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Einundzwanzigstes Kapitel

Vom Waadtländer Patriotismus, wie der dem Jakob mundet, und was derselbe endlich für Augen kriegt

Dieses persönliche Gefühl war eine ganz merkwürdige Augensalbe für Jakob. Nach und nach kriegte er ganz andere Augen, und mehr als eine Sache kam ihm durchaus anders vor. Es ist gar kurios mit den Augen, es kriegt oft einer alle Wochen andere, und er selbst merkt es nicht und andere Leute auch nicht, und manchmal wird einer stockblind, und alles Salben und Waschen hilft nichts, da ißt er zufällig von einem Kraut darnach, und das kuriert ihn von innen heraus total, und er weiß nicht einmal, was ihm eigentlich wieder zu gesunden Augen verholfen hat, und wiederum meint einer, er habe Spatzaugen, guckt jedem hübschen Mädchen so nahe und so lange ins Gesicht als möglich und ist doch eigentlich stockblind, sieht weiß für schwarz an und rosenrot für dunkelblau. Es ist aber eben kurios mit den Augen.

Jakob merkte also, daß der Meister nach dem Grundsatze lebte: »Selbst essen macht fett!« Es kam ihm vor, als ob derselbe nach diesem Grundsatze auch Frau und Kinder behandle, nicht bloß ihn. Er dachte, die Frau möchte doch vielleicht besser sein als der Meister sie mache, wenigstens die Gesellen hätten nicht über sie zu klagen. Was sie tun konnte, tat sie jedem, und Jakob konnte nie bemerken, daß sie für sich einen Kreuzer brauche. Was sie an Geld erhalten konnte, wandte sie an den Haushalt, und Jakob hatte Meisterfrauen erfahren, die nicht also taten. Die Kinder waren verschüchterten Hühnern gleich, die auseinanderstoben, wenn der Vater kam; zeigte ihnen aber jemand Liebe, so waren sie anhänglich und zutraulich. Sie hatten Jakob gerne, und dieser begann allmählich das ungerechte, harte Betragen des Meisters gegen seine Kinder zu fühlen, sie konnten ihn erbarmen, und er begriff, daß der Vater selbst es sei, der seine Kinder sich entfremde, daß da weitere Aufweisungen keine nötig seien. Der Alte sei ein guter Patriot, und das sei er, dachte er, und ein Mensch könne nicht alles in allem sein. Aber eben das sei das Unglück, daß die da jetzt beieinander sein und sich quälen müßten, der Alte tauge halt nicht zum Hausvater, für das öffentliche Leben sei er wie gemacht, dem Vaterlande könnte er vom größten Nutzen sein. Da brauchte man nicht in so nahe Berührung mit ihm zu kommen, und je weiter man von ihm weg sei, in desto angenehmeren Verhältnissen stehe man zu ihm.

In diese Verhältnisse sich zu bringen, gedachte Jakob, er hatte sich den Stand der Dinge hinlänglich gemerkt, es drängte ihn weiter. Er merkte, daß das Volk, das heißt der größere Teil, im höchsten Grad freisinnig sei, das heißt, sich gegen jede Regierung hetzen lasse und mit den Pfaffen zum Lande rausfahre, sobald man wolle, dagegen aber in hohem Grade ideenlos und selbstsüchtig. Für die Durchführung einer Idee bewege keiner einen Finger, trinke höchstens einige Flaschen auf ihre Gesundheit, und wenn einer habe, was er wolle, so kümmere er sich den Teufel um den andern, von Brudersinn sei wenig Spur. Indessen wer A gesagt, müsse auch B sagen, und sei einmal die Masse in Fluß, müsse sie vorwärts, sie möge wollen oder nicht, und sei man am Ziele, so mache man ihr Ordnung und Gesetz, und darein müsse sie sich fügen. Die Hauptsache sei allweg die, daß der Schweizer nicht merke, was man eigentlich wolle, sonst sei der Teufel los, er trete auf die hintern Beine, und sei er einmal auf diesen, so bringe man ihn nicht wieder runter, und die Sache habe gefehlt. Jedenfalls sei es am klügsten, er stecke die Finger nicht zu tief in den Teig, blieben sie kleben, ließe man sie kleben. Im Waadtlande sei wohl keiner, der um seinetwillen das Geringste riskieren würde, das sei im Grund genommen ein verflucht Volk! Man sieht, Jakob dachte und begann Erfahrungen zu machen.

Er wollte noch ein Fest oder eine Versammlung mitmachen, und wenn dann die auch mit bloßem Maulbrauchen abliefe, seinen Stab weitersetzen. Es war ein häßlicher Tag, Wind und Regen machten die Musikanten, spielten den Vaterlandsfreunden sehr naß auf, brachten die Kommenden in unangenehme Stimmungen und hinderten gar viele am Herbeilaufen. Mit Geduld überwindet man Kürbsbrei, aber so feurig ist die Vaterlandsliebe und der Trieb des entschiedenen Fortschrittes denn doch nicht, daß große Haufen sich durch Wind und Regen schlügen, daß die, welche mit dem Maul die halbe Welt zu verschlingen drohen, mit den Füßen den schlechten Wegen trotzen und ihre Haut an die Nässe wagten. Es haben gar große Neuhelden einen ungeheuren Schlotter vor nassen Beinen, wahrscheinlich ist ihr Heldenmut eben nur aufs Feuer eingerichtet. Man hatte auf den Tag große Hoffnungen gebaut, hatte auf Tausende gerechnet, man glaubte, sie zusammengewirbelt zu haben, wie der Wirbelwind den Straßenstaub zusammenfegt und weht, wohin er will, und jetzt erschienen wenige, nur die so recht mit Wein und Vaterlandsliebe Ausgerüsteten. Mit diesen war aber weiter nichts anzufangen, denn diese mußte man schonen; wirken konnte man nur massenhaft, das heißt, den Pöbel mußte man voranjagen, um die Kastanien aus dem Feuer zu holen, nach welchen die Hintenstehenden und Ausgepichten Appetit hatten.

Verdrießlich sah man sich gegenseitig an, machte sich gegenseitig Vorwürfe, daß man nachlässig im Herbeitreiben der Leute gewesen, ärgerte sich gewaltig, daß es nicht in der Macht des souveränen Volkes stehe, für schönes Wetter zu sorgen, wenn man zusammenkommen wolle, so gut als für eine ordentliche Mahlzeit und das nötige Quantum Wein. Man wußte nicht, wollte man anfangen, wollte man nicht, man denke, wie schade es um die schönen Reden war, die man geladen hatte Böllern gleich, wie man sie bei Hochzeiten abschießt, von unten an bis zur Mündung, wenn man diese so mir nichts dir nichts abschießen sollte! Bekanntlich ist ein abgeschossener Schuß abgeschossen, man kann ihn nicht von neuem einfangen, um wieder abzuschießen. Man muß immerhin wieder laden, dann freilich kann man wieder schießen, und ein Schuß ist dem andern ähnlich wie ein Ei dem andern, mit dem Unterschiede nur, daß einer mehr kracht als der andere. So ist es akkurat mit den Reden: ist eine abgeschossen, so bleibt sie abgeschossen, man muß wieder laden, und wenn es losgeht, krachts manchmal etwas mehr, manchmal etwas weniger, aber wer nicht ganz geübte Ohren hat, kann es nicht unterscheiden. Eine Rede kracht wie die andere Rede, daß wers nicht besser wüßte, meinen könnte, es sei eigentlich immer die gleiche Rede. Wer geladen hatte, hätte den Schuß lieber gespart, es schien ihm nicht der Mühe wert, das kleine Häuflein mit dem gewaltigen Donner, welchen er eben im Maule hatte, anzudonnern. Die andern wollten nicht umsonst gekommen sein, wollten angedonnert sein, und bis gegen elf Uhr hatte sich doch noch ein ziemlich Häufchen, vielleicht fast hundert (im Bericht über den herrlichen Tag hieß es siebenhundert) zusammengefunden.

Es ging also los. Aber es war wie beim Schießen, wenn das Pulver naß wird: die Reden krachten nicht, die besten blitzten bloß von der Pfanne, und bei andern wollte es nicht einmal blitzen. Ganz flau waren die Redner, suchten immer das Beste zu verschlucken, weil es sie reute, es einer so miserablen Menge zum besten zu geben. Die miserable Menge langweilte sich, war auch flau im Beifallspenden, verschluckte die Bravos ebenfalls und munkelte laut, wenn sie gewußt hätte, daß nichts Besseres käme, sie wäre daheim geblieben. Stürmischen Beifall erntete der Redner, welcher antrug, einen andern Tag anzusetzen und die Sitzung aufzuheben. Das ging einhellig durch, neues Leben loderte aus den flau gewordenen Seelen, denn nun war kein Hindernis mehr zwischen ihnen und der Suppe samt der Flasche, und im Siegesgefühl dieser Errungenschaft marschierte man in jungeidgenössischer Hitze, wo jeder gern der erste ist, keiner der letzte sein mag, zu Tische; jetzt war man selig und fröhlich. Aber wenn am Morgen was Bitteres, Ärgerliches durch die Seele gefahren, bleibt gerne ein bitterer Bodensatz und hängt sich allem an, was selben Tages noch durch die Seele fährt. Der Wein war gut, und doch wars, als ob alle bösen Wein tränken. Überall ward gezankt, man las sich die Worte auf, deutete sie schlimm, keiner wollte dem andern was glauben, jeder suchte dem andern seine Freisinnigkeit abzudisputieren und die eigene herauszustreichen, suchte seinen Ort hervorzuheben und den Stand der Dinge in der Heimat seiner Nachbarn zu verdächtigen, und zwischendurch schalt man die Aufwärter aus, drohte, ihnen die Flaschen an den Kopf zu werfen, und andere Zärtlichkeiten mehr. Das Geschrei wurde wohl durch Toaste unterbrochen, doch mußte der Redner furchtbar brüllen, wenn er die mit Gebrüll Trinkenden zum Schweigen bringen wollte, und sänftigen tat er sie nicht, sondern es war immer, als ob er neue Galle zur alten schütte, denn sobald er schwieg, ging das Geschrei nur um so wilder los. Denn hatte der Redner sie so recht gestachelt und aufgereizt gegen Aristokraten, Jesuiten, Momiers und Katholiken, so konnten sie an diesen Abwesenden ihren Zorn nicht auslassen; da er aber einmal da war und an die Luft wollte, so schütteten sie ihn über ihre Nachbarn aus.

Es war ein Mordspektakel, ungeheure Massen von Wein und Worten wurden verbraucht, bis es endlich finster ward draußen und an die Heimfahrt gedacht werden mußte. Aber das will was, bis mehr als ein Halbhundert weinfeuchte Waadtländer ihre Zeche berichtigt und einen festen Sitz auf ihren Wagen ergriffen haben, und bis alle aufgeladen sind, welche hineingehören, daß keiner mehr hintendrein oder vom Fenster her schreit und flucht, man solle halten und warten, er sei auch noch da und wolle mit. Ja, so mehr als ein Halbhundert Waadtländer nach einem solchen Tag können was und verführen einen Lärm, gegen welchen der Lärm von Xerxes' Heer, als es über den Hellespont wollte, nur ein ganz sanft Gelispel war. Das gräßlichste Donnerwetter hätte man nicht gehört, während die feuchten Waadtländer am Abfahren waren. Endlich waren sie alle aufgesackt, fuhren ab, und stille ward es am Orte, den sie verließen, aber nicht stille auf den Wagen, auf welchen sie fuhren. Gesungen ward, daß jedem das Herz wackelte, der auf der Straße war, dieweil er glauben mußte, es käme eine Herde wilder Büffel dahergerannt in ihrer zornigsten Wut. Und eine Nacht wars, so rabenschwarz wie das Grab, und Wind und Regen heulten mit den Waadtländern um die Wette, daß es Jakob ganz übel ward und er meinte, sein Kopf werde jeden Augenblick schwerer, werde mit Blei gefüttert und wolle ab dem Halse. Er war in der häßlichsten Stimmung, er hätte jedem, welcher das Maul auftat, eine Ohrfeige geben mögen, er hätte all sein Geld gegeben, wenn er vor einigen Tagen weitergewandert wäre, er hatte einen Ekel ob all dem Treiben, der schrecklich war, der freilich nicht in veränderten Ansichten, sondern im absterbenden Weine seinen Ursprung hatte. Es kam ihn an, er möchte seinen Meister prügeln, der am lautesten sang, und dessen Zeche er großenteils hatte bezahlen müssen. Bei jedem Wirtshäuschen wurde gehalten. Jakobs Bitte, vorbeizufahren, wurde nie gehört, höchstens sagte man ihm: »Suf, Allemand, suf!«

So fuhr man endlich bei einem Wirtshäuschen an, welches kaum eine halbe Stunde von ihrer Heimat lag. »Das hätte man doch überspringen können«, meinte Jakob, aber gerade darum mußte es nicht sein, und weil es das letzte war, füllte man jede leere Ecke mit Wein wohl zu, die Wirtin konnte nicht schnell genug die Gläser füllen, und mit einem schlechten Licht, das ums Leben mit Wind und Regen kämpfen mußte statt zu zünden, bildete sich der Wirt ein, er leuchte. Endlich war jedes Loch voll zum Überlaufen, jeder brüllte einen eigenen Abschiedsgruß, der Fuhrmann lenkte der Straße zu, peitschend und brüllend, der Wirt streckte sein sogenannt Lichtlein nach, rief: » Bonsoir, à revoir, braves citoyens!« Da gings krach, und um schlug der Wagen, der über einen Holzblock hatte fahren sollen, mit all den brüllenden citoyens, und einen Augenblick wars stille. Wer war schon dabei, wenn man einen Kübel voll brüllender Frösche aufhob und rasch auf den Boden leerte? Da lagen sie, die Frösche, plötzlich verstummt, bunt durcheinander, wälzten sich zurecht, setzten sich auf den Hintern, schauten sich um, wo sie seien, begannen auseinanderzuhüpfen auf den hintern Beinen, so gut sie konnten, einer hieraus, der andere dortaus, während wohl der eine oder der andere liegen blieb, weil er nicht mehr hüpfen konnte und statt dessen erbärmlich zu quaken begann. Akkurat gleich lagen die Waadtländer über- und untereinander und neben ihnen wie ein umgestürzter Kübel der Wagen. Dann begann es im Haufen zu hopsen und zu hüpfen, zu quaken und zu munkeln, und Mitten aus dem Haufen kam eine Stimme, als ob mitten drin ein Brüllfrosch aus Amerika wäre, welche bekanntlich neben den Alligatoren und sonstigen wilden Tieren in den Sümpfen wohnen. Die Wirtin schrie: » Mon dieu, mon dieu!« der Wirt fluchte und zündete, aber das Fluchen geriet ihm weit besser als das Zünden, und auf der Straße herum gramselten die Waadtländer, versuchten die Beine, setzten sich auf den Hintern, versuchten, ob der noch hielte, und halfen dem Wirt, nämlich fluchen und zwar immer lauter. Nur einer blieb liegen, der nämlich, welcher brüllte wie ein amerikanischer Frosch. Da merkten der Wirt und die Wirtin, daß es mit diesem was Apartes gegeben haben müsse, die andern merkten noch nichts davon, jeder dachte einstweilen nur an sich und ob er noch alle Knochen ganz hätte.

Wirt und Wirtin wagten sich dem Schreienden näher und nicht ohne Gefahr, von einem hüpfenden, rücksichtslosen Waadtländer umgestoßen oder untenaus genommen zu werden, und als sie endlich zum Schreier kamen, fanden sie Jakobs Meister daliegen wie ein Klotz, und als sie ihn aufstellen wollten, konnten sie nicht, er schrie gar schrecklich, nicht mehr wie ein Frosch, sondern wie ein hundertjähriger Büffel. Er hatte aber auch Ursache dazu, denn er hatte ein Bein gebrochen. Nun war die Mühe groß, bis man in das Hüpfen und Quaken Stillstand brachte und Verstand, daß man beraten konnte, was man mit dem brüllenden Meister anfangen wolle, denn hier in Wind und Regen liegen lassen konnte man ihn nicht. Auf den Wagen laden konnte man ihn auch nicht, die Deichsel war gebrochen und sonst noch mancher Schade daran. Ins Haus nehmen konnten die Wirtsleute ihn auch nicht, denn sie besaßen eine von den Kneipen, in welchen niemand Platz hat über Nacht als der Wirt und die Wirtin und ein Schwein oder zwei. Das Beste war, ihn gleich heimzutragen. Dorthin wars eine kleine halbe Stunde, dort wohnte auch der Arzt. Der Wirt holte eine Bahre, auf welcher sonst er und seine Frau Dünger auf ihren Acker trugen, die Wirtin zwei Stücke Bett, eins auf die Bahre, eins, um den Meister damit zu bedecken.

Ach, wie er zeterte und weberte, als man ihn auflud, bald betete, bald fluchte, daß ihm die Haut geschaudert, wenn ein Nüchterner es gehört hätte. Nun sollten die Patrioten den Kameraden tragen, waren aber schwer dazu zu bringen. Die einen begriffen nicht, was man sagte, die andern hatten mit sich selbst zu tun, rieben die Knie oder jammerten über ihre Köpfe. Unter die letztern gehörte Jakob. Ein dicker Waadtländer hatte ihm beim Umleeren auf dem Kopfe gesessen, als ob derselbe eine Stabelle wäre, und nun war sein Kopf weich wie eine überreife Birne, und da auf der entgegengesetzten Seite des Kopfes am Boden Steine gewesen waren, so blutete er sehr und hatte mit Abwischen hart zu tun. Indessen mußte er doch dran, denn die Welschen fanden es am billigsten, daß der Knecht den Meister trage. Er mußte hinten die Bahre fassen, vornen trat endlich ein anderer ein, nachdem er sich das Abwechseln hatte gehörig versichern lassen.

Von Doktor Fausts Höllenfahrt werden wohl alle Leute in Deutschland gehört haben; nun, jetzt ging in Welschland eine Höllenfahrt an, und wir denken, ärger kann es bei Fausts Fahrt nicht zu- und hergegangen sein. Man denke sich auf einer zu kurzen Bahre einen betrunkenen Mann mit gebrochenem Bein, vornen ein weinfeuchter Waadtländer, hinten ein Deutscher mit gequetschtem, blutendem Kopf, schwarze Nacht rundum, voll Steine und Löcher der Weg. Wie das brüllte, wie das stolperte, absetzte, wieder aufnahm, fluchte und betete! Wer nicht weiß, was ein einzelner Waadtländer kann, und daß jetzt siebenzehn beisammen waren, weinfeucht, in schwarzer Nacht, zu Fuß auf schlechten Wegen und mitten unter ihnen einer, der das Bein gebrochen, der kann sich das nicht vorstellen. Beschreiben können wir den Spektakel nicht, wir können bloß sagen, daß sie für die halbe Stunde Wegs mehr als zwei Stunden Zeit gebrauchten, zwei unendliche Höllenstunden; Höllenstunden sind bekanntlich unendlich, wie lange wird erst eine höllische Ewigkeit sein?

Der Lärm und das Durcheinander von Stimmen aus abgetrockneten Waadtländerkehlen, welche, wie bekannt, tönen wie ungesalbete Wagenräder oder ausgehende Dampfkessel, war ins Dorf gedrungen. Anfangs hatte man seiner nicht geachtet, denn man war gewohnt, heimkehrende Patrioten eine halbe Stunde weit zu hören, es war ein Signal für die Nichtpatrioten, sich beiseitezumachen, und für die frommen Weiber, zu beten um Kraft, alles zu ertragen und auf alles gefaßt zu sein, für die daheim gebliebenen Patrioten aber, sich zu bereiten auf einen würdigen Empfang der Heimkehrenden. Die, welche zu Hause geblieben, deren aber gewöhnlich sehr wenige waren, liefen dem patriotischen Wirtshause zu, die Mehrzahl, welche bereits im Wirtshause war, füllte die Humpen, trat vor das Haus und salbete die Kehlen nochmals zu einem donnernden, würdigen Empfang der Patrioten, welche sich für das Vaterland geopfert, das heißt sich hergegeben, um die bekannten vaterländischen Reden anzuhören und für das Vaterland zu essen und zu trinken. Solcher Patriotismus verdient doch wirklich geziemenden Lohn und gebührende Ehre.

Wie immer, geschah auch diesmal. Als das bekannte Signal vernommen ward, tat man wie üblich, und der patriotische Wirt rüstete dazu die Laterne, weil er wußte, daß die Waadtländer bei der Heimkunft Lichtfreunde seien und sehr viel Umsicht nötig sei, um sie gehörig zu verbeiständen. Die Leute liefen her, die Leute liefen raus, die Weiber faßten sich, deckten den schlafenden Kindern die Ohren wohl zu, alles war bereit, aber das Tönen kam nicht näher, man stand, man horchte, man wartete, da schien es einen Ruck getan zu haben, und wieder wollte es nicht weiter, und wiederum tats einen Ruck, dann schiens, als versinke es und komme tief aus der Erde herauf. Ungewöhnliches erregt Gedanken selbst bei patriotischen Waadtländern, deren starke Seite sonst das Denken eben nicht ist. Es bildeten sich Meinungen. Die einen hielten dafür, es sei ein Unglück begegnet, welches sie hindere am entschiedenen Fortschritt. Die zweiten meinten, es würden noch Reden gehalten und die Herzen entflammt. Die dritten hielten dafür, den Patrioten sei sicher ein Faß mit Wein geschenkt worden, und die Schande wollten sie nicht haben, einen Tropfen darin heimzubringen. Da aber das Faß auf eine größere Anzahl berechnet gewesen sein werde, so gehe dies halt nicht so leicht und säume lang. Jede Meinung hatte ihre Stellvertreter, die letzte die größte Wahrscheinlichkeit für sich, und sie war es, welche in einigen schnellfüßigen Burschen die Nächstenliebe erweckte. Sie kriegten nämlich auch Gedanken und dachten, wie schlecht es wäre, wenn ein Waadtländer den andern im Weine stecken oder gar darin ersaufen ließe, ohne wenigstens den Versuch zu wagen, ihm vom Weine zu helfen, wenigstens so weit, daß er ihm nicht weiterstieg, als daß er bequem ins Maul laufen könnte. In aller Stille, um die Linke nicht wissen zu lassen, was die Rechte tue, lief einer nach dem andern ab und in die schwarze Nacht hinein.

Daraufhin ging es nicht lange, kam das Getöne rascher näher und näher, und die Patrioten der dritten Meinung triumphierten. Nach erhaltener Hülfe sei man mit dem Fasse desto geschwinder fertig geworden, riefen sie, und im Herzen dachten sie, es sei doch gräßlich dumm von ihnen gewesen, daß sie ihre Meinung mitgeteilt, statt sich in der Stille zu schieben und selbst -- hülfreiche Hand kann man nicht sagen -- hülfreiches Maul zu bieten. Aber seltsam wars, durch das Getöne scholl es zuweilen so brüllhaft, so grausig, daß die Leute zusammenfuhren und frugen: » Mon dieu, was ist das?« Und je näher es kam, desto brüllhafter und grausiger kam es durch die Lüfte. Da änderte sich die Stimmung wieder, die Meinung vom Unglück gewann die Oberhand, man bemerkte auch, daß man kein Wagengerassel höre, keinen Peitschenklang. Die Neugierde und die Angst trieb nun alle auf, denn gar viele hatten Väter dabei oder sonstige Verwandte, der Wirt mit der Laterne, die andern mit Humpen. Vorsichtige, welche sich mit Flaschen versehen hatten, bildeten die Arrieregarde, bei welcher gewöhnlich die Fressalien sind, und hintendrein schlichen gleichsam als Wagenwacht einige neugierige Konservative, die gar zu gerne von ferne gehört hätten, wie es heute gegangen sei und ins Zukünftige gehen solle. Aber bald wären alle umgekehrt und heimgelaufen trotz den ärgsten Konservativen, denn gar rasch kam das Getöse näher, und je näher es kam, desto brüllhaftere, grausigere, ganz unbekannte Töne kamen daher, noch viel unbekanntere und brüllhaftigere als bei Grandson Karl dem Kühnen der Uristier in die Ohren donnerte. Denn wären es nur solche Töne gewesen, so hätte begreiflich kein waadtländischer Patriot Grausen gekriegt und Schlotter, denn was war Karl der Kühne für ein Blütterlüpf und Hasenfuß gegen den geringsten der Waadtländer Helden! Wer je eine waadtländische patriotische Phrase zu Gesicht gekriegt hat, wird den Unterschied begreifen zwischen einem vaterländischen Junghelden und dem alten, verwitterten Karl von Burgund, dem Kühnen. Und wirklich, sie liefen nicht davon, die waadtländischen Junghelden, sie schlotterten bloß vor Erwartung der Dinge. Nur die mit den Flaschen machten Stillstand, dieweil es doch wirklich schade gewesen, wenn das edle Gewächs in unrechte Hände gekommen wäre.

Wenn man von zwei entgegengesetzten Seiten auf der gleichen Straße vorrückt, so muß man endlich zusammentreffen, das ist eine Wahrheit, welche die Radikalen freilich nicht gewußt, aber als Freischärler vor Luzern und Freiburg zu ihrem großen Schrecken erfahren mußten und nun hoffentlich einstweilen nicht mehr in Abrede stellen werden. Als man endlich zusammenkam und ersah, woher die Töne quollen so schauerlich, da ward die Teilnahme groß; » mon dieu, mon dieu!« schrie man von allen Seiten, und der Nachtrab mit den Flaschen mußte in vollem Rennen herbei, Stärkung zu bringen dem Leidenden. Aber er nicht allein bedurfte Stärkung, alle wollten gestärkt sein, und das gab wieder einen langen, langen Stillstand, bis der Verwundete wieder zu schreien und zu fluchen begann, daß es schrecklich war und alle Patrioten, welche noch im Dorfe waren, auf die Beine jagte. Jeder wollte wissen, wie der Arme zu dem Unglück gekommen, und ob dem Fragen und Antworten vergaß man den Unglücklichen selbst. Niemand wollte an ein einfaches Wagenumwerfen aus bekannten Gründen glauben, etwas Apartes mußte dahinterstecken, und wer so was sucht, findet alsbald. Die Konservativen hätten ganz sicher den Block in den Weg geschoben, meinte einer. Richtig, so wars, und aus dem Block machten die einen eine ganze Tanne, andere einen Graben, andere Barrikaden und dazu noch allerlei Beiwerk von Steinwürfen, von unsichtbaren Anfällen und Stößen, wodurch einer nach dem andern auf die Nase geworfen worden. Je ärger das Ding ward, desto mehr glaubte man daran, desto langsamer rückte man vor, desto heftiger parlierte man, desto schrecklicher brüllte der Meister auf seiner Bahre. Indessen hat doch alles sein Ende auf der Welt und selbst eine Höllenfahrt.

Babette, so hieß des Meisters Frau, hatte unterdessen, ihres Herrn gewärtig, in der Bibel gelesen, denn ihr Herr gehörte unter die, welche von ihren Weibern mit gebührendem Respekt und mit Anerbieten von allem Guten, was das Haus vermochte, empfangen sein wollten. Sie hörte auch vom Lärm, achtete sich aber dessen als einer längst gewohnten Sache wenig. Als aber der Lärm nicht vom patriotischen Wirtshause, dem Wilden Mann, wie es nicht unpassend hieß, verschlungen wurde und darin unterging, sondern dort vorbei und näher kam schrecklich und grausig, da horchte sie, sprang bebend auf, und heftig begann ihr Herz zu klopfen, ihr ahndete Böses, bekannt schienen ihr einzelne Töne. Sie rüstete das Licht, stand bebend neben ihm, betete, daß der Zug an ihr vorüberziehen möchte, aber vor ihrem Hause stand er still, und wild hämmerte es an der Türe. Babette ward blaß, faßte sich aber, ergriff das Licht und öffnete. Da stand vor der Türe die Bahre, auf ihr lag stöhnend und schreiend ihr Mann, rundum brüllende Patrioten, von denen jeder was Besonderes anordnete und wollte und keiner auf den andern hörte. Einer griff hier zu, ein andrer zerrte dort, was einem Beinbrüchigen eben nicht am wohlsten tut, wie man weiß. Babette entfuhren auch einige Schreckenslaute, aber dann suchte sie Ordnung ins Getümmel zu bringen, besonnen den Mann ins Haus zu schaffen und den Doktor herbei.

Das war schwer, sehr schwer, denn niemand wollte hören, alle parlierten und demonstrierten ihr, wie sie ihr Unglück den Konservativen und Momiers zu verdanken hätte, den verfluchten, und wie man ihnen noch diese Nacht die Häuser über dem Kopfe anzünden sollte und ihres mit, wenn ihr Mann nicht darin wäre. Sie hätte ja noch Freude an seinem Elend, tue, als ob sie alles nichts anginge, eine rechte Frau und Patriotin würde sich die Haare aus dem Kopfe raufen, sich auf der Erde herumwälzen und schreien als ob sie am Spieße stäke. Es war viel, daß man ihr nicht noch vorwarf, sie hätte den Wagen umgeworfen und dem Manne das Bein gebrochen. Wenn die Helden des Tages nicht so grundschlecht konditioniert gewesen wären, so hätte es den Konservativen in dieser Nacht übel ergehen können. Sie hätten es schwer büßen müssen, daß der Fuhrmann der Patrioten weinblind gewesen, denn männiglich war jetzt in voller Überzeugung, die Konservativen hätten absichtlich ihnen den Stein des Anstoßes in den Weg gelegt. Es ging auch darauf ein Geschrei im ganzen Kanton umher, wie gräßlich den Patrioten von X. durch die Konservativen mitgespielt worden sei, was das für eine Niederträchtigkeit und Perfidie sei, und wie man sich zu rächen habe. Es ward schrecklich getost und getobt, um den wahren Sachverhalt zu vermänteln nicht nur, sondern den Konservativen in die Schuhe zu schieben; und wer radikal war, der glaubte es, denn in wem der Geist des Irrtums ist, der vermag nie und nirgends die Wahrheit zu erkennen, er besitzt Glauben, aber dieser Glaube glaubt bloß Lügen und verbreitet sie auf fanatische Weise.

Jakob war es, welcher der Frau Meisterin beistand, obgleich er sehr erschöpft war, erstlich vom Gesäß des dicken Waadtländers, zweitens weil er am meisten an der Bahre des Meisters tragen mußte, und drittens weil man ihm keine Stärkung hatte zukommen lassen, wahrscheinlich aus zarter Furcht, er möchte sie nicht vertragen. Als der Meister endlich im Bette war, verlief sich alsbald die waadtländische Patriotenschar, denn der Wilde Mann kam ihnen viel interessanter und liebenswürdiger vor als hier der wimmernde Mann im Bette. Endlich, endlich kam der Arzt. Es war einer von denen, welche ungeheuer schwer zu wecken sind und erst der ganzen Welt und selbst dem lieben Gott wüst sagen, ehe sie in die Strümpfe fahren. Woher diese Eigentümlichkeit kommt, sind die Gelehrten verschiedener Meinung. Die einen halten es für Naturanlage, andere meinen, es komme vom tiefen Denken, welches zumeist schweres Träumen nach sich ziehe, die dritten endlich behaupten und zwar mit großer Heftigkeit, das schwere Erwachen komme von der Nachtsuppe her, wenn man sie allzusehr verpfeffere. Wer recht haben mag, mögen die Gelehrten entscheiden, aber sonderbar wars, daß die verpfefferte Suppe unserm Arzt auch die Beine angegriffen haben mußte, denn diese lavierten ganz merkwürdig krumm.

Als er kam, war kein. Patriot mehr da als Jakob, und Babette fand sich nicht veranlaßt, sie vom Wilden Mann herholen zu lassen zur nötigen Dienstleistung, sondern sandte nach einigen Freunden, welche sich alsbald einfanden. Nun kamen zwei Stunden, die schrecklichsten vielleicht, welche das alte Haus erlebt hatte. Der Bruch, ein Schenkelbruch, war nicht schlimm, es war ein ganz einfacher Bruch, aber bereits war das Bein stark geschwollen, der Mann in einem höchst gereizten, der Arzt in einem höchst unsichern Zustande, den Helfenden wurde es einem nach dem andern schwarz vor den Augen, Babette allein hielt sich, blaß war sie, der kalte Schweiß stand ihr auf der Stirne, aber die Besonnenheit verließ sie nie. Natürlich waren auch die Kinder alle erwacht, aufgestanden, was stehen konnte, schrien und wimmerten fürchterlich, als sie den schreienden Vater auf dem Bette sahen. Wenn auch die Mutter sie zu Bette sandte, so waren sie doch immer wieder da, denn wo sie auch hinflohen, folgte ihnen des Vaters Geschrei und führte sie wieder herbei.

Endlich wars vollendet, die Leute wurden entlassen, der Arzt ging, ob in den Wilden Mann oder heim, wissen wir nicht. Der Meister war in eine Art von Schlummer oder Bewußtlosigkeit gesunken, nur Jakob war noch da. Babette hatte sein blutend Gesicht längst bemerkt und war ihm sehr dankbar geworden für seine Hülfe, sie hieß ihn absitzen, brachte ihm Wasser, sich zu reinigen, Balsam für seine Wunden und Quetschungen, die so bedeutend nicht waren, brachte an Speise und Trank, was sie für den Mann bereit gehalten hatte, und das alles in stiller, wenn nicht Ruhe, so doch Gefaßtheit, von welcher er nicht wußte, war sie Gleichgültigkeit, angeborne oder errungene Kaltblütigkeit oder Besonnenheit. Gegen das erstere sprachen Tränen, welche ihr in aller Stille aus den Augen quollen, und daß sie allemal, wenn sie am Bette vorüberging, stillestand und horchte, ob irgendein Laut einen neuen Schmerz oder einen ins Bewußtsein gekommenen Wunsch verrate.

Als Jakob ihr freundlich dankte für ihre Aufmerksamkeit, wie er es an seinem letzten Aufenthalte gewohnt war und für seine Höflichkeit und Freundlichkeit nie zu kurz kam, im Gegenteil reichlich dafür belohnt wurde, brachte er es nicht übers Herz, sie radikal anzulügen, sondern erzählte ihr einfach, wie es zugegangen, und daß nichts am ganzen Unglück schuld sei, als zuerst mehr als genug zu saufen und dann auf dem Heimwege bei jeder Kneipe noch zuzufallen, bis keiner mehr Babi sagen konnte. Den Holzblock, über welchen man gefahren, habe er am Morgen wohl gesehen, derselbe sei schon seit Wochen am gleichen Orte gelegen, und wenn der Fuhrmann nicht weinblind gewesen wäre oder die Zügel recht in der Hand gehabt hätte, so wäre man vielleicht mit heiler Haut davongekommen. Babette seufzte schwer, sagte aber nichts, und als Jakob abgegessen hatte, schickte sie ihn zu Bette. Er war erquickt und dankbar für ihre Güte gegen ihn, welche er, wie ihm sein Gewissen sagte, eben nicht besonders verdient hatte. Er wollte wachen beim Meister, aber sie nahm es nicht an. Sie sei gesund und nicht müde, ihm tue der Schlaf not, und morgen sei seine Hülfe vielleicht dringlicher. Jakob ließ sich schicken, jedoch unter der Bedingung, daß wenn es was geben sollte, sie ihn holen wolle, was sie auch versprach. Er war zum Tode müde und zerschlagen, aber doch dachte er, brav sei es allweg von der Meisterin, daß sie in all dem Elend ihn nicht vergessen hätte, unter hundert heutigen Meisterweibern hätte keine gemerkt in solchen Umständen, daß der Geselle hungerig und blutig sei. Ihre Fehler möge sie haben, das werde der Meister wissen, aber als Geselle wünsche er sich keine bessere Meisterfrau. Wohl fromm sei sie, selbiges sei wahr, aber wenn man heimkomme, so sei sie doch auch daheim, man müßte sie nicht erst in hundert Häusern suchen lassen, wenn man sie haben wolle.

Am folgenden Morgen wars eine trübselige Zuversicht zu X. Die Patrioten hatten gar bedenklich wackelige Glieder, und in ihren Köpfen brannte ein Licht, in keiner Stallaterne flackert das Lämpchen düsterer, und Meister Pierre lag in großen Schmerzen, hatte gewaltig Fieber und eine Ungeduld, mit welcher man einen ganzen Schafstall voll Lämmer hätte in die Luft sprengen können. Doch Babette ward nicht ungeduldig, blieb sanftmütig und von Herzen demütig, sah ihm an den Augen ab, was er wünsche, und tröstete mit freundlichen Worten, so gut sie es vermochte. Aber die freundlichen Worte waren Wassertropfen ähnlich, die auf heiße Steine fielen, sie zischen, aber kühlen nicht. Babette konnte den Schmerz und das Fieber nicht wegzaubern, und drein schicken wollte sich Pierre nicht. Sie mußte zum Arzte schicken, der kam lange nicht, er war spät aufgestanden und mußte jetzt seinen Kunden Bescheid geben, und wenn ein Arzt des Morgens nicht früh aufsteht, so hat es gefehlt, er wird am Abend nicht fertig und macht seine Patienten des Teufels. Unterdessen waren Patrioten herangedämmert, ihrem Gange fehlte der entschiedene Fortschritt und ihrem Auftreten der bestimmte Grundsatz, sie füllten die Stube mit Parlieren und mehrten dem Patienten Fieber und Schmerzen. Sie schrien schrecklich über den Frevel der Konservativen, denn, was gestern nur so hin- und hergestürmt worden war, das hatte sich über Nacht als bestimmter Tatbestand in ihre Seele gesetzt; als ausgemacht nahmen sie an, daß ihr Wagen von den Konservativen heimlich angefallen und so schmählich umgestürzt worden sei, und redeten nun davon, wie die Konservativen die Kosten zahlen müßten, und wie man ihnen einbrocken wolle, daß sie an diesem einen Fall für immer genug hätten.

Es war freilich dabei ein fataler Umstand, sie hatten niemand gesehen, konnten nichts vernehmen, daß ein Konservativer außerhalb des Dorfes gewesen, konnten also ihre Klagen gegen keine bestimmte Person richten. Indessen, ein waadtländischer Patriot weiß sich in solchen Fällen zu helfen, und andere Patrioten lernen es ihnen ab. Sie sagten, da müsse ein Gesetz gemacht werden, welches die Konservativen im ganzen Lande in Bausch und Bogen verantwortlich mache für jedes Unglück und jeden Unfall, welcher einem Patrioten zustoße, er möge sein, welcher Art er wolle. Denn mit Sicherheit könne man annehmen, alles Unheil käme von ihnen, und wenn es zuweilen auch nicht sei, so sei doch das gewiß, daß es von ihnen hätte kommen können, und daß sie dem Patrioten sein Unglück von ganzem Herzen gönnten. Über diesen glücklichen Gedanken wunderten sie sich selbst ungeheuer, denn wenn sie auch sehr geschwätzreich waren, so kriegten sie doch selten Gedanken. Gedanken waren fremde Produkte, welche eingeführt wurden wie Kaffee und Tabak, welche sie aber vortrefflich zu verbrauchen wußten, indem sie ihre Wasser darübergossen und sie gehörig auf- und nachwärmten. Billig war es daher auch, daß sie diesen eigenen Gedanken gehörig feierten und begossen, und nachdem sie Pierre gesagt, er solle nur geduldig sein, das Ding solle ihn zum reichen Manne machen und ihm die Arbeit sein Lebtag ersparen, stoben sie von dannen. Der Arzt brachte nicht viel Trost; was er anriet, hatte Pierre nicht: Geduld. Er wollte, der Arzt solle den Verband wieder auflösen, solle nachsehen, das sei nicht gut. Der Arzt wollte nicht; auflösen sei gegen die Kunst, sagte er, was gemacht sei, sei gut gemacht, und bei einem solchen Beinbruch könne niemand den Schmerzen wehren, und wenn es eine Hexe wäre. Pierre war so böse und wild, daß er selbst aufgelöst hätte, wenn Jakob und Babette ihn nicht daran gehindert hätten.

Jakob war selbst nicht zuweg und schlich einige Tage zerschlagen herum, er begriff, daß sein Kopf nicht sattsam genug gehärtet sei, einem dicken Waadtländer zum Sitz zu dienen. Nach seinem gefaßten Vorsatz hätte er jetzt fortgehen sollen. Er glaubte Gewißheit zu haben, daß die Waadtländer seine Hoffnungen nicht erfüllen würden, ihre Begeisterung schien ihm ein Strohfeuer und enge Selbstsucht das Schwefelholz, mit welchem sie angezündet wurde. Wenn ihre Freiheitspläne auch über die Grenzen des Kantons zu streifen schienen, so geschah es nur darum, um ihre selbstsüchtige Freiheit breiter und sicherer zu untermauern. Aber Babette hatte ihn freundlich gebeten, sich des Handwerks anzunehmen, und der Meister gab in lichten Augenblicken ihm seine Aufträge, als ob es sich von selbst verstände, daß er bleibe und das Geschäft einstweilen führe. Jakob war durch nichts gebunden und seine Zeit auch wirklich sein, aber sein Herz war kalt gegen den Meister geworden, und er sah wohl, daß die waadtländische Freisinnigkeit nicht die seine sei, daß man, statt brüderlich mit ihm zu teilen, sich noch gerne den selbstgepflanzten Wein, den man mit ihm trank, durch ihn bezahlen ließ. Indessen war etwas in ihm, welches ihn nicht sagen ließ, er wolle fort, es war der bessere Sinn, der ihn abhielt, nicht sowohl den Meister als vielmehr die Familie nicht zu verlassen. Er mochte wollen oder nicht, so dauerten ihn Frau und Kinder viel mehr als der Meister. Frau und Kinder taten das möglichste, doch der Vater gab ihnen kein freundlich Wort, er tat, als ob sie an seinen Schmerzen, seinem Elend schuld seien, und doch ließen sie sich nicht verbittern. Man sah recht gut, sie fürchteten sich, beim Vater zu sein, es war ihnen unheimlich an seinem Bette. Aber die Mutter brauchte eins nur bittend anzusehen, so setzte es sich hin und weilte geduldig, bis die Mutter ihre Geschäfte beschickt hatte und wiederkam.

Über dem Unglück wurde auch die Haushaltung nicht versäumt und kein Glied derselben vernachlässigt. Babette meinte nicht, sie müsse die Größe ihrer Teilnahme darin zeigen, daß sie sich um nichts mehr kümmere als um den Mann, diese Teilnahme gebe ihr das Recht, alle ihre Pflichten zu vergessen, sondern sie erfüllte alle ihre Obliegenheiten mit der gleichen Treue wie sonst, und dem Manne ging doch nichts ab.

Jakob war so weit in der Welt herumgekommen und hatte den Verstand gekriegt, daß er dies zu schätzen wußte. Er brachte das Wort vom Fortgehen nicht über die Zunge, sondern stand ein für den Meister. Er konnte dieses, seiner gründlichen Lehrzeit hatte er es zu verdanken, sie hatte ihm Auge und Hand so geübt, daß er, fast ohne daß er es wollte, Neues sah und nachahmen konnte, so daß er im Handwerk weiterkam, fast ohne daß er es wußte. Beim letzten Meister hatte er sich in den mannigfachsten Arbeiten, wenn sie auch nur klein waren, so geübt, daß ihm fast nichts mehr unbekannt war, wie es einem Meister wohl ansteht. Er merkte das erst so recht, als er jetzt eine Art von Meister wurde unerwartet, befehlen sollte, regieren konnte. Es kam ein ganz eigen Gefühl über ihn, es war ihm, als wäre er über Nacht sechs Zoll gewachsen und hätte eine noch einmal so starke Faust gekriegt. Mit einer ganz besonderen Freudigkeit befahl er, griff er zu, und der Tag war ihm dahin, er wußte nicht wie, er war nicht einmal hungrig geworden. Er hatte ein ähnlich Gefühl wie einer, welchem die Beine zusammengebunden gewesen, und der sie wieder frei kriegt, oder wie einer, der in vier engen Mauern gefangen gewesen, der zum Loch herauskommt und nun spazieren kann rechts und links, und so weit er will. Es war ihm fast, als sei eine Quelle in ihm aufgebrochen, sprudle so prächtig in ihm auf und treibe ihn in die Arbeit hinein, als wäre sie ein Bach und er ein Mühlrad. Er wußte nicht was es war, aber war es nicht der Familiengeist der Meisterschaft, der in ihm aufbrach, der in seinen Vätern gewohnt hatte, und den seine Großmutter von ferne her in ihn hineingebetet hatte, der Familiengeist, den der liebe Gott durch Moses Kinder frommer Väter in so viele Geschlechter hinunter verheißen hat, der Familiengeist, der gute Sprößlinge nicht untergehen läßt, sie immer und immer wieder aus dem Sumpfe, in welchen die Welt sie drücken will, heraushebt?

Um einen solchen Stammgeist ist es eine wunderbare Sache. Wenn die günstige Stunde nicht kömmt, schläft er eine ganze Lebenszeit hindurch in einem Stammglied, kömmt sie aber, dann flammt er auf wie aus des Berges Schöße die feuerflammende Säule. So wallte er bei Jakob auf, als er die Meisterschaft führen, mehrere Gesellen regieren sollte. Es ging ihm wie einem jungen Feldherrn, der aus gemächlichen Händen den Kommandostab erhält und nun denselben schwingt in voller Rührigkeit und einbringen will in Kürze langes Zögern. Es juckt ihn, dem Meister zu zeigen was er könne, und was möglich sei. Einstweilen kümmerte sich dieser halt nicht um sein Handwerk, sondern bloß um sein Bein, und oft lag er in wilden Fiebern, und oft kamen Kameraden zu ihm und schwatzten ihm allerlei vor und machten ihm Hoffnung, es werde im ganzen Kanton eine Liste umgehen, und alle Vaterlandsfreunde würden reichlich unterzeichnen, um ihm zu vergelten, was er leide um des Vaterlandes willen, und um zu zeigen, wie man Patrioten zu ehren und zu schätzen wisse den verfluchten Konservativen zu Trotz und Ärger. Er werde ein reicher Mann werden, besonders wenn man noch extra die Konservativen verantwortlich machen könne, hieß es. Das zerstreute ihn auf Augenblicke, aber bald schien die Gewalt des Schmerzes verdoppelt zurückzukehren und steigerte seine Ungeduld bis zur Unerträglichkeit. Wenn zufällig der Arzt in solchen Augenblicken kam, so warf ihm Pierre ganze Fuder Schimpfworte an den Kopf, und der Arzt seinerseits drohte, wenn Pierre nicht anders sich gebärde, so werde sein Bein nie heil, und er möge zusehen, wer ihn kuriere. Da der Schmerz nicht abnehmen wollte, mußte der Arzt endlich den Verband lösen, und da fand es sich, daß es gut war, daß es geschah. Über jenem Abend hatte kein günstiger Stern geleuchtet, das Bein mußte neu eingezogen werden. Der Arzt gab es dem Patienten schuld und drohte ihm, bei seiner Ungeduld schöben sich die Knochen übereinander, das Bein werde kürzer, und er bleibe lahm sein Leben lang, und daran wolle dann er nicht schuld sein. Pierre wollte es aber auch nicht sein und meinte, er hätte nie gehört, daß man ein Bein zweimal einrichten müsse, wenn man es das erste Mal recht gemacht hätte, und sowie man eingebunden und eingeschachtelt sei, werde niemand, der bei gesunden Sinnen sei, glauben, der Patient könne selbst das gebrochene Glied verschieben, so was zu sagen, sei dumm und für einen Arzt absonderlich. Pierre war nicht gewohnt, sich befehlen zu lassen, und seit er ein Patriot geworden, erst nicht, und als Jakob ihm zusprechen wollte und sagen, was er im Spital gesehen und gehört, putzte er diesen aus und sagte ihm, ob ein Geselle sich in so was mischen solle oder nicht.

Das fiel heiß in Jakobs Blut, es wollte auflodern, aber Babette sah ihn an mit dem Blicke, mit welchem sie ihre Kinder anzusehen pflegte, und in diesem Blicke lag eine wunderbare Gewalt, die Jakob alsbald sänftigte, so daß er gelassen des Meisters rohes Schmähen hinnahm und achselzuckend in dessen Unverstand sich fügte. Da dem Meister das Wirtshausgehen verbunden war, so blieb Jakob auch mehr daheim, aber nicht wegen dem Meister, und je mehr er daheim blieb, desto mehr änderten sich seine Augen. Die Kinder hatten ihn gerne, und bei ihm hatten sie keine Spur des eingedrückten, scheuen Wesens, welches über sie kam, sobald der Vater gegenwärtig war, sondern waren offen, zutraulich, fröhlich und alles mit um so größerer Innigkeit, je wohler es ihnen dabei ward gegenüber dem peinlichen Zwang. Es war ihm viel wohler unter diesen Kindern als unter den schwadronierenden Waadtländern, deren Parlieren am Ende doch immer das gleiche war, und die alsbald sackgrob wurden, als ob sie das Welschland, wo man die feinen Manieren lernt, ihr Lebtag nie gesehen hätten. Es ärgerte sich Jakob gar bitterlich über die Haustyrannei eines so freisinnigen Patrioten, der den wahren, rechten Grundsatz hatte, wie die Leute zu sagen pflegen, welche gerne ihre Unwissenheit über ein Ding hinter einem mächtigen Worte, einem geistigen Feigenblatt, verbergen. Er hielt freilich die Ehe für ein Unglück, aber es dünkte ihn, wenn ein Teil in dieser Ehe zufrieden sein sollte, so sei es Pierre. Wenn alle Weiber wären wie Babette, so stände es um manchen Mann besser. Jedenfalls, meinte Jakob, ziemte es einem freisinnigen, liberalen Manne, freisinnig und liberal nicht bloß im Wirtshause und auf der Straße, sondern auch gegen Weib und Kind zu sein. Auch sie hätten ja Rechte, seien sozusagen auch Menschen, und solche solle man nicht wie Hunde behandeln, die eigenen noch viel weniger als die fremden. So was führe ja gerade zur Sklaverei, und wenn die Amerikaner ihre Kinder, welche ihnen Mütter von anderer Farbe geboren, als Sklaven hielten und mißhandelten, so sei es ja das gleiche oder noch ärger, wenn ein freisinniger, aufgeklärter Waadtländer Weib und Kinder, welche geistig anders gefärbt seien, einen Glauben hätten und einen Gott, als Sklaven hielte und ihr Tyrann sei. Sie seien wohl im Irrtum und noch dumm, daneben aber gut, könnten sich ändern und seien allweg Menschen. Bekanntlich hielt Jakob auf die Bibel nichts, aber sehr ärgerte es ihn, wenn Babette dem Mann die Zeitung vorlesen mußte, so ungerne sie es auch tat, während er sie allemal ausschalt, wenn sie ein frommes Buch oder die Bibel ergriff. Die Freiheit, zu lesen worin es ihr beliebe, meinte Jakob, die sollte er ihr doch lassen; er wußte nicht, daß gerade die Freisinnigen alles Lesen mißbeliebiger Sachen mit Gewalt unterdrücken.

So meinte er jetzt, nachdem seine Augen sich gebessert hatten; früher hätte ers auch anders gemeint, aber es kömmt halt alles auf die Augen an. Alle Tage sah Jakob deutlicher es ein, wie selbstsüchtig und unerträglich der Meister eigentlich sei, und wie er ganz gleichgültig die ganze Familie könnte hungern sehen, wenn nur er seine Sache hätte. Begreiflich hatte der Arzt vorgeschrieben, was der Kranke essen und trinken sollte, und unter den verbotenen Dingen standen Wein und Fleisch obenan. Nur in den ersten Tagen, wo Schmerz und Fieber groß waren, verstand sich die Enthaltsamkeit von selbst, aber sobald das Ärgste vorbei war, schrie Pierre nach Wein wie ein Hirsch nach einer Wasserquelle. Babette mußte gehorchen, sonst hätte er ihr vorgeworfen, sie gönne es ihm nicht, sie wolle ihn verschmachten lassen, aber sie sagte es dem Arzt. Der Arzt stellte Pierre Himmel und Hölle vor, sagte ihm, wie dieses seine Genesung verzögere, ja tödlich für ihn werden könnte, er solle doch an Weib und Kinder denken, die von seinem Verdienst leben müßten. Frau und Kinder könnten sehen, wie sie es machten, sagte Pierre, dem frage er nichts nach, er sehe zu sich, und einstweilen sei er noch Meister im Hause, und was er befehle, das wolle er haben. Der Arzt wusch dann seine Hände in Unschuld, das heißt, er sagte, wenn es nicht gut komme, wolle er nicht schuld sein, und Babette mußte mit gepreßtem Herzen dem sich nichts versagenden Manne zutragen, was sie ihm schädlich wußte, mußte dazu die immer unleidlicher werdende Laune des Mannes ertragen. Die Kameraden blieben nach und nach aus, beim knurrenden Pierre hatten sie Langeweile, im Wilden Mann wars kurzweiliger. Zudem sollten sie Pierre immer Bericht geben, wie es mit dem Verantwortlichkeitsgesetz gegen die Konservativen stehe, was man im Vaterlande von ihm rede, und wie hoch die Summen sich beliefen, welche die Vaterlandsfreunde für ihn bereits zusammengelegt hätten. Nun aber hatte damals wirklich noch kein Waadtländer die Unverschämtheit, einem solchen Gesetze Pate sein zu wollen; jetzt wärs vielleicht anders. Mit den Summen stand es noch kläglicher, denn Waadtländer Patrioten sind bekanntlich nicht freigebig, nach allerneusten Erfahrungen sind es auch die Berner Patrioten nicht. Die meisten haben nicht hinreichend für sich, und die andern pfiffen auf eine Vaterlandsliebe, die ihnen nichts einbrächte, sondern was von ihnen wollte. Dem entschiedenen Fortschritt waren sie wohl im höchsten Grade hold, solange derselbe zu den Fleischtöpfen Ägyptens, das heißt zu den Staatsgeldern führt; sobald er jedoch zu den eigenen Säcken sich wendet, halten sie ihn für eine entschiedene Verräterei am Volke.

Es geschah auch, um ihn zu trösten und zu besänftigen, daß man ihm den Jakob lobte, sagte, er solle nur ruhig liegen und getrost sein, es gehe wenigstens so gut, als wenn er dabei sei. Habe er dieses Unglück erleben sollen, so sei doch das große Glück dabei, daß er gerade diesen Gesellen habe, das sei ein ganzer Kerl, mache seine Sache vortrefflich, alle Leute rühmten ihn. Das war Öl ins Feuer, denn Meister Pierre mochte es nicht ertragen, daß jemand ihn sollte ersetzen können. Schon lange hatte er seinen heiligen Ärger daran gehabt, daß seine Kinder gegen Jakob freundlicher waren als gegen ihn, und noch viel mehr hatte es ihn geärgert, daß Babette und Jakob sich nicht haßten wie Hund und Katze, sondern sogar zuweilen ein vernünftig Wort miteinander redeten. Meister Pierre war eine von den absoluten Naturen, welche von Gott und Rechts wegen am meisten geliebt, geehrt sein wollen, aber um es zu werden keinen Finger bewegen, deren Neigungen und Ansichten für alle Maßstab und Richtschnur sein sollen. Wen sie hassen, sollen alle hassen, wen sie verachten, sollen alle verachten. Das machte ihn nun fuchswild, daß Babette den Jakob nicht haßte, sondern ihm alle Gerechtigkeit widerfahren ließ -- denn ihm hatte sie es zu verdanken, daß sie nicht darben mußte -- daß Jakob Babette nicht verachtete, sondern behandelte, wie es sich ziemte, denn ihr hatte er es zu verdanken, daß ein Bleiben im Hause möglich war und die Haushaltung im Gange blieb. Babette wußte wohl, daß es bei ihrem Manne übel ging, wenn sie seinen wachsenden Haß gegen Jakob nicht teilte, sie kannte ihren Mann, und daß es sehr wohl gegangen wäre, wenn sie ihm hätte über Jakob lästern und schimpfen helfen. Aber Babette hielt dafür, daß einer Christin eine solche Verstellung nicht zieme, daß sich hinter eine solche Heuchelei und Verleumdung gewöhnlich die Sünde berge, eine solche war ferne von ihr. Jakob kannte Welt und Meister einigermaßen, merkte, daß es den Meister allemal zornig machte, wenn er mit der Frau ein ordentlich Wort sprach, und noch zorniger, wenn er ihm widerredete, sobald er seine Frau zu lästern begann. Aber in Jakob regte sich der Stolz. Er war der Jakob, welcher das Geschäft besorgte und die Familie erhielt, er hatte den Meister nicht zu schonen, sondern der Meister ihn, und um gerecht zu sein, es regte sich in Jakob noch was Besseres. Es regte sich in ihm das wahre Freiheitsgefühl, welches mit dem Sinn für Gerechtigkeit verbunden ist. »Was du willst, daß andere Menschen dir tun, das tue du auch ihnen!« das ist der wahre Grundsatz der Christen. Jakob hatte ihn freilich noch nicht, aber es regte sich das Gefühl für denselben in seinem Herzen. Er mußte die Frau achten, er mußte sie mehr achten als den Meister, und warum sollte er das verbergen, warum ihr nicht zuteil werden lassen, was ihr gebührte, warum sich anders stellen, als es ihm war? Ziemte sich das wohl einem freien Mann im freien Lande? Und wo das Bewußtsein eines reinen, guten Willens ist, und den hatte Jakob wirklich, da ist man offen und unverstellt, kann sich nicht dazu verstehn, den Schild der Lüge vorzuschieben. Da ward der Meister grob gegen Jakob, mißtrauisch, anzüglich, kurz so bös und unartig gegen ihn als möglich.

Es sah in Pierre wunderlich aus, wie freilich noch in manch anderm Menschen. Wenn er bei sich selbst war, wußte er wohl, was er an Jakob hatte, und daß er ihm in seinen Umständen unentbehrlich war, indem er ihm Geld verdiente und die Kunden erhielt. Aber in Pierre war noch ein anderer Mensch, und diesen stüpfte der Teufel, daß er alles aufbiete, den Jakob nicht fortzujagen, sondern ihn zu plagen und stacheln, daß er selbst fortlaufe seinem Weib und Kindern zu Trotz und ihm zur Freude, indem er dann sehen könnte, was die für Gesichter machen und was sie anfangen würden, wenn Jakob den Bündel schnüre. Zu dem, was er eigentlich nicht wollte, stüpfte ihn der Teufel, denn auch in seinen Gliedern herrschte das Gesetz und zwar wohl stark, daß es ihn gerade zu dem trieb, was er eigentlich nicht wollte. Und richtig wäre es ihm gelungen, den Jakob fortzutreiben, denn wenn sich dieser auch an die waadtländische Ungezogenheit und Grobheit einigermaßen gewöhnt hatte, so vermochte er doch nicht Mißtrauen zu ertragen, er hatte solches nie verdient und war daher kitzlich in diesem Punkte, wie übrigens ganz recht ist.

Samstagabends oder Sonntagmorgens, je nachdem es dem Meister beliebte, gab Jakob ihm Rechenschaft, brachte Buch und Geld in Ordnung und empfing die weiteren Befehle. So weit hatte er sich gebeugt, daß er in Beziehung auf die Anordnung der Arbeit wenig widersprach; manches ließ sich in der Ausführung nach Jakobs Sinn besser machen, und er tat es, wenn es zu des Meisters Vorteil war, und schwieg darüber. Wars einmal abgetan, so kümmerte sich der Meister nicht mehr darum. Unglücklicherweise waren einmal am Samstagnachmittag einige Verwandte bei Pierre gewesen, hatten mit ihm getrunken und ihre Freude geäußert über sein Glück, einen so guten Arbeiter zu haben, der ihn ersetze, so daß er wenigstens daher nicht Schaden leide usw. Das hatte den Meister verletzt. Als nun abends Jakob ganz harmlos von der Arbeit kam, munter zu Nacht speiste und nachher den Meister höflich frug, ob es ihm jetzt gefällig sei oder lieber morgen, da schnurrte ihn der Meister an: je eher je besser, man vergesse desto weniger. Die Worte verletzten Jakob, und immer verletzender ward der Meister, es war augenscheinlich, daß er einen Bruch wollte, und Jakob streckte bereits die Hand aus, den Handschuh aufzunehmen. Da trat Babette zwischen sie, Tränen liefen ihr die Backen ab, ihre Glieder zitterten, aber den Kopf hob sie auf, und ihre Stimme war fest, sie war einem Schiffe gleich, welches, von einem gewaltigen Windstoß erfaßt, noch in allen seinen Teilen zitterte, aber sich wieder aufgerichtet und festen Kurs wiedergewonnen hat.

»Jakob«, sagte sie, »Ihr seid treu und verdient kein Mißtrauen. Daß wir zu essen haben und das Unglück uns nicht zu schwer trifft, haben wir Euch zu danken«, und dazu sah sie ihn mit dem mächtigen Blick an, mit welchem sie stillschweigend zu regieren pflegte. »Aber verständiger hätte ich Euch geglaubt. Einem kranken Mann, den Schmerzen und Angst um die Zukunft plagen, muß man nichts übelnehmen, der Gesunde soll nie um Worte rechnen mit dem Kranken. Draußen ists hübsch, und die Kinder möchten Euch ein Liedchen singen, Jakob«, sagte sie, und Jakob ging. Er knurrte wohl, doch bloß innerlich, dann dachte er, das sei eine verfluchte Manier, aber wenn alle Weiber die hätten, geduldig wären und viel schwiegen, aber in bestimmten Fällen redeten, als hätten sie ein zweischneidend Schwert im Maul, es wüßte kein Teufel, was sie alles regieren täten. Nun gab es einen Stillstand zwischen Pierre und Jakob wie auf den Befehl von Josua zwischen Sonne und Erde. Pierre dachte: »Wart du nur, bis ich wieder auf den Beinen bin!« und Jakob dachte: »Komm mir noch einmal so, so sollst du den Jakob erfahren!« Inzwischen hielten sie sich so weit ruhig, daß sie bloß, wenn sie miteinander sprechen mußten, jedem Worte ein leises Knurren anhingen und dazu sich Augen machten wie Katzen, die auf eine Maus lauern.

Die bekannten sechs Wochen waren vorbei, in welchen ein Knochen dürftig zusammenwachsen soll, der Verband aufgelöst, der Patient auf die Beine gestellt wird. Der Arzt, welcher dem Ding eben nicht wohl traute, verschob das Aufstellen bis nach der siebenten Woche, da zwang ihn endlich Pierre dazu. Aber siehe da, es sah übel aus. Pierre konnte noch nicht stehen, und das gebrochene Bein war bedeutend kürzer als das andere.

Das war eine schöne Geschichte, und der Spektakel ging von neuem an, wer daran schuld sein solle, ob der Chirurg oder der Patient. Wir wollen die Frage auch nicht entscheiden, sondern sie in hangenden Rechten lassen, aber denken kann man sich, was das für Gesichter gab und für Gemütsstimmungen. Allerdings soll auch der Arzt ein sehr langes Gesicht gekriegt haben, welches mehrere Tage nicht kürzer werden wollte und besonders der Wirtin im Wilden Mann auffiel, welche gewohnt war, auf dem Gesichte des Arztes ihre physiognomischen Studien zu machen. Man kann sich aber denken, mit welchen Gesichtern die Leute in Pierres Hause sich ansahen. Die arme Babette, welche schon vorher das Äußerste ertragen hatte, denn wenn der Meister in jener Stunde ihr auch nachgeben mußte, so war er doch ferne von irgendeiner äußerlichen Besserung, sondern rächte sich an seiner Frau so bitter als er nur konnte, die arme Babette wurde vielleicht am tiefsten ergriffen. Die Tore zu neuen Leidenswochen taten sich vor ihr auf, aber sie faßte sich am frühesten und versuchte mit milden Worten den Sturm zu beschwören und Hoffnung anzufachen. Pierre tobte schrecklich, Jakob machte ein kaputt Gesicht, und die Kinder weinten bitterlich. Die armen Kinder hatten sich so sehr gefreut auf die Gesundheit des Vaters und warum? Sie wußten selbst nicht warum, aber es war nicht Liebe, es war die Hoffnung, der Vater könne wieder gehen, könne das Haus verlassen, käme ihnen aus den Augen, das Haus würde mehr oder weniger seiner los, und sie hätten dann wieder Ruhe darin. Ists aber nicht traurig, wenn solche Gefühle die Herzen von Kindern vergiften und zwar ohne der Kinder Schuld, sondern durch der Väter Schuld? Pierre schimpfte über der Kinder Tränen, deren Grund sein Gewissen ihm ganz richtig angab, er schimpfte über Babettes Fassung, die er aber nicht faßte. Er behauptete, sie möge ihm sein länger Liegen und Leiden gönnen, sie könne um so länger ihn quälen und den Jakob, den verfluchten, behalten. Sein Gewissen hatte darin vollkommen recht, daß er solche Gefühle bei Babette wohl verdient, und daß sie in seinem Gemüte in gleicher Lage vollkommen so sich gestaltet hätten, aber was eine Christin in solcher Lage fühle, denke, das sagte ihm weder sein Gewissen noch sein Verstand, denn von einem christlichen Gemüte hatte er keinen Begriff, und beizubringen war ihm keiner, sonst hätte Babettes Betragen es längst tun sollen. Aber Pierre setzte in Babettes Herzen immer akkurat das gleiche voraus, was in seinem Herzen war oder in ähnlicher Lage sich geregt hätte. Von der Verschiedenheit der Herzen oder Gemüter hat so ein waadtländischer Pierre keinen Begriff sondern meint, sie seien sich alle so ähnlich wie ein Kotelett oder Karbonade der andern.

Jakob war es von Herzen leid, daß es so war, und doch verbrachte er selten einen so freundlichen Abend als den, welcher den Tag der fatalen Entdeckung schloß. Es war ein Zwiespalt in ihm zwischen seinem Wollen und seinem Behagen. Trotz dem Meister war es ihm doch wohl da, er liebte die Familie, er freute sich der Meisterschaft, des unabhängigen Bewegens im Handwerk, er fühlte, wie dieses all seine Kräfte spanne und schärfe, daß er viel mehr zu leisten vermöge als er sich eigentlich selbst zugetraut. Aber er wollte doch fort, es zog ihn heimwärts, und je mehr er Freude am Handwerk hatte, desto gleichgültiger ward ihm die Politik, desto mehr ekelten ihn die Waadtländer Patrioten an, so daß er in Gefahr geriet, mit ihnen in förmliche Opposition zu kommen und Händel zu kriegen. Und wer weiß, ob nicht persönlicher Widerwille und der Geist des Widerspruchs imstande gewesen wären, ihn zu einem leidenschaftlichen Konservativen umzugestalten? Diesen Prozeß hat gar mancher schon durchgemacht, der selbständiger und klarer in den Stand der Dinge sah als Jakob. Hätte Jakob gewußt, wie schmerzlich der Meister seine Frau mit der Eifersucht plagte und bei jedem Suppenbrocken ihr den Jakob vorwarf, und wie sie freundlich mit ihm tue und ihn zärtlich behandle, er wäre noch selben Abend fortgelaufen. Aber der Meister, welcher endlich merkte, daß er weder von den Konservativen noch von den Patrioten eine große Steuer zu seinem Beinbruch erhalten werde, begriff endlich, daß er zur eigenen Erhaltung den Jakob so weit schonen müsse, daß er ihm nicht fortlaufe, bis er das Handwerk selbst wieder übernehmen könne. Aber an dem Tag, an welchem er dieses tue, an demselben müsse auch der Jakob aus dem Hause, das war sein fester Entschluß.

Wir wollen die Krankheits- oder, wenn man will, die Genesungsgeschichte nicht verfolgen, bloß bemerken, daß es eine sehr lange Geschichte war und sich zwischen zwei Ärzten und noch dazu zwei patriotischen so legte, daß sie bis dato sich gegenseitig vergiftet hätten, wenn einer von ihnen so dumm gewesen wäre, beim andern eine Arznei zu nehmen oder auch nur ein Zuckerwasser. Pierre hatte in seinem Zorne einen andern Arzt genommen, der hatte bedenklich das Haupt geschüttelt, eine Prise nach der andern genommen und endlich gesagt, die Sache sei schlimm, und wenn es nicht ein Kollege wäre und ein so guter Freund von ihm, so müßte er sagen, ein vermaledeiter Pfuscher hätte ihn unter den Händen gehabt. Indessen wenn Pierre vernünftig sei und gehorche, so wolle er das mögliche tun, er glaube, garantieren zu können, daß die Sache nicht fehle. Aber am Ende fehlte die Sache doch, das Bein war schief und wenigstens einen Zoll kürzer als das andere. Nun ging der Lärm los, niemand wollte daran schuld sein. Der erste Arzt triumphierte und sagte, hätte man ihn machen lassen, so wäre die Sache jetzt recht; daß es das erste Mal so gegangen, daran sei niemand schuld als Pierre selbst, der gefressen und gesoffen habe, was ihm geschmeckt, und dazu keine Minute ruhig gelegen. Er wollte aber nicht für hundert Louisdor, daß es nicht so gegangen wäre, nun sehe endlich die ganze Welt, was er für einen sauberen Kollegen hätte. Das Maul könne er vollnehmen, sonst aber könne er nichts als verpfuschen, was andere gut gemacht. Der andere Arzt sagte, für das Krumme und Kurze könne er nichts, er hätte gleich anfangs geglaubt, es komme so, aber aus Schonung für seinen Kollegen nicht sagen wollen, wie übel es stehe. Möglich sei es immer noch gewesen, daß das Hinken verhindert werde, aber der Patient habe keine Vorschriften befolgt und keine Schmerzen ertragen wollen. Jedenfalls sei es ihm eine Warnung, keine verpfuschten Fälle mehr zu übernehmen, hintendrein müsse man an allem schuld sein, was die anderen Kollegen böse gemacht, und wenn ein Patient sterbe, solle ihn immer der letzte Arzt, welcher ihn behandelt, getötet haben. Und müsse er es von wegen der Pflicht, so schone er keinen Kollegen mehr, die sollten noch schauen, was sie machten. Es ist wirklich ein sonderbar Wesen, die Kollegialität, und es wäre interessant, einmal was Gründliches zu lesen, worin sie besteht und wie weit sie geht.

Pierre dagegen fluchte hinkend über beide, es sei ein Schelm wie der andere und im Lügen alle gleich, jetzt sollte er noch selbst schuld sein, daß er schlecht geheilt worden, und habe er sich doch in das Heilen gar nicht gemischt, sondern es den Ärzten überlassen und sie dafür bezahlt. Hätte er gewußt, daß er die Heilung selbst machen könne, so hätte er keinen gebraucht, und wenn er mehr ein Bein breche, so lasse er lieber einen Schneider kommen oder einen Schmied als einen Arzt. Sein erster Ausgang war in den Wilden Mann, dort betete er begreiflich nicht und dankte Gott, daß er ihm unverdienterweise noch längere Gnadenzeit geschenkt, sondern er fluchte sich satt: über alle Menschen, über Patrioten und Konservative, über Ärzte und Gesellen, über alles, was ihm ins Maul kam. Er verfluchte sich hoch und teuer, für das Vaterland versetze er keinen Tritt mehr, er habe jetzt erfahren, was es abtrage und wie man es vergelte, wenn man sich dem Vaterlande opfere.

Am folgenden Morgen trappte er mit stürmischem Kopf seinen Sachen nach und pulverte beständig halb und ganz laut über alles, was er sah, nichts war ihm recht, und angefangene Arbeit ließ er als Pfuschwerk vernichten. Das gab Lärm in Jakobs Kopf, man kann es sich denken. Er begriff den Meister wohl, doch tat er ihm nicht den Gefallen, mit ihm öffentlich Händel anzufangen. Aber als sie zu Mittag gegessen hatten, ließ er die andern weggehen, dann sagte er: »Meister, ich will fort, will rechnen, meine Sache abgeben, wenn es gefällig ist.« Pierre war das recht und nicht recht. Er sagte daher, er halte keinen, aber kommod sei es, sich aus dem Wege zu machen, ehe er wisse, woran er sei. Da wisse kein Mensch, was alles zum Vorschein komme, dann könne er den Brei essen, den Jakob angerührt.

Dies ging Jakob durch die Haut, ein heißes Zornesfeuer schlug in ihm auf, doch ließ ihn das Gefühl seines Rechts und das Bewußtsein des gewordenen Meisters die Besonnenheit nicht verlieren. Er trat dicht vor den Meister und sagte ihm scharf und hart, aber in langsamer Rede, was für einer er sei in Haus und Handwerk, gegen Weib und Kinder und gegen das Vaterland. Dankbarkeit erwarte er von einem solchen keine, aber als ein Dieb gehe er ihm nicht aus dem Hause, und üble Nachrede wolle er nicht zum Lohn. Der Nachmittag sei lang, er solle nachsehen, was er aufgeschrieben, dann mit ihm gehen zu allen, mit denen man im Verkehr gestanden, dann werde es sich herausstellen, was nach seinem Weggehen an den Tag kommen könne.

Der Meister war begreiflich auch nicht faul mit dem Maul und wollte Jakob vom festen Boden wegparlieren in wüstes Zanken hinein, in einen Lärm, bei welchem man das Ende nie weiß, und in welchem ein Fremder zumeist übel wegkommt, weil selten einer des Abgehenden Partei nimmt, sondern des Dableibenden, wie Jakob zu Zürich es zur Genüge erfahren hatte. Aber Jakob war klüger geworden, er sagte: »Willst oder willst nicht? Oder ich hole zwei andere Meister und will dann mit diesen gehen und mir von ihnen die nötigen Zeugnisse ausstellen lassen, damit jedermann wisse, wer ich bin, und was von nachträglichen Lügen zu halten ist.« Der Meister begehrte nicht, daß Jakob mit seinen Nebenbuhlern in Verkehr komme und sie mit seinem Geschäft näher bekannt mache, er wollte einlenken, aber Jakob beharrte darauf, der Meister mußte mit ihm herumhumpeln, bis er sagte, sein Bein trage ihn nicht mehr, aber er sei zufrieden, die Sache sei recht.

Babette hatte dies kommen sehen, mischte sich nicht in den Streit, sie wußte, das Unvermeidliche hielt sie nicht auf, und Öl ins Feuer zu schütten, trägt nichts ab, hatte sie erfahren. Sie panzerte sich mit all ihrer errungenen Ruhe, aber es kam sie schwer an und zwar aus zwei Gründen. Jakob war ihr wert geworden, sie verlor ihn ungern, sie hatte ihm sehr viel zu verdanken und konnte ihm nicht vergelten. Sie hatte Hoffnung gehabt, etwas an ihm tun zu können, zwar nicht mit zeitlichem Gut, sondern sie hätte so gerne seine Seele gerettet, denn um diese war es ihr sehr angst. Sie hatte wohl gesehen, daß Jakob den Glauben nicht hatte, und diesen Glauben ihm predigen, das durfte sie nicht, aber sie hatte gehofft, er werde allmählich zum Glauben geführt durch das trauliche Leben bei ihnen, sie hatte sich gewöhnt, es als eine eigene Schickung anzusehen, daß Jakob in ihr Haus gekommen, daß ihr Mann das Bein gebrochen, daß Jakob so lange bleiben mußte; sie hatte geglaubt, der Herr wolle durch sie Jakobs Seele retten, und jetzt ging er, ehe er zum Glauben sich gewandt. Sie ward irre, nicht am Herrn, aber an seiner Schickung, das tat ihr so weh, und daß sie Jakob in die Welt hinausgeschleudert sehen mußte, ehe er seinen Anker in guten Glaubensgrund hatte fallen lassen.

Die gute Babette, sie hatte es wie viele fromme Leute. Wenn eine Person, eine Begebenheit in ihr Leben tritt, welche sie als besondere Schickung Gottes erkennen, so denken sie sich gleich den ganzen Gang und Ausgang, welchen diese Schickung nehmen werde, das Warum und das Darum aus dem eigenen Sinne dazu. Wenn es nun ganz anders geht, ein ander Ende kömmt, so wird man so gerne kleinmütig und sagt: »Es war doch nichts, und wie Großes hatte ich gehofft!« Die guten Leute! Es war doch was, und viel Größeres als sie gedacht, aber eben was anderes, Gottes Gedanken waren eben nicht ihre Gedanken, und eben weil es ganz anders ging als sie dachten, ging es nach Gottes Gedanken, war es seine Schickung, welche er mit väterlicher Hand regierte.

Die Kinder jammerten bitterlich, und ihr Jammer schnitt Babette ins Herz. Sie wollte anfangs die Kinder bitten, denselben vor dem Vater zu verbergen, weil sie wohl wußte, daß die Kinder ihn entgelten müßten. Pierre tat, was ihm wohlgefiel, aber die Seinen sollten ihn lieben und niemand sonst, so wollte er es haben. Er war in der Aufklärung nicht so weit wie der alte Urispiegel, wie der Berner Hanswurst heißt, welcher bekanntlich gesagt hat: »Es hassen mich alle Leute, aber ich tue darnach.« Pierre tat auch darnach und meinte doch, es sollten ihn alle Leute lieben. Babette unterließ die Mahnung nach besserm Besinnen. Warum sollten die Kinder ihre besten Gefühle verbergen, was gab das am Ende für eine Gewohnheit, denn was man immer verbergen, unterdrücken muß, das bleibt am Ende ganz dahinten, es wird öde und gibt Platz für Unkraut. Zudem hatte Pierre es auch verdient, zu sehen, wie seine Kinder lieben könnten, nur nicht ihn; sollte er nicht zu schmecken kriegen, was er gesalzen und gepfeffert, und wars nicht möglich, daß es gute Wirkung tat bei ihm? Wir glauben es nicht, das Bekehren hält bei einem verpichten Pierre gar zu schwer.

Es war ein schöner Abend, den Jakob als den letzten in diesem Hause zubrachte. Die Kinder drängten sich um ihn herum, die beiden jüngsten saßen auf seinen Knien, er mußte erzählen, wo er hinwolle, der älteste Knabe wollte zu ihm hinwandern, wenn er das Felleisen auf den Rücken nehme. Es war einer von den Abenden, die sich eingraben im Herzen, die man nicht mehr vergißt, deren Farben nicht verglühen. Jakob war es so seltsam weh und wohl, so eigentümlich wehmütig und doch so lieblich im Gemüte, er wußte nicht wie.


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