Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Im Anfang war Palau nicht wie heute. Dunkelheit füllte den Weltraum. Palau war finster. Keine Menschen wohnten dort. Nur im Westen der Landschaft almelik hauste auf einer einsamen, schroffen Klippe der große Geist aJkaderngel mit seinem Weibe eJluaingadassakor. Beide langweilten sich. Überdrüssig waren sie des Lebens in Dunkelheit und Nacht. Ihre Herzen sehnten sich nach Licht, und so überlegten sie sich, wie sie es zu schaffen vermöchten.
Endlich kam ihnen ein Gedanke. Sie brachen von der Klippe einen mächtigen Brocken los und meißelten daraus in anstrengender, anhaltender Arbeit eine runde Scheibe. Die taten sie in eine Schleuder und warfen sie mit aller Kraft hoch in die Lüfte. Sie flog nach Westen und blieb am Himmel haften. Als Mond rollt sie seither über das weite Himmelsgewölbe, mit freundlichem, mildem Lichte das Dunkel der Nächte erhellend. Die abgesprungenen zahllosen Splitter verstreuten sie wahllos über den Himmel. Es sind die großen und kleinen Sterne.
So erhielt die Nacht ihr erstes Licht. Doch den beiden genügte es nicht. War der Mond über den Himmel gewandert und wieder im Meere versunken, blieb wohl das ruhige, schweigende Flimmern der Sternenwelt, aber die Tage waren dunkel wie zuvor. Sie beschlossen, ein machtvolleres Werk zu schaffen. Sie brachen von der Klippe ein neues Felsstück. Und in vieler und schwerer Mühe meißelten sie mit ihren kleinen Muscheläxten eine andere, größere Scheibe. Sie taten wie das erste Mal und warfen sie hoch in die Lüfte. Sie flog nach Osten und blieb am Himmel haften. Als Sonne rollt sie seither über das weite Himmelsgewölbe, mit strahlender Helle dem Tage das Licht schenkend. Da waren beide zufrieden. Tief unten im Meere bauten sie ihr ein steinernes Haus, damit sie nach der Wanderung des Tages dort ausruhe. Ein weithinschattender Mangrowenbaum wächst an der Stelle, wo der Weg vom Himmel ins Meer hinabführt. Nur etliche liebten die Sonne nicht. Das waren die Haifische; eifrig waren sie hinter ihr her, um sie zu verschlingen. Doch die Sonne merkte ihr Vorhaben. Wenn sie abends zu der Mangrowe kam, kitzelte sie schon von weitem mit ihren Strahlen die an dem Baume sprossenden Keimlinge, daß sie absprangen und ins Wasser fielen. Voll wilder Begier stürzten die gefräßigen Fische darauf los und merkten nicht, wie die Sonne untertauchte und nach Hause gelangte. So täuscht die Sonne täglich die Haie und entgeht ihren Nachstellungen.
Es gab aber noch keine Menschen. Und den beiden Geistern, die weiter auf der einsamen Klippe lebten, gefiel das Alleinsein nun erst recht nicht mehr. Täglich leuchtete die Sonne über das prächtige Land, wanderte sie über die dunklen Blätterdächer der enganeinandergedrängten Bäume, spielte ihr Schein im frischen Grün der würzigen, üppigen Fluren, die wuchsen, gediehen und doch niemandem dienten. Still war es auf den Inseln. Es fehlten die Menschen, die eifrig und geschäftig die Gaben der Geister hätten verwertet und ihnen danken können.
So beschlossen sie denn Menschen zu schaffen, Wesen nach ihrem eigenen Bilde. aJkaderngel wollte die Männer, eJluaingadassakor die Frauen machen. Aus rotem Lehm und Sand wurden die ersten Menschen. Eifrig waren die beiden am Werke. Mit großer Freude formten sie den Leib, die Glieder, Kopf, Augen, Nase und Ohren; die Scham bildeten sie nach dem eigenen Vorbilde. Herrlich gelang ihnen die Arbeit. Voll Stolz auf seine Wesen rief aJkaderngel die Frau herbei, ihr die prächtig geratenen Männer zu zeigen. Neugierig und staunend bewunderte eJluaingadassakor die Menschen ihres Mannes, die sich hüllenlos ihrem Auge darboten. Als jedoch aJkaderngel die Werke seines Weibes sehen wollte und ihm nach dem Platze folgte, wurde es böse und schämte sich. – Nie soll ein Mann am hellen Tage die Blöße der Frauen schauen! – Eifrig verhüllte und versteckte sie daher die Scham ihrer Frauen. Und seit dieser Zeit tragen alle Frauen auf Palau den buntfarbenen Blätterschurz, während die Männer ehemals vollständig nackt gingen.
Und so will es die Sitte: Kein Mann darf eine Frau von ihrer Schürze entblößt überraschen. Schwere Strafe würde ihn treffen. Nie darf er öffentlich von der Frau eines andern sprechen, ja nicht einmal ihren Namen nennen.
Gern hätten die beiden die Menschen unsterblich gemacht; sie wollten ihnen deshalb einen Stein in die Brust setzen, denn fest wie die Steine, mutig sollten sie werden und nicht zu essen brauchen. Doch die Tücke der schlauen Ralle vernichtete ihnen den Wunsch. Der Vogel gab ihnen den Rat, den Körpern nur den Atem einzuhauchen. Die Geister taten es. Nun lebten die Menschen. Doch weil ihnen die Härte der Steine fehlt, fallen sie Krankheiten anheim und müssen sterben.
aJkaderngel und eJluaingadassakor lehrten hierauf ihren Geschöpfen die gegenseitige Bestimmung, und zeigten ihnen, wie sie es anstellen müßten, Nachkommen zu zeugen, sich zu vermehren und das Land mit ihresgleichen zu bevölkern. Wie sie aber die Menschen zusammenlegten, geschah es, daß viele nicht ineinander paßten und wieder auseinanderfielen. Infolgedessen hat Palau wenig gute Ehepaare und spärlichen Kindersegen. Auch wo Liebe Jünglinge und Mädchen zusammenführt, trennen sie sich häufig schon nach den ersten Nächten. Lange sucht der Mann, bis er die passende Frau findet. Die ersten Menschen aber waren mächtige Zauberer, Riesen an Körper und Taten; sie hatten Fähigkeiten, die den heutigen Palauern fehlen.«
Neues hatte ich gehört, neues die übrigen; berichtet ihnen doch die Sage ein anderes Werden der Ahnen, von manabegabten Geistern, die Fische, Vögel, Früchte und leblose Steine zu Eltern der Menschen schufen.
Schweigen füllte das Haus.
Frische Zweige knistern im Feuer, beizender Rauch steigt auf und vertreibt für eine Weile die quälenden Mücken.
Olapel rückte näher zu mir heran, näher ans Feuer. Er lächelte verschmitzt und sprach: »Jetzt werde ich dir erzählen, wie wir unsere Bestimmung erfuhren und das Zeugen der Kinder erlernten.«
*