Friedrich Wilhelm Hackländer
Namenlose Geschichten - Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Achtzehntes Kapitel. Im Hoftheater.

Da am andern Morgen die Witterung etwas zweifelhaft war, so beschloß der Herr Dubel, eine Droschke zu nehmen, um vor etwaigem Schnee geschützt zu sein und seine Auffahrt bei dem königlichen Hoftheater, also eigentlich bei Hofe, glanzvoller zu machen. Er holte die kleine Marie ab, welche in ihrem hübschesten Kleide prangte und mit den schön geringelten schwarzen Locken wie ein kleiner Engel aussah. Man hatte sie schon darauf vorbereitet, was sie dem Wunsch ihrer Mutter gemäß erlernen sollte, und der Gedanke, tanzen zu dürfen, machte sie ganz glücklich. Auch war es für sie ein unbeschreibliches Vergnügen, zum ersten Mal in einer Kutsche fahren zu dürfen. Sie strampfte mit den Füßchen und lachte hell auf, so oft der Wagen scharf um eine Ecke fuhr und sie sich ein wenig auf die Seite neigen mußte und bald hatten sie das Theater erreicht und sich in dem weitläufigen Gebäude bis zu dem Balletsaal durchgefragt, aus welchem die scharfen Töne einer einzelnen Violine herausklangen und wo Beide, der Herr Dubel wie das Kind, herzklopfend stehen blieben. Nachdem Ersterer verschiedene Male und vergeblich angeklopft, öffnete er die Thüre und trat in den Saal.

Dieser war sehr groß, sehr lang, ziemlich schmal und der Fußboden desselben abwärts geneigt, wie es bei der Bühne selbst der Fall ist, damit die jungen Künstler und Künstlerinnen die Schwierigkeit des Zurücktanzens bergauf schon hier überwinden lernen. An den Wänden dieses Saales waren lange Stangen horizontal angebracht und an diesen Stangen befanden sich die Tänzerinnen, hielten sich mit den Händen daran fest und machten mit den Füßen die sonderbarsten und seltsamsten Verdrehungen.

Es war hier ein heiteres Völkchen beisammen und dieses Völkchen um so lustiger, als sich ihr Chef, Signor Benetti, mit den Solotänzerinnen im Nebenzimmer befand. Da standen sie in den merkwürdigsten Kostümen und Farben, vorherrschend waren Papilloten und kleine Hauben, worunter das Haar versteckt war; eng anliegende Mieder von farbigem oder weißem Zeuge zeigten die schlanke Taille und unter einem sehr kurzen, weißen Tanzröckchen sah man den unentbehrlichen seidenen Tricot und alte, schon halb abgenutzte Tanzschuhe. Lautes Lachen und fröhliches Sprechen flog durch den Saal. Hier standen drei beisammen, die Füße fürchterlich auswärts gedreht, die Hände auf dem Rücken – eine Stellung, die das Durchbiegen desselben erleichtert und die Brust herausbiegt – und erzählten sich eine höchst merkwürdige und lächerliche Geschichte; dort versuchten zwei mit einem langen, dürren Chortänzer einen neuen Pas, zu welchem ein zweiter Tänzer mit dem Stabe den Takt schlug. Mehrere andere polkten zu ihrem Privatvergnügen in einer entfernten Ecke des Saales und kleine Anfänger und Anfängerinnen, mit dem technischen Ausdruck »Ratten« genannt, versuchten eine äußerst schwierige Schlußgruppe, die aber nie gelingen wollte. Bald gab Eins, bald das Andere nicht Achtung und alsdann purzelten sie durch einander, fielen auf den Boden, krabbelten wieder in die Höhe und versuchten ihr Glück und ihre Kunst abermals. Andere Tänzerinnen hatten eines ihrer Beine hoch auf die Stange gelegt und dies bildete alsdann mit dem anderen, das auf dem Boden stand, einen stumpfen Winkel. In dieser Stellung verharrten sie immer einige Minuten und plauderten während der Zeit mit einander.

Mit dem Abend auf der Bühne verglichen, wo bei der rauschenden Musik die Tanzfiguren sicher und fest gezogen werden, wo die Haare zierlich geordnet sind, wo die Gesichter von Schminke und Erhitzung aufflammen, wo die goldgestickten Kleider in dem glänzenden Farbenspiel strahlen, – gegen eine solche Balletaufführung hatte das Getreibe hier in dem Tanzsaale bei hellem Tageslicht etwas Abgeschossenes, Nebelhaftes. Es war wie ein Ball, der bis zum Tagesanbruch gedauert, wo Anzug und Frisur der Tänzerinnen zerstört, ihre Gesichter blaß und vollkommen erschöpft aussehen.

Bei diesem Anblick blieb der Herr Dubel an der Thür stehen, und es dauerte ein paar Minuten, bis er von den Anwesenden bemerkt wurde, oder vielmehr, bis die Tänzerinnen das kleine niedliche Kind erblickten, ihre Stellungen, ihre Polka, ihren Pas verließen und neugierig herbeikamen, um dasselbe in der Nähe anzusehen. Ein Gemurmel des Beifalls flog durch ihre Reihen, namentlich wurden die hellen Augen, die schwarzen Haare und die kleinen Füßchen des Kindes bewundert, und die ganze Schaar begleitete den Herrn Dubel an die Thür des Nebenzimmers, wo mehrere der »Ratten«, die vorausgesprungen waren, mit ihren kleinen Fingern eifrigst anklopften. Dubel trat mit dem Kinde in dieses Nebenzimmer und machte vor Signor Benetti, der sich dort befand, eine tiefe Verbeugung.

Der Balletmeister und Chef der königlichen Tanzschule stand da im Gefühl seiner Würde, jeder Zoll ein großer Künstler, und richtete sich noch straffer empor und drehte seine Fußspitzen noch mehr auswärts, als er einen Fremden eintreten sah. Er war in ganz Helles, fast weißes Zeug gekleidet, trug Schuhe und Strümpfe, weite Beinkleider und eine rund abgeschnittene Jacke, aus deren einer Tasche ein rothseidenes Sacktuch hervorglänzte. Auf dem Kopfe hatte er eine rothe Mütze mit goldener Quaste, welche er abnahm und die Verbeugung des Herrn Dubel herablassend erwiederte. Signor Benetti war ein Italiener, vielleicht fünfzig Jahre alt, ziemlich dürr von Figur und Gesicht und hatte schwarzes, aber schon stark grau melirtes Haar.

In demselben Zimmer befand sich ein anderer Tänzer, eine dürre, bescheidene Figur, welcher in der Ecke stand und schwer athmend von der gehabten Anstrengung ausruhte. Die beiden Solotänzerinnen, die ebenfalls hier waren, schöne volle Figuren, die eine mit hellblondem, die andere mit kohlschwarzem Haar, ließen sich beim Eintritte des Herrn Dubel auf ein paar Stühle nieder und schauten mit Theilnahme auf das kleine Kind. Sie waren bei weitem eleganter gekleidet, als ihre Kolleginnen draußen, und trugen feine weiße Tanzröcke. Ihre Mieder von schwarzem starkem Atlaß, die bei jeder Bewegung krachten, waren an den Armen und am Halse mit schwarzen kostbaren Spitzen besetzt.

Signor Benetti strich sich mit der Hand über das Gesicht und erinnerte sich, den Herrn Dubel schon irgendwo gesehen zu haben, worauf dieser die Elstergasse nannte und, indem er sich in die Brust warf, hinzufügte, er glaube den Herrn Balletmeister eines Abends erschreckt zu haben, indem er in der Equipage eines – Bekannten zu hart an dem Hause vorgefahren sei. »Doch wohne ich nicht mehr in der Elstergasse,« setzte der Herr Dubel hinzu, »sondern an dem Petersthore in dem dort einzeln stehenden Hause.«

Der Balletmeister verbeugte sich, als wolle er sagen, er kenne das Haus und den vornehmen Eigenthümer desselben vollkommen und bemerkte dann, indem er sich an die beiden Tänzerinnen wandte: »Meine Damen, ich sah diesen Herrn neulich Abends auf glattem Eisboden einen Sprung machen, einen Sprung von sechs Fuß, wie gesagt, auf glattem Eise, und dann feststehen mit einem Applomb, der wirklich ans Fabelhafte gränzt. Ich mache Ihnen nochmals mein Compliment darüber.«

Herr Dubel verneigte sich sehr geschmeichelt und begann von dem Grunde seines Besuchs zu reden, indem er das Kind, das hinter ihm mit großen neugierigen Augen die beiden Tänzerinnen betrachtete, vorführte.

Der Balletmeister warf sich in eine prüfende Stellung und drehte seine Beine so furchtbar auswärts, daß man glauben konnte, er müsse nothwendig umfallen und gebrauche für solche Momente den großen Stock, mit dem er den Takt auf den Boden stieß, um sich fest zu erhalten. Dabei neigte er den Kopf auf die rechte Seite und unterstützte das Kinn mit der Hand.

»In der That,« sagte Signor Benetti nach einigen Augenblicken, »dem Aeußern nach ein niedlicher Amor, eine kleine Liebesgöttin – wie schlank das Kind gewachsen ist! sehen Sie, meine Damen, die schlanke Taille und die kleinen Füßchen.«

Die Tänzerin mit dem schwarzen Haar zog das Kind an sich, nahm es auf den Schooß und küßte es auf die Stirn, während sie mit der Hand durch die schwarzen Locken fuhr. Die Andere mit dem blonden Haar besah aufmerksam seine Füßchen und bewunderte die feinen Knöchel derselben.

Signor Benetti nahm den Herrn Dubel etwas bei Seite und fragte mit sehr wichtiger Miene: »Das Kind ist doch von guter anständiger Familie und wird dem Theater nicht zur Last fallen?« – welches letztere der Herr Dubel eifrigst verneinte und hinzusetzte, man sei im Stande, für seinen Unterhalt bestens zu sorgen.

»Und der Vater?« erkundigte sich der Herr Balletmeister weiter, worauf Herr Dubel mit voller Wahrheit entgegnete: der Vater sei von angesehener und reicher Familie, wünsche aber nicht genannt zu sein.

»Ich verstehe,« sagte der Balletmeister vollkommen befriedigt, und versprach, bei dem Intendanten des Hoftheaters, welcher der Aufnahme der Kleinen gewiß kein Hinderniß in den Weg legen werde, Alles einzuleiten. »Sie gefällt mir außerordentlich,« sagte er, »es ist draußen von allen Ratten keine, die sich entfernt mit ihr messen könnte; ja, ich finde im Gesicht eine Aehnlichkeit mit Ihnen, Mademoiselle Elise,« sagte er zu der Tänzerin mit schwarzem Haar, welche geschmeichelt die kleine Marie noch freundlicher küßte.

»Jetzt aber, meine Damen,« sprach der Balletmeister, »wollen wir in unsrer Scene fortfahren; wenn es dem Herrn Spaß macht, uns zuzusehen, so werden Sie wohl nichts dagegen haben; also en place, meine Damen!«

Die Tänzerinnen sprangen auf, Herr Dubel setzte sich auf den Stuhl der blonden Dame; der Tänzer am Fenster band sein langes Haar mit einem seidenen Faden an dem Kopf fest, daß es nicht so herumflattere, und ein alter Musiker, der hinter einer spanischen Wand seine Violine mit einer neuen Saite bezogen, kam zum Vorschein, schnupfte mit dem Balletmeister aus der Dose des Letzteren, und die Scene begann.

»Also, meine Damen,« sagte Signor Benetti, »es kommt die Scene, wo Sie, Mademoiselle Pauline – so hieß die Tänzerin mit dem blonden Haar, – Ihr Pas de deux mit dem Ritter Astolfo tanzen; schon im Adagio zeigt er Ihnen an, daß er Sie liebe, und sagt Ihnen tanzend: was sind die Reize meiner Braut, die mir vom Schicksal bestimmt ist, gegen die deinigen, o Holde? Die erste Pirouette kommt auf das Wort: o Holde, und wenn Sie halten, – damit wandte er sich an den Tänzer – strecken Sie sehnsüchtig die Arme nach Mademoiselle Pauline aus, die, von diesem Geständniß erschreckt, entsetzt vor Ihnen flieht. – So! – eins! – zwei! – drei! – vier! – fünf! – sechs! – sieben! – acht!– Pirouette: o Holde – fliehen Sie, Mademoiselle Pauline! – So! – aber das Entsetzen müssen Sie kräftiger ausdrücken, sonst war es nicht ganz schlecht, – mehr Entsetzen! Bedenken Sie diesen wichtigen Moment! Die Entwicklung des ganzen Ballets beruht darauf; – noch einmal! – eins! – zwei! – drei! – vier! – fünf! – sechs! – sieben! – acht! Pirouette: o Holde! – die Arme viel flehender ausgestreckt, viel flehender! – Bravo, Mademoiselle Pauline! Ihr Entsetzen war köstlich, sehr schön! – Weiter: in Ihrem Solo antworten Sie ihm, Sie können ihn nicht lieben, er habe ja eine Braut, und dabei drücken Sie den Schmerz aus, daß es so sei, denn eigentlich lieben Sie ihn doch– so! jetzt Ihre Pirouette, dann drücken Sie pantomimisch aus: leider trennt uns das Schicksal! – schön! – gut gemacht! – Jetzt kommt das große Solo Ritter Astolfo's, er kann ohne Sie nicht leben, es ist sein Tod, er wird dahinsterben in Kummer und Verzweiflung – so! – sehr gut! – Bei Ihrem Solo, Mademoiselle Pauline, lassen Sie sich erweichen, Sie werden hingebender – so ist's recht! – vortrefflich! – Sie machen die Hingebung sehr gut; – jetzt beginnt das Allegro, das Pas de deux, Sie entfliehen dem Ritter, er führt Sie zurück, Sie halten Ihre Hände beschämt vor das Gesicht, er nimmt die Rose aus Ihrem Haar, Sie entreißen sie ihm wieder, – Bravo! Mademoiselle Pauline – bravo! Sie vertheidigen Ihre Rose sehr schön – so ist's recht! – Ritter Astolfo, dringender! – dringender – bomm! – bomm! – bodomm! – bomm! – bomm! – er hält sie fest, sie sinkt an seine Brust, dumpfer Paukenwirbel – sechste Scene – der schwarze Ritter tritt auf.«

Der Balletmeister machte den Paukenwirbel mit seinem Stock so gut wie möglich nach, ergriff dann die Hand der Mademoiselle Elise und sein Gesicht verzerrte sich auf eine seltsame und schreckliche Art – er selbst war der schwarze Ritter und trat jetzt aus dem Hintergrunde mit der unglücklichen Braut näher, welche mit Wuth im Herzen ihre Nebenbuhlerin in den Armen des Ritters Astolfo findet. Schrecklicher Moment! – Sie tritt zwischen Beide, während der schwarze Ritter im Hintergründe die befriedigte Rache außerordentlich kunstvoll ausdrückt.– »So, meine Damen,« sagte der Balletmeister, »die Scene ist recht gut gegangen, wir wollen für heute beschließen.«

Der Herr Dubel, welcher mit größter Aufmerksamkeit und klopfenden Herzens zugeschaut, erhob sich dankend und versicherte in den gewähltesten und blumenreichsten Ausdrücken, dieser schöne Blick in das Innere, Heiligste der Kunst, den man ihm erlaubt, werde ihm ewig unvergeßlich sein. Darauf nahm er die kleine Marie, welche ebenso entzückt von dieser Probe schien, bei der Hand, ging durch den großen Balletsaal die dunklen Treppen des Theaters hinab und fuhr mit den widerstreitendsten Gefühlen in seiner Brust nach Hause. Er verglich die beiden Damen, welche er eben bewundernd angestaunt, mit der Honoratiorentochter – weßhalb, wußte er eigentlich selbst nicht – und ging, nachdem er die Frau Welscher von dem wahrscheinlich günstigen Ausgange seines Besuchs in Kenntniß gesetzt, ziemlich unbefriedigt nach Hause.


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