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7.
In der Bierstube


Am andern Morgen, und zwar dicht vor zwölf Uhr, schlenderte Hauptmann Dürrbeck über den Markt, aber so in Gedanken vertieft, daß er gar nicht auf die ihm Begegnenden achtete, bis er sich angerufen hörte und zugleich Hans' Hand auf seiner Schulter fühlte.

»Holla, Bernhard,« lachte der junge Solberg, »Du rennst ja die Leute beinahe auf der Straße um, ohne sie zu sehen! Wohin?«

Als Dürrbeck aufsah, erkannte er den Freund, der Arm in Arm mit seinem künftigen Schwager, dem Grafen Rauten, vor ihm stand und ihn fröhlich anschaute.

»Wie geht es, Hans?« fragte er freundlich, während er, mehr förmlich, dem Grafen eine leichte Verbeugung machte, die dieser ebenso erwiderte. »Du siehst vergnügt aus!«

»Ich bin es auch,« erwiderte der junge Mann; »aber,« setzte er etwas erstaunt hinzu, »kennen sich die Herren nicht? Mein künftiger Schwager, Leopold Graf Rauten, – Hauptmann vom Dürrbeck, ein alter lieber Jugendfreund von mir.«

»Ich habe die Ehre gehabt,« sagte Rauten lächelnd, »wir waren einige Male schon an verschiedenen Plätzen zusammen, auch in Deines Vaters Hause, Hans.«

»Gewiß,« sagte Dürrbeck, »ich glaube sogar, ich hatte schon einmal das Vergnügen, mit dem Herrn Grafen eine Partie Whist zu spielen?«

»Ach ja, bei Schallers, nicht wahr?«

»Ich glaube, ja, aber wo willst Du hin, Hans?«

»Wenn ich aufrichtig sein soll, so war ich bis jetzt wohl noch ohne Ziel; wir flanirten nur und plauderten von Dem und Jenem. Wir sind einander noch fast vollkommen fremd, und sollen doch schon so bald in eine so nahe Verwandtschaft treten. Doch jetzt spür' ich Appetit nach einem Glase Bier, ist nicht ein gutes Haus hier in der Nähe?«

»Gewiß, das beste, gleich hier dicht bei,« sagte Dürrbeck, »bei Baumanns in der sogenannten Cichorie.«

»Ein ominöser Name!« lachte Hans.

»Wir haben der Restauration den Namen gegeben, weil man einen so nichtswürdigen Kaffee dort bekommt. Aber das Bier ist ausgezeichnet, und um diese Zeit am Tage finden wir auch das kleine Stübchen voll von Officieren.«

»Vortrefflich!« rief Hans. »Du lieber Gott, wie lange bin ich jetzt in keinem wirklich ächten Bierhause gewesen; komm, Leopold, Du gehst doch mit?«

»Ich muß Dir aufrichtig gestehen,« sagte Graf Rauten, »daß ich ein schlechter Biertrinker bin; ich mache mir nichts daraus, und dann bekommt es mir auch nicht, besonders Morgens nicht.«

»Man findet dort auch ein vortreffliches Glas Portwein oder Sherry,« sagte der Hauptmann.

»Wenn das ist, habe ich nichts dagegen,« willigte der Graf, obgleich noch etwas zögernd ein, »wir werden nur in einen heillosen Tabaksqualm gerathen und man bringt den Geruch gar nicht wieder fort.«

»Aha,« lachte Hans, »Du fürchtest Dich vor Mama und Fränzchen, wenn wir nachher zum Essen gehen. Bah, das nimmt die Luft alles wieder fort, und dann mögen sie sich auch ein wenig daran gewöhnen! Zum Henker auch, es fällt mir gar nicht ein, mich der zarten Nerven meiner sehr gnädigen Mama wegen so zu geniren, daß ich nicht einmal wagen darf, außer dem Hause eine Cigarre zu rauchen, und Du thätest sehr wohl daran, Leopold, wenn Du Fränzchen nicht zu sehr darin, gleich von Anfang an, verwöhntest! Du bringst einmal später einen Freund mit nach Hause, der vielleicht so gern raucht, wie ich, und kannst Du ihm nachher keinen Platz bieten, wo er im Stande ist dem Genuß zu folgen, so fühlt er sich nicht behaglich und bleibt das nächste Mal weg.«

»Also meinst Du, ich soll mir ein richtiges Rauchcoupé anlegen?«

»Gewiß, das gehört in jede Haushaltung, und wenn ich einmal heirathe, so bedinge ich mir gleich in dem Contract aus, daß ich überall im Hause rauchen darf, ich will nirgends genirt sein.«

»Nun, weißt Du, Hans,« lächelte der Graf, »bis dahin änderst Du vielleicht noch Deine Ansichten; möglich, daß Du auch noch einmal ganz richtig unter den Pantoffel kommst.«

»Möglich, aber doch nicht recht wahrscheinlich; doch, wo ist Deine Restauration zur Cichorie, Bernhard?«

»Da, gleich vor uns, Baumann, der Name steht ja über der Thür. Wir wollten, er sollte sich eine Cichorienpflanze als Schild über die Thür setzen lassen, ja haben uns sogar erboten, ihm dasselbe kostenfrei zu liefern, aber er mag nicht recht dran, denn der Name gefällt ihm nicht, ja, er behauptet sogar, bei ihm gäbe es den besten Kaffee in der Stadt. Aber da sind wir,« und den Beiden voran trat er in die Thür, um ihnen den Weg zu zeigen. Er führte sie auch jetzt in ein ziemlich geräumiges Local, aus dem ihnen aber allerdings ein sehr gemischter Tabaksdampf entgegenquoll, wie denn auch eine Gesellschaft vom kleinen Beamten und Bürgern den Raum zu füllen schien.

»Hier?« sagte Graf Rauten und sah den Hauptmann von Dürrbeck etwas erstaunt an.

»Wir müssen hier durchgehen,« sagte dieser, »unser Local liegt dort drüben.«

»Ich glaube fast,« bemerkte der Graf, »wir wären besser in das Eckfenster am Brink gegangen.«

»Es wird Ihnen schon hier gefallen,« lachte Dürrbeck, dem es nicht entging, daß sich der Graf hier unbehaglich fühlte; »da drüben ist unsere Thür,« und sich zwischen den verschiedenen Tischen durchwindend, erreichten sie auch bald das wohl etwas kleinere, aber sehr hübsch eingerichtete Local, in dem sich, ohne eine geschlossene Gesellschaft zu bilden, aber wie nach stillschweigendem Uebereinkommen, die Officiere der dortigen Garnison, wie ihre Freunde, meist junge Adelige, die einmal ein Glas Bier trinken wollten, festgesetzt hatten und die Stube behaupteten. Es kam allerdings manchmal vor, daß sich ein Fremder dahinein verirrte; da aber keiner der übrigen Gäste die geringste Notiz von ihm nahm, so mußte er sich dort natürlich bald unbehaglich fühlen und hielt sich selten lange auf.

Dürrbeck traf dort eine Menge Bekannte und stellte die Herren vor, denen rasch und bereitwillig an dem großen runden Tische Raum gemacht wurde. Das durch den Eintritt der neuen Gäste etwas gestörte Gespräch nahm auch bald wieder lebhaft seinen Fortgang. Man hatte ja so ziemlich gleiche Interessen, gleiche Neigungen, gleiche Ansichten, und es fehlt da wahrlich nie an Stoff zu einer Unterhaltung.

Das ihnen bald gebrachte baierische Bier – Graf Rauten nahm ein Glas Sherry – war übrigens vortrefflich, und das Gespräch drehte sich bald um einen prachtvollen arabischen Hengst, den einer der höheren Officiere zu einem sehr bedeutenden Preise gekauft und hierher gebracht hatte. Die Meinungen über das Pferd, während das Interesse das nämliche blieb, schienen übrigens getheilt. Einige nannten den Preis, er war zweihundert Louisdor, spottbillig, während Andere Mängel an dem Pferde selber entdeckt haben wollten und nun ihre Ansicht dahin aussprachen, daß der Käufer damit geprellt sei und es wohl bald zu seinem Schaden entdecken würde.

Die Fenster des Locals waren mit einem blauen Drahtgitter versetzt, so daß man wohl alles erkennen konnte, was auf der Straße vorüber passirte, aber selber ungesehen blieb.

Ein paar der jungen Officiere sprangen auf und schauten hinaus. Schräg an der Restauration vorüber gingen ein paar junge, sehr hübsche Damen, die aber genau zu wissen schienen, daß sie von da innen beobachtet wurden, denn sie lachten und kicherten mit einander und warfen die Blicke, wenn auch nur scheu und flüchtig, doch ein paar Mal nach dem blauen Draht hinüber.

»Ein Paar famose Mädchen,« sagte der eine Lieutenant, »ganz famos, auf Ehre, und der Wuchs …«

»Wer war es?« fragte ein anderer und suchte, wenn auch zu spät, noch einen Blick hinaus zu gewinnen.

»Die beiden Klingenbruchs – dieser Corpus der Aeltesten!«

»Ja, nette Mädel,« bestätigte der letztere, »aber fabelhaft kokett.«

»Das wüßte ich nicht,« bemerkte Lieutenant von Wöhfen mit seiner etwas schnarrenden Stimme.

»Hahaha,« lachte ein anderer, »Wöhfen läuft sich beinahe die Beine danach ab; der schwärmt!«

»Unsinn,« sagte Herr von Wöhfen, »schwärmen, Ihr an meiner Stelle würdet es ebenso machen.«

»An Deiner Stelle? Wie so …«

»Hm,« lachte von Wöhfen, mit einem Anflug von Verlegenheit, »ich bin zu discret, um Euch mehr zu sagen, als Ihr zu wissen braucht.«

»Münchhausen,« rief ein anderer, »nur keine Jagdgeschichten!«

»Ich habe noch nichts erzählt,« sagte von Wöhfen zugeknöpft.

»Wenn sie die Erbschaft machen,« fiel hier ein junger Hauptmann ein, »lohnte es sich vielleicht der Mühe, aber –« er schwieg plötzlich, denn in der geöffneten Thür stand der kleine Oberstlieutenant von Klingenbruch und schaute sich vergnügt in dem engen Raume um.

»'Morgen, meine Herren! Schon so zahlreich versammelt?«

»'Morgen, 'Morgen! Herr Oberstlieutenant,« schallte es von verschiedenen Seiten, und die Herren rückten noch mehr zusammen, denn an dem andern Tische hatten sich ausnahmsweise ein paar Civilisten eingefunden, der eine von ihnen ein Fremder, und man mußte den Oberstlieutenant, den übrigens auch Alle gern leiden mochten, bei sich aufnehmen.

Der kleine Mann war in der That unter seinen Kameraden außerordentlich beliebt, und wenn er seine gute Laune hatte, die ihm außerdem selten fehlte, so dröhnte die Stube oft von dem schallenden Gelächter der kleinen Gesellschaft.

Ob die Frau Oberstlieutenant ebenso davon erbaut gewesen wäre, wenn sie die oft sehr derben Späße ihres Gatten hätte belauschen können, ist freilich eine andere Frage.

Hans war bald mit dem Oberstlieutenant, den ihm Dürrbeck vorstellte und neben den er zu sitzen kam, bekannt geworden. Klingenbruch hatte ihn selber noch als Kind gekannt und freute sich aufrichtig, ihm wieder zu begegnen.

Mit dem Grafen Rauten war er ebenfalls schon zusammengetroffen, und das Gespräch wurde bald wieder allgemein.

An dem andern Tische saß übrigens eine ganz eigenthümliche Gruppe, und zwar kein Geringerer als der Herr Calculator Obrichter, in einem langen braunen Rock und weißer Halsbinde, sein Schwager, der Rentamts-Kassirer Bollig, ein vollkommen ausgetrocknetes Männchen, der kaum über seine hohe schwarze Cravatte hinwegsehen konnte und sich zu Zeiten fast ganz dahinter zurückzog, und eine dritte Persönlichkeit, die aber gar nicht zu den Beiden zu passen schien, wenigstens in jeder Hinsicht verschieden von ihnen war.

Mister Hummel, wie er sich selber nannte, war der Neffe des Kassirers und eben frisch und warm von Amerika herübergekommen, wenigstens noch keine acht Tage in Rhodenburg, um hier seine Verwandten aufzusuchen. Er hatte auch allein den Weg in die Officierstube gefunden und da Platz genommen, da es im andern Zimmer an Stühlen fehlte, die beiden Beamten würden sich sonst nie hier hereingewagt haben. Mr. Hummel war aber ein freier amerikanischer Bürger und scherte sich den Henker, wie er seinem Onkel zu dessen Entsetzen betheuerte, um Barone oder Grafen.

Mr. Hummel führte auch an jenem Tische allein das Wort, und Hans, der ihm an dem andern Tische zunächst saß und derlei Burschen schon zur Genüge von Nordamerika her kannte, amüsirte sich vortrefflich damit, dem verdorbenen Deutsch des Deutsch-Amerikaners zu lauschen, der aber dadurch seine Verwandten nur noch mehr in Erstaunen setzte.

Es war eine kleine, gedrungene, aber kräftige Gestalt, mit Fäusten, denen man es ansah, daß sie seiner Zeit derb und unverdrossen zugegriffen hatten. Das Gesicht trug er glatt rasirt, selbst einen Backenbart verschmähend, und nur unter den Kinnbacken, nach vorn wie eine Bürste vorstehend, stand ihm ein schwarzer, kurz gehaltener Bart, der seinem Gesichte bei vorstehender Unterlippe etwas Trotziges gab. Er hatte dabei eine eigenthümliche Unruhe in seinem ganzen Wesen, die auffallend genug gegen das ruhige Selbstbewußtsein des Calculators wie gegen die schweigende, aber entzückte Bewunderung seines Onkels, des Kassirers, womit ihn dieser fortwährend betrachtete, abstach. Der Kassirer war auch nicht wenig stolz auf seinen Neffen, einen richtigen Amerikaner, frisch über See, daß er ordentlich noch nach Salzwasser roch. Und wie konnte der erzählen, was für merkwürdige Abenteuer hatte er erlebt, und in Californien war er auch gewesen und trug sogar wirklich ächtes californisches Gold in Stücken wie eine Bohne groß bei sich in der Westentasche herum!

Den beiden alten Herren, denen Amerika immer noch wie eine Art von phantastischem Jugendmärchen vor der Seele lag, imponirte ebenso die sonderbare, mit fremden Wörtern gemischte Sprachweise des Verwandten. Er war nur sechs Jahre in Amerika gewesen, hatte aber das Deutsche schon fast total vergessen. Ja oder nein, sagte er gar nicht mehr, immer nur yes und no, was gar zu hübsch klang, denn man verstand es ja auch, und nur manchmal kamen Sätze heraus, aus denen weder der Kassirer noch der Calculator klug werden konnte!

» Well,« sagte Mr. Hummel, auf eine Frage des Calculators, ob denn eigentlich die Indianer bös wären, und nach denen, die er auf hiesigen Messen und Märkten, natürlich immer nur vereinzelt und schon halb gezähmt, gesehen, konnte das kaum anders sein. » Well, Mister, das ist nun according zu, wo Sie hinkommen,« meinte Mr. Hummel, »manchmal finden Sie die Rothhäute ganz treatable, manchmal ketschen Sie's aber auch.«

»Was?« rief der Calculator im äußersten Erstaunen, und Hans, der sein Gesicht dort halb hinüber gewandt hatte, mußte sich abdrehen, um sein heimliches Lachen nicht zu verrathen.

»Nun, ich mein' halt,« sagte der Amerikaner, »daß es, Gute und Böse dazwischen gießt, just about, wie bei uns eben auch.«

»Es ist merkwürdig, rein merkwürdig,« versicherte der Kassirer, der indessen in einem fort mit dem Kopf geschüttelt hatte, »so 'was ist noch gar nicht dagewesen. Aber was ich Dich noch fragen wollte, Philipp, seid Ihr denn über das Meer so in einem Strich hierher gefahren?«

»Nu of course, gewiß. Wie denn sonst?«

»Und Nachts auch immer?« forschte der Kassirer weiter, der sich wohl eine unklare Vorstellung machte, daß da draußen keine Straßenbeleuchtung sein könne.

Der Amerikaner lachte. – »Aber, Uncle Tobias,« sagte er, – »wir hätten das Schiff wohl Nachts an einen post anteien sollen, wie?«

»Und der Capitain fährt immer geradezu?«

»Yes, to be sure.«

»Und kochen thun sie auch unterwegs, Obrichter,« sagte der Kassirer belehrend zu seinem Verwandten, »es ist wirklich merkwürdig.«

»Und Gold haben Sie auch in Californien gesucht?« fragte der Calculator, der wohl nur einen sehr unbestimmten Begriff haben mochte, wie das gemacht wurde, etwa so wie hier vielleicht, wenn Jemand ein Fünfgroschenstück verloren hatte.

»Yes,« bestätigte Mr. Hummel, »und ist noch dazu schwere Arbeit, das Gold-Puddeln.«

»Ja,« ergänzte der Kassirer, »Gold ist das schwerste Metall, das wir haben.«

»Oh, about that,« lachte Hummel, »da hätten wir nicht viel trouble damit gehabt, denn was wir an wirklichem Gold fanden, war leicht genug, aber die schweren Rocks zu manätschen und das ewige Hacken mit der pickaxt und das Erdauswerfen mit dem spade, der Henker soll's holen, ich hatt's bald satt und setzte einen store auf.«

»Einen was? Mr. Hummel,« sagte der Calculator, »was setzen Sie auf?«

»Einen store, einen Laden, wo ich groceries und dergleichen verkaufte.«

Der Calculator schüttelte mit dem Kopf, jetzt wußte er wieder nicht, was große Ries waren, und schämte sich doch, ewig seine Unwissenheit einzugestehen. Er konnte doch nicht gut Rosinen meinen.

»Hat er Ihnen schon die Stücke Gold gezeigt, Herr Vetter?« fragte der Rentamts-Kassirer, »zeig' sie einmal, Philipp, das ist wirkliches Gold, wie es dort in und auf der Erde herumliegt; ach, wenn man hier auch so ein Plätzchen wüßte und hingehen und suchen dürfte! Es ist doch merkwürdig, daß der liebe Gott das nur da ausgeschüttet hat, wo wilde Menschen und Bestien wohnen. Es ist ordentlich so, als ob er diese zu Hütern bestellt hätte.«

Mr. Hummel nahm indessen aus seiner Westentasche eine Anzahl körniger Goldstücke, während er damit beschäftigt war, spuckte er neben sich auf die Erde den braunen, ekelhaften Tabakssaft. Natürlich kaute er Tabak, die Leute hätten ihn ja sonst für keinen wirklichen und ächten Amerikaner gehalten, und um seine Lippen herum verrieth auch der gelbe Rand die liebenswürdige Angewohnheit.

Mr. Hummel hielt jetzt einige der größten Stücke so in der Hand, daß man sie am nächsten Tische auch hätte sehen müssen, wenn die Herren Officiere nur darauf achten wollten; er erklärte auch den Werth mit ziemlich lauter Stimme, aber ohne Erfolg. Es nahm Niemand dort Notiz von ihm, und wie der Calculator und der Kassirer das Gold zur Genüge bewundert hatten, mußte er es wieder in die Tasche stecken.

Indessen war es halb ein Uhr geworden, und die beiden Beamten mußten ihre Essensstunde einhalten. Der Calculator griff auch schon mit einer Art von verzweiflungsvoller Entschlossenheit in die rechte Westentasche, als ob er die kühne Absicht hätte, die ganze Zeche zu bezahlen, wenigstens dachte Mr. Hummel so, wenn es auch dem Calculator nie eingefallen wäre, je mehr als sein eigenes Glas zu berichtigen.

»Stop!« sagte der Amerikaner und hielt ihm den Arm, den sich der Calculator unter solchen Umständen sehr gern halten ließ, »that's my business, Kellner, was sind wir schuldig, und er warf dem verblüfften Jungen – an dem Officiertisch bediente ein junges, hübsches Mädchen – einen Doppel-Eagle oder ein Zwanzig-Dollar-Goldstück auf den Tisch.

»Hahaha,« lachte dieser verlegen, denn er kannte die Münze nicht einmal, »das Geld nehmen wir hier nicht!«

»Nehmt Ihr nicht? So?« lächelte Herr Hummel, »was der Bauer nicht kennt, frißt er nicht – of course – aber Papierlumpen nehmt Ihr, wie?«

»Kassenscheine? Gewiß.«

»So? Und how much is the damage?«

»Wie sagen Sie?« fragte der junge Bursche verblüfft.

»Wie viel für das Ganze?«

»Wollen Sie alles bezahlen?«

»Nun, versteht sich. Glaubst Du, daß Jeder wegen der Lumperei in die Tasche greifen soll?«

»Sind sechs Glas Bier, macht zwölf Silbergroschen.«

»Das ist eigentlich gar nichts,« sagte Mr. Hummel, indem er einen preußischen Thaler auf den Tisch warf. »Vetter, es ist doch hier in Deutschland schmählich billig. In Californien hätte ich dafür noch nicht einmal einen Schnaps bekommen. Behalt das Andere,« rief er dann dem sehr überraschten Marqueur zu, als dieser ihm auf den Thaler herausgeben wollte, und der Calculator, dem ein solches Trinkgeld noch nicht vorgekommen sein mochte, sagte entsetzt:

»Aber, mein lieber Herr Hummel, Sie kriegen achtzehn Groschen wieder heraus.«

»Der Kellner soll es behalten,« sagte dieser gleichgültig, und auch der Kassirer rieb sich verlegen die Hände, denn eine solche Verschwendung schien ihm unfaßbar, wenn er auch hier nicht gern etwas darüber äußern wollte.

Mr. Hummel war aufgestanden, und während er sich seinen Ueberrock zuknöpfte – es ärgerte ihn eigentlich, daß die Herren Officiere so gar keine Notiz von ihm genommen, und er hätte es doch gar zu gern von ihnen anerkannt gesehen, daß er eben frisch von Amerika komme – flog sein Blick über die Gäste am runden Tisch, von denen sich aber auch schon einige zum Aufbruch rüsteten. Für den Oberstlieutenant besonders war es die höchste Zeit geworden, an den Heimweg zu denken.

Da fiel sein Blick auf ein Gesicht, das ihm bekannt vorkam – Aehnlichkeiten trifft man ja überall, und unter anderen Umständen wäre er auch vielleicht ruhig daran vorübergegangen. Hier bot sich aber wirklich eine Gelegenheit, um ein Gespräch mit gerade diesen stuck up folks, wie er sie bei sich nannte, anzuknüpfen, und ohne Weiteres auf den Betreffenden zugehend, denn, alle Wetter! er war ja doch amerikanischer Bürger und immer wenigstens das, was die sich dachten, redete er ihn auch ohne Weiteres an und sagte: »How do you do, Sir? Kennen wir Beide uns nicht?«

Der Angeredete war Graf Rauten, der allerdings etwas erstaunt, aber doch mit der größten Ruhe zu ihm aufsah.

»Reden Sie mit mir?«

»Yes – beg your pardon,« sagte Mr. Hummel, doch etwas durch die vornehme Art und Weise verblüfft, »Ihr Gesicht kommt mir so bekannt vor. Waren Sie nicht in Amerika?«

»Ich bedaure,« sagte Graf Rauten ruhig, »ich war noch nicht so glücklich; waren Sie in Indien?«

»No,« sagte Mr. Hummel überrascht, »dahin bin ich noch nicht gekommen. Aber Sie sehen Jemandem so merkwürdig ähnlich.«

»Und wer sollte das sein?« erwiderte der Graf, ohne es aber weiter der Mühe werth zu halten, den Fremden anzusehen. Er nahm nur sein Glas Sherry und sog langsam daran, während das Gespräch am ganzen Tische stockte und die Officiere einander lächelnd ansahen.

»Yes damn it,« sagte Mr. Hummel verlegen, »auf den Namen kann ich mich jetzt nicht gleich besinnen.«

»Mein Name ist Graf Rauten. Bin ich Ihnen bekannt?«

»Graf Rauten? No – bless my soul, da hab' ich doch unter dem falschen Baum gebellt, excuse me, Sir. Mein Name ist …«

»Ich bin gar nicht neugierig,« sagte der junge Graf mit einem so trockenen Abwehren, daß Hans fast geradeheraus gelacht hätte. Mr. Hummel selber war dadurch aber so vollständig außer Fassung gebracht, daß er eine verlegene Verbeugung machte und, ärgerlich über sich selber und die ganze Welt, denn das vergnügte Lächeln auf den Gesichtern der Uebrigen konnte ihm nicht entgehen, den Hut aufsetzte und ohne Weiteres das Local verließ. Seine beiden Verwandten konnten ihn kaum bis zur Thür wieder einholen.

»Das war famos,« lachte Hans, als die Herren den Raum verlassen hatten, »den hast Du prächtig ablaufen lassen, Rauten. Ich kenne diese Art Deutsche, die sich eine Weile in den Staaten herumgetrieben und ein paar Thaler Geld verdient haben. Nachher wollen sie die Amerikaner spielen; es giebt kaum etwas Unangenehmeres.«

»Widerlicher Patron,« sagte der Graf gleichgültig, »kaut Tabak wie ein Matrose. Pfui, mir war seine Atmosphäre schon zuwider!«

»Vor dem bist Du sicher,« lachte Hans, »so bald redet Dich der nicht wieder an. Also gehen wir, meine Herren?«

Es war, in allen bürgerlichen Familien wenigstens, Mittagszeit geworden, und die meisten der Officiere, die in einem Kosthaus oder Hotel aßen, mußten ebenfalls ihre Stunden einhalten.

Hans von Solberg, Hauptmann von Dürrbeck und Graf Rauten schlenderten zusammen noch einen Weg und sprachen dabei lebhaft mit einander. Graf Rauten hatte Hans gefragt, ob die Amerikaner alle solch' unangenehme Persönlichkeiten wären, als sie das eine Exemplar da oben in der Restauration gefunden, und Hans gab ihm eben eine lebendige Schilderung einiger dieser vollständig amerikanisirten Deutschen. Im eifrigen Gespräch bemerkte er dabei nicht, wie ihnen auf dem schmalen Trottoir ein kleiner, verkrüppelter Mann – es war Mux, der Schreiber des Notars Püster – entgegen kam und dadurch auszuweichen suchte, daß er sich an das nächste Haus andrückte. Hans bemerkte ihn gar nicht, traf so fast gegen ihn, daß er den kleinen buckligen Menschen fast über den Haufen gestoßen hätte. Aber im Nu sprang er zu, hielt ihn und rief: »Oh! ich bitte tausendmal um Entschuldigung, habe ich Ihnen wehe gethan? Es ist gewiß nicht absichtlich geschehen.« Hans, in seiner Gutmüthigkeit, faßte dabei des kleinen Mannes Hand und schüttelte sie herzlich.

»Ach nein, ach nein, gar nicht, ich danke Ihnen,« erwiderte Mux verlegen, während sein Antlitz blutroth übergossen schien, »es hat nicht weh gethan,« und er machte sich los und eilte die Straße hinab.

»Den Buckel hättest Du beinahe todt getreten,« lachte Rauten.

»Der arme, kleine Mensch,« sagte Hans, »es war zu ungeschickt. Ich hätte ihm gern etwas gegeben, aber er sah zu anständig aus.«

»Das fehlte auch noch,« meinte der junge Mann, »Du hast ihm Abbitte genug geleistet, warum geht er nicht aus dem Wege; die Straße ist breit genug.«

Hans erwiderte nichts darauf; das Gespräch war dadurch unterbrochen worden, und Dürrbeck verfolgte auch von der nächsten Ecke schon eine andere Richtung. An der andern Ecke aber stand noch immer Mux, das vorher noch so geröthete Antlitz jetzt bleich wie Wachs, und die jungen Cavaliere so weit mit den Augen verfolgend, wie er ihnen folgen konnte. Erst als sie aus Sicht verschwanden, drehte er sich ab, und ein paar große, helle Thränen liefen ihm an den Wangen nieder.



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