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XVII

So verging ein Tag nach dem andern, die Menschen hungerten und sangen Psalmen und brachen grüne Galle vor lauter leerem Magen. Denn jetzt war auch dem ein Riegel vorgeschoben, daß man sich an dunklen Abenden fortschleichen konnte, um im Lauf der Nacht mit einem toten Schaf auf der Schulter heimzukehren; als nämlich diese Gewohnheit zu einer reinen Landplage ausartete, wurde neben dem Laden eine Warnung angeschlagen, daß man in den Ställen Wachen aufgestellt habe, die mit Schußwaffen versehen seien. So weit ging es, alle Sunde waren versperrt. Ja ja, sagten die Leute, dann bleibt uns ja nichts weiter übrig, als uns mit Erde zuzudecken.

Aber einige Männer waren doch noch so weit beim Zeug, daß sie anfingen zu murren, wahrhaftig, sie schlugen mit ihren ausgezehrten Fäusten auf den Tisch und fluchten, aber was war das schon für eine Flucherei, sie wagten nicht richtig loszulegen, es konnte ja doch sein, daß das Verfahren der Frauen mit Religion und Psalmen zuverlässiger war. Ach, was für klägliche Flüche waren das, die sie da ausstießen, und welche Wirkung konnten sie schon haben! Es waren Flüche, die der Sprache erwachsener Männer zum Hohn gereichten, sie nützten gar nichts in einer so ernsthaften Hungersnot. Und trotzdem gab es Männer, die sich nach solch einem jämmerlichen Fluch stolz umsahen und gleichsam fragten: Habt ihr gehört, wie mutig ich war? Wie weich waren sie geworden, die Buchtbewohner. Freundliche Menschen, gute Seelen, sie waren in die Klemme geraten, und nun waren sie weich geworden.

Es war klar, sie brüteten über etwas. Edevart hatte etwas von einem heimlichen Auftrag gehört, der Teodor angeblich erteilt worden war. Er sollte Bote sein und sämtliche Männer der Gegend zu einer bestimmten nächtlichen Stunde auf dem Weg zur Neusiedlung versammeln. Es konnte ja kein Zweifel darüber sein, daß sich bei dem Großbauern Ezra noch Nahrungsmittel fanden, und nun wollten sie in Keller und Vorratskammer einbrechen und Nachschau halten. Zwar hatte Ezra seine Eßvorräte zu Karolus' Küchenhaus gebracht, um sie verteilen zu lassen; aber hatte er nicht eine Menge zurückbehalten, unerhört viel beiseite geschafft? Er und seine Frau waren doch Lumpen und Spitzbuben! Leute, denen der Leibhaftige so nahe stand und denen die Unterirdischen halfen, waren nicht ohne Nahrung, das sollte ihnen keiner weismachen. Die Neusiedlung sollte besucht werden.

Aber der gute Teodor war sich selber gleich wie immer. Wenn man zu ihm sagte: Morgen früh um vier Uhr! so konnte er nicht warten, er brannte darauf, war überwältigt von der Tat, die er verüben sollte, und ging herum und weckte die Leute in den Häusern schon, als es erst nach Mitternacht war und stockfinster. Die Folge davon war, daß die Männer einen Blick auf die Uhr warfen und sich noch einmal umdrehten, und viele verschliefen dadurch und kamen zu spät zur Musterung.

Es waren etwa zehn Männer auf dem Weg versammelt. Glaubt ihr, daß wir unserm eigenen Verderben entgegengehen, sagten sie, daß wir uns am Ende an dem unterirdischen Essen zu Tode essen? Diese Vorstellung machte sie etwas nachdenklich, es kamen ihnen Zweifel, und einer unter ihnen besann sich auf eine Stelle in der Schrift, wo es heißt, daß man sein Urteil durch Fressen und Saufen besiegle. Aber dieser Satans-Kristofer, der gleiche Mann, der sich seinerzeit in Karolus' Küchenhaus eine doppelte Ration erschwindeln wollte, er leuchtete plötzlich mit einem verhältnismäßig saftigen Fluch auf und fragte, ob sie denn ein paar Trottel wären, die hier mitten auf der Straße stünden und verblödet seien! Hatten sie nicht schon früher Ezras Lebensmittel gegessen und waren mit dem Leben davongekommen? Damals, als Ane Maria dort stand und Ezras Essen an sie alle verteilte?

Wahrhaftig, wahrhaftig! Und die zehn Männer waren gelüstig auf unterirdisches Essen, und sie gingen los, mit dem Spaten und der Axt in der Hand, für alle Fälle.

Als sie auf dem Hof ankamen, stand Ezra vor ihnen, klein und gedrungen, wie aus dem Boden gewachsen.

Da ist der Leibhaftige! sagten sie und sahen ihn undeutlich gegen den Schnee.

Wo wollt ihr hin? fragte er.

Hierher, entgegneten sie und fingen bei der Kellertür an. Schaut, er hat sich ein nagelneues Schloß geleistet, das hatte er früher nicht!

Schlagt mir meine Kellertür nicht kaputt, warnte Ezra. Darauf steht Gefängnis.

Eine Stimme: Wir wollen nur sehen, was du im Keller hast.

Ezra: Ich habe keine Spur von etwas anderem als ein paar lumpige Kartoffeln im Keller. Ich werde euch heute noch anzeigen, ich möchte euch gewarnt haben!

Als sie die Tür eingeschlagen hatten, zündeten sie Streichhölzer an und leuchteten damit ab. Es wurde ihnen beinahe recht jämmerlich zumute, sie sahen einen großen Keller, der aber leer war, ein paar Kartoffeln in einem Winkel, das war alles, ein paar elende Kartoffeln. Teodor steckte sofort etliche in die Tasche.

Dann gehen wir in die Vorratskammer! sagten sie.

Ich werde jeden einzelnen von euch anzeigen! schrie Ezra und bebte vom Kopf bis zum Fuß. Ich kenne euch alle miteinander, und du, Teodor, sollst die Post nicht mehr länger befördern dürfen!

Du kannst mich gern haben! sagte Teodor verzweifelt und gleichgültig.

Wir leben wie die Hunde, sagte ein anderer beinahe traurig, obgleich er finster und mürrisch tat. Wenn du an einer anderen Stelle Kartoffeln eingegraben hast, Ezra, dann hilf uns wenigstens und gib jedem von uns zwei Stück und dazu ein winziges Stück Fleisch.

Ezra: Ich habe die Kartoffeln, die ihr im Keller gesehen habt, und weiter nichts.

Gehen wir ins Vorratshaus! sagte Teodor.

Der kleine gedrungene Ezra steht plötzlich mit erhobener Axt vor der Tür zum Vorratshaus und ruft deutlich in die Dämmerung hinaus: Dem ersten, der in diese Tür hereinkommt, werde ich den Kopf spalten!

Stille. Ach, sie sind so weich und begreifen fast nicht, daß man es ihnen verwehrt, einzubrechen und zu plündern. Ich glaube gar, er hat eine Axt in der Hand! sagten sie.

Hosea kommt aus dem Haus, erschüttert, mit bebender Stimme, sie kann kaum reden, aber das, was sie stammelnd hervorbringen kann, heißt, daß die Männer ein wenig Milch zu trinken bekommen können.

Da seht ihr's, hier gibt es genug Milch und Essen! sagten sie.

Sie tritt hinter Ezra und macht die Tür zum Vorratshaus auf. Kommt und seht! sagte sie. Hier gibt es kaum mehr einen Bissen, gerade noch etwas für die Kinder.

Ich habe euch doch unsere Lebensmittel gebracht, ihr Untiere, verkündete Ezra, ich hätte sie lieber ins Meer schmeißen sollen.

Das darfst du nun nicht sagen, Ezra, erwiderte ein Mann aus der Schar, er war von Flaten. Jedenfalls hat es doch mich und die Meinen in diesen Tagen gerettet. Aber jetzt prüft uns der Herrgott schon ein wenig zu schwer, sie sind so mager, die Kinder bei uns daheim, und ich selber weiß auch bald nicht mehr, was ich tue. Ich bin noch nie auf einem Raubzug gewesen –

Teodor unterbricht ihn: Du hast uns Milch angeboten, Hosea?

Ezra: Ja, es wäre ja nicht in Ordnung, wenn du nicht der erste wärst, Teodor! Aber dir ist gerade eine Kartoffel heruntergefallen, du hast ein Loch in der Tasche.

Teodor mehr als erstaunt: Eine Kartoffel? Wenn mir einer von euch zum Scherz eine Kartoffel in die Tasche gesteckt hat, dann sollt ihr aber sehen!

Kristofer wird ärgerlich und antwortet darauf: Ja, es ist gerade die rechte Zeit zum Scherzen!

Teodor: Wie dem auch sei, meine Kartoffel ist es nicht.

Dann ist es wohl die meine, sagt Ezra und hebt sie auf.

Ihr sollt ins Vorratshaus hineinkommen, damit ihr selber sehen könnt! drängt Hosea hitzig. Zündet eure Streichhölzer an!

Ezra fand sich damit ab, aber er knurrte wie ein Hund und schien jeden Augenblick zubeißen zu wollen: er kenne sie alle miteinander, sie seien Kreaturen ohne Schamgefühl, er wolle sie noch heute anzeigen. Ob es nicht unerhört sei, in das Besitztum eines andern einzubrechen, Häuser niederzureißen und auszurauben? Weshalb hatten sie denn ihre ganze fruchtbare Erde als Stadt bebaut? Eine Stadt ist nichts Eßbares, in einer Stadt können nur die leben oder sterben, die von anderen ernährt werden. Jetzt konnten sie leben oder sterben, bitte schön –

Sie hatten Ezras Stimme schon früher gehört und kannten die Ansichten des Redners, er hatte recht, warum hatten sie auf ihren Äckern und Wiesen eine Stadt errichtet? Nun standen sie aber auch da, unter Gottes Zorn für ihre Missetat, und waren ungeheuer dumm und wußten nicht, wie sie sich anstellen sollten. Sie wußten Ezra kein Wort zu entgegnen und waren es entsetzlich müde und überdrüssig, ihm zuzuhören, sie wandten sich von ihm ab und hielten sich an Hosea, die doch verlangte, daß sie in ihre Vorratskammer hineinschauen sollten. Und so gehorchten sie ihr, zündeten Streichhölzer an und sahen alles, was da war. Es wurde ihnen auch hier jämmerlich zumute, es war eine verarmte Vorratskammer, ein paar Handvoll Mehl und ein abgenagter Schinkenknochen, etliche Salzheringe in einem Fäßchen und auf einem Tisch eine Schüssel Milch. Kein Brot, nicht eine Scheibe Fladenbrot. Und es waren doch Kinder auf dem Hof, wovon lebten die?

Schaut her, sagte Hosea und hielt ihnen einen Schöpflöffel hin, trinkt die Milch aus!

Teodor ergriff den Schöpflöffel und trank, er gab ihn an einen anderen weiter, der ebenfalls trank –

Aber der Mann von Flaten, der in seinem heruntergekommenen Zustand vielleicht die Milch am nötigsten brauchte, bat darum, seinen Anteil in einer Flasche zu bekommen. Als die Flasche gefüllt war, steckte er sie ein, ergriff plötzlich Hoseas Hand, ohne vor lauter Weinen ein Wort sagen zu können, und verließ das Vorratshaus. Er war vor allen anderen auf dem Weg und trennte sich von ihnen, sie sahen ihn laufen, er eilte heim.

Da standen sie wieder auf dem Weg, mit dem Spaten und der Axt in der Hand. Es war jetzt schon ziemlich hell, etwa sechs Uhr.

Sie hatten wenig oder nichts von ihrem Ausflug nach der Neusiedlung gehabt, einen Schluck Milch, auf der Stelle getrunken, sie waren tief bedrückt von Enttäuschung und Mutlosigkeit. Ezra hatte ihnen zum Abschied noch die schwersten Drohungen nachgerufen, – glaubt nur nicht, daß euer Benehmen vergessen sein wird, bildet euch das ja nicht ein! Sie redeten nicht, neun Männer gingen hintereinander im Schnee und schwiegen, aber ein jeder dachte wohl in seinem armen schlaffen Kopf: Wer hat nun eigentlich den Gedanken gehabt, wo war der Anstifter? Ich war es nicht, oh, weit, weit entfernt! Ich ein Räuber und Mörder, ich auch nur einer Katze etwas zuleide tun! Neun Männer im Gänsemarsch, und keiner hatte etwas Schlimmes getan, sie waren nur mitgegangen, sie schoben einander die Schuld zu, sie selber waren nicht so schlimm, sie hatten lange widerstanden, aber –

An dem Treffpunkt, von dem sie vor ein paar Stunden losgezogen waren, standen jetzt einige weitere Männer. Nachzügler, vier arme Kerle von denen, die verschlafen hatten. Jawohl, sie waren zu spät dran, aber sie wollten doch jedenfalls hören, wie es den andern ergangen war. Der Mann von Flaten war nur an ihnen vorbeigelaufen und hatte vor Weinen nichts sagen können. Was hatten sie ihm denn getan?

Ist es jetzt vier Uhr? fragte Teodor sie kalt.

Sei du nur ganz still, Teodor, sagten sie, du bist ein Trottel, du hast uns ja schon um Mitternacht geweckt! Nein, sie machten sich nichts aus Teodor und wollten ihm keineswegs eine Antwort schuldig bleiben. Du hast ja nicht einmal Roderik, deinen eigenen Sohn, zum Mitkommen bewegen können, sagten sie. Er sitzt daheim.

Eine Stimme aus der Schar: Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn wir alle daheim sitzengeblieben wären! Es war Nikolai, der gesprochen hatte, er war als ein furchtsamer Mann bekannt, der sogar an Warnungen und Spuk glaubte.

Die vier aber, die noch frisch und unerprobt waren, zeigten sich nicht so sehr niedergeschlagen. Als sie den Ausgang der Expedition vernommen hatten, erklärten sie: Eine Kellertür und ein Schloß, – keine rechte Ausbeute! Das, was an der einen Stelle mißglückt war, konnte an einer anderen glücken, sie müßten es woanders versuchen. Es war vielleicht nicht ganz gesetzlich, was sie da taten; aber wer konnte sich um das Gesetz kümmern, wenn man in der höchsten Not war!

Sie besprachen und berieten die Sache ausführlich, traten dabei von einem Fuß auf den andern, spuckten und überlegten und sagten ihre Meinung. Die vier neuen Männer waren draufgängerisch und wollten es wohl wiedergutmachen, daß sie verschlafen hatten. Inzwischen war es sieben Uhr geworden, am Himmel und über der Erde leuchtete der Tag. Sie setzten sich wieder in Bewegung.

Als sie zum Kramladen kamen, machten sie halt. Der Hofplatz war belebt, Joakim unterhielt sich mit Großnetzbesitzer Gabrielsen, drei Frauen standen in einer Gruppe, blaugefroren und die Hände unter der Schürze. Bankchef Rolandsen ging allein auf und ab und schien beschäftigt. In der Haustür stand Edevart, groß und schwer, und blickte über die Versammlung hin, von Zeit zu Zeit kam Pauline neben ihm zum Vorschein und verschwand dann wieder in der Stube.

Joakim tat so, als sei er sehr erstaunt über all die Männer, die da ankamen, und er sagte zu Großnetzbesitzer Gabrielsen: Um alles in der Welt, zwei, sechs und vier macht zehn, – dreizehn Männer, das ist ja großartig!

Die Männer grüßten.

Ihr kommt ja mannsstark an, sagte Joakim freundschaftlich.

Niemand antwortete. Endlich mußte Teodor damit heraus: Wir waren auf der Neusiedlung und haben nach etwas Eßbarem gesucht.

So. Habt ihr etwas gefunden?

Nein. Jeder von uns bekam einen Schluck Milch.

Pauline jammerte von der Stube her: So, ihr seid auf der Neusiedlung gewesen und habt nach etwas Eßbarem gesucht. Und jetzt wollt ihr wohl hier suchen? Hier ist nicht viel zu finden.

Joakim: Bist du auch unterwegs, Nikolai?

Nikolai antwortet mit seiner alten Phrase, daß er ein Hundeleben führe, daß er bald nicht mehr wisse, was er tue, und daß er noch nie bei einem Raubzug mitgetan habe. Nun sei er mit den anderen auf die Neusiedlung gegangen, um zu sehen, ob dort vielleicht ein paar Kartoffeln oder ein gedörrter Fisch aufzutreiben seien. Er wisse nicht, wer von den Männern die Kellertür aufgebrochen habe, aber keiner habe Lärm gemacht und laut geredet, sie hätten die Kinder nicht geweckt und seien nicht im Stall gewesen und hätten nicht ein einziges Tier genommen –

Was hat denn Ezra gesagt? fragte Joakim.

Was konnte er anderes sagen, als auf seinem Recht bestehen! Ich wundere mich nicht über ihn. Wir dachten, er bekäme von den Unterirdischen massenhaft zu essen, aber es sah nicht so aus, wir sündigen Menschen wurden genarrt. Was sollen wir tun, Joakim?

Bürgermeister Joakim schüttelt den Kopf und antwortet: Nein, es ist jetzt nicht leicht, Buchtbewohner zu sein!

Aber lieber Freund, wir können uns ja nicht mehr am Leben erhalten, wir kauen schon Holzspäne, wir wissen ja gar nicht mehr, wie etwas Eßbares schmeckt, man kann uns schon bald eingraben.

Freundliche und vernünftige Reden auf beiden Seiten, nicht ein hartes Wort.

Pauline fragte von der Haustür her: Kommst du auch von der Neusiedlung, Teodor?

Teodor weicht ein wenig zurück, Pauline ist gewissermaßen seine Vorgesetzte, sein Chef. Ich war nur auf einen Sprung mit, sagt er. Aber du siehst ja, ich habe weder Axt noch Spaten.

Nein, was soll auch ein Postbote mit Axt und Spaten! Er braucht ja nur ein so ehrlicher und geachteter Mann zu sein, wie du einer bist.

Was willst du von mir, Pauline, schreit Teodor plötzlich hungrig und hysterisch auf. Willst du mir denn mein Amt als Postbote und damit meinen Lebensunterhalt nehmen, dann tu es doch, viel Glück dazu!

Jetzt aber bahnt sich einer der Männer einen Weg und verkündet, daß er nicht länger hier stehen und dem Gerede zuhören wolle, zu diesem Zweck sei er nicht gekommen. Damit geht er auf die Kramladentür los, stößt mit dem Spaten dagegen, stemmt an, nimmt einen neuen Anlauf und stemmt wiederum. Eine starke Tür, eine verteufelte Tür, solid und mit Eisen beschlagen, riesige Angeln, erst kürzlich befestigt, zweizolldicke Planken in der Füllung, Her mit einer Axt! ruft der Mann.

Die Schläge und der Lärm klingen über den ganzen Hof, Pauline packt Edevart beim Arm und will ihn vorwärtsschieben, er scheint zu überlegen, er schaut zu. Joakim! ruft sie, aber Joakim antwortet nicht.

Nein, Joakim, der doch sonst nicht gerade wegen seiner Langmut bekannt ist, ist jetzt nicht flink im Handeln, er macht es wie der große Bruder und bleibt still stehen, er ist blaß, lächelt jedoch. Warum machst du dir denn so viel Arbeit, Kristofer? fragt er ruhig. Die Tür ist ja offen!

Sie ist offen? fragt Kristofer zurück und drückt die Klinke nieder. Die Tür geht auf.

Sie war offen, die Tür war offen! ertönt es in der Schar. Kristofer hält einen Augenblick inne und sammelt sich. Unter gewöhnlichen Umständen wäre er wohl dem Gelächter der Leute nicht entgangen, jetzt gab es keine Lustigkeit, die Stunde war zu traurig, nur Joakim lächelte mit blassen Lippen. Kristofer schlägt die Tür weit auf, er erwartet vielleicht, daß die ganze Schar hineinstürmen wird; da dies nicht geschah, mußte einer als erster gehen, und so machte er den ersten. Innerhalb der offenen Tür jedoch blieb er stehen, für alle sichtbar.

Dies war eine Gelegenheit, bei der Teodor sich nicht zurückhalten konnte, er trat ebenfalls in den Laden, indem er wie zur Entschuldigung aussprach, daß er nicht das geringste anzurühren vorhabe. Nach Teodor steckte ein dritter seine Nase herein und sagte: Ich will nur schauen, was ihr beide hier findet! Von da an füllte sich der Laden mit Männern.

Jetzt hast du Käufer für deine Waren, Edevart, sagte Pauline.

Meine Waren? Ich habe keine Waren, entgegnete der große Bruder.

Wenn ich nur begreifen könnte, wieso die Ladentür offen war. Ich habe sie doch abgesperrt.

Joakim: Ich habe sie aufgemacht.

So, du hast das getan? Du bist mir ja ein schöner Bürgermeister! Aber wenn ich ein Mannsbild wäre, weiß Gott, ich wollte sie hinausjagen.

Edevart war ein Mannsbild, aber er sah der Sache gleichgültig zu. Sie finden ja doch wohl nichts Eßbares hier, meinte er.

Eßbares? Nein, nicht mehr, als hinter meiner Hand ist.

Joakim ruft: Du bist der letzte, Nikolai, willst du nicht hereinkommen?

Nein, erwidert Nikolai. Da ich höre, daß es nichts Eßbares gibt.

Aber warum gehst du da nicht wieder heim? fragt Pauline zornig.

Nikolai: Ja, warum gehe ich nicht wieder heim! Aber das ist nicht so leicht. Sie schauen mich alle an, wenn ich heimkomme. Jedesmal machen sie es so. Ob ich vielleicht ein paar Kartoffeln oder sonst etwas in der Tasche habe. So schauen sie mich an. Du hast nicht ein paar Kartoffeln, Joakim?

Doch, ein paar habe ich wohl.

Die beiden Männer gehen in den Keller. Pauline ruft ihnen nach: Ja ja, aber vergeßt mir nicht, daß wir einen kranken Mann da haben, der etwas zu essen braucht!

In einem Winkel des Kellers lagen etliche Kartoffeln, ein knappes Viertel, ein paar Scheffel, Joakim hat wie alle anderen mit denen teilen müssen, die nichts besaßen. Gott segne dich! murmelt Nikolai und stopft sich die Taschen voll. Danach führt Joakim ihn ins Vorratshaus. Dort hängt ein Stück Schaffleisch, sagt er. Die Tür ist offen. Nein, nicht diesen Weg, da sieht die Pauline dich, geh um die Holzlege herum! Gott segne dich! murmelt Nikolai wieder.

Die drei Frauen stehen immer noch frierend im Schnee, Joakim geht auf sie zu und fragt, wozu sie hier stehen. Ja, wozu stehen wir hier! antworten sie. Joakim meint, ob es nicht besser wäre, wenn sie zu ihren Kindern heimgingen. Wir warten auf unsere Männer, erwidern sie.

Drinnen im Laden wird geredet und in den Schubladen gewühlt. Ein Mann kommt unter die Tür und hält eine Lakritzenstange in die Höhe. Es ist Kristofer. Die nehme ich, während du dabeistehst und zuschaust, Pauline, sagt er. Ich will sie nicht stehlen.

Was hast du denn mit deiner Nase gemacht? fragt Pauline zurück.

Ich wüßte nicht, daß ich etwas mit meiner Nase gemacht hätte.

Sie ist so geschwollen. Ich habe gehört, daß du Prügel bekommen hast bei deinem letzten Schafdiebstahl.

Das ist eine gemeine Lüge! entgegnet Kristofer. Prügel haben ja die anderen bekommen.

Aber wie kannst du denn Schafe stehlen gehen, wo du doch erweckt bist und alles miteinander?

Ja, das war, ehe ich erweckt wurde, es ist lange her.

War es nicht erst vorige Woche?

Und wenn auch! Meinst du, ich mache mir etwas aus deinem dreckigen Gerede? antwortet Kristofer mürrisch und geht zu den drei Frauen hinüber. Schaut her! sagt er und verteilt die Lakritzenstange unter sie.

Nach beendeter Durchsuchung kommen noch mehrere aus dem Laden heraus. Ach, es war eine magere Ausbeute und eine törichte Handlungsweise, der reine Kinderstreich, wenn man es Selbsthilfe und Gewalt nennen wollte. Keiner riß die Regale herunter oder zerbrach Glasscheiben, die Männer zogen die Schubläden heraus und ließen sie nicht offenstehen, sondern schoben sie wieder hinein, die Männer waren so weich geworden. Einer kam heraus und kaute ein Stück Zimt, das er in einer Lade gefunden hatte, ein zweiter hielt Pfeffer in der Hand, Teodor und ein paar andere erschienen mit neuen Pfeifen im Mund, ein Mann biß von einer Stearinkerze ab.

Rauchst du kalt, Teodor? fragte Pauline spottend.

Ja, wir haben keinen Tabak gefunden.

Das glaube ich gern, denn den Tabak habt ihr zu Weihnachten bekommen, bis auf das letzte Blatt.

Hast du nicht einen Löffel Milch, Pauline? fragt er geradeheraus.

Doch, antwortet sie, das habe ich wohl. Du kannst die Ragna kommen lassen, um sie zu holen.

Teodor: Ich kann sie selber mitnehmen.

Nein, du trinkst sie nur unterwegs aus.

Ja, aber Ragna hat sich hingelegt.

Ist sie krank?

Ja, sie kann nicht mehr. Sie hat sich für immer hingelegt.

Dann werde ich ihr die Milch hinbringen lassen, erklärt Pauline. Edevart, du bringst ihr sicher gerne einen kleinen Krug voll Milch?

Edevart? ruft Teodor auf einmal aufgeregt. Ja, das ist der Richtige, um ihn zu Frauen zu schicken, die im Bett liegen.

Niemand lacht. Edevart lächelt nicht einmal.

Na, also kann man hier wohl nicht einmal einen Tropfen Milch bekommen, bricht Kristofer los. Warum steht ihr Weiber denn hier, warum geht ihr nicht in den Stall und melkt die Kühe?

Pauline: Die Kühe sind gemolken.

Ihr findet sicher einen Eimer oder irgendein anderes Gefäß im Stall, fährt Kristofer beinahe im Befehlston fort.

Als sich der drei Frauen eine gewisse Unruhe bemächtigt, so als beratschlagten sie untereinander, wurde Pauline wütend und schrie: Ja, traut euch nur! Die Kühe habe ich erst heute morgen um sieben Uhr gemolken, und jetzt sollen sie am Ende schon wieder aufgestört werden!

Eine der Frauen fragt: Lieber Gott, Pauline, dann schlägst du uns also nicht einen Tropfen von der Morgenmilch für die Kinder ab?

Nein, gibt Pauline zur Antwort. Das schlage ich euch nicht ab. Geht heim und holt einen Topf!

Fällt uns ja gar nicht ein, daß wir gehen! wehrt sich Kristofer. Er ist unvernünftig, aber er glaubt Grund dazu zu haben. Fällt uns nicht ein, daß wir gehen! Es ist ja gerade so, als wären wir Hunde vor der Tür unseres Bürgermeisters.

Pauline: Du redest wie ein Schaf!

So, tue ich das? Hast du nicht etwa funkelnagelneue Blechkübel in allen Größen unter der Decke in deinem Laden hängen, was willst du denn noch mit ihnen anfangen? Ist es dir vielleicht nicht bekannt, daß wir Hungersnot haben und daß wir sterben?

Edevart macht eine Bewegung, er steht nicht mehr in der Haustür, er steigt auf die Erde herab und geht zu Kristofer hin. Das ist an sich nichts Merkwürdiges und auch nichts Wichtiges, aber alle scheinen es beobachtet zu haben.

Joakim greift ein, er flüstert dem herankommenden großen Bruder ein paar Worte zu und sagt dann laut und vermittelnd: Gib ihnen die Milch in Flaschen, Pauline! Wir haben doch eine Menge leere Flaschen!

Ja, gib sie uns in Flaschen! ertönt es von den Frauen.

Der große Bruder ist nicht leicht aufzuhalten, wenn er einmal in Schwung gekommen ist, aber nun hat er doch seinen Schritt verlangsamt. Kristofer weicht ein paar Schritte vor ihm zurück und lächelt sogar schwach. Ich wußte doch, daß sich ein Rat finden würde! sagt er und nickt. Es ist wirklich nicht so leicht, Edevart, fährt er einschmeichelnd fort, wir gehen und gehen herum und können bald nicht mehr auf den Füßen stehen. So ist es mit uns. Aber Joakim hat ja ganz recht: Nichts eignet sich so gut für die Milch wie Flaschen, denn in Blechkübeln nimmt sie einen Geschmack an. Ich begreife nicht, warum in aller Welt ich nur anfing, von Blecheimern zu reden.

Edevart wurde nach und nach mehr flau als hitzig. Wozu war er nun diesen weiten Weg von der Haustür hergegangen? Was mußten sie alle denken? Er sagt zu Kristofer: Ja, gerade das wollte ich dich ja fragen, – ich konnte doch nicht so laut rufen. Ich wollte dich gerade fragen, ob Flaschen nicht besser wären.

Sie waren fertig miteinander.

Kristofer wurde wieder zum Mann und sagte: Jetzt möchte ich bloß wissen, ob die Frauen volle Flaschen bekommen haben oder ob sie sie halb leer mitnehmen müssen. Denn der Pauline ist nicht über den Weg zu trauen.

Edevart, der schon gehen wollte, drehte sich jählings um: Hast du Milch zugute bei der Pauline?

Kristofer schnaubte unwillig: Darauf mag ich dir erst gar keine Antwort geben!

Edevart kam zu ihm zurück. Sein Zorn war wieder entzündet, mit weißem Gesicht und bebenden Lippen sagte er: Ich habe dich gefragt, ob du bei der Pauline Milch zugute hast?

Nein, antwortete Kristofer und wurde klein und häßlich. Ach, es war schwierig für Kristofer zurückzuweichen, es standen so viele da und hörten zu. Auch war es nicht Kristofers Gewohnheit, auf das erste Wort hin klein beizugeben, er war ein Draufgänger, der viel ausgehalten hatte. Jetzt aber war er niedergezwungen, er hatte längere Zeit Not gelitten als Edevart, der bisher eigentlich noch nicht hatte hungern müssen. Kristofer war kein Held mehr. Nein, ich habe keine Milch zugute bei der Pauline, sagte er, durchaus nicht. Und es sei ferne von mir, so etwas zu sagen. Du brauchst mich gar nicht erst zu fragen –

Nein, das ist doch nicht möglich –! rufen die Leute rings um ihn plötzlich und schauen zum Café hinüber. Wer kommt denn da? Ist das nicht –?

Es scheint ein Wunder zu sein. Im übrigen war es nicht ein Erdbeben oder ein Heiliger Geist, der da erschien, sondern es war sozusagen ein Mann vom Rande des Grabes, – August.

Alle beschäftigten sich sofort mit ihm und umringten ihn, Edevart wollte ihn gleich wieder ins Haus zurückdrängen, aber August wehrte sich, fuchtelte mit den Armen, fragte, was denn hier auf dem Hof vorgehe, was es denn schon in aller Frühe für Gepolter und Lärm gebe, was alle diese Männer hier wollten? Man gab ihm in Kürze eine Erklärung der Angelegenheit, Edevart wollte ihn wieder in sein Zimmer und ins Bett schaffen, aber August wehrte sich unentwegt dagegen, bahnte sich einen Weg und trat auf die Treppe vor die Haustür, um wenigstens nicht im Schnee zu stehen.

August! sagten die Leute untereinander. Ja, ist es denn möglich! Aber mein Gott, wie mager und bärtig er ist!

Es war ihm geglückt, viele Hosen übereinander und ein Paar Schaftstiefel anzuziehen, dazu trug er die Düffeljacke, die er hatte fortschenken wollen, ja sogar den Spazierstock, den er ebenfalls hatte fortschenken wollen, hielt er in der Hand, und über all diesem trug er seine graue Bettdecke, deren Zipfel bis auf die Erde hingen. Eine seltsame Erscheinung, vor kurzem noch die nahe Beute des Todes, jetzt wiederum August, August in einer Verkleidung, jedoch von allen erkannt. Wahrhaftig, er war es, und Gott sei Lob und Dank dafür, wie gut und herrlich, ihn wiederzusehen –

Am Ende läuft er im Fieberdelirium herum? fragte Joakim die andern.

Nein, sagt August. Oh, er war klapperdürr und schwach, aber er war zähe, ganz tot war er während seiner Krankheit nie gewesen, jetzt befand er sich auf dem besten Weg zum Leben. Dieser Satans-August! Nein, sagt er noch einmal, ich gehe in allem anderen als im Fieberdelirium herum! Und das sollten wohl besonders tiefe Worte sein, denn er schloß dazu die Augen und schien nachzudenken.

Ja, wie dem auch sei, meinte Edevart, so mußt du doch jetzt wieder ins Haus!

Wart ein wenig, einen Augenblick stopp! Wenn eine Person aus dem Bett aufsteht und den ganzen Morgen und alle ihre Kräfte dazu braucht, sich allein anzuziehen, – weil du, Edevart, einfach nicht wiederkommst –

Hätte ich das gewußt, so hätte ich dich festgebunden!

Ein Glück, daß du es nicht getan hast! Ein Glück, daß ich zu euch herauskam!

Jawohl, August war offenbar auf dem Rückweg zu seinem normalen Zustand, wieder zu Lüge und Tätigkeit und guten Einfällen und desperaten Torheiten. Es konnte nur einfach Neugierde gewesen sein, was ihn aus dem Bett gelockt hatte, die Schläge, die er hörte, als Kristofer die Tür zum Kramladen sprengen wollte, machten ihn unruhig und neugierig. Als er sich aber dann unten auf dem Hofplatz von allen seinen freundlichen und erstaunten Mitmenschen umringt sah, wurde er mitgerissen und bekam einen großen Raptus, er fing an, davon zu reden, daß er sich ermahnt gefühlt habe, aus dem Bett aufzustehen, daß er einen geheimnisvollen Wink dazu bekommen habe. Der Patient in der faltenreichen Bettdecke redete im richtigen Stil. Hatte er wirklich einen Wink bekommen aufzustehen, so machte er jetzt immerhin möglichst viel Aufhebens davon, die Wahrheit aber war wohl eher, daß er diesen Wink im selben Augenblick bekam, als er die Vortreppe hinaufstieg. Es überfiel ihn wie ein Windstoß. Es war nicht Augusts Gewohnheit, sich vorher einen genauen Plan zurechtzulegen, sowohl seine Handlungen als auch seine Geschichten entstanden bei ihm im Augenblick, er war geistesgegenwärtig und erfinderisch, jeder Verantwortung bar, gänzlich schamlos, jedoch überlegen und tüchtig. Wie herrlich war es, für einen Augenblick von Krankheit und Tod fortzukommen und wieder dazustehen und den Buchtbewohnern die Ohren vollzureden wie in früheren Zeiten! Wer konnte wie er die Gemüter erfüllen, Knoten lösen und Auswege finden! Es war ein Glück, daß er herausgekommen war!

Hier stand nun eine Schar von Freunden und Bekannten und war ratlos. Nach der Erklärung, die man ihm gegeben hatte, waren sie auf Grund von Nahrungsmangel zu Gewalt und Tätlichkeiten übergegangen. Stellt euch vor, Nahrungsnot in einem christlichen Land und in so einem großen Ort wie der Bucht! Er war leider krank geworden und dadurch gänzlich verhindert gewesen, rechtzeitig einzugreifen, aber das sollte wiedergutgemacht werden!

Wo ist Pauline? fragte er und sah sich um. So, sie teilt gerade Milch aus. Das ist gut und eine segensreiche Tat von ihr. Aber es verschlägt ja nicht; wenn die Milch getrunken ist, so ist keine Milch mehr da.

Weiß Gott, da sprichst du ein wahres Wort! gaben die Leute ihm recht.

Ja, weißt du vielleicht einen besseren Ausweg, August? fragte Joakim halb überlegen. Er pflegte August nicht immer ernst zu nehmen.

August erwiderte: Es ist nicht meine Sache, dem Bürgermeister gute Ratschläge zu geben, aber findest du denn selber, daß hier alles so ist, wie es sein soll? Ich weiß nicht, ob es früher je in der Bucht vorgekommen ist, daß anständige Leute und getaufte und konfirmierte Leute aus Nahrungsnot zu Gewalttätern und Räubern geworden sind; ist dir so etwas bekannt, Joakim?

Was ist dagegen zu machen?

Doch, sagte August, du kannst etwas dagegen machen!

Ich?

August: Es muß uns geholfen werden! Er fragte, an die Zuhörer gewandt: Will hier einer unter euch ein Telegramm für mich aufgeben?

Stille. Es ist ein weiter Weg, sagten sie. Wir schaffen es nicht, wir haben keine Kraft mehr.

Nach einiger Zeit meldete sich Teodor. Er wollte wohl ohnehin wieder einmal zu seiner Tochter in der Inneren Gemeinde und dabei die ihr zukommende Mahlzeit profitieren.

Du bekommst einen versiegelten Brief mit, sagte August. Du kannst also das Telegramm nicht lesen.

Was frage ich danach, ob ich es lesen kann! antwortete Teodor gekränkt.

August wandte sich zu Joakim und sagte mit tiefer Bedeutung: Du sollst mit dem Großnetz ausfahren!

Joakim sperrte den Mund auf. So, sie sollten mit dem Großnetz ausfahren, na ja. Aber warum sollten sie das? Gab es denn Heringe im Meer? Die Leute dachten nach und schüttelten den Kopf, sie fingen an, die Sache innerlich zu bedenken, Joakim fragte wiederum etwas überlegen: Gibt es denn etwa Heringe draußen?

Ja, erwiderte August fest und haltbar.

Ich merke schon, du hältst uns zum Narren.

August feierlich: Wenn eine Person so weit im Land des Todes und der Ewigkeit war wie ich, so hält sie niemand zum Narren. Denn da ist ihr gar manche Erkenntnis geworden. Du glaubst das nicht?

Joakim glaubte ihm nicht, er blieb auf der Erde: Mit dem Großnetz ausfahren, – die ganze Bucht ist ja noch mit Eis bedeckt, und überhaupt –!

August: Das Eis, das jetzt auf der Bucht liegt, ist ja schon ganz weich. Du bist doch stark genug, im Steven zu stehen und mit einem Ruder das Eis beiseite zu schieben, während ihr hinausfahrt.

Joakim tat nicht mehr verächtlich über Augusts Idee. So wie bisher konnte es nicht weitergehen, die Gedanken mußten eine andere Richtung bekommen, und die Unruhe mußte niedergeschlagen werden. Hatte das einen Sinn, daß die Nachbarn anrückten und den ganzen Kramladen auf den Kopf stellten, daß sie in den Stall gingen und seine Kühe melkten? Andererseits –

Ich weiß nicht, ob es etwas nützt, sagte er. Aber was glaubt ihr, Leute?

ja, was glauben wir? sagten sie. Wir sind so erschöpft, wir wissen nichts.

Ganz richtig! fiel August ein. Ihr seid genau wie die Krähen in der Luft. Ihr wißt nicht, daß viele Menschen in der Welt leben, ihr glaubt, daß ihr allein seid. Holt jetzt das Großnetz heraus, sage ich!

Es war, als habe August eine Aufgabe bekommen, seine Worte klangen wie eine Botschaft. Ihre Wirkung wurde allerdings teilweise dadurch aufgehoben, daß Pauline vom Vorratshaus herkam. Pauline machte ein keineswegs freundliches Gesicht, sie hatte ihre Morgenmilch aushändigen müssen, um die drei Frauen loszuwerden. Aber ihre saure Miene verwandelte sich in höchstes Erstaunen, als sie August in seiner prophetischen Tracht erblickte: Was, – ist das nicht August –?

Ja, er will, daß wir mit dem Großnetz ausfahren, erwidert Joakim.

Warum will er das? Ist ein Heringsschwarm gekommen?

So sagt er!

So. Aber du, Edevart, nimmst jetzt August augenblicklich mit dir und läßt ihn nicht hier in der Kälte stehen. Du bist doch wirklich ein Esel, August! Geh und leg dich!

Wart ein wenig! sagt August wieder, ich gehe, wenn meine Zeit kommt! Wie steht es, Joakim, bist du dir jetzt schlüssig geworden, ob du hinausfahren willst?

Joakim: Ja, was meint ihr dazu, Leute? Wo ist Kristofer und wo sind die anderen, sind sie fortgegangen?

Es sieht so aus, antworteten die Leute und sahen sich um.

Wenn ich an alles denke und mir so überlege, sagte Joakim, so muß ich gestehen, daß es keine Kleinigkeit ist, mit dem Großnetz auszufahren. Nichts ist da, kein Essen, kein Mut, die Kräfte der Leute sind gering geworden, wir müßten eine viel größere Mannschaft nehmen. Ich fürchte mich davor!

Plötzlich kommt Bankchef Rolandsen mehr gelaufen als gegangen. Er hat sich die ganze Zeit abseits gehalten, jetzt hat er Eile, er ist bleich und erregt. Sie haben eine Kuh aus dem Stall geholt! meldet er.

Was –? Wer?

Sie haben eine Kuh geholt und sind damit fortgegangen! Ich habe es gesehen!

Pauline läuft zum Stall, verschwindet für einen Augenblick, kommt zurück, schreit und wirft die Arme in die Luft: Den Stier, – sie haben den großen Stier geholt –!

Um alles in der Welt –

Joakim steht auf dem Sprung, Edevart hält ihn zurück und will selber hinlaufen. Laß mich! sagt er. Ich will –

Wart eine Weile! ruft August, so laut er nur kann.

Da gehen sie! sagt Bankchef Rolandsen und deutet die Richtung an.

Pauline: Ja, da gehen sie. Der Kristofer führt. Seht ihr nicht, daß sie mit dem großen Stier gehen? Wollt ihr stehenbleiben und zuschauen?

Wart eine Weile! ruft August wiederum. Schweig still, Pauline, und laß ihnen den Stier. Ich werde ihn bezahlen.

Wieso –? fragt Joakim. Sollen sie den Stier aus meinem eigenen Stall wegführen?

August: Ich werde ihn bezahlen.

Bezahlen und bezahlen! Soll denn der Kristofer tun dürfen, was er will?

Bezahlen! sagt Pauline auch. Da kommt es wohl erst noch darauf an, ob wir den Stier verkaufen wollen.

August: Noch mehr kommt es darauf an, das Leben zu retten, Pauline!

Nein, jetzt geht es zu weit in der Bucht hier! ruft Joakim aus.

Du kannst eine Veränderung erreichen, wenn du mit dem Großnetz ausfährst, erklärt August. Ich glaube, du tust es!

Joakim: Ich werde es versuchen!

Wann? Jetzt?

Heute noch. Kommt jetzt mit mir, Leute!


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