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6. Wie man den Kapitalzins bisher zu erklären versuchte.

Wer nun weiß, welchen Umständen die Wohnungen, Arbeitsmittel, Schiffe usw. und das Geld ihre Kapitaleigenschaft verdanken, wird auch wissen wollen, wie man bisher den Zins zu erklären versuchte. Wer sich hierüber gründlich unterrichten will, findet die Zinstheorien sehr vollständig dargestellt in v. Boehm-Bawerks Buch: »Kapital und Kapitalzins.« Innsbruck; Verlag der Wagnerschen Universitäts-Buchhandlung. Die hier folgende Aufzählung dieser Theorien entnehme ich diesem Buche. Der Verfasser stellt die Frage: woher und warum empfängt der Kapitalist den Zins, und die Antworten, die er darauf erhält, gliedert er in der Hauptsache in:

  1. Fruktifitationstheorien;
  2. Produktivitätstheorien;
  3. Nutzungstheorien;
  4. Abstinenztheorien;
  5. Arbeitstheorien;
  6. Ausbeutungstheorien.

Da v. Boehm-Bawerk sich nicht darauf beschränkte, diese verschiedenen Theorien zu beurteilen, sondern auch selbst eine eigene Zinstheorie aufstellte, so war es fast unausbleiblich, daß er bei der Beurteilung der fremden Zinstheorien unter dem Einfluß der eigenen Zinstheorie stehen mußte, und daß infolgedessen gerade solche Aussagen, die gegen oder für seine eigene Theorie sprachen, seine Aufmerksamkeit ganz besonders in Anspruch nahmen, vielleicht auf Kosten anderer Aussagen, die, von einem anderen Standpunkt aus betrachtet, stark an Bedeutung gewinnen und vielleicht eine gründlichere Behandlung verdienten, als v. Boehm-Bawerk ihnen zukommen ließ. So finde ich z.B. S. 47 folgende Ausführungen:

» Sonnenfels, Sonnenfels, Handlungswissenschaft, 2. Aufl., Wien 1758. von Forbonnais beeinflußt, Wie und wo, wird nicht erwähnt. sieht den Ursprung des Zinses in einer Hemmung des Geldumlaufes durch die geldanhäufenden Kapitalisten, aus deren Händen sich das Geld nur durch einen im Zinse dargebotenen Tribut wieder hervorlocken läßt. Er sagt dem Zinse allerlei schädliche Folgen nach; daß er die Ware verteuere, den Gewinn der Emsigkeit (also wohl den Arbeitsertrag) vermindere und den Besitzer von Geld an demselben Teil nehmen lasse. Ja, er bezeichnet die Kapitalisten als die Klasse derjenigen, die nicht arbeiten und sich von dem Schweiße der arbeitenden Klassen nähren.«

Für uns wäre nun ein Mann, der solche Ansichten verficht, eine anziehende Persönlichkeit, aber v. Boehm-Bawerk würdigt diese Theorie keiner eingehenden Beurteilung und fertigt den Urheber kurz ab, indem er von »widerspruchsvoller Beredsamkeit« spricht. Und so mag es sein, daß, wer die Schriften über den Zins vom Standpunkt des Urzinses aus betrachtet, manche bemerkenswerte Aussage für den Beweis finden würde, daß die selbständige, zinszeugende Kraft des herkömmlichen Geldes nicht erst jetzt entdeckt und nachgewiesen worden ist.

Wir wollen nun hier in gedrängter Kürze den Inhalt der oben bezeichneten sechs Theorien wiedergeben, und verweisen im übrigen alle, die die Geschichte der Kapitalzinstheorien näher kennen lernen möchten, auf das oben genannte, vorzügliche Werk von v. Boehm-Bawerk.

Eine gründliche Beurteilung dieser Theorien erübrigt sich, da mit Hilfe der Urzinstheorie jeder jetzt in der Lage ist, den Punkt anzugeben, wo die Forscher durch Erlkönigs Töchter vom geraden Wege abgelenkt wurden und sich in Wertsümpfe verirrten.

1. Die Fruktifikationstheorie erklärt den Zins mit einem Riesen-Gedankensprung aus der Grundrente. Weil man mit Geld einen Acker laufen kann, der Zins abwirft, darum muß auch das Geld und alles, was mit Geld gekauft werden kann, Zins abwerfen. Ganz recht, aber diese Theorie sagt überhaupt nichts, da die Erklärung dafür fehlt, warum man mit Geld, das man doch für unfruchtbar erklärt, einen Acker kaufen kann, der Zins abwirft. Unter den Männern, die diese »Theorie« verbreiteten, finden wir Turgot und Henry George. Wie diese Braven in diese leichtsinnige Gesellschaft geraten sind, ist unerklärlich. Wahrscheinlich handelt es sich bei ihnen um nichts mehr als einfache Meinungen oder Ansichten, die sie zum besten gaben, um den Widerspruch zu reizen und andere auf das Zinsproblem aufmerksam zu machen.

2. Die Produktivitätstheorie erklärt den Zins damit, daß das Arbeitsmittel (Kapital) die Produktion (Arbeit) unterstützt. Und das ist wahr, denn was vermöchte ein Proletarier ohne Arbeitsmittel? Aber nun heißt es, daß das Mehr an Erzeugnissen auch dem Besitzer der Arbeitsmittel selbstverständlich und naturgemäß zufließen muß. Und das ist nicht wahr und durchaus nicht selbstverständlich, wie schon daraus ersehen werden kann, daß Arbeit und Arbeitsmittel nicht getrennt werden können, daß man überhaupt nicht angeben kann, welcher Teil des Erzeugnisses auf die Arbeit, welcher auf das Arbeitsmittel entfällt. Wäre der Zins darauf zurückzuführen, daß der Proletarier mit Arbeitsmitteln mehr schaffen kann, als mit bloßen Händen, so würde in den meisten Fällen für den Arbeiter überhaupt nichts übrigbleiben. Denn was kann ein Landarbeiter ohne Pflug und Acker, was kann ein Lokomotivführer ohne Eisenbahnen anfangen? Arbeit und Arbeitsmittel sind überhaupt nicht zu trennen, und die Teilung des Erzeugnisses zwischen dem Besitzer der Arbeitsmittel und dem Arbeiter muß von anderen Umständen bestimmt werden, als von dem Grad der Unterstützung, die die Warenerzeugung durch die Arbeitsmittel erfährt. Wo sind diese Umstände?

Wir sagen: Nachfrage und Angebot von Arbeitsmitteln bestimmen das Verhältnis, in dem sich die Arbeiter mit den Besitzern der Arbeitsmittel in die Erzeugnisse teilen, und zwar ganz unabhängig von der Leistungsfähigkeit der Arbeitsmittel. Das Arbeitsmittel unterstützt die Arbeit, – daher die Nachfrage von seiten des Proletariers; aber diese Nachfrage kann nicht einseitig den Zins bestimmen, sondern auch das Angebot hat ein Wort mitzureden. Es kommt bei der Verteilung des Erzeugnisses zwischen Proletariern und Kapitalisten auf das Verhältnis an, in dem die Nachfrage zum Angebot steht. Einen Zins wird der Kapitalist von seinem Arbeitsmittel nur erwarten können, solange die Nachfrage das Angebot übersteigt. Und je besser, je leistungsfähiger das Arbeitsmittel ist, das der Kapitalist dem Arbeiter zur Verfügung stellt, – desto mehr schwillt mit dem Erzeugnis das Angebot von Arbeitsmitteln an, desto niedriger wird der Zins. Nach dieser Produktivitätstheorie müßte es sich aber umgekehrt verhalten: je leistungsfähiger das Produktionsmittel, desto höher der Zins. Wenn man die Leistungsfähigkeit der Produktionsmittel (Arbeitsmittel) allgemein verzehnfachte, so würde daraus (nach der Produktivitätstheorie) dem Kapitalisten ein gewaltiger Gewinn erwachsen, während doch offenbar durch ein solches Ereignis das Angebot die Nachfrage nach Produktionsmitteln bald überholen und der Zins unter dem Drucke des Angebots ganz verschwinden würde. (Vorausgesetzt, daß das Geld solche Entwicklung nicht verhindern könnte.)

Die Produktivitätstheorie kann den Zins nicht erklären, weil sie das Kapital nicht dynamisch (als Kraft), sondern statisch (als Stoff) betrachtet. Siehe Dr. Th. Christen, Absolute Währung. Verlag »Schweizer. Freiland-Freigeldbund«, Bern. Sie sieht nur die Nachfrage, die die Brauchbarkeit des Arbeitsmittels erzeugt, und läßt das Angebot unbeachtet. Ihr ist das Kapital einfach Stoff, sie sieht die Kräfte nicht, die nötig sind, um den Stoff zu Kapital zu machen.

3. » Die Nutzungstheorien sind ein Abstämmling der Produktivitäts theorien«, sagt v. Boehm-Bawerk. Den einfachen Gedanken, der den Produktivitätstheorien zugrunde liegt, verwirrt aber v. Boehm-Bawerk ganz außerordentlich, indem er die Frage in eine Wertfrage verwandelt, ohne dabei die Werttheorie zu nennen, auf die man seine Erklärungen zurückführen muß. Wenn er vom Wert des Produktes spricht, so könnte man an das Tauschverhältnis denken, in dem die Waren gegeneinander ausgetauscht werden. Aber was kann man sich unter dem Ausdruck »Wert der Produktionsmittel« vorstellen? Die Arbeitsmittel werden ja nur ausnahmsweise getauscht; bei ihnen spricht man vom Zinsertrag, nicht mehr vom Preis, und wenn der Ausnahmefall eintritt, daß ein Unternehmer seine Fabrik verkauft, dann richtet sich der Preis nach dem Zinsertrag, wie man das täglich an den Kursschwankungen der Industriepapiere ersehen kann, und daran, daß der Verkaufspreis eines Ackers dem Betrage entspricht, dessen Zinsen der Grundrente gleich sind. Und welche Werttheorie wird man auf einen Acker anwenden? Zerlegt man aber die zum Verkauf gestellte Fabrik in ihre Bestandteile, d.h. in Waren, um ihren »Wert« festzustellen, dann handelt es sich um Waren und Preise und nicht mehr um Arbeitsmittel und Zins. Die Ware wird zum Verkauf hergestellt, das Arbeitsmittel zum eigenen Gebrauch oder als Kapital, um es zu verleihen. Gibt es denn nun eine Werttheorie, die gleichzeitig auf Ware und Arbeitsmittel, auf den Preis und den Zins anwendbar ist? Undurchdringlicher Nebel lagert über dieser Landschaft.

So sagt der Verfasser S. 131:

»Es sollte sich z.B. von selbst verstehen, daß, wenn man eine Fähigkeit des Kapitals, zur Gütererzeugung überhaupt, oder zur Erzeugung von mehr Gütern zu dienen, bewiesen hat, man deshalb noch nicht berechtigt ist, eine Kraft des Kapitals zur Erzeugung von mehr Wert, als man sonst hätte erzeugen können, Wieder die Wertmaschine! oder wohl gar von mehr Wert, als es selbst hat, Wieder der Wertstoff! für bewiesen zu halten. Die letzteren Begriffe (!) im Beweisgang den ersteren unterzuschieben, hätte offenbar den Charakter der Erschleichung eines nicht erbrachten Beweises.«

Mag sein, daß sich das hier Gesagte bei all denen von selbst versteht, die vom sogenannten Wert, vom Wertstoff, von der Wertproduktion, von den Wertmaschinen, den Wertkonserven, den Wertspeichern und Wertpetrefakten denselben Begriff haben, wie v. Boehm-Bawerk. Aber wie kann er voraussetzen, daß alle Leser in dieser Frage die gleichen Ansichten haben? Besteht denn die Wertfrage nicht mehr? Für sehr viele ist es »selbstverständlich«, daß, wo der »Wertbegriff« sich verdichten muß, ganz einfach die Ware bestimmter Güte und Menge gemeint ist, die man eintauschen kann. Wer aber den »Wert« so begreift, der findet es durchaus selbstverständlich, daß die Fähigkeit des Kapitals zur Erzeugung von mehr Gütern auch zugleich die Fähigkeit des Kapitals zur Erzeugung von mehr Wert einschließt. Verdoppelt z.B. der allgemeine Gebrauch der Dampfmaschine allgemein das Arbeitserzeugnis, so wird auch jeder für sein verdoppeltes Erzeugnis doppelt soviel Ware eintauschen. Nennt er nun »Wert« seiner Erzeugnisse das, was er gegen die eigenen Erzeugnisse eintauscht, so tauscht er gegen sein durch die Dampfmaschine verdoppeltes Erzeugnis auch genau den doppelten Wert ein.

4. Die Abstinenz- oder Enthaltsamkeitstheorie von Senior schlägt zwar den richtigen Weg ein zur Erklärung des Zinses aus dem bestehenden Mißverhältnis zwischen Nachfrage und Angebot von Arbeitsmitteln, bleibt aber auf halbem Wege stehen. Senior hält die Menschen durchweg für Verschwender, die lieber einige Tage in Saus und Braus und dann den Rest des Jahres aus Borg leben und Zins zahlen, als daß sie auf unmittelbaren Genuß verzichten. Daher der Mangel an Arbeitsmitteln, daher das Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage, daher der Zins. Die wenigen Personen, die die Enthaltsamkeit üben, werden für diese seltene Tugend durch den Zins belohnt. Und auch diese wenigen sind nicht deshalb enthaltsam, weil sie den künftigen Genuß der gegenwärtigen Verschwendung vorziehen, nicht, weil sie als Jünglinge für die Hochzeit, als Männer für das Greisenalter, als Väter für die Kinder sparen wollen, sondern nur, weil sie wissen, daß das Gesparte ihnen Zins abwirft. Ohne diesen Tugendpreis würden auch sie von der Hand in den Mund leben, würden auch sie keine Saatkartoffeln aufbewahren, sondern die ganze Kartoffelernte in einem gewaltigen Schmaus vertilgen. Ohne Zins hätte doch niemand einen Beweggrund zur Bildung und Aufbewahrung des Kapitals, und dem künftigen Genuß ist doch der gegenwärtige immer und selbstverständlich vorzuziehen! Weiß doch niemand, ob er überhaupt künftig noch leben und das aufgestapelte Gut verzehren wird!

Bei solcher allgemeinen Wesensart des Menschen (wie enthaltsam erscheinen da der Hamster und die Biene!) fragt man sich, wie das Menschengeschlecht überhaupt noch besteht, und wie man überhaupt noch jemand Geld leihen kann. Wer so schlecht mit eigenem Gut wirtschaftet, wird doch erst recht auch fremdem Gut gegenüber der Versuchung nicht widerstehen, dem süßen gegenwärtigen Genuß den künftigen zu opfern; wie will er dann den Zins zahlen und das Kapital zurückerstatten? Und wenn unsere Ureltern die Wintervorräte schon immer im Sommer vertilgt hätten, ob wir uns da wohl jetzt unseres Daseins erfreuen würden? Oder verzichteten unsere Väter auf den unmittelbaren Genuß, weil die Vorräte im Keller Zins abwarfen, d.h. immer wertvoller, besser und größer wurden?

Aber es ist doch etwas Wahres an dieser Seniorschen Theorie. Zweifellos verdankt der Zins dem Mangel an Kapital sein Dasein, und dieser Mangel kann nur von der Verschwendung herrühren. Aber merkwürdigerweise sind nicht die, die den Zins bezahlen, die Verschwender, sondern die, die den Zins erheben. Allerdings ist wieder das, was die Kapitalisten verschwenden, nicht ihr eigenes, sondern fremdes Eigentum, denn die Arbeitslosigkeit, die sie behufs Erpressung des Urzinses durch Unterbrechung des Geldumlaufes hervorrufen, geht auf Kosten anderer. Die Kapitalisten verschwenden fremdes Eigentum, sie verschwenden die Arbeitskraft des fleißigen, sparsamen Volkes, sie lassen auf fremde Kosten die Waren in den Krisen zu Milliarden als Zuvielerzeugung zugrunde gehen, damit es nicht zu einer Zuvielerzeugung an Kapital komme und der Zinsfuß falle. Daher der Mangel an Kapital, daher der Zins. Nicht den Arbeitern, sondern den Kapitalisten müßte man also die Enthaltsamkeit in der Verschwendung der Arbeit predigen. Die Arbeiter haben gezeigt, daß sie Enthaltsamkeit bis zum Hungertode üben können, wenn es heißt, dem Kapital einen geringfügigen Teil der Beute zu entreißen. Sie haben solche heldenhafte Enthaltsamkeit in tausend Streiks gezeigt, und man kann annehmen, daß, wenn es gelänge, den Arbeitern glaubhaft zu machen, daß es zur Beseitigung des Zinses genügt, zu sparen, keinen Tabak zu kauen, keinen Schnaps zu kaufen, sie solches tun würden. Aber was wäre heute die Folge? Kaum würde der Zins der Realkapitalien unter den Urzins fallen, so bräche auch schon die Krise aus, der wirtschaftliche Krach, der den Arbeiter dieser Früchte seiner Enthaltsamkeit berauben würde.

Auf alle Fälle führt die Enthaltsamkeitstheorie stracks aus folgenden Widerspruch: Arbeitet, rackert euch ab, schwitzet, um viele Waren erzeugen und verkaufen zu können, kauft aber selber nur möglichst wenig. Hungert, friert, enthaltet euch, kauft nichts von alledem, was ihr erzeugt (d.h. selbst für den Verkauf bestimmt habt), um so einen möglichst großen Geldüberschuß für neue Realkapitalien zu gewinnen!

Auf diesen vollkommenen Widerspruch würden die Urheber der Enthaltsamkeitstheorie gestoßen sein, wenn sie den von ihnen betretenen Weg weitergegangen wären, und dann würden sie auf die Mängel des Geldwesens aufmerksam geworden sein, wie wahrscheinlich auch Proudhon auf diesem Wege zur Erkenntnis gelangte, daß das Gold den Waren den Weg zu den Realkapitalien verlegt, daß das Gold die Überleitung der Warenüberproduktion (die auf die Preise drückt und zur Krise führt) in eine Kapitalüberproduktion verhindert (die auf den Zins drückt und den Verkehr belebt).

5. Die Arbeitstheorien erklären den Zins schlankweg als Arbeitsprodukt des Kapitalisten. Den Zinsbezug nennt Robbertus ein Amt, das Kouponabschneiden erscheint Schäffle als ein volkswirtschaftlicher Beruf, dem er nur nachsagt, daß seine »Dienstleistungen« kostspielig seien, und Wagner nennt die Rentner »Funktionäre der Gesamtheit für die Bildung und Beschäftigung des nationalen Produktionsmittelfonds«. Und v. Boehm-Bawerk erweist diesen Gelehrten die Ehre, sie zu den Zinstheoretikern zu zählen!

6. Die Ausbeutungstheorien erklären den Zins einfach als einen gewaltsamen Abzug vom Arbeitserzeugnis, den sich die Besitzer der Produktionsmittel erlauben und darum erlauben können, weil die Arbeiter ohne Produktionsmittel nicht arbeiten können, dennoch aber von ihrer Arbeit leben müssen.

Ob nun gerade diese Theorie den Namen »Ausbeutungstheorie« verdient? Beutet etwa der Abstinent (Enthaltsamkeitstheorie) nicht auch die Marktlage aus, wenn er die karge Vertretung des Kapitals auf dem Markte für die Erwirkung eines Zinses benutzt?

Den Abzug vom Arbeitserzeugnis bemißt nach dieser Theorie (deren Hauptvertreter Marx und die Sozialdemokraten sind) der Besitzer der Produktionsmittel nicht nach kaufmännischen Handels- und Börsengrundsätzen, sondern merkwürdigerweise nach historischen und moralischen Gesichtspunkten.

Marx sagt: »Im Gegensatz zu den anderen Waren enthält also die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element«. (Kapital, Bd. 1, S. 124, 6. Aufl.)

Was hat aber die Erhaltung der Arbeitskraft mit der Geschichte und der Sittlichkeit zu tun, was mit bestimmten Ländern und bestimmten Zeiten? Der Durchschnittsumkreis der notwendigen Lebensmittel ist doch von der Erhaltung der Arbeitskraft selber gegeben! Dieser mag sich mit der Schwere der Arbeit, mit der Rasse, mit der Stärkung oder Schwächung der Verdauungswerkzeuge ändern, aber niemals aus geschichtlichen und sittlichen Gründen. Läßt man in diesem, für die ganze Marxsche Lehre entscheidenden Punkte die Sittengesetze mitbestimmen, dann handelt es sich bei der »Arbeitskraft« überhaupt nicht mehr um Ware. Mit solch schwammigen Ausdrücken läßt sich alles beweisen.

Der Kapitalist erkundigt sich genau danach, wie sich die Mutter, Großmutter und Urgroßmutter des Arbeiters ernährt haben, was diese Nahrungsstoffe kosten, und wieviel ein Arbeiter für die Aufzucht seiner Kinder an diesen Stoffen verbraucht (denn der Kapitalist zeigt sich sehr darum besorgt, daß nicht nur »seine« Arbeiter, sondern daß die Arbeiter überhaupt recht kräftig und gesund bleiben), und diese Notdurft läßt der Unternehmer dem Arbeiter. Den Rest nimmt er unbesehen für sich in Anspruch.

Diese Verteilung der Arbeitserzeugnisse zwischen Unternehmern und Arbeitern, durch die Marx sich das Zinsproblem überhaupt und auf bequeme Weise vom Hals schaffte, insofern als die Lohntheorie auf diese Weise auch die Zins- und Grundrententheorie (Mehrwert) einschließt, ist der wunde Punkt der Ausbeutungstheorie. Faul ist nicht nur die Voraussetzung dieser Theorie, wonach der Lohn sich nach den Kosten der Aufzucht, Ausbildung und des Unterhalts der Arbeiter und ihrer Nachkommenschaft richtet, sondern auch die Ausrede, daß, so oft der Lohn über oder unter dieser Grenze bleibt, die landläufigen Begriffe über das, was zum Leben des Arbeiters gehört, über die Höhe des Lohnes bestimmen!

»Auf den ostdeutschen Gütern sind in den letzten 5 Jahren die Löhne so stark gestiegen, daß sie sich kaum noch von den westdeutschen Lohnsätzen unterscheiden, und daß die Sachsengängerei stark in der Abnahme begriffen ist.« So las man 1907 in den Zeitungen. Wie schnell sich doch die landläufigen Ansichten über das, was der Arbeiter zum Leben braucht, ändern! An der Börse ändern sich die Preise zwar noch etwas schneller, immerhin kann man den Zeitraum von 5 Jahren doch nicht eine »geschichtliche Entwicklung« nennen.

In Japan sind die Löhne in ganz kurzer Zeit um 300% gestiegen, sicherlich doch nicht, weil die landläufigen Ansichten über hungrig und satt sich so schnell geändert haben. Diese Erklärung der Widersprüche, auf die die Ausbeutungstheorie auf Schritt und Tritt stößt, trägt ganz das Merkmal einer Verlegenheitserklärung. Solche Ausflüchte findet jemand, der in die Enge getrieben ist.

So könnte man mit gleichem Recht der Ausbeutungstheorie auch folgende Fassung geben: Alles, was der Kapitalist braucht, um nach geschichtlichen und landläufigen Begriffen standesgemäß zu leben und um seinen Kindern das nötige Erbe zu hinterlassen, das nimmt er einfach vom Produkt der Arbeiter. Den Rest wirft er ungemessen und ungezählt den Arbeitern hin. Diese Fassung hätte vor der Marxschen manches voraus. Sie klingt auf alle Fälle besser; – denn daß der Kapitalist zuerst an sich selber denken wird, ehe er sich erkundigt, ob der Arbeiter auch mit dem Rest auskommt, das hält man doch für selbstverständlich. Durch die Kornzölle wurde übrigens auch der Beweis dieser Selbstverständlichkeit vor der breiten Öffentlichkeit erbracht.

Auch die Herkunft des für den Zins notwendigen Proletariats wird nach dieser Theorie etwas sehr gewaltsam erklärt. Daß der Großbetrieb öfters dem Kleinbetrieb gegenüber im Vorteil ist, begründet nicht, daß dieser Vorteil auch selbstverständlich den Besitzern des Großbetriebes zukommen muß. Dies müßte erst auf Grund einer stichhaltigen Lohntheorie nachgewiesen werden. Heute wirft das Kapital durchschnittlich 4 bis 5% ab, einerlei, ob es sich um eine Maschine von 10 oder von 10 000 Pferdekräften handelt. Und wenn auch der Großbetrieb durchweg dem Kleinbetrieb gegenüber Vorteile hatte, so würde damit noch gar nicht bewiesen, daß die Besitzer der Kleinbetriebe nun zum Proletariat geworfen werden. So schwerfällig brauchen die Handwerker und Bauern doch nicht immer zu bleiben, und sie sind auch tatsächlich nicht so schwerfällig geblieben, daß sie sich mit verschränkten Armen den Großbetrieb über den Kopf wachsen lassen. Sie wehren sich, legen ihre Kleinbetriebe zu einem Großbetrieb zusammen und verbinden so oft die Vorteile des Großbetriebes (Genossenschaftsmolkerei, genossenschaftliche Dampfdrescherei, Dorfbullen usw.) mit den tausend kleinen Vorzügen des Kleinbetriebes. Es liegt auch durchaus nicht in den Vorteilen des Großbetriebes begründet, daß die Aktien in den Händen der Rentner und nicht im Besitze der Arbeiter sein müssen.

Kurz, so einfach ist die Herkunft des Proletariats nicht zu erklären. Leichter schon geht es, wenn man die Gesetze der Grundrente mit zu Rate zieht und die gewaltsame Enteignung mit dem Schwerte. Aber wie entsteht dann das Proletariat in den Kolonien? Kein Schwert wird dort geführt, und das Freiland liegt dort oft vor den Toren der Städte.

In den deutschen Kolonien in Brasilien (Blumenau, Brusque) sind vielfach Industrien entstanden, namentlich Webereien, und in diesen Fabriken arbeiten die Töchter der deutschen Kolonisten unter elenden Bedingungen bei schlechtem Lohne. Dabei steht den Vätern, Brüdern und Männern dieser Proletarierinnen wunderbarer Boden in unbegrenzter Menge zur Verfügung. Hunderte von Töchtern deutscher Kolonisten sind in Sao Paulo als Dienstboten angestellt.

Es ist nicht so leicht, heute, bei bestehender Freizügigkeit, bei der Leichtigkeit, womit der Proletarier unbewohnte Länder aufsuchen und Land erwerben kann, Der Nordd. Lloyd nahm im April 1912 für die Überfahrt von Europa nach Argentinien 100 Mark, das ist nur ungefähr ein Wochenlohn bei den Erntearbeiten. bei der Einfachheit, womit auf genossenschaftlichem Wege jeder die Vorteile des Großbetriebes genießen kann, nicht nur den Fortbestand, sondern auch noch die Vermehrung des Proletariats zu erklären, zumal die heutige bürgerliche Gesetzgebung den Proletarier vor Raubrittern zu schützen sich bestrebt zeigt.

Aber es gibt neben dem Schwert, neben den Vorteilen des Großbetriebes und neben den Gesetzen der Grundrente noch eine Einrichtung, die das Dasein der Proletariermassen erklären kann, die aber von den Zinstheoretikern bisher übersehen wurde. Unser herkömmliches Geld vermag für sich allein die Rolle der Proletarisierung der Volksmassen durchzuführen, es benötigt dazu keinerlei Bundesgenossen. Das Proletariat ist eine notwendige, gesetzmäßig sich einstellende Begleiterscheinung des herkömmlichen Geldes. Ohne Ausflüchte, ohne Gewalt, ohne Wenn und Aber ist das Proletariat von unserem herkömmlichen Gelde unmittelbar abzuleiten. Allgemeine Bettelei muß unser Geld gesetzmäßig begleiten. Das Schwert hat sich in früheren Zeiten vortrefflich bewährt bei der Trennung des Volkes von seinen Arbeitsmitteln, aber das Schwert vermag die Beute nicht festzuhalten. Vom Geld aber ist die Beute unzertrennlich. Fester als Blut- und Grundrente am Schwert, haftet der Zins am Geld.

Kurz, es mögen viele an der Beraubung des Volkes sich beteiligen und sich dabei der verschiedensten Waffen bedienen, aber alle diese Waffen verrosten, – nur das Gold rostet nicht, nur das Gold darf sich rühmen, daß ihm der Zins durch keine Erbteilungen, durch kein Gesetz, durch keine genossenschaftliche oder kommunistische Ordnung entrissen werden kann. Selbst gegen die Gesetze, ja, sogar gegen die Bannflüche des heiligen Vaters war und ist der Zins des Geldes gefeit. Unter Beibehaltung des Privatgrundbesitzes kann man durch Gesetze (Grundsteuer) die Grundrenten den Staatskassen zuführen, und man hat damit hier und dort schon begonnen, – aber durch kein Gesetz ist unserem herkömmlichen Geld auch nur ein Bruchteil des Zinses zu entwinden.

Unser herkömmliches Geld hat also die für die Ausbeutungstheorie unentbehrlichen Proletariermassen geschaffen und diese gegen alle natürlichen Auflösungsmächte wirksam verteidigt. Um vollständig zu sein, muß darum die Ausbeutungstheorie noch einen Schritt weiter zurückgreifen und den Zins nicht in der Fabrik, im Privatbesitz der Produktionsmittel, sondern weiter zurück, beim Tausch der Arbeitserzeugnisse gegen Geld suchen. Die Trennung des Volkes von seinen Arbeitsmitteln ist nur eine Folge, nicht die Ursache des Zinses.


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