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Und es gab mehrere gute Heringsjahre in der Bucht, nicht gerade hintereinander, es kam auch einmal ein mageres Jahr dazwischen, aber dann folgten wiederum die fetten. Es war erstaunlich, Joakim, der Bürgermeister, hatte seinerzeit, als er noch ein junger Bursche war, einen abenteuerlichen Fischzug gemacht, mit einem alten Netz, das ihm sein großer Bruder geschenkt hatte, und seit jenem Jahr hatten die Heringe den Weg in die Äußere Bucht gefunden. Ein Wunder!
Man merkte es an dem Zulauf, den Café und Herberge hatten, daß Netzmannschaften und andere Leute in der Bucht draußen lagen, immer häufiger kamen jetzt Schiffer und Mannschaften von den Fischerfahrzeugen zum Laden, steckten Briefe in den roten Briefkasten und gingen dann ins Café. Pauline nahm Geld ein wie Heu.
Überhaupt kam jetzt viel Geld unter die Leute; jeder, der Milch, Fleisch und Kartoffeln verkaufen konnte, erhielt ungeheure Summen dafür, so groß war die Nachfrage; von Ezra hieß es, daß er in den letzten Jahren schweres Geld an seinen Waren verdient habe, weil er so viel zu verkaufen hatte. Ezra hatte doch immer Glück.
Eines Tages steuerte ein Kutter in die Äußere Bucht herein. Es herrschte immer noch Sturm und Unwetter, und der Kutter lag schwer am Wind mit allen seinen Segeln, endlich legte er sich Seite an Seite zu den anderen Fischerfahrzeugen und verschwand unter ihnen. Obgleich er keine leeren Fässer an Bord hatte, wollte wohl auch der Kutter in aller Bescheidenheit Heringe aufkaufen, zu welchem Zweck wäre er sonst gekommen? Er würde wohl seine geringe Menge an Fischen auf dem eigenen Kiel ausnehmen und einsalzen und dann an der Küste entlangfahren und die Heringe eimerweise verkaufen; das war wohl die Absicht. Also war das kein Fahrzeug, um das man sich zu kümmern brauchte.
Aber siehe da, der Kutter sollte trotzdem allerhand Leben und Treiben mit sich bringen. Es stellte sich heraus, daß das Schiff mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen beladen war, mit Kartoffeln, frischem Fleisch und frischer Butter, außerdem mit neumodischen Konserven und gekochter Milch in Dosen, mit vielerlei Nahrungsmitteln, die in Öl konserviert waren, außerdem mit Sirup, Honig, Gänsefett und feinen Käsesorten in Gläsern und in glänzenden Blechbüchsen mit goldenen und farbenprächtigen Etiketten darauf. Der Kutter war ein Laden mit ganz ausgeklügelten Lebensmitteln.
An Bord waren nur zwei Menschen, ein älterer Mann und ein junger Bursche, sie gingen nicht an Land, denn sie besaßen ja selber alles, was sie zum Leben brauchten. Sie fingen zu handeln an und fanden sofort Absatz, ihr Geschäft war vielleicht gesetzlich nicht ganz einwandfrei, aber es blühte, sie unterboten die Höfe in der Bucht, die mit der Zeit immer unverschämtere Summen für ihre Milch und ihr Fleisch gefordert hatten, sie setzten zwar die Preise für Kartoffeln und Grütze herab, dafür aber machten sie ihren Schnitt bei den Waren mit den feinen Etiketten. Es herrschte ja Leben in der Äußeren Bucht, Heringsschwärme wurden abgeriegelt, Fahrzeuge nahmen Lasten ein und segelten fort, und neue Fahrzeuge kamen herein, gewöhnliches Volk, Schiffer und Mannschaften hatten Geld in den Händen, sie wurden flott und leichtherzig, sie verbesserten ihre Lebensweise und kauften Leckereien in Büchsen, der Kutter hatte seine Kunstnahrung in kurzer Zeit ausverkauft.
Und eines Tages ließ sich der ältere Mann auf dem Kutter an Land bringen. Er hatte seinen Bart gestutzt und sich fabelhaft angezogen: einen großen grauen Hut mit einer Spange am Band und einer Sturmschnur, die am Jackenknopf befestigt war, eine rote Samtweste und zwei blaue Janker, einen über dem andern, jedoch beide vorne offen, um der Weste willen, die rot war. Er sah richtig gut angezogen aus und er sah ausländisch aus.
Von der Äußeren Bucht her schlug er den Weg zum Kramladen ein und schien sich gut auszukennen, denn er ging weiter, ohne zu fragen, war munter und leichtfüßig und pfiff wie ein Junge. Als er Pauline im Laden grüßend zunickte, sah sie ihn aufmerksam an und fand vor lauter Staunen gar keine Zeit, den Gruß zu erwidern.
Da drehte sich der Mann weg und fing an, das Tauwerk zu betrachten, er brauche ein Ende, sagte er in echtem Nordländisch, ein Blockende für den Kutter.
Ja, Pauline nickte, dort lägen ja Taue.
Die sind zu dünn, sagte der Mann.
Na, erwiderte sie kurz, es sind ja auch dickere da.
Ja, meinte der Mann, aber das hier ist zu dick, ich kriege es nicht durch den Block.
Pauline beachtete ihn nicht mehr, sondern bediente einen anderen Kunden. Welch ein Unsinn, daß der Mann kein passendes Tau finden sollte, bei ihr hatten doch schon mehr Leute das richtige Tau gefunden als nur er.
Was kostet denn der Schund? fragt der Mann schamlos und deutet auf ein Bündel Galoschen, die an der Wand hängen.
Schund? sagte Pauline. Das sind gute Galoschen. Vier Kronen.
Zwei sind genug, meinte der andere.
Von nun an wollte Pauline überhaupt nicht mehr nach der Seite sehen, wo der Mann stand, dazu war sie sich zu gut, er sollte für sie nicht mehr vorhanden sein. Es war eine Schweinerei von einem fremden Kerl, sich so aufzuführen wie er.
Nachdem er sie noch ein paarmal angesprochen und keine Antwort bekommen hatte, wandte er sich ihr plötzlich zu und fragte: Wo ist denn Joakim, dein Bruder?
Pauline sperrte den Mund auf, sie war ganz dumm vor lauter Staunen.
Jetzt aber konnte der Mann sich nicht mehr beherrschen, er brach in lautes Gelächter aus, hielt ihr die Hand hin und begrüßte sie: Grüß Gott, Pauline! Du solltest dich schämen, daß du einen alten Bewohner der Bucht nicht kennst!
Ich kenne dich, antwortete sie. Aber ich will, daß du es selber sagst, wer du bist, sonst glaube ich es nicht.
August, sagte er.
Ja richtig! Als du hereinkamst, war es mir gleich so, als hätte ich dich schon einmal gesehen, aber du warst zu unkenntlich. Die Zähne.
Es ist ja auch Jahr und Tag darüber vergangen, seit ich hier war.
Nein, daß du es bist, August! Ich kann es noch gar nicht fassen. Woher in der Welt kommst du denn und wo willst du hin?
Ich will hierher.
Du willst wieder in der Bucht wohnen?
Zunächst einmal.
Das letztemal, als August daheim war, hatte er ein Gebiß aus lauterem Gold, oh, sein Mund war so entsetzlich voller Gold, daß er wie ein Götzenbild der Heiden wirkte, jetzt hatte er weiße, naturgetreue Zähne und war nicht wiederzuerkennen.
Pauline wandte sich an einen kleinen Jungen und bat ihn, Joakim zu holen: Sag ihm, daß er sofort kommen soll! Sie war aus ihrem alltäglichen Gleichgewicht geraten und hatte rote Backen: Ich kann es noch gar nicht fassen! wiederholte sie.
Joakim erschien. Was gibt es? fragte er.
Was es gibt? erwiderte Pauline. Ich möchte, daß du diesen Mann hinauswirfst.
Joakim maß ihn mit den Blicken. Was hat er getan?
Getan? Seit er hereingekommen ist, tut er nichts anderes als mich ärgern. Er bietet mir nur den halben Preis für alles, was er sieht.
Das ist doch kein Grund für dich, zornig zu werden, vermittelt Joakim, der Bruder und Bürgermeister.
In dem ganzen Laden ist ja nichts als lauter Schund, sagt August.
Pauline stellt sich wütend: Da hörst du's.
Das Tauwerk ist lauter Dreck und Manilagras, fährt August fort.
Aber Joakim ist nun aufmerksam geworden, er sieht sich den Fremden, den Ausländer, genauer an, Stimme und Tonfall haben ihn vielleicht an etwas erinnert. Und plötzlich hebt Joakim im Spaß beide Hände hoch und sagt: So, was gilt's, Geld oder Leben, du Amerikaner du?
Hahaha! lacht August laut.
Sie lachen alle drei, sie halten einander bei den Händen und lachen und reden. August war kein Räuber, er brachte Leben und Spaß und Freundlichkeit mit, er war eine Ewigkeit fortgewesen und war jetzt wieder zurückgekehrt, – August, der Weltumsegler, der Landstreicher, der Helfer in mancher Ratlosigkeit, August in eigener Person.
Aber zum Teufel noch einmal, was hast du denn mit deinen Zähnen gemacht? fragt Joakim. Die waren doch aus Gold?
August: Verkauft. Als ich es mir einmal nicht mehr leisten konnte, sie noch länger zu haben. Es ist mir gesagt worden, daß sie nun dem Vanderbilt gehören.
Sie redeten und redeten, Pauline machte den Laden zu, und sie gingen in die Stube und redeten weiter. Als August an dem roten Briefkasten vorbeikam, dessen Urheber doch gerade er war, erkannte er ihn wieder und nickte ihm zu, anerkennend, daß er noch dahing. – Ja, sagten die andern, sie hätten ihn alle zwei Jahre frisch angestrichen und die Buchstaben erneuert, der Briefkasten sei die ganze Zeit in Gebrauch gewesen, und sonntags nähmen sie die Briefe zur Kirche mit. – Was für Zeug, hatten sie denn noch kein Postamt in der Bucht? Unbegreiflich, wie man überhaupt so leben konnte, sie gingen ja gar nicht mit der Zeit.
Und noch eines, Joakim, sagte er, ich sehe fünf Netzmannschaften in der Äußeren Bucht, aber deine ist nicht dabei, wie kommt das?
Ich habe kein Netz, gab Joakim zur Antwort.
So, du hast kein Netz? Und du kannst keins bekommen?
Nein. Ich habe das Geld nicht dazu.
Großartig! sagte August.
Sie sprachen nicht mehr darüber, weil nichts mehr darüber zu sagen war. August sah sich in der Stube um, hier war es keineswegs ärmlich, an den Wänden hingen Bilder, und das Bett hatte einen Vorhang, Joakim und Pauline hatten sich herausgemacht, sie besaßen sicher Geld.
Und keiner von euch ist verheiratet? fragte er.
Nein. Und du selber?
Ich? N–nein.
Schweigen.
Hatte er etwas von Edevart gehört, dem großen Bruder?
Ist er nicht hier? fragte August.
Hier?
Dann wird er wohl bald hier sein. Er wollte in diesem Jahr hierherkommen, August hatte ihn in Michigan getroffen.
Oh, das war eine Nachricht, Pauline schlug die Hände zusammen. Der große Bruder schrieb niemals an seine Leute daheim, er war wie in die Erde versunken, sie hatten ihn alle für tot gehalten.
Wie dumm du redest, er ist nicht tot, er ist bei bestem Wohlbefinden und ordentlich beim Zeug, sagte August flott.
Pauline mißtrauisch: Hast du ihn gesehen?
Und ob! Ich stand doch neben ihm und sprach mit ihm!
Wann war das?
Jetzt, ehe ich abreiste.
Ich glaube, du lügst, meinte Pauline.
Ja, das tu' ich, antwortete August. Aber jetzt will ich ihm ein Telegramm schicken, daß er heimkommen soll. Ich weiß, wo er ist.
Weißt du, wo er ist?
Ja, das werde ich bald herausgefunden haben.
Ich glaube, jetzt lügst du wieder, sagte Pauline.
Ja, das tu' ich, antwortete August. Aber ich kann mich ja an sämtliche Konsulate der Welt und an die Heilsarmee wenden und ihn finden. Hab nur keine Angst. Ich kenne mich schon aus.
Pauline dachte eine Weile darüber nach, Joakim mischte sich nicht darein, er hörte dieses unzuverlässige Geschwätz mit an und griff nicht ein. Die Schwester wollte am liebsten das Beste glauben, August wollte jedenfalls gerne helfen, war bereit, etwas zu unternehmen, er war und blieb ein Mann mit frischem Mut und vielen Auswegen, vielleicht gelang es ihm, den großen Bruder zu finden.
August traf ein Abkommen mit einem Mann, daß dieser den Kutter zurücksegeln sollte, zusammen mit dem Jüngling, mit dem er selber angekommen war. Es war nicht leicht gewesen, jetzt mitten in der Zeit des Heringsfanges einen Mann zu finden, aber Teodor ließ sich anheuern. Sehr groß war das Vertrauen ja nicht, mit dem August den Kutter Teodor und einem jungen Burschen überließ, aber er mußte es wagen, August hatte den Kutter für diese Fahrt gemietet und sich verpflichtet, ihn wieder heimzusenden.
Er holte sein Reisegut von Bord, darunter einen prachtvollen messingbeschlagenen Koffer, und sah dann zu, wie der Kutter aus der Äußeren Bucht hinaussegelte, der Jüngling war guten Mutes. Der Sicherheit halber begab August sich zu Pauline und versicherte den Kutter ganz privat auf eigene Rechnung. Dann mietete er sich in der Herberge über dem Café ein und blieb dort wohnen. Geld und Kleider hatte er, eine feine Aussteuer, so daß er noch einmal eine Sehenswürdigkeit und ein Mittelpunkt in der Heimat seiner Kindheit wurde. Er ging in der ganzen Gegend umher, begrüßte die Leute und schwätzte und fabulierte und war überall willkommen. Er war nun ziemlich alt und richtig kahl geworden.
Es dauerte nicht lange, so begann er aus alter Gewohnheit sich für die Verhältnisse in der Umgebung zu interessieren, er war erfüllt von der neuen Zeit, von neuen Arbeitsmethoden, ausländischen Beispielen, abends saß er mit Joakim zusammen und machte große Pläne, die Stube war meist ein Versammlungsort für die Nachbarn, die ringsherum saßen, bis es dunkel wurde, und die Leute hörten mit Erstaunen den neuen Plänen zu. Sie fanden alle, daß August ein anderer geworden sei als früher, viel reifer, größer, ein erwachsener Mann. Wenn er seine Gedanken auf eine einzelne Sache richtete, so war ein richtiger Sinn in dem, was er sagte. Glaubt mir doch, sagte er, warum sollte ich hier sitzen und euch etwas vorlügen, was nicht wahr ist? Ich bin ja nicht einmal so gesund wie früher, ich hatte das Pech, mir eine Krankheit zuzuziehen, die zweieinhalb Jahre dauert, und nun habe ich immer noch anderthalb Jahre vor mir, das kann doch einen Mann immerhin etwas nachdenklich und wahrheitsliebend machen.
Was denn das für eine Art von Krankheit sei? wurde gefragt.
August antwortete: Es hat mich eine giftige Fliege gestochen.
Wieso? Wo ihm denn das passiert sei?
Das versteht ihr nicht. Aber wenn ihr auch zehn spanische Fliegen auf einmal nehmt, so ist das noch nichts gegen die Fliege, die mich gestochen hat.
Den Leuten lief es kalt über den Rücken, und sie wurden still. Ein Mann mit zehn spanischen Fliegen in sich, der log wohl nicht. Und wovon hatte er doch vorhin gerade gesprochen?
Ja, nahm August sein Gespräch wieder auf: hier lag die Bucht in Dunkelheit. Abends wurde eine altmodische Petroleumlampe angezündet, man konnte ja darüber lachen und weinen zu gleicher Zeit. Was tat man denn an anderen Orten in der Welt? Da drehte man an einem Knopf an der Wand, und es entstand ein Sonnenschein, daß einem die Augen weh taten.
Die Bewohner der Bucht hatten davon gehört.
Und wie war es mit dem Telephon? Konnten sie etwa hier in der Stube sitzen und mit der Inneren Gemeinde sprechen? Konnten sie etwa den Doktor herbeirufen, wenn es ums Leben ging? Wie viele wußten überhaupt, was ein Telephon war?
Die Bewohner der Bucht hatten davon gehört.
Hahaha, davon gehört, ja, aber nichts unternommen! Seht zum Beispiel so eine Sache wie eine Heringsmehlfabrik: die Äußere Bucht ist doch nun seit Jahren zuverlässig eine Heringsbucht, hier gibt es Rohstoff in Mengen, aber wo ist die Fabrik? Wollten sie vielleicht die Gaben des Himmels nicht ausnützen? Es gab doch etwas, das Industrie genannt wurde, das den Reichtum in einem Lande schuf.
Ja, die Leute nickten bestätigend. Aber dazu brauchte man doch Geld?
Jawohl! sagte August. Aber wie macht man es denn an anderen Orten in der Welt und ringsum auf der ganzen Erdkruste, wo ich bekannt bin: da zeichnet jeder einen Anteil, und das wird zusammengelegt zu einem ungeheuren Haufen Geld. Wenn von eintausend Menschen jeder hundert Kronen hinlegt, so macht das hunderttausend Kronen.
Hunderttausend! riefen die Leute.
Ja, wenn das zuviel ist, so können wir ja sagen, daß von fünfhundert Menschen jeder fünfzig Kronen hinlegt, das gibt fünfundzwanzigtausend. Ich mache mich anheischig, für dieses Geld eine plenty schöne Fabrik aufzuführen.
Ja, das wäre zu überlegen, sagten die Leute und wurden schon nachgiebiger. Aber wer von ihnen hatte denn fünfzig Kronen so rein übrig? Es gab wohl in der ganzen Gemeinde keine zehn Männer mit einem solchen Vermögen.
Schweigen.
Nun ja, meint Karolus langsam, der frühere Bürgermeister, der immer noch gern etwas gelten möchte, er sagt langsam: Nun ja, fünfzig Kronen müßten sich doch wohl auftreiben lassen.
Ja, bei dir vielleicht! fielen die anderen ein und erwiesen ihm die Ehre.
August wurde eifrig: Warum sollen hier alle Dinge unmöglich sein! Geld? Wir können doch eine Bank errichten und uns Geld leihen.
He, sagten die Leute, wie geht das zu?
August erklärt: Das soll meine geringste Sorge sein. Sobald wir eine Zeichnungsliste für eine Bank auslegen, kommt Geld herein, ich habe bereits mit den Kapitänen auf den Fischerfahrzeugen in der Äußeren Bucht gesprochen, sie wollen zeichnen, andere Banken hier oben im Norden würden sicher auch gerne an unserer Bank beteiligt sein, die so gute Aussichten hat. Im übrigen aber, – wäre es nicht ein guter Gedanke, wenn die Gemeinde eine Anleihe bei einer Bank machte? Was meinst du, Joakim, als Bürgermeister zu dieser Sache?
Joakim in tiefstem Ernst: Das wäre vielleicht zu überlegen!
Karolus glaubte natürlich auch nicht zurückstehen zu dürfen, er nickte seine Erlaubnis zu dem Plan, daß die Gemeinde eine Anleihe bei einer Bank machte.
Du hast doch immer Ideen, wenn du kommst! sagten die Leute anerkennend zu August. Es war, als seien sie schon auf dem Wege zur Bank und zur Heringsmehlfabrik.
August wurde ordentlich geschwollen. Ich bin ja so einigermaßen herumgekommen auf unserer gesegneten Erdkruste, sagte er. Vorläufig aber denke ich nun vor allem noch an etwas anderes: Warum habt ihr in der Bucht noch kein Postamt bekommen?
Nein, sagten die Leute, wir haben kein Postamt.
Nein, ihr habt einen Briefkasten, aber kein Postamt.
Nein, wir haben kein Postamt. Leider haben wir kein Postamt.
Halt's Maul, Teodor, rief auf einmal einer, weil ihn dünkte, dieses leere Geschwätz sähe Teodor gleich.
Es war ja gar nicht Teodor, erklang die Antwort aus der Dämmerung.
Teodor ist doch mit einem Kutter auf dem Weg nach dem Süden!
Hahaha.
Joakim erhob sich, es war jetzt dunkel geworden in der Stube, und die Verhandlungen arteten aus, einige von den jungen Leuten fingen an, einander zu zwicken und zu kneifen, so daß sie schrien. Langsam leerte sich die Stube.
Karolus blieb zurück. Er sagte: Zu meiner Zeit einmal – damit meinte er die Zeit, da er Bürgermeister war – redete ich mit den besseren Leuten von der Inneren Gemeinde über ein Postamt in der Bucht, aber sie legten keinen Wert darauf mitzutun. Es waren der Pfarrer, der Lensmann und der Doktor, aber die haben ja das Postamt dicht vor ihrer Haustür.
August dachte darüber nach. Plötzlich hörte man ihn mit den Fingern schnippen und sagen: Wir wollen unser Postamt haben! Was kümmern wir uns um die großen Herren in der Inneren Gemeinde, wir reichen selber ein, der ganze Bezirk, jeder erwachsene Mensch. Joakim, du wirst eine große Urkunde schreiben, und ich werde herumgehen und mir die Namen aller Leute verschaffen, hab keine Angst! Er hielt inne und wartete auf Joakims Antwort.
Ja, Joakim war wirklich ausnahmsweise einmal hingerissen, der Plan war gut, wenn ein ganzer Bezirk einreichte, würde man sich vielleicht durchsetzen. Er antwortete vorsichtig: Ja, das ist zu überlegen!
August belebt: Das kann nicht fehlschlagen! Lieber Freund, überleg dir's doch, hier könnt ihr jedes Jahr bestimmt mit großem Heringsfischfang rechnen, sollen Kapitäne und Mannschaften von den Fahrzeugen vielleicht eine Meile weit gehen, um einen Brief zur Post zu bringen? Ich könnte mir ja die Haare ausraufen, wenn ich mir das vorstelle. Und außerdem der ganze große Bezirk, schreibt hier etwa kein Mensch einen Brief, schreibst du nicht selber an die Obrigkeit und an den König und mußt Rechenschaft über alles ablegen? So nimm doch deinen Verstand zusammen!
Ja, Joakim mußte noch einen Schritt weiter gehen und ihm vollkommen recht geben.
Und Pauline soll das Postamt übernehmen, verkündete August und setzte sie ein.
August bekam seinen Willen, Joakim, der Bürgermeister, verfaßte eine Darstellung der Postverhältnisse, und August trabte unverdrossen durch die Gegend und sammelte Unterschriften. Er nahm es nicht so sehr genau und ließ auch einige Minderjährige die Liste unterzeichnen, wenn aber Joakim ihn dabei ertappte, sah August ihn nur mit blauen Augen an und entschuldigte sich damit, daß er so lange Zeit fortgewesen sei und nicht alle kenne. Schlimmer war es allerdings, als er Verstorbene auf der Liste aufführte. Er wäre ja auch zu Josefine auf Kleiva gegangen, um auch ihren Namen zu bekommen, aber um zu ihr zu gelangen, hätte er mit dem Boot fahren müssen, und er hatte gerade kein Boot zur Hand. August ging davon aus, daß Josefine keinesfalls auf der Liste übergangen werden wollte, darum setzte er ihren Namen getrost auf eigene Verantwortung ein.
Am Abend jedoch bekam er zu hören, daß Josefine auf Kleiva gestorben war.
Ach wirklich, ist sie tot? sagte August. Woran ist sie denn gestorben?
Das weiß ich nicht, antwortete Joakim, aber sie muß gestrichen werden.
August: Ich will es mir überlegen. Sie war so ein tüchtiger Mensch und hätte sicher auf mein erstes Wort hin unterschrieben.
Joakim ging die Liste durch und fand mehrere Fehler, abgesehen von Verstorbenen waren auch die Namen von Leuten aufgeführt, die vor vielen Jahren ausgewandert waren, Leute, die August früher einmal gekannt hatte und die er jetzt frei aus dem Gedächtnis aufschrieb, auf diese Weise kam auch der große Bruder Edevart mit herein, sowie seine Frau Lovise Magrete.
Es ist nicht recht, daß du die beiden aufgeführt hast, sagte der Bürgermeister.
Wieso? In ein paar Wochen sind sie vielleicht hier, ich erwarte jetzt die Antwort von zehn Konsulaten in ganz Amerika. Gib mir doch die Liste! sagte August und wollte den andern am Weiterlesen verhindern.
Plötzlich zuckt Joakim zusammen und bricht aus: Mein Vater!
Jawohl, auch sein toter Vater war mit aufgeführt. August sah unschuldiger drein denn jemals, ja, sündenfrei und ohne Makel. Ich mußte doch auch den Vater des Bürgermeisters dabei haben, meinte er, das ist doch wirklich nicht zuviel.
Joakim war sprachlos.
August fährt einschmeichelnd fort: Ich kannte deinen Vater als einen ehrlichen und gottesfürchtigen Mann, er wäre auf das erste Wort hin einverstanden gewesen.
Jetzt aber wurde Joakim, jähzornig wie er war, auf einmal blaß; dieser verrückte Mensch, dieser ruchlose Kerl August scheute ja vor nichts zurück, er würde mit seinen Fälschungen noch das ganze Unternehmen zum Scheitern bringen. Dieses Aufgebot an Toten und Abwesenden würde ja sogar mit der letzten Volkszählung in der Gemeinde in Konflikt geraten.
Joakim sah sich hilflos nach Tinte und Feder um. Ja, das Tintenfaß stand allerdings noch da, die Feder war bereits zu einem früheren Zeitpunkt in Augusts Tasche verschwunden.
Wo ist die Feder hingekommen? donnerte Joakim.
Die Feder? fragte August und suchte hilfsbereit. Dann schlug er einen andern Ton an und tat so, als fühle er sich sehr ins Unrecht gesetzt: So, du willst deinen Vater ausstreichen? Du willst deinem Vater keinen Frieden im Grab gönnen?
Joakim gab in seinem Jähzorn die ganze Sache auf, er hätte ja die Liste zerreißen und dadurch vernichten können, aber er war zu sehr gereizt und konnte nicht mehr denken. Er feuerte August die Liste ins Gesicht und ging wortlos zur Tür hinaus. –
August aber war nun nicht nur ein Schelm, der falsche Vorwände gebrauchte und sich damit zufrieden gab; es steckte doch noch mehr in ihm. So tat er zum Beispiel etwas sehr Verständiges und Nützliches, als er sich an die Schiffer in der Äußeren Bucht wandte und durch sie eine eindringliche Klageschrift über die Postverhältnisse in der Bucht, vom Geschäftsstandpunkt aus betrachtet, aufgesetzt bekam. Diese Klage, unterschrieben von allen Schiffern und Mannschaften und sogar noch von einigen, die bereits weggesegelt waren, war von packender Wirkung und mußte die Darstellung des Bürgermeisters aufs beste unterstützen. August stellte selbst die ganze Sache zusammen, wanderte mit dem schweren Brief in die Innere Gemeinde und gab ihn dort zur Post.
Dieser August, – er hatte etwas ausgerichtet. Wann wäre er je ratlos gewesen und hätte nicht aus noch ein gewußt!
Er verwendete nun einige Tage darauf, um Joakim herumzuschwänzeln und ihn wieder freundlich zu stimmen. Pauline schilderte er eine leuchtende Zukunft durch das Postamt, guten Verdienst und eine lustige Arbeit: sie würde nun immer erfahren können, wer in der Gegend einander Briefe schrieb, und würde daraus gar manchen Schluß ziehen können, ja, in Zweifelsfällen konnte sie auch die Briefe gegen das Licht halten und auf die Weise verschiedene Dinge herausbringen.
Er fand einen Anlaß, auf die Neusiedlung zu Ezra und Hosea zu gehen, und setzte die beiden davon in Kenntnis, daß er ihre Namen und die Namen ihrer Kinder in einer Urkunde an den König verwendet habe, um die Errichtung eines Postamtes in der Bucht durchzusetzen.
Du meine Güte, an den König! sagte Hosea, denn für sie und ihresgleichen war dies doch wirklich allzuviel. – Wieso? erwiderte August. Ich wüßte keinen anständigeren Mann als den König. Die großen Leute in der Inneren Gemeinde können sich neben ihm überhaupt nicht sehen lassen.
Er betrachtete die Nebengebäude auf der Neusiedlung, sah, daß Stall und Scheune bereits zu klein geworden waren und hatten erweitert werden müssen. August nickte. Was hatte er doch gesagt, was hatte er prophezeit? Hatte er nicht damals mit eigener Hand die Steine der Grundmauern zum Stall weggenommen und sie in doppelter Breite und doppelter Länge neu ausgelegt, hatte Ezra das vergessen? – Nein, Ezra hatte nichts vergessen, und er mußte zugeben, daß August ihm sehr nützlich gewesen war und den Grundstein zu seiner Wohlhabenheit und Macht gelegt hatte. Ich wollte, ich könnte es dir vergelten! sagte er. – Das habe ich nicht nötig! erwiderte August.
Sie gingen zu den Feldern hinaus, zu dem großen weiten Moor, das jetzt nichts weiter war als Acker und Wiese, schwarze Erde, fruchtbare Erde. August nickte. Ezra zeigte ihm den gewaltigen offenen Mittelgraben, der das Wasser aus allen schrägen Gräben aufnahm und es zu einem starken Bach vereinigte. Sommer und Winter hindurch strömte dieser Bach und wurde nicht kleiner, ausgenommen in den trockensten Sommern; die Kinder auf der Neusiedlung hatten jetzt an dem ganzen Bach entlang ihre Mühlen und kleinen Sägewerke errichtet, und das war wiederum etwas, wozu August anerkennend nicken mußte, – er, der doch sämtliche Anlagen der Welt vom Ausland her kannte.
Und ihr hört kein Jammern und Schreien mehr vom Moor her? fragte er.
Ezra sah zu Boden und antwortete: Nein, es ist still.
Oh, diese beiden Spitzbuben! Sie hatten sich ja seinerzeit darauf geeinigt, daß Ezra selber diese Gespensterrufe aus dem Moor hervorbringen sollte, um sich die freiwillige und unentgeltliche Hilfe der Nachbarn zu dem großen Mittelgraben zu verschaffen. Dieser unvergleichliche Streich war vollkommen geglückt: Die Leiche eines Schiffers, der sich im Moor verirrt hatte, kam ans Tageslicht, ebenso der Kadaver von Martinus Halskars Kuh, nichts stand dem Frieden und der Ruhe in der Landschaft mehr im Wege. Und Ezra hatte seinen Graben.