Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen
Simplicius Simplicissimus
Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen

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Das 24. Kapitel

Ist das allerletzte, und zeiget an, warum und welchergestalt Simplicius die Welt wieder verlassen

»Adieu Welt, denn auf dich ist nicht zu trauen, noch von dir nichts zu hoffen, in deinem Haus ist das Vergangene schon verschwunden, das Gegenwärtige verschwindet uns unter den Händen, das Zukünftige hat nie angefangen, das Allerbeständigste fällt, das Allerstärkste zerbricht, und das Allerewigste nimmt ein End; also, daß du ein Toter bist unter den Toten, und in hundert Jahren läßt du uns nicht eine Stund leben.

Adieu Welt, denn du nimmst uns gefangen, und läßt uns nicht wieder ledig, du bindest uns, und lösest uns nicht wieder auf; du betrübest, und tröstest nit, du raubest und gibest nichts wieder, du verklagest uns, und hast keine Ursach, du verurteilest und hörest keine Partei; also daß du uns tötest ohne Urteil, und begräbest uns ohne Sterben! Bei dir ist keine Freud ohne Kummer, kein Fried ohne Uneinigkeit, keine Lieb ohne Argwohn, keine Ruhe ohne Furcht, keine Fülle ohne Mängel, keine Ehr ohne Makel, kein Gut ohne bös Gewissen, kein Stand ohne Klag, und keine Freundschaft ohne Falschheit.

Adieu Welt, denn in deinem Palast verheißet man ohne Willen zu geben, man dienet ohne Bezahlen, man liebkoset um zu töten, man erhöhet um zu stürzen, man hilft um zu fällen, man ehret um zu schänden, man entlehnet um nicht wiederzugeben, man straft ohne Verzeihen.

Behüt dich Gott Welt, denn in deinem Haus werden die großen Herren und Favoriten gestürzt, die Unwürdigen hervorgezogen, die Verräter mit Gnaden angesehen, die Getreuen in Winkel gestellt, die Boshaftigen ledig gelassen, und die Unschuldigen verurteilt; den Weisen und Qualifizierten gibt man Urlaub, und den Ungeschickten große Besoldung, den Hinterlistigen wird geglaubt, und die Aufrichtigen und Redlichen haben keinen Kredit, ein jeder tut was er will, und keiner was er tun soll.

Adieu Welt, denn in dir wird niemand mit seinem rechten Namen genennet, den Vermessenen nennet man kühn, den Verzagten vorsichtig, den Ungestümen emsig, und den Nachlässigen friedsam; einen Verschwender nennet man herrlich, und einen Kargen eingezogen; einen hinterlistigen Schwätzer und Plauderer nennet man beredt, und den Stillen einen Narrn oder Phantasten; einen Ehebrecher und Jungfrauenschänder nennet man einen Buhler; einen Unflat nennet man einen Hofmann, einen Rachgierigen nennet man einen Eiferigen, und einen Sanftmütigen einen Phantasten, also daß du uns das Giebige für das Ungiebige und das Ungiebige für das Giebige verkaufest.

Adieu Welt, denn du verführest jedermann; den Ehrgeizigen verheißest du Ehr, den Unruhigen Veränderung, den Hochtragenden Gnad bei Fürsten, den Nachlässigen Ämter, den Geizhälsen viel Schätze, den Fressern und Unkeuschen Freude und Wollust, den Feinden Rach, den Dieben Heimlichkeit, den Jungen langes Leben, und den Favoriten verheißest du beständige fürstliche Huld.

Adieu Welt, denn in deinem Palast findet weder Wahrheit noch Treu ihre Herberg! wer mit dir redet wird verschamt, wer dir traut wird betrogen, wer dir folgt wird verführt, wer dich fürchtet wird am allerübelsten gehalten, wer dich liebt wird übel belohnt, und wer sich am allermeisten auf dich verläßt, wird auch am allermeisten zuschanden gemacht; an dir hilft kein Geschenk so man dir gibt, kein Dienst so man dir erweist, keine lieblichen Wort so man dir zuredet, kein Treu so man dir hält, und keine Freundschaft so man dir erzeigt; sondern du betrügst, stürzest, schändest, besudelst, drohest, verzehrest und vergißt jedermann; dannenhero weinet, seufzet, jammert, klaget und verdirbt jedermann, und jedermann nimmt ein End; bei dir siehet und lernet man nichts als einander hassen bis zum Würgen, reden bis zum Lügen, lieben bis zum Verzweifeln, handlen bis zum Stehlen, bitten bis zum Betrügen, und sündigen bis zum Sterben.

Behüt dich Gott Welt, denn dieweil man dir nachgehet, verzehret man die Zeit in Vergessenheit, die Jugend mit Rennen, Laufen und Springen über Zaun und Stiege, über Weg und Steg, über Berg und Tal, durch Wald und Wildnis, über See und Wasser, in Regen und Schnee, in Hitz und Kält, in Wind und Ungewitter; die Mannheit wird verzehrt mit Erzschneiden und -schmelzen, mit Steinhauen und -schneiden, Hacken und Zimmern, Pflanzen und Bauen, in Gedanken Dichten und Trachten, in Ratschläge ordnen, Sorgen und Klagen, in Kaufen und Verkaufen, Zanken, Hadern, Kriegen, Lügen und Betrügen; das Alter verzehrt man in Jammer und Elend, der Geist wird schwach, der Atem schmeckend, das Angesicht runzlicht, die Länge krumm, und die Augen werden dunkel, die Glieder zittern, die Nase trieft, der Kopf wird kahl, das Gehör verfällt, der Geruch verliert sich, der Geschmack geht hinweg, er seufzet und ächzet, ist faul und schwach, und hat in Summa nichts als Mühe und Arbeit bis in Tod.

Adieu Welt, denn niemand will in dir fromm sein; täglich richtet man die Mörder, vierteilt die Verräter, hänget die Dieb, Straßenräuber und Freibeuter, köpft Totschläger, verbrennt Zauberer, straft Meineidige, und verjagt Aufrührer.

Behüt dich Gott Welt, denn deine Diener haben kein andere Arbeit noch Kurzweil als faulenzen, einander vexieren und ausrichten, den Jungfrauen hofieren, den schönen Frauen aufwarten, mit denselben liebäugeln, mit Würfeln und Karten spielen, mit Kupplern traktieren, mit den Nachbarn kriegen, neue Zeitungen erzählen, neue Fund erdenken, mit dem Judenspieß rennen, neue Trachten ersinnen, neue List aufbringen, und neue Laster einfuhren.

Adieu Welt, denn niemand ist mit dir content oder zufrieden, ist er arm, so will er haben; ist er reich, so will er viel gelten; ist er veracht, so will er hoch steigen; ist er injuriert, so will er sich rächen; ist er in Gnaden, so will er viel gebieten; ist er lasterhaftig, so will er nur bei gutem Mut sein.

Adieu Welt, denn bei dir ist nichts Beständiges; die hohen Türm werden vom Blitz erschlagen, die Mühlen vom Wasser weggeführt, das Holz wird von den Würmern, das Korn von Mäusen, die Früchte von Raupen und die Kleider von Schaben gefressen, das Vieh verdirbt vor Alter, und der arme Mensch vor Krankheit: Der eine hat den Grind, der ander den Krebs, der dritte den Wolf, der vierte die Franzosen, der fünfte das Podagram, der sechste die Gicht, der siebente die Wassersucht, der achte den Stein, der neunte das Gries, der zehente die Lungensucht, der elfte das Fieber, der zwölfte den Aussatz, der dreizehente das Hinfallen, und der vierzehente die Torheit! In dir o Welt, tut nicht einer was der ander tut, denn wenn einer weinet, so lacht der ander; einer seufzet, der ander ist fröhlich; einer fastet, der ander zechet; einer bankettiert, der ander leidet Hunger; einer reitet, der ander gehet; einer redt, der ander schweigt; einer spielet, der ander arbeitet; und wenn der eine geboren wird, so stirbt der ander. Also lebt auch nicht einer wie der ander, der eine herrschet, der ander dienet; einer weidet die Menschen, ein anderer hütet der Schwein; einer folgt dem Hof, der ander dem Pflug; einer reist auf dem Meer, der ander fährt über Land auf die Jahr- und Wochenmärkt; einer arbeit im Feur, der ander in der Erde, einer fischt im Wasser, und der ander fängt Vögel in der Luft; einer arbeitet härtiglich, und der ander stiehlet und beraubet das Land.

O Welt behüt dich Gott, denn in deinem Haus führet man weder ein heilig Leben, noch einen gleichmäßigen Tod; der eine stirbt in der Wiegen, der ander in der Jugend auf dem Bett, der dritte am Strick, der vierte am Schwert, der fünfte auf dem Rad, der sechste auf dem Scheiterhaufen, der siebente im Weinglas, der achte in einem Wasserfluß, der neunte erstickt im Freßhafen, der zehente erwürgt am Gift, der elfte stirbt jähling, der zwölfte in einer Schlacht, der dreizehente durch Zauberei, und der vierzehente ertränkt seine arme Seel im Tintenfaß.

Behüt dich Gott Welt, denn mich verdrießt deine Konversation; das Leben so du uns gibst, ist ein elende Pilgerfahrt, ein unbeständiges, ungwisses, hartes, rauhes, hinflüchtiges und unreines Leben, voll Armseligkeit und Irrtum, welches vielmehr ein Tod als ein Leben zu nennen; in welchem wir all Augenblick sterben durch viel Gebrechen der Unbeständigkeit und durch mancherlei Weg des Tods! du läßt dich der Bitterkeit nicht genügen, mit der du umgeben und durchsalzen bist, sondern betrügst noch dazu die meisten mit deinem Schmeicheln, Anreizung und falschen Verheißungen, du gibst aus dem güldenen Kelch, den du in deiner Hand hast, Bitterkeit und Falschheit zu trinken, und machst sie blind, taub, toll, voll und sinnlos, ach wie wohl denen, die dein Gemeinschaft ausschlagen: deine schnelle augenblickliche hinfahrende Freud verachten, dein Gesellschaft verwerfen, und nicht mit einer solchen arglistigen verlornen Betrügerin zugrund gehen; denn du machest aus uns einen finstern Abgrund, ein elendes Erdreich, ein Kind des Zorns, ein stinkendes Aas, ein unreines Geschirr in der Mistgrub, ein Geschirr der Verwesung voller Gestank und Greuel, denn wenn du uns lang mit Schmeicheln, Liebkosen, Dräuen, Schlagen, Plagen, Martern und Peinigen umgezogen und gequält hast, so überantwortest du den ausgemergelten Körper dem Grab, und setzest die Seel in ein ungewisse Schanz. Denn obwohl nichts Gewissers ist als der Tod, so ist doch der Mensch nicht versichert, wie, wann und wo er sterben, und (welches das erbärmlichste ist) wo sein Seel hinfahren, und wie es derselben ergehen wird: Wehe aber alsdann der armen Seelen, welche dir o Welt, hat gedienet, gehorsamt und deinen Lüsten und Üppigkeiten hat gefolgt, denn nachdem eine solche sündige und unbekehrte arme Seel mit einem schnellen und unversehenen Schrecken aus dem armseligen Leib ist geschieden, wird sie nicht wie der Leib im Leben mit Dienern und Befreundten umgeben sein, sondern von der Schar ihrer allergreulichsten Feinde vor den sonderbaren Richterstuhl Christi geführt werden; darum o Welt behüt dich Gott, weil ich versichert bin, daß du dermaleins von mir wirst aussetzen und mich verlassen, nicht allein zwar wenn meine arme Seel vor dem Angesicht des strengen Richters erscheinen, sondern auch wenn das allerschrecklichste Urteil ›Gehet hin ihr Vermaledeiten ins ewige Feuer‹ etc. gefällt und ausgesprochen wird.

Adieu o Welt, o schnöde arge Welt, o stinkendes elendes Fleisch; denn von deinetwegen und um daß man dir gefolget, gedienet und gehorsamet hat, so wird der gottlos Unbußfertig zur ewigen Verdammnis verurteilt, in welcher in Ewigkeit anders nichts zu gewarten, als anstatt der verbrachten Freud Leid ohne Trost, anstatt des Zechens Durst ohne Labung, anstatt des Fressens Hunger ohne Fülle, anstatt der Herrlichkeit und Pracht Finsternis ohne Licht; anstatt der Wollüste Schmerzen ohne Linderung, anstatt des Dominierens und Triumphierens Heulen, Weinen und Weheklagen ohne Aufhören, Hitz ohne Kühlung, Feuer ohne Löschung, Kält ohne Maß und Elend ohne End.

Behüt dich Gott o Welt, denn anstatt deiner verheißenen Freud und Wollüste werden die bösen Geister an die unbußfertige verdammte Seel Hand anlegen, und sie in einem Augenblick in Abgrund der Höllen reißen; daselbst wird sie anders nichts sehen und hören, als lauter erschreckliche Gestalten der Teufel und Verdammten, eitele Finsternis und Dampf, Feuer ohne Glanz, Schreien, Heulen, Zähnklappern und Gottslästern; alsdann ist alle Hoffnung der Gnad und Milderung aus, kein Ansehen der Person ist vorhanden, je höher einer gestiegen und je schwerer einer gesündiget, je tiefer er wird gestürzt und je härtere Pein er muß leiden; dem viel geben ist, von dem wird viel gefordert, und je mehr einer sich bei dir, o arge schnöde Weltl hat herrlich gemacht, je mehr schenkt man ihm Qual und Leiden ein, denn also erforderte die göttliche Gerechtigkeit.

Behüt dich Gott o Welt, denn obwohl der Leib bei dir ein Zeitlang in der Erden liegen bleibt und verfaulet, so wird er doch am jüngsten Tag wieder aufstehn, und nach dem letzten Urteil mit der Seel ein ewiger Höllenbrand sein müssen; alsdann wird die arme Seel sagen: ›Verflucht seist du Welt! weil ich durch dein Anstiften Gottes und meiner selbst vergessen, und dir in aller Üppigkeit, Bosheit, Sünd und Schand die Tag meines Lebens gefolgt hab; verflucht sei die Stund, in der mich Gott erschuf! verflucht sei der Tag, darin ich in dir o arge böse Welt geborn bin! O ihr Berg, Hügel und Felsen fallet auf mich, und verbergt mich vor dem grimmigen Zorn des Lamms, vor dem Angesicht dessen, der auf dem Stuhl sitzet; ach Wehe und aber Wehe in Ewigkeit!‹

O Welt! du unreine Welt, derhalben beschwöre ich dich, ich bitte dich, ich ersuche dich, ich ermahne und protestiere wider dich, du wollest kein Teil mehr an mir haben; und hingegen begehre ich auch nicht mehr in dich zu hoffen, denn du weißt, daß ich mir hab vorgenommen, nämlich dieses: Posui finem curis, spes & fortuna valete.«

Alle diese Wort erwog ich mit Fleiß und stetigem Nachdenken, und bewogen mich dermaßen, daß ich die Welt verließ und wieder ein Einsiedel ward: Ich hätte gern bei meinem Saurbrunnen im Mückenloch gewohnt, aber die Baurn in der Nachbarschaft wollten es nicht leiden, wiewohl es für mich ein angenehme Wildnis war; sie besorgten, ich würde den Brunnen verraten und ihre Obrigkeit dahin vermögen, daß sie wegen nunmehr erlangten Friedens Weg und Steg dazu machen müßten. Begab mich derhalben in eine andere Wildnis, und fing mein Spessarter Leben wieder an; ob ich aber wie mein Vater sel. bis an mein End darin verharren werde, stehet dahin. Gott verleihe uns allen seine Gnade, daß wir allesamt dasjenige von ihm erlangen, woran uns am meisten gelegen, nämlich ein seliges

Ende


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