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Paris, den 29. März.
Auch in St. Eustache fand ich ein trübes, düstres Heidenthum, und so feierte ich meine Ostern mit Musik und Poesie, mit einem reinern Christenthum, als es diese monotonen, gedankenlosen, von aus- und eingehenden Neugierigen gestörten Offizien thun.
Ich hörte im Conservatoire Beethoven. Der Saal der Societé des concerts liegt in der rue Bergère, das Orchester nimmt auf einem Theater Platz. Die Sängerchöre stehen in der ersten Reihe des Parquets und entfernen sich nach jeder Nummer, die sie im Zusammenhang gesungen haben. Der Dirigent im weißen Haar ist der Kapellmeister der großen Oper, Habeneck, kein Deutscher. Im ganzen Orchester ist nur ein einziger Deutscher.
Dafür ist aber die Musik deutsch. Nicht eine italienische, nicht eine französische Piece. Das ganze Programm deutsche Musik. Nach der Ouvertüre zur Fingalshöhle von Mendelssohn Bartholdy, die mit der den Franzosen eigenen Frische ausgeführt wurde, folgte Mozart's Ave verum corpus. Die Sänger und (meist häßliche) Sängerinnen sprachen zwar verüm corpüs, doch hinderte das nicht, daß der heilige Morgengruß an den erstandenen Christ in frommer Weihe ertönte. Dann entnahm man aus Beethoven's großem Septuor einzelne Sätze, um mit ihnen ein Experiment zu machen, das zwar nicht die Schönheiten des Componisten, wol aber das Talent dieser Musiker in ein helles Licht stellte. Man hatte die für sieben Instrumente berechnete Composition auf das ganze Orchester vertheilt. Zwanzig Violinen führten die schwierigsten Passagen, die ursprünglich nur einer einzigen übertragen sind, mit einer bewunderungswürdigen Präzision aus. Eine Cadenz, die einem Einzelnen zu schaffen macht, wurde von sämmtlichen Violinen mit unglaublicher Reinheit vorgetragen. Nächstdem kamen Chöre aus dem Messias, in denen die Solostimmen Einiges zu wünschen übrig ließen. Den Beschluß machte in größter Vollendung Beethoven's fünfte Symphonie, dieselbe, die überall misverstanden, zuerst in Paris dem Genie des unsterblichen Tondichters die Bahn brach. Nach dieser Symphonie wurde Beethoven die Losung der hiesigen Musiker. Er ist der Schutzheilige des Conservatoriums geworden. Und welch' eine Schöpfung! Beethoven's Genius in allen seinen Zaubern, in allen seinen Höhen und Tiefen. Gemüth, Phantasie, Zweifel, Glaube, Himmel und Erde, und zwischen ihm im dritten Satz der Tartarus mit seinen Klüften, mit der schwindelnden Teufelsbrücke der langen, langen Trommelfermate und endlich Sieg, endlich Triumph, der vierte Satz in den dritten verschlungen, Jubel und seligste Ueberwindung.
Dieser ganze Tag war mir heilig. Ich war nach Paris gekommen, um Frankreichs große Männer zu sehen, dem Brennpunkte dieses ewig grollenden Vulkans mich zu nähern, mich zu ergötzen an der Lust des Volkes, mich zu prüfen an seinem Schmerz. Ich fuhr durch die Barrière St. Denis, auf die Boulevards, ich sah diese berühmten Straßen und Plätze, historische Schauer umwehten mich rings. Anknüpfungen der buntesten Art fesselten mich an Vieles, was Andern vielleicht leer erscheint. Ich komme, durstend nach Allem, was nur den Durst des Interesses stillen kann. Bald ist die kalte Prüfung, bald die pochende, bange Erwartung, bald nur die laue Neugier mein Führer. Ich sah schon Manches, werde noch Vieles sehen, aber ich gestehe, daß mich vom ersten Schritt, den ich auf diese Straßen setzte, die Sehnsucht verfolgt, einen Dichter von europäischer Berühmtheit zu besuchen, George Sand.
Es ist nicht nöthig, daß man mir einräumt, George Sand wäre Frankreichs größter, jetzt lebender Schriftsteller. Es ist nicht nöthig, daß man bewundert, was Allen interessant erscheinen wird. Reizen muß Jeden, auch den Gegner, der Anblick einer Frau, die durch die Tiefe ihrer Ideen, die Poesie ihrer Anschauungen, den Glanz ihrer Darstellung Alles übertrifft, was in Frankreich mit ihr wetteifert. Sie hat Werke geschrieben, die nur Erholungen sind, aber nicht die Vollendung ihrer Schöpfungen ist es allein, die uns an sie fesselt. Es ist die freie Hingebung an den Gedanken, die Aufopferung des Egoismus, ja selbst des Vorurtheils und der Sitte an die edelsten Wallungen des Gefühls. Wie muß mich selbst es hinziehen zu ihr, die uns glauben lehrte an die Sprache des Herzens! Mich, der ich für sie gekämpft, gelitten habe. Dieselbe Welt, dieselben Schmerzen! Und ich werde Georges Sand nicht sehen.
Sie zieht sich zurück. Sie lebt der Pflege des seit Jahren leidenden Musikers Chopin. Sie fürchtet die Zudringlichkeit einer Neugier, die in ihr nicht die Regel der schöneren Natur, sondern nur die Ausnahme beachten will. Und vollends ist sie mistrauisch gegen Touristen. Man hat sie in grotesken Umrissen an die Wand gemalt. Man hat ihre Geheimnisse, ihr Vertrauen nicht heilig gehalten. Man hat sie um Audienzen gebeten und dann herabgezogen in die Sphären, wo wir alle menschlich sind; man hat sie an die Medisance der Reiseliteratur verrathen. Man nannte mir zwei deutsche Schriftsteller, die sie durch ihre Berichte tief gekränkt hätten. Ich werde mich ihr deshalb nicht nähern. Leidend unter meinen Vorgängern fürcht' ich misverstanden zu werden. Zu stolz, um mich verwechseln zu lassen, werd' ich von Paris scheiden, ohne gesehen zu haben, was mir hier das Liebste werden könnte.
Und doch zieht es mich in ihre Nähe. Nur den Kreis möcht' ich sehen, wo sie waltet, nur wissen, wohin ihr Auge fällt, wenn sie von der Arbeit ihres Geistes erschöpft, das Fenster öffnet, um die Brust an der Luft zu kühlen. Es ist Ostern. Ein sonniger Frühlingstag. Alles strömt auf die Boulevards. Die Gläubigen ruft der Klang der Glocken. Auch ich ziehe hinaus, kaufe Veilchen, Veilchen, um sie an die Brust zu stecken. Hin und wieder, auf und ab. Ermüdet kehr' ich heim und denke der vielen Ostern, der vielen Lichter, in denen uns Feste schon im Leben erschienen sind, bald im rothen Schimmer der Liebe, bald im blauen Duft der Freundschaft, bald in den trübsten Nebeln des Geschicks. Wie sonnig in der Jugend, wie dunkel damals, als wir nicht mehr hofften! Mitten in diesem chaotischen Paris fühlt' ich mich am Ostertage einsamer, als im Dunkel eines deutschen Waldes.
Es trieb mich, wenigstens G. Sand's Wohnung zu sehen. Rue Pigalle 16 dicht in meiner Nähe. Nicht weit von Notre dame de Lorette. Ich wandre. Paris bekommt in der Nähe der Rue Pigalle ein neues Ansehen. Hier sah ich, daß man Landhäuser mit Gärten in Paris selbst haben kann. An der Rue des Martyrs vorüber, durch die Rue Fontaine, wo ein anmuthiger kleiner Platz im schönsten, italienischen Geschmack von Landhäusern gebildet wird, links die Rue Pigalle 20, 18, 16. – No. 16! Mir klopfte das Herz. Ein großes steinernes, neues Haus. Hinten ein Garten, das sah ich wol. Aber das Haus verschlossen. Ein Riegel vor dem Geheimniß, ein Wall, der mich auch nicht einmal die Jalousien ihres Zimmers sehen läßt.
Da les' ich an der Thür des kalten steinernen Hauses: petit appartement à louer pour un garçon. Ich werde klingeln. Ich werde eine kleine Komödie aufführen. »Hier ist ein Zimmer zu vermiethen?«
»Für 200 Franken,« sagte die Concierge.
»Wo liegt es?«
»Im Entresol.«
»Nach hinten?«
»Nach vorn, mein Herr.«
Das war schon unglücklich getroffen. Ich sah durch den offnen Thorweg einen kleinen Garten und im Hintergrunde einen Pavillon, den G. Sand bewohnt.
»Wollen Sie das Zimmer sehen?«
»Zeigen Sie mir's.«– So konnt' ich noch länger bleiben und den Ort überblicken, wo Spiridion, die Reise durch Frankreich, wo vielleicht schon Mauprat geschrieben ist.
Die Concierge stieg voran.
»Dies Zimmer ist es, mein Herr!«
Es war geräumig, neu gebaut, ohne Möbeln, niedrig, für zweihundert Franken wohlfeil genug, aber es ging nach vorne: in die sonnige Straße, nicht in die Schatten des Gartens! Wenn gutmüthige Seelen miethen und sie armen Leuten, die harren, bis sie finden, was sie suchen, das kalte Nein in trostreicherer Form aussprechen wollen, so sagen sie: »Ich werde wiederkommen.«
»Ich werde wiederkommen, Madame.«
– Zur Thür mich wendend fragt' ich: »Wohnt nicht hier G. Sand?«
Im Pavillon, mein Herr.
»Es ist wol zweihundert Franken werth, in der Nähe G. Sand's zu wohnen. Lassen Sie mich den Garten sehen.«
Ich stieg hinunter und blickte in den kleinen Garten. Einige Rüster, einige Linden, drei oder vier Anlagen zu Blumenbeeten, wenn der Frühling kommt. Der Raum, der hier bald sich schmücken wird, ist klein, aber drüben sind dieser kleinen Räume mehr, sie bilden eine freie offne Aussicht. Die Vögel von drüben kommen auf die Bäume von hier. Die Hollunderdüfte von hier würzen die Luft von dort. Was im dritten Garten Raupe ist, kann im zweiten sich verpuppen und hier im ersten, in dem Gärtchen G. Sand's, Schmetterling werden. So setzt sich das bunteste Leben zusammen, eine fourieristische schöne Gegend, ein Natur-Phalanstère. So seh' ich, daß es in Paris noch immer Oerter gibt, wo man vielleicht nicht grade Dichter werden, aber, wenn man es schon ist, doch bleiben kann.
Die Concierge verstand das Interesse, das ich an diesem Orte nahm, vollkommen und hinderte mich nicht, länger in dem kleinen Garten zu verweilen. Die Jalousien waren niedergelassen. Dort wohnte ein krankes Herz. Ich begriff diese Einsamkeit. Mitten in dem wirren Paris ein so stiller, kleiner Fleck, wo man lieben, dichten und die Welt verachten kann. Ja es ist etwas Großes um die moralische Kraft des Menschen, wenn die Natur sie unterstützt! Im Angesicht der Berge, im Angesicht des Meers, ja nur im säuselnden Schatten einiger alten Lerchenbäume, durch die der Mond mit tröstendem Glanze schimmert, man wird mehr wagen, größer sein als im Salon, wo die Medisance herrscht. Ich rief mir die Nacht mit ihren Sternen, den Frühling mit seinen Blüten auf diese idyllische Abgeschiedenheit hernieder, ich begriff den Geist, der in den Schriften dieser merkwürdigen Frau lebt. Ich begriff den Muth, es mit dem Urtheil der Welt zu wagen. Ich begriff, daß es eine Nähe der Gottheit gibt, die uns die Entfernung der Menschen vergessen lehrt.
Und so blickt' ich um mich, im Geiste erschüttert, innerlichst durchschauert. Alle Bäume schienen sich hieher zu neigen. Ich fühlte, daß selbst die Gemüther, welche sich von G. Sand abgestoßen fühlen, die Gläubigen, selbst Die, welche diese Schriftstellerin verfolgen, weil sie Alles verfolgen, die gehässigen Gemüther, diese feierliche Stille, die mich hier umgab, ehren würden. Was für sie Neugier gewesen wäre, war Andacht für mich. Die Wunden des eignen Herzens brachen auf. Am Nerv der Seele zuckten die alten Schmerzen, die vergessenen vielleicht, aber doch nicht verwundenen.
Ich ging, wehmüthig den Blick zur Erde gesenkt. An den Häusern entlang schlich ich in tiefen Träumen. Gern hätt' ich die beklommene Brust aufgelöst am Herzen eines Freundes. Es war Ostern. Die Menge strömt in Nôtre Dame de Lorette. Ich will Trost holen, wo Ihr Andern ihn findet. Ich trete an die Kirche. Ein Polizeiagent weist mich drüben auf die andere Seite. Drinnen wieder Polizei. Eine Kirche nach der Mode, ein modisches Publikum. Tausende sich drängend – um was! Um eine Andacht, die für mich keine war. Ein Priester singt Gebete, in einem kurzathmigen Rhythmus, als wenn Schüler zum ersten Mal lernen, nach Noten singen. Es stieß mich ab. Fort, fort! Das ist keine Religion, die mich trösten könnte. Ich besann mich, daß ich schon in einem Tempel gewesen war.