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Das kleine Mädchen, welches die Frau Welscher zu sich genommen hatte und das ebenfalls Marie hieß, wie seine verstorbene Mutter, war ein freundliches, hübsches Kind, das in kurzer Zeit alle Bewohner des alten Klosters lieb gewannen.
Als das Kind einige Tage im Hause war und seine Scheu vor den fremden Gesichtern, die es umgaben, abgelegt hatte, wurde es außerordentlich zutraulich, unterhaltend und hatte sich bald, was viel sagen will, die Neigung der beiden kleinen Töchter des Hauses und sogar diejenige des Herrn Welscher junior erworben. Dieser behauptete nämlich, keine der beiden Schwestern sei im Stande, so angenehm und freundlich mit ihm zu spielen, wie die kleine Marie. Sie ging leicht in seine Ideen ein, krähte mit ihm um die Wette wie der Hahn, miaute außerordentlich täuschend wie die Katze und setzte ihm bereitwillig die Kegel auf, wenn er auf dem weiten steinernen Vorplatze mit großem Gepolter dieses Spiel trieb.
Dabei hatte das kleine Mädchen eine merkwürdige Ordnungsliebe und ein Auge für Symmetrie, daß es fast unglaublich war. Die Spielsachen räumte sie allabendlich sorgfältig auf, rückte die Stühle in die Ecken, wo sie hingehörten, litt nicht, daß die Bügeleisen, die, wenn sie nicht gebraucht wurden, auf einem kleinen Gerüste hinter dem Ofen standen, in Unordnung waren, das heißt, daß sie nicht gerade neben einander standen, zuerst die ganz kleinen, dann die mittleren und größeren, denn sie richtete sie immer wie die Orgelpfeifen. Auch die zerbrochenen Spielsachen wieder so gut als möglich zusammen zu stecken und die Stücke mit Bindfaden wieder zu vereinigen beschäftigte das Kind angelegentlich.
Da die Jungfer Kiliane die kleine Marie unter ihren besonderen Schutz genommen hatte, so vergalt sie alle Güte und Freundlichkeit der alten Person durch eine außerordentliche Anhänglichkeit, welche das Kind, wo es nur konnte, für dieselbe an den Tag legte. Wenn die Büglerin bei der Frau Welscher beschäftigt war und Mariechen aus der Schule kam, wohin sie mit den andern geschickt wurde, oder wenn sie einen freien Nachmittag hatte, so war ihr erstes Geschäft, der Jungfer Kiliane alles zu zeigen, was sie in der Schule gelernt, und wenn dies vorbei war und sich ihre Gönnerin zufrieden erklärte, so nahm die Kleine einen Schemel, setzte sich neben die Büglerin und ahmte mit einem kalten Bügeleisen an einem Stücke Zeug alle Bewegungen der Jungfer Kiliane auf's Genaueste nach. Sie bügelte das Stück Zeug unverdrossen, faltete es zusammen, warf es wieder aus einander und trieb das Spiel so fort; sie eiferte auch hiedurch die kleinen Welscher zur Nachahmung an, und eines Sonntag Nachmittags, als die Waschfrau aus der Kirche nach Hause kam, saß die kleine Marie auf dem Platze der Jungfer Kiliane, hatte die Haube und Brille derselben aufgesetzt und bewegte den Kopf ernsthaft und gemessen hin und her, wie es die alte Person zu machen pflegte. Von den beiden Fräulein Welscher stellte die eine die Mutter vor, die andere war eine Büglerin, und der Herr Welscher saß als Herr Dubel mit untergeschlagenen Knieen auf dem Tische.
Die Waschfrau behauptete später immer, die Marie habe Jungfer Kiliane auf eine wirklich erschreckend ähnliche Weise dargestellt.
Ueberhaupt hatte das Kind ein ungemeines Nachahmungstalent und eine Beweglichkeit in seinen kleinen Gliedern, die erstaunlich war. So war namentlich das Tanzen für sie eine große Lust, und obgleich sie weder von Française, Walzer noch sonst dergleichen eine Idee hatte, tanzte sie die Art dieser Figuren, so oft sich eine Straßenorgel hören ließ oder der Klang der vorüberziehenden Militärmusik aus der Entfernung in das Zimmer drang; ja, der Tanz war ihre Leidenschaft, und wenn sie unbeachtet war, tanzte sie so zu sagen Alles, was sie zu thun hatte; tänzelnd schritt sie im Zimmer auf und ab, schwenkte in der Ecke zierlich herum, holte mit einer angeborenen Grazie ein Buch, ein Gefäß oder dergleichen, und am liebsten war es ihr, dergleichen Sachen auf den Kopf zu setzen, mit einer Hand zierlich fest zu halten und sie leicht heranschwebend dem zu bringen, der sie verlangt.
Das Mädchen hatte durchaus nichts Eckiges, nichts Unbehülfliches, wie viele andere Kinder in diesem Alter, weder in ihren Bewegungen, noch in ihrem Wuchse; dieser war schlank und zierlich, im vollkommensten Ebenmaß, sie trug ihren Kopf auf einem langen Halse und hatte allerliebste kleine Füße und Hände.
Das Gesicht hatte einen nachdenkenden, ja schwermüthigen und dabei tiefsinnigen Ausdruck; und so war auch die Denkungsart des Kindes: so leicht sie in ihrem Gange um die äußern Gegenstände herumflatterte, so ernst und tief dachte sie über Alles nach, was ihr unbegreiflich erschien.
So konnte sie oftmals stundenlang an dem großen Bogenfenster sitzen und hinaus in die Gegend sehen, neben einer der Hausmägde, welche die Küche besorgte, und konnte mit tausenderlei Fragen immer weiter und weiter schweifen.
»Was kommt hinter jenem großen Hause? fragte sie, und die Magd antwortete: Eine Straße. – Und hinter jener Straße? – Andere Häuser und andere Straßen. – Und dann? Wieder Häuser und wieder Straßen und zuletzt das Ende der Stadt. – Und dann? – Feld und Wald und große Flüsse. – Und dann? – Wieder Feld und Wald und das unendliche Meer, wohl viele, viele Tausend Stunden lang. – Und dann? – Hört Alles auf,« sagte zuletzt die Magd, die anfing, um eine Antwort verlegen zu werden.
Nach dieser erhaltenen Aufklärung reiste aber das kleine Mädchen in Gedanken in die Welt hinaus und tanzte im Zimmer auf und ab und sagte, wenn sie an die Wand kam: »Jetzt bin ich am Ende der Stadt, jetzt reise ich durch's Feld, durch den Wald und über große Flüsse, jetzt wieder über Feld und Wald und komme an das unendliche Meer;« – »worauf die großen Schiffe fahren,« sagte die älteste Tochter Welscher – »ganz richtig, wo die Schiffe fahren,« wiederholte die kleine Marie, drehte den Fußschemel herum, setzte sich hinein und steuerte über das große Weltmeer.
Die fremden Leute, welche im Hause aus und ein gingen, machten ihrem Nachdenken viel zu schaffen; in den nachmittäglichen Freistunden konnte sie lange, lange Zeit in einem verborgenen Winkel an der Treppe sitzen und studirte aufs Sorgfältigste jedes Gesicht, das herauf kam oder hinunter ging.
Diese fremden Gesichter brachte sie mit den Erzählungen in den Bilderbüchern der Kinder Welscher zusammen und bevölkerte die gedruckten Seiten mit diesen lebendigen Gestalten. Jener mit dem langen Bart und dem dunkeln, finstern Gesicht mußte unbedingt der verkleidete Kohlenphilipp sein, welcher plötzlich hervortrat und die Kinder mitnahm, wenn sie unartig waren. Der alte Mann mit weißem Haar und freundlichem Gesicht, ein Schulkamerad der alten Kiliane, der zuweilen auf ein Viertelstündchen kam, der Büglerin einen Besuch zu machen, war Niemand anders, als der Herr Winter selbst, der Herr Winter, der im Monat Mai verstirbt, nachdem er sein Töchterlein Frühling, welches er mit tausend Knospen und Blüthen geschmückt an der Hand führt, zur Herrscherin des Erdenreichs eingesetzt hat.
Ja, sie kannte sie, alle jene Gestalten, welche den Kindern so viel Vergnügen und Entsetzen einjagen; sogar den Blaubart hatte sie einige Mal gesehen und den Zwerg Nase; auch trieben sich Abends auf dem großen Boden gar seltsame und verdächtige Katzen herum, und wenn der Mond in das große Bogenfenster herein schien und den Vorplatz mit seinem Licht erfüllte, dann war es der kleinen Marie genau zu Muth, als schwebe die Lilienkönigin empor und befehle ihr, mit den Nachtvögeln, den Schmetterlingen und Leuchtkäfern um die Wette zu tanzen und in dem klaren Dufte zu schweben – und in solchen Momenten konnte das Kind seine Röckchen zusammen nehmen und mit dem bleichen Gesichte gegen den Mond gekehrt, zierlich und sonderbar tanzen, immer stärker, immer wilder, die zierlichsten Sprünge machen, nie gesehene Figuren mit ihren Füßen beschreiben, und hatte dabei das schwarze Auge fest auf die Mondscheibe gerichtet. Sie tanzte in Einem fort und fort, bis man sie mit lauter Stimme ins Zimmer rief oder sie festhielt und herein führte. Danach setzte sie sich jedes Mal in eine Ecke des alten Canapee's und schlief mit zufrieden lächelndem Gesicht ein.
Die Jungfer Kiliane aber wollte dieses Tanzen im Mondschein auf's Strengste verboten haben, denn sie hatte einmal eine grausige Geschichte gelesen, wo junge Mädchen, die es nicht unterlassen können, in den Strahlen des Mondes zu tanzen, nach ihrem Tode nicht ruhig im Grabe zu liegen vermögen, und das erzählte sie eines Tages dem Kinde zur Warnung.
»Siehst du,« sagte die alte Person mit zitternder Stimme, »es muß etwas Köstliches sein um die Ruhe im Grabe, und denke dir nur, Kind, wie es jenen unglücklichen Personen geht, von denen ich dir sagte: alles schläft da unten tiefen, erquickenden Schlaf, nur diese nicht; kaum steigt der Vollmond am Horizont empor und blitzt durch die Trauerweiden auf dem Kirchhofe, so bewegt sich das Gras und Gesträuch um die Gräber jener Unglücklichen, es zieht sie herauf in die Nachtluft, und sie müssen tanzen die ganze Nacht hindurch und dabei immer den Mond ansehen, bis er wieder untergeht.«
Es schauderte dem Kinde bei dieser Erzählung, und der junge Herr Welscher versicherte hoch und theuer, wenn die Marie das Tanzen draußen im Mondscheine nicht ließe, so schliefe er nicht mehr in einem Zimmer mit ihr, das sei ihm gar zu grauselig. Das kleine Mädchen versprach dann auch, sie wolle nicht mehr draußen im Mondschein tanzen, und so war die Sache für jetzt abgemacht.
Es ging in dem Welscher'schen Hause alles seinen regelmäßigen Gang fort, wie ein Uhrwerk, und jedem Tage, jeder Stunde war von der ordentlichen Frau ein Geschäft zugewiesen. Samstags und Montags kamen ungeheure Haufen Wäsche an, welche sortirt und zum Waschen vorbereitet wurden; dann erschien am Montag Abend die erste Wäscherin, eine alte gediente Person, welche nie anders sprach als mit in den Seiten gestemmten Armen. Sie hieß Frau Wurzel und hatte in ihrem ganzen Leben nichts gethan, als gewaschen und immerfort gewaschen.
Die Frau Wurzel nun holte sich den großen Hausschlüssel und erschien Nachts um ein Uhr wieder mit dem Glockenschlage der alten Kirchenuhr, und in ihrem Gefolge waren drei bis vier andere Wäscherinnen, und jede derselben trug eine kleine Laterne in der Hand und dann begannen sie um ein Uhr ihr Geschäft, nahmen gegen vier Uhr des Morgens einen Schnaps und ein Stück Brod, um acht Uhr ihren Kaffee, um zehn Uhr ein Glas Wein und Brod, nach dem Mittagessen um vier Uhr wieder ihren Kaffee, und wenn Abends zum Nachtessen die Suppe auf den Tisch kam und die große zinnerne Schüssel mit Kartoffeln, Wurst und Gänsefett, dann war für heute ihre Arbeit fertig, und die Frau Wurzel ging zu einer andern Frau, sich den Hausschlüssel zu holen, und in der nächsten Nacht um ein Uhr standen die armen Weiber vor einer andern Thür und fingen ihr mühseliges Tagewerk von Neuem an.
Bei der Frau Welscher aber wurde Mittwochs die Wäsche auf dem großen Boden getrocknet, und Donnerstag Morgens erschien Jungfer Kiliane und Freitags der Herr Dubel und die Nähterinnen, und Samstag Mittags war Alles wieder in Ordnung.
Heute war es also Freitag und die Stube sah Nachmittags bei Tageslicht ungefähr gerade so aus, wie an jenem Abende, wo wir sie zum ersten Mal betraten, mit dem einzigen Unterschiede, daß die drei Kinder Welscher und die kleine Marie, welche soeben aus der Schule gekommen waren, um ein Tischchen in der Ecke des Zimmers saßen und ihren Kaffee tranken, – sonst war Alles wie damals; draußen in der Küche klapperten die Bügeleisen, im Zimmer pickte die Schwarzwälderuhr und zischte die Wäsche; Jungfer Kiliane saß am Fenster, neben ihr die Nähterinnen und auf dem Tische Herr Dubel.
Nach einer längeren Pause ließ die Kiliane ihr kleines Bügeleisen ruhen, schaute bedächtig zum Fenster hinaus und prophezeite wegen des Glanzes am Himmel und der Gluth, mit welcher die Sonne unterging, ein strenges Frostwetter für die nächsten Tage, und das sagte sie so bestimmt, daß es den Herrn Dubel im Voraus fröstelte und die Weiber am Bügeltische schon seufzend einen Holzaufschlag berechneten und versicherten, das Geld für's Brennholz sei gar nicht mehr aufzubringen.
»Wenn es nur keinen Winter gäbe!« meinte der Schneider; »wenn man nicht mehr im Schnee zu waten brauchte und kein Feuer anzuzünden! Ach, was müssen das für herrliche Länder sein,« setzte er schwärmerisch hinzu, wo ein ewiger Frühling herrscht, wo die Bäume immer grün bleiben, wo immerfort die Blumen blühen, wo es keine kalte Jahreszeit gibt!«
»Solche Länder,« entgegnete die Kiliane, »haben dafür anderes Ungemach genug; da brennt die Sonne im Sommer die Leute schwarz und braun; da gibt es schreckliche, reißende Thiere, Schlangen und giftiges Gewürm, das den Menschen seines Lebens nicht froh werden läßt. Bei uns legt man sich, wenn man müde gearbeitet ist, in sein Bett und schläft getrost ein; wird man auch Nachts von einem kleinen Stich geweckt, so hat das weiter nichts zu sagen; aber in jenen Ländern, wo man nicht weiß, was einem Nachts durch das Bett kriecht und einen ohne Schmerzen im Schlafe umbringt – huh, das ist grausig! Ich möchte nicht da wohnen.«
»Ganz richtig,« sagte Herr Dubel und schaute nachsinnend zum Fenster hinaus, »und dann issss-t in jenen Ländern eine Einrichtung, eine Eintheilung der Menschen in Klassen, welche alles Selbstgefühl zu Boden drückt: wer nicht vornehm geboren issss-t, bleibt all' sein Leben ein Paria, das heissss-t, ein unterdrückter, nicht geachteter Mensch.«
»Ganz richtig!« sagte die Kiliane, »was man bei uns ein Geschlaf nennt.«
»Das ist doch hier ganz anders,« fuhr der Schneider fort; »wenn es auch höchssss-t mühsam issss-t, sich aus einer niederen SSSS-tufe empor zu schwingen, so issss-t doch die Möglichkeit vorhanden, und wenn der Mensch von der geringsten Familie sich Reichthümer erworben hat oder ein Amt, so kommt er in die Rangklasse, die ihm gebührt, und issss-t ebenso geachtet, wie der Grafensohn. Nehmen Sie einmal meinen SSSS-tand an, es issss-t leider keiner der bevorzugtessss-ten, ja ich muß es gessss-tehen, er wird mit einer unverdienten Lächerlichkeit betrachtet, man sagt schlechtweg: ein Schneider! und zuckt die Achseln, und doch wie viel Schneider haben sich schon emporgeschwungen zu Reichthum, zu großen Aemtern und Würden! Ich meine nicht einmal Leute, wie der große SSSS-tulz, die auf dem Handwerk reich wurden und Schulen und mildthätige Anssss-talten bauen ließen; nein, ich meine solche Schneider, welche durch außerordentliche Geissss-tesgaben, die durch Tapferkeit sich hervorthaten.«
Die Kiliane sah bei Nennung dieses Prädikats lächelnd zu dem Herrn Dubel auf, doch dieser ließ sich nicht stören. Er schwang die Scheere begeistert in der Luft und fuhr, da er den Blick der Kiliane wohl bemerkt, fort:
»Ja, auch durch Tapferkeit – Schneider haben schon in allen Fächern der Kunssss-t und Wissenschaft geglänzt; es fallen mir nur gerade keine Namen ein, und wenn ich einen nenne, von dem ich noch vor Kurzem gelesen, nämlich Jan von Leyden, der König zu Münssss-ter wurde, so will ich sein Treiben durchaus nicht loben, doch war er ein verflucht gescheidter Kerl, der wahrscheinlich unter anderen Verhältnissen ein besseres Ende genommen hätte, und was die Tapferkeit anbelangte, so issss-t diese Eigenschaft dem Schneider nicht abzusprechen – es sind schon Mehrere von unserem Handwerk Generale geworden.«
Ob dieser kühnen Behauptung schüttelte die Kiliane den Kopf und versicherte, davon habe sie in ihrem ganzen langen Leben nichts gehört; der Herr Dubel aber richtete sich stolz auf, hielt die Scheere wie ein Schwert in der rechten Hand, faßte mit der linken ein Tischeck an, als wolle er ein Schlachtroß zügeln, und sagte:
»Mir hat gerade dieses Beispiel von Tapferkeit ein Kunssss-tmaler erzählt, bei dem ich zuweilen arbeite; er hat mir auch den Namen des Schneiders genannt und dabei versichert, es seien schon mehr als tausend Schneider Generale geworden.«
Dagegen ließ sich nun freilich nichts einwenden, und die Jungfer Kiliane, welche sah, wie Herr Dubel in Begeisterung zum Fenster hinausschaute und die Arbeit liegen ließ, brachte das Gespräch auf ein anderes Thema und fragte den Schneider, warum er vergangenen Freitag nicht zur Arbeit gekommen sei; worauf derselbe seinen Blick alsbald in's Zimmer zurückwandte, im Geist von dem Schlachtrosse herunterstieg und die Scheere zu dem gebrauchte, wozu sie eigentlich da war.
»Am vergangenen Freitag,« sagte Herr Dubel und paßte mit einigen kühnen Schnitten ein Stück Zeug zu einem anderen, wozu es gehörte, »war ich außerordentlich verhindert; ich fand Donnerssss-tag Abends in meiner Wohnung ein Billet vor von dem Jäger eines meiner hohen Gönner, des Herrn Barons Karl, worin ich gebeten wurde, den andern Tag beim Ausbessern einiger Livreessss-tücke zu helfen – ein charmanter Herr, der Baron Karl, ein liebenswürdiger Cavalier!«
»Aha!« sagte die Büglerin; »Frau Welscher hat seine Wäsche; ein sehr ordentlicher und sauberer Mann, es ist derselbe, von dem mir die alte Winklere erzählte, der die Geschichte bei Hof hatte ...«
»Und in Ungnade fiel wegen des schönen Hoffräuleins,« ergänzte Herr Dubel.
»Was da oben für merkwürdige Leute sind!« sagte die Kiliane und ließ sich ein neues und heißes Bügeleisen bringen, wodurch in ihrer Arbeit eine kleine Pause entstand, während welcher sie die Hände in den Schooß legte und zum Fenster hinaussah. »Bei uns Bürgersleuten ist man froh,« fuhr sie fort, »wenn ein armes Mädchen eine gute Parthie macht, und die da oben trennen ein solches Paar gewaltsam, 's ist kein Menschenverstand darin! – Und weiß man nicht, wohin sie das arme Fräulein geschickt haben?«
»Vor der Hand wissen wir es nicht,« antwortete der Herr Dubel sehr wichtig; »ich habe mir die Geschichte ausführlich von dem Lakaien Jean erzählen lassen, der weiß Alles, was bei Hofe geschieht; auf einem Hofballe wurde das abgemacht, und nachher in aller Früh reissss-te das Fräulein fort. Der Baron Karl, welcher das alles am andern Morgen erfuhr, eilte in's Schloß und soll mit einer der Hofdamen eine furchtbare Scene gehabt haben; diese fiel darauf in Ohnmacht, ein Umstand, der an sich bei solchen Damen nicht viel sagen will; doch in diesem Falle wurde die Alteration, welche der Baron der erssss-ten Dame verursacht, für sehr wichtig genommen und war Ursache, daß man ihn bessss-timmt und ausdrücklich bat, das Schloß ferner nicht mehr zu besuchen. Hierauf entschloß sich der Baron, die SSSS-tadt zu verlassen, wahrscheinlich will er das Fräulein aufsuchen, und ich wurde deßhalb am vergangenen Donnerssss-tage durch ein Billet meines genauen Bekannten, des Herrn Jägers Lukas, eingeladen, Einiges an den Reiselivreen zu verbessern. Morgen oder übermorgen reissss-t der Baron ab, und da wird das hübsche Haus, das er in der Allee draußen hat, geschlossen, und in all' den Zimmern, wo man so schön wohnen könnte, wird sich ferner keine Seele aufhalten.«
Dies sagte der Schneider mit einem tiefen Seufzer.
»Und das Fräulein ?« forschte die Kiliane, »hat sie keine Eltern, keine Verwandten, keine Heimath, wohin man sie geschickt haben wird und wo der Herr Baron sie leicht finden kann?«
»Ich glaube nicht,« entgegnete Dubel; »sie soll ein verwaissss-tes Kind sein und hat, so viel ich höre, nur noch einen einzigen Onkel, der da unten an der belgischen Grenze wohnt, der sich aber nie viel um sie bekümmert; zu dem hat man sie auf keinen Fall geschickt. Aber laßt's nur gut sein,« fuhr der Schneider bestimmt fort und schwang drohend seine Scheere, »wir werden sie schon finden, Jungfer Kiliane, es issss-t Alles bereits dazu eingeleitet, und dann prosit die Mahlzeit, Hofdamen, alte Herzoginnen, dann wird geheirathet trotz aller Einsprachen!«
Herr Dubel hätte noch längere Zeit solchergestalt seinem Ingrimme gegen schreckliche Hofintriguen, wie er es nannte, Luft gemacht, wenn nicht in diesem Augenblicke die Frau Welscher eingetreten wäre und darauf Jedes beim Anblick der gestrengen Frau seine Arbeit eifrigst fortgesetzt hätte. – – –
Unten aber, in dem Durchgange des alten Stadtgrabens wurde eine außerordentlich glänzende Gesellschaft sichtbar, welche sich auf das alte Kloster zu bewegte, in die Thür desselben eintrat und nun sporenklirrend, lachend und lärmend die breite finstere Wendeltreppe hinaufstieg.
Diese Gesellschaft war nichts Geringeres als der Hofkutscher, Herr Joseph Winkler, mit ein paar Collegen und Stallbuben, ferner der Herr Vicarier Steinle, welche alle zu dem Zweck gekommen waren, um dem alten Kloster einen Begriff davon zu geben, wie sehr sich die vom alten Hof bemühten, ihre Theilnahme für das Kind der verstorbenen Marie an den Tag zu legen. Zu diesem lobenswerthen Zwecke hatten sich ihnen angeschlossen: der Jäger Herr Lukas und der Hoflakai Herr Jean.
Alle befanden sich in großer Uniform, die Stallbeamten in weißen Lederhosen, glänzenden Kappenstiefeln, himmelblauem Leibrock, mit Gold besetzt, und sauber lakirten Hüten, die alle keck auf dem rechten Ohr hingen. Die Stallbuben trugen den Anzug der Vorreiter, hatten himmelblaue Jacken an, ebenfalls mit Gold gestickt, und eine runde Jockaimütze mit schimmernder Troddel.
Jean hatte ein Uebriges an sich gethan und zeichnete sich namentlich durch glänzend weiße, feine, waschlederne Handschuhe aus; Lukas war ebenfalls im höchsten Staat, sein grüner Rock schimmerte von Stickereien, sein reiches Wehrgehänge mit dem Hirschfänger klapperte und glänzte, auf dem Kopf hatte er einen großen Hut mit wallendem, dunkelgrünem Federbusche und an den Händen schwarze Stülphandschuhe. Besonders ihn schien der alte hölzerne Bruder Pförtner, der unten an der Wendeltreppe stand, freundlich anzusehen; derselbe hatte vor langen, langen Jahren gewiß viele dergleichen kecke Jägergestalten in's Kloster eintreten sehen, und als ihm Lukas lachend auf den dicken hölzernen Bauch schlug, würde er gewiß gelächelt haben, wenn es zufällig gerade um die Mitternachtsstunde gewesen wäre.
Als die Gesellschaft auf dem ersten Stocke ankam, stutzte Joseph, als er ein neues Schild sah, das, wie früher mit weißen mageren Buchstaben auf einem schwarzen Brett, jetzt mit Gold auf Grün deutlich sagte: »Weinwirthschaft.« Seine Collegen und der Vicarier stutzten ebenfalls, und die Stallbuben schmunzelten. –
Weinwirthschaft! Dieses Wort hat eine merkwürdige Anziehungskraft, besonders wenn man es mit goldenen Buchstaben auf grünem Grunde liest und eine etwas regsame Phantasie sich dabei den goldenen Wein in grünen Flaschen vorstellt. Der Zauber siegte auch dieses Mal, und Alle traten, die Stallbeamten voran, in das ehemalige Refectorium des Klosters.
Es war eine große, geräumige Stube mit hohem, vor Alter geschwärztem Getäfel, und gewiß einmal sehr luftig und hell gewesen, denn es hatte zwei große Bogenfenster, von denen aber das eine im Verlauf der Zeit wegen allzu viel zerbrochener Scheiben zugemauert worden und deßhalb die Fensterwand heutigen Tages recht trübselig und einäugig anzuschauen war, um so trübseliger, als das noch vorhandene Fenster nebelhaft angelaufen aussah, wodurch man jetzt beim schönsten Wetter und beim klarsten Himmel in der Stube geschworen hätte, es regne draußen. Möbelwerk, Fußboden, Thüre, Decke, Ofen und Wirthin paßten zu dieser Trübseligkeit; letztere eigentlich war das unpassendste Möbel in der ganzen Wirthschaft, denn eine dickere, schmutzigere und schlampigere Vettel war auf zehn Meilen im Umkreise nicht zu finden; sie sah aus, wie Grau in Grau gemalt.
Diese Wirthin nun wandte sich beim Eintritt der Gesellschaft schmunzelnd um, warf Ueberreste von Kartoffelschalen und eine große schwarze Katze vom Tische herab und eilte in den Schenkverschlag, um mehrere Schoppen des befohlenen Achter so schnell wie möglich herbeizubringen.
Am Ofen saß ein einziger Gast, welcher bei dem Sporengeklirr nicht umgeschaut hatte, wenigstens schien es so; auch nahm er gar keine Notiz von den Eingetretenen, sondern schien angelegentlich die Zeichnungen an dem großen, gußeisernen Ofen zu betrachten.
Joseph, der sich scheute, mit den weißen Reithosen auf die schmutzige Bank hinzusitzen, lehnte sich an den Tisch und trank das Wohl der alten Frau Welscher, der alten verstorbenen Marie und blinzelte dabei auf den Mann am Ofen hin, dem dieser Toast nicht besonders zu behagen schien. Auch die schmutzige Wirthin hätte etwas Anderes gewünscht, denn sie warf die Oberlippe auf und murmelte dem fremden Gaste lachend etwas in die Ohren.
Dies hielt aber den Kutscher durchaus nicht ab, besagten Toast noch einmal auszubringen, und dabei stieß er den Hoflakaien Jean in die Rippen, murmelte lachend ein paar Worte und zeigte dabei auf den Mann am Ofen.
Jean schmunzelte, hob sein Glas in die Höhe und sagte: »He, Joseph ! wißt Ihr nicht, wer jener dumme Kerl war, der Euch beim letzten Hofball in den Weg sprang und den Ihr nur dreist hättet überfahren sollen?«
»Genau weiß ich es nicht,« lachte der Kutscher, »aber es wird wohl ein Polizeispion gewesen sein. Ueberfahren, das darf man nicht thun, bei Leibe nicht! aber ich habe meine neue Peitschenschnur an ihm versucht, daß der Hallunk einen Satz machte, es war gar zu possierlich.«
»Wer war das, von dem die Rede ist?« fragte der Jäger.
»Wer wird's gewesen sein?« sagte Joseph: »so ein alter räudiger, abgeschlagener alter Hund von einem Aufpasser, so ein Kerl, der es nicht wagt, ein paar Besoffene festzuhalten, die aus dem Wirthshaus heraustorkeln und den größten Scandal auf der Straße machen, weil er fürchtet, Prügel zu bekommen, so ein verflixter alter Hallunke, der einen Hofwagen Nachts um ein Uhr anhält, wo weit und breit keine Menschenseele mehr auf der Straße, einen alten Hofwagen, die immer in solidem Trab fahren und noch nie Jemanden beschädigt haben, so ein alter Kerl, der allen Mädels nachläuft, der anständigen Leuten das Cigarrenrauchen verbietet und armen Weibern, die ihr altes Amt verlieren, durch scheußliche, giftige Bemerkungen das Leben sauer macht – so ein alter Lump – ein miserabler – einäugiger!«
Der Gast am Ofen zuckte bei den Ehrentiteln, die dem großen Unbekannten so freiwillig gespendet wurden, heftig zusammen und war namentlich beim letzten Prädikat, das von einem fehlenden Auge sprach, im Begriff, sich hastig herum zudrehen; doch bezwang er sich und blieb ruhig sitzen.
Der Achter war endlich getrunken, und die Gesellschaft schickte sich an, mit großem Geräusch, laut gesprochenen Worten und vielem Sporengeklirr in den zweiten und dritten Stock hinauf zu steigen. Kaum aber hatten Alle das Zimmer verlassen, so sprang der Gast am Ofen von seiner Bank in die Höhe, ballte die Fäuste nach der Thür, fletschte die Zähne und rief, während sein einziges Auge giftig leuchtete: »Wartet, ihr Hofgesindel, ich will euch den einäugigen, miserablen Lumpen noch eintränken!«
Droben indessen klopfte der Herr Joseph Winkler gar zierlich an die Thür der Frau Welscher, und als man von innen Herein! rief, öffnete er, und der Glanz und die Pracht, von der wir oben gesprochen, trat in das Zimmer vor die verwunderten Büglerinnen.
Nach ein paar Augenblicken des Staunens von Seiten der Frau Welscher, der Kiliane, des Herrn Dubel und sämmtlicher Kinder und Arbeiterinnen nahm Joseph das Wort und erklärte, daß sie sammt und sonders gekommen seien, um der Frau Welscher feierlichst dafür zu danken, daß sie sich des armen und verwaisten Kindes angenommen, wofür ihr Gottes Lohn nicht ausbleiben werde, und daß sie ferner sich erkundigen wollten, wie es der kleinen Marie gehe und was sie thue und treibe, daß sie nicht unterlassen könnten, eine Kleinigkeit an Geld, worunter zwei Dukaten, die sie für das Kind zusammengebracht, hiermit geziemend zu übergeben.
Diese Rede des Herrn Winkler war sehr rührend und feierlich, und die Frau Welscher, welche dieselbe Livree vor sich sah, die ihr seliger Mann auch getragen, fuhr, übermannt von süßen Erinnerungen und nachdenkend, mit der Hand über die Augen; die alte Kiliane trocknete sich ein paar Thränen ab, Herr Dubel war sichtbarlichst gerührt, der Vicarier Herr Steinle verzog sein Maul auf eine entsetzlich wehmüthige Art, als er das Kind der Marie vor sich stehen sah, und der junge Herr Welscher heulte ohne alle Ursache, vielleicht weil er die Kiliane weinen sah oder weil ihm seine Schwestern den Rest des Kaffee's ausgetrunken hatten.
Nachdem das vorüber war, bot die Frau Welscher so viel Stühle an, als sie besaß, und Alle fanden einen Sitz bis auf die Stallbuben, welche ehrerbietigst an der Thür stehen blieben.
Da wurde nun gesprochen von den letzten Augenblicken der unglücklichen Marie, von ihrer Herzensgüte und ihrem lustigen Sinne; ferner von der alten Winklere, daß ihr der Stadtrath Schwämmle das Austragen der Museumsquittungen anvertraut, und daß sie nächstens auch bei einer conservativen Zeitung angestellt werden würde; ferner von der Abreise des Baron Karl, welcher die Frau Welscher sehr betrübe, – so sagte dieselbe zum Jäger Lukas und versicherte, einen anspruchsloseren und artigeren Herrn habe sie noch nicht bedient; dann sprach man vom Wetter, von der Gesundheit der Kiliane, vom Heranwachsen der Welscher'schen Sprößlinge; dann wurden Stühle gerückt, Sporen klirrten gegen einander, die Stallbuben rissen die Thür auf, und nach vielmaligem Abschiednehmen und außerordentlich zahlreichen »Behüt' Euch Gott!« polterte die ganze Gesellschaft die Treppen hinab, mit Ausnahme des Jägers Lukas, welcher mit der Frau Welscher in das Nebenzimmer ging, um einige Rechnungen in Ordnung zu bringen.
Dieses Geschäft war bald abgemacht; der Jäger bedauerte, so sagte er als höflicher Mann, daß er morgen die Stadt verlassen müßte, und setzte hinzu: »Ich hoffe nicht, daß mein Herr lange Zeit ausbleiben wird, vielmehr, daß wir bald und glücklich zurückkehren und den Leuten hier zeigen, wie viel es geschlagen hat. Apropos!« fuhr der Jäger fort, »ich habe noch eine Kommission von meinem Herrn an Sie; er weiß nämlich genau, wie sehr alle Leute, die Sie kennen, von Ihrer Rechtlichkeit überzeugt sind und wie man sich darauf verlassen kann, wenn Sie Jemanden empfehlen. Nun bin ich vor einiger Zeit zufällig mit dem jungen Menschen, dem Herrn Dubel, der draußen in Ihrer Stube sitzt und arbeitet, bekannt geworden und bin im Stande, etwas für ihn zu thun, im Falle Sie mir ihn als zuverlässig und getreu empfehlen können.«
Die Waschfrau nickte vergnügt lächelnd und hörte aufmerksam zu.
»Mein Herr,« fuhr der Jäger fort, »verreist, wie Sie wissen, morgen und hat seine Gründe, von beiden Lakaien keinen im Hause zu lassen, wünscht aber einen vertrauten Menschen, der sich Nachts dort aufhält, der Briefe etc., die für uns ankommen, weiter besorgt, der vor allen Dingen ehrlich und verschwiegen ist; und zu diesem Posten habe ich den Herrn Dubel vorgeschlagen.«
»Und da haben Sie ein sehr gutes Werk gethan,« sagte die Waschfrau freudig überrascht, »ich kenne den Herrn Dubel von seiner Kindheit an und kann ihn in alle Wege zu dem Posten empfehlen.«
»Abgemacht!« sagte der Jäger und reichte die Hand zum Abschied. »Bitte, dem Herrn Dubel noch nichts darüber zu sagen, da ich mit dem Baron noch Einiges besprechen muß. Adieu, Frau Welscher! halten Sie sich gesund, ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.« Damit verließ der Jäger das Zimmer, grüßte den Schneider und die Jungfer Kiliane und stieg die Treppen hinab.
Der Herr Dubel, der keine Ahnung davon hatte, welcher helle Stern in der Nacht seines Daseins aufzusteigen im Begriffe war, nähte emsig darauf los, bis es acht Uhr schlug; dann aß er mit der Familie zu Nacht, gab beim Abschiednehmen der kleinen Marie die Hand und brachte die Jungfer Kiliane nach Hause, worauf er eiligst durch die glatten Straßen schlüpfte, um seine Dachkammer zu erreichen, seinen Thee im Morgenanzug zu genießen und sich, in Pelham lesend, für einen angehenden großen Herrn zu halten.
Bald hatte der Herr Dubel die Elstergasse erreicht und kam an das Haus Numero vierundvierzig, vor welchem sich eine vielleicht fünf Fuß breite Eismasse gelagert hatte; Dubel mit seiner Leichtfüßigkeit setzte zum Sprunge an, flog in die Hausthür hinein zierlich und gewandt und parirte auf dem glatten Stein, als stehe er auf einem Teppich, weil er sah, daß er im andern Falle einen Herrn fast umgerannt hätte, der aus der Thüre der Weinstube trat.
Dieser Herr aber blieb ob Sprung und Parade erstaunt stehen, klatschte langsam und gemessen in die Hände und sagte: »Bravo, bravissimo! ein schöner Sprung, ein merkwürdiger Aplomb, bravo!«
Der Schneider sah den Lobsprecher erstaunt an, zog aber höflich seine Mütze, als er den gravitätisch aussehenden Mann genau ansah und den königlichen Balletmeister erkannte.
»Bravo!« wiederholte Signor Benetti, »Sie entwickelten eine Gelenkigkeit und Kraft, wie man sie sich auf der Bühne nur wünschen kann.«
Er hätte wahrscheinlich noch weiter fortgesprochen, doch wurde in diesem Augenblicke die Hausthür von einer riesenhaften Figur verdunkelt, welche Niemand anders war, als der Herr Lukas, der sich nach dem Herrn Dubel erkundigte.
Der Balletmeister verließ das Haus, und die beiden Andern stiegen die Treppe hinauf.
Bald war der Schneider von dem Glücke, das ihn erwartete, in Kenntniß gesetzt, und man kann seine Seligkeit, eine elegante Wohnung sowie einen kleinen Gehalt zu erhalten, kaum ermessen. Er verließ noch denselben Abend die Elstergasse; sein Quartier, das fast noch ein Vierteljahr bezahlt werden mußte, kam dem Doctor Stechmaier zu Gute, der seinen Wandkasten verließ und sich oben einlogirte.