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Brüssel, den 12. März.
Ein furchtbares Unwetter tobte uns aus dem Lande der Wallonen entgegen. Bäume wurden entwurzelt, Dächer abgedeckt, wie man aus Brügge schreibt, Schiffe entmastet; ein Orkan wüthete mit Regen und Schloßen. Die Bergströme rasten in wilden Sprüngen über das Gestein, Brücken wurden fortgerissen, die Wege waren in Gefahr, von mächtig anschwellenden Bächen überschwemmt zu werden. Die Gewalt des Windes drückte die Scheiben des Coupés ein, sodaß ich bis auf die Haut durchnäßt in Lüttich ankam.
Was ist aber alles dies Körperliche, wenn die Neuheit der Eindrücke unsern Geist beschäftigt! Ich verließ Deutschland, hörte den letzten Mann, der noch in deutscher Zunge redete, und sah, daß dieser plötzliche Uebergang in ein fremdes Idiom kein Märchen war. Kein Uebergang, keine Vermittelung, plötzlich ein anderes Volk in diesen Bergen, eine andere Sprache in diesen Thälern. Die Landessprache ist wallonisch, ein entartetes oder noch eher ein anomal entwickeltes Französisch. Die Sprache der Douanen, der Gasthöfe, der Postbüreaus ist französisch. Alles bekommt einen andern Anstrich. Die Menschen blicken nicht mehr wie bei uns nach Osten, sondern Alles neigt sich nach Westen. Paris ist die Sonne, die das geistige Wachsthum dieser Gegenden zeitigt. In den Wirthsstuben Erinnerungen an Napoleon, französische Landkarten, Pläne von Brüssel und Paris. Keine Beschwerdenbücher mehr in den Passagierzimmern, keine Kalender mehr mit den Bildnissen der königlichen Familie aus Berlin, keine Lithographien mehr, die die Magna Charta des preußischen Staats – »Meine Zeit in Unruhe« und »Auf Dich, meinen lieben Fritz« in saubrer Schönschrift verewigen. Ich muß alle Schleusen meiner Sprachkenntnisse öffnen, um mich oben zu erhalten, und doch werd' ich die Besinnung verlieren. Meidinger, Mozin, Thibaut, ihr Geister des Diktionairs und der Grammatik, verlaßt mich nicht! Mir ist zu Muthe, wie damals, als ich schwimmen lernte. Der Hallore warf mich ohne Weiteres in die Spree. Nun hilf dir selbst, le ciel t'aidera.
Und der Himmel hilft, aber Geld ist Gottes Sache nicht. Diese Franken, diese Sous, diese Centimen! Noch eben hatt' ich meine schönen Preußenthaler, meine lieben vaterländischen Silbergroschen und nun eine Faust voll Kupfer! Dreißig, fünfzig, fünf und siebenzig Centimen – die kleinste Zahlung zwingt mich zum Rechnen. Ich werde alle meine Hegel'sche Philosophie vergessen und wieder mit Meyer Hirsch und der Algebra anfangen müssen. Nur um das Kupfer los zu werden, zahl' ich Trinkgelder, wie ein grand Seigneur. Ein Frank hat zwanzig Sous, ein Sou hat fünf Centimes, hundert Centimes sind ein Frank. Ich werde sehen, ob ich es behalte.
Ich fange auch an, immer bescheidener zu werden, und muß mich um so mehr für einen Zwerg halten, als ich mit einem Riesen gefahren bin. Links der Bruder des Eremiten von Gauting, der Oberst von Hallberg Broich, rechts nicht etwa ein großer Mann, sondern in der That ein Riese. Ueber zwölf Personen, die sich in Verviers einschreiben ließen, streckte dieses Ungethüm seine cyclopischen Hände. Beim Einsteigen reichte er mit der Mütze bis an die Imperiale und bog den eisernen Fußtritt krumm, indem er in das Coupé stieg. Im Wagen mußte er den Hut abnehmen und gerieth dadurch fortwährend in Gefahr, sich in den Maschen des an der Decke hängenden Netzes, wie Absalom in der Eiche, zu verstricken. Ich hatte die schwierige Aufgabe, neben diesem Phänomen, das nur für einen Platz bezahlt hatte, mir den meinigen zu behaupten. Wenn man mich plötzlich vermißt hätte, würde man mich unter der Achselhöhle dieses Patagoniers gefunden haben. Einige Augenblicke entschlummernd, griff ich im Erwachen nach Etwas, das mir wie ein Bein vorkam: es war der Arm des Riesen. Er hatte einen Mantel von so großem Umfange, daß er nicht nur ihn, sondern mich, den dritten Passagier, und zuletzt noch die von dem Sturm zerbrochene Fensterscheibe bedeckte. Es war dies Mr. Bihin, jener bekannte sieben Fuß hohe Riese, der sich vor mehreren Jahren in allen Hauptstädten der Welt für Geld sehen ließ und sich jetzt, da er (besonders in Amerika) sehr reich geworden ist, seinen Landsleuten, den Belgiern, umsonst zeigt. Ich empfehle allen kleinen Leuten, die gern wachsen möchten, die Bäder von Spaa. Mr. Bihin, aus Spaa gebürtig, ist ein bescheidener Mann. Ich bewunderte die Sanftmuth seines Wesens, die Zuvorkommenheit seiner Manieren, die Grundsätze, nach denen ein Riese seine Frau regiert. Mr. Bihin hat eine kleine Frau gefunden, die sich nicht nur nicht vor ihm erschrickt, sondern die ihn sogar liebt. »Sie ist Französin,« sagte er, »und ein wenig launisch. Ich setze ihr aber nie Gewalt entgegen, sondern zähme sie durch Sanftmuth.« – Aus dem Munde eines Riesen ein merkwürdiges Geständniß. Mr. Bihin zeigte mir ein brevet, worin ihm als propriétaire rentier erlaubt wurde, im ganzen Bereiche Belgiens zu schießen. Seine Jagdflinte hing quer über unsern Häuptern. Ich beklage jene unglücklichen Geschöpfe, die diesem furchtbaren Jäger plötzlich einsam im Walde begegnen und nicht wissen, daß es Riesen geben kann, die die Launen ihrer Frauen durch Sanftmuth zähmen.
Von Verviers bis Lüttich ist der Weg von malerischer Schönheit. Zu beiden Seiten Felsen, Steinbrüche, abwechselnd mit anmuthigen Wiesen und auf den Abhängen und Bergvorsprüngen dichtgescharte Fruchtbäume. Das furchtbare Unwetter hüllte Alles in Grau, verwusch alle Farben des Bodens und der Ströme in Gelb. Bald wird einer der kühnsten Schienenwege durch diese Straßen, durch diese Berge gehen. Keine Schwierigkeit umgangen, jede durchbrochen. Wo man hinblickt, ein kühn in die längsten Berge gehauener Weg, eine dunkle Pforte, durch welche bald die glühende Lokomotive donnern wird. Lüttich, das malerisch zu beiden Seiten der Meuse gelegenen Liége, versetzt uns in die Poesie des Mittelalters, in die Industrie der Gegenwart. Hier werden die berühmten lütticher Waffen geschmiedet. Die ganze Stadt hat etwas Massives, etwas Stählernes. Von der Brücke aus in der Abenddämmerung sieht man die Oefen dampfen, die Essen glühen; Feuersäulen steigen über die Dächer auf, ganze Straßen sind erhellt vom rothen Flammenschein. Alles hämmert, Alles schmiedet. Ein tapferer Anblick, alle diese Waffenschmiede und Schwerdtfeger, klopfend, das Feuer schürend, am Amboß den Hammer schwingend, dort Messer, hier Degenklingen, Schuß-, Stoß- und Hiebwaffen, Pistolen, Bajonette, Gewehrläufe, ein werdendes Arsenal, die Initiative eines Schlachtfeldes. Sprecht, ihr wackern Schmiede, einen guten Zaubersegen in eure Metalle! Wenn ihr die heiligen Bannformeln über das gehämmerte Erz murmelt, weihet diese Schwerdter einer guten Sache! Betet, daß diese eure Klingen nie gezogen werden für Tyrannei und Völkerdruck, daß sie zerspringen in der Hand der Meineidigen, daß sie siegen in der Hand der Gerechten.
Welch ein reiches, üppiges Land dieses Belgien! Die Ebenen fruchtbar, die Ströme durchfurcht von belasteten Nachen, die Städte blühend vom Verkehr, da und dort die stolzesten Erinnerungen des Mittelalters. Noch immer berühmt durch den Flor des Handels, den Fleiß des Gewerbes. Die Kirchen überall Gewähr des behaglichen Bürgersinnes, der seine Städte mit seinem Reichthum schmücken wollte, die Rathhäuser, stolz wie Asyle der Bürgerfreiheit. Belgien ist auf der Stufe, die Frankreich nie, Deutschland sehr spät erreichen wird. Belgien hat die abstrakte Freiheit und die Freiheit der deutschen mittelalterlichen Städtebildung. Es ist frei im Allgemeinen und frei im Besondern.
An Tirlemont, Löwen, Mecheln führt uns die Eisenbahn vorüber nach Brüssel. Es ist Nacht. Der Sturm hat sich gelegt. Brausend jagt das wilde Heer eines uns begegnenden Convois vorüber. In den Bahnhöfen dampfen und schnauben die geheizten Eisenmaschienen. Funken knistern hoch in die Luft. Bei der Ankunft in Brüssel fühlt man sich betäubt in diesem Gewühl von glühenden Maschinen, von Fackeln, die unserm tastenden Fuß über hundert sich durchkreuzende Schienenwege fortleuchten. Das dampft, das schnaubt, das zischt, das hustet aus den Lokomotiven um uns her; wir wissen kaum, wie wir uns in einem Omnibus, der uns in die Stadt führt, zurechtfinden. Endlich Ruhe im Hôtel de Flandres.
Ich kann Brüssel nicht in allen seinen Merkwürdigkeiten studiren. Für Brüssels größte Merkwürdigkeit gilt Antwerpen. In meinen Wanderungen durch die hügelige Hauptstadt des jungen Königreichs suchte ich mir das alte Brüssel. Man muß sich nicht blenden lassen von den pariser Affektationen Brüssels, von den glitzernden Schaufenstern, den Manieren und Redeweisen; der Kern dieser polirten Schaale ist ein echt germanischer, ein flamändischer, der in Antwerpen und Gent noch unverkennbar deutsch ist. Unter Karl V. war Gent größer als Paris. Je mettrai Paris dans mon gant, war der Calembourg des großen Kaisers, der hier auf diesem majestätischen Stadthause seiner unermeßlichen Herrschaft entsagte, um in Spanien zu beten und Uhren zu bauen. Auf diesem Marktplatze vor dem Stadthause sind Egmont und Horn enthauptet worden. Drüben in dem Brothause, wo jetzt die hellen Fenster eines Casinos leuchten, stand Alba und blickte kalt dem blutigen Schauspiele zu. Man muß auf diesem Platze an Egmont und Goethe denken. In jenem Estaminet, wo man das etwas herbe Pharo-Bier trinkt, mitten unter jenen Blousen könnten Soest, Jetter und Buyk sitzen, könnten streiten über ihre Privilegien, streiten, bis sich Vansen in den Hader mischt, Vansen, das Prototyp der de Potters, der Kats, der Bartels. Ein junger Literat aus Antwerpen hatte den Faust ins Flamändische übersetzt. Ich rieth ihm, es mit Egmont zu versuchen.
In Brüssel hat das wallonisch-französische Element äußerlich das deutsch-flamändische besiegt. Mehr als zwei Drittel des Landes sind aber Flamänder. Ihre Sprache ist holländisch; doch gestehen sie es nicht gern. Die pariser Kultur, die Abhängigkeit von der französischen Politik und den französischen leitenden Ideen hat über ganz Belgien eine Haut gezogen, die keine natürliche ist. Es ist eine Kruste, keine Haut. Sie hat keine organischen Funktionen, sie ist nur der klägliche Nachdruck der pariser Erfindungen, das Echo der französischen Tonangabe. Man beobachte diese armseligen Zeitungen Belgiens! So groß ihre Anzahl, so gering ihr Inhalt. Hätte nicht jedes Journal eine gewisse Anknüpfung an irgend eine Parteimeinung des Landes, an die katholische oder orangistische oder freimauerische Partei, an die Partei der Bank oder die Partei der industriellen Gesellschaft, man würde nicht wissen, wozu diese Unmasse Papiers bedruckt wird. Alle geben sie nur Frankreich wieder: Frankreichs Wahrheiten, Halbwahrheiten und Lügen, die Premiers Paris, die Entremets, die Faits und Accidenssinistres und die Feuilletons. Brüssel erscheint ärmlich, wenn man es besucht, um sich hier auf Paris vorzubereiten.
Gegen diese Richtung ist aber eine Reaction eingetreten. Vorläufig muß man freilich noch die flamändischen Bestrebungen eine Literatur nennen, die gleichsam erst noch einen Verleger sucht. Aber von allen Seiten regt sich doch der Drang, frei und selbständig zu werden. Man wird die Literatur dieses Landes von dem place de la bourse in den Platz des Hôtel de ville versetzen, aus den Cafés in die Estaminets, aus dem Frack in die Blouse. Man wird das Siegel wieder von diesen hohen Domen lösen, die Sprache dieser wunderbaren Bauten enträthseln. Man wird die klassischen Gemälde der flamändischen Schule nicht vom Pinsel allein in Antwerpen fortsetzen lassen, sondern auch die Feder wieder in die alte germanische Erinnerung tauchen. Erwägt man, welche Blüten die dänische Literatur auf einem Stamm von so wenigen Millionen, die diese Sprache reden, treibt, erwägt man Schweden, Ungarn, Böhmen, warum sollten die Flamänder sich nicht zu einer eignen Literatur emancipiren können, ein Volk von mehr als drei Millionen in Belgien selbst, ohne das wenn auch feindselige, doch stammverwandte Holland? Die holländische Literatur, ohnedem veraltet, zurückgeblieben, in Vorurtheilen verrostet, kann von diesem regen Treiben in Belgien nur erfrischt und Holland zuletzt sogar noch eine geistige Eroberung des feindlichen Schwesterstaates werden.
Jede Literatur, die sich nicht im mythischen Zeitalter durch sich selbst begründet hat, oder durch eine bedeutende naive Kraft, ein Talent erster Größe, ein Genie, getragen wird, muß sich an die Entwickelungen verwandter Völker anschließen. Die flamändische junge Bewegung wird, von Frankreich zurückgewiesen, nur wählen können zwischen England und Deutschland. Zu befördern, daß sie Deutschland wählt, ist der Zweck einer hier vor wenigen Monaten von einem geistreichen und federkundigen deutschen Literaten, Dr. Kuranda, begründeten Wochenschrift, Grenzboten. Diese Revüe erscheint in wöchentlichen Heften und verdient ihrer rein nationalen, Deutschland zur Ehre gereichenden Tendenz wegen, die allgemeinste Beachtung. Wie betrübend, daß eine so wichtige Zeitschrift in Deutschland äußere Hemmungen finden konnte! Sie erobert den deutschen Interessen ein neues Terrain und wird aus diesem Gesichtspunkt sogar von der hiesigen Bank, die in materieller Hinsicht einen Anschluß Belgiens an Deutschland wünscht, unterstützt. Kuranda besitzt zugleich gesellige Formen genug, um hier in jeder Weise die deutsche Literatur würdig zu vertreten.
Dem großen orangistischen Procès monstre beizuwohnen, hab' ich keine Lust. In Paris selbst werd' ich noch genug solcher Farcen erleben. Die richterliche Gewalt hat der Unmasse der Angeklagten, dem Wirrwarr der Zeugen und der Gleichgültigkeit des Publikums gegenüber kaum Kraft genug, sich in ihrer ersten Rolle zu behaupten. Fast scheint es, als führten eher die Angeklagten als die Richter die Verhandlung. Ich sitze, von Wanderungen ermüdet, auf meinem Zimmer und sehe mir in nächster Umgebung diese allmäligen Aenderungen der Sitte an. Das Feuer lodert schon im marmornen Kamine. Das große Himmelbett mit seinen breiten Dimensionen, die Tassen ohne Henkel, Henkel dagegen an den Nachttischen für die nassen Tücher, schon eine andere Methode der Bedienung, schon eine andere Vertheilung der dienenden Aemter. Endlich klärt sich auch draußen der Himmel wieder auf. Ein schöner Tag. Im Park sehnen sich die gegen Winterfrost eingehüllten Statuen aus ihren Strohmänteln heraus. Auch die Bäume, stolze hohe Rüster und Platanen, möchten die häßlichen Hüllen, in die man sie kleidete, abwerfen; jene blechernen Schilde, mit denen man ihre Wunden verbunden hat, die Wunden der Septembertage. In diesem Park wurde Belgiens Unabhängigkeit erkämpft. Hier in diesem tiefen Grunde unter den Büschen modern die Gebeine von Hunderten der gefallenen Holländer. Die Bäume sind zerfetzt von Kugeln, und wo die Rinde von ihnen zu sehr gelitten hat, wo das Wachsthum von den grausamen Wunden zu sehr bedroht schien, hat man die Narben verdeckt, damit sie langsam heilen. Ein furchtbarer Anblick muß dieser Kampf gewesen sein. Die Holländer, zusammengeschart, von allen Seiten den Kugeln des Volks preisgegeben, hier in diesem Park. Drüben und draußen von Dächern, aus Fenstern herab das Feuer der Insurgenten. Waffen, schnell zusammengerafft, alte Helme, alte Panzer aus spanischen Zeiten her, hoch zu Roß die Führer des Aufstandes, Knaben die Trommeln rührend, die Frauen dazwischen, anfeuernd, Kugeln bringend, die Verwundeten verbindend, die Sterbenden beweinend. Im Eingang der Deputirtenkammer zeigt ein großes Gemälde von Wappens, wie diese Freiheit, eine Treppe höher in diesem Hause frei zu reden und frei abzustimmen für die Interessen des Volkes, draußen unter den Herbstbäumen, drüben im Park, erkauft wurde. Das Gemälde ist etwas verworren gruppirt, und die Einheit zu sehr in einer Sterbescene conzentrirt, die uns die siegende Revolution nicht vergegenwärtigen kann. Das Riesengemälde de Kayser's, das links die Schlacht bei Moringen darstellt, steht künstlerisch wol auf einem höheren Standpunkt. Es ist das Trübe der Freiheit, daß sie Künstler wol begeistern, aber nicht schaffen kann. Man kann sehr wahr sein, ohne daß man schön ist.
St. Gudule ist von innen erhabener als von außen. Die Kanzel dieses Münsters, ganz aus Holz geschnitzt, ist ein Meisterstück der Erfindung und Ausführung; sie ist ein Gedicht. Das herrliche Werk stellt die Geschichte des Sündenfalls und der Erlösung vor. Unten Adam und Eva, vom Engel aus dem Paradiese getrieben, die Schlange, riesenhaft sich um den Baum der Erkenntniß ringelnd, oben das Evangelium, in katholischer Auffassung, durch die Sternenkönigin Maria dargestellt. Wie lieblich der Humor des Mittelalters! Das Paradies ausgeschmückt mit allen seinen Bewohnern, selbst den Affen nicht zu vergessen. Wenn der Geistliche die Kanzel besteigt, droht ihm ein lustiger Maki auf die Schulter zu springen. Jetzt sollte ein Künstler Kanzeln bauen, an denen er Affen anbrächte! Man würde es für eben so geschmacklos, als irreligiös erklären, und doch haben wir das Mittelalter nicht erreicht, weder in seiner Schnitzkunst, noch in seiner Andacht. Am Arme Eva's hing an einem dünnen Zwirnsfaden ein Hirtenbrief des Erzbischofs von Mecheln, ein Ablaßbrief; unwillkürlich sinniger Trost für alle liebenden Töchter Eva's, für Alle, die unten vor der Welt das Paradies verlieren und oben bei Gott die Gnade finden.
Am Place de la bourse arbeitete ein Privattelegraph. Daß sich Privatleute Telegraphen halten können, ist einer der Horreurs, vor denen die deutsche Politik erschrecken würde. Dies ist indessen wahrscheinlich jener lügenhafte Berichterstatter, der die antwerpener Börsengerüchte so unsicher macht, und dem wir in Hamburg so viele verkehrte Nachrichten über Spanien und Frankreich verdanken.
Nichts von einer kläglichen Theatervorstellung im Park, nichts von den trois Suisses und den mille Colonnes, nichts von dem neuen Journal »die Nasenstüber« und dem alten Journal »Mephistopheles«, in dem ich mehr Rohheit als Witz gefunden habe, nichts von der Gewissenlosigkeit des schändlichsten Nachdruckssystems gegen ein Land, dem Belgien seine Freiheit verdankt, nichts von Herrn Haumann, der sich durch seinen Nachdruck Häuser baut; ich rüste mich auf Frankreich, nach dem ich morgen abreise. Schon führt eine Eisenbahn nach Mons ins Hennegau oder in den Ainaut, wie es hier heißt, in Gegenden, die historisch berühmt sind aus den Zeiten der Grafen von der Mark, der wilden Ardenneneber. Bald wird diese Eisenbahn Brüssel unmittelbar mit Paris verbinden. So hat Belgien zwei ausgestreckte Eisenarme, einen nach Frankreich, einen nach Deutschland. Die Eisenbahn nach Paris, die Eisenbahn nach Köln. Belgien wählt, welche Hand es mit diesen Armen drücken soll. Eine wird es wählen, aber es muß die Hand eines Mannes sein.