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Neunter Brief.

Paris, den 24. März.

Man klagt hier über Mangel an Nachrichten. Die Franzosen langweilen sich, die deutschen Berichterstatter sind in Verlegenheit, Neues nach Augsburg und Berlin zu melden, und doch geschieht so viel, drängt sich so viel, Leben und Tod, Sieg und Niederlage. Hier wird etwas geboren, dort etwas begraben. Leichen und Wiegen, wo man hinblickt, und die Morgue wird von den Opfern der Seine nicht leer.

Es ist ein eignes Leben in Paris. In jeder Stunde geschieht etwas ganz im Stillen, das uns auswärts, wenn wir davon hören, Tagelang beschäftigt. Hier kündigt sich Unzähliges pomphaft an und endet unbedeutend, und Manches scheint anfangs geringfügig und wird bedeutend. Das unglückselige Wetter! Der Schmuz von Paris! Ich hätte nicht ausbleiben sollen, den Obsequien Cherubini's in der Kirche St. Roch beizuwohnen.

Mit Cherubini ist die letzte Stütze des klassischen Contrapunktes in Frankreich gestorben. Wenn man Auber zum Nachfolger in seinem Direktorat des Conservatoires machte, so bewiese dies, wie verlegen man wäre, einen würdigern zu finden. Halévy, den man als gründlichen Theoretiker schätzt, würde, wenn er nicht zu jung wäre, Cherubini gefolgt sein, denn er besitzt Alles, was zum Akademiker gehört, theoretische Kenntnisse und kein Genie. So hat man nun, glaub' ich, Auber gewählt, der weder kenntnißreich, noch genial ist, aber ein ungeheures Talent. Wird Auber die große Trommel in die Kirchenmusik einführen?

An demselben Tage, wo man den Componisten des »Wasserträgers« zur Ruhe bestattete, wurde auch Balzac begraben. Er lebt noch, aber seine Dramen sind todt. Dem Vautrin sind die »Hülfsquellen Quinolas« auf dem Fuß gefolgt. Seit acht Tagen redete man von der bevorstehenden Aufführung des Quinola. Man lockte das Publikum mit falschen Affichen ins zweite französische Theater, das Theater de l'Odéon, jenseits der Seine, man wies es ab, lockte wieder und machte Die, die Lust hatten, das Stück ohne Prozeß zu verurtheilen, irre. Und doch ist es gefallen. Ich erstaunte, das ganze pariser Publikum gegen Balzac so gereizt zu finden. Alles haßt ihn, Alles verfolgt ihn. Kein Bedauern über seinen Fall, allgemeine Schadenfreude. Es ist, als wenn die geistvollen Erfindungen dieses Erzählers nicht vorhanden wären, als wenn Frankreich nicht Ursache hätte, auf dies seltne Talent stolz zu sein!

Balzac scheint durch seine Persönlichkeit viel von dem Vorsprunge seines Talents zu verlieren. Man wirft ihm Arroganz und Geldgier vor. Beides sind Fehler, die allerdings den Ruhm eines Dichters untergraben können. Daß Balzac anmaßend ist, bestätigt die Manier seiner Erzählungen, seine Art, sie einzuleiten, seine Selbstbespiegelung, seine Selbstkritik. Er geht von dem Grundsatz aus, daß ein Schriftsteller, der für etwas gelten wolle, zuvörderst selbst etwas auf sich halten müsse. Daher kommt er jedes Mal, wenn ihm der Stoff ausgeht, auf sich zu sprechen. Man hält dies, was vielleicht nur Verlegenheit und Nothhülfe ist, für Eitelkeit. Balzac's Geldgier findet man in vielen flüchtigen, seinem Namen keine Ehre machenden Produktionen bestätigt. Man vergibt einem guten Autor wirklich nichts schwerer, als ein schlechtes Buch. Balzac hat unter viel vorzüglichen mehre Werke geschrieben, die seiner unwürdig sind. Man nennt dies nicht Erschöpfung, man bemitleidet es nicht, als die nothwendige Folge dieser ewigen Anstrengung, dieses ewigen Schaffens, nein, man haßt es, als seinen Geiz!

Vollends war Balzac verloren, als man erfuhr, er hätte sich die drei ersten Vorstellungen des Quinola als Entschädigung für die Tantiéme der folgenden Vorstellungen bedungen. Es ist hier Sitte, daß die Autoren, um sich schnell in Besitz einer großen Summe zu setzen und den Weitläufigkeiten der spätern Verrechnungen auszuweichen, mit der Gesammteinnahme der ersten Vorstellungen dem Impressario das Recht verkaufen, alle folgenden Einnahmen ungeschmälert für sich zu behalten. So Scribe im Theater français. Wenn nun der Autor die Plätze so verkauft, wie sie kassenüblich sind, so ist diese Finanzoperation ganz in der Ordnung; wenn aber, wie Balzac es thut, eine Agiotage eröffnet wird, wenn man für die Stalles statt fünf Franken funfzehn fordert, für Logen 100 Franken, so kann sich der Verfasser des Quinola nicht wundern, wenn man Eugenie Grandet und den Père Goriot vergißt und seine Werke kläglich zu Fall bringt. Heute sind wol nahe an hundert Kritiken über Quinola erschienen. Ich glaube, Balzac liest nicht eine einzige und zählt seine Fünffrankenthaler.

Um auf den rechten Weg zu kommen, der uns zur Liebenswürdigkeit der Franzosen führt, muß man öfters Bouffé sehen. Ich sah' ihn im Gymnase als Oncle Baptiste. Es ist dies wieder eines jener Stücke, in denen Souvestre die Poesie des Handwerkerstandes schildert. G. Sand emancipirt die Handwerker als Dichter, Souvestre als Gedichte. Wer in Frankreich Glück machen will, muß sich zu einer Spezialität ausbilden. Wie es hier wissenschaftliche Spezialitäten gibt, die sich, wie z. B. Michel Chevalier ausschließlich die Eisenbahnen vorbehalten, so gibt es dichterische, die Alles, was sie schreiben, in einem bestimmten Genre halten. Das Genre Souvestre's ist eine Sphäre, die Sphäre der Handwerker.

Es ist schön an Souvestre, daß er der Poesie ein neues Feld gewann. Er hat poetisches Leben entdeckt in Gegenden, über welche früher nur die Pflugschar der Prosa ging. Sein Streben, eine neue Poesie zu schaffen, ist lobenswerth, insofern er die alte nicht zerstört. Es ist Schade, daß Souvestre nicht gerecht gegen die Einen sein kann, ohne zuweilen ungerecht gegen die Andern zu werden. Im Hamelin schon begann er, das Comptoir der Kaufleute, die Strumpfwirkereien, die Weberstühle, die Rechnungsabschlüsse, die Wochenlöhnungen an die Arbeiter zu poetischen Staffagen zu machen: er entdeckte hier eine neue Poesie, aber er wurde ungerecht gegen die alte. Sein Cantal spricht gegen die ewig dauernde und von Gott eingesetzte Aristokratie des Geistes mehr Dinge, als ein Strumpfwirker verantworten kann.

Im Oncle Baptiste, der keinen eigentlichen Erfindungswerth hat und nur von Bouffé getragen wird, ist die Polemik gegen Das, was bisher für poetisch gegolten hat, weniger beleidigend. Das kleine Stück würde auch in Deutschland Glück machen, wenn es sich nicht zu sehr um die in Deutschland theatralisch abgenutzten Fallissemente drehte, wenn es mit seiner eigenthümlichen musikalischen Begleitung vorgetragen würde, endlich wenn man bei uns Bouffé hätte, d. h. dreißig Bouffé's; denn das ist das Unglück in Deutschland, daß bei uns ein Stück nur dann seine Probe bestanden hat, wenn es an dreißig Theatern gut gegeben ist!

Bouffé ist einer der wahrsten, liebenswürdigsten Schauspieler, die ich je gesehen habe. Er überraschte mich um so mehr, als ich mir von ihm eine andere Vorstellung gemacht hatte. Bouffé hat nichts von einem Bouffon. Er ist eine hagere, kleine, schmächtige Figur, mit scharf ausgeprägten Zügen, etwa wie Döring in Deutschland. Bouffé hat die Physiognomie eines Mephistopheles und das Auge eines Engels. So glänzend sein Blick, so feurig die Blitze, die sein Auge entsendet, so seelenvoll ist es doch wieder umblaut, so gemüthlich umflort. Wenn er lacht, so legen die Falten sich, wie bei allen bedeutenden Menschen, die, wenn sie lachen, bitter aussehen. Man sieht erst die Schlangen um den Mund, dann glänzen die schönsten weißen Zähne, und es wird das ein seelenvolles, liebes Lächeln, was erst beinahe ein teuflisches zu werden schien. Es ist sehr leicht sagen, daß Bouffé, der gute, lustige Onkel Baptiste, etwas Deutsches habe. Onkel Baptiste ist ein echter Franzose, ein Franzose, der nur seinem Beruf und seinem Vergnügen lebt, der keine andere Leidenschaft kennt, als die für seine Frau und seine Ehre. Onkel Baptiste ist galant, witzig, gemüthlich: er ist die Freude seiner Nichten und Neffen; er vergißt keinen Geburtstag: er hat immer die Taschen voll kleiner Geschenke; Alles drängt sich um ihn und will ihn herzen, ihm liebkosen. Er hat nur eine Freude, Andre glücklich zu machen, und nur einen Schmerz, ohne Kinder zu sein.

Onkel Baptiste ist Compagnon seines Bruders. Sein Bruder leitet das Comptoir, er leitet das Atelier. Jener führt die Feder, er den Hammer. Er tritt zuerst in Hemdärmeln, im Schurzfell auf. Sein Bruder verläßt ihn, zieht in die Stadt. Rührender Schmerz in Baptiste's Zügen. Bouffé's Spiel steigert sich. Eine klagende, (sehr wesentliche!) Musik beginnt. Bouffé spricht den Abschied. Er will lustig sein, er will dem Bruder zeigen, daß seine Undankbarkeit nicht im Stande wäre, seinen guten Humor zu verstimmen, er versucht ein Lied zu trällern und die künstlichen Töne der Freude ersticken ihm in seinen Thränen. Die Franzosen haben kein Wort für Gemüth, aber sie haben die Sache.

Im zweiten Akt entfaltet sich Bouffé noch großartiger. Er hat seinem Bruder verziehen, er besucht ihn mit seiner dicken, drolligen kleinen Frau. Der Zufall will, daß er zwar gut aufgenommen wird, aber daß ihn ein Anderer, den er an dem Systeme seines Bruders betheiligt glaubt, beleidigt. Erbittert verläßt er das Haus, um drüben bei einem Restaurant einzukehren. »Ich habe alle Restaurants von Paris in meiner Tasche,« sagt er. Die ganze Familie versammelt sich, weil sie ihn vermißt. Der Bruder selbst, der ältere, ist in größter Verlegenheit, er muß sich für fallit erklären. Da öffnet sich die Thüre, eine geisterhafte Musik beginnt und Bouffé, ganz blaß, ein gespenstischer Anblick, tritt herein. Feierlich schreitet er vor, man erwartet eine ungeheure That, und Bouffé nähert sich nur einem Stuhl und sagt: »Meine Frau hat ihre Hutschachtel vergessen!« So komisch der Contrast ist, man wagt nicht zu lachen. Aber noch mehr! Bouffé, der blasse Bouffé, ist betrunken. Er lallt kurze, feierliche Worte, die Augen leuchten unheimlich, der Mund preßt sich krampfhaft zusammen, dazu die wehmüthige Musik. Bouffé ist erhaben in dieser Trunkenheit. Alles weint. Ich weine noch, indem ich's niederschreibe und mir Alles vergegenwärtige. Ein aristokratischer Graf nennt ihn »ivre.« Er sagt: »Ja ich bins. Im Wein liegt Etwas, was Schmerzen tröstet: ich bin trunken, weil ich Kummer habe.« Die Situation steigert sich noch mehr. Bouffé erfährt das Unglück des Bruders; er erkennt, daß er versäumt habe, ihn zu retten, das Gefühl der Scham und der furchtbarsten Reue überkommt ihn mit tragischer Gewalt, er wird durch den ungeheuren Gegendruck der Wirklichkeit vor unsern Augen nüchtern, er besinnt sich, er erhebt sich, er rettet seinen Bruder – man braucht diese Situation nur zu nennen, und jede Phantasie muß sich selber ausmalen, was Bouffé ist.


 


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