Mutter gehabt, die Dich einladen läßt, die Ferien, wenn bis dahin unsere Verbindung noch nicht geschlossen wäre, auf unserem Gute zuzubringen.«
»Die gute Mutter …«
»Ich habe Dir den Brief mitgebracht; lies ihn heute Abend durch, wenn Du allein bist; er wird Dir so viele Freude machen, wie er mir gemacht.«
»Ich danke Dir, Bernhard – ich danke es Deiner Mutter, die der armen, heimathlosen Waise so freundlich ihre Arme geöffnet hat.«
»Und noch immer so traurig, Herz, so niedergedrückt? Ich bin ja bei Dir jetzt, und da dürfen keine trüben Gedanken in Dir weilen.«
»Du hast recht, Bernhard,« sagte das schöne Mädchen, indem ein Lächeln über ihre freilich noch immer bleichen Züge glitt; »Du solltest mich schelten, daß ich so undankbar gegen Dich bin, und doch ist es ja nur meine Liebe zu Dir, die mich sorgen und mich ängstigen läßt – für mein eigenes Selbst lebt kein Gedanke in mir.«
»Meine Constanze, mein süßes, herrliches Mädchen – aber ich muß wieder die rosigen Grübchen in Deinen Wangen sehen,« sagte er kosend, indem er sie zu dem Ruhefauteuil am Fenster führte. »Komm, da setze Dich hin, und ich erzähle Dir meinen heutigen Besuch bei Deinem Director.«
»Du warst dort?« rief Constanze hastig. »Und was hat er gesagt? Er weigert sich natürlich – ich bat Dich gleich, den nutzlosen Versuch gar nicht zu machen. Er ist ein Geldmensch und weiter nichts.«
»Bitte, mein Schatz,« lachte Dürrbeck, »er ist auch noch etwas mehr, und zwar der komischste Kauz, der mir in meinem ganzen Leben vorgekommen ist. Denke Dir, er studirte den Tasso – und hatte dazu noch seine Locken in Papilloten!«
Constanze lächelte.
»Und das noch nicht genug, Hans Solberg ärgerte ihn, und nachdem er uns gehörig angedonnert, ging er durch eine richtige und wahrhaftige Versenkung in die untere Etage!«
»Das sieht ihm ähnlich,« lachte Constanze, von deren Stirn die trüben Schatten jetzt im Nu gewichen waren; »aber er macht noch andere, tollere Geschichten. Er hat in seiner Wohnung auch eine ganz richtige Blitz- und Donnermaschine, und wenn Einzelne der Mitglieder ihn mit Anliegen quälten, Vorschuß haben wollten und dergleichen, so ließ er den Donner los und verschwand in einem grellen Blitze …«
»Es ist doch kaum denkbar …«
»Die Sache ist ihm aber gelegt worden,« lachte Constanze, »denn neulich war auch einmal ein Rathsdiener bei ihm, der die fälligen oder überfälligen Steuern einkassiren sollte, und den verblüffte er dermaßen durch grelle Blitze und Donner, während er ebenfalls verschwand, daß der Mann die Treppe hinabsprang und unten die Feuerwehr alarmirte. Seitdem ist ihm das Blitzen sowohl wie das Donnern, über welches sich die Nachbarn schon mehrfach beklagt hatten, verboten worden, aber seine Versenkung benutzt er nach wie vor.«
»Aber sag' einmal, Schatz,« lachte Dürrbeck, »der Mann ist doch einfach wahnsinnig, wie kann er da einem solchen Institut vorstehen?«
»Weißt Du nicht, wie Polonius im Hamlet sagt?« lächelte Constanze. »Es ist Methode in seinem Wahnsinn, aber er lebt und webt auch nur für die Bühne, und wenn nicht sein Verstand, so leitet ihn doch unfehlbar sein Instinct, auf diesem Felde durchschnittlich das Richtige zu treffen. Im praktischen Leben würde er völlig unbrauchbar sein, so weit es nicht Geldangelegenheiten betrifft, aber für das Theater paßt er. Er ist allerdings ein schauerlich manierirter Schauspieler und spielt eine Anzahl von Rollen, für die er theils zu alt, theils wieder zu jung ist; aber der Feuereifer, mit dem er sich hineinwirft, die wirkliche Begeisterung, mit der er die verschiedenen Charaktere anfaßt, sprechen dann wieder für ihn, und das Publikum hat sich außerdem so an ihn gewöhnt, daß er eben machen kann, was er will – er gefällt ihm doch.«
»Aber auf jedem andern Theater der Welt würde er ausgelacht!«
»Das ist möglich, sogar wahrscheinlich; aber er scheint das auch selbst zu fühlen, oder leitet ihn da wieder sein Instinct – er sucht sie wenigstens nicht auf und hat sogar, wie ich bestimmt weiß, ihm angebotene Gastspiele direct abgelehnt.«
»Das ist wenigstens vernünftig, wenn ich ihm auch sonst die Eigenschaft vollkommen absprechen möchte.«
»Was willst Du, Bernhard,« sagte Constanze, »giebt es nicht eine Menge von Menschen, die nur einzig und allein ihr Steckenpferd und noch dazu selbst mitten in die menschliche Gesellschaft hineinreiten und für weiter nichts auf der Gotteswelt Sinn zu haben scheinen, als eben das? Es giebt wieder Menschen, deren ganzes Gehirn allein aus Noten, während das anderer wieder aus Zahlen zusammengesetzt scheint. Unser Director kennt nichts und will nichts kennen als das Theater. Es wurde neulich einmal im Conversationszimmer von dem Tode eines berühmten Malers gesprochen und der Director hatte den Namen mehrfach gehört; endlich sagte er: »Wo war er engagirt?« Er kann sich nicht denken, daß irgend etwas Anderes auch das geringste Interesse für Jemand haben könnte. Aber was gab er Dir zur Antwort?«
»Lauter Unsinn, Herz,« sagte Dürrbeck, »Citate aus Tasso und Shakespeare – damit stieg er augenblicklich auf den Kothurn und ging von dem durch die bewußte Versenkung in die Unterwelt ab. Ich sage Dir, Hans Solberg war mit mir und konnte sich nachher noch wohl eine halbe Stunde lang nicht zufrieden geben; er lachte in einem fort vor sich hin.«
»Was ist dieser Hans von Solberg für ein Mann?« fragte Constanze.
»Ein lieber, prächtiger Mensch,« rief Dürrbeck, »so natürlich und herzlich, daß man es ihm auf den ersten Blick ansieht, er sei nicht in unseren gedrechselten und so oft leider vollkommen unnatürlichen Verhältnissen aufgewachsen!«
»Er war lange in Amerika?«
»Ja; ich traf ihn heute unerwartet auf der Straße; ich hatte keine Ahnung, daß er zurückgekehrt sei.«
»Du bist mit Solbergs selber nicht befreundet?«
»Ich – war früher oft im Hause,« sagte Dürrbeck ausweichend.
»Und seit Deiner Verlobung mit mir haben sie sich von Dir zurückgezogen,« sagte Constanze mit leiser aber tief bewegter Stimme; »wie viele Opfer hast Du bringen müssen, Bernhard, mir und Deiner Liebe!«
»Und nennst Du das ein Opfer, wenn sich hier und da eine adelstolze Familie wirklich von mir zurückgezogen hätte?« rief der junge Offizier mit leuchtenden Blicken. »Nennst Du das ein Opfer, wo ich Dich dafür gewann, Constanze? Aber es ist das nicht einmal der Fall, denn Hans erzählte ich augenblicklich von Dir, und er blieb so herzlich, wie er je gewesen. Nur in dem alten Kammerherrn und der eingebildeten Dame, seiner Frau, steckt noch der alte Dünkel.«
»Und die Tochter? Ich begegnete ihr neulich und grüßte sie artig, aber sie hielt es nicht der Mühe werth, mir zu danken.«
»Sie hat Dich vielleicht gar nicht erkannt.«
»Das wäre allerdings merkwürdig,« lächelte Constanze; »aber laß es gut sein, Bernhard, glaube nicht, daß ein derartiges Nichts auch nur einen Schatten über meine Seele werfen oder mein Glück mir mit einem Hauche trüben könnte. Ich habe Dich, Bernhard, ich liebe Dich aus vollem, reinem Herzen – ich weiß, Du liebst mich wieder, und sind wir uns selber genug, was kümmert uns dann die Welt, die Gesellschaft!«
»Meine liebe, liebe Constanze,« rief Dürrbeck, indem er sich zu ihr niederbeugte und ihre Stirn küßte, »wie glücklich fühle ich mich in Deinem Besitz! Aber glaube oder fürchte auch nicht, daß Dir, wenn Du erst mein liebes Weib bist, irgend Jemand den Stolz entgegentragen wird, mit dem Dir jetzt noch Einige begegnen. Du bist bis jetzt nur meine Braut und leichtsinnig gegebene Versprechen sind schon öfter gebrochen worden – die haute volée will sich aber nichts vergeben, bis sie ihrer Sache vollkommen sicher ist; dann trittst Du jedoch ebenbürtig in ihre Reihen, und Du sollst sehen, wie freundlich man Dir überall begegnen wird.«
»Laß das, Bernhard,« lächelte das junge Mädchen, »es ist das meine kleinste Sorge; sage mir lieber was Du jetzt bestimmt hast, denn auf den Director rechne nicht mehr.«
»Auf den Director?« lachte Dürrbeck. »Nein, mein Schatz. Jemand, dem solche Mittel zu Gebote stehen, sich einem lästig werdenden Besuche zu entziehen, möchte wohl schwerlich auf Unterhandlungen eingehen. Aber was thut das? Noch habe ich eine andere Hoffnung und werde darüber erst einmal mit einem tüchtigen Advocaten sprechen. Ich weiß nämlich nicht, ob er Dich durch eine solche, dem Gesetze gerade zuwiderlaufende Clausel wirklich binden kann; ist das aber trotzdem der Fall, nun, dann ist das Schlimmste, was mir passiren kann, daß ich die Conventionalstrafe zahle, und das macht mich auch noch nicht arm. So viel verspreche ich Dir gewiß: Ende nächsten Monat ist meiner Eltern silberne Hochzeit, und an dem Tage feiern wir auch unsere Verbindung – genügt Dir das?«
»Mein Bernhard!«
»Aber jetzt muß ich fort. Die Dämmerung bricht an, und ich möchte der liebenswürdigen Nachbarschaft, die hier an den Fenstern zu wohnen scheint, nicht Stoff zu boshaften Bemerkungen geben, Deinetwegen, Constanze.«
»Die beiden jungen Damen da drüben,« lächelte Constanze »haben sich schon fast den Nacken abgedreht, um unser Fenster nicht aus den Augen zu verlieren.«
»Es sind Klingenbruchs,« nickte Dürrbeck, »und wie man sich in der Stadt erzählt, leben sie, fast ohne jede andere irdische Nahrung, nur von Skandal und Neuigkeiten – doch gute Nacht, mein Herz, halte Dich jetzt und noch die kurze Zeit tapfer, und bald, recht bald schlägt für uns die glückliche Stunde, von der an wir vereint und nicht mehr getrennt die Dämmerung erwarten und uns ihrer freuen können. Gute Nacht, mein liebes, süßes Herz!« – Und sie noch einmal fest umschlingend, wandte er sich ab und verließ, selig in der Erinnerung an diese Stunde, der ersten fast, in der er ungestört mit der Geliebten hatte plaudern können, das Haus.