Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen
Simplicius Simplicissimus
Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen

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Das 10. Kapitel

Der General-Feldzeugmeister schenkst dem Jäger das Leben, und macht ihm sonst gute Hoffnung

Demnach unser General-Feldzeugmeister strenge Kriegsdisziplin zu halten pflegte, besorgte ich die Verlierung meines Kopfs; hingegen hatte ich noch Hoffnung davonzukommen, weil ich bereits in so blühender Jugend jederzeit mich gegen den Feind wohl gehalten und einen großen Ruf und Namen der Tapferkeit erworben. Doch war solche Hoffnung ungewiß, weil dergleichen täglicher Händel halber die Notdurft erfordert', ein Exempel zu statuieren. Die Unserigen hatten eben damals ein festes Rattennest berennet und auffordern lassen, aber ein abschlägige Antwort bekommen, weil der Feind wußte, daß wir kein grob Geschütz führten. Derowegen rückte unser Graf von der Wahl mit dem ganzen Corpo vor besagten Ort, begehrte durch einen Trompeter abermal die Übergab und drohete zu stürmen, es erfolgte aber nicht anders als dieses nachgesetzte Schreiben:

Hoch-Wohlgeborner Graf, etc. Aus E. Gräfl. Excell. an mich Abgelassenem habe vernommen, was Dieselbe im Namen der Röm. Kais. Maj. an mich gesinnen: Nun wissen aber Euer Hoch-Gräfl. Excell. Dero hohen Vernunft nach, wie übel-anständig, ja unverantwortlich einem Soldaten fallen würde, wann er einen solchen Ort, wie dieser ist, dem Gegenteil ohne sonderbare Not einhändigte: Wessentwegen Dieselbe mir dann verhoffentlich nicht verdenken werden, wann ich mich befleißige zu verharren, bis die Waffen Euer Excell. dem Ort zusprechen. Kann aber E. Excell. meine Wenigkeit außerhalb Herren-Diensten in ichtwas zu gehorsamen die Gelegenheit haben, so werde ich sein

E. Excell.
Aller-dienstwilligster Diener
N. N.

Hierauf wurde in unserm Lager unterschiedlich von dem Ort diskurriert, denn solches liegen zu lassen war gar nicht ratsam, zu stürmen ohn eine Presse hätte viel Blut gekostet, und wäre doch noch mißlich gestanden, ob mans übermeistert hätte oder nicht? hätte man aber erst die Stück und alle Zugehör von Münster oder Hamm her holen sollen, so wäre gar viel Mühe, Zeit und Unkosten darauf gelaufen. Indem man nun bei Großen und Kleinen ratschlagte, fiel mir ein, ich sollte mir diese Occasion zunutz machen, um mich zu erledigen; also gebot ich meinem Witz zusammen und bedachte mich, wie man den Feind betrügen möchte, weils nur an den Stücken mangelte. Und weil mir gleich zufiel, wie die Sach zu tun sein möchte, ließ ich meinen Obristleutnant wissen, daß ich Anschläg hätte, durch welche der Ort ohne Mühe und Unkosten zu bekommen wäre, wenn ich nur Pardon erlangen und wieder auf freien Fuß gestellt werden könnte. Etliche alte und versuchte Soldaten lachten darüber, und sagten: »Wer hangt, der langt; der gut Gesell gedenkt sich loszuschwätzen!« Aber der Obristleutnant selbst und andere die mich kannten, nahmen meine Reden an wie einen Glaubensartikel: Weswegen er selbsten zum General-Feldzeugmeister ging und demselben mein Vorgeben anbrachte, mit Erzählung vieles Dings, das er von mir zu sagen wußte: Weil denn nun der Graf hiebevor auch vom Jäger gehört hatte, ließ er mich vor sich bringen und so lange meiner Band entledigen; Der Graf hielt eben Tafel, als ich hinkam, und mein Obristleutnant erzählte ihm, als ich verwichenem Frühling mein erste Stund unter S. Jakobs Pforten zu Soest Schildwacht gestanden, sei unversehens ein starker Platzregen mit großem Donner und Sturmwind kommen, deswegen sich jedermann aus dem Feld und den Gärten in die Stadt salviert, und weil das Gedräng beides von Laufenden und Reitenden ziemlich dick worden, hätte ich schon damals den Verstand gehabt, der Wacht ins Gewehr zu rufen, weil in solchem Gelauf eine Stadt am besten einzunehmen sei; »zuletzt« (sagte der Obristleutnant ferner) »kam ein altes Weib ganz tropfnaß daher, die sagte, eben als sie beim Jäger vorbeipassierte: ›Ja, ich hab dies Wetter schon wohl vierzehn Tag in meinem Rücken stecken gehabt!‹ Als der Jäger solches höret' und eben einen Stecken in Händen hatte, schlug er sie damit übern Buckel, und sagte: ›Du alte Hex, hast dus denn nicht ehe herauslassen können? hast du eben müssen warten, bis ich anfange Schildwacht zu stehen?‹ Da ihm aber sein Offizier abwehrte, antwortet' er: ›Es geschieht ihr recht, das alte Rabenaas hat schon vor vier Wochen gehört, daß jedermann nach einem guten Regen geschrien, warum hat sie ihn den ehrlichen Leuten nicht ehe gegönnet? so wäre vielleicht Gerst und Hopfen besser geraten.‹« Worüber der General-Feldzeugmeister, wiewohl er sonst ein ernsthafter Herr war, trefflich lachte. Ich aber gedachte: »Erzählt der Obristleutnant dem Grafen solche Narrnpossen, so hat er ihm gewißlich auch nicht verschwiegen, was ich sonst angestellt habe.« Ich aber wurde vorgelassen.

Als mich nun der General-Feldzeugmeister fragte, was mein Anbringen wäre? antwortet ich: »Gnädiger Herr, etc. Obzwar mein Verbrechen und E. Excell. rechtmäßig Gebot und Verbot mir beide das Leben absprechen, so heißet mich jedoch meine alleruntertänigste Treu (die ich Dero Röm. Kais. Maj. meinem Allergnädigsten Herrn bis in Tod zu leisten schuldig bin) ein Weg als den andern meines wenigen Orts dem Feind einen Abbruch tun und erst-Allerhöchstgedachter Röm. Kais. Maj. Nutzen und Kriegswaffen befördern.« Der Graf fiel mir in die Red, und sagte: »Hast du mir nicht neulich den Mohren gebracht?« Ich antwortet: »Ja gnädiger Herr.« Da sagte er: »Wohl, dein Fleiß und Treu möchte vielleicht meritiern, dir das Leben zu schenken, was hast du aber für ein Anschlag, den Feind aus gegenwärtigem Ort zu bringen ohne sonderbaren Verlust der Zeit und Mannschaft?« Ich antwortet: »Weil der Ort vor grobem Geschütz nicht bestehen kann, so hält meine Wenigkeit dafür, der Feind würde bald akkordiern, wenn er nur eigentlich glaubt', daß wir Stück bei uns haben.« »Das hätte mir wohl ein Narr gesagt«, antwortet' der Graf, »wer wird sie aber überreden, solches zu glauben?« Ich antwortet: »Ihre eigenen Augen. Ich habe ihre hohe Wacht mit meinem Perspektiv gesehen, die kann man betrügen, wenn man nur etliche Blöcke, den Brunnenteichlen gleich, auf Wagen ladet und dieselben mit einem starken Gespann in das Feld führet, so werden sie schon glauben, es seien grobe Stück, vornehmlich wenn E. Gräfl. Excell. irgendswo im Feld etwas aufwerfen läßt, als ob man Stücke dahin pflanzen wollte.« »Mein liebes Bürschlein«, antwortet' der Graf, »es sind keine Kinder drinnen, sie werden diesem Spiegelfechten nicht glauben, sondern die Stück auch hören wollen, und wenn der Poß dann nicht angehet«, sagte er zu den umstellenden Offiziern, »so werden wir von aller Welt verspottet!« Ich antwortet: »Gnäd. Herr, ich will schon Stücke in ihren Ohren lassen klingen, wenn man nur ein paar Doppelhaken und ein ziemlich groß Faß haben kann, allein wird ohne den Knall sonst kein Effekt vorhanden sein; sollte man aber ja wider Verhoffen nur Spott damit erlangen, so werde ich der Inventor, weil ich ohnedas sterben muß, solchen Spott mit mir dahinnehmen und denselben mit meinem Leben aufheben.« Ob nun zwar der Graf nicht daran wollte, so persuadierte ihn jedoch mein Obristleutnant dahin, denn er sagte, daß ich in dergleichen Sachen so glückselig sei, daß er im wenigsten zweifele, daß dieser Poß nicht auch angehen werde. Derowegen befahl ihm der Graf die Sach anzustellen, wie er vermeinte, daß sichs tun ließe, und sagte im Scherz zu ihm: Die Ehr, so er damit erwürbe, sollte ihm allein zustehen.

Also wurden drei solcher Blöcke zuwege gebracht und vor jedes vierundzwanzig Pferd gespannt, wiewohl nur zwei genug gewesen wären; diese führten wir gegen Abend dem Feind ins Gesicht, indessen aber hatte ich auch drei Doppelhaken und ein Stückfaß, so wir von einem Schloß bekamen, unterhanden und richtete ein und anders zu, wie ichs haben wollte, das wurde bei Nacht zu unserer visierlichen Artollerei verschafft: den Doppelhaken gab ich doppelte Ladung und ließ sie durch berührtes Faß (dem der vordere Boden genommen war) losgehen, gleich ob es drei Losungschüsse hätten sein sollen, das donnerte dermaßen, daß jedermann Stein und Bein verschworen hätte, es wären Quartierschlangen oder halbe Kartaunen gewesen; unser General-Feldzeugmeister mußte der Gaukelfuhr lachen und ließ dem Feind abermal einen Akkord anbieten, mit dem Anhang, wenn sie sich nicht noch diesen Abend bequemen würden, daß es ihnen morgen nicht mehr so gut werden sollte: Darauf wurden alsbald beiderseits Geiseln geschickt, der Akkord geschlossen und uns noch dieselbige Nacht ein Tor der Stadt eingegeben. Welches mir trefflich zugut kam, denn der Graf schenkte mir nicht allein das Leben, das ich Kraft seines Verbots verwirkt hatte, sondern ließ nach noch selbige Nacht auf freien Fuß stellen und befahl dem Obristleutnant in meiner Gegenwart, daß er mir das erste Fähnlein, so ledig wurde, geben sollte: Welches ihm aber ungelegen war, denn er hatte der Vettern und Schwäger so viel, die aufpaßten, daß ich vor denselben nicht zugelassen werden konnte.


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