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Zwei Männer, Gavus und Rageteg, fuhren einst zum Fischen vor das Riff. Sie fahndeten auf Treibholz. Als sie einen mächtigen Balken gefunden hatten, der zur Hälfte verfault, tief im Wasser schwamm, ließen sie eine große, aus starken Zweigen geflochtene Reuse über Bord, taten Köder hinein und banden sie an dem treibenden Stamme fest. Nun hatten sie einige Stunden Muße und beschlossen zu schlafen. Doch während der eine schlief, sollte der andere wachen.
Da kam von ungefähr ein großer Wal geschwommen. Als der die beiden erblickte, und er gerade Hunger hatte, schluckte er sie über und verschlang sie samt dem Kanu. Da saßen sie im Bauche des Walfisches und berieten, was sie tun sollten. Sie dachten hin, sie dachten her, und schließlich sagte der eine: »Wir wollen lauschen und aufpassen, wenn der Wal am Grunde aufstreift. Dann sind wir in der Nähe von Land. Mit unsern Messern wollen wir ihm die Eingeweide und den Bauch zerschneiden und versuchen zu entkommen.
So geschah es. – Nach geraumer Zeit verspürten sie unter sich ein lautes Schurren und Knirschen. Der Wal war auf dem Riffrande gestrandet. Sie suchten nun ihre Muschelmesser hervor und begannen, damit dem Fische die Eingeweide zu zerschneiden. Der Wal fühlte das Rumoren und Poltern in seinem Leibe; wie es darin gar nicht wieder ruhig werden wollte, auch die Schmerzen nicht geringer wurden, nahm er alle Kraft zusammen und spie die beiden aus. Eine hohe Woge schleuderte sie an den Strand. Als die zwei sich von ihrem Schrecken erholt hatten, schauten sie sich um und sahen, daß sie auf einer fremden, unbekannten Insel gelandet waren.
Auf dem Eiland wohnten nur Weiber. Einmal im Jahre wurde es von den Männern einer benachbarten Insel besucht. Die lebten dann einige Tage mit den Frauen zusammen und kehrten darauf wieder heim. Hatte man neunmal beim Vollmonde die Tänze und Reigen am Strande aufgeführt, wurden die Kinder geboren.
Wenn nun die Frauen schwanger waren, ihr Leib sich zum rötlichen, runden Kürbis auswuchs, wenn die Zeit der Geburt nahte, dann führte man sie abseits. Mit einem Muschelmesser schnitt man ihnen den Bauch auf und nahm das Kind heraus; war es ein Mädchen, zog man es auf; die Knaben nahmen die Männer beim nächsten Besuch mit; die Frauen aber begrub man.
Gavus und Rageteg gingen in die Insel hinein und gelangten bald in das Weiberdorf. Sie wurden freudig begrüßt. Da ihr Kanu zerschlagen, und andere nicht zur Verfügung waren, die sie zur Männerinsel hätten bringen können, blieben sie bei den Frauen. Jeder erwählte sich eine, junge anmutige Wesen, die Schönsten im Lande.
Sie waren einander von Herzen zugetan, und bald wurde die Frau des Gavus schwanger. Als ihre Zeit herannahte, erzählte sie ihrem Manne von dem traurigen Geschick, das ihr bevorstünde und sie nun bald sterben und von ihm scheiden müßte. Gavus liebte seine Frau und überlegte, wie er sie zu retten vermöchte. Und sofort kam ihm der rechte Gedanke. Im Dunkel der Nacht nahm er seine Frau bei der Hand und flüchtete mit ihr in den Busch, wo er am dichtesten und unzugänglichsten war.
Dort lebten sie, bis ein Knäblein geboren wurde. Diesmal wurde der Frau der Leib nicht aufgeschnitten, sondern es wanderte auf dem natürlichen Wege zur Mutter heraus.
Nach einer kleinen Weile verließen sie das Versteck und gingen ins Dorf zurück. Hier war das Erstaunen groß. Denn man hatte geglaubt, daß ein böser Geist die Vermißten geholt hätte, und sie längst gestorben wären. Die Verwunderung wuchs, als sie auch das Knäblein bei der gesunden, jungen, lebenden Mutter erblickten. Die mußte jeder erzählen, wie Gavus ihr zur Flucht geraten und das Kind auf die Welt gekommen war. »Das ist also der Geburtsweg,« sprachen die Frauen, »wir haben es bisher verkehrt gemacht.«
Seitdem werden alle Kinder auf natürliche Weise geboren.
Gavus aber war zum Retter der Frauen geworden.
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Sau Uru machte eine kleine Pause, richtete seine Pfeife, spuckte einige Male ins Feuer und sagte: »Wenige Schritte von diesem Hause, zu Füßen der großen Bananenbäume, dem Ort der Geister und Unheimlichen, liegen drei Hütten. Du bist dort gewesen und weißt, daß unsere Frauen darin wohnen. Einmal im Monat, wenn der Mond abnimmt, muß jede Frau die Hütten aufsuchen und dort bleiben, bis das Tabu, das das Blut aus dem Leibe lockt, von ihr genommen ist. Wir Männer dürfen die Stätten nicht betreten; im weiten Bogen gehen wir um die Häuser herum, sonst würde es uns schlecht ergehen, denn früher ist es anders gewesen.«
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