Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Kapitel

Am frühen Morgen hatten sich der Kommissar Leuthold und Wachtmeister Neumann über verschiedene Punkte nicht einigen können. Neumann behauptete, daß Herr Berdelow an der ganzen Geschichte unschuldig wäre. Man hätte ihn gar nicht zu verhaften brauchen. Der Rechtsanwalt, den sich Berdelow sofort am frühen Morgen genommen hatte, hätte vollkommen recht, hier von einem Übergriff der Polizei zu sprechen.

Der Wachtmeister konnte bei aller Bescheidenheit und Zurückhaltung seinem Vorgesetzten gegenüber auch einmal solche Satze in stillem aber festen Ton vorbringen.

Neu mann war der Ansicht, daß die Bewerbung Werneuchens um die von Berdelow ausgeschriebene Stelle vollkommen aufgeklärt wäre. Gut, Werneuchen hätte sich beworben, und sein Brief wäre in den Papierkorb geflogen. Damit hätte die Sache ein Ende gefunden. Die Tat selbst ging aber über das zweite Inserat, dessen Herkunft nicht aufgeklärt war. Und die Anzeige wegen der Steuerhinterziehungen wäre eine Lappalie, wie sie sich bei einem größeren Betrieb, der Angestellte neu einstellt und entläßt, immer von Zeit zu Zeit wiederholt. Solche anonymen Anzeigen liefen zu Dutzenden ein, und daß der Anzeiger Herrn Werneuchen als Zeugen genannt hätte, wäre durch dessen Krach mit Herrn Berdelow genügend begründet. Wenn hier eine Fährte zu verfolgen wäre, so wäre es die durchgebrannte Sekretärin. Dieses Fräulein Margot Liedtke wäre mit allen Wassern gewaschen. Die hätte es in sich. Ihr traute Neumann zu, daß sie auf eigene Faust die Korrespondenz mit Herrn Werneuchen weitergeführt und ihn in einen Hinterhalt gelockt hätte. Vielleicht wäre diese Margot Liedtke berufsmäßige Zutreiberin einer ganzen Bande, die es sich zur Aufgabe gesetzt habe, arme Stellungsuchende um ihre Kaution zu betrügen. Das alles wäre möglich, aber mit Herrn Berdelow selbst hätte es nichts auf sich.

Herr Leuthold war bestimmt anderer Ansicht. Es ginge aus allem hervor, daß Berdelow mit seiner Sekretärin unter einer Decke steckte.

»Aber wenn Sie Lust haben, lieber Neumann, so verfolgen Sie doch bitte seelenruhig Ihre Fährte und suchen Sie das Fräulein Margot!« sagte der Kommissar. »Ich gönne Ihnen, daß Sie unerhörte Entdeckungen machen.«

So sehr viel aber versprach sich der Wachtmeister von Margot Liedtke auch nicht, daß er nicht wenigstens noch mit Leuthold zusammen die Villa Werneuchens durchsuchen wollte.

»Die Sekretärin ist eine Nebenfährte, die man verfolgen muß, auch wenn man nicht gerade überzeugt ist, daß dabei etwas herauskommt.«

»Wie Sie meinen, Neumann. Aber in die Villa kommen Sie noch mit hinaus?«

»Jawohl, Herr Kommissar!«

So trennte sich Neumann von seinem Vorgesetzten, auch wenn er noch mittags mit ihm zu Kamp hinausfuhr. Aber er arbeitete vom frühen Morgen ab auf eigene Faust, während Leuthold sich den Fall Berdelow vornahm.

Am Morgen waren ein Briefchen und Blumen an Herrn Berdelow in seiner Haftzelle abgegeben worden. Sie stammten von Fräulein Hubermeier, Therese, die ihrem »verehrten Chef« ihr Mitgefühl ausdrückte. Neumann sah die Sendung durch.

»Wer ist das nun wieder?« dachte er. »Herr Berdelow scheint Haremsbesitzer zu sein!«

Er ging zu ihm in die Zelle.

Herr Berdelow überschüttete ihn mit Vorwürfen. Wie man dazu käme, einen angesehenen Fabrikbesitzer wegen eines bloßen zufälligen Zusammentreffens zu inhaftieren! Hätte man dazu vierzig Jahre lang ein unangreifbares Dasein geführt, daß man beim ersten Verdächtchen sofort abgeführt würde wie ein Strauchdieb?

Neumann versicherte ihm, daß die Haft gewiß nicht lange dauern würde. Er persönlich wäre von der Unschuld des Fabrikanten völlig überzeugt, und alles würde sich in kürzester Zeit herausstellen.

»Was haben Sie übrigens da für reizende Blumen bekommen?«

In wenigen Minuten hatte er alles aus Herrn Berdelow über Fräulein Hubermeier, Therese, und Fräulein Margot Liedtke herausgebracht, was Herr Berdelow selbst wußte. Er erfuhr nicht nur, daß man eben doch die Hubermeier hätte heiraten sollen, sondern daß diese tüchtige und ehrliche Person leider mit der Liedtke bekannt war, und daß die beiden auch offenbar dem Herrn Bötticher zum Engagement verholfen hatten. Herr Bötticher hatte sich ebenfalls auf sein Inserat gemeldet, hatte einen Besitz von dreitausend Mark Kaution nachgewiesen und sollte seine Stellung in einigen Wochen antreten. Hoffentlich wäre das nicht ein solcher Quatschkopf wie dieser Herr Werneuchen!

»Von einem Toten sollte man doch nicht in dieser Weise sprechen!« verwies Neumann den wütenden Fabrikanten.

»Aber was macht dieser Tote einem auch zu schaffen!« war Herrn Berdelows Antwort.

Neumann hatte genug gehört Er raste im Auto zu Fräulein Hubermeier. Sie wohnte in der Annenstraße hinter dem Maxmonument Diese Lage ihrer Wohnung schien dem Wachtmeister nicht unbedenklich. War es möglich, daß Fräulein Liedtke gestern auf Umwegen ihre Vorgängerin aufgesucht hatte?

»Ich verstehe Sie nicht, wie Sie mit diesem Fräulein Liedtke befreundet sein können!« sagte er zu dem aufgeregten älteren Mädchen. »Sie hat Sie doch offenbar bei Herrn Berdelow zu verdrängen versucht!«

Fräulein Hubermeier aber hatte gerade eine gute Freundin bei Herrn Berdelow sitzen haben wollen, die sie auf dem laufenden erhielt und ihr Winke gab, wann es wieder Zeit wäre, hervorzutreten.

»Jawohl, Winke!« sagte Herr Neumann. »Die hat Herrn Berdelow für sich selber ködern wollen. Sie haben da eine Schlange an Ihrem Busen genährt, Fräulein Hubermeier. Und wie steht es mit Herrn Bötticher?«

Von Herrn Bötticher wußte die Hubermeier, Therese, selbst nur wenig. Die Liedtke wäre mit ihm bekannt. Aber wieweit diese Bekanntschaft ging, davon hätte sie keine Ahnung.

Ob Herr Bötticher stattlich und jung und ein Kavalier wäre?

Ja, das wäre er wohl alles! Aber sie wüßte nichts Genaues. Nur, daß die Liedtke oft mit ihm tanzen gegangen wäre. Aber sie wollte nichts gesagt haben. Die Adresse von Herrn Bötticher konnte sie angeben, da er sie mit der Liedtke einmal zum Kaffee eingeladen hatte. Er wohnte in der Elsenheimer Straße, ganz im Süden, an der Endhaltestelle der Linie 9.

Das war die Ausbeute, die Herr Neumann von seinem Besuch bei Fräulein Hubermeier mitbrachte. Es langte noch dazu, Herrn Bötticher aufzusuchen. Dann mußte man schleunigst zum Starnberger Bahnhof, um mit dem Kommissar hinauszufahren. Natürlich war es ein gewagtes Unterfangen, Herrn Bötticher einfach aufzusuchen und ihn geradezu zu warnen, wenn er wirklich eine Missetäter war.

Daß Fräulein Liedtke irgendwelche Schandtaten verübte, stand für den Wachtmeister bombenfest. War Herr Bötticher Mitschuldiger oder Opfer? Das mußte man herausbekommen.

Bevor er in die Elsenheimer Straße hinausfuhr, sah er auf dem Präsidium schnell die Fremdenmeldungen der letzten Nacht durch. Durch einen anderen Beamten war bereits festgestellt worden, daß die Liedtke in dieser Nacht nicht nach Hause gekommen war. Es war dieses nach Aussage der Wirtin noch niemals sonst passiert. Irgendwo mußte sie also die Nacht zugebracht haben. Konnte er sie aus den Fremdenmeldungen herausfinden? Es war kaum möglich, mußte aber versucht werden. Auch alleinreisende junge Damen gab es eine Menge, und wer konnte wissen, ob die Liedtke allein reiste. Vielleicht hielt sie sich während der Nacht auch bei einer Freundin auf?

Unter den Fremdenmeldungen waren etwa zwanzig Personen, die sich auf Margot Liedtke beziehen konnten. Sie zu überwachen, war vollkommen zwecklos. Gerade wollte Neumann zu Herrn Bötticher in die Elsenheimer Straße eilen, als er dringend aus Regensburg an den Apparat verlangt wurde. Richtig, er hatte einen dortigen Kollegen, der ihm befreundet war, mit Recherchen beauftragt Das Gespräch dauerte ziemlich lange. Es hatte kaum noch Zweck, den Weg zur Elsenheimer Straße zu machen. In aller Eile raste er dorthin und die fünf Treppen hinauf, wo Herr Bötticher wohnen sollte.

Hier standen Arbeiterhäuser, die kurz vor dem Kriege errichtet waren. Stattliche Bauten aus Beton mit freundlichen Wohnungen. Ganz oben gab es an der Türe zu den Mansardenwohnungen drei Namensschilder. Neumann klingelte. Eine alte Wirtschafterin machte ihm nach einiger Zeit auf.

»Herr Neumann? Ja, Herr Bötticher wär zu Hause!«

Er wurde in einen dunklen Raum geführt, auf den hinaus drei Wohnungen gingen. Aus einem gemeinsamen Ausguß roch es fürchterlich. Mein Gott, wohin verkrochen sich doch in der heutigen Zeit die Menschen! Und Herr Bötticher sollte ein netter, junger Kavalier sein, mit dem Fräulein Margot Liedtke tanzen ging! Die Wirtschafterin machte einen durchaus guten Eindruck. Es ist fast so ähnlich wie bei Herrn Werneuchen! mußte Neumann denken. Auch hier eine behäbige Köchin, die wie ein altes Familienfaktotum aussieht, und man möchte darauf schwören, daß man im Innern eine höchst behagliche Wohnung antreffen wird.

Die Tür zu Herrn Böttichers Flur wurde geöffnet. Es war nur ein kleiner Raum, aber er sah überaus freundlich aus. An einer Garderobe konnte man Mantel und Mütze ablegen. Sogar einige gute Zeichnungen hingen an den Wänden. Die Wohnung hatte offenbar zwei Zimmer und eine Mädchenkammer nebst Küche und sonstigem Zubehör. Herr Bötticher, ein gut aussehender Dreißiger, kam aus dem Wohnzimmer heraus und fragte nach dem Zweck des Besuches.

»Ich möchte mich nach Fräulein Liedtke erkundigen«, sagte Neumann und zeigte sein Abzeichen vor.

»Bitte, kommen Sie herein!«

Der Raum innen war mit Perserteppichen belegt. Es gab am Fenster einen Schreibtisch und in der Mitte des Zimmers einen anderen größeren Tisch, auf dem noch das Frühstücksservice stand. An den Wänden hingen zwei Ölgemälde und wieder einige Zeichnungen. In der Ecke stand ein Klavier. Daneben ein Bücherregal, das von oben bis unten mit Büchern in guten Einbänden gefüllt war.

»Nicht Mitschuldiger, sondern Opfer!« dachte Neumann kurz.

»Bitte nehmen Sie Platz! Also Sie wollen Erkundigungen nach Fräulein Margot Liedtke einziehen. Ja, ich kenne die Dame. Ich tanze manchmal im ›Grünen Schiff‹ oder in der ›Diana‹ mit ihr, und sie besucht mich auch manchmal. Dann ist sie mir noch behilflich gewesen, eine neue Anstellung zu erhalten. Ich soll Propagandaleiter in einer Schuhexportfabrik werden. Berdelow & Hahn, wenn es Sie interessiert. Sie ist dort die Sekretärin des Chefs und scheint in der Firma ziemlich allmächtig zu sein. Das ist mir natürlich sehr angenehm, denn mir als früherem Offizier fällt es natürlich nicht ganz leicht, mich in das Geschäftsleben hineinzufinden. Ich kann Ihnen auch die Adresse der Dame angeben.«

Den Wachtmeister machte die Ähnlichkeit der Lebensumstände mit denen Werneuchens nicht wenig betroffen. Stürzte sich Fräulein Liedtke immer auf die gleichen Opfer?

»Wissen Sie vielleicht zufällig, Herr Bötticher, wo sich Fräulein Liedtke gestern abend und heute nacht aufgehalten hat?«

Herr Bötticher wußte das ganz genau. Er hatte sich zu gestern abend mit ihr verabredet. Sie wollte erst spät ins »Grüne Schiff« kommen. Er rief sie noch auf der Fabrik an, wo sie zunächst absagte, dann aber doch kommen wollte. So wartete er in dem Lokal auf sie. Nach einer halben Stunde kam aber ein anderer Anruf, der ihn ins Café bestellte. Dort war er den Abend über mit ihr zusammen. Dann war allerdings etwas Merkwürdiges passiert. Sie wollte in der Nacht ihren Koffer mit einigen Kleidern aus ihrer Wohnung holen, um in ein Hotel überzusiedeln. Und heute früh wollte sie sich auf eine längere Reise begeben.

Das war alles sehr romantisch verlaufen. Sie waren mit einer Droschke bis in die Nähe ihrer Wohnung gefahren. Dann hatten sie alle Straßen abgesucht, weil Margot fürchtete, daß ein Herr, der sie schon längst mit Liebesanträgen verfolgte, ihr auflauern könnte. Als niemand zu sehen war, schlich sie sich in ihr Zimmer hinauf, packte leise ihre Sachen zusammen und kam nach etwa einer halben Stunde mit einem schweren Koffer wieder herunter. Er schimpfte noch auf sie, weil sie ihn mitten in der Nacht so lange auf der Straße stehenließ. Sie hatte ihm aber mit einem Kuß den Mund verschlossen.

»Gott sei Dank, daß meine Wirtin nichts gemerkt hat!« hatte sie gesagt.

»Und dann?«

Dann waren sie mit einer Droschke zu einem Hotel gefahren und dort hatte sie sich ein Zimmer genommen. Er gab das Hotel an. Es war eines der besten und teuersten in München.

»Und Sie fuhren allein nach Hause?«

»Leider!« sagte Herr Bötticher lachend.

»Ja, fiel Ihnen denn das alles nicht auf?«

»O Gott, Herr Kommissar! Was sollte einem bei Margot noch auffallen! Sie ist das exzentrischste Geschöpf, das Sie sich vorstellen können.«

»Und gab sie keinen Grund für ihr merkwürdiges Verfahren an?«

»Natürlich habe ich sie gefragt, aber sie lachte nur. Einmal sagte sie, sie hätte Gelder unterschlagen und müßte ausbüxen. Wir lachten noch sehr darüber.«

»Aber das ist wahrscheinlich die Wahrheit. Mindestens das war die Wahrheit, wenn die Wahrheit nicht noch viel schlimmer ist!«

Herr Bötticher zuckte die Achseln. »Es ist möglich. Sie ist eine tolle Kröte. Wissen Sie, man lernt die verrücktesten Menschen kennen, wenn man so in der Welt herumstromert.«

»Sie sind Junggeselle?«

»Ich bin geschieden. Aber lassen wir das. Es ist ein trauriges Kapitel!«

Auch hierin stimmte also Herr Bötticher mit Herrn Werneuchen überein.

»Wollen Sie mit mir in das Hotel fahren, wohin Sie heute nacht Fräulein Liedtke gebracht haben?«

»Aber gerne!« stimmte Herr Bötticher zu. »Natürlich! Wenn die Krott unterschlagen hat, muß sie gefaßt werden, und vielleicht kann sich der Portier auf mich besinnen, denn ich habe mit ihm gesprochen.«

Sie gingen die fünf Treppen hinunter und rasten die lange Straße zurück zum Stachus. Unterwegs erzählte Neumann seinem Begleiter die ganze Geschichte.

»Ich halte es nicht für ausgeschlossen, Herr Bötticher, daß nach Herrn Werneuchen Sie selbst herangekommen wären. Wie stand es mit Ihrer Kaution?«

»Nun, ich habe das Geld auf der Bank liegen. Bei Antritt der Stelle hätte ich Herrn Berdelow den Scheck übergeben.«

»Nicht früher?«

»Keinen Augenblick früher! Und wissen Sie, daß mir so etwas zugestoßen wäre wie diesem Herrn Werneuchen, halte ich für vollkommen ausgeschlossen!«

»Hätten Sie nicht ruhig mit dem Scheck in der Tasche Fräulein Liedtke am Abend vorher nach Hause begleitet? Hätte es dann nicht leicht möglich sein können, daß in einer dunklen Ecke auf einmal ein Kerl ankommt und Ihnen die Brieftasche fortnimmt?« fragte Neumann.

»Dann hätte er doch das Geld erst einmal von der Bank abheben müssen«, erwiderte Herr Bötticher. »Wissen Sie, Herr Kommissar, ich glaube, man muß schon besonders dazu prädestiniert sein, wenn einem so etwas passieren soll wie Herrn Werneuchen.«

»Wenn Sie das ganz ernst meinen und der Ausdruck prädestiniert nicht eine milde Bezeichnung für Dummheit sein soll, haben Sie recht.«

»Nein, nein! Ich meine es wirklich in ganz ernstem Sinne. Im Sinne einer Vorherbestimmung durch Schicksal und Charakter, was ja wohl so ziemlich dasselbe ist. Es gibt Menschen, die eines Tages ermordet werden sollen. Sie können diesem Mißgeschick nicht entgehen, obwohl sie es wohl meistens vorausfühlen. Sehen Sie mich an! Als ich verheiratet war, hatte ich auch solche Anwandlungen. Kurz entschlossen machte ich Schluß und lief meiner Frau fort. Was stellte sich nachher heraus? – Ich erzähle Ihnen das alles der Wissenschaft halber, weil es in Ihr Fach schlägt, Herr Kommissar. Was stellte sich heraus? Daß meine Frau seit Jahren mit allerhand Gesindel Verkehr pflegte. Na, hol's der Teufel! Jetzt geht's mir gut.«

»Merkwürdige Welt!« dachte Herr Neumann. »Der Krieg hat doch seltsame Erscheinungen gezeitigt! Und merkwürdig gesetzmäßig!«

Sie fuhren in diesem Augenblick vor dem Hotel vor. Der Portier erkannte Herrn Bötticher sogleich. Sie traten in das kleine Zimmer hinter seiner Loge ein.

Die Dame von gestern? Die hat bis vor einer halben Stunde mit einem Herrn im Frühstückszimmer gesessen, aber sie hieß nicht Margot Liedtke, sondern Maria Leist. Offenbar hatte sie ihren Namen nach den Anfangsbuchstaben auf ihrem Koffer umgeformt Jetzt war sie abgereist Sie wollte mit dem Mittagszug nach Nürnberg fahren.

Der Wachtmeister sah nach der Uhr. Sie war seit einer Viertelstunde unterwegs. Sollte man alle Stationen benachrichtigen? Es war ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen.

Aber der Herr, mit dem sie zusammengesessen hatte?

Es war ein kleiner Herr mit rötlichem Zwickelbart. Sächselte stark. Seinen Namen konnte man aus der Hotelliste feststellen.

Der Portier schlug in dem Buch nach. Hier!

Der Herr war ein Direktor Goldschmidt aus Hamburg.

»Donnerwetter!« entfuhr es dem Wachtmeister. »Das ist ja interessant!«

Und wo war Herr Direktor Goldschmidt geblieben?

»Abgereist! Mit der Dame zusammen abgereist!«

Neumann stürzte zur Telephonzelle. In Windeseile gab er das Signalement der beiden Personen an alle Stationen. Wenn die beiden zusammen reisten, mußte man sie erkennen. Aber schon während des Telephonierens wurde er skeptischer. Sollten die beiden wirklich fortgereist sein? Hätten Sie es dann wirklich dem Portier verkündet? Oder war der rote Zwickelbart nicht vielleicht eine Maske, die schon in der Vorhalle des Bahnhofs fiel, um etwaige Verfolger zu täuschen? Wer weiß, ob Herr Direktor Goldschmidt nicht ein schlanker, schwarzhaariger junger Mann war?

»Können Sie das Auto noch feststellen?«

Aber das konnte der Portier nicht versprechen. Er hatte einen gerade vorbeifahrenden Wagen angerufen. Es war keiner von dem nahen Droschkenstand gewesen.

»Schade!«

Neumann gab das Rennen auf. Er konnte sich nur noch rasch verabschieden, in sein Auto springen und zum Starnberger Bahnhof rasen. Als er in das hinterste Abteil stieg, setzte sich der Vorortzug schon in Bewegung.

Erst in der nächsten Station fand er den Kommissar. Inzwischen hatte er sich überlegt, daß es besser war, dem Vorgesetzten die ganze Sache zu verschweigen, wenigstens bis sie die Villa durchsucht hatten. Herr Leuthold neigte ein wenig zu voreiligen Schlüssen.

Auf der Rückfahrt berichtete er dem Kommissar von den Ergebnissen seines Vormittags.

»Und da wollen Sie noch daran zweifeln, daß Berdelow ein Spitzbube ist?« fuhr der auf. »Nun kennen wir das ganze saubere Kleeblatt: Berdelow, die Sekretärin, den Direktor Goldschmidt und Bensch!«

»Haben aber nur den einzigen Unschuldigen festgenommen!« sagte Neumann und lächelte.

Leuthold warf den Kopf zurück und machte sein eisiges Gesicht. Er präparierte sich in Gedanken auf die nächste Vernehmung Berdelows.

Als sie in ihre Arbeitsräume kamen, drängte die Nachricht von der Auffindung der Leiche alles andere in den Hintergrund. Sie stürzten sich auf die Papiere, die bei dem toten Werneuchen gefunden waren, aber sie waren vollkommen verwaschen und boten keine Möglichkeit der Entzifferung.

»Hoffentlich haben Sie an die Presse gegeben, daß die gefundenen Papiere wichtige Schlüsse auf die Täter und die Beweggründe der Tat zulassen?« fragte Leuthold den zuständigen Beamten.

»Selbstverständlich!« antwortete der.


 << zurück weiter >>