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Wer den Stolz kennt, mit welchem die mittlere und die reiche Bürgerklasse das Local, das sie zu ihren Wintervergnügungen erbaut, als ihr Eigenthum zu betrachten pflegte, wie einige der ältern Herrn bei jedem Tanzvergnügen, bei jedem Concert Länge und Höhe des großen Saales mit prüfendem Blick maßen, um sich zu überzeugen, daß der Saal der höheren Bürgergesellschaft wenigstens um sechs Zoll niedriger und wenigstens um vier Zoll schmäler sei; wer die Strenge kennt, mit welcher in den meisten Fällen darauf gesehen wurde, daß zur Bürgergesellschaft, wenigstens zu den Mitgliedern derselben, nur Urbürgerkinder von reinem Blut zugelassen wurden; wer es weiß, daß bei dem Aufnahmegesuch eine Urgroßmutter oder ein Urgroßvater, der vor einigen achtzig Jahren eingewandert war, von dem Vorstand als fremdes, eingeschmuggeltes und nicht vollkommen ebenbürtiges Blut betrachtet wurde; wer sie endlich kennt diese Bürgergesellschaft-Republik mit streng abgesonderten Kreisen nach Familien, nach Vermögensverhältnissen und nach der königlichen Rangordnung, regiert von selbstgewählten Oberhäuptern, ein Staat, in welchem möglicherweise der letzte Cotillontänzer von heute morgen an der Spitze der Geschäfte stehen konnte; wer Alles dies genau überlegt und in's Auge faßt, der begreift den freudigen Schreck, die selige Ueberraschung, welche Jeden überschüttete und beschlich, indem er, als sich die Flügelthüren vor ihm öffneten, statt der bisherigen Stearinkerzen und Oellampen den herrlich glänzenden Kranz von Gaslichtern auf dem neuen Kronleuchter erblickte!
Es war ein Gemurmel in dem Saale, ein Durcheinanderrennen, ein Betrachten des neuen, fabelhaften Lichtes, vom kleinsten Kellner in der Tiefe bis zum Orchester-Dirigenten in der Höhe, Alles war in außerordentliches Staunen, in vollkommene Befriedigung aufgelöst; Eins rannte, indem es aufwärts sah, gegen das Andere, und es gab heute mehr Entschuldigungen wegen Aufeinanderstoßens und getretener Hühneraugen, als sonst bei der verwickeltsten Cotillon-Tour.
Es war noch früh, und die, welche zuerst gekommen waren, erfreuten sich sichtlich an dem unbegränzten Erstaunen der Nachfolgenden; von dem Glanze schon etwas gesättigt, warfen sich diese Anwesenden in die Brust und fühlten sich geschmeichelt von den Ausrufungen der Freude, mit denen jeder neue Ballgast in den Saal trat, und beantworteten die Fragen nach dem charmanten Licht mit selbstgefälligem Lächeln, als habe es sie selbst gar nicht überrascht, und Jeder ließ den Andern durchblicken, er habe, im Vertrauen gesagt, auch dabei die Hand im Spiele gehabt.
Trotz dieser Undankbarkeit, wodurch die Verdienste des Vaters Schwämmle etwas geschmälert wurden, ward sein Name doch, zuerst mit leisem Gemurmel, dann lauter und immer lauter in allen Ecken genannt; einer seiner Collegen, der ihm freundlich gesinnt war und der mit ihm pro Gasbeleuchtung contra Schlachthaus gestimmt, eilte geschäftig durch den Saal, sprach hier mit Freunden und Bekannten und Unparteiischen, prallte dort mit einer kalten Verbeugung zurück, als er bemerkte, daß er in die Nähe einer Gruppe Schlachthaus-Menschen gerathen war.
Der College des Stadtraths Schwämmle, ein schon ältlicher Mann von sanften Gesichtszügen und eben solcher Stimme, suchte schwitzend vor Hitze und innerer Aufregung die Anwesenden zu vermögen, dem Helden des Tages einen freundlichen, feierlichen Empfang zu bereiten. Die Freunde stimmten natürlich bei, den Unparteiischen war es gleichgültig, und die jungen Herrn und Damen, die eigentlich gar keiner Richtung angehörten, freuten sich auf das Beifallsgeschrei. Sogar bei einigen Blutmenschen seiner Bekanntschaft versuchte es der sanfte College, indem er ihre beiden Hände ergriff, und dabei dieselben freundlich schüttelnd den Versuch machte, ihnen schmunzelnd von unten herauf in die finster niedergeschlagenen Augen zu blicken. Bald sah man ihn hier, bald dort; jetzt eilte er die Stiege hinaus zum Orchester, klopfte dem Dirigenten auf die Schulter, indem er ihm einige Worte hastig sagte, bot dem Paukenisten eine Prise an und blieb oben stehen, sehr aufgeregt vor Erwartung, und sah mit klopfendem Herzen nach der Eingangsthür des Saales.
Jetzt stürzt ein Kellner herein und winkt mit der Serviette, der sanfte College auf dem Orchester zupft die Halsbinde in die Höhe und gibt dem Dirigenten einen bedeutsamen Wink.
Die Thür öffnet sich und als Vater Schwämmle hereintritt am Arme seiner dicken Gattin, da schmettern die Trompeten, da wirbeln die Pauken und der ganze Saal hallt wieder von dem wüthenden Geschrei: Hoch lebe Schwämmle! – Hoch der Stadtrath Schwämmle! – Drei Mal donnernder Tusch, und drei Mal schreien die Ballgäste.
Die Orchester-Mitglieder haben sich würdig benommen, und namentlich der Paukenist, eingedenk der eben erhaltenen stadträthlichen Prise, hat gearbeitet, daß es klang, wie ein fern dahinziehendes Gewitter; ein solcher Moment muß das grausamste Herz erschüttern; ja, man bemerkte unten im Saale einige Schlachthaus- und Blutmenschen, die ebenfalls kräftig mitschreien; der sanfte College oben auf dem Orchester trommelt mit den Füßen, brüllt, daß er blau im Gesicht wird, und hat die goldene Schnupftabacksdose in der Hand, womit er alle Bewegungen des Taktstockes nachahmt; doch ist er vor Rührung und Hochgenuß beständig einen Vierteltakt voraus.
Vater Schwämmle aber, solchergestalt überrascht und namenlos gefeiert, ließ den Arm seiner dicken Gattin los, drückte die Hände vor seine Brust, als wollte er sagen: Seid umschlungen Millionen! und wischte sich alsdann die Augen, indem er auf diese Art pantomimisch ausdrückte: Laßt sie fließen, die Thränen der Wonne! Dann trat er vollends in den Saal, mehr von der Menge geschoben, als freiwillig gehend; rechts und links griff er nach den Händen, die sich ihm entgegenstreckten, und drückte immer mehrere zugleich an sein Herz; auch versuchte er einige passende Worte zu stottern, aber er zeigte auf sein Herz: dieses sei zu voll, und warf dann einen schwärmerischen Blick an die Decke des Saales, was soviel heißen sollte als: »Das will ich euch nie vergessen!«
Einige Augenblicke schwelgte der sanfte College oben im Anblick der Wogen von Glück und Ehre, in welchen der Stadtrath, sein Freund, da unten herumschwamm; dann aber, als er bemerkte, wie die Kraft des Schwimmers zu erliegen schien und die Fluthen liebevoller Aufmerksamkeiten über dem Haupt des Freundes zusammen zu schlagen drohten, gab er dem Orchester-Dirigenten ein Zeichen, worauf dieser eifrig auf seinen Notenpult klopfte, die linke Hand ebenfalls in die Höhe hob, sich um einige Zoll streckte, dann die Musikanten links und rechts herausfordernd ansah und beim Niederfallen des Taktirstockes eine lustige Polka losbrechen ließ, welche wie frischer Wirbelwind da unten in das nebelhafte Gewühl fuhr, den Menschenknäul auseinander trieb, die Paare ordnete und dem Stadtrath Raum und Zeit gab, sich aus dem erdrückenden Getümmel in die stille Heimlichkeit eines benachbarten Restaurationszimmers an der Hand seiner dicken Gattin zurückzuziehen.
Diese Restaurationszimmer, welche den Saal auf allen Seiten umgaben, waren ebenfalls schon ziemlich angefüllt, und der Stadtrath Schwämmle schritt zwischen den Tischen hindurch, rechts und links freundlich grüßend und mit einiger Freude die ehrerbietigen Blicke hinnehmend, welche ihm von allen Seiten gespendet wurden.
Auch diese Zimmer waren mit Gas beleuchtet, und die schlanken Messingröhren hingen von der Decke herab auf die Tische, bogen sich dann unten zierlich in die Höhe und ließen die weiße Flamme ausstrahlen.
Der Stadtrath hatte fast das Gemach erreicht, wo ihrem Range gemäß seine Gattin sich gewöhnlich aufzuhalten pflegte, als ihm die unerwartete Ehre zu Theil wurde, von einem andern Tische eingeladen zu werden. Dieser Tisch war besetzt von den Gattinnen einiger Regierungs- und Kanzleiräthe, welche, die Höchsten im Range der Bürgergesellschaft, gewöhnlich ein eigenes Zimmer behaupteten. Zwar blickten einige ebenfalls hier sitzende, schon ältliche Honoratiorentöchter verschämt auf ihre Teller, als sich die Metzgerstochter in ihrer Nähe auf einen Stuhl niederließ, doch war der Stadtrath heute einmal der Held des Tages, und so konnte man sich schon erlauben, ihn einigermaßen zu feiern, namentlich da der Präsidirende dieses Damen-Cirkels, der pensionirte Hauptmann von Müller, dem Stadtrath einen Stuhl neben den seinigen schob und ihm mit kräftigen Worten versicherte, die neue Gasbeleuchtung hier mache sich verflucht schön.
»Sehr schön! wirklich gut! außerordentlich schön!« bekräftigten die Damen im Kreise, und eine lange, dürre Hofräthin, die vor dem Theekessel saß, in weißem, zierlich ausgeschnittenem Kleid, fügte hinzu, indem sie der Stadträthin eine Tasse Thee reichte: »Ja, dieses helle Licht ist so geeignet für eine gutgewählte Toilette.«
»Eine herrliche Erfindung!« sagte der Hauptmann: »wie hätte man noch vor zwanzig Jahren gelacht bei der Behauptung, man würde heut zu Tage einen Saal mit Luft erleuchten! Denn das Gas, meine Damen, ist nur eine brennbare Luft, welche von dem Gasometer durch die Röhren getrieben wird.«
»Nur bei dem Tanzen soll es nicht ganz angenehm sein,« sagte eine der ältern Honoratiorentöchter, »es soll sehr heiß machen, man muß sich mit dem Tanzen in Acht nehmen.«
Sie wollte damit andeuten, als sei sie freiwillig und aus Furcht vor der Hitze des Gases sitzen geblieben.
Neben der dürren, nicht sehr schönen Hofräthin saß ein junger blasser Mensch von ungefähr zwanzig Jahren, ihr Sohn, was man aus einer erschreckenden Familienähnlichkeit deutlich sah. Dieser junge Mensch schien außerordentlich schüchtern und hatte seinen Stuhl so weit zurückgezogen, daß er kaum zwischen seiner Mama und einer sehr dicken Kanzleiräthin durchzublicken vermochte. So oft er von ersterer ermahnt wurde, einigen Thee zu genießen, streckte er seine Hand zitternd durch die kleine Lücke, die ihm geblieben, und Löffel und Tasse klapperten zusammen, während er einen furchtsamen Blick umherwarf, um zu erfahren, ob es auch Jemand bemerke, wie ungeschickt und unsicher er sich in dieser gewählten Gesellschaft benehme.
Er befand sich heute zum erstenmal auf einem Balle und hatte diesen Ort des Vergnügens wahrhaftig nicht aus freien Stücken gewählt; die Hofräthin jedoch, welche sein zwanzigstes Jahr als den passenden Zeitpunkt zum Eintritt in die Welt bestimmte, war trotz seines Bittens von dieser Idee nicht abgegangen und behauptete, er könne nur auf praktischem Wege seine Ungeschicklichkeit und seine Furcht vor dem weiblichen Geschlecht überwinden.
Der junge Mensch hatte den besten Tanzunterricht erhalten, einer der ersten Schneider der Residenz mußte ihm einen außerordentlich eleganten Ballanzug besorgen, und so saß er da im schwarzen Frack und weißen Glacehandschuhen und schauderte zusammen, so oft ein Kleid hinter ihm rauschte, denn da er noch sehr undeutliche Begriffe von den Gesetzen eines Balles hatte, so fürchtete er immer, von irgend einer tanzlustigen Dame in den Tanzsaal geschleppt zu werden – ein wehrloses Opfer zur Schlachtbank.
Ach! er hatte sich nie auf den heutigen Abend gefreut, die ganze vergangene Nacht hatte er kein Auge zugethan und immer von allerlei Entsetzlichem geträumt, das ihm begegnen würde. Bald trat er seiner Tänzerin auf den Fuß, bald riß er ihr die Schleppe vom Kleid herunter, bald stürzte er mitten im Saale hin und über ihn alle Tänzer und Tänzerinnen, einen großen Haufen bildend, wie es zuweilen bei den Buben auf der Schleifbahn vorkommt; ja, in den Morgenstunden der vergangenen Nacht hatte er ein noch viel schrecklicheres Gesicht: da träumte ihm, er stehe in einer Française, und als er sich genau besah, bemerkte er zu seinem größten Entsetzen, daß er seine – Unaussprechlichen zu Hause gelassen habe.
Aber trotz allem Widerstreben, trotz allem Bitten, ihm noch einige Jahre Ruhe zu gönnen, mußte er mit auf den Ball; und man klage die Mutter deßhalb nicht der Grausamkeit an. Sie hatte an ihrem Manne, dem Hofrath, das erschreckende Beispiel erlebt, was es heißt, einen Mann zu besitzen, der alle feinen Gesellschaften, alle großen Bälle, alle Tanzvergnügungen, alle Concerte floh und der nur Abends im Wirthshause hinter seinem Schoppen vergnügt war; sie wollte ihren Sohn nicht zu einem ähnlichen, unwürdigen Mitgliede der menschlichen Gesellschaft erziehen.
Die arme Frau hatte in ihrem Ehestand schon viel gelitten; um sogar in ihren jungen Jahren einen Ball zu besuchen, hing sie beständig von der Freundlichkeit, ja, von der Barmherzigkeit anderer Menschen ab; glücklicherweise war sie Hofräthin, zählte sich zur siebenten Rangklasse, weßhalb sämmtliche Sekretärs- und Revisors-Frauen es sich zur Ehre machten, in ihrer Gesellschaft zu sein. Jetzt aber war der Moment gekommen, wo sie nicht mehr von der Gnade der achten Rangklasse abhing, indem ihr Sohn in das Alter getreten war, in welchem er seine Mutter mit Anstand auf den Ball führen konnte, und dies war der zweite Grund, aus welchem sich der junge Eduard hier befand.
Die erste Polka zu tanzen, hatte er entschieden abgelehnt und horchte mit klopfendem Herzen in den Ballsaal hinüber; er wünschte, der Tanz möchte eine Ewigkeit dauern, denn für den zweiten, einen Walzer, hatte ihm die unerbittliche Mutter den Befehl gegeben, ins öffentliche praktische Leben einzutreten.
Man muß aber nicht glauben, daß der junge Eduard sich in seinem sonstigen bürgerlichen Leben mit einer ähnlichen Schüchternheit bewegte; vielmehr hatte er das Kneipgenie von seinem Vater ererbt; er fühlte sich im Wirthshause, in der Weinstube vollkommen an seinem Platze und bewegte sich allda mit größter Sicherheit. Auch dem weiblichen Geschlechte war er bis zu einer gewissen Rangklasse nicht abgeneigt; nur fürchtete er die verbindlichen Redensarten, die feinen Unterhaltungen, und in der Gesellschaft eines Kleides von Kattun oder Merino fühlte er sich weit behaglicher, als beim Rauschen eines seidenen Gewandes oder beim Flattern eines eleganten Ballanzuges.
Drinnen im Saale aber schnarrte die Violine, jubelte die Clarinette, und dazwischen stöhnte der Contrebaß und schien in beständigem Hader zu liegen mit den dumpfen Paukenschlagen, die immerfort bemüht waren, seine brummende Stimme zu übertönen.
Armer Eduard! Endlich war die Polka beendigt, und erhitzt vom Tanze, mit blitzenden Augen und glühenden Wangen flüchteten die Bürgerstöchter in die Restaurationszimmer und begaben sich allda unter die schützenden Fittiche ihrer respektiven Mütter und Tanten, um geduldig zu warten, bis beim Wiederanfange der Musik ein anderer Ritter die sanft widerstrebende Jungfrau aufs Neue vom Mutterbusen hinweg in den Wirbel des Tanzes reißen würde.
Auch an den Tisch, von dem wir eben sprachen, traten einige erhitzte Mädchen, und die ebenfalls dicke und vollbusige Tochter der Kanzleiräthin, ein munteres, lustiges Ding, lehnte sich auf den Stuhl ihrer Mutter, hinter welchem der unglückliche Eduard saß, und als sie nach einer Tasse Thee und nach einigem Backwerk langte, streifte sie bemerklich den schüchternen jungen Mann. Es schwamm ihm vor den Augen, wo er nichts sah, als einen entblößten Nacken, eine schlanke Taille und ein sehr füll- und faltenreiches Ballkleid. Zu Vermehrung seiner Bestürzung gab ihm die Mutter einige sehr bedeutsame Winke und zeigte mit dem Finger auf das Mädchen vor ihm, so daß sich Eduard nicht anders zu helfen wußte, als indem er aufstand und den pensionierten Hauptmann ersuchte, mit ihm einen Gang in den Saal zu machen. Die Mutter entließ ihn mit der ernsten Ermahnung, um keinen Preis den nächsten Tanz zu versäumen, und Eduard versprach es klopfenden Herzens.
Im Ballsaale wandelten unterschiedliche Gruppen von jungen Mädchen und jungen Herrn, fächelten sich mit ihren weißen Sacktüchern Kühlung zu und erholten sich von der gehabten Mühe. Aeltere Herrn hatten ebenfalls die Restaurationszimmer verlassen und betrachteten sich die jüngere weibliche Generation oder staunten an die Decke des Saals hinauf, wo der Kronleuchter in ungetrübter Herrlichkeit prangte.
Der Stadtrath Schwämmle und sein sanfter College gingen ebenfalls auf und ab, und ersterer bemühte sich, durch liebevolle, freundliche Worte, die er an Einzelne spendete, die Ehre einigermaßen zu vergelten, die ihm in Masse zu Theil geworden.
Der Hauptmann und der junge Eduard betrachteten sich die Damen; aber so oft der erstere auf eine Gruppe Mädchen lossteuerte, um seinen jungen Freund vorzustellen und ihn zu veranlassen, eine Tänzerin für den nächsten Walzer zu gewinnen, schauderte dieser jedesmal zurück und machte allerlei sonderbare Einwendungen. Endlich aber klopfte der Taktirstock auf dem Orchester bedeutsam aufs Notenpult – die jungen Damen geriethen in sichtbare Bewegung, die jungen Herrn stürzten wie Raubvögel auf sie los und in die Nebenzimmer, und dem jungen Eduard klopfte das Herz erschrecklich und es sauste ihm gewaltig in den Ohren – der Befehl der Mutter, der Walzer, der eben begann, die Ermahnung des Hauptmanns, ins Teufels Namen endlich zuzugreifen, alles das klang ihm wie Hohngelächter der Hölle, und er kam sich wie ein Verdammter vor, hinter dem die Himmelsthüre zugeschlagen ist, und der hinaus soll auf ein weites wogendes Meer, wo ihn vor dem fürchterlichen Falle nichts mehr erretten kann.
»Engagiren Sie, engagiren Sie!« rief der Hauptmann, »die Zeit verrinnt, der Walzer beginnt! Sehen Sie, dort stehen drei Damen, die, wie mir scheint, noch keine Tänzer haben; fahren wir auf das Centrum los, auf jenes hübsche blonde Mädel, und wenn diese schon versagt ist, so wenden Sie sich an die beiden anderen, nette, allerliebste Kinder.«
Der gute Hauptmann hatte auch nicht viel Ballkenntniß und schien durchaus nicht zu wissen, wie sich junge Damen zu geberden pflegen, die zu Anfang eines Walzers noch keine Tänzer haben; solche sehen schüchtern, aber dennoch auffordernd nach allen Seiten und gehen mit entschiedenen, aber sehr langsamen und kleinen Schritten einem Stuhle in der Ecke des Saales zu, breiten ihren Fächer aus, wenn sie einen besitzen, und sind es mehrere, so wandeln sie Arm in Arm dahin, mühsam aber hörbar lachend, als wollten sie sagen: »die unglücklichen Männer suchen Tänzerinnen und merken nicht, daß wir noch nicht engagirt sind.« Eine von ihnen schleift auch wohl muthwillig einen Walzerpas oder rennt unvorsichtiger Weise einem jungen Herrn in die Arme und sagt alsdann vielleicht, wenn der junge Mann sich entschuldigt: »Sie irren, ich bin noch nicht engagirt.«
Die drei aber in der Mitte des Saales, die da festen Fußes stehen und den Angriff des jungen Eduard erwarten, konnte man, mit einiger Ballkenntniß, nicht zu jenen zählen; sie erwarten den heranstolpernden jungen Menschen sicheren Blickes, und die kleine Blonde, der es nicht an Tänzern fehlen würde, wenn der Ball auch dreimal vierundzwanzig Stunden dauerte, wirft trotzig die Lippen auf, als der unglückliche Eduard jetzt vor ihr steht und etwas von nächstem Walzer und großer Ehre und vielem Vergnügen stammelt, sie macht einen Knix und bedauert, daß sie engagirt ist. Die beiden andern rechts und links, nachdem der jammervolle Blick des neuen Tänzers auf sie gefallen ist, knixen ebenfalls und bedauern ebenfalls, daß sie engagirt sind, und in dem Augenblick glaubt der junge Mann, daß sämmtliche Damen, die jetzt in den Ballsaal treten, ihm gleichfalls zuknixen und ebenfalls bedauern, daß sie ebenso engagirt sind, und alsdann knixen ringsum die Stühle und Bänke, und bedauern, ihm nicht helfen zu können, und dann knixen die Musikanten auf dem Orchester und scheinen zu sagen, sie müßten spielen, und dann knixen die Flammen auf dem Kronleuchter, weil sie leuchten müssen, und dann der pensionirte Hauptmann, und Eduard summt und wogt es im Kopfe, und er weiß nicht, wie er an den Theetisch zu seiner Mutter zurückkommt und auf seinen Stuhl hinfällt, beladen mit drei allerliebsten Körben.
Der Walzer beginnt und zornig strahlen die Augen der Hofräthin; umsonst erzählt der Hauptmann leise von der erlittenen Niederlage, umsonst bittet die dicke Kanzleiräthin ebenfalls leise, den jungen Menschen zu schonen, Alles umsonst; erzürnt richtet sich die Mutter empor in ihrer ganzen ansehnlichen Größe, mit einem Zornblick schmettert sie den Sohn noch tiefer hinab, verwandelt darauf durch ein äußerst sinnreiches Mienenspiel das erzürnte Antlitz in ein mildlächelndes und bittet die ihr gegenübersitzende, etwas ältliche Honoratiorentochter um die Ehre, mit ihrem Eduard den leider schon begonnenen Walzer zu tanzen.
Eduard, durch der Mutter Hand emporgeschnellt, stammelte etwas von Ueberraschung, Unmöglichkeit, doch legt dies die Dame ihm gegenüber als einen glühenden Wunsch aus, mit ihr zu tanzen, sie nimmt ihr Sacktuch zierlich in die Hand, kommt eilig dem jungen Manne entgegen und der pensionirte Hauptmann muß das Paar in den Tanzsaal begleiten.
Wie ein Fisch auf trockenem Sand schnappt der junge Mensch nach Athem, seine Kniee zittern ihm, er drückt krampfhaft die Hand seiner Tänzerin, welche diesen Druck freundlich erwiedert.
Jetzt treten sie in den Saal und alle Augen richten sich nach dem so spät eingetretenen Paar, welches die Rollen getauscht zu haben scheint; sie tritt siegreich einher mit erhabenem Kopfe, eine reife, stolze Sonnenblume, er wankt an ihrer Seite, eine geknickte Lilie. An der Stelle, wo sie in die Reihe der Tanzenden eintreten, steht Vater Schwämmle und er macht sich ein Vergnügen daraus, den Sohn der Hofräthin, indem er die andern Paare um Entschuldigung bittet, vorne hin zu stellen.
»Gleich kommt die Reihe an Sie,« flüstert der freundliche Stadtrath; die, welche gerade gewalzt haben, treten klopfenden Herzens in die hinteren Reihen, der Stadtrath zählt sechs neue Paare ab, voran den unglücklichen Eduard, der nicht mehr weiß, ob er sich in einem Tanzsaale oder sonst wo befindet; er könnte auf einem Caroussel sitzen, so täuschend und geschwind dreht sich Alles mit ihm herum; er macht einen krampfhaften Versuch, in ein Nebenzimmer zu entfliehen, doch seine Tänzerin hält ihn mit fester Hand.
»Wenn's gefällig ist,« sagt Vater Schwämmle, und wie ein Wirbelwind sausen die sechs Paare dahin; zuerst erhält Eduard einige Rippenstöße und gelinde Fußtritte von den Nachfolgenden und genießt dadurch ein momentanes Bewußtsein; auch wird er, so oft er beim Orchester vorbeirast, durch Trompetengeschmetter und Paukenwirbel zu sich selber gebracht, sonst hat er aber die Augen geschlossen, und es ist ihm zu Muth, als sänke er langsam unter in einem tiefen Wasser, allerlei Nixen mit blitzenden Augen, bloßen Armen, in weißen Kleidern, schweben neben ihm her, endlich kommt er auf den Boden dieses tiefen Wassers an und vermag es festen Fuß zu fassen; er schlagt die Augen auf, athmet mühsam, und erinnert sich endlich, daß er im Ballsaal ist; seine Tänzerin steht neben ihm und versichert, es sei nicht so ganz schlecht gegangen; der pensionirte Hauptmann kommt und sagt dasselbe.
Eduard, der mit Erstaunen bemerkt, daß er nicht niedergestürzt ist, daß er nicht ein halb Dutzend Kleider zerrissen hat, und daß an seinem eigenen Anzug auch nichts fehlt, fühlt sich wunderbar ermuthigt und gestärkt; es taucht, obgleich noch sehr undeutlich, eine Ahnung in ihm auf, daß das Tanzen doch am Ende ein Vergnügen sei, und als wieder die Reihe an ihn kommt, und als Herr Schwämmle wieder sagt: »Wenn's gefällig ist!« – da fühlt er nur ein gelindes Herzklopfen und ist wirklich schon im Stande, bei dem Umherwalzen einige Mal freiwillig die Augen zu öffnen.
Jetzt ist der Tanz zu Ende und die Tänzerin führt ihren Tänzer im Triumph zum Theetisch zurück. Mutter Hofräthin, welche die ganze Zeit über auf Nadeln saß, und mit banger Sehnsucht dem Ausgang des Kampfes entgegen sah, ist höchlich erfreut bei der Versicherung, daß Alles gut abgelaufen.
»Jetzt noch eine Française und eine Polka,« sagte das schelmische Mädchen, »und dann ist Herr Eduard für alle Zeiten eingetanzt.«
»Mit einer so vortrefflichen Lehrmeisterin,« versetzte lächelnd die Mutter, »kann es ihm nicht fehlen, daß er in kurzer Zeit einige Sicherheit erlangt. Eduard wird Sie, mein Fräulein, um die nächste Française und um die nächste Polka bitten.«
Eduard nickte mit dem Kopfe, und einige kaum verständliche Worte, die er hervorbrachte, sollten sagen, daß er sich außerordentlich glücklich schätzen würde, und obgleich man den Sinn dieser Rede errathen mußte, so verstand ihn das Fräulein doch vollkommen und erklärte sich bereitwillig, Française und Polka mit ihm zu tanzen.
Darauf machte der junge Eduard und der pensionirte Hauptmann abermals einen Spaziergang in dem Saale, und der erstere trat schon weit sicherer auf als früher; er vermochte es sogar, bei der kleinen, blonden Person von vorhin mit einem kalten Blicke vorüber zu gehen, und alsdann begaben sich die beiden Herren nach dem großen Büffet, um einige Gläser Punsch zu sich zu nehmen. Hier befand sich der junge Eduard nun schon mehr in seinem Element; er setzte sich mit dem Hauptmann an einen Nebentisch, pflanzte den Hut verwegen ans sein Ohr und trank einige Gläser des warmen und starken Getränkes hastig nach einander aus.
Auch der Hauptmann, der versicherte, daß ihm das Theewasser da drüben den ganzen Magen verdorben, nahm mehr von dem Punsche zu sich, als er hätte thun sollen, und in einer Viertelstunde – draußen wurde unterdessen die Masurka getanzt – befanden sich beide Herren in dem Anfang einer kleinen geistigen Erheiterung und wurden hiedurch so außerordentlich lustig und wohlgemuth, daß sie beschlossen, dieses erste Tanzdebut mit einer Flasche Champagner zu begießen.
Wenn man in der Aufregung, namentlich nach einem heftig angreifenden Tanze, einigen Punsch genießt und darauf Champagner trinkt, so kann es vorkommen, daß man in Folge dieser verschiedenartigen Genüsse zu allerhand lustigen Streichen aufgelegt ist. Umsonst fing drüben die Française an, umsonst ermahnte der Hauptmann mit einigen schwachen Worten, man solle die »alte Schachtel« nicht sitzen lassen und an den Zorn der Mama denken; der junge Eduard hielt es in diesem Augenblicke für weit passender, einige kleine Entdeckungsreisen in der Nachbarschaft des Tanzsaales anzustellen. Der Hauptmann gab nach, und die Beiden traten in ein anstoßendes Zimmer, wo sich ihnen ein sonderbarer Anblick darbot.
Sie geriethen nämlich in die Garderobe der Bürgergesellschaft, wo rings an den Wänden Mäntel und Ueberröcke, Kapuzen und Hüte aller Art hingen, jedes Stück mit einem Zettelchen versehen, auf welchem eine große Nummer zu lesen war.
Die Atmosphäre in diesem Zimmer war nicht gerade angenehm zu nennen: vom Büffet herein drang unterschiedlicher Punsch- und Weingeruch, und die Mäntel und Ueberröcke, die draußen in dem Regen und Schnee ziemlich naß geworden waren, gaben einen wohlbekannten feuchten Duft von sich, der mit dem oben erwähnten Geruch eine sonderbare Mischung hervorbrachte.
Inmitten dieses Gemachs aber hatte sich eine kleine Tanzgesellschaft gebildet, welche außerordentlich heiter und guter Dinge zu sein schien; es waren zwei Herren und drei Damen; der eine der Herren hatte eine Serviette unter dem Arm und leistete, wenn er gerade nicht mit Tanzen beschäftigt war, auf dem Balle die Dienste eines Kellners; der andere Herr aber, geliebter Leser, war Niemand anders, als der vortreffliche Herr Dubel, der bei Tanzgelegenheiten hier beschäftigt war, seine Kunst und seine Nadel der nothleidenden Menschheit zu widmen, das heißt, abgerissene Knöpfe anzunähen oder einen im Sturm des Tanzes defekt gewordenen Frackschoos zu repariren. Von den beiden Damen war die eine eine Nähterin, welche dem weiblichen Geschlecht der Ballgesellschaft dieselben Dienste leistete, wie Herr Dubel dem männlichen. Das zweite Mädchen war eine junge Dame aus der Stadt, die im Gasthofe, welcher zur Bürgergesellschaft gehörte, das Kochen erlernte; die dritte Dame, eine Putzmacherin, endlich saß auf einem Stuhle in der Ecke und schaute zu.
In diesen harmlosen Zirkel nun traten der junge Eduard und der pensionirte Hauptmann, als die zwei Paare sich gerade aufgestellt hatten, um nach den fern herüberklingenden Tönen der Tanzmusik eine Française zu eigenem Nutzen und Frommen aufzuführen.
Die Damen wollten sich beim Anblick der fremden Herren zurückziehen, doch holte der galante Hauptmann die Nähterin unter einem alten Mantel hervor, wohin sie sich geflüchtet, und der junge Eduard that also mit der Elevin der Kochkunst.
Nach einigem Sträuben stellten sich die beiden Paare wieder auf; auf einen ermunternden Rippenstoß des Hauptmanns engagirte der junge Eduard die Putzmacherin, dann trat der Hauptmann allein als viertes Paar ein, und der Tanz begann zum großen Vergnügen sämmtlicher Anwesenden.
Wie fühlte sich der junge Eduard so behaglich in diesem Zirkel, wie war die Putzmacherin charmant, und wie leicht tanzten die Nähterin und die Elevin, wie amüsant war erst der Kellner und der Herr Dubel! Namentlich der Letztere machte so kühne, herausfordernde Sprünge, Entrechats und Pirouetten; er und der Kellner steigerten einander und überboten sich; aber Dubel blieb der Held des Abends, und bei jeder beendigten Figur schwenkte er seine Tänzerin im Kreise, daß die Röcke flogen, und ließ sich, nachdem er ihr auf solche Art seine Kraft und Ueberlegenheit gezeigt, sanft auf ein Knie nieder, der siegreiche Ritter vor der zarten Dame.
Auch Eduard war wie ausgewechselt, er hatte den Hut keck auf ein Ohr gesetzt, bald steckte er seine Hände in die Hosentaschen, bald schritt er an der Hand der Putzmacherin mit einer Sicherheit, die erstaunend war, und als nun gar der pensionirte Hauptmann einen Damenmantel von der Wand nahm und mit diesem tanzte, als sei es eine menschliche Figur, da stieg der Jubel auf die höchste Höhe.
Leider endigte aber in diesem Augenblick die Française drüben, und der junge Eduard, der sich jetzt zu amusiren anfing, beredete die Anwesenden leicht, einigen Punsch zu sich zu nehmen und dann die nächste Polka ebenfalls en petit comité zu genießen.
Mittlerweile hatte sein Verschwinden drüben am Theetische keine geringe Bestürzung hervorgerufen; seine ihm von der Mutter oktroyirte Tänzerin war gänzlich außer sich; denn da sie zuversichtlich auf Eduard wartete, so hatte sie ein anderes Engagement zur Française abgelehnt, – ein Fall, der ihr lange nicht vorgekommen war, und sie blieb nun doppelt sitzen. Die Hofräthin, welche begreiflicher Weise in dem Ausbleiben ihres Sohnes nur übergroße Angst und Schüchternheit erblickte, dachte trotzdem auf eine scharfe und exemplarische Bestrafung, und so oft sich nach Beendigung des Tanzes ein Männertritt im Zimmer hören ließ, richtete sie sich in voller Majestät empor.
Aber Eduard kam immer nicht; die Polka begann, er blieb aus; zu dem Zorn der Mutter gesellte sich die Besorgniß, es könnte ihrem einzigen Sohne ein Unglück zugestoßen sein. Die Polka nahm ihren Fortgang, im Tanzsaale unter rauschender Musik ausgeführt von einigen vierzig geputzten und geschmückten Paaren, und im Nebenzimmer des Büffets ausgeführt von der kleinen Privatgesellschaft in größter Ausgelassenheit, wozu der neu angeschaffte Punsch das Seinige beigetragen. – –
Sogar die schweigsame Stadträthin Schwämmle fand nun das Benehmen des jungen Eduards unbegreiflich, und die Honoratiorentochter that, als sei ihr so etwas in ihrem ganzen Leben nicht begegnet.
Als nun auch die Polka beendigt war und kein Eduard erschien, beschloß die Hofräthin, ihren Sohn aufzusuchen; sie nahm die unglückliche Verlassene an ihren Arm und betrat den Tanzsaal mit erhobenem Haupte und tiefem Schmerz in ihren Zügen. Zuerst spähte sie in den Winkeln des Saales umher; denn sie glaubte nicht anders, als dort ihren Sohn zu finden, zerknirscht in einer Ecke sitzend und still weinend aus Furcht vor dem mütterlichen Zorn.
Der Ballsaal war nicht mehr in der hellglänzenden und jungfräulichen Frische, wie vor einigen Stunden; ein feiner Staub und Duft erfüllte die Räume und verdunkelte die Lichter, welche überhaupt außerordentlich trüb zu brennen anfingen.
Der Stadtrath Schwämmle und sein sanfter College betrachteten den Kronleuchter, an welchem die Flammen bald ungewöhnlich hoch flackerten, bald mehr in sich zusammensanken, als gerade nothwendig war; auch brannte das Gas nur hie und da weiß und klar, meistens aber dunkelroth und mit unheimlichem Feuer.
Tänzer und Tänzerinnen bemerkten dies aber weniger, denn sie wogten während der großen Pause, die jetzt eingetreten war, plaudernd und lachend durcheinander; dort zog eine Schaar Mädchen, sechs bis acht, Arm in Arm, lustig und heiter, und vor ihnen tänzelten junge Herrn und sagten ihnen alle erdenkliche Artigkeiten; hier führte ein alter Herr seine ebenfalls schon ältliche Tochter spazieren und pflichtete derselben vollkommen bei, die Bürgerbälle seien das nicht mehr, was sie früher gewesen: keine gesetzten Tänzer mehr, die sich um gebildete junge Mädchen bekümmerten, sondern nur naseweises junges Volk, kaum der Ammenstube entwachsen, eine wahre Kleinkinder-Bewahr-Anstalt.
In der Mitte des Saals trieb eine stattliche Mutter mit stolz erhobenem Haupte ihre vier erwachsenen Töchter vor sich her. Diese hatten ebenfalls den Kopf hoch und stolz erhoben, und wie alle fünf dahinzogen in ihren weißen, bauschigen Kleidern, hätte man sie für Schwäne halten können, wenn sie schweigsamer gewesen wären.
Weiter hinten bemerkte man eine Anzahl junger Damen, welche zu zwei und zwei in einer Reihe hinter einander gingen und durchaus keinen der jungen Herrn zu beachten schienen; jetzt aber wurden die ersten von mehreren Tänzern angeredet und blieben plötzlich stehen; die nachfolgenden hätten ganz gut an der Seite vorbei gekonnt, aber sie blieben auch stehen und prallten an die ersten an, und die dritten prallten an die zweiten, und die vierten an die dritten und so fort; es war ein Anprallen, ein Lachen und Kichern, das höchst amüsant war – »und wie bin ich erschrocken!« sagten die Einen, »und wie haben Sie mich gestoßen!« sagten die Andern, und das ging so fort, bis sämmtliche Damen mit sämmtlichen Herrn, die sich hier zufällig begegneten, in ein eifriges Gespräch verwickelt waren.
Aber Eduard kam immer nicht. – – –
Die Pause war vorüber, der Staub durch ausgesprengtes Wasser niedergeschlagen, und die unglückliche Mutter suchte immer noch vergeblich ihren Sohn; da fügte es das Schicksal, dessen unerbittliche Hand ausgestreckt schwebt über dem Haupte der Menschen und unberufen und oft schrecklich die Zügel des Lebens erfaßt oder den Schleier von schauerlichen Thaten hinwegzieht, – da fügte es das Schicksal, daß die Hofräthin auf einen Knäul von Herren aufmerksam wurde, die in eifrigem und leidenschaftlichem Gespräche an der Eingangsthür des Saales standen, dort, wo es zum Büffet hineingeht, und es fügte sich ferner, daß aus diesem Knäul der Stadtrath Schwämmle mit erhitztem Gesicht heraustrat und auf die Hofräthin zuschritt, sie im Namen der Gesellschaft feierlichst ersuchend, dem Benehmen ihres Sohnes Einhalt zu thun, der im Begriffe sei, etwas Entsetzliches zu begehen.
Ahnungsvoll, aber gefaßt, trat sie näher, und wie die Schaaren der Erwachenden am jüngsten Tage ihre dichten Reihen dem Engel des Gerichts öffnen, so öffnete sich der Knäul der jungen Herrn im Ballsaal vor der heranschreitenden zitternden Mutter, und sie sah das Entsetzliche, sie sah das namenlose Unglück, die Schmach, welche ihr Sohn ihrem Namen, ja, der ganzen Bürgergesellschaft angethan! – –
Der junge Eduard stand in der Eingangsthür zum Büffet mit ungeheuer freundlichem und lächelndem Gesichtsausdrucke, und an einem Arme hatte er die sich sträubende Putzmacherin, an dem andern Arm die sich ebenfalls sträubende Nähterin, und obendrein hatte er das Gräßliche begangen, dem Stadtrath Schwämmle einige Grobheiten zu sagen, als er ihn aufmerksam machte auf die Unschicklichkeit, welche er zu begehen im Begriffe sei.
Die Honoratiorentochter wollte bei diesem Anblicke in Ohnmacht fallen; da sie aber keinen Stuhl neben sich sah und keine bereitwillig geöffneten Arme, so ließ sie es vor der Hand bleiben; doch war es ihr in diesem schrecklichen Augenblicke, als werde es im Ballsaale dunkler und immer dunkler; die unglückliche Hofräthin hatte dasselbe Gefühl und kam auf die Vermuthung, auch sie müsse unbedingt eine Ohnmacht anwandeln, denn es flimmerte ihr nebelhaft vor den Augen; aber auch den jungen Herren, die umher standen, flimmerte es nebelhaft vor den Augen, und der Stadtrath und sein sanfter College sahen mit Entsetzen, daß die Flammen des Kronleuchters sich unendlich lang streckten und dann zu kleinen blauen Punkten zusammenschmolzen.
»Entsetzlich!« kreischten viele Damen, und die fette Kanzleiräthin, die ebenfalls gefolgt war und an deren Mutterbusen sich die dicke Tochter ängstlich verbarg, sagte erschüttert, indem sie auf das überall verschwindende Licht zeigte: »Es ist kein Wunder, wenn erschreckliche Zeichen geschehen an einem Orte, wo Putzmacherinnen und Nähterinnen in der Gesellschaft anständiger Leute erscheinen.«
Lieber Leser! hast du je eine Abbildung gesehen, wie bei dem großen Diner des hochseligen Königs Sardanapal die Finsterniß das Licht des Tages verschlang und die entsetzte, schauernde Menschheit sich gegenseitig an die Brust flüchtete, um Schutz zu suchen gegen die hereinbrechenden Schrecken der gewaltigen Natur? So ungefähr sah es in diesem Moment auch in der Bürgergesellschaft aus: noch einmal zuckten die Flammen gespenstig lang mit blauem, flackerndem Licht und zeigten die entsetzten Züge der erschrockenen Ballgesellschaft, die sich ohne Ansehen der Person, des Ranges und Geschlechts gegenseitig an die Brust flüchtete, – dann ging es wie ein Seufzer rings umher, es zischte und prasselte aus den Röhren, ein Angstruf erscholl und – tiefe Finsterniß herrschte im ganzen Hause. – –
Stadtrath Schwämmle-Sardanapal hielt mit Mühe die unglückliche Hofräthin aufrecht und sah mit brechendem Auge, wie mehrere Schlachthaus- und Blutmenschen, hohnlachenden Larven gleich, mit angezündeten Talglichtern in den Saal sprangen; die Honoratiorentochter aber stürzte schreiend durch das Büffet in das Garderobezimmer, und als sie auch dort keinen Stuhl erblickte, wohl aber die geöffneten Arme des Herrn Dubel, so fand sie diesen Moment äußerst passend, in wirkliche Ohnmacht zu fallen;– – wie lange sie, die geknickte Blüthe, dort in den Armen des Schneiders ruhte, werden wir später erfahren.