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Jakob war guter Leute Kind, aber Vater und Mutter waren an der Cholera gestorben, als er wenige Jahre alt war, doch Gott und eine alte Großmutter verließen die Waise nicht. Gott behütete das wilde Kind durch seine Engel, welche gesetzt sind, über die Kinder zu wachen, die Großmutter pflegte es zärtlich und erzog es streng auf großmütterliche Weise. Ein kleines Vermögen hatten seine Eltern hinterlassen, aber Vermögen ist nicht die Hauptsache, treue Hände sind es, welche das Vermögen bewahren, und frommer Sinn, welcher die Seele behütet; wo das Vermögen die Wächter der Kinder zur Untreue verleitet, da leidet auch die Seele der Kinder Schaden. Darum ist ein arm Waisenkind, welches in barmherzige Hände kömmt, glücklicher als eine Waise mit Vermögen in ungetreuen Händen. In dieser Beziehung ging es Jakob wohl, denn seine Großmutter war nicht bloß eine fromme, sondern auch eine herzhafte Frau von echt deutschem Stamme. Kein Vormund hätte es gewagt, an Jakobs Vermögen oder Seele sich zu versündigen, man wußte, die Alte würde einen solchen Sünder verfolgen durch alle Instanzen hindurch auf Erden und im Himmel bis vor Gottes Thron. Was Jakob und die Großmutter besaßen, reichte hin zu ihrem Unterhalt. Dessen ohngeachtet arbeitete die Großmutter tüchtig und hielt auch Jakob zu jeder Arbeit an, welche seinen Kräften angemessen schien, so daß sie auch den Dürftigen helfen konnten in der Not. Die Großmutter war nicht von dem Zeitgeiste angesteckt, das heißt, sie gehörte nicht zu den Weibern, welche meinen, arbeiten sei bloß eine Sache der Not, faulenzen eine Ehre, und wer müßig gehe, sei wenigstens halb adlich, wenn nicht ganz.
Sie sandte das Kind begreiflich auch in die Schule, war aber mit derselben nicht zufrieden. Sie klagte, wie man der Jugend nur dummes Zeug in den Kopf bringe und keine Gottesfurcht, ihnen alle Tage vorschwatze, was sie zu bedeuten hätten für die Nachwelt, und nicht, was sie schuldig seien ihren Mitmenschen. Die Jungens stolzierten einher, als ob sie Prinzen wären, und verachteten die alten Leute, als wären sie Hottentotten oder sonst bloß halb witzig. Sie ließ es aber nicht beim Klagen bewenden und legte dabei die Hände in den Schoß, sie brauchte sie, hielt scharfe Zucht auf alte Mode, wenn sie schon Großmutter war und Jakob ihr das Liebste auf Erden.
Freilich, je öfter sie Jakob strafen mußte, desto erbitterter ward sie über die neue Welt; denn die Welt sei an Jakobs Unarten schuld, er schlage wohl der Mutter nach, aber trotzdem käme das Böse ihm nicht in Sinn, wenn die Welt nicht wäre. Daß er so dumm sei, von bösen Buben zu allem Bösen sich verführen zu lassen, das war ihre ewige Klage, und wegen solcher Dummheit züchtigte sie ihn um so schärfer. Es sei gerade, als ob ihm der Herrgott seine Hände nur geschaffen habe, um für andere die Kastanien aus dem Feuer zu holen, warf sie ihm beständig vor; und damit traf die Großmutter den Nagel richtig auf den Kopf.
Jakob war ein guter Junge mit roten Wangen, heitern Augen, lustigem Sinn und sprang keck in die Welt hinein, als habe unser Herrgott nichts zu tun, als ihn in Schutz und Obhut zu nehmen. Seine geistigen und leiblichen Kräfte waren nicht ausgezeichnet, jedoch hatte er zu vielen Dingen ein gewisses Geschick, daß man leicht meinen konnte, seine Gaben seien größer als sie wirklich waren. Leider fehlte ihm Urteilskraft und Besonnenheit, statt dessen war er eitel und gutmütig, wie es gerade am schlimmsten ist. Bald läßt man sich mit Schmeicheln und Lobpreisen zu schlechten oder dummen Streichen verführen, weil man glaubt, dadurch sich groß zu machen, bald darf man aus lauter Gutmütigkeit böse Zumutungen nicht abschlagen, auch wenn man die bösen Folgen, wenn auch nicht gerade einsieht, so doch ahnet. »Jakobchen, du bist der Herzhafteste, Jakobchen, gehe du voran!« so hieß es, wenn die Jungen Streiche machen wollten, und Jakobchen ging richtig voran, kriegte dann aber, wenn es Schläge setzte, die ersten und derbsten. Sobald die Großmutter solches vernahm, besserte sie noch nach, das heißt, zählte ihm die Schläge noch zu, welche er ihrer Meinung nach zu wenig gekriegt. »Jakob«, sagte sie dabei, »Jakob, du bist ein Esel und bleibst ein Esel! Deiner Mutter schlägst du nach; akkurat wie du bist, war auch sie, Gott habe sie selig! Sie war drüben von Sturmau her, dort sind die Leute leider so.«
Wie es üblich ist auf Erden, wurde Jakob alle Jahre ein Jahr älter, es kam die Zeit, wo entschieden werden mußte, auf welchem Wege er sein ehrlich Brot verdienen, zu einem Ehrenmanne werden solle. Denn so hat es Gott geordnet, daß, wer ein Ehrenmann sein will, sein ehrlich Brot muß verdienen können, wenn auch nicht im Tagelohn. Sein ehrlich Brot verdient der König, und zwar heutzutage saurer und mühseliger als Holzhacker und Schulmeister.
Die Großmutter entschied für das Handwerk, welchem ihr Mann, dessen Vater und ihr Sohn obgelegen, und Jakob ließ es sich gerne gefallen. Welch Handwerk es war, sagen wir so wenig als wir gesagt haben, in welchem Dorf, Flecken, Gebiet Jakob zu Hause war, und zwar lassen wir beides aus guten Gründen aus. Hätten wir das Gebiet genannt, hätten wir auch den Ort nennen müssen; hätten wir den Namen eines Ortes ersonnen, der nicht zu finden gewesen wäre in jenem Gebiete, so hätte man über den dummen Schweizer gelacht, der nicht alle Winkel und Nestchen im weiten Deutschland kenne. Hätten wir einen wirklichen Ort genannt, so hätte jeder Philister desselben Ortes uns der Verleumdung oder wenigstens historischer Sünden bezüchtigt. Ließen wir aber einen Spängler oder Schneider durch die Schweiz wandern, durch Städtchen und Dörfchen, in denen vielleicht eben nur ein Spängler oder Schneider ist, und hätten wir von diesen Meistern und ihren Gesellen etwas erzählt, so wären wir Gefahr gelaufen, an Ort und Stelle zur Rechenschaft gezogen zu werden. Wir hoffen indessen, diese Auslassung des Handwerkes und des engeren Vaterlandes werde unsere geneigten Leser nicht plagen, sie werden sich hinreichend an der Angabe ersättigen, daß Jakob etwas weiter als hundert Stunden von der Schweizergrenze zu Hause war und zwar im weiten und breiten Deutschland.
Die Großmutter selbst suchte einen Meister nach ihrem Sinn, einen frommen und arbeitsamen, der eine gute und kluge Hausfrau hatte, eine Frau Meisterin und nicht eine Madam.
Der Meister hatte ferner kein großes Geschäft, gewöhnlich bloß einen Gesellen und höchstens zwei Lehrknaben; gerade so wollte es die Großmutter. Ihr Alter, Gott habe ihn selig, sagte sie, habe gesagt, große Werkstätten taugten wenig zum Erlernen des Handwerks, der Lehrjunge sei nichts als der geplagte Aufwärter aller, der Sündenbock der Werkstatt, arbeite wenig im Handwerke, der Meister habe nicht Zeit, sich mit ihm abzugeben, Tage gingen vorüber, daß derselbe kein Wort mit ihm rede. In kleinen Werkstätten stehe der Junge immer unter der Meister Auge; wenn auch nicht vielerlei, so müßte er doch im Handwerk schaffen, lerne das Werkzeug gebrauchen und dessen Meister werden; das Vielerlei und das Künstliche müsse der Geselle auf der Wanderschaft sich zueignen.
Vier Jahre Lehrzeit machte die Großmutter fast gegen den Willen des Vormundes aus. Ihr Alter habe gesagt, sagte sie, in der Lehrzeit müsse man Zeit haben, zu trocknen hinter den Ohren und flink zu werden im Schaffen. Kurze Lehrzeit, böse Wanderschaft, wenig Arbeit, viel Fechten, viele Meister, schlechter Lohn. Wenn aber einer, setzte dann die Großmutter hinzu, einer langen Lehrzeit bedürfe, so sei es der Jakob, der dumme Junge, den jeder Schlingel verleiten könne, zu was er wolle; sie könne nicht begreifen, warum der seiner Mutter, die akkurat so gewesen sei, habe nachschlagen müssen. Indessen kam es der Großmutter doch sehr schwer an, als ihr dummer Junge zum Meister zog, als sie des Abends nicht mehr mit ihm beten, ihm die Decke über die Ohren ziehen, des Morgens ihn nicht mehr wecken, ihn nicht mehr kämmen konnte. Jakob weinte sehr, als er auszog, und doch wohnte der Meister kaum eine Viertelstunde weit von der Großmutter Häuschen. Die Großmutter dagegen stellte sich hart, sprach ihm ernst zu, daß er nicht für und für der alte dumme Junge bleiben möchte, seine Väter würden sich im Grabe umkehren, wenn sie sehen müßten, wie sehr er aus der Art schlage. Als sie aber des lieben Kindes Rücken sah, sah, wie er bei jedem Schritte nach ihr sich umwandte, da drehte sie sich auch um, ging in ihr Häuschen, und was sie da machte, das sah und hörte der liebe Gott. Was kann wohl eine gute Großmutter, wenn ihr einziger Enkel den ersten Schritt auf den Lebensweg setzt, der aus dem Hause hinaus in die Welt führt, anderes und Besseres machen als ein wenig weinen und viel beten!
Die ersten Wochen, ehe die Arme an die Arbeit sich gewöhnt hatten, überstand Jakob schwer, wie es übrigens den meisten Lehrknaben ergeht. Der ganze Leib schmerzte ihn, des Nachts schlief er nicht, sein Kamerad redete ihm nach, er habe ihn weinen gehört. Aber bald hatte er sich gewöhnt, es begann ihm gut zu gehen. Meister und Meisterin wiesen ihn mit Manier zurecht, nach dem Grundsatze, daß ihm die Sache nicht von selbst einfallen könne, sondern daß er eben darum vier Jahre bei ihnen sein solle, um sie zu erlernen. Daneben duldeten sie nicht, daß jemand ihn plage, wozu namentlich der ältere Lehrjunge gute Lust zeigte. Derselbe war also durch Jakobs Eintritt um eine Stufe vorgerückt, begann sich zu fühlen und meinte nun, dieses Gefühl dem unter ihm Stehenden alsobald zu fühlen geben zu müssen. Das ist halt Menschenart so und wird es bleiben trotz allen philosophischen und juridischen Theorien von Freiheit und Gleichheit und Gott weiß was allem.
Bei jeder Mahlzeit wurde gebetet, des Sonntags ging man in die Kirche, und gerne sah es der Meister, wenn seine Hausgenossen etwas Frommes lasen oder ihre Schulkenntnisse übten. Eine Bibel, Platz und Schreibezeug stunden ihnen zu Diensten des Sonntags, oder wenn sonst von der Arbeit gefeiert wurde. Fest hielt er seine Hausordnung, welche begreiflich strenger war für seine Lehrjungen als für den Gesellen, aber wenn ein Geselle die ihm gezogenen Schranken zum zweiten Male überschritt, so konnte er wieder wandern. Der Meister sagte, er sei der Meister und zwar nicht bloß in der Werkstätte, sondern im ganzen Hause. Als er sein Haus eingerichtet, habe er die Hausordnung und des Hauses Zucht mit Gott beraten, nach Gottes Rat sie festgestellt, darauf Gottes Segen genossen, darum halte er diese Ordnung auch fest, bis ihm einmal die Augen zugingen; wer in die Ordnung sich nicht fügen wolle, könne weiterwandern. Eines Wandergesellen wegen, der heute hier sei und morgen dort, ändere er das Eingericht seines Hauses nicht, und täten alle Meister wie er, so käme mancher Wanderbursche besser heim, und mancher Vater und manche Mutter müßten ihr grau Haar nicht mit Jammer zur Grube tragen.
Jakob wurde dem Meister und der Meisterin recht lieb, sie konnten lange nicht begreifen, warum die Großmutter ihn immer einen dummen Jungen nannte; sie meinten, es sei recht schade, daß seine Mutter, welcher er nachschlagen solle, gestorben sei, indem dieses eine gute und brave Person gewesen sein müsse. Jakob half willig und rasch der Frau Meisterin, wartete nicht immer den Befehl ab, sondern tat auch, was er ihr an den Augen absah, daß sie es gerne hätte. Dafür kriegte er manch gutes Wort, manchen Bissen Brot oder sonst etwas, welches einem hungrigen Jungen gut schmeckt. Die Zurechtweisungen und Belehrungen hatte er nicht immer am folgenden Morgen schon vergessen, darum kriegte er manche Ohrfeige weniger als andere Lehrjungen, ja, zuweilen verstieg sich der Meister zu dem Lobe, er hätte schon manch größern Ochsen in der Werkstätte gehabt, als der Jakob sei.
Nun ändert sich die eigentliche Natur des Menschen noch viel weniger als die sogenannte Welt. Darum ging es Jakob gerade so, wie vor uralten Zeiten es dem Joseph, des Erzvaters Jakobs Sohn, ergangen ist: die Lobsprüche des Meisters, das Wohlwollen der Meisterin stiegen ihm und den andern in die Köpfe, er wurde eitel, die andern neidisch. Jakob ließ es nun die andern auch fühlen, daß er Gunst habe bei Meister und Meisterin, und wenn er zur Großmutter kam, so rühmte er dieser, wie der Meister oft sage, er hätte schon manch größern Ochsen in der Werkstätte gehabt, als er sei. Dies freute freilich die Großmutter, aber sie ließ es Jakob nicht merken; so oft Jakob so rühmte, so oft sagte sie: »Warte nur, der Meister wird es schon noch erfahren, wie groß in dir der Ochse ist, welch dummer Junge du bist!« Und neben der Scheibe vorbei schoß die Großmutter nicht.
Den Gesellen und den andern Lehrjungen freute begreiflich diese Bevorzugung nicht, sie trachteten, dieselbe ihm einzutreiben. Plagen durften sie ihn nicht, aber seine Schwäche hatten sie erkannt, drehten darum das Ding und verleiteten ihn zu dummen Streichen. Will man einen guten dummen Jungen ins Garn jagen, so spielen die einen die Spötter, die andern die Freunde; auf diese alte Mode, die doch täglich neu wird, trieben es auch der Geselle und der Lehrjunge. Der eine spottete über Jakob, wie er zu dumm, zu schwach, zu feig sei zu diesem, zu jenem, wie er noch keinen so angetroffen, und wie sein Lebtag nichts Rechtes aus ihm werde. Der andere dagegen rühmte Jakob, wollte wetten, was einer könne und dürfe, das könne und dürfe auch er, und komme er einmal in die Fremde und zu seinen Jahren, so werde man von ihm reden von Paris bis Berlin. Ward dem guten Jakob in diesem Tone zum Tanze gepfiffen, so tanzte er richtig, ward grob gegen Meister und Meisterin, betrank sich einmal, prügelte sich ein ander Mal, warf ein drittes Mal einem andern Meister einen Stein ins Fenster. Solches setzte den Meister, der klare Augen hatte und die Hand am Arme, auf den richtigen Standpunkt, und wie recht die Großmutter hatte, begriff er. Das Herbste aber für Jakob war immer, wenn er nach einem solchen Streiche zu der Großmutter gehen und ihr beichten mußte. »Du bist und bleibst der dümmste Junge!« sagte dann diese und war nahe daran, zur Rute zu greifen. »Was sagt jetzt der Meister?« frug sie wohl. Mit Mühe brachte dann Jakob heraus, ein Esel sei ich und der größte, den er je gesehen. »So hat der Meister auch Verstand gekriegt«, erwiderte auf solche Beichte die Großmutter. »Aber sieh«, fuhr sie dann fort, »bleibst du ein solcher Esel, so gehst du in der Fremde im ersten Jahr zuschanden. Auf einen rechten Burschen, welcher Gottes Wege gehet, kommen immer sieben Schlingel, welche im Namen des Teufels ausgehen, um dumme Jungens ins Verderben zu locken und in dasselbe zu versenken. Mein Alter und dein Vater haben hundertmal erzählt, wie es zugeht in der Fremde, und wie fest und klug einer sein müsse, wenn er nicht ins Verderben gesprengt sein wolle. Willst du nicht gescheuter werden, willst du ein Laffe bleiben, wie du jetzt bist, so wäre dir besser, du wärest ein Kuhjunge geworden, dann könntest du in der Kuhweide bleiben, brauchtest nicht in der Fremde einem ehrlichen Handwerke nachzugehen.« Solche Worte waren hart für einen, dem als bald ausgelerntem Burschen ein stattlicher Kamm gewachsen war. Da nun der Meister und die Meisterin mit der Großmutter einstimmten und oft sagten: »Jakob, es ist doch jammerschade, daß du ein so großer Esel bist, wärest sonst ein ganz guter Bursche«, so nahm er sich zusammen, und Absonderliches fiel während der Lehrzeit nicht mehr vor. Der Meister hätte ihm an der Lehrzeit ein halbes Jahr geschenkt, aber die Großmutter gab es durchaus nicht zu. Lieber, sagte sie, wollte sie dieselbe um ein Jahr verlängern als um einen Tag verkürzen. Ihr Alter, Gott habe ihn selig, sagte sie, würde sich noch im Grabe umkehren, wenn er sehen könnte, welch dummen Jungen sie in die Fremde schicken müsse. Könnte sie sich nicht auf Gott verlassen und denken, ihr innig Gebet vermöchte auch etwas bei ihm, so dürfte sie ihn gar nicht ziehen lassen, fürchten müßte sie, schon im nächsten Dorfe ginge er ihr zugrunde.
Trotz dieser Strenge liebte Jakob die Großmutter. Ihr Regiment war kein tyrannisches, willkürliches, heute so und morgen anders, es war das gleiche heute und gestern und ein solches, daß Jakob die Wohlmeinenheit darin nicht verkennen konnte. Nicht bloß versorgte die Großmutter ihn freigebig und stattlich mit allem Nötigen, sondern nahm auch an allem, was ihn anging, an seinem Wohl und Weh den innigsten Anteil. Sie könnte vielen Eltern und Großeltern zum Beispiele dienen, wie nur da die rechte Liebe, welche bleibet und nicht verwachsen wird mit den kindlichen Kleidern, in den Kindern wohnet, wo die Liebe mit dem Respekt, der da erzeuget wird durch Kraft und Weisheit, sich paaret. Vor der rechten Kraft beugt sich alles, und die rechte Kraft ist es ja, welche der Mensch unwillkürlich verehrt in Liebe und Demut. Der Urquell dieser Kraft ist Gott, aber wie vom Himmel der Tau kömmt, so träufelt von dieser Kraft auch auf den Menschen nieder und nicht auf Männer alleine, sondern auch auf Mütter und Großmütter, und glücklich ist die Familie zu nennen, deren Häupter mit dieser Kraft von Gott gesegnet sind.
Als endlich die Lehrzeit ausgelaufen, der schöne Lehrbrief in Jakobs Händen war, da mußte die Großmutter Jakob ziehen lassen nach Handwerksgebrauch, und wie der es tun muß, welcher ein rechter Meister werden will. Sie rüstete ihm seine Mitgabe, sie war nicht groß, aber stattlich und währschaft, das Hauptstück dabei war das Felleisen. Drei Felleisen hatte sie in ihrer Kammer hängen, dennoch rüstete sie dem Großsohne ein neues. Drei Meister in gleichem Handwerke waren in ihrem Geschlechte aufeinander gefolgt, und jeder hatte sein Felleisen heimgebracht. Der erste, ihres Mannes Vater, hatte einen etwas lockeren Sohn gehabt, welchem er sein Felleisen nicht gerne anvertrauen wollte. Dasselbe war ihm lieb geworden, er betrachtete es als seinen Gefährten, der die guten und bösen Tage der Wanderschaft mit ihm durchgemacht hatte, es war zugleich sein Tagebuch, welches ihn an alle Erlebnisse erinnerte. Derselbe kaufte daher seinem Sohne ein neues Felleisen und stellte dabei dem Sohne vor, wie schwer es dem Vater um das Herz sein müsse, wenn sein Vertrauen zum Sohne also erschüttert sei, daß er ihm das alte, traute Wandergeräte nicht anvertrauen dürfe. Der Sohn nahm des Vaters Wort zu Herzen, brachte nicht bloß das Felleisen heim, sondern auch einen aus einem gebesserten Gesellen herausgewachsenen tüchtigen Meister. Als dieser wiederum einen Sohn in die Fremde sandte, machte er es ebenso, gab dem Sohne ein neues Felleisen, und es wurden die Felleisen handwerkliche Familienregister, gerade wie ritterliche Schilder und Rüstungen und sonstiger adlicher Familienschmuck nie verstummende Mahnungen der Ahnen an die Enkel waren, zu bewahren adelichen Sinn und ritterlichen Mut, solange die Enkel Ohren hätten, zu hören, und einen Verstand, zu begreifen.
Die Großmutter wollte den letzten Abend mit ihrem Jakob alleine zubringen. Sie war der Meinung, wer im Nebel eines nicht verschlafenen Rausches hinaus in die Welt ziehe, laufe Gefahr, sein Lebtag im Nebel zu bleiben, ein Leben im Nebel aber sei ein traurig, sei ein unselig Ding. Sie war überhaupt der Meinung, ein Christ solle in keinen ernsten Abschnitt seines Lebens hineintanzen oder hineinstolpern, sondern mit Gott und ernstem, nüchternem Sinn hineinschreiten.
Jakob fürchtete sich vor diesem Abend sehr, es war ihm fast zumute, als er zur Großmutter ging, wie es ihm war, als er zum ersten Male zum Mahl des Herrn trat. Vor solchen ernsten Abenden kriegen junge Leute gerne eine Art von Schlotter; manchmal steigt er empor aus einem bösen Gewissen, manchmal ist es der jungfräuliche Sinn, welcher zagt und bebt, wenn Gespräche beginnen, in welchen das Innerste der Herzen zutage gerufen wird, manchmal ists die Wehmut, welche man fürchtet, und deren man sich schämt. Wer von einer alten, treuen Großmutter, welche ihm Vater und Mutter gewesen, Abschied nehmen will auf mehrere Jahre, der hat allerdings Ursache, wehmütig zu werden, so oft er die treue Großmutter ansieht und im alternden Gesichte die Vorboten des beginnenden Todes erblickt. Alle drei Dinge mögen bei unserm Jakob das ernsthafte, verlegene Gesicht bereitet haben, mit welchem er zur Großmutter kam. Dieselbe empfing ihn in freundlichem Ernste mit der Bemerkung, daß sie schon lange auf ihn gewartet, hieß ihn zum Essen sich setzen, was er auch tat in banger Hast als einer, der nicht weiß, was da kommt, jedenfalls davor sich fürchtet. Die Großmutter hatte bis dahin Jakob nicht bloß in Unwissenheit über ihr bißchen Vermögen erhalten, sondern sich ärmer gemacht als sie war. Jetzt begann sie wider alles Erwarten eine freundliche Erörterung über ihr gemeinschaftliches Besitztum. »Jakob«, sagte sie, »jetzt, da du fortgehst, ist es gut, wenn du vernimmst, was wir besitzen, nicht damit du auf Zuschüsse rechnest auf der Wanderschaft -- der wackere Geselle nimmt nur in der höchsten Not seine Zuflucht zu solchen, und wer viel Geld von Hause kriegt, ist unter seinen Kameraden nichts als eine goldene Gans, an welcher jeder rupfen will -- sondern damit du weißt, was dein ist, und was du zu fordern hast, wenn es unterdessen in andere Hände gekommen sein sollte.« Nun setzte sie ihn, ohne sein Gefühl bewegen zu wollen, im Tone des Geschäfts über ihre Habe ins Klare.
Gerade durch diesen ruhigen Ernst und das bewiesene Zutrauen öffnete sich Jakobs Herz. Das Bangen schwand, und mit wehmütiger Innigkeit hing sein Auge an der Großmutter. Diese führte ihn, als sie gegessen hatten, in die Kammer, in welcher an der Wand die Felleisen hingen; auf dem Tische stand das neue, drum herum lag, was eingepackt werden sollte. Als alte Frau Meisterin und viel erfahren in solchen Dingen, packte sie das Felleisen, damit er lerne, wie der Platz am besten benutzt, die Kleider am meisten geschont, die Last am leichtesten getragen werde. Als es gepackt und zugeschnallt war, legte sie die Hand auf dasselbe und sprach: »Sieh, liebes Kind, dort an der Wand hängen drei Felleisen, deine Väter trugen sie mit Ehren durch die Welt, brachten mit Ehren sie heim und bewahrten sie in Ehren zum Gedenken für Kinder und Kindeskinder. Sieh, hier ist dein Felleisen, das vierte soll es werden in der Reihe, dort steckt in der Wand bereits die Schraube, an welcher es hängen soll. Wahre nun dasselbe in Ehren und bringe es heim wie deine Väter zum Gedenken für Kinder und Kindeskinder! Solange du ein Felleisen trägst, bist du ein ehrenwerter Geselle; trägst du die Trümmer deiner Habe in einem Nastuche herum, dann bist du ein Vagabund und Bettler, und vor solchem Zustande möge Gott dich bewahren; was deine Väter vor diesem Zustande bewahrte, das möge auch dich davor bewahren! Vergiß des Morgens und des Abends das Beten nicht, schaffe sechs Tage im Schweiße dein Brot, den siebenten aber heilige deinem Schöpfer! So du Arbeit findest, verschmähe sie nicht! Ein Geselle, der Arbeit verschmäht, ist wie ein Bettler, der Brot neben die Straße wirft. Die kleinste Arbeit schaffe, als sei sie dein Meisterstück, rasch und gut, ehre den Meister und die Meisterin, meide Spiel und Liebeshändel, sorge, daß, wo du gewesen, du wieder hindarfst, daß nie Flüche dich verfolgen, der Segen frommer Menschen dein Geleite ist!« So sprach langsam und in Absätzen die Großmutter, das Herz des jungen Gesellen ward guter Vorsätze voll. Darauf faltete die Großmutter die Hände und betete: »Auch du, o Herr und mein Gott, sei mit meinem Kinde auf allen seinen Wegen und Stegen, drücke du am Abend ihm die Augen zu, am Morgen wecke du es wieder, in deine Hände befehle ich es mit Leib und Seele. Führe uns wieder zusammen, o Herr, mein Gott, wenn nicht auf Erden, doch im Himmelreich und dann in alle Ewigkeit! Amen.«
Als die Töne des Gebetes verklungen waren in ihrem Herzen, küßte die Großmutter ihren Enkel, und ihre Stimme bebte, als sie zu ihm sagte: »Gute Nacht, liebes Kind, vergiß Gott nicht und auch mich nicht, so sehen wir uns einmal wieder hier oder dort.« Jakob aber weinte laut, und wie ein liebes, gutes Kind hing er am Halse der Großmutter.