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XXII

Wiederum fuhr er nicht zur Bank von Norwegen, – Pauline plagte ihn wieder und wieder mit dieser Frage. Jetzt könnte er doch fahren!

Ich habe gar keine Lust mehr, dir zu antworten, sagte August.

Nein, weil diese Geschichte mit den ausländischen Scheinen wohl nur lauter Lüge und Schwindel ist, darauf möchte ich ja beinahe wetten, erwidert Pauline. Und näher konnte sie seiner Ehre wohl nicht gut treten.

Aber August nahm sich das nicht zu Herzen. Einen Mann hätte er erschossen, von einem jungen schönen Mädchen wäre er tief verletzt fortgegangen, aber mit Pauline war nichts zu machen, von ihr konnte man nicht loskommen, sie hatte eine große Macht.

Er kam jedesmal, wenn die Post eintraf, und fragte nach Briefen. Wenn die Maschinenfabrik schon nicht telegraphiert, so konnte sie doch jedenfalls schreiben und ihm für den großen Auftrag danken. Nein, kein Brief, und Pauline gab sich kaum die Mühe, ihm zu antworten. Sie händigte ihm dann und wann einen Brief aus dem Ausland aus, das kam vor. Auf dem Stempel stand vielleicht Hamburg, Madrid oder Kopenhagen, und die Briefe enthielten neue Scheine und Papiere mit mächtigen Ziffern, er pflegte es nicht geheimzuhalten, daß dies die Ausbeute einer Silbermine in Bolivien oder die Abrechnung von einem Weinberg war, den er in Kanada besaß. Aber die Maschinenfabrik schrieb nicht. Kannst du das begreifen, Pauline? fragte er.

Pauline war so wenig nett, wie man nur überhaupt sein konnte, sie tröstete ihn nicht, lachte ihn eher aus und verspottete ihn, im übrigen war sie beschäftigt. Es hatte nun seit dem Nahrungsmangel im Winter ein großer Aufschwung im Briefschreiben stattgefunden, außerdem hielt sich der eine oder andere eine Zeitung, Pauline hatte nicht wenig Arbeit mit der Post. Sie kannte alle Verhältnisse in der Umgebung und konnte auch manches erraten, indem sie die Briefe von außen studierte. Manche von ihnen waren lauter Unsinn und Geschwätz, die hätte sie am liebsten in den Herd gesteckt. Worüber hatte nun der oder jener in der Inneren Gemeinde an den oder jenen in der Bucht zu schreiben? Nichts als Liebe und Küsse und Zärtlichkeit und Schweinerei! Pauline ließ dann und wann einen solchen Brief auf den Boden fallen und trat ein paarmal darauf herum, aus Versehen.

Hier ist nun wieder ein Brief an unsern Bankchef, sagte sie zu August. Es handelt sich wohl um die Anleihe, die er im Süden gemacht hat. Nun, ich sage ja nichts mehr, aber er hat hier eine gehörige Bargeldschuld auf der Bank.

August war böse auf sie und antwortete: Steck doch nicht immer deine Nase in anderer Leute Briefe. Es geht dich doch nichts an, was darin steht. Und der Rolandsen ist noch vermögend genug, er hat ein flottes Haus.

Du Dummkopf, kann er vielleicht von einem flotten Haus leben?

Ja, er hat doch Kredit darauf. Aber ich sage dir, Pauline, von so etwas verstehst du nichts, denn du bist ja nur ein Frauenzimmer. Du weißt nicht, was Kredit in der Welt ist.

Pauline wütend: Er soll mir nicht eine einzige Krone mehr aus der Bank herausschwindeln können, dafür werde ich schon sorgen!

Darüber kannst du nicht verfügen, sagte August.

O ja, Pauline konnte noch über mehr verfügen. Sie besaß eine große Macht, das sollte August jetzt wieder einmal zu spüren bekommen. Der Wortwechsel hörte nicht auf, und die Einleitung war nichts gegen das, was folgte: Pauline erkannte Karolus' Bankbürgschaft für die Maschinerie einfach nicht an.

Wieso? fragte August. Karolus hat mir doch selber versprochen, dafür gutzustehen.

Pauline erwidert: Ja, aber er kann es nicht halten. Karolus hat nichts mehr auf der Bank.

Bei dieser Erklärung starrte August sie an und hielt es für einen Scherz, eine Art dummen Streich. Ein Mann wie Karolus, der Matador der Bucht!

Ja, Karolus hatte ganz richtig einmal etliches Geld besessen, gab Pauline zu, oh, viel Geld, daran fehlte es nicht! Aber er wußte nicht damit umzugehen. Er war genau wie August, sagte sie, keiner von ihnen konnte rechnen und zusammenzählen. Sie konnten nur verschwenden. Aber was sagte die Schrift? Die Schrift sagte, daß wir wuchern sollen mit unserm Pfund.

August dachte eine Weile nach und fragte dann, was Karolus mit all seinem Geld angefangen habe.

Eben auch verläppert, gutgestanden für die schlechtesten Schuldner in der Gemeinde, genau wie August. Erst jetzt wieder war er wunderbar betrogen worden bei diesem Heringskauf in Senjen oben. Ja, sie müsse zugeben, daß gewisse Männer klug waren!

Aber ganz blank ist er doch wohl nicht?

So ungefähr! erwiderte sie. Das bißchen, was noch übrig war, sollte Ane Maria bekommen, um sich wenigstens noch eine Zeitlang über den Sommer hinaus retten zu können.

Nun, aber jedenfalls bekam Karolus doch wohl das Geld für die Maschinerie?

Das wird nicht geschehen! antwortet Pauline.

So, sie wollte also wie ein Vieh an Karolus handeln, an solch einem Mann?

August sei selber ein Vieh!

Er sah sie an und schwieg, sprühte förmlich Funken, schwieg jedoch. Ihm schwebte etwas vor, wie, daß er ihr einige Vorderzähne einschlagen und dadurch ihre Figur für allen zukünftigen Psalmengesang in der Kirche verderben wolle. Eine Taktlosigkeit, er meinte es nicht im Ernst, aber er wollte dieses streitbare Mädchen ein wenig in ihre Grenzen zurückweisen, jawohl, das wollte er: Ja ja, Pauline, schließlich aber ist es nicht deine Bank, und du kannst nicht von Karolus' Mitteln etwas an seine Frau weggeben.

Du wirst schon sehen, daß ich das tue!

Im Protokoll steht genau, was jeder Mann auf der Bank hat, und das kann nicht umgestoßen werden. Nimm dich in acht, Pauline, daß ich dich nicht anzeige!

Pauline blaß vor Erregung: Du und jemand anzeigen? Ich habe alles Geld in Verwahrung, das mir ausgehändigt worden ist, und darüber werde ich bis auf jeden Öre Rechenschaft geben, nur keine Sorge! Aber deine Bank, wie sie genannt wird, ist ja überhaupt keine Bank, sie ist auch nicht bei der Behörde eingetragen, und Joakim sagt, daß das alles ungesetzlich ist. Die ganze Geschichte besteht nur darin, daß ein paar Leute Geld zusammengeschossen und es mir in Verwahrung gegeben haben, und davon wurden Tausende von Kronen wieder ausgeliehen, Zinsen aber sollen nicht berechnet werden, denn das ist auch ungesetzlich, sagt er, und ich soll nur den Rest von dem Geld im Schrank verwalten, und wenn es euch gelüstet, nachzuzählen, so kommt nur zu mir und fordert die »Kombination«. –

Hoppla, hoppla! unterbrach er sie. So hol doch endlich einmal Atem! Oh, August tat ja ruhig und verständig, aber er war sehr besiegt, wäre sie ein Mann gewesen, hätte er sie erschossen. Was bekam er nun für all seine Arbeit in der Bucht! Da lag nun alles im Staub. Hatte er sich selber geschont, hatte er irgendeine Mühe gescheut, vielleicht seine eigenen Schillinge gespart? Er hatte sich selber ausgesaugt bis auf einen Koffer, einen Stock mit einer Klinge und eine Meerschaumpfeife. Hatte er vielleicht etwas durch Trinken und Prassen verschwendet? Was konnte ein Mann mit zwei leeren Händen schon verschwenden! Alles, was er an der Versicherung, an seinem Netzgerät und durch seine Bautätigkeit verdient hatte, hatte er sofort wieder in andere Unternehmen hineingesteckt, jeder Tag war ein Kampf mit den Menschen und dem Schicksal gewesen. Hatte er die Unfreundlichkeit Gottes und der Welt verdient?

Vielleicht ruhte von draußen im Universum irgendein Blick auf ihm, eine Macht, die auf irgendeine Weise von seiner Arbeit im Dienste der verzweifelten Negation erfahren hatte. Er errichtete eine Stadt, für die es keine Nahrung gab, und eine Fabrik ohne Maschinerie. Hatte er nicht den besten Willen gehabt? Doch, aber dieser Sendbote der Mechanik und Industrie arbeitete unfruchtbar. Schon sein erster Schritt, mit dem er die Erde der Bucht betrat, war von Sterilität gezeichnet, einer Krankheit des Geschlechts: er hielt seinen Einzug mit einer Schiffsladung von unfruchtbarer Nahrung, toter Nahrung, Konserven.

Verstand er das jetzt? Sicherlich nicht. Er fühlte sich nur unverdienterweise schlecht behandelt.

Jawohl! sagte er plötzlich und nickte. Finster war er, böse war er, voller Gift. Jawohl, ihr wollt mich allesamt umbringen!

Pauline verlor geradezu ihre Haltung, seine Worte und seine Stimme ließen sie aufmerksam werden, er zeigte sich als ein anderer als vorher. Sie wandte sich von ihm ab, blickte zu den Stoffballen in ihren Regalen hinauf und sagte: Es war wirklich nicht meine Absicht, dich umzubringen.

August: Doch, du warst die Allerschlimmste.

Sag das nicht, ich wollte immer dein Bestes. Ich habe dich gebeten, deinen Verstand zu gebrauchen und nur ein wenig mehr für dich selber zu arbeiten. Du hättest doch etwas sparen und auf die Seite legen können.

Ich hebe kein Geld im Strumpf auf.

Hast du den Doktor bezahlt?

August stutzte: Nein.

Er war zweimal da, als du auf den Tod krank lagst, und du hast viel Medizin von ihm bekommen.

Ich habe ihm eine Fabrikaktie zum halben Preise gegeben.

Wenn Pauline nun lächelte, so wurde er es doch jedenfalls nicht gewahr. Und schau, sagte sie, daß du diese ganze Zeit her für Kost und Verpflegung etwas schuldig bist, davon redest du überhaupt nicht.

Er richtete sich auf und duckte sich augenblicklich wieder, der lose Vogel sank zusammen vor Scham. Sie hatte im Grunde recht mit dem, was sie sagte, und er konnte das nicht ableugnen. Er hatte in gar mancher Herberge in der Welt gewohnt, bis er schließlich hinausgeworfen worden war, und er hatte nicht daran gedacht, daß es auch anders sein könnte. Hier war das eine andere Sache. Warte, bis ich gewechselt habe! brachte er noch heraus.

Ich will dich ja gar nicht mahnen, fuhr sie mit Recht und Würde fort, aber es ist eben doch nicht so töricht, ein paar Schillinge im Strumpf aufzuheben! Joakim hat nichts gesagt, er ist nicht so, und du sollst auch nicht mit ihm darüber reden. Aber der große Bruder zum Beispiel hat immer für sich bezahlt, bis du sein Geld von ihm geliehen hast, obgleich ihm doch von vornherein alles hier im Haus gehört.

Der lose Vogel, er dachte am allerwenigsten an sein eigenes Recht. Es fiel ihm nicht ein, darauf hinzuweisen, daß doch er und kein anderer die Poststelle in der Bucht errichtet und Pauline dadurch Amt und Einnahmen verschafft hatte. Ehe er hierherkam, saß sie auch nicht in einer Bank und besaß keinen Einfluß, sie stand nur hinter dem Ladentisch und wickelte Waren in Papier und verschnürte sie. Warte, bis ich gewechselt habe! wiederholte er.

Es eilt nicht, antwortete Pauline. Auch sie war kein Blutsauger vom Fach, nur ein Mensch der Ordnung, der versuchte, einen Draufgänger zum Buchtbewohner zu erziehen. Sie war alles andere als versessen auf dieses Kostgeld, in ihren Büchern stand gar mancher »unerhältliche« Posten. Dieses törichte Menschenkind hatte doch wahrhaftig nun schon seit Monaten die Kost und Verpflegung für August aus eigener Tasche bezahlt, um sein Betragen in Joakims Augen ein wenig blank zu halten!

Sie hatten beide noch eine Reserve von Güte.

Pauline ging zu einer anderen Wand hinüber und sagte laut zu den Regalen hinauf, sie redete beinahe zur Decke hinauf: Nein, es war wirklich nicht meine Absicht, dich umzubringen, August. Dazu habe ich vielleicht ein wenig zu sehr dein Bestes gewollt. Aber davon will ich nicht reden.

Sie schwieg, und er schwieg. Sie erwartete vielleicht, daß er gerade jetzt etwas sagen würde, aber er biß nicht an.

Du warst mir zu wild, sagte sie. Darum wollte ich dich auf den rechten Weg führen.

Er schwieg.

Du hättest ein schönes Stück Geld haben können, um damit in der Bucht anzufangen und ein ordentliches und mäßiges Leben zu führen, wie es geschrieben steht. Aber du wolltest nicht auf mich hören.

Er schwieg.

Na ja, darüber ist nichts mehr zu sagen! schnitt sie sich selber und ihm das Wort ab und ging entschlossen in ihr Kontor.

August stieg in sein Zimmer hinauf und setzte sich dort hin, er war allein, Edevart arbeitete in der Holzlege. Er fühlte sich verdammt mitgenommen in diesem Augenblick und hatte Angst vor seinem Untergang. Am Meer unten sah er die Fabrik stehen, nach Winkel und Lot gebaut, ein Haus für Mechanik und Industrie, eine Mühle, mit der man Geld mahlen konnte, aber die Maschinerie fehlte, und so war das Unternehmen zum Tode verurteilt. Er selber stand hier, und es war ihm weiter nichts geblieben als die zweifelhafte Ehre, Leben in die Bucht gebracht zu haben. Bürgermeister Joakim konnte nicht einmal das von sich sagen.

Pauline war vielleicht entschuldigt, sie war doch nur ein Frauenzimmer; dieses Schaf, dieses Maultier hatte es wohl nicht so schlimm gemeint, aber ihm dröhnte jetzt noch der Kopf von seinem Zusammenstoß mit ihrer festen Rechtschaffenheit und ihrem unendlich langweiligen Ordnungssinn. Was hatte sie da gesagt: daß sie ihm zu wohl gewollt hatte? Sie, ein Tier, diese Schlange mit ihrer falschen Zunge! Die Fabrik könnte jetzt bereits Geld mahlen, wenn Pauline nur gewollt hätte. Es lagen fünftausend Kronen für die Fabrik im Geldschrank.

Und August war ja immer noch nicht ohne Ideen: er wäre ganz in seinem Recht, wenn er den Geldschrank öffnete und sich mit dem Nötigen versähe. Es wäre nicht anders, als das eigene Geld zu stehlen, das der selige Ottesen ausdrücklich für die Heringsmehlfabrik in die Bank eingezahlt hatte.

Aber wie bekam man den Schrank auf? Pauline mußte aus dem Wege sein, es konnte an einem Sonntag geschehen, wenn sie in der Kirche war, das bedeutete nicht weniger als drei Stunden Abwesenheit. Joakim mußte aus dem Wege sein, er konnte seinen gewöhnlichen Sonntagsspaziergang auf die Neusiedlung machen, der ein paar Stunden dauerte. Zwei Stunden waren immerhin etwas, das war mehr als Zeit genug für diese Art von feiner Dynamitarbeit, von der er so oft gehört, die er jedoch nicht gelernt hatte, – ach, wieder ein Loch in seiner Erziehung, ähnlich wie die Unkenntnis im Seiltanzen. Der Schrank mußte also wegen seines Mangels an Kenntnissen im Rücken aufgeschlitzt werden, mit der Axt dort gespalten werden, wo er am schwächsten war, vielleicht half Roderik ihm dabei, den Schrank mit einem Brecheisen von der Wand wegzurücken. Roderik war zuverlässig, sie hatten schon von früher her ein Geheimnis miteinander. Edevart würde kein Hindernis sein, er würde den ganzen Sonntagvormittag bei den fünf Espen auf der Weide draußen sitzen und über sich selber brüten ...

Es gab auch noch eine andere Art: er konnte unter dem Vorwand, daß er zur Bank nach Norwegen fuhr, die Schrankfabrik aufsuchen und sich einen neuen Schlüssel zur »Kombination« verschaffen, – ein solcher »Schlüssel« war ja nichts weiter als ein Papier mit einer Erklärung darauf. Selbstverständlich mußte er es doch wohl lernen können, diese elende Kombination zu verstehen, darüber machte er sich keine Sorgen ...

Es kam nicht so weit.

Eines Abends schlenderte er auf die Neusiedlung hinaus. Es lag kein Grund vor, dem Großbauern Ezra nicht ein paar Fabrikaktien anzubieten und auf diese Weise gerettet zu werden.

Die Familie war versammelt. Ezra saß nach der Feldarbeit des Tages da und las laut aus der Zeitung vor, die er sich seit einiger Zeit hielt, und Hosea und die älteste Tochter traten ihre Spinnrocken. Fleiß und Familienleben, ein Himmelssegen täglicher Zufriedenheit. Zwei kleinere Kinder kämmten Wolle für die Spinnerinnen.

Hosea stand auf: Ach, Besuch! Such dir einen Platz zum Sitzen, August!

Ich will mich nicht setzen. Ich kam nur auf einen Sprung hierher.

Was bringst du Neues? fragt Ezra.

Es heißt, daß es draußen Heringe gibt.

Wollte Gott, dem wäre so!

Ja, nicht zum mindesten auch für meine Fabrik. Ich erwarte nun täglich die Maschinerie.

Was du doch alles fertigbringst! sagte Hosea.

August setzte sofort das Messer auf die Brust: Nun sieht du wohl, daß die Fabrik doch zustande gekommen ist, Ezra, da kannst du doch ruhig ein paar Aktien nehmen.

Das kann ich mir nicht leisten.

Doch, aber du willst nicht. Du willst es nicht anders haben, als du es bisher gehabt hast: von der Hand in den Mund.

Es ist etwas Wahres daran, gibt Ezra zu.

Aber ich kann es so nicht aushalten. Und jetzt will ich, daß du zwei Aktien nimmst, es ist mein Ernst. Ich könnte ja selber das Geld für die Maschinerie auslegen, aber ich habe nur große ausländische Scheine und muß sie erst wechseln lassen. Du hast sie wohl gesehen?

Nein.

Wie dumm, daß ich sie nicht mitgenommen habe, du hättest dich sicher darauf verstanden. Kurz und gut: zwei Aktien, Ezra!

Ezra überhört das: Das erstemal, als du in die Bucht heimkamst, August, lehrtest du uns Ackerbau und lehrtest uns das Moor entwässern und ordentliche Nebengebäude errichten. Jetzt hören wir gar nichts mehr von solchen Dingen.

Oh! stöhnt August und greift sich an den Kopf. Das habe ich jetzt alles aufgegeben, es lohnt sich ja nicht mehr, damit macht man ja kein Geld. Und was tun sie denn an anderen Orten, wenn sich etwas nicht lohnt? Sie fangen etwas anderes an. Wollen wir es ihnen nicht nachmachen, wollen wir nicht mit der Zeit gehen? Schau doch dich an, Ezra, und dich, Hosea, was verdient ihr denn mit all eurer Schinderei, die das Land und das Vieh verursachen? Reicht es vielleicht zu einem wunderbar weichen Pelz um den Hals eurer Tochter, die da sitzt? Oder reicht es zu einer fabelhaften Havannazigarre in deinem Mund, Ezra? Nicht, daß so etwas durchaus notwendig wäre, aber sollen wir es den andern nicht nachmachen? Nie einen Gewinn in einer Lotterie, nie eine Reise in eine Stadt, geboren und gestorben auf der Neusiedlung. Was würdet ihr wohl sagen, wenn ihr einen Elefanten zu sehen bekämt! Soviel ihr auch arbeitet und schafft, es geht alles drauf für die Abendgrütze und für die Steuer der Gemeinde und des Königs. Ist es nicht so?

Es ist etwas daran, wiederholt Ezra.

August fuhr nun fort zu schildern, sein Vertrauen in das, was er verkündete, war außerordentlich, er war ohne jeden Zweifel, sein Glaube war frech. Die Zustände in der Bucht überwältigten ihn, nichts wollte vorwärts, die Welt raste weiter, aber die Bucht blieb zurück. Seht nun zum Beispiel, da hatte er früher einmal die Grasnarbe von den Klippen hier draußen vor der Neusiedlung wegschaffen lassen, – wurden die Klippen jetzt verwendet? Kamen denn noch Lofotfahrzeuge, um hier ihre Fische zu trocknen? Es war eine gute Einnahmequelle gewesen, Kinder und Frauen verdienten gar manchen Schilling, – jetzt lagen die Klippen verlassen da. Und weiter, sie sollten einmal ans Fenster kommen und ein Haus unten am Meer sehen, der Wissenschaft getreu aus Zement und Eisen erbaut, eine Fabrik. Sie konnte Geld mahlen wie Heu, wenn sie einmal im Betrieb war –

Was er denn fabrizieren wolle? fragte Ezra.

Heringsmehl. Ungeheure Mengen. Produktion Tag und Nacht hindurch. Ausfuhr. Das war das Nützlichste, was es zur Zeit gab, der größte Segen für die Bucht, Geld im Überfluß, verbesserte Lebenshaltung, keine Steuern mehr, denn die Fabrik würde sämtliche Steuern der Bucht tragen. Zwei Aktien, Ezra!

Ob es denn sicher sei, daß es immer Heringe gäbe?

So sicher, wie August hier sitze! An der einen oder anderen Stelle der Küste würde es immer Heringe geben. Das brauche er doch Ezra nicht zu erzählen, der ja selber seine Zeitung halte und lesen könne.

Ezra wandte schüchtern ein, daß ein Heringsschwarm in der Äußeren Bucht und ein Heringsschwarm im Süden Norwegens für Augusts Fabrik nicht ein und dasselbe sei. Gegenwärtig sei nun ein Schwarm bei Haugesund, – was würde die Fracht von dort bis hierher kosten! Sollten die Lastschiffe ganze neun Breitengrade nach Norden segeln, an Hunderten von Heringsmehlfabriken an der Küste vorbei, um die Fabrik in der Bucht aufzusuchen?

August stutzte. Na, sagte er, schließlich sind wir hier in der Gegend auch noch nicht ganz blank von Heringen. Ich habe nichts anderes bemerkt, als daß es im Winter hier Heringe gab, als ich Joakim mit dem Netzboot hinausschickte.

Trotzdem war etwas in Ezras Einwand, dem man nicht widersprechen konnte. August trommelte auf den Tisch und dachte nach, eine kleine innere Unruhe konnte er wohl überwinden. Aber plötzlich kam diesem Mann, der es so gewohnt war, sich durch irgendeinen Streich zu retten, plötzlich kam diesem Mann eine Idee: Für den Fall, daß man hier im Norden nicht dauernd mit Heringen rechnen könnte, sei die Fabrik bereits entsprechend eingerichtet. Es sei niemals seine Absicht gewesen, ausschließlich Heringe zu mahlen, die Fabrik habe zwei Aufgaben: die andere bestehe darin, Torf zu mahlen.

Torf? fragte Ezra.

Torf. Er wolle Ezra nicht lange davon erzählen, wie nützlich Torfstreu im Kuh- und Pferdestall sei, es bedeute doppelt soviel Dünger! Und für ihn war dies nichts Neues, so eine kombinierte Heringsmehl- und Torfstreufabrik; das war nun wohl schon die zehnte Fabrik, die er nach diesem System gebaut hatte oder, um nicht zuviel zu sagen, seine sechste oder siebente, wenn er die in China mitzählte.

Großartig! sagte Ezra und wiegte den Kopf.

Und hier gab es doch unendliche Strecken von tiefgrundigem Torfmoor bis zur Äußeren Bucht hinaus. Außerdem habe man ihm erzählt, daß die ganze Vogelinsel ein einziges Torfmoor sei. Welche Bereicherung an Dünger konnte das für die ganze Welt bedeuten!

Großartig! Aber würde es nicht mindestens ebenso klug sein, diese ganzen Moorstrecken in Ackerland umzuwandeln?

Da haben wir's wieder! ruft August gereizt. Ein Acker sei schön und gut, dagegen ließe sich nichts sagen, aber es komme doch kein Geld dabei heraus. Ezra selber habe Äcker, aber könne er sich auch nur das Geringste kaufen? Eine Fabrik, die den Torf in Streu verwandelte, sei genau so gut wie eine Silbergrube. Selbstverständlich Produktion in großem Maßstab. Und hierbei komme es der Fabrik zugute, daß sie unmittelbar an dem steilen Küstenstück liege, große Dampfer könnten bis dicht an die Winde heranfahren und ihre Last zu jeder Tageszeit aufnehmen. Ezra pflegte ja doch zu sagen, daß es hier kein Hinterland gäbe. Was tat das? Die Fabrik würde die Bucht zu einer Hafenstadt machen, wie zum Beispiel Rotterdam in Holland. Schiffe würden kommen und gehen, der Kapitän würde auf der Brücke stehen und an der Schnur ziehen, Offiziere und Mannschaften auf ihren Posten, Kommandorufe, Trossen an Land –

Großartig!

Bitte schön! sagt Hosea und stellt ihm ein Glas Schnaps hin.

Um Himmels willen! ruft August überrascht aus. Es ist Jahr und Tag her, seit ich so etwas gesehen habe.

Von unserm Sohn in Drontheim! sagt sie stolz.

Ezra erklärt es näher: Ja, da hätten sie nun ihren Sohn auf einen großen Hof in der Nähe von Drontheim gegeben, mit der Absicht, ihn dort Landwirtschaft und Schmiedearbeit für den Hofbedarf gründlich lernen zu lassen, damit er dann wieder heimkommen und helfen könne. Ja, Prosit, jetzt wollte er nicht mehr heimkommen! Was sollte er daheim, gab es da eine Zukunft? Er ist jetzt nach Drontheim gereist, und dort will er bleiben. Was er jetzt treibt, mag Gott wissen, vielleicht Zufallsarbeit, den einen Tag in einem Stall, den andern auf dem Bollwerk draußen, das war eine andere Zukunft als hier! Jetzt hat er zwei Flaschen Lysholm heimgeschickt, haha!

August trank seinen Schnaps aus und bekam noch einen eingeschenkt, er redete aus voller Brust, das Leben, diese herrliche Komödie, interessierte ihn so ungeheuer, der Zeitgeist war über ihm, er hätte auf einem Marktplatz stehen und reden können. Die feinen Übergänge kannte er nicht, aber er war erfahren in den Dingen: in Produktion und Umsatz, in Zirkus und Theater, Industrie, Streiks, Kongressen und anderen internationalen Unterhaltungen. War es merkwürdig, daß ihr Sohn nun in der Stadt bleiben wollte? Aber nun haben wir es ja erlebt, daß viel mehr Menschen in der Stadt wohnen wollten, als die Stadt beherbergen konnte, und wie konnte man dieser überhandnehmenden Wohnungsnot abhelfen? Ja, der Staat, – der Staat sollte die alten Städte ausdehnen und neue bauen. Richtig! Es wäre ja noch schöner, wenn die Leute dort nicht wohnen dürften, wo sie wollten! Wie zum Beispiel mit der Bucht hier! Es wäre doch nicht zuviel, wenn hier noch einmal Tausende von Menschen wohnen würden, die Kirche und der Friedhof müßten von der Inneren Gemeinde hierher verpflanzt werden. Behörden und Generäle und Bischöfe sollten jeder im eigenen großen Schloß wohnen. Die Heringsmehlfabrik? Hoho, er wolle gar nicht erst anfangen, von einer einzelnen Fabrik zu reden, zehn Fabriken, viele Fabriken, Hunderte von Maschinen im Betrieb, Schornsteine und Pfeifen und Sirenen ringsum an Land und Strand –

Neuer Schnaps.

Ezra tat nicht viel, dieses laute Geschwätz einzudämmen, er kümmerte sich wohl auch nicht darum. Er verspottete immer noch den Sohn in Drontheim: Es war ihm hier nicht gut genug, kein Auskommen und keine Zukunft, er würde wie ein Licht verlöschen und zu früh ins Grab kommen!

Hosea vermittelnd: Er kommt schon wieder! Laß ihn doch erst einmal in gekauften Hosen herumlaufen!

Ezra fährt fort: Es war einmal ein Mann, der Martinus Halskar genannt wurde. Meine Stube war niedrig, sagte er, ich hatte ein einziges Fenster darin, und das war auch niedrig, mein ganzes Leben lang mußte ich mich zusammenducken, wenn ich durch die oberste Scheibe schauen wollte; wenn ich auf einem Hocker saß, konnte ich durch die unterste sehen. Aber trotzdem, sagte Martinus Halskar, hat Gott mich doch über achtzig Jahre leben lassen!

Ach, es wäre für August eine Kleinigkeit gewesen, diesen Martinus Halskar mitsamt seinem Gedankengang in Grund und Boden zu reden, aber dazu hatte er nicht das Herz, er war kein hartes Gemüt, er wollte allen wohl. Das wäre ja reizend, wenn sie alle noch in Martinus Halskars Zeiten lebten! meinte er. Dann würde er noch Hundefelle hier in der Bucht aufkaufen und auf der Ziehharmonika spielen und sich gerade das Salz in die Suppe verdienen! Aber für ihn, August, gab es doch keinen einzigen Ort auf der Erdkruste, den er nicht kannte, und so wußte er zum Beispiel von einem Volk, das keinen Auftrieb hatte und nichts nachahmen wollte, und dieses Volk wohnte am Schwarzen Meer. Nun war ja das Schwarze Meer auch nicht gerade etwas für einen Seemann, nur ein Teich, ähnlich wie die jämmerliche Ostsee. Aber hier am Schwarzen Meer lebte und starb nun dieses Volk. Sie tun weiter nichts, als Samen kauen und die Schalen ausspucken, dann stopfen sie wieder den Mund voll, kauen und spucken Schalen aus. Es dringt ein ganzer Nebel von Spreu aus ihrem Mund. Hat das einen Sinn in unserer Zeit, wo wir doch echten Havannatabak rauchen können, wie ihn früher nur die Könige hatten? Er würde nie vergessen, wie er einmal einem Häuptling drüben an der Malebarischen Küste eine Zigarre schenkte und der Häuptling ihm dafür zwei von seinen Frauen gab –

Was? Aber nein –! fragte Hosea ganz verwirrt.

Er habe sie nicht angenommen! rief August. Zwei Frauen für eine Zigarre annehmen, – traute sie ihm wirklich so etwas zu? Im Gegenteil, der Häuptling bekam noch eine Zigarre gratis und umsonst. Aber hier sähen sie nun also einen Mann, der vorwärts wolle und der sich mit allen Fortschritten und Erfindungen vertraut machen wolle! Und die anderen da am Schwarzen Meer? Ein kümmerliches Volk, Faulenzer, sie gehen in Lumpen und wohnen in Hütten, sie leben in den Tag hinein und tun nichts als schlafen. Wollte Ezra die Buchtbewohner vielleicht so weit bringen? Aber ehe nicht die Kirche und der Friedhof zur Bucht kämen, seien die Menschen hier genau wie Konfirmanden, die kein Wort zu sagen hätten. Sie mußten in der Inneren Gemeinde anfragen, wenn sie zum Abendmahl gehen wollten, und dort kamen sie auch in die Erde, die Bucht besaß auf die Weise nicht einmal ihre eigenen Leichen. Nun solltest du mithelfen, Ezra, bei dieser ersten Fabrik!

Hosea stellte eine schönverzierte Pappschachtel hin, Zigaretten.

Zigaretten! rief August und schlug die Hände zusammen. Jetzt kenne ich mich ja bald selber nicht mehr aus, was ihr alles hier habt!

Ja, das hat er auch geschickt, ich hatte es vergessen, sagt Ezra und schaut wütend drein. Zwei Flaschen Lysholm und das Zeug hier!

August: Soll ich mir am Ende gar eine anzünden dürfen?

Zünd nur immer an, zünd sie alle an, nimm sie mit! Es ist reichlich lange her, seit ich jung war und Papierrollen geraucht habe.

Und August rauchte und war Kenner und lobte die Ware, feiner Tabak, eine teure Marke, amerikanisch. Ob das nun nicht ein Unterschied sei zwischen dem hier und dieser Spreuspuckerei am Schwarzen Meer?

Er konnte das Gespräch drehen und wenden, wie er wollte, seine Absicht wegen der Fabrikaktien mißglückte, Ezra war störrisch und nahm ihm keine ab. Nein, August müsse schon entschuldigen, der Bauer Ezra habe die Neusiedlung, die gehöre ihm, er habe sie von Karolus gekauft und sie mit Kopf und Händen ausgebaut. Daß nun hier ein Haus und ein Heim war und daß der Rauch aus seinem Schornstein aufstieg, das war sein eigenes Verdienst, aber den netten kleinen Bach, der Sommer und Winter am Haus vorbeifloß, den hatte Gott gegeben –

August ging rauchend heimwärts, die Lysholmer steckten noch ein wenig in ihm, er war nicht gering, er war nicht bezwungen. Vielleicht keine Fabrik auf den ersten Anlauf, aber er wollte sich das nicht nahegehen lassen, ihr könnt mich –! Aber er war in der Welt draußen gewesen und hatte seine Augen offen gehalten, er wußte, wie es gehen würde: Es war leicht möglich, daß die Heringe eine Zeitlang ausblieben, die machten es wie ein Routenschiff, das manchmal eine Haltestelle vom Fahrplan strich, aber sie würden wieder in die Bucht kommen, Bauplätze und Häuser würden um ein Vielfaches steigen, die Heringsmehlfabrik würde ihre Maschinen bekommen, die Kirche würde aus der Inneren Gemeinde hierher verpflanzt werden, die Stadt würde wachsen. Nichts war verloren, alles verdiente Entwicklung. Schließlich würde man ihn mit sechs oder – um nicht zuviel zu sagen – mit vier Pferden holen –

Er blieb auf einmal stehen und hob die Hand, als wollte er um Ruhe bitten: Meine lieben Leute, wenn die ganze Welt meinen Weg geht, ist der dann nicht doch vielleicht der richtige Weg? Die Bucht in Norwegen soll sich noch einmal beugen müssen.

Dann ging er weiter, stolzierte einher und vermißte seinen Stock, ja, er knöpfte die Joppe auf und stemmte beide Hände in die Hüften. Diese Lysholmer wurden, scheint's, unheimlich stark in der frischen Luft.


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