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Da begann er sich zu dehnen, wachte allmählich auf, wußte aber so wenig wo er war, als vor einigen Wochen bei seinem Erwachen im Spitale. Er sprang auf, ein Dutzend Vorstellungen kreuzten sich mit Blitzesschnelle in seinem Gehirne, ehe die rechte kam, bis er wußte wo er war, und wie er hieher gekommen. Er erschrak, als er sah, daß er den Tag verschlafen, die Nacht vor den Fenstern war, griff rasch nach seinem Nastuch und frug nach dem nächsten Orte, wie weit es sei, und ob er dort übernachten könnte. In ihrer Lebhaftigkeit hatte das Mütterchen vergessen, daß es mehr als eine Sprache in der Welt gibt, und daß Jakob die ihre nicht verstand. Sie redete rasch auf ihn ein und setzte ihm vieles auseinander, flocht zuweilen das Wort »Blib, blib!« ein, aber in so wunderlicher Aussprache, daß Jakob es auch für ein welsches hielt und aus ihren Berichten nicht klug ward. Er frug: »Wie weit, combien de heures?« Lieues hätte er sagen sagen sollen, und darauf sagte sie: »Blib, blib!« Da kam der Alte und dolmetschte.
Wer jemals so recht todmüde gewesen ist bei einbrechender Nacht und im Glauben stand, seine Herberge liege noch stundenweit, und zu ihr hin sei ein streitbarer Weg voll Kälte oder sonstige Plagen, und er steht schon am Ziele, kann niedersitzen, ruhen, bleiben unter freundlichem Obdach in aller Behaglichkeit, der weiß, wie es Jakob war, als er der Alten Rede hörte. Er konnte im ersten Augenblicke nichts sagen als: » Mon dieu, mon dieu!« Das klang aber in des Mütterchens Herzen besser als die schönste stündige Rede.
So hatte Jakob wieder eine bleibende Stätte unerwartet in einem ganz kleinen Neste, welches er früher gar nicht angesehen hätte. Hätte er in einem solchen bleiben sollen, er würde geglaubt haben, man mute ihm Unerträgliches zu, ein Weltbürger wie er müßte in einem solchen Neste vor Langeweile vergehen, für einen gebildeten Menschen sei das Wohnen in einem solchen Orte eine Unmöglichkeit. Die Kinder dieser Zeit haben es akkurat wie die unmündigen Kinder überhaupt, sie mögen nicht allein sein, können nicht in der Stille leben, nur im Gewühle ist ihnen wohl; wo am meisten geklappert wird, gefällt es ihnen am besten. Es ist ganz begreiflich. An sich selbst können sie kein Genügen haben, denn nichts ist nichts, und wenns stille wird um sie, fangen sie sich an zu fürchten. Die Kinder fürchten ein Etwas ohne Namen. Ähnliches wird es auch sein bei den Kindern dieser Welt, sie fühlen ihre Ohnmacht, und wie sie ohne mächtige Hülfe bösen Mächten verfallen seien. Es geht aber oft so im Leben, daß das, was man schnöde verachtet hatte, der rettende Anker wird; Jakob erfuhr es. Aber darüber reflektieren und passende Nutzanwendungen machen, daran dachte er nicht und nicht daran, daß die Großmutter ihm gesagt hatte, er solle nie Arbeit verschmähen, denn damit könne man sich schwer versündigen, es könne dann eine Zeit kommen, wo man Arbeit suche und nicht finde und aufs jammerwürdigste irren müsse durch die Welt. Brot schänden und Arbeit verachten, das sind zwei Dinge, welche sich schwer rächen früher oder später, je nachdem Gott es fügt, denn so hat ers geordnet, und die Strafe vollzieht er, wenn er es gut findet. Mit Jakob meinte Gott es gut, am. dritten Tage ließ er ihn Arbeit finden, er wußte es, der arme Junge hätte acht, zwölf und mehr arbeitslose Wochen, wie sie manchem zugeteilt werden, nicht ausgehalten. Als er am folgenden Morgen nicht weitermußte, wie glücklich war er nicht, und wie wohl tat es ihm, sich verbergen zu können in seinem schlechten Aufzuge vor den Augen der Welt! Er schaffte in der Werkstatt, soviel seine Kräfte erlaubten, und leichte Arbeit wies der Meister ihm an. Der Meister sah, daß Jakob des Handwerks nicht unkundig war, jedoch zu denen gehörte, welche schaffen, daß was fertig wird, unbekümmert um Kunst und Ausbildung trotz ihrer vorgeblichen Bildung. Jakob sah, daß der Meister raffinierte in seiner Arbeit, mit innerm Behagen an etwas schaffte, unbekümmert darum, werde er eine Stunde früher oder später fertig, da er eben die unter Händen habende Arbeit nicht erst abliefern mußte, um Brot zu kaufen, und ihn der Geiz nicht plagte, der gerne ob schlechter Arbeit reich werden will.
Hier konnte er was lernen, merkte er zu seinem großen Erstaunen. Denn daß man an einem solchen Orte was lernen könnte, daran hatte er nicht gedacht. Der Meister war bei ihm bei der Arbeit, nahm sich alle Zeit, ein Auge auf des Gesellen Hand zu haben, und sagte ihm zu rechter Zeit, wie er es haben möchte, dieweil seine Kunden so gewöhnt seien und sie ja alle Zeit hätten, die Sache recht zu machen. Jakob war ein solches Meistern nicht gewohnt. Potz Himmelsackerment, wie begehrte er sonst auf oder machte wenigstens ein grimmig Gesicht, wenn einem Meister was nicht recht war! Nun, es kitzelte ihn anfangs auch, er sagte wohl, in Genf oder in Zürich habe er es immer so machen müssen. Aber auch das ließ er, denn der Meister war nicht bloß in Genf, sondern selbst in Paris gewesen, verstand sein Handwerk und alle Vorteile in demselben vortrefflich, und was er bemerkte, war so väterlich und freundlich gesagt, daß Jakob nicht böse werden konnte, wenn er auch gewollt hätte. Es arbeitete sich in der kleinen Werkstätte so traulich und heimisch, daß ein halber Tag um war, ehe er daran dachte. Dazu machte es draußen so kalt und wild, daß Jakob allemal, wenn er einen Blick durch das Fenster warf, zum Bewußtsein kam, wie glücklich er sei, da drinnen sein zu können, und um so freundlicher und bescheidener wurde. Der Alte war recht wohl mit ihm zufrieden, und es gefiel ihm selbst, wieder einen Kameraden bei der Arbeit zu haben und einen, mit dem er plaudern konnte von der Welt, von welcher er ein gut Stück gesehen hatte. Ganz besonders aber gab sich das Mütterchen mit ihm ab, das Mitleid hatte ihr Herz ihm geöffnet, und dieses Mitleid verwandelte sich fast in mütterliche Anhänglichkeit. Es ärgerte sie in ihrer welschen Lebhaftigkeit, daß sie alle Augenblicke fragen mußte: » Que dit-il?« und der Alte dann so langsam und ihr nie vollständig genug dolmetschte. Sie nahm sich vor, Jakob Französisch zu lehren, und trieb dies mit solcher Lebendigkeit, daß er in acht Tagen mehr loskriegte als während der ganzen übrigen Zeit, welche er in der französischen Schweiz zugebracht hatte. Aber da war er nicht unter lauter Landsleuten, sondern hörte den ganzen Tag Französisch sprechen, und die Alte versinnlichte, was sie sagte, so ausdrucksvoll mit Gebärden, Blicken usw., daß er sie bald fast ohne Hülfe des Alten verstand, und ohne daß er es merkte, welsche Worte zu brauchen anfing, die sich immer vollständiger aneinanderreihten, daß er sich zum Erstaunen schnell verständlich machen konnte. Von Weggehen oder Dableiben redete niemand, das Dableiben hatte sich ohne alle Worte gemacht, und jedes wäre erschrocken, wenn das Weggehen in Rede gestellt worden wäre.
Sie sorgte aber nicht bloß für seine Sprachfertigkeit, sondern nahm sich auch mütterlich seiner Habseligkeiten an. Was zerrissen war, ward ganz, das Unsaubere sauber, das Unbrauchbare ersetzt durch Brauchbares. Ja, zusehends mehrte sich sein Eigentum, es hätte schon in keinem Nastuch mehr Platz gehabt. Dafür aber war denn auch Jakob der Frau Meisterin sehr gefällig, ging ihr zur Hand, wie er es als Lehrbube nie getan, als Geselle dessen auf das höchste sich geschämt hätte. Höflichkeit ist überhaupt seit der Zeit von Freiheit und Gleichheit stark im Abgang, nicht einmal gegen das weibliche Geschlecht ist man mehr höflich unter sogenannten gebildeten Leuten, geschweige denn ein Geselle gegen seine Meistersfrau. Höflichkeit scheinen viele mit Kriecherei zu verwechseln und Grobheit mit Männerstolz und Männerwürde; je jünger man ist, desto mehr ist man dieser Verwechselung ausgesetzt, und je weniger man ist, desto wichtiger glaubt man sich machen zu müssen, und der Ton ist so, daß solche Burschen freundlicher Höflichkeit sich weit mehr schämen als schlechter Streiche. Hier hatte sich Jakob vor niemand zu schämen, der Meister war höflich gegen seine Frau, und warum sollte er ihre mütterliche Sorgfalt nicht mit freundlichen Hülfsleistungen vergelten? Sie taten seinen Ehren keinen Abbruch, aber sie befestigten ihn im Wohlwollen und machten ihn immer unentbehrlicher.
Es glaube aber niemand, daß Jakob ein anderer Jakob geworden sei inwendig, da war alles noch akkurat gleich, und nicht einmal die Spur einer Gärung, welche einer innern Umwandlung voranzugehen pflegt, war da. Es war aber doch eine Macht über ihn gekommen und regierte ihn, ohne daß er es wußte, und das war die Macht des Hausgeistes. Im Hause war Liebe, Friede, Freundlichkeit, ein ungetrübtes Wesen von Morgen früh bis Abend spät. Da war weder Poltern noch Zanken, kein Sauersehn, mit welchem so mancher dumme Mensch sich groß meint und dumm spricht, Sauersehn sei seine Freundlichkeit. Jede mögliche Handbietung leistete man sich gegenseitig unaufgefordert, dankte für jede mit freundlichen Worten, und das eine freute sich über die Hülfe und das andere über die Worte und dies alles so ganz ungesucht und aus gutem Herzensgrunde, daß man unwillkürlich davon ergriffen wurde. Dabei ward es einem so wohl und so heimlich ums Herz, gerade wie an einem schönen, milden Frühlingsabend, wenn die ganze Erde ein Altar Gottes ist und Weihrauchdüfte gen Himmel steigen und am Himmel tausend freundliche Sterne flimmern, heilige Lichter über dem süß duftenden Altar. Da wird es einem auch so weit und selig ums Herz, man möchte selbst als wohlgefällig Opfer gen Himmel steigen, man muß sich Gewalt antun, sich loszureißen von dieser Herrlichkeit, um in des Hauses düsterm Raume den Schlaf zu suchen. Und kann in des Lebens Kampfe eine herrlichere Beute gewonnen werden als diese freundliche, ungetrübte Heiterkeit am Lebensabend, eine Frucht ungetrübter Liebe und des Friedens, welche über allen Verstand geht? Gibt es ein schöneres Bild als so zwei alte Eheleute, welche so herzinniglich sich lieben, in deren alten Augen junge Liebe wieder glüht, die nicht ohne einander sein können, eins dem andern seine Wünsche aus den Augen liest, jedes nur den Schmerz des andern fühlt und nicht den seinen? Diese stehen nicht an des Grabes Rand, sie stehen an den Pforten des Himmels, ihre Herzen sind geläutert, sind zwei freundliche Sterne geworden, die zu einem Doppelsterne sich geeint, und freundlicher Sterne Heimat ist der Himmel. Wenn die Sonne über der Erde steht, verschwinden die Sterne in des Himmels Gründen, die schaffenden Kräfte walten, es donnern des Lebens brandende Wellen über der Erde. Wenns Abend wird, wird es stille, aus den tiefen Gründen treten die Sterne wieder friedlich und freundlich, in stillem Frieden scheint die Erde sich zu baden. In jungen, kräftigen Tagen, in des Lebens Brandungen, da müssen Mann und Weib kämpfen mit der Welt, müssen sich durchringen, müssen ihr abzwingen, was sie bedürfen, müssen im Gewühle stehen, die Augen offen für Gefahren und Vorteile, für alles, was an ihnen vorüberrauscht. Da treten die Gefühle auch in den Hintergrund, die Liebe tritt zurück, gibt Raum den schaffenden Kräften, unterstützt sie wohl, freut sich ihres Gewinnes, fächelt Kühlung und Erquickung in des Tages Brand. Aber wenn dann des Lebens Abend kömmt, der fleißige Arbeiter sich Feierabend errungen hat, die Kräfte übt in der Gewohnheit Behagen oder sich pflegt aus errungenem Gewinne, da treten wieder, wo im Herzen der Himmel bewahrt ist, des Lebens Stürme das Herz nicht übersandet, verwüstet haben, die Gefühle als freundliche Sterne hervor, die Liebe entschleiert sich wieder, wird zum glänzenden Abendsterne, leuchtet in wunderschönem Glänze, bis die Nacht kömmt, bis das alte, in Liebe wieder erglühte Auge im Tode bricht. Das ist der wahre Gang im Leben, und so, ihr Eheleute, sollt ihr das Leben begreifen und in ihm stehn, und wohl euch, wenn dann als des Lebens höchste Beute euere junge Liebe als Abendstern wieder am Himmel steht, euere letzten Tage verklärt in seinem freundlichen Lichte, wie ja der gleiche Stern der Morgenstern ist und der Abendstern!
Von diesem Wesen ward Jakob ergriffen und machte es mit, er wußte nicht wie. Denn bekanntlich war Jakob ein guter Junge von Natur, der immer mitmachte, was man ihm vormachte, und da böses Vormachen häufiger ist als gutes, sagte ihm seine Großmutter so oft: »Jakob, du bist ein Esel und bleibst ein Esel!« Das unbeschreibliche Behagen des Friedens genoß er mit der gleichen Wonne wie der müde Arbeiter den Feierabend. Es ist dieser Friede das irdische Paradies, und wer dazu den Eingang gewinnt, der hat ein Zeugnis, daß er in den Himmel kömmt, wenn ihm das Paradies nämlich nicht erleidet. Das ist ein kitzlich Ding, wie wir bereits an Eva sehen können.
Körperlich stellte sich Jakob bald vollkommen her. Die einfache aber nahrhafte Kost, deren nachhaltige Wirkung durch keine Hudeleien unterbrochen oder zerstört wurde, behagte ihm vortrefflich. Er ging zwar auch ins Wirtshaus, aber gewöhnlich mit dem Meister, der hatte ein bestimmtes Maß, welches er höchst selten überschritt und wiederum nur um ein Bestimmtes, und in den gleichen Schranken blieb Jakob, da er keine Kameradschaft hatte, welche ihn über diese Schranken hinauszog oder stieß.
Aber kurios wars, je runder seine Finger wieder wurden, je mehr er sich ausfütterte, desto mehr begann sich auch der alte Jakob in ihm zu regen. Erst begann er sich zu wundern, wie es ihm, dem Jakob, hier so gründlich Wohlsein könne; das hätte er nie geglaubt, dachte er. Dann begann er sich zu wundern, daß er hier so lange bleiben könne in dem langweiligen, abgelegenen Neste, wo man ganz ab der Welt sei, und zwar, was das Wunderlichste war, doch eigentlich ohne Langeweile zu haben. Nach und nach erhob er sich zur Kritik der beiden alten Leute und fand sie zwar grundehrlich, aber eigentlich kreuzdumm, ohne alle Ideen und Bildung, ganz ohne Flug, und daß sie eben ohne Ideen und Bildung so glücklich sein könnten, das war ihm der klarste Beweis ihrer Dummheit und Beschränkung. Sie waren so einfältig, völlig zufrieden zu sein mit dem, was sie hatten, und nichts mehr zu begehren, zufrieden zu sein mit der Ordnung der Welt und diese eine Ordnung Gottes zu nennen, von Gott das Beste zu erwarten in dieser Welt und in jener Welt das Allerbeste. Sie glaubten noch, was, wie man ihm gesagt, kein vernünftiger Mensch mehr glaube, sie glaubten an den Erlöser, an ihre Sündhaftigkeit, die Notwendigkeit der Gnade, an Gott und Unsterblichkeit, an die Vorsehung Gottes, an die Gaben des Geistes und die Versuchungen des Teufels, kurz an alles, was man ihm gesagt hatte, daß er es als altes Wischiwaschi in die Rumpelkammer werfen müsse. Ihre Dummheit sei schuld daran, daß sie sich einbildeten, so glücklich zu sein, meinte er, und wie man so dumm sein könne und doch in Paris gewesen sei, das begriff er lange nicht, bis es ihm einfiel, Dummheit werde halt Naturanlage sein, welche selbst Paris nicht habe abwaschen können. Es regte sich Verachtung in seinem Herzen gegen die dummen Leute, und doch konnte er sich der Liebe nicht erwehren, er mußte oft denken, wie schade es sei, daß sie so dumm seien, bessere Leute könnte man sonst nicht treffen. Daß aber ihre Güte Frucht ihrer sogenannten Dummheit oder ihres Glaubens sei, das fiel dem Jakob nicht bei. Wahrscheinlich glaubte er, es sei Naturanlage, gehöre zur Dummheit, aber kommod sei es für die andern, welche davon desto besser lebten.
Das regte sich ganz stille bei ihm, denn äußerlich war er der gleiche, bescheiden, dienstbeflissen, und ward als guter armer Junge immer mit gleicher Güte behandelt. Ja, das gute Mütterchen ging in ihrer Teilnahme immer weiter, dehnte sie vom Leibe auch auf die Seele aus. Je mehr Jakobs Sprachkenntnisse sich mehrten, desto mehr erweiterte sich der Kreis ihrer Unterhaltung. Vom ganz Einfachen schritt man zum Zusammengesetzten und Verwickelten, von den Dingen zu den Begriffen. Zuerst hatte sie mit Worten und Zeichen gefragt, ob man auch Erdäpfel habe bei ihnen oder Bohnen oder Speck usw., dann, was es koste, wobei die Finger vortreffliche Dienste leisteten. Von Haus und Haushaltung ging man in Dorf, Feld und Wald, es war ein sprachlicher Anschauungsunterricht oder ein anschaulicher Sprachunterricht, wie man was der Art fast in den meisten Schulen hört dato, jedoch zumeist nicht halb so praktisch und verständlich.
Nun blieb das Mütterchen eben nicht bei der einfachen Neugierde und Teilnahme stehen, sie wollte wissen, wes Geistes Kind Jakob sei, was für einen Glauben er hätte, ob er reformiert oder katholisch sei, ob rechtgläubig oder auch von den Weltkindern eins, welche sich um nichts kümmern, wollte ihn mit in die Kirche nehmen, wo ihr Pfarrer so schön und gewaltig predige, daß man meine, das Herz nicht mehr behalten zu können im Leibe. Der Alte sagte nicht viel zu solchem, er war weiter in der Welt herumgekommen, wußte, wie leichtfertig die Jugend oft das Wichtigste nimmt, und wie es die Religion im Menschen fast hat wie das Korn, welches sich einmal entfärben muß und je früher, desto besser, wenn es eine gesegnete Ernte geben soll.
Jakob verpalisadierte sich anfangs hinter seine sprachliche Unkunde. Diese schwand aber alle Tage, und zudem wuchs in ihm die Lust, die guten Leute aufzuklären und ihnen noch am Ende ihrer Tage von der Dummheit zu helfen und zu einem Stück Bildung, damit sie nicht so weit hinter dem Zeitgeist stürben. Jakob war ehrlich und kein Heuchler. Wäre er es gewesen, hätte er der guten Alten in den Kram geredet, hätte fromme Gesichter geschnitten und im Herzen sie ausgelacht. So was geschieht, die ungläubigsten Kerls treiben solches Spiel, das Heiligste mißbrauchen sie als Köder, um was zu erschnappen, sich Bahn zu machen in Häuser und Herzen, um ihre Spitzbübereien zu treiben. Solche Kerls wird unser Herrgott lieb haben am Tage, wann er die Toten weckt und die Böcke von den Schafen scheidet! Sie verdienen es aber auch, denn Schlechteres ist wohl nichts als solches Verhöhnen des Heiligsten. Aber wohl, solchen Böcken werden die Teufel einst heizen und ihren Hohn mit ihnen treiben, daß feuriger Schweiß ihnen auf der Stirne brennt ewiglich!
Jakob rückte nach und nach vorsichtig mit seinen Zweifeln und Einwendungen gegen den Glauben des Mütterchens heraus und suchte es einzuweihen in die Aufklärungen des Zeitgeistes. Potz Himmeltürk, wie ward es da in der Alten lebendig, und rasch sprudelte ihr das Welsch vom Munde; mit welcher Innigkeit und Angst suchte sie den Jakob zu bekehren und ihn zu retten vor dem Verderben, dem sie ihn verfallen glaubte! In seiner Sprachungelenkigkeit konnte er ihr nicht das Hundertste antworten, und für gar vieles wußte er keinen Ausdruck, konnte nicht begreiflich machen, was er meine. Wenn er dann so stockte und stotterte, was da die Mutter für eine Freude hatte, dieweil sie glaubte, sie hätte ihn überwunden, und er wüßte nichts mehr zu sagen, und alles werde wieder gut! Und wenn dann erst Jakob die französische Bibel nahm, drinnen las, sich erklären ließ und besonders die Stellen aufsuchte, welche er deutsch im Gedächtnis hatte, so meinte sie, dSach sei richtig. Wie erstaunte sie, als mit Jakobs Bibellesen seine Einwendungen sich mehrten, er verstockter zu werden schien, sie schlug oft die Hände zusammen und rief aus: » Mais, mon dieu, mon dieu!«: ließ sich nicht ausreden, das sei Hexenwerk, daß Gottes Wort sich in Jakob zum Bösen verkehre, er liege unter einem Fluche, und diesen zu lösen, das war ihr innigster Wunsch und brachte doch nichts ab.
Jakobs Unglaube hielt viel härter wegzubringen als sein Glaube und zwar aus zwei Gründen. Sein früherer Glaube war etwas Totes in ihm, nicht die Wurzel, aus welcher sein Leben wuchs, sondern so gleichsam nur ein Knollen im Gedächtnis, den man herausmachen konnte, ohne daß etwas anderes entstand als ein klein Loch, welches von selbst wieder zusammenwuchs. Das kömmt von der Art her, wie der sogenannte Religionsunterricht zumeist gegeben, der Glaube in einzelnen Sätzen eingepaukt wird, statt daß man mit ihm in der geheimnisvollen, heiligen Kammer unserer Seele das heilige, ewige Licht entzündet. Sein Unglaube dagegen war jetzt mit seinem Leben verwachsen. Er war der Grundstein seiner Ansichten und Ansprüche, er war seine Rechtfertigung für das Vergangene, seine Berechtigung für die Zukunft. Ließ er diesen Unglauben fahren, so wuchs ihm die Reue auf, ward die Zukunft ihm finster, mußte er seinem Leben eine ganz andere Richtung geben, ganz andere Ziele setzen, er mußte mit einem Wort ein ganz anderer werden, ja, und das ist schwer, und man geht nur in Weh und Angst daran! Wird der natürliche Mensch in Schmerzen geboren, wird es der geistige Mensch noch viel mehr, und wie man seines leiblichen Lebens sich wehrt, wehrt man sich seines geistigen Lebens noch viel mehr.
Zweitens war der Karl, welcher ihm den Glauben vollends ausriß wie einen wackelichten Zahn, ein sogenannter gebildeter junger Mensch, den Jakob über sich hielt, vor dem er sich schämte, der in seinen Augen was bedeutete. Dagegen war das Mütterchen eine alte Frau, eine Frau, welche nirgends hingekommen, nicht wußte, was in der Welt Trumpf war, ganz alt und dumm. Alt und dumm werden nachgerade von den Kindern dieser Zeit als gleichbedeutend angesehen, ehedem war es anders. Die Griechen und Römer hatten großen Respekt vor grauen Häuptern; »vor einem grauen Haupte sollst du aufstehen und dich bücken!« steht geschrieben, und die Knaben, welche eines Propheten spotteten, fraßen die Bären. Nun ist es anders, und alt und altväterisch ist ein Spottname geworden, die Jugend hat das Szepter ergriffen, und so weit geht der Unsinn, daß bereits Vorschläge gemacht worden sind, regierungsunfähig zu erklären, wer das vierzigste Jahr überschreitet.
Die Hauptschuld an diesem Übel trägt die Schule, denn sie ist es, welche den Jungen in den Kopf setzt, die Alten seien nichts, dieweil sie nicht also geschulet worden als wie die Jungen, ja nicht einmal lautieren könnten, sondern bloß buchstabieren. So trieb man Abgötterei mit der Schule, hielt sie für den einzigen Faktor, welcher tüchtige Menschen bildet, bedachte nicht, daß der geschickteste Schuljunge der dümmste oder der schlechteste Kerl werden kann, daß das Leben selbst eigentlich die Hauptschule ist, die das Gelernte erst lichtet, zusammenkittet, brauchbar macht, daß das Leben die Kräfte weckt und stählt, welche den Menschen tauglich machen. Das Leben bildet den Charakter, die Schule gibt nur das Wissen, und weil man die Schule vergöttert, leidet man jetzt an dem schweren Übel, daß man wohl allerlei Wissen hat, aber schrecklichen Mangel an Charakter. Man leidet an dem Übel, daß nicht bloß Völker, Stände zerklüftet sind, sondern auch die Altersstufen, die verschiedenen Jahrgänge fast sich nicht mehr verstehn, der naseweise Schuljunge den gewiegtesten Mann verachtet, weil er allerlei wunderliche, manchmal babylonische Ausdrücke nicht versteht. Alle Erfahrungen der Geschichte und alle Warnungen der Erfahrenen verachtet spöttisch die Jugend und fabriziert Geschichte auf eigene Faust nach ihren Schulheften oder fleischlichen Einfällen, und etwaige Pädagogen finden das prächtig und bieten Hand dazu, es gibt halt was Neues. Daher nun kömmt es, daß die junge Masse altern Leuten und namentlich einem guten, alten Mütterchen halt nichts glaubt, es sei denn, die Alten stießen ebenfalls ins Horn der jungen Schule, was allerdings einige alte Zötteler zu tun nicht verschmähen. Denn man täusche sich ja nicht über die Urteilsfähigkeit dieser jungen Welt, sie hat einen blinden Autoritätsglauben so gut als der bigottste Katholik, nur hat sie andere Autoritäten, nicht die Autorität der Bibel, der alten Weisen, der bewährten frommen Männer, sondern die Autorität der jungen Apostel, der jungen Schule, diesen beten und plappern sie vollständig nach, was sie ihnen vorplappern. Aber auch diese jungen Apostel haben nichts ersinnet, sondern plappern nur in die Kreuz und in die Quere über den uralten Text, welchen zuerst der Teufel auf die Bahn gebracht und dem Weibe vorgesungen hat: wenn sie esse von dieser verbotenen Frucht, so werde sie Gott gleich sein.
Wer das alles gehörig bedenkt, wird sich nicht wundern, wenn die gute alte Frau an Jakobs Unglauben nichts abbrachte, wird nicht etwa in den Wahn fallen, der Grund liege in der Güte und Wahrheit von Jakobs Ansichten.
Wenn auch der Alte in den eigentlichen Glaubensstreit sich nicht mischte, so kam er doch mit Jakob ins Gespräch über kommunistische oder sozialistische Ideen, denn diese rumorten im Waadtlande zu mächtig, als daß sie in einer Werkstatt, wo Meister und Geselle ein traulich Wort zusammen redeten, hätten unbesprochen bleiben sollen. Vor seinem Mütterchen mied der Alte diese Gespräche, denn er liebte es zu sehr, um es damit zu erschrecken, er wußte, daß seine lebhafte Einbildungskraft ihm gleich alles vergegenwärtigte, als ob es bereits da wäre, was nur von ferne in Rede gestellt wurde.
In der Theorie trennt man den Sozialismus von dem Kommunismus so gut wie den brutalen Radikalismus von dem philosophischen Systeme von Freiheit und Gleichheit. Aber um diese Trennung möchten wir keinen kurzen Birnstiel geben. Wenn Mathematiker die schönsten, regelrechtesten Figuren in den Sand ziehen, und der Wind kömmt ihnen dahinter, so ists aus mit der Mathematik und den schönen Dreiecken und Vierecken, das wird durcheinandergewoben und -gewehet, bis endlich alles wiederum so daliegt, wie es von alters her immer gelegen hat. So ist es mit den politischen, mit den sozialen Systemen auch. Die guten Gelehrten mögen da kalkulieren und formieren, wohl abzirkeln wunderschön, daß einem ordentlich das Herz im Leibe juckt ob dieser Kunst und grausamen Weisheit, aber bringen einmal diese Gelehrten ihre Theorien ins Leben, dann ists aus mit ihren Kreisen und Formen, das Leben kömmt dahinter, windet alles durcheinander, daß einem übel wird darob und man sich glücklich schätzt, hört einmal das Winden auf, und sind die Theorien und Systeme fort und alles wieder beim alten.
»Ja so, also beim Alten will ders haben, wird ein sauberer Kerl sein, der!« wirds rufen links, wirds rufen rechts. »Ja, beim Alten!« antworten wir unerschrocken und haben den Ausdruck wohlbedacht gesetzt. Unter dem Alten verstehen wir nämlich die alte Ordnung Gottes gegenüber den Theorien und Dummheiten der Menschen. Nach der alten Ordnung Gottes bildet Gott fort und fort, seine schaffende Hand ist im Sande mächtig, aber den Menschen unmerklich; nach der alten Ordnung Gottes soll der Mensch alles, über was Gott ihn gesetzt hat, veredeln. Zur Strafe, daß er das Paradies verloren, soll er an einem neuen Paradiese schaffen; und tut er es treulich, so gewinnt er damit den Himmel, denn wenn er es treulich tut, veredelt er sich selbst und wird brauchbar für den Himmel.
Aber was anderes als Gott gewollt, und nach andern Gesetzen als Gott gesetzt, da kann der Mensch nichts machen, und versucht er es, so verbrennt er die Finger oder die Flügel, wie schon die Alten es erfahren und in schönen Fabeln den Nachkommen überliefert haben. Aber die lesen leider nichts Altes mehr, sondern nur nagelneue Zeitungen, welche am folgenden Tage bereits nicht mehr im Fortschritt sind, daher hinterwärts verbraucht werden. Aus einer Kuh kann der Mensch keinen Hirsch machen, aus einer Kröte keinen Adler, aus einem Rosenstrauch keinen Nußbaum, aus einem Vergißmeinnicht keine Eiche, so kann er aus sich selbst keinen Engel machen mit Flügeln und tugendreich und makellos. Ferner kann er auf einen Felsen nicht Pappeln pflanzen, die Lüneburger Heide nicht mit Hanf besäen, die Jungfrau im Berner Oberland nicht mit Dahlien bekränzen, in Sachsen nicht Datteln ziehen, aus einem Ludimagister keinen Küher machen, einen Roßjungen nicht in ein gelehrtes Haus umwandeln, eine Katze nicht in eine Nachtigall. Nach Gottes alter Ordnung hat alles seine Natur, und die Veredlung dieser Natur hat sowohl bestimmte Schranken als bestimmte Gesetze, nach welchen sie geschehen muß. Das kennt der Naturkundige und weiß akkurat die Höhe anzugeben, bis zu welcher diese oder jene Pflanze gedeiht; das kennt der Landmann und weiß, was in diesem Boden gedeiht und was in jenem, wie eine Pflanze nach der andern am besten kömmt, wie die eine der andern vorarbeitet, den Weg bereitet und kein Mensch ungestraft die Hand an die unabänderliche Ordnung legt; das kennt der Jäger, mit Dachshunden jagt er nicht Schnepfen und mit Steilhunden nicht Dachse; kurz, in jedem Naturreiche kennt man die Ordnung, nur im Gebiete der Menschheit will man weder Regel noch Gesetz anerkennen, schweift immer und immer über alle Schranken und büßt dann mit bittern Strafen. Daran ist der Hochmut und die damit verbundene Dummheit schuld, die betören den Menschen und verführen ihn, eben sich selbst zu Gott zu machen. Davon erzählen uns viele alte Fabeln, schon der Turmbau zu Babel zum Beispiel und der Titanen Himmelsturm. Die gleichen Tollheiten der Menschen wiederholen sich fort und fort, aber davon weiß eben die junge Schule nichts, sie verachtet die Vergangenheit, sie will neue Geschichte machen, die eine Nase hat, und denkt nicht an den Mann, der einen Stein den Berg aufrollte, und wenn er ihn oben zu haben meinte, samt dem Steine unten am Berge im Kote saß. Akkurat so ist es mit dem sogenannten Sozialismus, den die Gelehrten und sogenannten Klugen aus dem groben, gemeinen Kommunismus herausdestilliert haben.
Der Kommunismus ist ganz einfach der tierische Zustand, wie er auch unter den Menschen nach Aufhebung des Eigentums und der Ehe und Einführung der sogenannten freien Liebe entstehen würde. Der Sozialismus will in das Grobe das Feine bringen, will die von Gott gegebenen Kräfte ordnen, jeder Kraft die passende Arbeit anweisen und jeder Arbeit akkurat den gehörigen Lohn, will die sichtbare Vorsehung sein und ergänzen die Ordnung Gottes. Aber das geht halt nicht, wer will so was handhaben, wer will den Blitz lenken, dem Sturme gebieten, dem Meere sagen: »Bis hieher und nicht weiter!« die Witterung verbessern, den Reif abschaffen und den Mehltau verbannen und den Raupen die Erde verbieten und Dreiecke und Kreise zeichnen am Meeresufer und Flut und Wind gebieten, sie zu respektieren ewiglich?
Wir geben gerne zu, daß große Unbill in der Welt ist, daß namentlich in Fabriklanden an der Menschheit mächtig gefrevelt wird, und mancher Unbill mag man durch Gesetze steuern so gut als dem Mord, dem Raub, dem Ehebruch usw., aber an die Quelle des Übels reicht des Menschen Macht nicht. Es ordnen, daß es weder Arme noch Reiche mehr gibt, das vermag der Mensch nicht, denn »die Armen habt ihr allezeit bei euch«, hat Christus gesagt. Daß man aber eben vergißt, was Christus gesagt, daß Fabrikherr und Fabrikarbeiter das Heil nicht mehr bei Christo suchen, das Himmelreich nicht inwendig, sondern auswendig, daß einzelne eine wilde Horde um sich sammeln, um reich zu werden, und nicht daran denken, daß zahme Hunde am Ende doch ihren Herrn fressen, wenn sie hungrig werden, darin liegt das Übel, und dies heilt man nicht mit diesem, nicht mit dem, mit keiner neuen Ordnung und keinem neuen Heiland, sintemalen ein einziger Name uns gegeben ist, in welchem wir sollen selig werden, der Name Jesus Christus. Dieser sagt uns, wo das Übel liege, nicht in den Zuständen der Welt, sondern in den Zuständen der Seele, nicht in der Armut, sondern in der Sünde; und nicht in Revolutionen ist das Heil, sondern in der Wiedergeburt des innern Menschen, denn wer nicht wiedergeboren wird, wird das Reich Gottes nicht sehen. Je weiter man von Christus weicht, desto größer wird Geschrei und Elend, und begreiflich sind die größten Sünder am elendesten, schreien am lautesten, sehen am wenigsten, wo das Heil ist, oder werden am frühesten der Hungrigen Beute. Dies mag an gar manchem Orte geschehen, es mag fürchterlich zugehen an manchem Orte, aber mit dem Sozialismus beugt man nicht vor, man macht nur zwei Revolutionen statt einer. Erst zieht man die Reichen aus; hat man keine Reichen mehr, so kehrt jeder das Schwert gegen den andern, um selbst wieder reich zu werden, und dies trotz allen Einrichtungen und Ordnungen der Menschen.
Es bleibt doch alles beim Alten, das heißt bei der Ordnung Gottes, und die will auch den Menschen veredelt, dafür hat er uns Christus gegeben, der ist der Sauerteig für unsere Natur, die immer die gleiche ist bei jedem Menschen. Die Liebe, die er bringt, sie alleine söhnt die Menschen untereinander, ebnet die Ungleichheiten, macht Unbill gut und verhindert Ungerechtigkeiten. Der sogenannte Sozialismus ist nichts als ein schlecht Surrogat für Christus, und Surrogate entstehen nur, wenn das Wahre selten wird oder gar nicht zu haben ist. Ein Surrogat verdrängt das andere, keines hat Bestand. So würde der Sozialismus alsbald vom Kommunismus verschlungen, der Kommunismus vom Despotismus, und dieses wechselnde Elend brächte die armen Sünder vielleicht wieder zu dem, der den glimmenden Docht nicht auslöscht, den Elenden nicht verstößt. Gar mancher begründet den Sozialismus mit dem Christentum und weiß nichts von Liebe, ist geneigt, Gott und Menschen zu hassen, ist Sozialist aus Neid und Haß, und Neid und Haß sind bekanntlich nicht Liebe. Es ist hier wie auf dem politischen Markte, es schreit gar mancher von Freiheit die Backen voll, kann nie genug Freiheit kriegen in allen Dingen, und läßt sich das Volk durch dies schöne Geschrei betören, gibt solchen die Gewalt in die Hände, so werden diese die größten Feinde jeglicher Freiheit, der äußern wie der innern. Nicht bloß soll jeder reden wie sie, sondern auch grännen wie sie, nicht bloß keiner reden oder schreiben, was nicht in ihren Kram dient, ja, keiner soll im stillen lachen über ihre Bockssprünge, sondern auch keiner im stillen denken oder glauben, solche Dummheit sei noch nicht erhört worden in Israel und werde, so Gott wolle, nicht von langem Bestand sein. Von solchen Freiheitshelden können Berner und Waadtländer ein Wörtlein reden. Es sind gar wunderliche Geschöpfe, die Menschenkinder, haben immer noch Augen und sehen nicht, sehen die uralte Ordnung Gottes nicht, daß alle, welche andere Ordnungen statt Gottes Ordnung einführen wollen, zu lieblosen Despoten werden, welche mit den gräßlichsten Mitteln ihr auf Sand gebautes Haus halten und befestigen wollen und doch umsonst. Sobald die Winde Gottes sich erheben, stürzt es um und tut einen großen Fall. Siehe die französische Revolution und anderes mehr!
Das alles begriff freilich unser Jakob nicht, wenn er mit seinem Meister sich unterredete, und auch dieser verstieg sich nicht in die Theorien hinauf, sondern hielt sich mehr auf dem praktischen Felde. Jakob klagte gewöhnlich zuerst über die große Ungerechtigkeit, daß es die einen so gut hätten, die andern so böse. Dann meinte der Meister erst kurz, das komme vom lieben Gott her, der habe die einen auch klein geschaffen, die andern groß, die einen gesund, die andern kränklich usw. Dann meinte Jakob, damit sei keine Gleichheit mit dem, was er meine. Er meine, daß die einen in Kutschen fahren könnten, die andern zu Fuße laufen müßten, die einen im Schatten sitzen könnten, die andern an der Sonne schwitzen müßten, die einen die Hülle und Fülle hätten ohne Sorgen, die andern mit aller Plage kaum das tägliche Brot. Das sei nicht von Gott, sagte er, das sei von den Menschen, dieweil nicht Freiheit und Gleichheit sei, sondern eine verfluchte Ungerechtigkeit.
Dann sagte der Meister, wegen dem Bös- und Guthaben seien die Ansichten verschieden. Der Faule nenne arbeiten böshaben, könnte dagegen der Meister nicht arbeiten, so meinte er, er hätte bös, arbeiten sei seine Lust. Überhaupt seien verschiedene Kräfte, darum verschiedene Arbeiten, und wohin jede Kraft am besten passe, das wisse Gott alleine, und darum lasse er den einen da, den andern dort geboren werden, gebe jedem seine Bestimmung, sein Pfund und fordere nur Treue, die rechte Verteilung könnten die Menschen nicht machen und Gleichheit erst keine. Gleichheit sei gegen die Ordnung Gottes, in der ganzen Natur sei keine Gleichheit, kein Baum sei wie der andere, keine Kuh wie die andere, kein Gesicht wie das andere. »Und so wenig ihr alle Gesichter gleichmachen könnt, so wenig könnt ihr jede Lage gleichmachen, jedes Verhältnis. Sieh, Jakob, ich will dir was sagen. Wer fromm ist, treu, fleißig und beharret darin und bestehet darin, und Hauszucht hält und seine Kinder übt in Zucht und Vermahnung Gottes, der hat es wie ein Baum, der gute Erde und eine feine, warme Sonne hat, der schlägt tief seine gesunden Wurzeln, streckt weit aus seine starken Äste, wächst hoch zum Himmel auf, lebt viele, viele Jahre, sieht Menschengeschlechter kommen und gehn, die ganze Gestalt der Erde vorübergehn. Ein Hausvater, der diesem Baume gleicht, gründet sein Haus auf einen Felsen, und im Hause wohnt Gottes Segen, und der Segen frommer Eltern baut auch den Kindern feste Häuser, wie Gott verheißen hat. Eine solche Familie wächst hoch auf, wächst über andere empor, wird mit Respekt betrachtet und vornehm geheißen, denn sie besteht lange, Gott erhält sie, solange ein Fünklein guten Geistes in ihr waltet. Weicht der, fällt sie. Und wiederum gibt es Familien, sie schießen schnell hoch auf, fallen ebenso schnell zusammen, sie hatten keinen guten Grund, der Wurm der Ungerechtigkeit saß ihnen im Mark, und die ungerechten Kreuzer fraßen die gerechten. Und wiederum andere kleben mehr an der Erde, genießen, was jeder Tag bringt, streben nach keinem besondern Ziele, schlagen daher nicht tiefe Wurzeln, schießen nicht hoch auf, sind dem Buschwerk ähnlich, die Welt achtet es wenig, über ihnen wacht aber auch das Auge Gottes, und nach dem Maße ihrer Treue mißt er den Lohn ihnen zu. Siehe, Jakob, das ist die Ordnung Gottes, und daran werdet ihr nichts ändern, und wenn ihr an Gott glaubtet, so würdet ihr euch darein schicken. Nur weil man die Gebote nicht halten mag, nur dem Fleische frönen will, an Gott nicht glaubt und doch leben möchte, als hätte man den Segen Gottes und die Früchte von Treue und Fleiß, vermißt man sich, will eine andere Ordnung schaffen und abschaffen, was seit Jahrtausenden besteht; und da man sich für weise hält, wird man zum Toren.«
Da möge der Meister sagen, was er wolle, sagte dann Jakob, so sei es doch verflucht ungerecht, daß die einen gar nichts Gutes hätten im Leben, bloß verdammt seien, zuzusehen, wie andere schlemmten, praßten, und seien doch so gut Menschen als die andern und hätten die gleichen Rechte wie die andern, und schrecklich sei es doch, gelebt zu haben in lauter Not und Mangel. Ob es da nicht Recht und Pflicht sei, jedem zu billigem Genuß und seinem Anteil an den Freuden der Welt zu verhelfen?
»Du bist ein arm Kind, Jakob«, sagte dann der Meister, »wie du redet nur, wer an das ewige Leben nicht glaubt, wer meint, hier fange alles an und sei alles aus, hier sei einer wie der andere, und jeder müsse haben, was der andere. So spricht er, aber nur, solange er nicht hat, was die andern haben, er der Schwächere ist; hat er seinen Teil und wird der Stärkere, so wird seine Kraft zu seinem Recht, und er nimmt, was er kann. Denn merke wohl, auf Erden gibt es nur zwei Rechte, erstlich das Recht Gottes und das Recht des Stärkern, alles andere ist Larifari und eitel Geschwätz. Es sagte mir einmal einer, die Erde sei ein wunderlich Ding, ein Läuterungsort, wohin man wegen einem unordentlichen vergangenen Leben komme, ein Bad, welches einen zum Himmel läutere, ein Bad, in welchem man sich noch ärger besudeln könne, daß man nur noch zur Hölle tauge. Wer in die Ordnung Gottes sich füge, steige die Leiter zum Himmel hinauf, wer widerspenstig und trotzig sei, müsse hinunter und fürder nichts als heulen und zähneklappern. Von dem steht nichts in der Bibel, aber dies steht darin, daß wer der Welt Lohn wolle, den Lohn Gottes dahin habe, und wer mühselig und beladen sei und Christi Joch auf sich nehme, der werde getröstet werden. Sieh, Jakob, wie beschränkt und vermessen euer Treiben ist, es ist nichts als die Ungeduld, welche jede Lage verschlimmert und jedes Unglück noch größer macht und nicht warten will auf die Erfüllung der Verheißungen Gottes oder vielmehr nicht an sie glaubt. Wie wollt ihr den unglücklich Gebornen ihren Anteil verschaffen, den Blinden das Gesicht, den Tauben das Gehör, den Lahmen brauchbare Glieder, den Kranken die Gesundheit? Jakob, wie wollt ihr das? Jakob, und weiter, wie vielen fehlt es nicht in den Augen, nicht in den Ohren, aber im Gemüte, sie sind neidisch, mißgünstig, trübsinnig, kummerhaft, saugen aus den süßesten Blumen den bittersten Saft, können nicht Frieden halten und jammern täglich, daß lauter streitbare Mächte sie umgeben, nehmen das Leichteste schwer, und wenn das Geringste ihnen widerfährt, wälzen sie sich um und um im Jammer. Jakob, wie wollt ihr denen zu ihrem Anteil von Weltglück und Freuden verhelfen, wo willst du in ihnen das Gemüt suchen, es ausputzen und wieder hineinmachen? Siehe, das eben kann kein Mensch, und dafür eben hat Gott einen ganz andern gesandt, der kanns, und den wollt ihr eben nicht mehr, wollt euch vermessen, an seine Stelle euch zu setzen, und erkennt nicht, wie zu diesem Amte euch alles fehlt.«
»Von Blinden und Tauben ist nicht die Rede«, antwortete Jakob wohl, »und den andern allen würde es schon bessern, wenn es besser wäre in der Welt, aber wer Teufel wollte nicht mißmutig und böse werden bei der verfluchten Ungerechtigkeit!« »Kurios«, sagte der Meister dann, »warum sind so viele Reiche, die in aller Welt Güter schwimmen, so unglücklich und elend innerlich? Das innerliche Unglück hängt nicht von äußern Gütern ab, und im Verhältnis sind sicherlich mehr Begüterte unzufrieden und eigentlich unglücklich als wirklich Arme, wenn auch in anderer Richtung und in andern Empfindungen.«
Gewöhnlich -- denn solche Gespräche, welche sich oft wiederholen, pflegen einen bestimmten Gang anzunehmen, eine eigene Rinne sich auszugraben, in welcher nur an verschiedenen Stellen die Tiefe oder die Dämme verschieden, stärker oder schwächer werden -- sprang dann Jakob abseits und sagte, das möge nun sein, wie es wolle, so sei es doch verflucht, daß die einen allen Gewinn vom Geschäft hätten, die andern nicht einmal das trockne Brot. »Du wirst doch nicht auf mich reden?« entgegnete der Meister. »Was denkt Ihr?« antwortete Jakob. »Aber ists recht, daß so verfluchte Maschinenkönige und Tyrannen zu förmlichen Volksblutsaugern werden, den Gewinn an sich ziehen, die Arbeiter halb oder ganz verhungern lassen, an Leib und Seele sie verderben, die Hunde, die verfluchten! Die haben Paläste, fahren wie Könige, fressen wie Kaiser, und der Arbeiter kann trocknes Kraut fressen, wenn er Appetit dazu hat.«
»Jakob, Jakob«, sagte darauf der Meister, »du weißt nicht, was du sprichst! Ich habe das Fabrikwesen auch nicht gerne, betrachte es als eine Sünde der Zeit. Aber an derselben sind die Fabrikleute so viel schuld als die Fabrikherren, da kehre ich nicht die Hand um. Zur Zeit, als jede Art von Fabrikation entstand, war der Gewinn groß, und jeder Arbeiter wurde reichlich bezahlt, die meisten unter ihnen hätten selbständig werden können, wenn sie mit dem Überfluß eine Existenz gegründet, statt ihn genossen hätten. Sie genossen ihn, blieben abhängig von der täglichen Arbeit, gewöhnten ihre Kinder an ihre Genüsse. Da wurde der Gewinn kleiner, die Löhne ebenmäßig, die Gewohnheiten blieben die gleichen, daher Geschlecht um Geschlecht immer ärmer, jedes nachfolgende erbte Leichtsinn und Bedürfnisse der frühern Geschlechter, aber nicht die frühern Löhne und zwar das ganz nach der alten Ordnung, denn Gott hat gesagt, er strafe die Sünden der Väter an den Kindern bis in das dritte und vierte Geschlecht, und zwar darum hat er es gesagt, damit die Väter die köstlichen Gaben, Kinder, desto treuer bewahren möchten. Und wenn die Vorwitzigen fragen, ob das gerecht sei, an den Kindern zu strafen, was die Väter verschuldet, so ist das eine Frage, welche Gott, dessen Ratschläge unerforschlich sind, einst klar genug beantworten wird. Einstweilen sollen wir glauben und gehorchen, und wer es nicht will, muß büßen. Zudem sind die Fabrikarbeiter nicht Leibeigene, sondern frei, können gehen oder bleiben nach ihrem Belieben, und bleiben sie und hungern und sterben fast, so geschieht es infolge eigener oder ihrer Väter Sünden, welche Sklavenketten vertreten. Zieht der Fabrikherr die Ketten zu hart, wird entweder seine Fabrik verbrannt oder seine Person totgeschlagen. Eine Übeltat zieht die andere nach. Wären Fabrikherren Christen, so wäre vieles anders, und wären Fabrikarbeiter Christen, so wären sie ganz frei, und die Fabrikherren hätten keine Macht über sie. Denn so wie der Mensch, welchen der Teufel fassen und in den Händen behalten soll, irgendwo einen Zopf haben muß, so ists auch mit dem Fabrikarbeiter. Ja, ich weiß wohl, was du sagen willst, es seien nicht die Fabriken, welche du meinest, sondern das Geschäft, das Handwerk, und hier sei es nicht billig, daß der Meister so reich werde und großtue ob den armen Gesellen, die hätten die Arbeit, jener das Zusehen, sie könnten hungern, ihn müßten sie mästen. Das ist wieder Dummheit. Ob dir verdiene ich nicht viel, das weißt du, und wenn Gesellen wandern wollen, sind sie froh, Meister anzutreffen, welche ein festes Haus haben, solch ein Haus ist doch immer besser als ein Kosthaus! He? Aber du meinst große Geschäfte, große Werkstätten, wo die Meister sich auch wie Fabrikanten gebärden. Wer zwingt wiederum die Gesellen, dort zu arbeiten und ihren Herren den Glanz zu verschaffen? Das tun sie freiwillig, und wären sie nicht so hochmütig, kämen sie auch auf das Land hinaus. Und wo bringt ein Geselle ein Kapital mit, um ein Etablissement zu begründen, und wenn es bös geht, wer hält aus, und wenn es zugrunde geht, über wen geht es aus? Und wollt ihr den Lohn nach der Arbeitszeit oder dem Werte der Arbeit bestimmen, und wer mißt das aus, und wer hält die Republik zusammen? Zähle darauf, wo Christus nicht der Meister ist und die Liebe die Mittlerin, da wäre Mord und Totschlag, bis alles auseinander wäre.
Und was wäre dabei für eine Freiheit, und wer wollte was dabei verdienen? Jetzt ist die rechte Freiheit. Der rechte Geselle kann gehen, wo er will, machen mit seinem Lohn, was er will, als Meister sich setzen, wann er will, groß oder klein anfangen, wie er will. Aber daß so jeder hergelaufene Junge die Nase dreinstecken und befehlen könne, das wird einstweilen nichts. Beim Kleinen beginnt alles, und je größer und mächtiger etwas werden soll, desto langsamer und scheinbar mühsamer wächst es, das ist Ordnung Gottes. Und wenn einer nicht ordentlich für seine Person sorgen kann, was ihm doch zumeist das Liebste ist, was ist dann einem solchen Bürschchen anzuvertrauen, was meinst, Jakob? Und was meinst, Jakob, die Weiber dabei, was würden diese sagen, und wie würden diese sich vertragen? Da wäre ja Revolution alle Tage.«
Das war ein Punkt, wo Jakob gerne abstrahierte, denn von der freien Liebe, und wie nur in der Ehe das Unglück sei, redete er mit dem Meister doch nicht gerne, zudem hatte dieser einen schlagenden Widerlegungsgrund im Hause und hätte fragen können, was bei der freien Liebe für alte Leute herauskäme, und ob es dann nicht besser wäre, man schlüge an ihrem vierzigsten Geburtstage die Männer tot und an ihrem dreißigsten die Weiber.
Diese Verschiedenheit in ihren Ansichten ward nachgerade Jakob peinlich und erzeugte in ihm eine gewisse Bitterkeit und Verachtung gegen die Alten. Er begann zu denken, es sei hier doch eigentlich ein langweilig Leben, und für ein solches sei er, Jakob, denn doch nicht geschaffen, besser wäre es, sie kämen auseinander. Jakobs Gesinnung ist unduldsam, sie hält es bei anders Denkenden nicht lange aus, wenn sie nicht absichtlich sich verstellt. Sie hat es fast wie das böse Gewissen, welches auch nicht gerne in der Nähe derer weilt, welche einem ein Verbrechen ansehen und ausbringen könnten, lieber noch einen oder zwei totschlägt, um sicherer zu sein, oder Gott verleugnet, um die Furcht vor ihm zu verjagen. Er begann stark daran zu denken, weiterzuziehen. Das Wetter war milder geworden, er war ausgefüttert, und an Geld fehlte es ihm auch nicht, da der Alte mit dem Lohn nicht geknausert und den Beweis geführt hatte, daß es noch Meister gebe, bei welchen man sehr viel lernen könne, und welche doch nicht großen Gewinn an ihren Gesellen nehmen. Aber solche Meister zu suchen, sind die meisten Gesellen zu hochmütig, auch sie sind vom Wahne ergriffen, eigentlich lebe man nur in den Städten. Auch sie haben den Sinn verloren für das häusliche Leben, und da liegt die große Not.
Auf einmal begann die Mutter zu kränkeln oder vielmehr schwach zu werden, denn es fehlte ihr nicht hier, nicht dort, Fieber hatte sie keins, aber jeder Tritt, den sie tun mußte, war ihr zuwider und tat ihr weh. Im Anfang gab man nicht viel darauf, denn an Krankwerden dachte niemand, sie wußten nicht, was Krankheit war. Während ihrer langen Ehe hatten sie keine erlebt. Aber als es nicht bessern wollte, die Schwäche alle Tage wuchs, die Mutter ihr Tagewerk nicht mehr verrichten mochte, da erschrak der Meister sehr und kam in großes Bangen. Er wollte alsbald zu einem Arzte, aber lange wollte die Mutter nicht. Es werde schon bessern, sagte sie, und ihr Lebtag habe sie ein Grausen vor den Ärzten gehabt. Arznei nehmen sei wenigstens so viel als halb sterben, und helfen werde es ihr in alle Wege nichts. Indessen sie mußte sich fügen. Der Arzt schickte Arznei, aber die Alte machte es wie viele Weiber, sie stellte sich, als wolle sie gehorchen, nahm auch wohl einige Tropfen, das meiste blieb in einer Ecke ruhig stehen. Als der Arzt selbst kam, die Wirkung seiner Kunst zu besichtigen, gab er der Alten recht, daß sie sich nicht mit seinen Tropfen geplagt, verordnete guten Wein und nahrhafte Brühe, ein Huhn hie und da. Als der Alte im Fortgehen ihn fragte, was er meine, daß es sei, und ob es wohl bald besser werde, zuckte der Arzt die Achsel und meinte, das Alter sei hoch, die Schwäche groß, ob diese zu heben, der Natur wieder auf die Beine zu helfen sei, das lasse sich gar schwer bestimmen, besonders bei Personen, welche nie krank gewesen.
Das machte den Alten noch banger, in rührender Ängstlichkeit beachtete er der Mutter Bewegungen, lauschte auf ihre Atemzüge, ward nicht müde, zu fragen, wie es ihr ergehe, und ob sie nicht was wünsche. In freundlicher Wehmut gab sie Bescheid, bat ihn, sich nicht so zu kümmern, und Tränen kamen ihr dabei in die Augen. Als er wissen wollte, welcher Schmerz sie bewege, was sie hätte, gestand sie bewegt und zagend, fast wie ein Mädchen seine erste Liebe, den Glauben an ihren Tod. Sie sterbe gerne, sagte sie, sie hoffe, der Herr sei mit ihr zufrieden und gebe ihr ein seliges Ende. Er sei so mild und gut gegen sie im Leben gewesen, daß sie die Zuversicht in sich trage, auch im andern Leben werde er ihr gütig und gnädig sein. »Und doch tut es mir weh, ich gehe nicht gerne von dir. Was sollst du, armer, lieber Mann, machen, wenn ich nicht mehr bin, so alleine auf der Welt und niemand da, der für dich sorgt, weiß, was du bedarfst, und wie du es willst!«
Da weinte sie bitterlich, und ihr Mann wurde auch ergriffen, es schüttelte ihn wie ein Espenlaub. Doch faßte er sich zusammen, wollte ihr den Glauben an ihren Tod ausreden, aber umsonst. Sie fühle es wohl, wie es mit ihr zu Ende gehe, und daß es ihr so wehetue, zu sterben, das sei eine wohlverdiente Strafe, sagte sie. Sie habe oft den Vater im Himmel gebeten, daß er sie doch vor ihrem Mann möchte sterben lassen, damit sie seinen Tod nicht sehen, nicht ohne ihn auf Erden leben müßte. »Das war ein gar sehnlicher Wunsch, und ich betete nie: ›Doch nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe, o Vater!‹ Nun hätte ich es gerne anders, ich wollte so gerne alleine sein, aber jetzt muß es sein, wie ich es haben wollte, und das ist die Strafe für ein Gebet, wo ich nur an mich dachte und nicht an dich, und hätte doch an dich alleine denken sollen und nicht an mich! Denn trügest du mich nicht auf den Händen vom ersten Tage an bis jetzt?« Und die Hand bot sie dem Alten, und eine Liebe lag auf ihren alten Gesichtern, wie sie auf jungen nicht gesehen wird. Es war der Glanz der ewigen Liebe, die, in sterblichen Körpern entstanden, in fünfzigjähriger Ehe sich abgeklärt und geläutert hatte für den Himmel.
Jetzt konnte Jakob nicht mehr fort, wenn er nicht in hohem Grade undankbar hätte sein wollen. Der Meister arbeitete wenig oder nichts mehr und hatte jetzt einen Gesellen wirklich nötig, wenn er nicht die Arbeit ganz von der Hand weisen wollte. Jakob half auch in der Haushaltung nach, denn da war kein Geselle, der ihn ausgelacht hätte. Freilich dachte er oft: »Was würden sie sagen, wenn sie wüßten, was ich mache?« Aber er tat es doch und weder zornig noch unwillig, es war der Hausgeist, der ihn unter seinem Daumen hielt und ihn regierte, er mochte wollen oder nicht.
Es waren gar wunderbare, fast heilige Tage, welche in dem kleinen Häuschen verlebt wurden. Gesprochen vom Tode ward wenig mehr, aber die beiden Alten waren beieinander, so oft sie konnten, die kleinste Trennung war ihnen unangenehm, ward schmerzlich, wenn sie länger dauerte, es war ein Zug zueinander, inniger und stärker als in den Tagen der ersten Liebe. Mit unserm Jakob disputierte die Mutter nicht mehr, aber eine mütterliche Liebe zu ihm trat immer inniger hervor, es war, als wäre ihr aufgegeben, noch eine Seele zu retten, aber auf eine Weise, wie kein Verstand der Verständigen sie ersonnen hatte, wie nur ein kindlich Gemüt sich selbst unbewußt sie versucht. Sie sprach mit ihm viel von seiner Großmutter, ermahnte ihn, bald heimzukehren, damit sie nicht alleine sei zum Sterben, sondern ein liebes Kind an ihres Bettes Seite hätte. Es sei gar hart, sagte sie, wenn man sterben müsse, und das Liebste, was man auf Erden hätte, so gerne noch einmal sehen möchte, noch ein Wort der Liebe, der Ermahnung ihm sagen, das Band, welches Menschen hier und dort verknüpft, noch fester und inniger binden, sei ferne, weit in der Fremde, und umsonst verlange die Seele darnach, sende Wünsche um Wünsche nach ihm aus, und leer bleibe immerfort des Bettes Seite, und in unbefriedigter Sehnsucht müsse die Seele von dannen. Vielleicht habe sie noch schwere Angst um ihn und um seine Seele, und wie es sie freuen würde, wenn er wiederkomme so gut und lieb, geschickt und arbeitssam. Sie sprach die Hoffnung aus, in einer andern Welt seine Großmutter kennen zu lernen, dort wollten sie viel von ihm reden und sich freuen auf ihn, wenn er auch komme. Er habe ein gutes Herz, und das gute Herz werde ihm auch zum Glauben helfen, sie zweifle nicht, denn nur schlechte Leute seien ohne Glauben, und zu denen gehöre er nicht.
Dagegen konnte Jakob nicht protestieren und disputieren, ja, nicht einmal in einem verdächtigen Lächeln seinen Unglauben bezeugen. Die Liebe, welche ihm das Mütterchen zeigte, machte ihm ihr kindlich Glauben und Hoffen heilig. Sein Verstand glaubte sich über alle diese Vorstellungen hinaus, und in andern Zeiten hätte er gelacht über eine alte Frau, welche den Himmel sich vorstelle wie eine Kaffeevisite, wo allerlei durcheinander geplaudert werde, oder hätte gelästert, der Glaube an ein ewig Leben, ein Jenseits sei nur ein Zaum für das Volk, ein offenbarer Betrug um die wahre Volksfreiheit. Jetzt hätte er wirklich nicht das Herz gehabt, die kindliche Zuversicht des guten Mütterchens mit dem geringsten Zweifel zu beflecken. Es kam ihm ganz sonderbar vor, wie ein Mensch so einfältig und dumm sein müsse, so was zu glauben; solche Leute müßten gar keine Gedanken nicht haben und keinen Verstand nicht, dachte er. Die, welche es sagten, glaubten es selbst nicht, und bloß Kinder täten ihnen noch glauben, und wo gute Schulen, auch die schon nicht mehr, und wenn die mal groß würden und selbst Kinder kriegten, so wären die von Natur gescheut und begriffen alles und glaubten nichts Dummes mehr. Man werde halt alle Tage gescheuter, und der Aberglaube, der müsse fort, bis alle Menschen gleich gescheut wären. Aber so einer alten Frau möchte er nichts sagen, sie sei glücklich dabei, aber die werde mal die Augen aufmachen und dreinsehen, wenn sie merke, daß all nichts sei, kein Himmel, keine Hölle, kein ewig Leben, daß tot tot sei. Da wolle er lieber nicht dabei sein, sie könnte ihn doch dauern, denn eine gute Frau sei sie, besser nützte nichts. Nur sei schade, daß sie nicht die rechten Ansichten hätte; wäre sie jünger, er ruhte nicht, bis sie zur Einsicht gekommen wäre. So dachte Jakob bei sich, und kurios wäre es ihm vorgekommen, wie eine gläubige Seele es nicht hätte fassen können, wie es in der Seele eines Menschen aussehen müsse, in welcher kein Glaube sei. Ungefähr wie ein Gesicht, in welchem keine Augen seien, würde sie sich eine solche Seele denken. Und eben der Glaubenslose wirft dem Gläubigen Blindheit vor, und wer ist wohl blind, der, welcher etwas sieht, oder der, welcher nichts sieht?
Des Menschen Tage sind gezählt vom Herrn der Tage, jedem Menschen zählt er sie zu nach dem ihm auferlegten Tagewerk. An uns ists, sie mit Weisheit zu zählen und zu brauchen, damit, wenn der letzte kömmt, auch unser Tagewerk der Vollendung naht. Tage nachkaufen können wir nicht, nicht wieder zurücknehmen, was nutzlos dahin ist.
Unserem guten Mütterchen nahte leise, fast unbemerkt der letzte Tag. Kränker ward sie nicht, sie aß und trank noch alle Tage etwas, stand alle Tage ein wenig auf, aber immer hinfälliger und mühseliger. Sie klagte nicht darüber, war womöglich noch freundlicher, dankte herzlicher für den kleinsten Liebesdienst, ward nur traurig, wenn sie ihren Mann ansah, der wirklich trübselig aussah und in den wenigen Wochen sichtlich gealtert hatte.