Friedrich Wilhelm Hackländer
Namenlose Geschichten - Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Zwölftes Kapitel. Aus dem Kutscherzimmer.

Das Kutscherzimmer des königlichen Marstalles war an Ballabenden wie der heutige der Versammlungsort für sämmtliche dienstthuende Kutscher, welche sich hier durch allerlei Kurzweil die Zeit bis zur Mitternacht vertrieben und alsdann ihre Wagen wieder einspannten, um ihre Herrschaften vom Balle abzuholen.

Dieses Gemach, in den Mansarden des Marstalls gelegen, war außerordentlich groß und wurde zur Geschirrkammer für alte Prachtstücke gebraucht, welche außer Cours gekommen waren und nur hie und da noch bei Maskeraden, Caroussells und dergleichen benutzt wurden.

Rings herum an den Wänden hingen diese alten Geschirre, reich mit Silber und vergoldeter Bronze beschlagen, mit bunten Bändern und farbigem Sammet aufgeputzt, in seltsamen Formen, die ein Sattler unserer Zeit in seinen kühnsten Phantasieen nie mehr hätte erfinden können. Daneben standen ungeheuerliche Sättel, und wo die blanken Nägel saßen, da hatte der Rost jedes Mal einen kleinen braunen Ring herumgezogen oder das Zeug durchfressen, und sie stachen vereinzelt in dem Holz. Auch alte, merkwürdig aussehende und sonderbar verzierte Schlitten waren da mit vergoldeten Gestellen, auf welchen Hirsche, Bären und andere Unthiere standen, deren Leib oben geöffnet und mit schwarzem Pelz ausgeschlagen war, um die Herrschaften in sich aufzunehmen. Diese waren ebenfalls seit undenklichen Zeiten nicht mehr gebraucht worden und schauten wehmüthig zu den kleinen Fenstern der Mansarde hinaus, wenn draußen der Schnee fiel und sie zurückbleiben mußten. Ingrimmig sperrte ein weißer Eisbär seinen Rachen auf, und wir sind überzeugt, daß er hie und da einen klagenden Laut ausstieß und wüthend sein Schellengeschirr schüttelte, wenn draußen die lange Peitsche knallte, wenn die Schellen an lustig dahinfahrenden Schlitten klingelten, wenn Fackelglanz an den trüben Fenstern vorbeifuhr, das Gemach auf einen Augenblick wie Blitze erhellend.

Die ganze Einwohnerschaft dieses Zimmers war überhaupt recht gespensterhaft und sehr geeignet zu einem tollen Getreibe um Mitternacht. Da stand das Schlachtroß irgend eines alten Herzogs, plump ausgestopft, mit den glasigen Augen weit in unabsehbare Fernen hinausstierend, als erblicke es die Vergangenheit und sehe deutlich vor sich das alte blutgetränkte Feld, wo es sich zum letzten Male wiehernd gebäumt, und die alten Fahnen, denen es voll Kampfbegierde gefolgt. Auf seinem Rücken lag derselbe alte Sattel, und in dessen Halftern stacken noch dieselben alten Pistolen, die sein Herr gebraucht. In der einen befand sich vielleicht noch altes verrostetes Pulver, eine alte, fleckige Kugel und irgend ein zweihundertjähriger Papierpfropfen, abgerissen von einem unvordenklichen Landesanzeiger.

Neben diesem Schlachtroß befand sich ein kleines Voltigirpferd von einem außerordentlich füllenartigen Ansehen; der Kopf hatte einen höchst wunderlichen Ausdruck und schaute auf dem dünnen Halse sehr altklug in die Welt; dazu der runde, mit Leder ausgestopfte Rücken, die vier geraden, unten ausgestreckten Beine, unförmlich und eckig, wie die eines lebendigen Füllens. Dieser Voltigirbock war um die Mitternachtsstunde das prachtvollste angehende Geisterpferd, das man je hätte sehen können; wie schauerlich und komisch zugleich, wenn es, von irgend einem Kobold geritten, daher galoppirt wäre, beständig stolpernd mit den unbehülflichen, steifen Beinen und beständig wackelnd mit dem viel zu schweren Kopfe!

Wenn wir uns auch nicht unbedingt für das Dasein von Spukgestalten und Gespenstern aussprechen, so glauben wir doch lebhaft an leise Gespräche, welche das hohe, weitgereiste Schlachtroß mit dem kleinen, nicht über die Sattlerwerkstatt und den Marstall hinaus gekommene Voltigirpferd zur Erinnerung an alte, herrliche Tage für das Eine und zur Belehrung für das Andere hielten.

»Gibt's Länder, Vater, wo nicht Berge sind?«

Wenn man nun zu diesem kleinen Gemach sehr niedrige Mansardenfenster nimmt, mit kleinen Scheiben, die angelaufen sind und trüb und dunstig in allen Farben des Regenbogens spielen und obendrein durch dichte Spinngewebe tief verschleiert sind, und wenn man hiezu die sonderbaren Fresken betrachtet, welche von der kunstreichen Hand talentvoller Stallbuben keck auf die schmutzig-gelben Wände geworfen, Bilder aus dem Stalldienst oder Stillleben im Stalle darstellend, so kann man dieses Gemach nicht geradezu wohnlich und annehmlich finden.

Die eben erwähnten Fresken waren entstanden zu einer Zeit, als das Zimmer eine Art von Carcer für die Stallbuben war, weßhalb sich hier namentlich Scenen aus dem Märtyrerthum verschiedener Reitzöglinge vorfanden.

Dort war der Oberkutscher Herr Mündels zum Sprechen ähnlich getroffen, wie er im Begriffe war, mit einer Hand von sechs Fingern eine ungeheure Ohrfeige auszutheilen; hier stand ein arabischer Hengst, der, wenn die Zeichnung vollkommen correkt war, was Körperschönheit anbetraf, freilich weit hinter dem Voltigirbock zurückblieb, und war derselbe in dem Moment aufgefaßt, wo er sich vermittelst mehrerer, der Anatomie bis jetzt unbekannter Gelenke in seinem Rückgrathe, auf's allermerkwürdigste bäumte.

Daneben sah man Hinrichtungen verruchter Verbrecher, sowie einige Stallobere gezeichnet, sinnreich mit der Erscheinung einiger handfester Mägde in Verbindung gebracht, wie sie offenbar auf verbotenen Wegen gingen.

Bei Abend dagegen, wenn namentlich, wie es heute der Fall war, in dem Zimmer einige Talglichter brannten, wenn der große Ofen in der Mitte eine behagliche Wärme ausströmte, so daß der Schlitten-Eisbär vor Wärme beinahe zu heulen anfing, – eine merkwürdige Thatsache, welche die Menageriebesitzer zu behaupten pflegen, – wenn die leblosen Gestalten rings umher, wie heute, mit lustigen Gesichtern besetzt waren, so befand man sich nicht so übel in dem alten Kutscherzimmer.

Wenn wir so eben von den leblosen Gegenständen rings umher sprachen, die von den Anwesenden besetzt seien, so ist dies buchstäblich zu verstehen; denn da es in dem Kutscherzimmer an Stühlen und Bänken fehlte, so wurden Schlitten oder Sattelböcke zum Liegen oder Sitzen benutzt.

Der Oberkutscher, Herr Mundels, welcher die Einladung Josephs auf eine Herzstärkung herablassend angenommen, hatte es sich in einem Schlitten bequem gemacht und ruhte in dem Bauche des erwähnten Eisbären, denselben vollkommen ausfüllend; hinter ihm auf der Wurst hockte ein Vorreiter, die Peitsche im Stiefel, und ein anderer Kutscher hatte sich vorn auf das Trittbrett gesetzt, dem Vorgesetzten die Aussicht auf den Ofen und den Punsch gehorsamst freilassend. Joseph befand sich neben dem Ofen selbst, schüttete Rum und warmes Wasser in eine sehr große Waschschüssel, schnitt Citronen und Zucker hinein, ungefähr in denselben Dimensionen, wie man den Pferden das Brod einbrockt, und rührte diese Brühe behutsam mit einem zinnernen Löffel um, nachdem er denselben vorher vermittelst seines Sacktuches vom Staube gereinigt.

Im Ganzen waren acht Personen hier versammelt, worunter unser Bekannter, der Herr Dubel, der neben dem Ofen auf dem defekten Sitz einer Kutsche saß, den er aus einem Winkel herbeigeschleppt hatte.

Seinen Frack hatte der Schneider zwischen die Geweihe eines Schlittenhirsches zum Trocknen aufgehängt und fühlte sich in dem ihm verheißenen und auch zu Theil gewordenen Kutschermantel, durchglüht von dem warmen, starken Getränke, äußerst behaglich.

Jean, der nicht fehlte, hatte sich ein Lager auf dem Boden zubereitet und ruhte da auf einem alten ledernen Sitzkissen. Zwischen dem Gastgeber selbst und dem Jäger Lukas, der ebenfalls erschienen war, hatte sich ein kleiner Höflichkeitsstreit entsponnen, indem Jeder dem Andern den Sattel des Schlachtrosses anbot und Jeder mit dem Voltigirbock vorlieb nehmen wollte. Endlich aber drang Joseph durch, der Herr Lukas schwang sich auf den schwarzen Hengst, und das alte Gestell erzitterte, während er aufstieg, wahrscheinlich aus Freude über den stattlichen passenden Reiter; denn wie der Jäger da oben saß mit dem bleichen Gesicht und dem kohlschwarzen Bart, in dem grünen, reich mit Gold geschmückten Kleide, fiel es Jedem auf, wie sehr Pferd und Reiter zusammenpaßten.

Der Herr Dubel, der sehr für das Wunderbare geneigt war, versicherte, es sei ihm, als müsse der todte Hengst jeden Augenblick anfangen zu wiehern; und der Oberkutscher meinte, nachdem er einen tüchtigen Schluck von dem Punsch zu sich genommen, es habe durchaus keinen Anstand, daß der Jäger auf dem Schlachtrosse, wie der selige Herr von Rodenstein, der wilde Jäger, ausschaue. Lukas selbst fand diese Vergleichung außerordentlich passend und meinte, ein solcher Traum in dem gewöhnlichen, langweiligen Traum des Lebens würde ihm nicht so übel gefallen.

Joseph schwang sich, nachdem alle Gläser gefüllt waren, auf den Voltigirbock und setzte sich dort zurecht, beide Beine auf einer Seite, wie es in manchen Gegenden die Bauern zu machen pflegen, wenn sie zu Markt fahren.

»Ja, ja,« unterbrach nach einer Pause der Oberkutscher die Stille, »es hat durchaus keinen Anstand, daß der alte Hengst mehr erfahren hat, als wir alle zusammen; wenn der erzählen wollte!«

»Es ist auf jeden Fall etwas Merkwürdiges um das Ausgestopftwerden,« sagte Jean; »das ist doch dieselbe Haut von demselben Hengst, den der alte Herzog selbst geritten.«

»Und dasselbe alte Sattelzeug und dieselben alten Pistolen,« sagte Joseph, und Lukas fügte hinzu:

»Man fühlt sich auch ganz sonderbar hier oben, und wenn man so hinausstarrt und mit den Augen die Mauern durchbohrt, so kann man einen hübschen Schlachtenlärm träumen.«

Jean, der sein großes Glas ausgetrunken hatte, konnte sich von der Idee des Ausstopfens nicht trennen und meinte, es sei sehr traurig, daß man nicht auch die Menschen solchergestalt conservire, auf jeden Fall sollte man in jeder Familie das ausgestopfte Exemplar eines berühmten Vorfahren besitzen.

»Es muß doch eine ganz eigene Raçe von Pferden gewesen sein, diese Dinger da,« sagte schüchtern der Vorreiter, »denn wenn man annimmt, daß so ein Vieh den schweren Reiter trug und in der Schlacht bolzgerade in die Höhe stieg und so zu sagen mitkämpfte, – das würde keines mehr von unsern Gäulen thun.«

»Das macht der Ehrgeiz und das Selbstgefühl,« sagte wichtig der Oberkutscher; »in der heutigen Schlacht lauft Alles in einer Reihe und Eins verläßt sich auf das Andere; aber damals gingen so zwei Reiter auf einander los – hast du mich gesehen! und wenn sich die Herren mit ihren Schwertern zerschlugen, so hieben die Pferde mit ihren Hufen aufeinander los; ich habe einmal in einem Buch gelesen, wie das Schlachtroß eines Ritters mit dem rechten Huf die Lanze des Feinds auf die Seite schlug, während es mit dem andern das Pferd so auf die Brust stieß, daß es sich überschlug.«

»Erstaunlich! – Unbegreiflich!« – sagten die Zuhörer, und der Oberkutscher, der in den Augen Joseph's und des Jägers einige Zweifel zu lesen schien, fügte hinzu: »Ich versichere euch, dergleichen hat durchaus keinen Anstand, und Niemand von euch wird einem Pferde Klugheit und Muth absprechen.«

»Das ist wahr,« sagte der Kutscher auf dem Trittbrett, »ein Pferd ist das gescheidteste Thier in der ganzen Welt;« und der Vorreiter fügte hinzu: »das allergescheidteste.«

»Ich möchte mir erlauben zu sagen,« mischte sich der Herr Dubel schüchtern in die Unterhaltung, – »daß neben dem Pferde wohl der Elephant genannt werden könnte; der Elephant issss-t wohl eben so intelligent, wie das Pferd.«

Der Oberkutscher dachte einen Augenblick nach, that einen tüchtigen Zug aus seinem Glase und sagte alsdann beistimmend: »Es hat durchaus keinen Anstand; namentlich ist der Elephant außerordentlich ehrgeizig; ich habe einmal in einem Buch gelesen, daß ein Elephant in einer Menagerie, der bei einer Vorstellung zu viel Rum trank und sich vor einem hohen Adel und verehrungswürdigen Publikum berauscht zeigte, sich aus Scham und Reue selbst um's Leben brachte.«

»Wahrhaftig!« riefen der Kutscher und der Vorreiter, und der Herr Dubel erlaubte sich schüchtern zu fragen, wie der Elephant das angefangen, worauf der Oberkutscher versicherte, er habe sich an seinem Rüssel aufgehängt, und hinzusetzte mit einem Ton, der alle Zweifel niederschlug: »Es hat durchaus keinen Anstand, daß sich ein Elephant an seinem eigenen Rüssel aufhängen kann.«

Diese Erzählung aber war den Anwesenden so wunderbar erschienen, daß eine Zeit lang tiefes Stillschweigen herrschte, und als darauf der Herr Dubel die Unterhaltung wieder aufnahm, zeigte dessen Frage, daß sich sein Geist mit etwas Phantastischem beschäftigte; denn er erkundigte sich, ob Niemand von den Anwesenden wisse, ob die Benennung: »Gespensterwagen,« welchen sein Freund, der Herr Joseph, heute Abend zu führen die Ehre habe, nicht irgend einen bestimmten und glaublichen Grund habe.

Joseph zuckte die Achseln und sagte, er habe sich nie darum bekümmert und die alte Benennung recht passend gefunden für das ewige Herumschwärmen des alten Gespensterwagens.

Der Kutscher auf dem Trittbrett aber meinte, indem er sich nach dem Oberkutscher umsah, er habe früher einmal etwas von einem Gespensterwagen gehört, und wenn eine dergleichen Geschichte wirklich existire, so müsse dieselbe dem Herrn Mundels unbedingt bekannt sein.

»Es hat durchaus keinen Anstand,« sagte der so schmeichelhaft Aufgeforderte, »daß einmal in früheren Jahren eine Geschichte mit einem Gespensterwagen passirt ist, und so viel ich mich deren erinnere, will ich euch davon mittheilen.«

Joseph schwang sich von seinem Voltigirbock herab, füllte die Gläser auf's Neue, und der Oberkutscher erzählte:

Von Veilchen I. und dem Gespensterwagen

»Vor langen Jahren, ich glaube, es war in der Zeit, wo der schwarze Hengst da noch als Füllen auf der Wiese herumlief, und wo die Schlitten und Geschirrstücke hier im Zimmer nur als etwas außerordentlich Prächtiges bei hohen festlichen Gelegenheiten gebraucht wurden, da war ein Ur-Urvetter meines Vaters ebenfalls Kutscher bei Hof, und dem ist eine seltsame Geschichte mit dem Gespensterwagen passirt.

Da war nun ein alter Kammerherr bei Hof, der bei sehr vielen guten Eigenschaften eine Schwäche für Veilchen hatte: das ganze Jahr standen dergleichen Blumen blühend in seinem Zimmer, seine Knieschnallen an den weißen seidenen Strümpfen waren mit Veilchen gestickt, seine Beinkleider waren Veilchenfarben und die goldenen ciselirten Knöpfe auf seinem Rock bildeten ebenfalls diese Blumen; dabei hatte er gewöhnlich einen Veilchenstrauß in der Hand, seine sämmtlichen Kleider rochen nach Veilchenpulver, und die Hofherrn nannten ihn nur Veilchen I.

Der Kammerherr wäre ein vortrefflicher Mann bei Hof gewesen, wenn er nicht einen großen Fehler gehabt hätte: er litt nämlich an einer fürchterlichen Zerstreuung, die sich schon öfters kund gethan und manche komische Geschichten hervorgebracht hatte.

Endlich eines Tages wurde er beauftragt, eine sehr vornehme Dame zum Hofdiner abzuholen. Hätte man nun schon damals die kleinen miserablen zweisitzigen Coupé's gekannt, welche, beiläufig gesagt, kein ordentlicher Kutscher im Stande ist, würdevoll und großartig zu führen, so wäre dem Kammerherrn wahrscheinlich nichts passirt; aber in jener Zeit war ein Hofwagen eine majestätische schwere Maschine, sechssitzig, mit hohen Spiegelgläsern, auf allen Seiten schwer vergoldet, mit ungeheuer hohen Federn und kleinen Rädern, und wenn davor ein Kutscher saß, von solidem Umfange, mit weißer Perrücke und langem gesticktem Paraderock, so hatte es gar keinen Anstand, daß eine solche Auffahrt sich prachtvoll und großartig ausnahm.

Der Kammerherr nun fährt vor, holt die vornehme Dame auf's zierlichste aus ihren Gemächern herab, und als sie unten am Wagen angekommen sind, begeht er in der Zerstreuung das Entsetzliche – steigt zuerst hinein, setzt sich auf den Ehrensitz und läßt die vornehme Dame auf dem Rücksitz Platz nehmen. Wie sehr sie sich auch bemüht, auf den andern Platz zu gelangen, so gibt es der Kammerherr um keine Welt zu, da er fest und steif glaubt, er sitze, wie es sich gehöre, auf dem Rücksitz, und bittet die Dame um Gotteswillen, ihm das nicht anzuthun und auf seine Seite zu sitzen.

So kommen sie vor's Schloß unter beständigen Demonstrationen und Complimenten, gehen zum Hofdiner, und als dort die Hofherren Veilchen I. seine Zerstreuung erzählen, fällt er wie aus den Wolken und bald darauf in die tiefste Ungnade, und ich versichere euch, es ist kein Spaß, bei Hof in Ungnade zu fallen. Seine vertrautesten Freunde wandten sich von ihm ab, er fand keine Partie Piquet mehr, die Kammerdiener, welche früher die Thür weit aufrissen, wenn er hereintrat, öffneten sie jetzt faul und nachläßig, so daß er öfters mit dem Degen anstieß; die Damen bei Hof, welche ihn bisher um seine Leidenschaft für die Veilchen bewundert, konnten plötzlich den Geruch dieser Blumen nicht mehr ausstehen; bei den größten Cirkeln sprachen die höchsten Personen mit ihm kein Wort, und wenn er den Dienst hatte, so pflegte der Fürst, wenn er sich zurückzog, die Thür seines Schlafzimmers selbst zu öffnen; kurz, Veilchen I. war eine gefallene Größe.

Umsonst sprachen einige ihm treugebliebene Freunde von lebensgefährlichen Selbstmordversuchen, die der unglückliche Kammerherr glücklich überstanden; umsonst fiel er in eine lange Krankheit – sein Glück wollte nicht aufblühen; man that, nachdem er endlich wieder kam, als sei er gestern erst dagewesen, und fragte nicht einmal, warum man ihn mondenlang nicht gesehen; umsonst schwand er zum Schatten und wurde entsetzlich mager. Niemand erkundigte sich, wo seine Körperfülle geblieben.

Da kam er auf die sinnreiche Idee und ließ sich einen neuen Anzug machen, wieder mit Veilchen besetzt, aber statt der veilchenfarbenen Beinkleider waren dieselben von weißer Seide, und statt des dunklen Violett prangten diese Blümchen auf Rock und Weste jetzt im tiefsten Schwarz; er sah von Weitem aus, wie mit großen schwarzen Schmeißfliegen bedeckt, und sein Anblick glich dem eines kranken und melancholischen Fliegenschimmels.

Das wirkte endlich, und bei dem nächsten großen Hofzirkel, als er so auf diese Art tieftrauernd erschien, blieb der Fürst erstaunt vor ihm stehen und sprach mit ihm. Wie Engelsgeläute klang die Frage, die er that, in den Ohren des armen Kammerherrn; der Fürst fragte nämlich: Sind Sie musikalisch? und Veilchen I. bückte sich tief und antwortete: Ja, Euer Durchlaucht, ich schlage das Spinet und singe häufig :

Blühe, liebes Veilchen!

Der Fürst lachte, der ganze Hof lachte, und Veilchen I. lachte mit.«

Hier machte der Oberkutscher eine Pause und ließ sich neuen Punsch eingießen; die Anderen änderten ihre Stellung ein wenig, um bequemer zu sitzen, nur Lukas behauptete wie eine Statue seinen Sitz in dem alten Reitersattel, er versetzte sich lebhaft in jene Zeit zurück, und wenn er sich die Sache recht überlegte, so hatte er vielleicht damals schon einmal gelebt und träumte vielleicht von da an immerfort, schon ein paar Jahrhunderte lang. Aber nein; einmal hatte er eine kurze Zeit lang wirklich gelebt und etwas Entsetzliches erlebt, das war ihm in seinen Träumereien vollkommen klar, und doch kam er sich zuweilen vor wie ein Wesen, das von Anbeginn der Welt existirt und das, Gott weiß in welchem unbekannten Winkel irgend eines alten Hauses fortschlummert und an dem lange, lange Jahre vorbeirollen, während es schläft und träumt; ein Wesen, das sich nur einmal, wie gesagt, erhoben hatte und wirklich ins Leben getreten war; aber an den Moment dachte er nur mit Schaudern und war außerordentlich froh, als er darauf wieder einschlief und ruhig fortträumen konnte.

Im Uebrigen trank er seinen Punsch so gut wie jeder Andere und horchte aufmerksam wie jeder Andere auf die Erzählung des Oberkutschers, der also fortfuhr:

»Es hat also durchaus keinen Anstand, daß man anfing, den armen Kammerherrn bei Hofe wieder zu bemerken, und daß die Sonne der Gnade wieder über seinem Haupte zu leuchten begann; aber es war keine fette, wohlthuende Sommersonne, die einem alten Körper so gut bekommt, nein, es war eine magere, blasse Wintersonne, die sich meistens hinter neidischen Schneewolken verbarg und nur höchst selten ein kümmerliches Licht auf den armen Kammerherrn fallen ließ.

Als er das nächste Mal den Dienst hatte und dem Fürsten die Thür des Schlafzimmers öffnete, sah ihn Seine Durchlaucht lächelnd an, bewegte die Lippen und pfiff zum höchsten Entzücken des Kammerherrn einen Theil von der Melodie:

Blühe, liebes Veilchen!

Der Glückliche war außer sich und ging aufrechten Hauptes und stolzen Schrittes durch die dichten Reihen der Dienerschaft nach Hause. Daß eine solche Gnade, eine solche Anerkennung ihm heute zu Theil geworden war, konnte sein schwaches Herz nicht ohne heftige Aeußerungen ertragen. Zu Hause angekommen, setzte er sich an sein Spinet und raste in wilden Phantasieen über das Thema:

Blühe, liebes Veilchen!

Natürlicher Weise ließ der Kammerherr am andern Tage die Trauer von seinen Kleidern verschwinden und die Veilchen an seinem Leibe blühten in ihrer natürlichen Farbe und Schönheit wieder auf; aber Niemand bemerkte es: die Zeit sämmtlicher Veilchen war eigentlich vorbei, und nach diesem Rückfalle grämte sich der Kammerherr mehr als je ab, er wurde nach wie vor nicht bemerkt, man sprach nicht mehr mit ihm – doch halt! – richtig! noch ein einziges Mal, als er den Dienst hatte, sah ihn der Fürst an und pfiff gedankenlos einen Takt des bekannten Liedes, worauf sich Veilchen I. tief, sehr tief verneigte und worauf die Gnadensonne für ihn auf immer untergegangen war.

Vergeblich kam er nach längerer Zeit, als er gänzlich unbeachtet blieb, wieder mit den Trauerveilchen, selbst das schlug nicht mehr an; vergebens erklärte er, unter solchen Umständen seinen Abschied nehmen zu müssen, es hielt ihn Niemand davon zurück; sein Schmerz steigerte sich auf eine fürchterliche Höhe, er begann unzusammenhängend zu sprechen und allerlei seltsames Zeug zu treiben.

So geschah es, daß, als er eines Tages den Dienst hatte und den Fürsten an der Thür an sich vorbeigehen ließ, er den Kopf erhob und halblaut zwischen den Zähnen summte: »Blühe, liebes Veilchen!« Der Herr lachte aber nicht mehr darüber, sah vielmehr seinen Kammerherrn ernst an, machte eine sonderbare Handbewegung, und den andern Tag wurde der Kammerherr in Ruhestand versetzt.

Der Ur-Urvetter meines Vaters fuhr ihn an jenem Tage nach Hause und hat versichert, er hätte nie ein jämmerlicheres Geschäft versehen; den Strauß, den er in der Hand trug, zerpflückte er unterwegs Stück für Stück und ließ die Blumen auf die Straßen flattern; in seinen Zimmern angekommen, setzte er sich an sein Spinet und spielte die verhängnißvolle Melodie immer und immerfort, ohne aufzuhören, von Morgens zehn Uhr bis Nachts um zwölf Uhr, und auch da spielte er noch fort, in die stille Mitternachtsstunde hinein, und wie Geisterruf klang es durch die hohen Zimmer: »Blühe, liebes Veilchen!« Gespenstige Schatten stiegen aus den Saiten des Spinet's hervor: eine Legion verstorbener Kammerherrn, die alle in Ungnade gefallen waren, schritten ins Zimmer und begrüßten ihn freundlich, nickten ihm zu und winkten ihm, in ihre Reihe zu treten. Aus der Luft herab fielen Myriaden von Veilchenblättern und hüllten die ganze Welt in violette Trauerschleier. Die Wachskerzen auf den schweren Leuchtern tropften dicke Thränen herab und hüllten sich ebenfalls in dichte Wachsschleier, und rings durch das Zimmer zogen tiefe Seufzer.«– – –

Hier hielt der Oberkutscher einen Augenblick inne, um den Eindruck zu gewahren, welchen die tiefen, mitternächtlichen Seufzer auf seine Zuhörer hervorgebracht. Augenscheinlich waren Alle davon ergriffen, und er fuhr also befriedigt fort:

»Es hat demnach keinen Anstand, daß ein solch' mitternächtliches Geseufze etwas höchst Grausiges an sich hat. Keiner von euch hat je etwas dergleichen gehört – oder du etwa?« wandte sich der Herr Mündels zum Vorreiter, der unruhig hin und her rückte; »hast du etwa schon ein Geseufze um Mitternacht gehört? und wenn du schon eines gehört hast, so wird es wohl ein eigenes gewesen sein, daß du mit einer blauen Nase nach Haus gekommen bist – aber,« fuhr der Oberkutscher feierlich fort, »ein Seufzer, den die Wände ausstoßen, ist etwas höchst Merkwürdiges, das fühlte auch der Kammerherr, ließ sich zu Bett bringen und legte sich hin, um nicht mehr aufzustehen.«

»Er wäre am Ende ruhig und sanft gestorben, wie es einem guten Christen zukommt, und sein ewiger Schlaf wäre wahrscheinlich nicht gestört worden, wenn ihm nicht ein alter Bekannter unvorsichtig und voreilig genug erzählt hätte, daß sich der Fürst oft seiner in Gnaden erinnere, daß er fast jeden Abend beim Zubettegehen den diensttuenden Cavalier frage: Wie war doch die verrückte Melodie? – blühe – blühe – und daß der Herr ebenso wenig wie der Diener die Melodie je vollkommen zu Stande brächten.

Und was pfeift der dienstthuende Kammerherr auf die Frage Seiner Durchlaucht für eine Weise? fragte der Sterbende mit matter Stimme, und der Andere antwortete: Nun, eine beliebige Melodie.

Eine beliebige Melodie statt des herrlichen Liedes:

Blühe, liebes Veilchen!

das ist ja ganz entsetzlich! und damit schloß er die Augen und war todt.

Kurze Zeit darauf, es war Winter geworden,« erzählte der Oberkutscher mit ernster Stimme weiter, »stand der Ur-Urvetter meines Vaters spät in der großen Remise und putzte die Spiegelscheiben an dem Wagen, womit er an dem Abend die Herrschaften vom Balle abholen mußte; der Wagen schaukelte und ächzte von der Bewegung, draußen war es kalt und unfreundlich, und als er mit seinem Geschäft fertig war, setzte er sich hinein auf die weichen Sammtkissen der Carosse und versank bald in einen festen und gesunden Schlaf.

Mitten in seinen Träumen aber war es ihm, als stehe vor dem Wagen und schaue durch die Spiegelfenster hinein ein ihm wohlbekannter Lakai und sage, er, der Kutscher nämlich, habe vor zwölf Uhr einzuspannen und um die Mitternachtsstunde vor die St. Hubertuskirche zu fahren. Das träumte ihm nur, aber so außerordentlich klar und deutlich, daß unser Vetter, als er um drei Viertel auf zwölf Uhr aus seinem Schlaf erwachte, eilig seine beiden Pferde einspannte und nach der St. Hubertuskirche fuhr.

Er hat später oft gesagt, wenn er diese Geschichte erzählte, er sei nie im Stande gewesen, darüber nachzudenken, wie sonderbar es doch sei, daß er Nachts um zwölf Uhr Jemanden an der Hubertuskirche abholen solle, er habe sich dies und das gedacht und es für nicht unglaublich gehalten, daß es einer Hofdame wohl einmal einfallen könne, Nachts um zwölf Uhr eine Beichte zu thun.

So sei er also ruhig hinaus gefahren und habe gleichmüthig vor dem Thore des Friedhofs gehalten, welcher die Kirche umschließt. Bald darauf habe sich diese Thüre geöffnet, es sei Jemand herausgekommen und sei in den Wagen gestiegen, auch habe es außerordentlich nach Veilchen gerochen. Der Kutscher hat sich in diesem Augenblick nur gewundert, daß der Wagen gar keine Bewegung gemacht und daß er, ohne einen Befehl zu erhalten, vollkommen genau gewußt, er müsse nach Hof fahren. Das that er denn auch, und obgleich er selbst durchaus nicht erschreckt oder alterirt war, so waren dagegen die beiden Rappen vor dem Wagen, sonst die besten Pferde von der Welt, kaum zu halten.

Am Portal des Schlosses angekommen, wurde der Wagen geöffnet, die dienstthuenden Lakaien im Gange stießen einen entsetzlichen Schrei aus, indem die Wagen- und die Schloßthür von selbst aufsprangen, ohne daß man Jemanden hindurchgehen sah, und unser Vetter, der Kutscher, der jetzt plötzlich wie aus einem tiefen Schlaf erwachte, jagte nach Hause, spannte aus und verkroch sich zitternd in sein Bett.«

Hier schwieg der Oberkutscher, trank den Rest seines kalt gewordenen Punsches aus und war sichtlich erfreut, seine Zuhörer in großer Spannung gelassen zu haben und mit einiger Neugierde, was mit dem Passagier des Gespensterwagens eigentlich geschehen sei.

Der Herr Dubel konnte auch nicht unterlassen, sich nach demselben zu erkundigen, worauf sich der Herr Mundels sein Glas abermals füllen ließ und mit ernster feierlicher Stimme sprach:

»Als sich nach Beendigung dieses Hofballes der Fürst in sein Schlafgemach zurückzog, soll er zu seinem dienstthuenden Cavalier gesagt haben: Mein armer Kammerherr schläft also ruhig bei St. Hubertus; schade um ihn, er hatte sonst gute Eigenschaften – wie war doch die verrückte Melodie?

Doch ehe der Cavalier antworten und den Mund öffnen konnte, trat eine sonderbare Gestalt aus dem leicht verdunkelten Nebenzimmer im weißen Kleide, mit schwarzen Veilchen gestickt, neigte sich tief, öffnete ihre eingefallenen Lippen und summte mit tiefer, schauerlicher Stimme:

Blühe, liebes Veilchen!

Dann zerfloß sie in Nebel, die Gestalt nämlich, und der Herr und der Cavalier standen da, starr vor Entsetzen.

So soll es geschehen sein,« schloß der Oberkutscher und sah sich vorsichtig rings um.

Die Zuhörer sahen ebenfalls vorsichtig rings in die dunklen Ecken des großen Zimmers, und bei dieser Bewegung, die sie auf ihren Sitzen machten, klingelten die alten Schlittenglocken und klirrten die Ketten an dem Geschirr des alten Schlachtrosses, der Kutscherbock, auf dem Herr Dubel saß, seufzte bei dieser Veranlassung so bedenklich, als habe er die ganze Geschichte mitgemacht und sei von ihm aus der Gespensterwagen an jenem Abend dirigirt worden.

Noch eine Zeit lang, nachdem der Herr Mundels diese Geschichte erzählt, blieb ein gewisser Ernst auf den Gesichtern und Unterhaltungsgegenständen der Zuhörer haften und es wurde viel von Träumen gesprochen, welche namentlich der Herr Lukas, sowie auch der Herr Dubel als etwas durchaus Untrügliches darzustellen versuchten.

Der Oberkutscher meinte jedoch, gute und böse Träume kämen aus dem Magen, und da das, was man esse, doch einigermaßen mit diesem Theile des Körpers in Verbindung gebracht werden könne, so bilde sich die Gattung der jedesmaligen Träume nach der Gattung des jedesmaligen Essens.

»Ich kann sicher darauf gehen,« sagte Herr Mundels, »wenn ich Blutwurst esse, so träumt es mir von Gefechten, ungeheuren Schlägereien und schrecklichen Geschichten; esse ich aber z. B. Kutscherbraten, so träume ich des Nachts gewiß etwas, was mit meiner Kunst in Verbindung gebracht werden kann. So hatte ich unter Anderem vor einiger Zeit in Folge eines derartigen Nachtessens einen sehr unangenehmen und peinigenden Traum.

Mir träumte nämlich, ich sei ein Omnibus, ein alter, gebrechlicher Omnibus, der auf seinen Rädern hin und her wackelte und der bei jedem Anstoß auf der Chaussee krachte und seufzte. In mich hinein packte der Omnibuskutscher, ein eigensinniger, schlecht gesinnter Hallunke, eine solche Menge von Passagieren, daß meine Seiten auf eine schreckliche Welse aus einander getrieben wurden, und das Volk in dem Omnibus, das heißt in mir, lärmte auf eine ganz unanständige Weise; auch glaube ich, daß sie sehr viel Bier und ein nicht geringes Quantum Wein getrunken hatten, es kam mir auch vor, als rauchten die Sünder in dem Omnibus entsetzlich schlechte Cigarren; kurz, ich wackelte in einem furchtbar elenden Zustande über die Straße und dabei war vor mich hin ein struppiger, krummbeiniger und lahmer Gaul gespannt, der es auf meine Schienbeine abgesehen hatte und so oft nach ihnen ausschlug, als ich einen Versuch machte, mich aus Verzweiflung in einen Chausseegraben zu wälzen. Endlich kamen wir ans Thor und als wir hinein wollten, war ich, oder der Omnibus, viel zu breit und das Thor viel zu eng; ich sollte hineingezwängt werden, die Kerle in mir schrieen, der Kutscher schimpfte, der Thorwärter fluchte, der alte Gaul schlug heftiger als je an meine Schienbeine, und ich erwachte.«

»Erstaunlich!« sagte Jean.

»Das war ein fürchterlicher Traum,« meinte Joseph und beeilte sich das Glas des Oberkutschers wieder aufzufüllen, damit er das Andenken an dieses schreckliche Gesicht hinabspüle in den Sitz der Träume.

Der Jäger meinte auf seinem Schlachtroß, nachdem er sein Glas ausgetrunken und es dem alten Gaul wie eine Kappe auf's linke Ohr gestülpt: »Wenn wir, das heißt wenn ihr heute Nacht träumt, so werdet ihr glauben, in Citronengärten zu wandeln.«

»Oder,« setzte Jean hinzu, »es kommt uns vielleicht auch vor, als seien wir dort hinten in Jamaika und müßten als elende Gschlafen Rum kochen.«

»Ganz richtig!« lachte der Oberkutscher, dessen dickes Gesicht auf eine merkwürdige Art zu leuchten begann, »und ich komme mit der großen Fahrpeitsche als Oberaufseher hinter euch.«

Pflichtschuldigst lachten der Kutscher auf seinem Trittbrett und der Vorreiter hinten ungeheuer über diesen Witz, so daß der Letztere fast von seiner Wurst hinuntergefallen wäre.

Als nun gar Jean hinzufügte, der Herr Lukas werde eine solche Existenz, wenn sie wirklich bestände, für einen sehr schlechten Traum halten, ging das Lachen von Neuem los. Der Herr Mundels stampfte mit den Füßen in dem alten Eisbären, die Thränen liefen ihm über die blauroth angelaufenen Backen, und als ihm in diesem Moment obendrein noch ein Stück von einem Citronenkern in den unrechten Hals kam, so fing er an fürchterlich zu, husten und erlitt einen kleinen Erstickungsanfall, der nur dadurch gehoben werden konnte, daß der Vorreiter hinten seinen lackirten Hut wegwarf und sich mit dem Kopfe in den Rücken des Oberkutschers eingrub und ihn so plötzlich in eine aufrechtsitzende Stellung brachte.

Ueber die Züge des Jägers glitt bei dieser Veranlassung ein leichtes Lächeln, er nahm Schluß in dem Sattel des alten Gaules, faßte die Zügel und sah aus, als wolle er hohnlachend die kleine Menschheit da unten über den Haufen reiten.

Der Herr Dubel sah mit großer Ehrerbietung zu ihm hinauf.

»Was wollt' ihr von Träumen sprechen?« fragte Lukas; »was ihr des Nachts seht oder zu sehen glaubt, kommt allerdings aus dem Magen, das sind keine Träume; wenn man heute Nacht ein Omnibus ist und morgen vielleicht ein Karrengaul, und wenn man vielleicht übermorgen ohne Hosen auf dem Markt herumläuft, – das ist nicht geträumt; aber wer kann sagen, er träume immerfort? Immer dasselbe Leben, bald anmuthig, bald langweilig, und wo er an seinem Traume heute aufhört, fangt er morgen wieder an; wer kann das von sich sagen?«

»Ei, ei,« antwortete der Oberkutscher, indem er sich mit einem rothkarrirten Sacktuch die letzten Thränen aus dem dicken Gesicht wischte; »das ist mir auch schon vorgekommen, daß ich mehrere Nächte hinter einander von einem ungeheuren Nierenbraten geträumt habe?«

»Ein Traum ohne Unterbrechung?« rief Lukas, »durch nichts unterbrochen, als die stille ruhige Nacht, wo ein gesunder Mensch schlafen und keine Träume haben soll – aber ein Traum am Tage, das ist etwas ganz Anderes.«

»Und sind Sie aus diesem Traume niemals aufgewacht?« fragte Jean pfiffig lächelnd.

»Bis jetzt nicht,« entgegnete der Jäger; »wird aber vielleicht noch kommen.«

»Und könnten Sie uns nicht erzählen, theurer Herr Lukas, wann der Traum eigentlich anfing?«

Der Jäger fuhr mit der Hand durch sein schwarzes Haar, und seine Augen leuchteten wie Blitze; er paßte so genau zu dem kohlschwarzen Roß mit den unheimlich glänzenden stieren Blicken, als habe nie etwas Anderes auf dem Sattel gesessen. Mann und Roß schienen Eins zu sein, ein berittenes Gespenst, gleich bereit, in der Mitternachtsstunde irgend einen wilden Spukritt anzutreten.

»Ihr wollt wissen,« sagte der Jäger, »wann ich anfing zu träumen? meinetwegen, sei's darum! 's ist eine kurze Geschichte.«

Und Lukas erzählte also:

Vom blauen Regenschirm.

»Ich war ein junger Bauernbursche, lebhaft und vergnügt, siebenzehn, achtzehn Jahre alt, – ja, es mag so gewesen sein, – und ich hatte für nichts Sinn als für die Pferde, mit denen ich auf dem Felde ackerte, und für die Blumen, welche ich im Walde fand, für letztere aber nur, weil ich sie, so lange es deren gab, allabendlich der jungen Tochter unserer Nachbarin, einer armen Frau, gab. Und das Mädchen war sehr schön.

Das fühlte ich wohl, und wenn der Tag noch so freundlich aufstieg, und wenn die Morgenwolken noch so rosig am Himmel zogen, und wenn die Lerchen noch so munter aufwirbelten aus dem grünen thauigen Fruchtfelde, das alles war für mich nur dann erst schön, nachdem sie ihr kleines, mit Papier verklebtes Fenster geöffnet und hinaus gerufen hatte: Guten Morgen, Lukas!

Damals träumte ich auch zu Nacht und träumte, wie das Mädchen mein wäre und ich sie in meinem Arm hielt, kurz, wie wir liebten und glücklich waren; dazwischen lagen aber in der Wirklichkeit noch ganze Berge von Hindernissen, und wenn ich mit dem Vater nur sprach von der Bettlerin und ihrer Tochter, so verfinsterte sich sein Gesicht, und einmal, als ich wie im Scherz sagte, die möchte ich heirathen, da hob er seine schwere Peitsche gegen mich auf. Trotzdem aber war ich viel drüben in dem kleinen verfallenen Häuschen und half der Alten, wo ich nur helfen konnte.

Das Mädchen war meistens traurig und in sich gekehrt, die Alte dagegen lustig und guter Dinge, namentlich wenn ich ihr ein Säckchen mit Frucht über den Zaun warf oder des Winters einige Scheiter Holz oder dergleichen.

Das dauerte so eine Zeit lang fort, und alsdann gingen Mutter und Tochter nach der großen Stadt, die nahe lag, um für das Mädchen ein Unterkommen zu finden; und sie fand auch eins bei einer Nähterin und ging von da an jeden Morgen dorthin und kam Abends wieder. Bald besserte sich auch das Verhältnis der Alten; es ging ihr nicht mehr so schlecht wie früher, und ich – nun, ich freute mich darüber.

Das Mädchen war damals fünfzehn Jahre alt und frisch und gesund aufgeblüht wie eine Rose, man konnte nichts Schöneres sehen. Wenn sie aber so zuweilen daher kam durch das Dorf an Sonn- und Feiertagen, und wir junge Bursche standen beisammen, und ich dem Mädchen triumphirend nachsah, indem es in mir sprach: »die wird doch dein werden!« dann stießen sich einige der ältern Bursche lachend an; und als sie eines Tages ein neues hübsches Tuch trug, sagte einer von ihnen: »Ich möchte beim Blitz, die hätte das Geld von mir verdient!« und die Andern lachten.

Das aber ging mir im Kopf herum, und ich dachte darüber nach und grübelte und wollte doch nichts herausbringen; auch mit der Alten sprach ich darüber, doch die lachte, sah mich mit einem sonderbar pfiffigen Blick an und brummte in sich hinein: »Man muß ja leben, das Hungersterben ist sehr unangenehm.«

Mir ließ aber diese Geschichte Tag und Nacht keine Ruhe, und nachdem ich lange hin und her gesonnen, ging ich eines Morgens, es war Samstags vor Tagesanbruch nach der Stadt und verbarg mich am Thor, bis das Mädchen kam, dann folgte ich ihr von Weitem nach und sah, wie sie allerdings zu einer Nähterin ging, um da zu arbeiten.

Ich blieb und wartete Stunde um Stunde, und endlich gegen vier Uhr, es war im Spätherbst, kam sie wieder heraus. Abermals folgte ich ihr von Weitem und sah, daß sie absichtlich durch mehr Straßen ging, als nothwendig war, und daß sie herumgehen wollte, bis es anfing, dunkel zu werden; dann trat sie vor ein großes Haus, sah sich schüchtern nach allen Seiten um und eilte durch ein Hofthor und dann durch eine kleine Thür in dieses Haus hinein, das sah ich. Ich schlich ihr nach, fand eine kleine, finstere Treppe, die ich langsam hinauftappte, und kam auf einen ebenfalls dunklen Vorplatz, wo ich nichts bemerkte, als gleich zwei feurigen Punkten zwei Schlüssellöcher, durch welche das Licht in den Zimmern auf den Vorplatz fiel. An dem einen horchte ich: es waren zwei Stimmen, die zusammen sprachen, Gott sei Dank! zwei Männerstimmen – aber was sprachen sie?

Der Eine sagte lachend und flüsternd: »Wer ist da?« und die andere Stimme antwortete:

»Es ist das hübsche Bauermädel, die alle Mittwoch und alle Samstag kommt.« »Schade um die,« erwiderte die erste Stimme, »die hätte in die rechten Hände fallen sollen, als daß sie so auf eigene Faust herumläuft;« und die andere Stimme entgegnete:

»Allerdings, es ist eigentlich schade.« – – –

Ich ging zurück an die andere Thür, und vor derselben stand ein alter blauer Regenschirm, den ich ganz genau kannte; vor nicht langer Zeit hatte ich an eben diesem alten blauen Regenschirm, als ich Abends in dem ärmlichen Zimmer draußen im Dorfe saß, die Stange mit einem Nagel befestigt, – sehen und hören konnte ich aber nichts aus dem Zimmer, wo der Regenschirm stand, es herrschte da eine entsetzliche sonderbare Stille. –

Ich ging langsam des Weges zurück, wo ich hergekommen und es fror mich auf eine schreckliche Art, die Zähne schlugen mir im Munde zusammen und meine Hände waren starr, doch wartete ich geduldig, bis sie aus dem Hause auf der kleinen Treppe und dem dunklen Vorplatz herunter kam, und dann folgte ich ihr von Weitem, und als sie in einen kleinen Laden trat, ging ich ebenfalls da hinein.

Als sie mich sah und erkannte, erschrak sie sichtlich und fuhr zusammen; sie sah sonderbar aus, ich habe ihr Gesicht seit damals nicht vergessen; ihr Auge war feucht, und ihre Hand zitterte, als sie ihre kleinen Einkäufe bezahlen wollte; auch wandte sie sich ängstlich rechts und links und wollte mich das Geldstück nicht sehen lassen, das sie gab.« – –

Nach einer Pause, die der Jäger hier in der Erzählung gemacht, fuhr er ruhig und gleichmüthig fort:

»Es war ein Zweiguldenstück und ich sagte: Du verdienst viel Geld, worauf sie mit leiser Stimme antwortete:

»Ach Gott! ich habe das eigentlich nicht verdient; ich habe es mir nur entlehnt, und es hat mich eine entsetzliche Mühe gekostet, es zu bekommen. Aber,« setzte sie hastig hinzu, »ich habe es wahrhaftig nothwendig gebraucht, ich verdiene täglich sechszehn Kreuzer, und davon können wir nicht leben.«

»Das ist ganz richtig,« entgegnete ich sehr ruhig, »davon könnt ihr nicht leben; aber wenn du es mir gesagt hättest, so hätte ich dir zwei Gulden geschenkt, so viel kann ich schon erübrigen.«

Darauf zitterte ihre Hand heftiger als zuvor, und die Geldstücke, welche sie zurück bekam, klapperten ordentlich zusammen.

»Wir wollen nach Hause gehen,« sagte ich nach einer Pause, und sie sah mich mit einem schrecklichen Blick an. »Ja, wir wollen nach Hause gehen,« fuhr ich fort, »ich will dich begleiten.«

Sie ging neben mir her, und erst als ich's ihr zehnmal gesagt, hing sie sich an meinen Arm, und da es heftig regnete, so spannte ich den alten, blauen Regenschirm, der auf dem Vorplatze gestanden, über uns aus.

Unterwegs muß ich allerlei sonderbares Zeug zu dem Mädchen gesprochen haben; oft lachte ich laut auf, und dann schauderte sie zusammen, endlich aber hörte ich sie einen gellenden Schrei ausstoßen, und dann war ich allein, doch kümmerte mich das durchaus nicht weiter; ich spazierte mit dem blauen Regenschirm ruhig nach Hause, legte mich zu Bett, und da war es, wo ich in einen tiefen, tiefen Schlaf fiel.

Entsetzliches träumte mir: bald lag ich in einem glühenden Ofen, bald lag ich eingefroren in einem See und sah ganz sonderbare, gräßliche Gestalten, Gewürme, das aus dem glühenden Ofen an mein Herz kroch, und seltsame Eisvögel, die auf dem See um mich herum flogen; am schrecklichsten aber war mir der blaue Regenschirm, den ich häufig sah – zuerst war es eine blaue Wolke, auf welcher sie lag, ein fünfzehnjähriges Mädchen, frisch und blühend; die Wolke sank aber tief herab und verwandelte sich in einen schmutzigen, gähnenden Schlund, und als ich ihr nachschauen wollte, schloß er sich krachend über ihr zusammen.

Dann träumte mir, es werde Frühjahr und ich kam hinaus in den grünen duftenden Wald zu einem Förster und lebte da ein ruhiges, träumerisches Leben. Jahre vergingen, so träumte ich nämlich, und dann wurde ich herrschaftlicher Jäger, Alles im Traume, und heute Abend träume ich von einer lustigen Punsch-Partie, die man eigentlich nicht mit alten, unangenehmen Erinnerungen trüben sollte.

»Joseph,« so schloß der Jäger, »fülle mein Glas auf!« Damit nahm er dasselbe vom Ohr des Pferdes herunter, schwang sich aus dem Sattel auf den Boden und trank das gefüllte Glas auf einen Zug aus.

»Lustig, lustig!« sagte er mit blitzenden Augen; »das Leben ist ein Traum, das haben schon weit klügere Leute als ich gesagt und bewiesen; nur fürchte ich mich einigermaßen vor dem Erwachen nach jenem Abend,« setzte er plötzlich ernst werdend hinzu, und seine Züge nahmen einen gespenstigen Ausdruck an; »wenn ich einmal erwache, so steht neben meinem Bette der blaue Regenschirm, und ich muß hinaus an den tiefen Dorfsee und mit den andern Burschen mit langen Stangen nach ihrem Leichnam suchen.« –

Draußen auf den Kirchthürmen schlug es zwölf Uhr.

Die Erzählung des Jägers hatte die Anwesenden sonderbar gestimmt, und Alle waren es zufrieden, daß die Mitternachtsstunde zum Aufbruch mahnte. Der Oberkutscher wälzte sich aus seinem Schlitten und meinte, es habe durchaus keinen Anstand, daß das ein ganz curioser Vorfall sei; der Kutscher und der Vorreiter sprangen eilfertig in die Höhe, und während der Erstere seinem Vorgesetzten den Rock, der sich durch's Liegen etwas in die Höhe geschoben hatte, sanft herabzog, reichte ihm der Vorreiter die kleine Mütze, die vom Kopf des Herrn Mundels gefallen war.

Joseph füllte zum letzten Male die Gläser, und der Herr Dubel, den die Geschichte des Jägers besonders angeregt hatte, und der dieselbe sehr poetisch fand, sah nachsinnend in die leere Punsch- und Waschschüssel, er seufzte tief auf und wandte sich an Lukas, der sein Glas in der größten Ruhe trank. »Für mich,« sagte er, »wäre es wahrhaftig außerordentlich angenehm, auch so träumen zu können, nur möchte ich wünschen, daß diese Träume angenehmer Art wären; – was bietet uns das Leben? was bietet mir das Leben?« setzte er traurig hinzu. »Ach! meine Exissss-tenz, mein wirkliches Dasein ist ein höchssss-t bejammernswerthes, und doch bin ich nicht dazu gemacht, als Flickschneider untergehen zu müssen, wenigssss-tens fühle ich es in meinen Träumen; oder wenn ich anmuthige Bücher lese, ja, dann fühle ich es, wie sehr ich meinen Zweck verfehlt habe. Warum bin ich nicht mit meiner Nadel zufrieden? warum zieht es mich zu einem vornehmen, eleganten Leben, wenn ich nicht die Mittel dazu besitze?«

»Das sind ebenfalls Träume,« sagte Jean, »und wir alle haben dergleichen Gedanken.«

»Aber nicht wie ich,« sagte hastig der Schneider; »ihr fühlt euch in eurem Zussss-tande glücklich, ihr wünscht euch nichts Anderes, als ...«

»Höchstens eine tüchtige Zulage!« lachte Jean.

»Aber ich,« fuhr der Herr Dubel fort, »verzehre mich in Sehnsucht nach einem Glück, das mir doch nie zu Theil wird; bei jeder Equipage, die vorbeirollt, denke ich an meine eigene, die ich besitzen könnte; wenn die Leute ins Theater fahren, so sehe ich im Geiste meine Loge von rothem Sammt mit weichen Stühlen, und die liegt,« setzte er trübe vor sich hin lächeln hinzu, »dicht neben der Bühne und hat eine Thüre da hinaus.«

Alle lachten bei den Phantastieen des Schneiders; der Oberkutscher sagte, es habe gar keinen Anstand, daß es viel besser und vernünftiger sei, sich mit seinem kleinen Loose zu begnügen. Dabei schaute er auf seinen dicken Bauch und dachte an seinen reichgestickten Rock, der zu Haus im Schranke hing, und erblickte schmunzelnd in dem Punschglase die große Staatscarosse und die Leute mit den abgezogenen Hüten.

Alle, wie gesagt, lachten über die Worte des Schneiders, nur der Jäger nicht, der mitleidig zuschaute, wie der Herr Dubel den warmen Kutschermantel auszog und sich besondere Mühe gab, sein noch feuchtes Fräckchen an den Leib zu bringen.

»Ich bin ja nicht unbescheiden in meinen Wünschen,« klagte der Schneider, indem er die Arme weit aus einander breitete und unter kräftigem Ringen den Versuch machte, den Kragen seines engen Rockes seinem Halse näher zu bringen, »es könnte mich ja glücklich machen, wenn ich nur auf Augenblicke in dem Wagen eines vornehmen Herrn schwelgen könnte; ich bin gewiß nicht unbescheiden.«

»Dazu könnte Rath werden,« meinte der Jäger; »wenn es Ihn z. B. glücklich machen kann, einmal mit allem Zugehör nach Hause gefahren zu werden, so komm Er mit mir, ich will Ihn in aller Form vor Seine Wohnung bringen.«

Herr Dubel lächelte ungläubig; aber Jean, der dem Jäger einen Wink gab, sagte: »Warum denn nicht? ich bin überzeugt, wenn der Herr Lukas was sagt, so fährt er Euch in dem Brougham des Barons nach Hause.«

Joseph trat ebenfalls lachend näher, klopfte dem Schneider auf die Schulter und sagte: »Steig' Er ein, alter Dubel; mich soll der Teufel holen, wenn in dem alten Stall dergleichen alte Spässe nicht übel aufgenommen würden, so führe ich Ihn auch einmal nach Hause.«

Und der Oberkutscher setzte hinzu, das sei ohne allen Anstand ein Kapitalspaß.

Demgemäß verließen Sämmtliche von der Punschgesellschaft das Kutscherzimmer und stiegen in den Stall hinab, oder gingen, um ihre bereits eingespannten Equipagen aufzusuchen.

Lukas, der mit dem Schneider ging, blieb vor dem Thor des Marstalles stehen und wartete auf die Equipage des Barons, die auch bald mit zwei Laternen heranrollte. Der Herr Dubel lachte freudig in sich hinein über die bevorstehende Fahrt und bedauerte nur, daß es nicht Mittagsstunde sei, um Bekannten, die ihm allenfalls begegnen würden, freundliche Grüße zu spenden. Ernst und feierlich wie immer öffnete der Jäger den Schlag des haltenden Broughams, erkundigte sich, ob Seine Gnaden eine Cigarre anzustecken wünschten, machte auf die bejahende Antwort Feuer und reichte dasselbe dem Schneider sammt einer guten Cigarre, welche der Herr Dubel alsbald anbrannte, sich darauf in die weichen Kissen zurückwarf und schläfrig befahl, nach Hause zu fahren.

»Elstergasse, Numero Vierundvierzig!« sagte Lukas zu dem Kutscher, und der Herr Dubel fügte hinzu: »Vier Treppen hoch, hinten hinaus!« und dahin fuhr der elegante Brougham, dumpf rollend und angenehm schaukelnd. Die Laternen warfen zitternde Lichter auf die Gegenstände rechts und links, an welchen sie vorbeikamen; die Hufe der Pferde klapperten auf dem Pflaster und der Herr Dubel war überglücklich.

»Ach,« seufzte er, »wenn mich so die Honoratiorentochter sehen könnte! wenn ich so bei ihr vorfahren dürfte! 's wäre doch eine Möglichkeit da, ihr Herz zu erringen.«

Es ging dem Schneider in diesem Augenblicke, wie es den meisten Menschen geht, die immer weiter schweifen, wenigstens in Gedanken, obgleich das Schöne doch so nahe liegt. Ihm genügte nicht mehr der elegante Wagen, in welchem er lag: nein! er knüpfte an denselben Eroberungsversuche, Herzenseinnahmen, das ganze lustige und leichte Leben eines reichen Kavaliers und fand sich deßhalb sehr unangenehm berührt, als der Wagen in die tiefer gelegenen Stadttheile einbog, wo arme Miethsbewohner bei kleinen Gewerbsleuten ihr bescheidenes Zimmerchen haben.

Man hätte dieses Viertel den Federviehhof der Stadt nennen können; denn in ihm gab es Elster- und Krähenstraße, Tauben- und Hühnerhof; und hier wohnte auch der Herr Dubel, dort in jenem langen, schmalen Gebäude, ausgezeichnet durch einen kohlschwarzen Giebel und durch ein kleines, stilles Weinhaus im untern Stock, welches gewöhnlich von Gästen aus der höheren Bürgerklasse benützt wurde.

Man sollte glauben, dieselben hätten Wirthshäuser, auf den breiteren Straßen gelegen, besucht; dem war aber nicht so, und je enger und schmieriger eine Weinkneipe zwischen Häuser und Düngergruben eingekeilt lag, desto größeren Zuspruchs erfreute sie sich in hiesiger Stadt. Nur recht verborgen, nur ungesehen von der ganzen Nachbarschaft mußte man in die Wirthsstube gelangen können, das war neben einem guten Wein ein Haupterforderniß und ein Anziehungspunkt für die Stammgäste.

Ein spekulativer Kopf, dessen Haus mit der vorderen Seite an einer belebten Straße lag, während auf der andern Seite des Hauses ein tiefer Graben war, der das Gebäude von einem unscheinbaren Stadtviertel trennte, und von wo man nur auf ausgetretenen Treppen zwischen den schmutzigen Mauern aufwärts in das Haus gelangen konnte, hatte die glückliche Idee, den Eingang zur Weinstube nach hinten zu verlegen, – eine zeit- und stadtgemäße Veränderung, welche ihm eine ungeheure Menge Gäste zuführte und ihn in Kurzem zum wohlhabenden Manne machte.

In der Elstergasse nun, vor dem Hause Numero vierundvierzig, standen in der geöffneten Thür neben dem schlaftrunkenen Wirth die letzten Gäste, welche die Mitternachtsstunde zum Aufbruch gemahnt hatte und die daran waren, sich nach Hause zu verfügen. Sie waren gerade im Begriff, das Wetter für die nächsten Tage zu prophezeien, und einer unter ihnen wollte aus verschiedenen lichten Streifen am Himmel ein heranziehendes Frostwetter erkennen.

Es waren ihre drei, die da standen, wovon zwei außer dicken Ueberröcken und Mützen nicht viel Bemerkenswerthes hatten, der dritte dagegen, der im Laufe des Gespräches mit »Herr Direktor« angeredet wurde, eine hohe, d. h. große Persönlichkeit, war, mit gerade aufsitzendem, etwas nach vorn geneigtem Hute, in einen weiten Carbonarimantel gewickelt. Er hielt in der Hand ein langes, spanisches Rohr mit goldenem Knopf, das er stolz auf das Pflaster aufgesetzt hatte, ungefähr in der Art, wie man es auf der Mensur mit dem Stoßdegen zu machen pflegt.

Zwischen diese Gruppe hinein rollte der Brougham des Barons und die drei Gäste, denen vor dem Wirthshause in der Elstergasse noch nie ein solches Attentat auf ihre Hühneraugen begegnet war, hatten kaum Zeit, an das Haus zu springen. Der Kutscher, den der Jäger von dem Spaß unterrichtet, fuhr so dicht hinan, daß die Räder des Wagens die ausgetretenen Treppenstufen fast berührten, und parirte die Pferde im schärfsten Trab. Lukas flog vom Bocke herunter, riß den Schlag auf, salutirte dem aussteigenden Schneider und sagte ernst und würdevoll: »Wünsche wohl zu schlafen!« Er hätte gern hinzugesetzt: »Herr Graf,« fürchtete aber damit den Spaß zu verderben. Dann schwang er sich wieder neben den Kutscher, schrie ihm viel lauter als nöthig war in die Ohren: »Nach dem Schlosse!« und dahin sauste der Wagen.

Die drei Stammgäste blickten verwundert den Schneider an, der ebenfalls einen Augenblick unter der Thür stehen blieb und nach dem Wetter sah, und dann wandten sie sich an die Wirthin, welche im Ton der höchsten Ueberraschnng ausrief: »Ei, der Dubel!« um zu erfahren, wer der Mann der Equipage eigentlich sei.

Der Schneider, der durch das Schaukeln in dem Wagen ganz in die Rolle eines gnädigen Herrn verfallen war, nahm sehr würdevoll den alten zinnernen Leuchter aus der Hand der Wirthin, lüftete seinen alten Hut kaum merklich zum Gruß und stieg die Treppen hinan.

Die drei Stammgäste aber, wenigstens zwei von ihnen, steckten ihre Köpfe mit denen des Wirthes und der Wirthin zusammen und vernahmen zu ihrem größten Erstaunen, daß der junge Mensch ein Flickschneider sei und in der vierten Etage hinten hinaus wohne. Der dritte der Stammgäste, der Herr Direktor, schüttelte den Kopf und meinte, dahinter stecke etwas, der junge Mensch müsse, Gott weiß woher, eine vornehme und sehr mächtige Protektion haben.

Er sprach diese Worte, obgleich in ziemlich ordentlichem Deutsch, doch mit sehr fremdem und weichem Accent. Was er sagte leuchtete auch dem Wirth und der Wirthin ein, und sie beschlossen, den Herrn Dubel künftig mit größerer Achtung als bisher zu behandeln.

Dann schloß sich das Haus und starb für heute Nacht wie die umstehenden ab; noch eine kleine Weile sah man flackernde Lichter an den Fenstern hin und her wandeln, dann erloschen auch diese und Alles war nächtig und finster.

Die Stammgäste zogen ihres Weges, zwei rechts, der Herr Direktor links, und wenn man ihn so dahinwandeln sah, den Mantel malerisch umgeworfen, die Beine zierlich setzend, und wenn man noch in der Entfernung hörte, wie der Stock auf dem Pflaster klirrte, den er fest und gleichmäßig aufsetzte, so paßte Figur und Gang so gar nicht in das Revier der Elstergasse, und man hätte darauf schwören mögen, der Mann gehöre dahin,

»wo die letzten Häuser steh'n.«

Und diese Ansicht war auch keineswegs unrichtig, denn, theurer Leser, der Mann, der dort hinwandelt, ist keine geringe Persönlichkeit, es ist vielmehr Signor Benetti, Direktor des königlichen Ballets und der königlichen Tanzschule.


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