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Die Gebäude des königlichen Marstalles, obgleich sie in stattlicher Länge und Ausdehnung dalagen, sahen neben dem hohen, imposanten Schlosse durchaus nicht schön und bemerkenswerth aus; sie waren außerordentlich lang, einstöckig mit einer hohen Mansarde, hatten kleine Fenster und waren mit blaßgelber Farbe angestrichen.
Wenn man dagegen seine Scheu vor dem weißen Plakat, das an dem Thore prangte und auf welchem deutlich zu lesen stand, daß für Jedermann, der nichts hier zu thun habe, der Ein- und Durchgang verboten sei, überwand und in die Ställe trat, so mußte man gestehen, daß die Pferde eine recht beneidenswerthe und angenehme Wohnung hatten; namentlich an frostigen Tagen oder wenn draußen Schnee und Winterregen fiel, mochte wohl schon Mancher die Pferde in ihrer behaglichen Stallung und der thierischen Gesellschaft um die sanfte Wärme, die hier herrschte, beneidet haben.
Die Ställe waren außerordentlich hübsch und geschmackvoll eingerichtet; jedes Pferd hatte seinen besonderen Stand, und eins war von dem andern durch feststehende Barrieren getrennt. In jedem dieser Ständer befand sich eine steinerne, glatt geputzte Krippe, eine hübsche Raufe aus Gußeisen, der Boden war gepflastert, und wo diese kleine Wohnung für jedes einzelne Pferd hinten endigte, war ein zierliches Rohrgeflecht angebracht, welches auf dem Boden auflag und jedes Pferd, wenn es darauf trat, sanft erinnerte, daß hier die Gränzen seines Reiches seien und es nicht weiter zurückgehen dürfe.
Ueber jedem Stande hing eine Tafel, worauf der Name des Bewohners verzeichnet war, und wenn man diese Namen las, so konnte man glauben, man sei in die Götter- und Heldenzeit versetzt und befinde sich in einem mythologischen Reitstall. Da waren Jupiter und Juno. Mars und Venus, Kastor und Pollux, Achill, Ulysses, Ajax u. s. w. Auch die Namen berühmter Orientalen sah man hier, und neben Achmet und Bairactar sah man Tamerlan, Roxana und Soliman.
Am allerbehaglichsten war der Marstall Nachmittags um drei und vier Uhr, wenn die Pferde ihr Diner beendigt hatten, wenn das Heudessert verspeist war und die Thiere einer angenehmen Siesta oblagen; alsdann gewährten die ruhig dastehenden und still vergnügten Pferde in der feierlichen Stille, die sie umgab, einen höchst angenehmen Anblick; in dem mittleren Gange des Stalles, der mit dem technischen Ausdruck die Stallgasse heißt, war Alles schön aufgeräumt, man sah kein Geräth umherstehen, das nicht hieher gehörte, das nothwendige Lederzeug war an den Pfeilern der Stände zierlich aufgehängt, und wenn man so die Stallgasse hinabsah, bemerkte man nichts, als die vollen Schweife der Pferde, die vergnügt hin und her wedelten, und sah im Vorbeigehen hier einige mit gesenkten Köpfen und träumend dastehen, während andere leise zusammenflüsterten und allerlei unbekannte, seltsam klingende Töne ausstießen. Im Ganzen herrschte alsdann eine feierliche Stille, welche heute noch erhöht oder recht fühlbar wurde durch ein einfaches Lied, welches am untern Theile des Stalles von einer Stallwache gepfiffen wurde.
»Wenn die Schwalben heimwärts ziehen«
klang es in melancholischen Tönen und lullte die schläfrigen Pferde in tiefe und sanfte Träume von ihrer südlichen Heimath; denn alle, wie sie hier standen, waren arabischem Geblüt entsprossen.
Von dem Künstler jedoch, der dieses Lied vortrug, war nichts zu sehen; er hatte sich vielleicht nach beendigtem Mittagessen in einen großen Haufen Stroh gelegt und hielt pfeifend ebenfalls seine Siesta.
Das einzige menschliche Wesen, das wir demnach hier erblicken, war ein junger Mann in der Livree der königlichen Stallleute, welcher in der Mitte der Stallgasse auf der großen Futterkiste saß und mit seinen Sporen zum oben erwähnten Liede klirrend den Takt schlug.
Der junge Mann war groß und schlank gebaut, hatte hellgelbe Lederhosen an und Kappenstiefel dazu, der obere Theil seines Körpers befand sich in Hemdärmeln, und die Kleidungsstücke, welche solchergestalt fehlten, lagen hübsch zusammengefaltet neben ihm auf der Kiste, nämlich eine rothe Weste, ein blauer Rock und auf demselben ein Paar Zügel; der lakirte Hut stand neben ihm auf einem Schemel und in demselben die große Wagenpeitsche.
Dies alles deutete darauf hin, daß der junge Mann im Begriffe sei, einen Dienst anzutreten, und es ward diese Absicht noch bestätigt durch den Anblick eines Paars mächtiger Schimmel, die der Futterkiste gegenüber vollkommen angeschirrt und in ihren Ständern herumgedreht standen, so daß die Köpfe in die Stallgasse schauten.
Diese Schimmel schienen es durchaus nicht angenehm zu finden, daß man im Begriffe war, sie aus der behaglichen Wärme des Stalles und der noch nicht beendigten Siesta an den Wagen zu spannen; denn sie schüttelten unwillig mit ihren Häuptern, steckten die Mäuler zusammen und schienen durch heftiges Schnauben ihren Unwillen über diese Ungerechtigkeit auszudrücken; auch stampften sie zornig mit den Hufen und schlugen hie und da an die Bretterwand, daß es dröhnte, so daß sich der Kutscher ihnen gegenüber mehrere Mal genöthigt sah, sie mit einigen passenden Worten zur Ruhe zu verweisen.
Dieser schien sich nebenbei für die vorhabende Fahrt mit einem kleinen Vesperbrode zu stärken und hatte zu dem Zweck auf den Knieen einen großen Laib Brod, von welchem er von Zeit zu Zeit ein tüchtiges Stück abschnitt, neben ihm auf der Futterkiste stand ein Schoppenglas mit weißem Wein, das er zuweilen bedeutsam in die Höhe hob und durch dasselbe, sowie durch das Stallfenster an den grauen Winterhimmel hinaufsah, als vergleiche er die Flüssigkeit im Glase mit der Flüssigkeit draußen, die in Gestalt von weißen Schneeflocken lustig in der Luft herumtanzte. Nach einer jeden solchen Betrachtung nahm er einen tüchtigen Schluck und wischte sich alsdann mit der umgekehrten Hand den Schnurrbart.
»He, he! alter Pluto!« rief er jetzt zu den Pferden hinüber, die neue Zeichen der Ungeduld gaben, »kann das alte Vieh nicht einen Augenblick stehen? kommst noch früh genug in den Schnee hinaus, wirst's schon noch satt kriegen, alte Creatur!« Und dann seufzte er in sich hinein: »Heute wird das Fahren wieder einmal kein Ende nehmen, ungefähr sechs bis acht Visiten – mit der ersten Hofdame,« zählte er an den Fingern, »dann mit der Kammerjungfer ein neues Kleid beim Schneider holen, vielleicht auch in die Leihbibliothek, um ein altes Buch heranzuschleppen, dann auf den alten Ball, das wird wieder eine schöne alte Geschichte werden! – Tibull!« rief er wieder zu den Pferden hinüber, »kann der alte Gaul keinen Augenblick still stehen? wart, ich werde ihm einen Besuch machen!«
Mittlerweile hatte sich die Stallthüre langsam geöffnet und eine ärmlich, aber reinlich gekleidete Frau mit gebeugtem Rücken, etwas hinkend, schlich herein und sah sich, wie sie die Stallgasse herunter kam, schüchtern und vorsichtig und nach allen Seiten um. Hiebei faßte sie hauptsächlich die Schilder über den Pferdeständern ins Auge, und als sie schon von Weitem sah, daß »Tibull« und »Pluto« zum Herausziehen fertig dastanden, beschleunigte sie ihre Schritte und pätschelte einen Augenblick die Köpfe der Schimmel, ehe sie sich nach dem Futterkasten umwandte, von welchem der junge Kutscher lächelnd zuschaute.
»Ich hatte nicht geglaubt, dich hier im Stalle zu finden, Joseph,« sagte die alte Frau, und der Kutscher entgegnete:
»Ich hatt' es auch vor einer Stunde noch nicht geglaubt. Was macht die alte Frau, was läuft Sie in dem alten Schneewetter herum?«
»Ei nun,« entgegnete dieselbe, »was soll ich zu Haus den ganzen Tag Holz verbrennen! Ich hab' nach ein paar Leuten gesehen, und jetzt wollt' ich wissen, was du machst, und ging glücklicher Weise durch den Stall, weil es da so angenehm warm ist, und bin nun froh, dich hier zu finden.«
Der Leser kann unmöglich errathen, wer die alte Frau sei; denn obgleich sie ihm bereits vorgestellt wurde, so geschah dies doch nur bei Nacht und Nebel in aller Schnelligkeit, weßhalb wir uns erlauben müssen, zu sagen, daß wir die Frau Winklere vor uns haben, sowie ihren Sohn, den königlichen Kutscher.
»Aber alte Frau,« entgegnete der junge Winkler, »Ihr wißt, daß der Durchgang durch den königlichen Stall verboten ist, und wenn Euch der alte Stallmeister sieht, so wird er sagen: »Alte Weiber gehören vor allen Dingen nicht in den Stall.«
Nach dieser Ermahnung, die durchaus nicht so ernst gemeint war, hielt der Kutscher sein Glas abermals gegen das Stallfenster, diesmal prüfend, ob er von dem Weine etwas abgeben könne. Doch schien das Resultat dieser Prüfung günstig auszufallen, denn er reichte das Glas seiner Mutter hin: »Trinkt einmal, alte Frau, es ist ein vorzüglicher Achter; wollt Ihr auch ein Stück von dem alten Brod?«
Die Frau Winklere nahm Beides dankbar an und trank mit sichtlichem Behagen einen Schluck von dem vorzüglichen Achter; eine längere Pause entstand, während welcher der Kutscher in das Schneegestöber hinaussah, die beiden Schimmel die Ohren gespitzt hatten, indem sie ebenfalls nach einem Stück Brod lüstern waren, und die unsichtbare Stallwache, jetzt aber in einer andern Tonart, die Schwalben fortwährend heimwärtsziehen ließ.
»Hat's geschmeckt, alte Frau?« sagte der Kutscher gutmüthig lachend; »na, trinkt den Wein nur aus, es thut Eurem alten Körper wohl, und dann sagt, wo kommt Ihr eigentlich her? wart Ihr bei der Frau Welscher, was macht das alte Kind? ich wollte sagen, das Kind von der Marie; sitzt's hinter dem Ofen und freut sich, daß es einmal in einem warmen Zimmer ist, der arme Wurm? In meiner nächsten Zeit, die ich zum Ausgehen habe, werde ich die alte Welscher besuchen; in vollster Uniform werde ich sie besuchen, ich werde auf der Treppe mit den Sporen tüchtig klirren, daß sie im ganzen Hause ihre alten Thüren aufreißen und mit Erstaunen sehen, wie auch Leute vom alten Hof sich nach dem Kinde erkundigen. Wird die alte Welscher es bei sich behalten?« fragte er alsdann hastig, setzte aber, ohne eine Antwort abzuwarten, hinzu: »Seht, alte Frau, die Marie – Gott hab' sie selig – hat manchen dummen Streich gemacht, aber der allerdümmste von ihren Streichen war doch, daß sie, als das alte Kind nun einmal da war und als es laufen konnte, mit dem Steinle, Ihr wißt, den vom Stalle – war freilich nur ein Vicarier, – kein Verhältniß anfangen wollte; der Steinle hat geweint, wie ein alter Schloßhund, und hat bei der Collekte, die wir für das arme Kind zusammen gebracht, einen ganzen Gulden gegeben; jetzt haben wir doch schon vier Gulden und dreißig Kreuzer, und am Ende des Monats, ich kann leider für heute nichts thun, lege ich noch einen Gulden und dreißig Kreuzer darauf, das macht sechs Gulden.«
»Nein, nein!« sagte die Frau Winklere, »du kannst den Monat nichts mehr geben, du hast ja meine Hausmiethe bezahlt und schon Anfangs vierundzwanzig Kreuzer zur Collekte gethan; du kannst nichts mehr geben, – o Gott, wenn ich doch wieder was verdienen könnte! Du ziehst dir ja an deinem Munde ab, was du mir zahlst – ach Gott! wenn ich nur wieder dazu komme, etwas verdienen zu können! Wo bin ich in diesen vier Tagen nicht als herumgelaufen und hab' doch nichts, wie eine armselige kleine Hoffnung.«
»Heult nicht so, alte Frau,« sagte der Kutscher; »so lange was da ist, geb' ich Euch gern, was thu' ich sonst mit dem alten Gelde? So Gott will, bekomm' ich nächstens vier Gulden Zulage, und dann wird's schon besser gehen.«
»Ich habe mir immer gedacht,« fuhr die Frau betrübt fort, »du willst einmal zum Stadtrath Schwämmle hingehen; der ist ein Mann, der bei der Stadt viel vermag und der so allerhand kleine Dienstchen zu vergeben hat; auch ist er im Grunde Schuld an unserem ganzen Unglück, denn er hat eigentlich die Gassenbeleuchtung angefangen; du nimmst ein Herz, und gehst zu ihm, – und dies that ich und sagte: Herr Stadtrath, ich bin eine arme, alte Frau und bin durch das Gassenlicht brodlos geworden; es gibt freilich viele arme Frauen, die ebenfalls brodlos geworden sind, aber ich habe einen Sohn, Herr Stadtrath –«
»Nun, was soll da herauskommen?« sagte der Kutscher, neugierig und streng aussehend.
»Ich hab' einen Sohn,« fuhr die Frau fort, »und dieser Sohn ist im königlichen Leibstall, Herr Stadtrath, und dieser Sohn ist ein braver Mensch, Herr Stadtrath, – du brauchst nicht zu lachen, Joseph, – und dieser Sohn, Herr Stadtrath, gibt mir mit Gewalt, was er erübrigen kann, und sehen Sie, das geht nicht bei einem königlichen Bedienten, Herr Stadtrath, ein königlicher Diener braucht alles, was er bekommt, und muß immer sauber und anständig einhergehen, namentlich die vom königlichen Stall, Herr Stadtrath, und wenn sich die vor den Augen des Stallmeisters nicht immer ordentlich sehen lassen, da kommen sie in Mißachtung und werden hintenan gesetzt, Herr Stadtrath, und bekommen keine Zulage und affeziren nicht und gehen zu Grund, und dann ist das Unglück erst vollständig da.«
Die Frau war bei dieser Rede sichtlich bewegt geworden und wischte sich mit ihrem Schürzenzipfel die Augen; der Kutscher aber trommelte heftig mit seinen Sporen auf dem Futterkasten und bekämpfte eine ihm unmännlich scheinende Rührung mit Gewalt.
Die Frau fuhr in ihrem Berichte fort »Und wie heißt Sie?« fragt der Herr Stadtrath Schwämmle, – Ich bin die Frau Winklere, sage ich. – Und Ihr Sohn heißt auch Winkler? sagt er, und antworte ich: Das will ich doch meinen, und dann sagt er: Schau, schau, das ist also der Reitknecht Winkler, Ihr Sohn; ei, ei, das trifft sich ja ganz hübsch, sagt er, ein sehr gewandter Bursche, ein braver Reitknecht.«
»Aha!« lachte Joseph, »jetzt fällt mir ein, warum der mich lobt.«
»Ihr wißt, Frau Winklere, sagte der Stadtrath zu mir, daß wir vor zwei Jahren die Prinzessin Karolina einholten in feierlichem Aufritt, und damals war ich noch nicht Stadtrath und ritt ein Pferd, das äußerst unbändig und scharf war, dazu die Musik, die vielen Fahnen, all' das Volk, das Hurraschreien – nun, da hat mir Ihr Sohn einen wesentlichen Dienst geleistet.«
Der Kutscher lachte bei diesen Worten so unbändig, daß er mit seinen Händen die Seiten halten mußte, und schrie so lustig auf, daß Tibull und Pluto in ihrem leisen Gespräch plötzlich verstummten, und daß sogar das Schwalbenlied auf einmal abgebrochen wurde.
»Der alte Schwämmle,« sagte er und wischte sich die Thränen aus den Augen, »der Herr Schwämmle saß gar zu komisch auf seinem Pferde, die Knie hoch an den Hals hinaufgezogen, die Fußspitzen abwärts, die Sporen hinter dem Sattelgurt vergraben, und das gequälte alte Vieh machte einen Bocksprung um den andern; da kommen wir vorbei gesegelt in vollem Galopp, hinter dem Prinzen Eugen eine zahlreiche Suite, und das klapperte und klirrte auf dem Pflaster, daß einem das Herz im Leibe lachte; ich ritt damals solch einen wilden alten Hengst, schneidig wie der Teufel, kaum vierjährig und das alte Vieh macht immer nur Sätze von sechs Ellen; so fuhren wir wie das Donnerwetter durch die berittenen Kaufleute, und der alte Schwämmle, dessen Pferd die Sache gefiel und das mit uns davon wollte, zog die Zügel unmenschlich kurz an – jetzt steigt der Gaul, gerade wie ich neben ihm bin, und ich denke bei mir: du altes Vieh brauchst auch wegen ein bißchen Haber nicht so wild zu thun, und der Schwämmle seufzte: um Gottes willen, halten Sie mein Pferd einen Augenblick! und ich, mitleidig, wie ich immer bin, parire meinen alten Hengst auf dem Pflaster, haue dem Gaul des Schwämmle Eins mit dem Knopf der Reitpeitsche über die Nase, daß er den Kopf zwischen die Füße streckte, dann fasse ich den Stadtrath am Arm, zeichne dem Gaul noch Eins über die Croupe und rufe: er solle in's Teufels Namen seine alten Sporen herausziehen, ich meinte natürlich aus dem Sattelgurt, der Schwämmle aber verstand die Geschichte anders und ließ sich von ein paar Leuten, die herzu sprangen, in der Geschwindigkeit die Sporen aus seinem alten Absatz herausreißen, und von dem Augenblick an ging der alte Gaul ruhig. Ja, so ein Sporn ist ein gefährliches Ding für Jemand, der es nicht versteht.«
Die Frau Winklere schlug die Hände zusammen und sagte freudig lachend: »Ei der tausend, das hast du mir ja noch gar nie erzählt; deßhalb war der Stadtrath so freundlich, sieh, sieh! und deßhalb hat er mir Hoffnung gemacht auf einen kleinen Erwerb; er sagte nämlich, es sei eine kleine Stelle bei der Bürgergesellschaft offen, um die vierteljährigen Beiträge einzukassiren, und die könne er mir vielleicht verschaffen; obendrein, setzte er hinzu, wollten einige Herrn eine concertive Zeitung gründen, und da könnte ich vielleicht als Austrägerin hinkommen – aber warum hast du mir die Geschichte nie erzählt?«
Der Kutscher hielt wiederholt sein Glas gegen das Fenster, und während er freundlich mit einem Auge dazu blinzelte, ließ er die Weintropfen, die sich jetzt noch in demselben befanden, in einer Ecke zusammenlaufen, verhalf sich zu diesem spärlichen Reste und sagte alsdann: »Es gibt manche Dinge, alte Frau, die man nicht gleich wieder erzählt, ich hatte den Morgen noch eine Geschichte, die für mich viel angenehmer war. Wie ich dem alten Schwämmle geholfen und nun so dahin fegte, um die alte Suite wieder einzuholen, da stand mein Schatz, das heißt mein jetziger Schatz, die Sophie, am Fenster, und wie sie mich so daher kommen sah, so hat sie mir später gestanden, habe es in ihrem Herzen lebhaft gesprochen: der und kein anderer! und Ihr wißt, alte Frau, auf die Sophie kann ich mir was einbilden.«
»Das ist wahr!« sagte die Winklere und schaute mit mütterlichem Stolze recht hochmüthig um sich; »da ist Keiner vom ganzen Stall, der mit einem solchen Mädchen Bekanntschaft hat, nicht einmal der Oberbereiter.«
Der Kutscher, welcher dieses Gespräch beendigen zu wollen schien, sagte jetzt, indem er von der Futterkiste herunter stieg: »Ihr habt mir aber noch gar nicht gesagt, ob die alte Welscher das Kind bei sich behalten will, oder was mit dem Wurm geschehen soll.«
»Das habe ich wirklich noch nicht gesagt?« sagte die Frau eifrig; »nun freilich will sie es behalten, ach Gott! Die Welscher ist eine so brave Frau, und auch die Jungfer Kiliane ist recht brav, sie hat dem Kinde einen Dukaten geschenkt, um ihm etwas machen zu lassen, und will auch mit für dasselbe sorgen.«
Der Kutscher nickte vergnügt mit dem Kopfe, zog alsdann eine dicke silberne Uhr heraus und überzeugte sich mit einem Blicke, daß es Zeit sei, an seinen Dienst zu gehen; doch hielt er sie zuvor an sein Ohr, um zu hören, ob sie nicht zufällig stehen geblieben sei, dann sagte er: »die Welscher hat's von ihrem Manne, dem alten Welscher; seh' Sie, Frau, das war ein Kutscher, der drehte mit Vieren auf einem Teller um, hieb Euch mit der Peitsche einen Achter in die Luft, daß man ihn nachher noch deutlich sehen konnte. Ich hab' als kleiner Bub' das Fahren von ihm gelernt und manche Ohrfeige von ihm bekommen. Als er gestorben war, soll Se. Majestät der König Sr. Excellenz dem Oberststallmeister gesagt haben: »›Geben Sie Acht, alter Oberststallmeister,‹« hat er gesagt, »›so Einen, wie den Welscher, bekommen wir so bald nicht wieder, geben Sie Acht, ich hab's gesagt!‹«
Mit diesen Worten nahm der Kutscher seine rothe Weste von dem Schemel neben sich, fuhr mit der Hand an dem Tuch hinunter, als wollte er Staub abwischen, dessen sich aber keiner da befand, und zog sie an. Während er vorn zuknöpfte, bemühte sich die Mutter, das Futter der Weste so lang als möglich herabzuziehen, sich freuend über die gute Taille ihres Sohnes.
»Aber Joseph,« sagte sie, »warst du nicht heute schon einmal im Dienst? Wie kommt es, daß du noch einmal einspannen mußt, und namentlich bei solchem Schneewetter?«
»Weiß der Teufel, wie das kommt, alte Frau, das heißt, ich weiß es ganz genau, weßhalb ich heut' noch einmal fahren muß; aber ich möchte eigentlich nur wissen, warum bei mir immer so Widerwärtigkeiten vorkommen. Wird Einer krank, wie heute, so ist es sicherlich der, für den ich einstehen muß, und so auch jetzt: da hat einer einen Anfall von Wechselfieber gekriegt, und nun muß ich in dem Hundewetter hinaus und muß den Gespensterwagen fahren.«
»Was sagst du, Joseph,« rief die Mutter entsetzt, »den Gespensterwagen?«
»Freilich, alte Frau,« entgegnete der Kutscher und fuhr in seinen blauen Rock hinein, »den Gespensterwagen.«
»Joseph, du willst wohl sagen: den Leichenwagen,« entgegnete die Winklere.
Der Kutscher, welcher gerade den blauen Rock zuknöpfen wollte, hielt in diesem Geschäft plötzlich inne und spuckte auf die Seite aus, während er mit einem Blick der ungeheuersten Verachtung vor sich niedersah.
»Einen Leichenwagen fahren?« sagte er alsdann bitter lachend; »alte Frau, was habt Ihr für merkwürdig verbrannte und alte Ideen! Ein königlicher Kutscher und ein Leichenwagen! wie kann man das nur in einem Augenblicke nennen? Doch ich vergaß,« setzte er lächelnd hinzu, »daß Ihr eigentlich nicht wissen könnt, was wir Stallleute unter dem alten Gespensterwagen verstehen. Seht Ihr, Mutter, der Gespensterwagen, das ist nichts mehr und nichts weniger, als der Wagen der ersten Hofdame und die Benennung »Gespensterwagen« ist eine sehr richtige und gut gewählte alte Benennung, ich habe sie nicht erfunden.«
Der Kutscher setzte, während er zu sprechen fortfuhr, seinen lakirten Hut etwas keck aufs Ohr, warf die Zügel über die Schulter, nahm die Peitsche in die Hand und wickelte die Peitschenschnur auf, indem er das Ende derselben mit Zeigefinger und Daumen erfaßte und alsdann mit der Hand eine kreisförmige Bewegung beschrieb. »Alte Frau, es mag ein Wetter draußen sein, welches es will, es mag regnen oder schneien, es mag die Sonne scheinen oder es mag stürmen, daß sich Hunde und Katzen verbergen, paßt auf, der alte Gespensterwagen fahrt doch durch die Straßen; es mag Morgens oder Mittags sein, bei einer Hitze, wo jeder alte Christenmensch froh ist, im Schatten zu sein – der Gespensterwagen ist auf der Straße; es mag Nachmittags sein oder Abends, sei es in der Dämmerung oder Mitternachts zwischen zwölf und ein Uhr – Ihr könnt drauf fluchen, daß Ihr den Gespensterwagen seht; ewig rollen die Räder an dem alten Wagen, ewig schaukeln die Federn, und ich bin überzeugt, wenn die alte Hofdame einmal einen Tag lang nicht ausfahren sollte was jedoch noch nie vorgekommen ist, so würde der Gespensterwagen am ganzen Leibe zitternd in der Remise stehen, als sei ihm etwas Entsetzliches begegnet.«
Die Frau Winklere schüttelte mit dem Kopf und sagte: »Es fahren aber doch keine Gespenster darin?«
»Für jetzt noch nicht,« sagte Joseph, »aber wenn die alte Hofdame einmal todt ist, wollen wir sehen, was geschieht; alsdann gehe ich dem Wagen zehn Schritt aus dem Wege; denn daß die Alte da oben einmal spuken muß, das kann nicht fehlen, sonst gäb' es keine Gerechtigkeit mehr, sie hat das um uns alle verdient.«
Damit zog Herr Winkler seine beiden Schimmel aus dem Stande, sah sorgfältig nach, ob nicht ein Hälmchen Stroh oder Heu irgendwo sitzen geblieben sei, schnallte die Regendecke fester an und zog, den Hut hälftig auf das rechte Ohr gesetzt, die Stallgasse hinab.
Am Ende derselben links in einem leeren Stande lag auf einem großen Strohhaufen der Pfeifer des Schwalbenliedes und war sanft entschlummert; Joseph, der dies schon von Weitem bemerkte, wickelte lächelnd seine Peitsche los und applicirte mit ungemeiner Sicherheit mit dem Ende der Schnur einen feinen Hieb auf einen Theil des Körpers, den die Stallwache unvorsichtigerweise emporstreckte, und als der also Getroffene in die Höhe sprang, rief der Kutscher mit ernster Miene: »Thür auf!« und ging gravitätisch mit seinen beiden Schimmeln von dannen, innerlich aufs vergnügteste lachend.
Die Frau Winklere folgte ihrem Sohne, aber in sehr weiter Entfernung von den Schimmeln, denn sie hatte gehört, daß solche Thiere manchmal sehr bösartig seien und gern ausschlagen.
In der Remise, die sich neben dem Marstall befand, war wegen des schlechten Wetters nur eine einzige Thüre geöffnet, und aus derselben hervor ragte die Deichsel des Gespensterwagens, und der Wind, der durch den Hof in die Remise fuhr, spielte mit den gelben, schweren Troddeln oder schüttelte auch zuweilen leise das Gestell des Wagens.
Der Kutscher stellte die Pferde zu beiden Seiten der Deichsel, schnallte die Aufhalter fest, dann trat er an den Wagenschlag, öffnete ihn und nahm seinen mit Pelz besetzten Mantel heraus, den er alsdann mit großer Geschicklichkeit auf den Sitz des Bockes hinaufwarf. Hierauf steckte er die Peitsche daneben, spannte die Pferde vollends ein, schnallte die Zügel fest und reichte seiner Mutter die Hand zum Abschied, während er im Begriffe war, hinauf zu steigen.
»Vergeßt also nicht, alte Frau,« sagte er, »zu der Welscher hinzugehen und ihr zu sagen, daß ich nächstens komme in großer Uniform, um mich nach dem Befinden des Kindes zu erkundigen; auch mehrere meiner Kollegen werden ebenfalls kommen, und das alte Haus soll aufpassen, ich meine nämlich das alte Kloster, wenn es uns heranwackeln sieht. Adieu Frau!«
Mit diesen Worten schwang sich der Kutscher mit großer Leichtigkeit auf den Bock, fühlte mit der Hand, ob der Hut auch recht keck auf dem rechten Ohr sitze, setzte sich dann so leicht und elegant wie möglich in die rechte Ecke des Sitzes (die Kutscher vornehmer Herrschaften sitzen nie anders, als auf diese Art), dann nahm er die Zügel fest in die Hand, grüßte die Mutter nochmals mit der Peitsche und fuhr zum Thor hinaus, wobei er sorgfältig jedem Stoß der Rinnsteine und jedem anderen kleinen Hinderniß durch eine angenehme Biegung des Oberkörpers auswich und so in beständiger Bewegung war, seine Arme und Hände ausgenommen, die er unbeweglich und wie festgemauert hielt.
Die Frau Winklere sah dem stattlichen Sohne nach, bis der Wagen um die Ecke des Schlosses verschwunden war.