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Die Blumen des Bösen

Ein junger Mann, namens Giovanni Guasconti, kam vor langer Zeit aus Süditalien zum Studium nach Padua. Die goldenen Dukaten klangen nur spärlich in seiner Tasche, und Giovanni bezog ein hohes, düsteres Zimmer in einem alten Hause, das gut ein ehemaliger Adelspalast hätte sein dürfen. Und in der Tat: das Wappenschild einer längst erloschenen Familie war über dem Portal zu sehen. Der junge Fremde wußte wohl Bescheid in seines Vaterlandes größter Dichtung, und er wußte, daß Dante einen Vorfahr dieses Geschlechtes, Bewohner dieses Hauses vielleicht, teilhaben ließ an den unendlichen Qualen seines Inferno. Diese Beziehungen und Erinnerungen, im Verein mit der Neigung zum Weltschmerz, so natürlich bei einem jungen Menschen, der zum erstenmal heimatlicher Vertrautheit entrissen ward, entlockten Giovanni einen tiefen Seufzer, als er sich umschaute in dem trostlosen, schlecht möblierten Raum.

»Heilige Jungfrau,« rief die alte Lisabetta, die sich, gefangen von der auffallenden Schönheit des Jünglings, freundlich mühte, das Zimmer wohnlich herzurichten, »solch ein Seufzer aus so junger Brust! Findet Ihr das alte Haus düster? Dann steckt um Himmels willen rasch den Kopf zum Fenster hinaus, und Ihr werdet ebenso hellen Sonnenschein sehen, wie Ihr ihn in Neapel zurückgelassen habt.«

Unwillkürlich tat Guasconti, wie die alte Frau ihm riet; allein er war nicht ganz ihrer Ansicht, daß die Sonne in der Lombardei so freudig schien wie im südlichen Italien. Doch sie fiel auf einen Garten unterm Fenster und teilte ihre mütterliche Sorgfalt vielen Blumen mit, die mit außerordentlicher Liebe gepflegt erschienen.

»Gehört dieser Garten zum Hause?« fragte Giovanni.

»Gott behüte, Herr! Ja, wenn bessere Kräuter da wüchsen als jetzt,« antwortete Lisabetta. »Nein, diesen Garten bebaut Signor Giacomo Rappacini mit eigener Hand, der berühmte Arzt, von dem man doch ganz gewiß schon bis Neapel gehört hat. Man sagt, daß er Medizinen mache aus diesen Pflanzen, die machtvoll seien wie Zauberei. Ihr könnt den Herrn Doktor noch oft bei der Arbeit sehen, und wenn Ihr Glück habt, auch seine Tochter, wenn sie die seltsamen Blumen pflückt, die in diesem Garten wachsen.«

Die alte Frau hatte nun am Aussehen des Zimmers ihr möglichstes getan, empfahl den jungen Mann dem Schutze der Heiligen und ging hinaus.

Noch immer wußte Giovanni nichts besseres zu tun, als in den Garten unterm Fenster hinabzuschauen. Dem Anblick nach hielt er ihn für einen botanischen Garten, wie man ihn in Padua früher kannte, als sonst irgendwo in Italien oder auf der ganzen Welt. Möglich auch, daß er einst der Lustgarten einer reichen Familie war, denn in der Mitte stand die Ruine eines Marmorbrunnens, in höchst kunstvoller Arbeit, aber so kläglich zertrümmert, daß keine Möglichkeit mehr bestand, den ursprünglichen Entwurf aus dem Wirrwarr der Überreste zu enträtseln. Das Wasser aber sprang und funkelte im Sonnenschein so freudig wie nur je. Ein leises Murmeln drang bis zum Fenster des Jünglings und gab ihm das Gefühl, als sei im Brunnen ein unsterblicher Geist, der sein Lied in Ewigkeiten singt und nicht acht hat, was um ihn geschieht, mag ein Jahrhundert ihn in Marmor meißeln, ein anderes dies vergängliche Gewand in Splittern auf den Boden streuen. Der ganze Teich, in den das Wasser abfloß, war von verschiedenartigen Pflanzen überwuchert, die sehr viel Feuchtigkeit zu brauchen schienen, um ihre ungeheuren Blätter und prächtig üppigen Blüten zu ernähren. Ein Strauch besonders, den man mitten im Teich in eine Marmorurne gepflanzt hatte, trug eine überfülle purpurner Blüten, jede einzelne reich und strahlend wie ein Edelstein; und von dem ganzen Busch ging ein solches Leuchten aus, daß es genügend schien, dem Garten Licht zu geben auch ohne Sonnenschein. Allenthalben war der Boden mit Pflanzen und Kräutern bevölkert, die, wenn auch weniger schön, doch sorgfältigste Pflege verrieten, als hätte jede ihre besondere Tugend, um derentwillen ein gelehrter Geist sie hegte. Einige waren in reich geschnitzte alte Urnen gepflanzt, andere in schlichte Blumentöpfe. Wie Schlangen krochen sie am Boden hin, oder sie klommen hoch empor, alles benützend, was sich darbot zum Klettern. Eine Pflanze wand sich um ein Standbild des Vertumnus, der ganz verhüllt und eingeschlossen war in einem Kleid von hängendem Blattwerk, so künstlerisch geschlungen, daß es einem Bildhauer zum Vorwurf hätte dienen können.

Während Giovanni noch am Fenster stand, hörte er etwas rascheln hinter einer Blätterwand und sah, daß jemand sich im Garten zu schaffen machte. Bald trat die Gestalt vor seinen Blick. Es war kein gewöhnlicher Arbeiter, sondern ein schlanker, hagerer, blaß und kränklich aussehender Mann in schwarzem Gelehrtengewand. Er stand jenseits der Mittelgrenze des Lebens, das Haar und der dünne Bart waren grau; sein Gesicht sprach in hohem Maße von Klugheit und Kultur, aber es hatte wohl nie, auch in jüngeren Jahren nicht, große Herzenswärme ausgedrückt.

Mit ganz unübertrefflicher Genauigkeit prüfte dieser gelehrte Gärtner jeden Strauch, an dem er vorüber kam. Er schien in das Innerste der Pflanzen zu schauen, Beobachtungen zu machen über das Wesen ihres Wachstums und festzustellen, warum ein Blatt die Gestalt hatte, ein anderes jene, und warum die einzelnen Blumen verschieden waren in Form und Duft. Und doch, trotz seiner eindringlichen Beobachtung, kamen sie einander nicht innerlich nahe, er und diese Pflanzenwesen. Im Gegenteil, er vermied, sie wirklich zu berühren oder ihren Duft voll einzuatmen, mit einer Vorsicht, die Giovanni höchst unangenehm berührte. Er benahm sich so, als ginge er unter bösen Gewalten einher, wilden Furien, todbringenden Schlangen, bösen Geistern, von denen ihm furchtbares Unheil drohe im kleinsten unbeherrschten Augenblick. Sonderbar angstvoll war es für den jungen Mann, diese Unsicherheit an einem Menschen zu beobachten, der einen Garten pflegt, bei dieser einfachsten und unschuldigsten aller menschlichen Beschäftigungen, die schon die Freude und Mühe unserer Ureltern vor dem Sündenfall gewesen. War dieser Garten denn das Paradies der heutigen Welt? und dieser Mann, so gefaßt, daß ihm ein Leid geschehe von dem Werk der eigenen Hände, war er denn Adam?

Der mißtrauische Gärtner hatte seine Hände mit dicken Handschuhen geschützt, als er die toten Blätter fortnahm und das allzu üppige Wachstum der Sträucher beschnitt. Und das war noch nicht sein einziger Schutz. Als er auf seinem Wege durch den Garten zu der prächtigen Pflanze kam, deren rubinrote Blüten neben dem Marmorbrunnen wucherten, legte er eine Art Maske über Mund und Nase, als sei in all dieser Schönheit tödlichste Tücke versteckt. Doch es schien ihm immer noch zu gefährlich; er trat zurück, nahm die Maske ab und rief laut, aber mit der unsicheren Stimme eines innerlich kranken Menschen:

»Beatrice! Beatrice!«

»Da bin ich, Vater! Was wünscht Ihr?« rief eine volle, jugendfrische Stimme aus einem Fenster des gegenüberliegenden Hauses; so reich war die Stimme wie ein Sonnenuntergang in den Tropen, und Giovanni mußte unwillkürlich an tiefe purpurne oder rosenrote Farbentöne denken und an schwere, köstliche Gerüche. – »Seid Ihr im Garten?«

»Ja, Beatrice,« antwortete der Gärtner, »und ich brauche deine Hilfe.«

Bald trat aus einem geschnitzten Portal die Gestalt eines jungen Mädchens, in so erlesenem Geschmack gekleidet, wie die prächtigste der Blüten, schön wie der Tag, so tief und lebhaft erblüht, daß der leiseste Schatten mehr schon zu viel gewesen wäre. Überquellend von Leben, Gesundheit und Kraft sah sie aus; all dies verhalten und verdichtet, in seiner Überfülle, sozusagen eingedämmt vom Gürtel der Jungfräulichkeit. Doch Giovannis Phantasie mußte krank geworden sein vom Schauen in den Garten; denn das schöne fremde Mädchen erschien ihm selber wie eine Blume, die menschliche Schwester jener Gewächse, so schön wie sie, schöner noch als die köstlichste von ihnen – doch auch sie nur mit geschützten Fingern anzufassen, auch ihr nicht ohne Maske nah zu kommen. Als Beatrice den Gartenpfad herabkam, konnte man beobachten, daß sie mehrere Pflanzen anfaßte, die ihr Vater sorgfältigst gemieden hatte, und auch ihren Duft einatmete.

»Sieh hier, Beatrice,« sagte der Vater, »wie vielerlei an unserm größten Schatz notwendig zu geschehen hat. Allein, hinfällig wie ich bin, könnte ich es mit dem Leben büßen, so dicht heranzugehen, wie erforderlich. Ich fürchte, von nun an muß ich dir allein die Sorge für diese Pflanze übertragen.«

»Und gerne will ich sie übernehmen,« rief wieder die volle Stimme des jungen Mädchens. Sie neigte sich zu der prächtigen Pflanze und tat die Arme auf, als ob sie sie umfassen wolle. »Ja, liebe Schwester, du Schimmernde, Beatrice soll die Pflicht haben, dich zu hegen und dir zu dienen; du sollst ihr lohnen mit deinen Küssen und Wohlgerüchen, die ihr wie Lebensodem sind.«

Dann tat sie mit der gleichen Zärtlichkeit in den Gebärden, die sich so deutlich in ihren Worten offenbarte, emsig alles, was die Pflanze zu erfordern schien. Und Giovanni, hoch oben am Fenster, rieb sich die Augen und wußte nicht recht, ob das ein Mädchen war, das ihre Lieblingsblume pflegt, oder eine Schwester, die der andern liebevollste Dienste tut. Bald aber schwand das Bild. Vielleicht hatte Doktor Rappacini seine Arbeiten im Garten beendet; vielleicht auch hatte sein wachsames Auge das Gesicht des Fremden erspäht – er nahm den Arm seiner Tochter und zog sich zurück. Schon sank die Nacht; schwüle Dünste schienen von den Pflanzen aufzusteigen und oben an dem geöffneten Fenster vorbeizuschleichen. Giovanni schloß die Läden, ging zu seinem Lager und träumte von einer prächtigen Blume und einem schönen Mädchen. Blume und Jungfrau waren zwei, und doch dasselbe, mit seltsamer Gefahr verknüpft in beiderlei Gestalt.

Doch es liegt im Morgenlicht eine Kraft, die klarzustellen sucht, wo unsre Phantasie und Urteilskraft sich täuschten beim Sonnenuntergang, in den Schatten der Nacht oder im ungesunden Schein des Mondlichts. Giovanni schreckte aus dem Schlummer empor, und seine erste Bewegung war, das Fenster aufzureißen und in den Garten hinabzustarren, den seine Träume so mit Geheimnissen bevölkert hatten. Er war erstaunt und leicht beschämt zu finden, wie wirklich und selbstverständlich er erschien in den ersten Strahlen der Sonne, die den Tau auf Blatt und Blüte vergoldete; wenn sie auch all den seltenen Blumen noch schimmernde Schönheit verlieh, so rückte sie doch alles in die Grenzen üblicher Erfahrung zurück. Der junge Mann freute sich, daß er mitten in der kahlen Stadt das Vorrecht genoß, diese Stelle lieblichen und üppigen Wachstums zu überschauen. Ein Symbol – wie er bei sich bemerkt –, daß er mit der Natur verbunden bleiben sollte. Freilich waren jetzt weder der kränkliche, vergrübelte Doktor Giacomo Rappacini noch seine strahlende Tochter zu sehen, so daß Giovanni nicht entscheiden konnte, wieviel von der Eigenart, die er ihnen beiden zuschrieb, ihren wirklichen Eigenschaften entsprach, und wieviel davon seiner wundertätigen Phantasie entsprang. Allein er war geneigt, die ganze Sache höchst rationalistisch anzusehen.

Im Laufe des Tages stellte er sich bei Signor Pietro Baglioni vor, Professor der Medizin an der Universität, einem Arzt von hervorragendem Rufe, an den er ein Empfehlungsschreiben mitgebracht hatte. Der Professor war ein älterer Herr, offenbar von heiterer Veranlagung und fast lustig in seinem Wesen. Er behielt den jungen Mann zum Mittagessen da und war höchst angenehm in seiner freien und lebhaften Unterhaltung, besonders, nachdem er sich an einer Flasche Toskanerwein erwärmt hatte. In der Annahme, daß Gelehrte, die in der gleichen Stadt wohnen, notwendigerweise auf vertrautem Fuße miteinander stehen müßten, nahm Giovanni Gelegenheit, den Namen des Doktor Rappacini zu erwähnen. Aber der Professor antwortete nicht so herzlich, wie er angenommen hatte.

»Es stünde einem Lehrer der göttlichen Kunst der Medizin schlecht an,« antwortete Professor Pietro Baglioni auf eine Frage Giovannis, »einem so ungeheuer geschickten Arzt wie Rappacini die schuldige und wohlerwogene Anerkennung vorzuenthalten. Andererseits aber könnte ich es kaum vor meinem Gewissen verantworten, einen trefflichen Jüngling wie Euch, Signor Giovanni, den Sohn eines alten Freundes, in irrigen Annahmen zu belassen über einen Mann, der vielleicht noch einmal Euer Leben und Euern Tod in seinen Händen halten könnte. Die Wahrheit ist, daß unser verehrter Doktor Rappacini in der Wissenschaft so beschlagen ist wie nur irgendein Vertreter der Fakultät – vielleicht mit einer einzigen Ausnahme – in Padua oder ganz Italien. Aber gegen seine Berufsauffassung bestehen gewisse ernste Bedenken.«

»Und welche?« fragte der junge Mann.

»Hat mein Freund Giovanni irgendeine körperliche oder seelische Krankheit, weil er so eingehend nach Ärzten fragt?« sagte der Professor lächelnd. »Aber was Rappacini anbetrifft, so sagt man von ihm – und ich, der ich den Mann gut kenne, stehe dafür ein, daß es wahr ist – daß er sich unendlich viel mehr um die Wissenschaft als um die Menschheit kümmert. Seine Patienten interessieren ihn nur als Gegenstände für irgendein neues Experiment. Er würde Menschenleben opfern, auch sein eigenes, oder was ihm sonst am teuersten ist, nur um dem ungeheuren Berg seiner aufgehäuften Weisheit auch nur ein Senfkörnlein hinzuzufügen.«

»Er scheint mir wahrlich auch ein furchtbarer Mann,« bemerkte Guasconti, der sich im Geiste das von nichts als kaltem Verstand sprechende Antlitz Rappacinis wieder vorstellte. »Und doch, verehrter Professor, ist er nicht ein hervorragender Mensch? Gibt es viele, die einer so vergeistigten Liebe zur Wissenschaft fähig sind?«

»Gott behüte,« antwortete der Professor etwas starrköpfig – »es sei denn, daß man gesündere Ansichten von der Heilkunst hat als Rappacini sie vertritt. Es ist nämlich seine Theorie, daß alle Heilkräfte in den Substanzen eingeschlossen sind, die wir pflanzliche Gifte nennen. Diese züchtet er eigenhändig, und man erzählt, daß er sogar neue Arten von Giften erzeugt habe, verderblicher als alle, mit denen die Natur ohne die Hilfe dieses Gelehrten die Menschheit jemals heimgesucht hätte. Daß der Herr Doktor mit solch gefährlichen Stoffen weniger Unheil anrichtet, als man erwarten sollte, läßt sich nicht leugnen. Ab und zu, das muß man zugeben, hat er oder scheint er eine wunderbare Heilung bewirkt zu haben. Aber wenn ich meine persönliche Meinung sagen soll, Signor Giovanni, man sollte ihm solche Fälle des Erfolges nicht hoch anrechnen, da er sie wahrscheinlich dem Zufall dankt, für die Fehlschläge jedoch sollte man ihn ernsthaft verantwortlich machen, denn die kann man mit Recht als sein eigenes Werk ansehen.«

Der Jüngling hätte Baglionis Ansichten mit mancherlei Einschränkung aufgenommen, hätte er gewußt, daß zwischen ihm und Rappacini ein langer beruflicher Zwist bestand, in dem der letztere nach allgemeiner Ansicht Sieger blieb.

»Ich weiß nicht, gelehrter Herr Professor,« entgegnete Giovanni, nachdem er eine Zeitlang über das nachgedacht hatte, was von Rappacinis ausschließlichem Eifer für die Wissenschaft gesagt worden war – »ich weiß nicht, bis zu welchem Grade dieser Arzt seine Kunst liebt; aber sicher gibt es etwas, was ihm noch teurer ist. Er hat eine Tochter.«

»Aha!« rief der Professor und lachte. »So, nun ist Freund Giovannis Geheimnis entdeckt. Ihr habt von dieser Tochter gehört, in die alle jungen Männer von Padua vernarrt sind, obwohl noch nicht ein halbes Dutzend jemals so glücklich war, ihr Gesicht zu sehen. Ich weiß wenig von Fräulein Beatrice, außer daß Rappacini sie tief in seine Wissenschaft eingeweiht hat, und daß sie, trotz der Jugend und Schönheit, die man ihr nachrühmt, schon imstande wäre, einen Lehrstuhl auszufüllen. Vielleicht hat ihr Vater sie für meinen vorgesehen! Es gehen noch andere sonderbare Gerüchte, die aber kein Gehör oder Weitererzählen verdienen. So, Signor Giovanni, nun trinkt aber Euer Glas Lacrimae aus!«

Etwas erhitzt vom Wein kehrte Guasconti in seine Wohnung zurück, und seltsame Phantasien über Rappacini und die schöne Beatrice schwammen durch sein Hirn. Als er unterwegs zufällig an einem Blumenladen vorbeikam, kaufte er einen frischen Strauß.

Er stieg in sein Zimmer hinauf und setzte sich ans Fenster, aber in den Schatten der dicken Mauer, so daß er ohne große Gefahr, entdeckt zu werden, in den Garten hinabschauen konnte. Unter seinen Augen lag nichts als Einsamkeit. Die seltsamen Pflanzen badeten im Sonnenschein und nickten einander von Zeit zu Zeit freundlich zu wie um sich Liebe und Zusammengehörigkeit zu beweisen. In der Mitte, bei dem eingestürzten Brunnen, wuchs der prächtige Strauch, ganz übersät von purpurnen Edelsteinen. Sie glühten in der Luft und glänzten aus der Tiefe des Teiches zurück, der so überzuquellen schien von farbigem Schimmer, in den er getaucht war. Zuerst war der Garten einsam. Bald jedoch – wie Giovanni halb gehofft und halb gefürchtet hatte – erschien eine Gestalt unter dem alten geschnitzten Portal und kam durch die Reihen der Blumen herabgeschritten, ihre verschiedenen Düfte atmend, wie eines jener klassischen Fabelwesen, die von süßen Wohlgerüchen lebten. Beim erneuten Anblick Beatrices erschrak der junge Mann fast, als er bemerkte, wie weit ihre Schönheit seine Erinnerung daran noch übertraf; so glänzend war sie, so lebhaft in ihrer Eigenart, daß sie mitten im Sonnenlicht noch glühte und, wie Giovanni leise bei sich sagte, tatsächlich die schattigeren Teile des Gartenpfades erleuchtete. Jetzt war ihr Gesicht weniger verhüllt als bei der früheren Gelegenheit, und er erstaunte über seinen schlichten und lieblichen Ausdruck, etwas was er sich nicht in ihrem Charakter vorgestellt hatte, und er fragte sich wieder, was für ein Lebewesen sie eigentlich sei. Auch fehlte wieder die Beobachtung oder Einbildung nicht, daß eine Ähnlichkeit bestand zwischen dem schönen Mädchen und dem üppigen Strauch, der seine edlen Blüten über den Brunnen hängen ließ – eine Ähnlichkeit, die Beatrice in phantastischer Laune noch mit Absicht zu erhöhen schien durch die Anordnung ihres Gewandes und die Wahl seiner Farben.

Als sie sich dem Strauch näherte, öffnete sie die Arme, wie in leidenschaftlicher Liebe, und zog seine Zweige in enger Umarmung an sich, so eng, daß ihr Gesicht in seinen Blätterherzen sich versteckte und ihre glänzenden Locken sich ganz mit seinen Blüten mischten.

»Gib mir deinen Odem, Schwester,« rief Beatrice, »denn ich bin schwach von der gemeinen Luft. Und gib mir diese Blüte, die ich mit zartesten Fingern von deinem Stamme löse und dicht an meinem Herzen berge.«

Mit diesen Worten pflückte Rappacinis schöne Tochter eine der reichsten Blüten des Strauches und wollte sie an ihrer Brust befestigen. Doch jetzt geschah etwas Sonderbares, wenn nicht der Wein Giovannis Sinne verwirrt hatte. Ein kleines orangefarbenes Tier, eine Eidechse oder ein Chamäleon, kroch zufällig gerade vor ihren Füßen über den Weg. Es schien Giovanni – aber aus der Entfernung, von der er herabschaute, hätte er kaum etwas so Winziges beobachten können – es schien ihm jedoch so, als seien ein oder zwei feuchte Tropfen aus dem verwundeten Stamm auf den Kopf der Eidechse gefallen. Einen Augenblick lang wand sich das Reptil krampfartig, dann lag es bewegungslos im Sonnenschein. Beatrice bemerkte die auffallende Erscheinung und bekreuzigte sich, traurig, aber ohne Überraschung; auch zögerte sie darum nicht, die verhängnisvolle Blume vor die Brust zu stecken. Dort erglühte sie und schimmerte fast so blendend wie ein Edelstein. Sie verlieh ihrer Kleidung und der ganzen Erscheinung den einzigen passenden Reiz, den sonst nichts in der Welt hätte verleihen können. Aber Giovanni beugte sich aus dem Schatten des Fensters vor, schrak zurück, sprach irre Worte und zitterte.

»Wache ich? Bin ich bei Sinnen?« sagte er zu sich selber. »Was ist dieses Wesen? – soll ich sie schön nennen – oder unaussprechlich furchtbar?«

Lässig durch den Garten streifend kam Beatrice nun dichter unter Giovannis Fenster, so daß er den Kopf ganz aus seinem Versteck vorstrecken mußte, um der großen, schmerzenden Neugier zu genügen, die sie erregte. In diesem Augenblick kam ein schönes Insekt über die Gartenmauer herüber. Vielleicht hatte es die Stadt durchwandert und keine Blüten und kein Grün an diesen alten Stätten der Menschheit gefunden, bis der schwere Duft von Doktor Rappacinis Sträuchern es von weither herangelockt hatte. Ohne sich auf die Blumen zu senken, schien dies geflügelte Glänzen von Beatrice angezogen, zauderte in der Luft und umflatterte ihr Haupt. Nun mußten aber Giovanni Guascontis Augen wirklich trügen. Wie dem auch sei, er glaubte zu sehen, wie das Insekt, von Beatrice mit kindlichem Entzücken bestaunt, matt wurde und zu ihren Füßen niederfiel – seine schimmernden Flügel erzitterten – dann war es tot – aus keinem wahrnehmbaren Grunde, wenn es nicht ihr eigener Odem war. Wieder schlug Beatrice ein Kreuz und seufzte tief, als sie sich über das tote Tier neigte.

Eine plötzliche Bewegung Giovannis lenkte ihre Augen nach dem Fenster. Dort erblickte sie den schönen Kopf des Jünglings – mehr ein griechischer als ein italienischer Kopf, mit hübschen, regelmäßigen Zügen und einem goldenen Schimmer über den Locken. Er starrte auf sie herab, wie ein Wesen, das frei in der Luft schwebte. Kaum wissend, was er tat, warf Giovanni den Strauß hinab, den er bisher in der Hand gehalten.

»Fräulein,« sagte er, »dies sind reine und gesunde Blüten. Tragt sie um Giovanni Guascontis willen!«

»Ich danke Euch, Herr,« erwiderte Beatrice mit ihrer vollen Stimme, die wie ein Strom von Musik aus ihr hervorquoll, und mit heiterem Ausdruck, halb kindlich und halb frauenhaft. »Ich nehme Eure Gabe an und möchte sie gerne mit dieser köstlichen Purpurblüte lohnen, aber wenn ich sie auch hinaufwerfe, sie wird Euch nicht erreichen. So muß sich Signor Guasconti mit meinem Dank allein begnügen.«

Sie hob den Strauß vom Boden auf, und dann, als schäme sie sich innerlich, aus ihrer mädchenhaften Scheu herausgetreten zu sein, um dem Gruße eines Fremden zu antworten, eilte sie rasch durch den Garten heimwärts. Aber so kurz die Augenblicke auch waren, es kam Giovanni so vor, als finge sein schöner Blumenstrauß in ihrer Hand bereits zu welken an, als sie gerade unter dem geschnitzten Portal verschwand. Es war eine müßige Einbildung, denn es war nicht möglich, aus so großer Entfernung eine welke Blume von einer frischen zu unterscheiden.

Viele Tage lang nach diesem Zwischenfall mied der junge Mann das Fenster, das in Doktor Rappacinis Garten blickte, als ob etwas Häßliches und Ungeheuerliches sein Augenlicht mit giftigem Hauch bedrohe, sobald er sich nur zu einem Blick verleiten ließ. Er war sich bewußt, durch die Verbindung, die er mit Beatrice angesponnen hatte, sich bis zu gewissem Grade unter den Einfluß einer unbegreiflichen Macht begeben zu haben. Das klügste wäre gewesen, hätte sein Herz wirklich in Gefahr gestanden, seine Wohnung und ganz Padua sofort zu verlassen; fast so klug, sich so gut wie möglich an den vertrauten Anblick Beatrices im hellen Tageslicht zu gewöhnen und sie so streng und planmäßig in die Grenzen allgemeiner Erfahrung zu rücken. Am allerwenigsten aber hätte Giovanni diesem ungewöhnlichen Wesen so nahe bleiben sollen, ohne es zu sehen, weil die Nähe und sogar die Möglichkeit der Unterredung, den wilden Einfällen, die seine Phantasie unaufhörlich jagten, eine Art Faßbarkeit und Wirklichkeit verliehen. Guasconti war keine tiefe Natur – jedenfalls ließ sich die Tiefe noch nicht ermessen –, aber er hatte eine lebendige Phantasie und heißes südliches Temperament, das ihn von Minute zu Minute in einen höheren Fiebergrad steigerte. Ob Beatrice nun wirklich diese schrecklichen Eigenschaften besaß oder nicht – jenen todbringenden Atem, die Verwandtschaft mit den schönen, verhängnisvollen Blumen –, was sich alles aus Giovannis Beobachtungen ergab, jedenfalls hatte sie ihm ein heftiges und tückisches Gift eingeflößt. Es war nicht Liebe, wenn auch ihre reiche Schönheit ihn toll machte; auch Entsetzen war es nicht, selbst wenn er sich vorstellte, daß ihr Geist ebenso verderblich durchsetzt war, wie ihr Körper es schien. Liebe und Entsetzen hatten gleichen Teil daran; es brannte wie die eine und machte zittern wie das andere. Giovanni wußte nicht, was er zu fürchten hatte. Noch weniger wußte er, was er hoffen durfte. Doch Furcht und Hoffnung stritten beständig in seiner Brust, besiegten einander und standen wieder auf zu neuem Streit. Gesegnet seien alle einfachen Gefühle, düstere und helle! Das geisterhafte Gemisch aus beiden läßt die lodernde Flamme des Inferno entstehen.

Manchmal versuchte er das Fieber seines Geistes durch einen raschen Gang in den Straßen von Padua oder vor den Toren zu dämpfen. Seine Tritte gingen im Takt mit dem hämmernden Klopfen im Gehirn, so daß der Spaziergang zu wildem Zagen wurde. Eines Tages fühlte er sich plötzlich aufgehalten. Sein Arm wurde von einem stattlichen Mann erfaßt, der umgekehrt war, als er den Jüngling erkannte und ihn nun keuchend eingeholt hatte.

»Signor Giovanni! Halt, junger Freund!« rief er. »Habt Ihr mich vergessen? Das könnte wohl angehen, wenn ich mich ebenso verändert hätte wie Ihr.«

Es war Baglioni, den Giovanni seit der ersten Begegnung gemieden hatte, aus Furcht, die Klugheit des Professors möchte zu tief in seine Geheimnisse dringen. Er versuchte sich zu fassen; wirr trat er aus der Welt seines Innern in die Außenwelt hinaus und sprach wie im Traum.

»Ja, ich bin Giovanni Guasconti. Und Ihr seid Professor Pietro Baglioni. Nun laßt mich weiter!«

»Noch nicht – noch nicht, Giovanni Guasconti,« sagte der Professor lächelnd; aber zugleich schaute er mit ernstem, forschendem Blick den Jüngling an. »Wie, bin ich mit Eurem Vater gemeinsam aufgewachsen, und sein Sohn soll wie ein Fremder in diesen alten Gassen von Padua an mir vorübergehen? Bleibt stehen, Signor Giovanni, wir müssen ein paar Worte wechseln, bevor wir uns trennen.«

»Dann aber schnell, sehr verehrter Professor, schnell!« sagte Giovanni mit fiebernder Ungeduld. »Seht Ihr nicht, daß ich in Eile bin?«

Während er noch sprach, kam ein schwarz gekleideter Herr die Straße entlang. Er ging gebückt und bewegte sich mühsam wie ein kranker Mensch. Sein Gesicht war von gelber, kränklicher Blässe überzogen; doch der Ausdruck durchdringender, lebhafter Klugheit beherrschte es so stark, daß ein Beschauer leicht das rein Physische übersehen und nur die wunderbare Energie bestaunen konnte. Im Vorübergehen wechselte er einen kühlen, zurückhaltenden Gruß mit Baglioni, heftete aber mit solcher Eindringlichkeit den Blick auf Giovanni, daß er alles aus ihm hervorzuholen schien, was der Beachtung wert war. Trotzdem lag eine merkwürdige Ruhe in dem Blick, als nehme er nur wissenschaftliches und kein menschliches Interesse an dem jungen Mann.

»Das ist Doktor Rappacini!« flüsterte der Professor, als der Fremde vorüber war. »Hat er Euer Gesicht schon einmal gesehen?«

»Nicht, daß ich wüßte,« antwortete Giovanni, der bei dem Namen zusammenschrak.

»Er hat Euch sicher gesehen! Er muß Euch gesehen haben!« sagte Baglioni hastig. »Zu irgendeinem Zweck beobachtet Euch dieser Gelehrte! Ich kenne diesen Blick an ihm: Es ist der gleiche, der kalt in seinen Augen leuchtet, wenn er sich über einen Vogel, eine Maus oder einen Schmetterling neigt, die er um irgendeines Versuches willen mit dem Duft einer Blume getötet hat – ein Blick, so tief wie die Natur, doch ohne ihre wärmende Liebe. Signor Giovanni, ich setze mein Leben zum Pfand, Ihr seid der Gegenstand eines Versuches für Rappacini!«

»Wollt Ihr mich zum Narren halten?« rief Giovanni wild. »Das, Herr Professor, wäre ein unangebrachtes Experiment.«

»Geduld, Geduld,« erwiderte der unerschütterliche Professor. »Ich versichere Euch, mein armer Giovanni, Rappacini hat ein wissenschaftliches Interesse an Euch. Ihr seid in furchtbare Hände geraten! Und die Signora Beatrice? Welche Rolle spielt sie in dem Geheimnis?«

Aber hier lief Guasconti, der Baglionis Hartnäckigkeit unerträglich fand, davon und war fort, bevor der Professor seinen Ärmel wieder fassen konnte. Er blickte aufmerksam hinter dem jungen Mann her und schüttelte das Haupt.

›Das darf nicht geschehen,‹ sagte Baglioni zu sich selber. ›Der Junge ist der Sohn meines alten Freundes, und er soll keinen Schaden nehmen, vor dem ihn die Geheimnisse der ärztlichen Wissenschaft bewahren können. Außerdem ist es eine unausstehliche Anmaßung von Rappacini, mir den Burschen einfach wegzuschnappen und für seine verdammten Experimente zu gebrauchen. Und diese Tochter! Ich werde aufpassen. Wer weiß, hochgelehrter Rappacini, vielleicht fasse ich Euch, wo Ihr es Euch nicht träumen laßt.‹

Inzwischen hatte Giovanni einen weiten Umweg gemacht und sah sich schließlich vor der Tür seiner Wohnung. Auf der Schwelle traf er auf die alte Lisabetta, die übers ganze Gesicht schmunzelte und offenbar seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte; umsonst jedoch, denn der Aufruhr seiner Empfindungen war plötzlich einer kalten, dumpfen Leere gewichen. Er wandte die Augen voll auf das welke Gesicht, das sich zu einem Lächeln verzog, aber er schien es nicht zu sehen. Da faßte ihn die Alte am Mantel.

»Herr! – Herr!« flüsterte sie und grinste noch immer von einem Ohr bis zum andern – es sah fast aus wie ein alter, in Jahrhunderten gedunkelter Holzschnitt. »Hört nur, Herr! Es gibt einen geheimen Eingang in den Garten!«

»Was sagt Ihr da?« rief Giovanni und fuhr rasch herum, als ob ein lebloses Wesen zu fieberhaftem Leben aufwache, »ein geheimer Eingang zu Doktor Rappacinis Garten?«

»Pst! Nicht so laut!« flüsterte Lisabetta und legte ihm die Hand auf den Mund. »Ja, in den Garten des verehrten Doktors, wo Ihr all die schönen Gewächse sehen könnt. Mancher junge Mann in Padua würde es mit Gold bezahlen, zu diesen Blumen eingelassen zu werden.«

Giovanni legte ihr ein Goldstück in die Hand.

»Zeigt mir den Weg,« sagte er.

Ein Argwohn durchkreuzte sein Hirn, wahrscheinlich durch seine Unterhaltung mit Baglioni hervorgerufen, daß diese Einmischung der alten Lisabetta irgendwie im Zusammenhang stehen könnte mit der unbekannten Intrige, in die ihn Doktor Rappacini nach der Meinung des Professors scheinbar verwickeln wollte. Aber solcher Verdacht, wenn er ihn auch störte, konnte ihn doch nicht zurückhalten. Sofort, nachdem er nur eine Möglichkeit sah, sich Beatrice zu nähern, erschien ihm dies als unbedingte Lebensnotwendigkeit. Es galt ganz gleich, ob sie ein Engel war oder ein Dämon, er stand unwiderruflich in ihrem Bann und mußte dem Gesetz gehorchen, das ihn vorwärts trieb, in immer engeren Zirkeln zu einem Ziel, das er sich nicht auszumalen versuchte. Und doch – wie seltsam – kam ihm ein plötzlicher Zweifel, ob dieses brennende Interesse seinerseits auch keine Täuschung sei, ob es wirklich so bedingungslos und tief sei, daß es ihn dazu berechtigte, sich jetzt in eine unberechenbare Situation zu stürzen, ob es nicht nur die Schwärmerei eines jugendlichen Hirnes sei und wenig oder gar nichts mit dem Herzen zu tun habe!

Er blieb stehen, zögerte, wandte sich halb um, dann ging er weiter. Seine alte Führerin leitete ihn durch mehrere dunkle Gänge und schloß zuletzt eine Tür auf. Als sie offen war, hörte und sah man raschelnde Blätter, durch die gebrochenes Sonnenlicht schimmerte. Giovanni trat hinaus, bahnte sich einen Weg durch das Gestrüpp eines Busches, der mit seinen Ranken den versteckten Eingang versperrte, und stand unter seinem eigenen Fenster, frei in Doktor Rappacinis Garten.

Wie oft ist es so: wenn Unmöglichkeiten aufgehört haben, wenn nebelhafte Träume sich zu greifbarer Wirklichkeit verdichtet haben, dann sind wir ganz ruhig, fast kalt und beherrscht in Umständen, deren bloße Vorstellung uns sonst vor Freude oder Schmerz rasend gemacht hätte. Das Schicksal liebt es, so mit uns zu spielen. Die Leidenschaft wählt sich die Zeit nach eigenem Willen, auf der Bühne zu erscheinen; sie zögert träge im Hintergrund, selbst wenn die günstigsten Ereignisse zusammentreffen und ihr Auftreten zu fordern scheinen. So erging es Giovanni jetzt. Tag für Tag hatte sein Blut fieberhaft gepocht bei der unwahrscheinlichen Vorstellung, mit Beatrice zusammenzutreffen, Aug' in Auge ihr gegenüber, in diesem Garten hier, im südlichen Sonnenschein ihrer Schönheit zu versinken, aus ihrem offenen Blick das Geheimnis zu schöpfen, das ihm das Rätsel seines eigenen Lebens schien. Doch jetzt fühlte er einen merkwürdigen, unangebrachten Gleichmut in seiner Brust. Er ließ seinen Blick durch den Garten gehen, um festzustellen, ob Beatrice oder ihr Vater da seien. Als er sich allein sah, begann er eine kritische Beobachtung der Pflanzen.

Durchweg befriedigte ihn ihr Anblick nicht. Ihre Pracht schien gewaltsam, krampfhaft und sogar widernatürlich. Es war kaum ein einziger Strauch darunter, vor dem der Wanderer, der einsam den Wald durchstreift, sich nicht erschrocken gewundert hätte, ihn im Freien wachsen zu sehen, als hätte ihn ein unwirkliches Gesicht plötzlich aus dem Dickicht angestarrt. Einige konnten ein feines Empfinden auch dadurch abstoßen, daß sie so künstlich aussahen; sie deuteten an, daß eine Kreuzung stattgefunden hatte, Unzucht gewissermaßen, zwischen verschiedenen Pflanzenarten, so daß das Ergebnis kein Werk Gottes mehr war, sondern ein Monstrum, aus der verderbten Phantasie der Menschen hervorgegangen; und seine Schönheit war nur höllisches Blendwerk. Sie waren jedenfalls das Ergebnis von Experimenten, denen es in einzelnen Fällen gelungen war, aus ursprünglich lieblichen Blumen ein Gemisch zu erzeugen, das zweifelhaft und verdächtig aussah, wie alles, was in dem Garten wuchs. Kurzum, Giovanni kannte nur zwei oder drei Pflanzen unter allen, und von diesen wußte er bestimmt, daß sie giftig waren. Noch beschäftigt mit diesen Betrachtungen, hörte er das Rascheln eines Seidenkleides. Er wandte sich und sah, wie Beatrice aus dem geschmückten Portal hervortrat.

Giovanni hatte sich nicht überlegt, wie er sich benehmen sollte, ob er sich entschuldigen wollte wegen seines Eindringens in den Garten, oder so tun, als sei er zum mindesten unter Mitwissen, wenn nicht sogar auf Wunsch Doktor Rappacinis oder seiner Tochter hier. Aber Beatrices Benehmen beruhigte ihn, wenn es ihm auch nicht den Zweifel darüber nahm, auf wessen Betreiben er Einlaß erlangt hatte. Leichtfüßig kam sie den Pfad entlang und traf ihn neben dem eingestürzten Brunnen. Überraschung lag auf ihrem Gesicht, doch es strahlte in einfacher, natürlicher Freude.

»Ihr seid ein Blumenkenner, mein Herr,« sagte Beatrice lächelnd und spielte damit auf den Strauß an, den er ihr aus dem Fenster zugeworfen hatte. »Da ist es kein Wunder, daß meines Vaters seltene Sammlung Euch in Versuchung geführt hat, sie näher zu besichtigen. Wäre er hier, so könnte er Euch viel seltsame und interessante Dinge erzählen über die Natur und Gewohnheit dieser Sträucher, denn er hat sein Leben mit solchen Studien verbracht, und dieser Garten ist seine Welt.«

»Und Ihr, mein Fräulein,« bemerkte Giovanni, »wenn das Gerücht wahr ist, so seid auch Ihr sehr geschult in den Wunderkräften dieser reichen Blüten und starken Düfte. Wolltet Ihr geruhen, mir Lehrerin zu sein, ich würde ein noch eifrigerer Schüler werden als unter Signor Rappacini selber.«

»Gehen solch müßige Gerüchte?« fragte Beatrice und lachte lustig und klingend. »Sagen die Leute wirklich, ich sei in meines Vaters Kenntnisse der Pflanzen eingeweiht? Wie spaßhaft das ist! Nein; obwohl ich unter diesen Pflanzen aufgewachsen bin, so kenne ich doch von ihnen nur Gestalt und Duft; und manchmal scheint mir, möchte ich selbst dieses geringe Wissen gern wieder missen. Es sind viele Pflanzen hier, und fast die prächtigsten beleidigen und stoßen mich ab, wenn mein Auge sie trifft. Aber bitte, Signor, glaubt nicht diese Geschichten von meiner Wissenschaft. Glaubt nichts von mir, was Ihr nicht mit eigenen Augen seht.«

»Und muß ich denn alles glauben, was ich mit eigenen Augen gesehen habe?« fragte Giovanni mit Betonung, während ihn die Erinnerung an frühere Szenen wieder schreckte. »Nein, Signora, Ihr verlangt zu wenig von mir. Heißt mich nichts glauben, was nicht von Euren eigenen Lippen kommt.«

Fast schien es, als verstünde Beatrice, was er meinte. Tiefe Röte stieg in ihre Wangen; aber sie blickte Giovanni voll in die Augen und erwiderte seinen beunruhigten, argwöhnischen Blick hoheitsvoll wie eine Königin.

»Das bitte ich Euch wirklich, mein Herr!« antwortete sie. »Vergeßt, was immer Ihr Euch von mir vorgestellt haben mögt. Wenn es auch für die äußeren Sinne wahr zu sein scheint, so kann es doch im tiefsten Grunde irrig sein. Aber die Worte aus Beatrice Rappacinis Munde sind wahr, von innen heraus. Die dürft Ihr glauben!«

Ein heiliger Eifer durchglühte sie ganz und strahlte wie das Licht der Wahrheit selber auf Giovanni über. Doch während sie sprach, lag ein Duften in der Luft, die sie umgab, reich und köstlich, wenn auch nur wie ein Hauch; und doch wagte der junge Mann, aus unbestimmbarem Widerstreben heraus, kaum, es voll einzuatmen. Es hätte der Duft der Blumen sein können. Konnte es auch Beatrices Atem sein, der so ihre Worte seltsam reich durchduftete, als seien sie durchtränkt von ihrem Herzen? Eine schattenhafte Schwäche überflog Giovanni, um rasch wieder zu schwinden, er schien durch die Augen des schönen Mädchens in ihre klare Seele zu schauen, und er fühlte nicht mehr Furcht noch Zweifel.

Der Anflug von Leidenschaft, der Beatrices Wesen belebt hatte, schwand wieder; sie wurde heiter und schien ein reines Vergnügen an dem Verkehr mit dem Jüngling zu finden; so wie wohl ein Mädchen auf einsamer Insel es empfunden haben möchte, mit einem Reisenden aus der kultivierten Welt sich zu bereden. Augenscheinlich beschränkte sich ihre ganze Lebenserfahrung auf die Grenzen dieses Gartens. Bald plauderte sie über Dinge, so einfach wie das Tageslicht oder die sommerlichen Wolken, bald stellte sie Fragen über die Stadt, über Giovannis ferne Heimat, seine Freunde, seine Mutter, seine Schwestern. Fragen, die von solcher Abgeschlossenheit zeugten, von solchem Mangel an Vertrautheit mit allem, was Brauch und Sitte war, daß Giovanni ihr wie einem Kinde antwortete. Ihr Geist sprudelte vor ihm hervor wie ein frischer Quell, der gerade zum erstenmal das Sonnenlicht schaut und darüber staunt, wie sich Erde und Himmel in ihm widerspiegeln. Auch tiefe Gedanken kamen zum Vorschein und köstlich blitzende Einfälle, als ob Diamanten und Rubinen aus den Wellen des Bächleins hervorblinkten. Immer wieder ging dem jungen Mann ein Wundern durch den Sinn, daß er Seite an Seite neben dem Wesen ging, mit dem sich seine Einbildung so stark beschäftigt, deren Bild er sich mit soviel Schrecken ausgemalt, an dem er selber tatsächlich solche Auswirkungen furchtbarer Eigenschaften beobachtet hatte – daß er sich jetzt wie ein Bruder mit Beatrice unterhielt, und daß er sie so natürlich und so mädchenhaft sah. Aber solche Gedanken waren nur vorübergehend; die Wirkung ihres Wesens war zu selbstverständlich, um nicht sofort vertraut zu machen.

In solch freien Gesprächen hatten sie den Garten durchstreift, und nun waren sie nach vielen Windungen seiner Wege wieder bei dem verfallenen Brunnen angelangt, neben dem der prächtige Strauch mit der Fülle glühender Blüten stand. Ein Duft ging von ihm aus, den Giovanni als den gleichen erkannte, den er Beatrices Atem zuschrieb, nur war er unvergleichlich viel stärker. Giovanni sah, wie sie die Hand auf die Brust preßte, als ihr Blick darauf fiel, als klopfe ihr Herz plötzlich und voll Schmerz.

»Zum erstenmal in meinem Leben,« wandte sie sich flüsternd an den Strauch, »hatte ich dich vergessen!«

»Ich erinnere mich, Signora,« sagte Giovanni, »daß Ihr mir einmal verspracht, mir mit einem dieser lebenden Edelsteine zu lohnen für die gesegnete Kühnheit, die mich den Strauß zu Euren Füßen niederwerfen ließ. Erlaubt mir, ihn jetzt zu pflücken zum Gedächtnis dieser Begegnung.«

Er tat einen Schritt auf den Strauch zu und streckte die Hand aus. Aber mit einem Schrei, der ihm wie ein Dolch durchs Herz fuhr, stürzte Beatrice vor, fing seine Hand auf und zog sie mit der ganzen Kraft ihrer zarten Gestalt zurück. Ihre Berührung durchschauerte Giovanni in allen Fibern.

»Faßt ihn nicht an!« rief sie, und Todesangst war in ihrer Stimme. »Um Euer Leben nicht! Er bringt den Tod!«

Dann barg sie ihr Gesicht, floh von ihm und verschwand unter der geschnitzten Tür. Als Giovanni ihr mit den Augen folgte, erblickte er die abgezehrte Gestalt und das bleiche Gesicht Doktor Rappacinis, der, vielleicht lange schon, die Szene vom Schatten des Portals aus beobachtet hatte.

Kaum war Guasconti allein in seinem Zimmer, als Beatrices Bild in seine erregten Gedanken zurückkehrte, von allen Zauberkünsten umsponnen, die es umkleidet hatten, seit er sie zum erstenmal erblickte; doch jetzt war es auch noch von der sanften Wärme mädchenhaften Frauentums durchstrahlt. Sie war ein Mensch. Alle zarten und weiblichen Eigenschaften waren ihr eigen, wie sehr war sie verehrungswürdig! Sie, ganz gewiß, war aller Größe und Heldenkraft der Liebe fähig. Die Anzeichen, die er bisher als Beweise einer furchtbaren Eigenart ihrer körperlichen und seelischen Verfassung betrachtet hatte, waren entweder vergessen, oder von der schlauen Sophisterei der Leidenschaft zu einer goldenen Krone der Zauberhaftigkeit gewandelt, die Beatrice nur bewundernswerter machte, weil sie so noch einzigartiger ward. Was häßlich erschienen war, jetzt war es schön; oder, wenn es solcher Wandlung nicht fähig war, stahl es sich fort und verbarg sich unter jenen gestaltlosen Traumvorstellungen, die die trübe Sphäre über dem hellen Licht unseres klaren Bewußtseins erfüllen. So verbrachte Giovanni die Nacht, und er schlief nicht ein, bevor die Dämmerung die schlummernden Blumen in Doktor Rappacinis Garten zu wecken begann, in den ihn seine Träume sicherlich führten. Die Sonne stand auf, als ihre Zeit gekommen war, warf ihre Strahlen über die Lider des jungen Mannes und weckte ihn zu einem Schmerzempfinden. Als er völlig erwacht war, verspürte er einen brennenden und stechenden Schmerz in der Hand – in der rechten Hand –, derselben Hand, die Beatrice mit der ihren gefaßt hatte, als er im Begriff stand, eine der Rubinblüten zu pflücken. Auf dem Handrücken war ein purpurroter Abdruck, wie von vier kleinen Fingern, und am Gelenk das Bild eines zarten Daumens.

Wie hartnäckig hält die Liebe – oder auch das listige Trugbild der Liebe, das in der Einbildung blüht und keine Wurzel tief im Herzen schlägt –, wie hartnäckig hält sie an ihrem Glauben fest, bis der Augenblick kommt, wo sie in leeren Rauch vergehen muß! Giovanni wand sich ein Tuch um die Hand und fragte sich verwundert, was ihn so bösartig gestochen habe. Doch bald vergaß er den Schmerz und träumte von Beatrice.

Nach dem ersten Zusammentreffen war ein zweites im Laufe dessen, was wir Schicksal nennen, unvermeidlich. Ein drittes auch; und ein viertes. Eine Begegnung mit Beatrice im Garten war nicht länger ein Ereignis in Giovannis täglichem Leben, sondern in ihr war sein ganzes Leben eingeschlossen. Denn die Vorfreude und das Gedenken dieser verzückten Stunde füllten alle übrige Zeit aus. Auch Rappacinis Tochter erging es nicht anders. Sie wartete auf das Erscheinen des Jünglings und flog ihm entgegen, so vertraut und rückhaltlos, als seien sie seit früher Kindheit Spielgefährten – als seien sie es heute noch. Wenn er, durch irgendeinen ungewöhnlichen Zufall, nicht im vereinbarten Augenblick erschien, stand sie unter seinem Fenster und sandte ihre süße, klingende Stimme hinauf, die ihn in seinem Zimmer umflutete und ihm im Herzen klang und widerhallte – »Giovanni! Giovanni! Warum zauderst du? Komm herunter!« – und er eilte hinab in das Paradies der bösen Blumen.

Doch bei all dieser innigen Vertrautheit lag in Beatrices Benehmen eine Zurückhaltung, die sie so streng und unwandelbar aufrecht erhielt, daß ihm kaum jemals der Gedanke kam, sie zu durchbrechen. Alle Anzeichen sprachen dafür, daß sie einander liebten. Sie hatten Liebe geblickt, aus Augen, die das heilige Geheimnis aus der Tiefe einer Seele in die Tiefe der andern leiten, als sei es zu weihevoll für Worte. Sie hatten aber auch Liebe geredet, in jenen leidenschaftlichen Ergüssen, wo der Geist sich Bahn bricht und den Atem zu Worten formt, so wie eine lang verdeckte Flamme plötzlich hervorzüngelt. Und doch hatten die Lippen es nicht besiegelt; da war kein Händedruck, nicht die leiseste Zärtlichkeit, wie die Liebe sie fordert und heiligt. Nie hatte er eine der schimmernden Locken ihres Haares berührt; kein Luftzug hatte ihn ihr wehendes Gewand berühren lassen – so deutlich bestand die körperliche Trennung zwischen ihnen. Bei den wenigen Gelegenheiten, wo Giovanni versucht schien, die Grenze zu überschreiten, wurde Beatrice so traurig-ernst und sah so trostlos allein aus, selber schaudernd vor der Trennung, daß es keines Wortes bedurfte, ihn zurückzuhalten. Zu solchen Zeiten erschrak er vor dem furchtbaren Verdacht, der wie ein Ungeheuer aus der Höhle seines Herzens kroch und ihm entgegenstarrte. Schwach und matt wurde seine Liebe wie der Morgennebel. Nur seine Zweifel waren noch voll Leben. Aber wenn Beatrices Züge sich wieder erhellten nach der vorübergehenden Umwölkung, verwandelte sich sofort wieder das geheimnisvolle, vieldeutige Wesen, das er mit soviel Furcht und Entsetzen beobachtet hatte; sie war wieder das schöne, schlichte Mädchen, und er fühlte, sie so sicher zu kennen, daß kein anderes Wesen Raum gewinnen konnte.

Viel Zeit war inzwischen seit Giovannis letztem Zusammentreffen mit Baglioni verflossen. Eines Morgens jedoch wurde er unangenehm durch einen Besuch des Professors überrascht, an den er wochenlang kaum gedacht hatte und den er gerne noch länger vergessen hätte. Einer alles beherrschenden Erregtheit ganz hingegeben, konnte er keine Gesellschaft vertragen, es sei denn, daß sie völlig mit seinem augenblicklichen Gefühlszustand übereinstimmte. Eine solche Übereinstimmung war von Professor Baglioni nicht zu erwarten.

Der Besucher plauderte eine Zeitlang oberflächlich von den Neuigkeiten in Stadt und Universität und nahm dann ein neues Thema auf.

»Ich habe kürzlich einen alten klassischen Schriftsteller gelesen,« sagte er, »und eine Geschichte gefunden, die mich merkwürdig fesselte. Vielleicht kennt Ihr sie. Sie handelt von einem indischen Fürsten, der Alexander dem Großen eine schöne Frau als Geschenk sandte. Sie war lieblich wie die Morgenröte und leuchtend wie die untergehende Sonne. Was sie aber besonders auszeichnete, war ein gewisser reicher Duft ihres Atems – reicher als ein Rosengarten Persiens. Wie natürlich bei einem jugendlichen Eroberer, verliebte sich Alexander auf den ersten Blick in die herrliche fremde Frau. Aber ein weiser Arzt, der zufällig anwesend war, entdeckte ein furchtbares Geheimnis, das sie betraf.«

»Und welches war dies?« fragte Giovanni und schlug die Augen nieder, um des Professors Blick zu vermeiden.

»Daß diese liebliche Frau,« fuhr Baglioni mit Nachdruck fort, »seit ihrer Geburt mit Giften ernährt worden, bis sie so sehr davon durchtränkt war, daß sie selber zum tödlichsten aller Gifte geworden. Gift war ihr Lebenselement. Mit jenem köstlichen Duft ihres Atems verpestete sie die Luft. Ihre Liebe wäre Gift gewesen! – ihre Umarmung der Tod! – Ist das nicht eine wunderbare Erzählung?«

»Eine kindische Geschichte«, antwortete Giovanni und fuhr unruhig von seinem Stuhl empor. »Mich wundert nur, wie Ihr, verehrter Professor, bei Euren ernsten Studien Zeit findet, solchen Unsinn zu lesen.«

»Nebenbei bemerkt,« sagte der Professor und sah sich beunruhigt um, »was ist das für ein sonderbarer Geruch in Eurem Zimmer? Kommt er von Euren Handschuhen? Er ist nur schwach, aber köstlich und trotzdem durchaus nicht angenehm. Wenn ich ihn lange atmen müßte – ich glaube, er würde mich krank machen. Es ist wie der Duft einer Blume, aber ich sehe keine Blume im Zimmer.«

»Es sind auch keine da,« erwiderte Giovanni, der bei den Worten des Professors erbleicht war, »ich glaube auch nicht, daß irgendein Duft da ist; Ihr bildet ihn Euch wohl nur ein. Gerüche, die sich ja aus sinnlichen und geistigen Elementen zusammensetzen, täuschen uns leicht in solcher Weise. Die Erinnerung an einen Duft, die bloße Vorstellung davon, kann leicht für bestehende Wirklichkeit gehalten werden.«

»Ach – aber meine nüchterne Phantasie spielt mir nicht oft solche Streiche,« sagte Baglioni, »und sollte ich mir einen Duft einbilden, so wäre es wohl irgendein häßlicher Arzneigeruch, der leicht an meinen Fingern haften könnte. Unser verehrter Freund Rappacini, wie ich gehört habe, mischt seinen Medikamenten Düfte bei, die die Wohlgerüche Arabiens noch übertreffen. So würde auch zweifellos die schöne und gelehrte Signora Beatrice ihren Patienten Tränklein einflößen, so süß wie der Atem einer Jungfrau. Aber wehe denen, die sie schlürfen!«

Auf Giovannis Antlitz malten sich viele widerstreitende Gefühle. Der Ton, in dem der Professor auf die reine, liebliche Tochter Rappacinis anspielte, war seiner Seele qualvoll. Und doch gab schon die Andeutung einer Ansicht von ihr, die der seinen widersprach, sofort tausend unklaren Verdachtsmomenten feste Gestalt, und sie grinsten ihn nun an wie lauter Teufel. Doch er mühte sich sehr, sie zu unterdrücken und Baglioni mit dem festen Glauben eines wahrhaft Liebenden zu antworten.

»Herr Professor,« sagte er, »Ihr wart meines Vaters Freund – vielleicht ist es auch Eure Absicht, freundschaftlich an seinem Sohn zu handeln. Gerne möchte ich für Euch nur Achtung und Ehrfurcht empfinden. Doch ich bitte Euch, zu beachten, daß es einen Gegenstand gibt, über den wir nicht reden dürfen. Ihr kennt Signora Beatrice nicht. Ihr könnt daher das Unrecht nicht ermessen – die Lästerung könnte ich fast sagen – die ihr durch das leiseste beleidigende Wort widerfährt.«

»Giovanni! mein armer Giovanni!« antwortete der Professor mit ruhigem Mitleid. »Ich kenne das unglückliche Mädchen viel besser als Ihr. Ihr sollt die Wahrheit hören über den Giftmischer Rappacini und seine giftige Tochter. Ja, so giftig wie sie schön ist! Hört zu! Denn ich will nicht schweigen, selbst wenn Ihr meinen grauen Haaren Gewalt antun möchtet. Jene alte Fabel der indischen Frau ist zur Wahrheit geworden durch die tiefe und tödliche Weisheit Rappacinis, und zwar in der Gestalt der lieblichen Beatrice.«

Giovanni stöhnte und schlug die Hände vors Gesicht.

»Ihr Vater,« fuhr Baglioni fort, »wurde nicht durch die natürliche Zuneigung daran gehindert, sein Kind auf diese furchtbare Weise seiner wahnsinnigen Leidenschaft für die Wissenschaft zum Opfer bringen. Denn – um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – er ist ein so begeisterter Gelehrter, wie nur je einer das eigene Herz in einem Versuchskolben destillierte. Was wird also Euer Schicksal sein? Ganz ohne Zweifel seid Ihr zum Gegenstand irgendeines neuen Experimentes ausersehen. Vielleicht ist Tod das Ergebnis, vielleicht ein noch schlimmeres Geschick! Wenn Rappacini das vor Augen hat, was er sein wissenschaftliches Interesse nennt, dann schreckt er vor nichts zurück.«

»Es ist ein Traum,« murmelte Giovanni bei sich, »gewiß es ist nur ein Traum.«

»Aber,« nahm der Professor wieder auf, »seid guten Mutes, Sohn meines Freundes! Die Rettung kommt noch nicht zu spät. Möglich sogar, daß es uns gelingt, dieses arme Kind in die Grenzen der allgemeinen Natur zurückzubringen, der ihr Vater sie in seinem Wahn entfremdet hat. Seht dieses kleine silberne Fläschchen! Es ist eine Arbeit aus des berühmten Benvenuto Cellini Händen und ist wohl wert, der schönsten Dame in Italien als Liebesgabe gereicht zu werden. Sein Inhalt aber ist ganz unschätzbar. Ein kleiner Tropfen dieses Gegengiftes hätte selbst das furchtbarste Gift der Borgia unschädlich gemacht. Zweifelt nicht, daß es gegen die Rappacinis ebenso wirksam sein wird. Schenkt das Fläschchen und die kostbare Flüssigkeit darin Eurer Beatrice und wartet voll Hoffnung auf das Ergebnis.«

Baglioni legte eine kleine, köstlich gearbeitete Phiole auf den Tisch, verabschiedete sich und überließ den jungen Mann der Wirkung seiner Worte.

Wir werden Rappacini doch noch kriegen, dachte er und kicherte heimlich, als er die Treppe hinabstieg. ›Aber die Wahrheit muß zugegeben werden, er ist ein wundervoller Mann! Aber – ein gefährlicher Pfuscher in seiner Praxis, und daher darf er nicht geduldet werden von Leuten, die noch Achtung haben vor den guten alten Regeln des Heilberufes!‹

Während seiner ganzen Bekanntschaft mit Beatrice, war Giovanni manchmal, wie schon berichtet ward, von Zweifeln an ihrem Charakter verfolgt worden. Allein, es war ihr gelungen, von ihm so vollkommen als einfaches, natürliches, liebevolles und harmloses Geschöpf empfunden zu werden, daß das Bild, das Professor Baglioni jetzt von ihr entwarf, so fremd und unglaubhaft aussah, als ob es gar nicht mit seiner eigenen ursprünglichen Auffassung übereinstimme. Freilich, es gab häßliche Erinnerungen, die sich an die ersten flüchtigen Begegnungen mit dem schönen Mädchen knüpften. Er konnte den Blumenstrauß, der welk wurde in ihrer Hand, nicht ganz vergessen, auch nicht das Insekt, das in sonniger Luft so plötzlich starb, ohne sichtbaren Grund als den Duft ihres Atems. Diese Vorfälle jedoch hatten sich aufgelöst im reinen Licht ihrer Persönlichkeit, wirkten nicht länger wie Tatsachen, sondern wurden als falsch gedeutete Wahnvorstellungen angesehen, wollte sie auch das Zeugnis der Sinne noch so sehr als Wirklichkeit erscheinen lassen. Es gibt etwas, das wahrer ist und wirklicher als das, was wir mit den Augen sehen oder mit den Fingern betasten können. Auf solche besseren Beweise hatte Giovanni sein Vertrauen in Beatrice gegründet, mehr allerdings, weil ihn ihre schönen Eigenschaften notwendig dazu führten, als aus tiefem, edlem Glauben, der aus ihm selber kam. Aber nun war sein Gefühl nicht mehr fähig, sich auf der Höhe zu halten, zu der die erste Begeisterung der Liebe es gesteigert hatte; es fiel herab, und kroch unter irdischen Zweifeln umher und befleckte so die lichte Reinheit ihres Bildes. Nicht, daß er sich von ihr losgesagt hätte; er hegte nur Mißtrauen. Er beschloß, einen untrüglichen Beweis zu erbringen, der ihn für alle Zeit klar sehen lassen sollte, ob wirklich in ihrer Körperlichkeit jene furchtbaren Eigentümlichkeiten lagen, die man sich nicht ohne entsprechende Ungeheuerlichkeiten der Seele denken konnte. Aus der Ferne herabschauend konnten seine Augen ihn getäuscht haben über die Eidechse, das Insekt und die Blumen. Aber wenn er aus einer Entfernung von wenigen Schritten beobachten konnte, wie eine frische und gesunde Blüte in ihrer Hand plötzlich erstarb, dann war kein längerer Zweifel möglich. In dieser Absicht eilte er zum Gärtner und erstand einen Strauß, auf dem noch die Perlen des Frühtaus blitzten.

Es war um die gewohnte Stunde des täglichen Zusammentreffens mit Beatrice. Bevor er in den Garten hinabstieg, unterließ es Giovanni nicht, sich im Spiegel zu besehen – eine Eitelkeit, die man von einem schönen Jüngling erwarten darf; aber daß sie sich in diesem bedrängten und aufgeregten Augenblick zeigte, sprach von einer gewissen Oberflächlichkeit des Gefühls und mangelnder Charaktertiefe. Er beschaute sich und sagte sich selber, daß seine Züge nie vorher so voll Anmut gewesen, seine Augen nie so lebhaft und seine Wangen so von warmer Röte überschäumenden Lebens.

»Wenigstens,« dachte er, »hat sich ihr Gift meinem Körper noch nicht mitgeteilt. Ich bin keine Blume, die welk wird in ihrer Hand.«

Bei diesem Gedanken fiel sein Auge auf den Strauß, den er noch nicht aus der Hand gelegt hatte. Ein Schauder unbeschreiblichen Entsetzens durchlief ihn, als er bemerkte, wie die frischen Blumen schon matt zu werden begannen; sie sahen aus wie etwas, das gestern frisch und lieblich gewesen war. Giovanni wurde marmorbleich, stand regungslos vor dem Spiegel und starrte sich selber darin an wie ein furchtbares Bild. Er dachte an Baglionis Bemerkung über den Duft, der das Zimmer zu erfüllen schien. Das mußte das Gift seines Atems gewesen sein! Dann schauderte ihn – es schauderte ihn vor sich selber! Aus seiner Erstarrung erwacht, begann er neugierig eine Spinne zu beobachten, die fleißig dabei war, ihr Netz zu spinnen im alten Gesims des Zimmers. Hin und wieder lief sie im kunstvollen System verwobener Fäden – eine so kräftige und lebhafte Spinne, wie sie nur je von einer alten Decke herabhing. Giovanni neigte sich zu dem Insekt hin und hauchte es tief und lange an. Plötzlich hielt die Spinne in ihrer Arbeit ein. Das Netz durchlief ein Zittern, das vom Körper der kleinen Künstlerin ausging. Wieder atmete Giovanni, noch tiefer und noch länger, und ein böses Gefühl aus seinem Herzen lag in seinem Atem. Er wußte aber nicht, ob er schlecht war, oder nur verzweifelt. Die Spinne zuckte krampfhaft mit den Beinen, dann hing sie tot über dem Fenster.

»Verfluchter!« redete Giovanni sich selber an, »bist du so giftig geworden, daß selbst dieses giftige Insekt von deinem Atem stirbt?«

In diesem Augenblick klang eine volle, süße Stimme aus dem Garten herauf:

»Giovanni! Giovanni! Die Stunde ist schon überschritten. Warum zauderst du! Komm herab!«

»Ja,« murmelte Giovanni wieder – »und sie ist das einzige Wesen, das mein Atem nicht töten kann! Ich wollte, er könnte es!«

Er stürzte hinunter und stand im nächsten Augenblick den strahlenden, liebevollen Augen Beatrices gegenüber. Noch eben waren Wut und Verzweiflung so wild in ihm gewesen, daß er nichts mehr gewünscht hätte, als sie mit einem Blick zu vernichten. Aber als sie wirklich vor ihm stand, machten sich Einflüsse geltend, die sich nicht sofort abschütteln ließen, so fest und sicher standen sie: Erinnerungen an die zarte und gütige Macht ihrer Weiblichkeit, die ihn so oft in fromme Ruhe eingehüllt hatte. Erinnerungen an so manche heiligen und begeisterten Ergüsse ihres Herzens, wenn der reine Quell aus den Tiefen entsiegelt war und sich in kristallener Klarheit vor ihm zeigte, Erinnerungen, die – hätte Giovanni sie zu schätzen gewußt – ihm Versicherung gegeben hätten, daß all dies häßliche Geheimnis nur eine irdische Täuschung war, und daß, trotz aller schlimmen Nebel, die sich um sie zu ballen schienen, die wirkliche Beatrice ein Engel vom Himmel war. Wenn er auch so hoher Gläubigkeit nicht fähig war, so hatte doch ihre Gegenwart noch nicht völlig ihren Zauber verloren. Giovannis Wut dämpfte sich zu scheinbarer Empfindungslosigkeit. Beatrice fühlte mit wachen Sinnen sofort, daß ein schwarzer Abgrund zwischen ihnen gähnte, den keines überschreiten konnte. Traurig und schweigend gingen sie zusammen weiter und kamen zu dem Marmorbrunnen und dem Teich darunter, in dessen Mitte der Strauch mit den Rubinblüten wuchs. Giovanni erschrak über die helle Freude, den Hunger fast, mit dem er den Duft der Blumen einsog.

»Beatrice,« fragte er unvermittelt, »woher kommt dieser Strauch?«

»Mein Vater hat ihn geschaffen,« antwortete sie schlicht.

»Geschaffen! geschaffen!« wiederholte Giovanni. »Was meinst du damit, Beatrice?«

»Er ist sehr vertraut mit den Geheimnissen der Natur,« erwiderte Beatrice, »und zur gleichen Stunde, als ich den ersten Atemzug tat, keimte diese Pflanze aus dem Boden, das Kind seiner Wissenschaft, seines Geistes, während ich nur seine leibliche Tochter war. Komm ihm nicht zu nahe!« fuhr sie fort, als sie voll Schrecken beobachtete, daß Giovanni sich dem Strauche näherte. »Er hat Eigenschaften, von denen du wenig ahnst. Aber ich, liebster Giovanni, ich wuchs auf und erblühte mit dieser Pflanze und ward von ihrem Atem genährt. Sie war meine Schwester, und ich liebte sie, wie man einen Menschen liebt; denn – ach! Hast du es nicht geahnt? Ein furchtbares Geschick lag über mir.«

Hier blickte Giovanni sie so finster an, daß Beatrice stockte und zu zittern begann. Aber ihr Glaube an seine Liebe beruhigte sie wieder und ließ sie erröten, daß sie einen Augenblick lang gezweifelt hatte.

»Ein furchtbares Geschick,« fuhr sie fort, »die Auswirkung der verhängnisvollen Liebe meines Vaters zur Wissenschaft, das mich von jeder menschlichen Gesellschaft ausschloß. Bis der Himmel dich sandte, Liebster, wie einsam war deine arme Beatrice!«

»War das ein hartes Geschick?« fragte Giovanni und sah sie fest an.

»Erst seit kurzer Zeit weiß ich, wie schwer es war,« antwortete sie voll Zärtlichkeit. »O ja, aber mein Herz war fühllos und darum still.«

Wie ein Blitz aus dunkler Wolke durchbrach Giovannis Wut das düstere Schweigen.

»Verfluchte!« schrie er in bösem Zorn – »und weil du deine Einsamkeit bedrückend fandest, hast du auch mich von allem warmen Leben geschieden und mich in deinen Bannkreis unaussprechlicher Schrecken gelockt!«

»Giovanni!« rief Beatrice und wandte ihre großen, strahlenden Augen auf sein Gesicht. Seine gewalttätigen Worte waren noch nicht in sie eingedrungen. Sie war nur wie vom Blitz getroffen.

»Ja, du giftiges Geschöpf!« wiederholte Giovanni, außer sich vor Wut – »das hast du getan! Du hast mich vernichtet! Du hast mir Gift in die Adern gegossen! Du hast ein so hassenswertes, häßliches, verabscheuungswürdiges und giftiges Geschöpf aus mir gemacht, wie du es selber bist – ein Weltwunder scheußlicher Ungeheuerlichkeit! Und nun, wenn unser Atem, wie ich wünsche, uns selber so verderblich ist wie allen andern, dann sollen unsere Lippen in einem Kuß unsagbaren Hasses sich vereinen – und so laß uns sterben!«

»Was ist über dich gekommen?« murmelte Beatrice, und leises Stöhnen kam aus ihrer Brust. »Heilige Jungfrau, hab' Mitleid mit mir; mir armem Kinde ist das Herz gebrochen!«

»Du! Du willst beten?« rief Giovanni, noch immer mit dem gleichen teuflischen Hohn. »Selbst deine Gebete erfüllen die Luft mit Tod, wenn sie von deinen Lippen kommen. Ja, ja! Laß uns beten! Laß uns zur Kirche gehen und unsere Finger in das geweihte Wasser bei der Tür eintauchen! Die nach uns kommen, werden sterben wie an einer Pestilenz. Laß uns das Kreuzeszeichen schlagen in der Luft! Flüche wird es ausstreuen in der Verkleidung heiliger Symbole!«

»Giovanni,« sagte Beatrice ruhig, denn ihr Leid war zu tief für wilde Äußerung, »warum gesellst du dich zu mir in diesen furchtbaren Worten? Ich, das ist wahr, ich bin so furchtbar wie du mich schiltst. Aber du! – was brauchst du anderes zu tun, als noch einmal zu erschauern vor meinem scheußlichen Elend und dann aus dem Garten zu gehen, dich unter deinesgleichen zu mischen und zu vergessen, daß je so etwas Ungeheuerliches wie die arme Beatrice auf Erden war?«

»Stellst du dich, als wüßtest du es nicht?« fragte Giovanni und blickte sie drohend an. »Sieh her! Diese Macht habe ich von Rappacinis reiner Tochter erworben!«

Ein Schwärm sommerlicher Insekten schwirrte durch die Luft und suchte die Nahrung, die die Blütendüfte des verhängnisvollen Gartens versprachen. Sie umkreisten Giovannis Haupt und wurden augenscheinlich aus dem gleichen Grunde von ihm angezogen, der sie, für Augenblicke, in die Nähe mehrerer Sträucher gelockt hatte. Er schickte seinen Atem unter sie und lächelte Beatrice bitter an, als wenigstens zwanzig von ihnen tot zu Boden fielen.

»Ich sehe es! Ich sehe es!« schrie Beatrice auf. »Ist das meines Vaters verhängnisvolle Wissenschaft? Nein, nein, Giovanni, ich war es nicht! Niemals! Ich träumte nur davon, dich zu lieben, eine kurze Zeitlang bei dir zu sein und dich dann ziehen zu lassen; nur dein Bild sollte bleiben in meinem Herzen. Denn, glaube mir, Giovanni, wenn auch mein Körper mit Giften genährt ist, mein Geist ist Gottes Geschöpf und verlangt nach Liebe als sein täglich Brot. Aber mein Vater! Er hat uns in dieser furchtbaren Übereinstimmung vereint. Ja, schmähe mich! Tritt mich mit Füßen! Töte mich! Was ist der Tod nach solchen Worten, wie du sie sprachst? Aber ich war es nicht! Nicht um alles Heil der Welt hätte ich es getan!«

Giovannis Leidenschaft hatte sich in dem Ausbruch erschöpft. Jetzt überkam ihn, traurig und nicht ohne Zärtlichkeit, das Bewußtsein der innigen und sonderbaren Verwandtschaft zwischen Beatrice und ihm. Sie standen gewissermaßen völlig verlassen im dichtesten Gewühl des Menschenlebens. Sollte die menschenleere Wüste um sie diese beiden Einsamen nicht enger aneinander schließen? Waren sie einander grausam, wer sollte dann gut zu ihnen sein? Außerdem – so dachte Giovanni – könnte es nicht eine Hoffnung geben, daß er in die Grenzen der Natur zurückkehrte, mit Beatrice, der befreiten Beatrice, an seiner Hand?

»Liebe Beatrice,« sagte er und trat auf sie zu, während sie zurückwich, wie sie immer getan, doch diesmal aus anderem Grunde; – »liebste Beatrice, unser Geschick ist noch nicht hoffnungslos. Sieh! Hier ist ein Heiltrank, mächtig, wie ein weiser Arzt mir versichert hat, und fast übernatürlich in seiner Wirkung. Er ist aus Dingen zusammengesetzt, die das Gegenteil sind von dem, wodurch dein furchtbarer Vater dieses Unheil über dich und mich heraufbeschworen hat. Er ist aus heiligen Kräutern gemischt. Wollen wir ihn nicht zusammen trinken und uns so vom Bösen reinigen?«

»Gib es mir!« sagte Beatrice und streckte die Hand aus nach dem kleinen silbernen Fläschchen, das Giovanni hervorzog. Mit eigener Betonung fügte sie hinzu: »Ich will trinken – aber warte du die Wirkung ab.«

Sie setzte Baglionis Gegengift an die Lippen. Im selben Augenblick trat Rappacini aus dem Tor und kam langsam auf den Marmorbrunnen zu. Als er sich näherte, schien der bleiche Mann der Wissenschaft mit triumphierendem Ausdruck auf die schönen Menschenkinder zu blicken, wie ein Künstler etwa, der sein Leben an die Vollendung eines Bildes oder einer Marmorgruppe setzt und mit dem Erfolg zufrieden ist. Er blieb stehen – machtbewußt richtete seine gebeugte Gestalt sich auf; er streckte seine Hand über sie, wie ein Vater, der den Segen des Himmels für seine Kinder erfleht. Aber es war dieselbe Hand, die Gift in ihre Lebensadern geträufelt hatte! Giovanni bebte. Beatrice zitterte erregt und preßte die Hand aufs Herz.

»Meine Tochter,« sagte Rappacini, »du stehst nicht länger allein in der Welt! Pflücke eine dieser köstlichen Knospen von dem schwesterlichen Strauche, und laß deinen Bräutigam sie am Herzen tragen. Sie wird ihm nicht mehr schaden! Meine Wissenschaft und eure Liebe haben so in ihm gewirkt, daß er jetzt abseits steht von andern Männern, wie du von andern Frauen. So geht denn weiter durch die Welt, einander herzlich lieb und allen andern schreckenvoll!«

»Mein Vater,« sagte Beatrice mit schwacher Stimme, und noch immer hielt sie die Hand aufs Herz gepreßt, »warum hast du dieses furchtbare Schicksal über dein Kind verhängt?«

»Unglückliche!« rief Rappacini: »Was denkst du, törichtes Mädchen? Hältst du es für Unglück, mit wunderbaren Gaben ausgestattet zu sein, denen keine feindliche Gewalt und Stärke gewachsen ist? Für Unglück, den Mächtigsten mit einem Atemzug vernichten zu können? Für Unglück, so furchtbar zu sein wie du schön bist? Wolltest du lieber das Geschick eines schwachen Weibes tragen, das allem Bösen preisgegeben ist und selber keine schlimme Macht besitzt?«

»Ich wäre gern geliebt und nicht gefürchtet worden,« murmelte Beatrice und sank zu Boden. »Doch jetzt bedeutet es nichts mehr; ich gehe dahin, Vater, wo das Böse, das du mir eng verbinden wolltest, wie ein Traum entschwindet – wie der Duft dieser giftigen Blumen, die meinen Atem nicht mehr beflecken werden unter den Blumen des Paradieses. Leb' wohl, Giovanni, deine haßerfüllten Worte sind so schwer in meinem Herzen – doch auch sie werden abfallen, wenn ich aufschwebe. War nicht vom ersten Augenblick an mehr Gift in dir als in mir selber?«

Für Beatrice – so gänzlich war ihr sterblicher Teil von Rappacinis Kunst durchsetzt – bedeutete das mächtige Gegengift den Tod, da das Gift ihr Leben bedeutet hatte. Und so starb hier zu Füßen ihres Vaters und Giovannis das arme Opfer menschlichen Scharfsinns und betrogener Natur und des Fluches, der stets solche Auswirkungen mißleiteter Wissenschaft bedroht. Und im selben Augenblick sah Professor Pietro Baglioni aus dem Fenster herab und rief laut mit triumphierender Stimme dem ganz gebrochenen Mann der Wissenschaft zu:

»Rappacini! Rappacini! Das also ist das Ergebnis Eures Versuches?«


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