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Der Maskenball

Bei einem der Feste im Ständehaus während des letzten Teils der Belagerung von Boston ereignete sich ein Vorfall, bis heute noch nicht hinlänglich aufgeklärt. Die Offiziere der englischen Armee und der königstreue Adel der Provinz, der sich zum größten Teil in der belagerten Stadt gesammelt hatte, waren zu einem Maskenball geladen. Es gehörte zur Politik Sir William Howes, die Not und Gefahr der Zeit und das trostlose Bild der Belagerung hinter festlichem Gepränge zu verstecken. Das Schauspiel dieses Abends war die heiterste und ausgelassenste Sache, die in den Annalen der Statthalterschaft zu verzeichnen ist, wenn man den ältesten Mitgliedern der provinzialen Hofkreise glauben darf. In den glänzend erleuchteten Räumen drängten sich Gestalten, die aus der dunklen Leinwand historischer Gemälde herausgetreten oder aus den zaubervollen Seiten der Romanze hervorgehuscht schienen, oder zum mindesten aus einem der Londoner Theater hierhergeweht, ohne das Kostüm gewechselt zu haben. Unter stahlklirrende Ritter aus der Zeit der Eroberung, bärtige Staatsmänner der Königin Elisabeth und ihre Hofdamen in hohen Halskrausen mischten sich Gestalten der Komödie: der buntscheckige Hanswurst mit Schellen an Kleid und Kappe, ein Falstaff, der fast ebensosehr zum Lachen reizte wie sein Vorbild, und ein Don Quichote mit einer Bohnenstange als Lanze und einem Topfdeckel als Schild. Aber die größte Heiterkeit erregte eine Gruppe von Leuten, die lächerlich in alten Uniformstücken steckten, die auf einem militärischen Lumpenmarkt aufgekauft oder aus einem Sammelkasten abgelegter Kleider der französischen und englischen Armee gestibitzt schienen. Teile ihres Anzuges waren wahrscheinlich bei der Belagerung von Louisbury getragen worden, und die Röcke neuesten Schnittes konnten wohl schon zur Zeit der Siege General Wolfes von Kugel, Schwert und Bajonett zerrissen und zersetzt worden sein. Einer dieser Biedermänner, – eine große, schmächtige Gestalt, die ein rostiges Schwert von ungeheurer Länge schwang – gab vor, kein Geringerer zu sein als General George Washington. Und die anderen berühmten Führer der amerikanischen Armee, wie Gates, Lee, Putnam, Schuyler, Ward und Heath, wurden von ähnlichen Vogelscheuchen verkörpert. Eine Unterredung im satyrisch-heroischen Stil zwischen den aufständischen Kriegern und dem britischen Oberbefehlshaber wurde mit ungeheurem Beifall aufgenommen, der am allerlautesten von den Königstreuen der Kolonie gespendet wurde. Einer der Gäste jedoch stand abseits und blickte streng und verächtlich auf diese Possenreißer, und ein bitteres Lächeln stand auf seinem zornigen Gesicht.

Es war ein alter Mann, der früher eine hohe Stellung und großen Ruf in der Provinz genossen hatte, und der zu seiner Zeit ein berühmter Kriegsmann gewesen war. Man hatte sich erstaunt gezeigt, daß ein Mann wie Oberst Joliffe, der so ausgesprochen zu den Whigs gehörte, während der Belagerung in Boston geblieben war – wenn er auch jetzt zu alt war, um sich selber am Kampfe zu beteiligen – besonders aber, daß er eingewilligt hatte, sich im Hause Sir William Howes zu zeigen. Aber er war gekommen mit einer schönen Enkeltochter am Arm; und da stand nun seine strenge, alte Gestalt in all der heiteren Ausgelassenheit, die originalste Figur im Mummenschanz, weil er so getreu den alten Geist des Vaterlandes verkörperte. Die übrigen Gäste versicherten, daß Oberst Joliffes finsteren puritanischen Blicke einen Schatten rings um sich verbreiteten. Trotz seines düsteren Einflusses flammte ihre Fröhlichkeit immer höher wie – ein verhängnisvoller Vergleich – die flackernde Helle einer Lampe, die nur noch kurze Zeit zu brennen hat. Eine gute halbe Stunde war vergangen, seit die Uhr auf Old South elf Schläge getan hatte, da ging ein Gerücht in der Gesellschaft um, daß ein neues Schauspiel oder Possenspiel vorgeführt werden sollte, das dem glänzenden Fest des Abends einen würdigen Abschluß geben sollte.

»Welchen neuen Scherz hat Eure Exzellenz nun vor?« fragte Ehrwürden Mather Byles, dessen presbyterianischen Vorurteile ihn nicht von dem Feste ferngehalten hatten. »Sie können mir glauben, ich habe schon mehr gelacht, als sich für mein Priestergewand schickt, über Ihre homerische Unterhaltung mit jenem zerlumpten General der Aufständischen. Noch ein solcher Heiterkeitsanfall, und ich muß meinen Priesterkragen und die geistliche Perücke in eine Ecke werfen.«

»Nun, guter Doktor Byles,« antwortete Sir William Howe, »wenn Heiterkeit ein Verbrechen wäre, dann wären Sie niemals Doktor der Theologie geworden. Was diese neue Posse angeht, so weiß ich nicht mehr davon als Sie, vielleicht noch weniger. Nun einmal ehrlich, Doktor, haben Sie nicht den nüchternen Verstand einiger Ihrer Landsleute dazu reizen können, eine Szene in unserm Maskenspiel aufzuführen?« – »Vielleicht,« bemerkte die Enkelin des Oberst Joliffe, deren Stolz durch manchen Stich auf Neuengland verletzt wurde, spitz, »vielleicht sollen wir ein Spiel allegorischer Figuren sehen: der Sieg mit den Trophäen von Lexington oder Bunker Hill; der Reichtum mit dem überfließenden Füllhorn, um den augenblicklichen Überfluß in dieser guten Stadt darzustellen; und der Ruhm mit einem Kranz für die Stirn seiner Exzellenz.«

Sir William Howe lächelte zu Worten, die er mit den drohendsten Blicken beantwortet hätte, wären sie von bärtigen Lippen gefallen. Eine merkwürdige Unterbrechung ersparte ihm eine Entgegnung. Vor dem Hause hörte man Musik, als stände eine vollzählige Militärkapelle auf der Straße; doch sie spielten keine festliche Weise, wie sie zu der Gelegenheit paßte, sondern einen getragenen Trauermarsch. Die Trommeln schienen gedämpft, und die Trompeten riefen klagende Töne. Sofort verstummte die Lustigkeit der Zuhörer; alle waren erstaunt, einige voll banger Ahnung. Vielen kam es so vor, als ob entweder der Leichenzug einer hohen Persönlichkeit vor dem Hause des Statthalters haltgemacht hätte, oder als ob ein Toter in sammetgedecktem, reich geschmücktem Sarge aus dem Tore getragen wurde. Sir William Howe lauschte eine Weile, dann rief er mit strenger Stimme nach dem Kapellmeister der Musiker, die bisher das Fest mit fröhlichen und leichten Melodien belebt hatten. Es war der Tambourmajor eines britischen Regiments.

»Dighton,« fragte der General, »was bedeutet diese Tollheit? Heißt Eure Kapelle diesen Totenmarsch abbrechen – oder, bei meinem Wort, sie sollen genügend Grund bekommen für ihre kläglichen Töne. Bringt sie zum Schweigen, Mensch!«

»Erlaubt, Euer Gnaden,« antwortete der Tambourmajor, aus dessen rotem Gesicht alle Farbe gewichen war, »ich bin nicht schuld. Ich und meine Kapelle, wir sind alle vollzählig hier; und ich bezweifle, ob einer von uns diesen Marsch ohne Noten spielen könnte. Ich habe ihn nur einmal gehört, und das war bei der Bestattung seiner verstorbenen Majestät, König Georgs des Zweiten.«

»Gut, gut,« sagte Sir William Howe und faßte sich wieder, »es ist das Vorspiel zu irgendeiner Maskenposse. Es ist gut.«

Jetzt zeigte sich eine neue Gestalt, aber unter den vielen phantastischen Masken, die in den Zimmern verteilt waren, konnte niemand genau angeben, woher sie gekommen war. Es war ein Mann in altmodischer Kleidung aus schwarzer Halbseide, der aussah wie ein Hausmeister oder erster Bedienter im Haushalt eines Adligen oder englischen Großgrundbesitzers. Er schritt auf die Außentür des Hauses zu, schlug beide Torflügel weit zurück, stellte sich etwas zur Seite und sah nach der breiten Treppe, als warte er, daß jemand herunterkomme. Gleichzeitig erklang die Musik auf der Straße wie eine laute, leidvolle Aufforderung. Die Augen Sir William Howes und seiner Gäste waren auf die Treppe gerichtet. Dort erschienen auf dem obersten Absatz, den man von unten aus unterscheiden konnte, mehrere Personen, die zur Tür hinabschritten. Der erste war ein Mann von strengem Gesicht, mit spitzem Hut und einer Sturmhaube darunter, einem dunklen Mantel und riesigen, faltigen Stiefeln, die bis zu den Oberschenkeln reichten. Unter dem Arm trug er eine aufgerollte Fahne; es schien das englische Banner, doch seltsam zerfetzt und zerrissen; in der Rechten hielt er ein Schwert, und die Linke umklammerte die Bibel. Die nächste Gestalt sah sanfter aus, aber doch voll Würde; sie trug eine breite Halskrause, über die ein Bart herabwallte, einen Überwurf aus gewirktem Samt und Wams und Kniehosen aus schwarzer Seide. Er hatte eine Schriftrolle in der Hand. Dicht hinter diesen beiden kam ein junger Mann von sehr auffallendem Aussehen und Gebaren: tiefes Denken und Verträumtheit lagen auf seiner Stirn, und ein Strahl der Begeisterung brach aus seinen Augen. Seine Kleidung war von altem Schnitt wie die seiner Vorgänger; auf seinem Halskragen sah man einen Blutfleck. Drei oder vier andere gehörten noch mit zu dieser Gruppe, alles auffallend würdige und achtunggebietende Männer, die sich benahmen wie Leute, die den Blick der Menge gewohnt sind. Es war den Zuschauern, als wollten sich diese Gestalten dem geheimnisvollen Leichenzug anschließen, der vor der Statthalterei wartete. Doch dieser Vermutung schien der triumphierende Ausdruck zu widersprechen, mit dem sie zurückwinkten, als sie die Schwelle überschritten und durch das Tor verschwanden.

»In Teufels Namen, was ist das?« flüsterte Sir William Howe einem Herrn an seiner Seite zu, »eine Prozession der königsmörderischen Richter König Karls des Märtyrers?«

»Dies,« sagte Oberst Joliffe, der fast zum erstenmal an diesem Abend ein Wort sprach, »dies sind, wenn ich sie richtig deute, die puritanischen Führer, die Herrscher der ursprünglichen alten Demokratie von Massachusetts: Endicott mit der Fahne, aus der er das Zeichen der Unterwürfigkeit gerissen hat, und Winthrop und Sir Henry Vane, Dudley, Haynes, Bellingham und Leverett.«

»Was bedeutete der Blutfleck auf dem Kragen jenes jungen Mannes?« fragte Fräulein Joliffe.

»Weil er in späteren Jahren,« antwortete ihr Großvater, »das weiseste Haupt Englands um der Freiheit willen auf den Block legen mußte.«

»Wollen Euere Exzellenz nicht die Wache antreten lassen?« flüsterte Lord Percy, der sich jetzt mit anderen britischen Offizieren um den General geschart hatte. »Es könnte eine Verschwörung hinter diesem Mummenschanz stecken.«

»Ach was! Wir haben nichts zu fürchten,« erwiderte Sir William Howe sorglos. »Es kann kein schlimmerer Verrat dahinter stecken als ein Scherz und ein ziemlich fader. Wäre er selbst scharf und bitter, so wäre es für uns das beste, ihn aus der Welt zu lachen. Seht – da kommen noch mehr von dieser Gilde.«

Eine zweite Gruppe von Masken war jetzt die Treppe halb heruntergekommen. Der erste war ein ehrwürdiger, weißbärtiger Greis, der sich vorsichtig mit seinem Stock herabtastete. Mit eiligem Schritt kam eine große kriegerische Gestalt hinter ihm und streckte die behandschuhte Rechte aus, als wolle er den alten Mann an der Schulter packen; er war mit einem federgeschmückten Helm ausgerüstet, mit glänzendem Brustpanzer und einem langen Schwert, das gegen die Stufen rasselte. Dann sah man einen untersetzten Mann in reicher höfischer Kleidung, doch nicht von höfischem Benehmen; sein Gang war schaukelnd, wie der Schritt eines Seemannes, und als er einmal stolperte auf der Treppe, ward er plötzlich wütend und man hörte ihn einen Fluch murmeln. Ihm folgte ein vornehm aussehender Mann mit gelockter Perücke, wie auf den Bildern aus der Zeit der Königin Anna und noch früher, und ein gestickter Stern schmückte die Brust seines Kleides. Auf seinem Wege zur Tür verneigte er sich sehr zierlich und verbindlich nach rechts und links; aber als er die Schwelle überschritt, schien er, im Gegensatz zu den ersten puritanischen Führern, bekümmert die Hände zu ringen.

»Ich bitte, spielen Sie die Rolle des Chorus, guter Doktor Byles,« sagte Sir William Howe. »Was sind das für Ehrenmänner?«

»Entschuldigen Sie, Exzellenz, sie lebten etwas vor meiner Zeit,« antwortete der Doktor; »aber unser Freund, der Herr Oberst, ist zweifellos sehr vertraut mit ihnen gewesen.«

»Ihre Gesichter habe ich lebend nicht gesehen,« sagte Oberst Joliffe ernst, »obwohl ich mit vielen Herrschern dieses Landes von Angesicht zu Angesicht gesprochen habe und noch einem weiteren den Segen eines alten Mannes geben werde, bevor ich sterbe. Doch wir sprechen ja von diesen Gestalten. Ich halte den ehrwürdigen Greis für Bradstreet, den letzten Puritaner, der etwa ums Jahr neunzig Statthalter war. Der nächste ist Sir Edmund Andros, ein Tyrann, wie jeder Schuljunge Neuenglands Euch erzählen kann; und deshalb warf das Volk ihn hinab von seinem hohen Sitz in ein Gefängnis. Dann kommt Sir William Philipps, der Schafhirt war und Küfer und Kapitän und Statthalter – möge noch mancher seiner Landsleute so hoch steigen aus so niederer Herkunft! Zuletzt saht Ihr den freundlichen Grafen von Bellamont, der uns unter König Wilhelm regierte.«

»Aber was soll das alles bedeuten?« fragte Lord Percy.

»Wenn ich nun zu den Aufständigen gehörte,« sagte Fräulein Joliffe halblaut, »könnte ich mir vorstellen, daß die Geister dieser alten Statthalter heraufbeschworen seien, als Leichengefolge der königlichen Gewalt in Neuengland.«

Mehrere andere Personen tauchten nun an der Treppenbiegung auf. Der vorderste trug einen bedachten, ängstlichen und etwas verschlagenen Ausdruck im Gesicht. Trotz seines hochmütigen Auftretens, das offenbar von Ehrgeiz und langer Gewöhnung an hohe Ämter herrührte, sah er doch so aus, als ob er vor Höherstehenden zu kriechen verstünde. Ein paar Schritte hinter ihm kam ein Offizier in roter gestickter Uniform, nach einem Schnitt, der alt genug war, daß Marlborough ihn hätte getragen haben können. Seine Nase hatte einen rötlichen Schimmer, der in Verbindung mit den zwinkernden Äuglein ihn als einen Freund des Bechers und guter Gesellschaft kennzeichnen konnte; trotz dieser Anzeichen schien er sich unbehaglich zu fühlen und sah sich oft um, als sei er auf irgendein Unheil gefaßt. Dann kam ein stattlicher Herr, der einen Rock aus langhaarigem Tuch mit Seidensamt besetzt trug; Klugheit, Verschlagenheit und Humor lagen in seinem Gesicht, und er trug einen Folianten unterm Arm, aber sah aus wie ein bis zum äußersten geplagter und gequälter und fast zu Tode erschöpfter Mann. Er kam hastig herab und wurde von einer würdigen Erscheinung gefolgt, in einem Kleid aus purpurnem Samt, mit vornehmer Stickerei. Seine Haltung wäre sehr stattlich gewesen, wenn nicht ein lästiger Gichtanfall ihn gezwungen hätte, von einer Stufe zur andern zu hinken und Körper und Gesicht dabei zu verzerren. Als Doktor Byles ihn auf der Treppe erblickte, zitterte er wie im Fieberfrost, doch er schaute ihn unverwandt an, bis der gichtische Herr die Schwelle erreicht hatte; doch machte er eine Gebärde der Angst und Verzweiflung und verschwand in der Finsternis draußen, wohin die Trauermusik ihn rief.

»Der Statthalter Belcher! – mein alter Gönner! – Genau seine Gestalt und Kleidung!« keuchte Doktor Byles. »Das ist ein furchtbares Blendwerk!«

»Ein widerlicher Narrenstreich vielmehr,« sagte Sir William Howe und tat gleichgültig.

»Aber wer waren die drei, die vor ihm kamen?«

»Statthalter Dudley, ein schlauer Politiker – und doch brachte ihn seine Schlauheit einmal ins Gefängnis,« erwiderte Oberst Joliffe; »Statthalter Shute, früher Oberst unter Marlborough, den das Volk aus der Provinz hinausgraulte, und der gelehrte Statthalter Burnet, den die gesetzgebende Körperschaft quälte, bis ihn ein tödliches Fieber befiel.«

»Mir scheint, es waren unglückliche Menschen, diese königlichen Statthalter von Massachusetts,« bemerkte Fräulein Joliffe. – »Mein Gott, wie trübe das Licht auf einmal wird!«

Es war Tatsache, daß die große Lampe, die die Treppe erleuchtete, jetzt trübe und dämmrig brannte, so daß mehrere Personen, die rasch die Treppe herunterkamen und aus der Tür traten, mehr wie Schatten als Menschen von Fleisch und Blut aussahen. Sir William Howe und seine Gäste standen in den Türen der anstoßenden Zimmer und beobachteten den Verlauf dieses Possenspiels mit gemischten Gefühlen, mit Ärger, Verachtung und halb eingestandener Furcht, aber doch mit gespannter Aufmerksamkeit. Die Gestalten, die jetzt der geheimnisvollen Prozession zuzueilen schienen, waren mehr durch auffallende Besonderheiten ihrer Kleidung erkenntlich oder durch deutliche Kennzeichen ihres Benehmens, als durch irgendeine wahrnehmbare Ähnlichkeit mit ihren Vorbildern. Ihre Gesichter waren sogar ausnahmslos in tiefen Schatten gehüllt. Aber man hörte, wie Doktor Byles und andere Herren, die lange Zeit hindurch mit den aufeinanderfolgenden Beherrschern der Provinz vertraut gewesen waren, die Namen Shirleys, Pownals, Sir Francis Bernards und des wohlbekannten Hutchinson flüsterten. Sie bezeugten damit, daß die Darsteller, wer sie auch sein mochten, es fertig gebracht hatten, in diesem gespenstischen Aufmarsch der Statthalter eine entfernte Ähnlichkeit mit den wirklichen Personen zu erzielen. Als sie aus der Tür verschwanden, schwenkten diese Schatten noch in der finsteren Nacht die Arme mit furchtbaren Gesten der Pein. Hinter dem Darsteller Hutchinsons kam eine soldatische Gestalt und hielt den dreieckigen Hut, den sie vom gepuderten Kopf genommen hatte, vors Gesicht; aber den Epauletten und anderen Rangabzeichen nach war es ein General; und etwas in seiner Haltung mahnte den Beschauer an einen, der erst kürzlich Herr der Statthalterei und Beherrscher des ganzen Landes gewesen war.

»Die Gestalt Gages, so treu wie in einem Spiegel,« rief Lord Percy und erbleichte.

»Aber nein doch,« rief Fräulein Joliffe und lachte krampfhaft, »es kann nicht Gage gewesen sein, sonst hätte doch Sir William seinen alten Busenfreund begrüßt! Aber vielleicht läßt er den nächsten nicht ohne Anruf vorüber.«

»Dessen seien Sie versichert, junge Dame,« antwortete Sir William Howe und heftete seine Augen fest und mit sehr bestimmtem Ausdruck auf das unbewegliche Gesicht ihres Großvaters. »Ich habe lange genug gezögert, diesen scheidenden Gästen die Höflichkeiten des Gastgebers zu erweisen. Dem nächsten, der sich verabschiedet, soll die gebührende Aufmerksamkeit zuteil werden.«

Die trostlose Musik vor der offenen Tür schwoll plötzlich wild an. Es war, als wolle der Zug, der allmählich vollzählig geworden war, sich in Bewegung setzen, und dieser laute Ruf der klagenden Trompeten und dieser Wirbel der gedämpften Trommeln sollten einen Säumigen zur Eile mahnen. Eine unwiderstehliche Gewalt zog viele Augen auf Sir William Howe, als sei er es, den die traurige Musik zum Leichenbegängnis toter Macht einlüde.

»Seht! – hier kommt der Letzte!« flüsterte Fräulein Joliffe und deutete mit zitterndem Finger nach der Treppe.

Eine Erscheinung ward sichtbar, die die Treppe herabzukommen schien. Obwohl sie ganz aus dem Dunkeln auftauchte, glaubten doch einige Zuschauer gesehen zu haben, wie diese menschliche Gestalt sich plötzlich in der Finsternis geformt habe. Sie kam herab mit stattlichem, kriegerischem Schritt, und als es die unterste Stufe erreichte, sah man, daß es ein großer Mann war, in Militärstiefeln und einem Soldatenmantel, den er so vors Gesicht geschlagen hielt, daß er die Krempe seines Tressenhutes berührte. Die Züge waren daher völlig verborgen. Aber die britischen Offiziere glaubten diesen Mantel schon früher gesehen zu haben und erkannten sogar die abgetragene Stickerei am Kragen und die vergoldete Scheide eines Schwertes, das aus den Falten des Mantels hervorlugte und lebhaft in einem Lichtstrahl aufblitzte. Außer diesen geringen Kleinigkeiten zwangen ganz charakteristische Züge der Haltung und des Ganges die erstaunten Gäste, von der verhüllten Gestalt weg nach Sir William Howe zu blicken, als müßten sie sich überzeugen, daß ihr Wirt nicht plötzlich aus ihrer Mitte verschwunden sei. Sie sahen, wie der General mit dunkler Zornesröte auf der Stirn sein Schwert zog und der Gestalt in den Weg trat, bevor sie einen Schritt in der Halle getan hatte.

»Schurke, enthülle dich!« schrie er. »Du kommst nicht weiter!«

Die Gestalt wich nicht um Haaresbreite vor dem Schwert zurück, das auf ihre Brust gerichtet war; sie machte eine feierliche Pause und ließ die Kapuze des Mantels ein wenig von ihrem Gesicht herab, aber nicht so weit, daß auch die Zuschauer etwas davon erhaschen konnten. Aber Sir William Howe hatte offenbar genug gesehen. Der Ernst seines Gesichtes wich einem wilden Erstaunen, wenn man es nicht Entsetzen nennen will, als er mehrere Schritte vor der Gestalt zurückwich und sein Schwert zu Boden fallen ließ. Die kriegerische Erscheinung zog den Mantel wieder vors Gesicht und schritt weiter. Aber als sie die Schwelle erreicht hatte und den Zuschauern den Rücken zukehrte, sah man, wie sie mit dem Fuße aufstampfte und die geballte Faust schüttelte. Später versicherte man, daß Sir William Howe genau dieselbe Geste der Wut und des Kummers gehabt hätte, als er zum letzten Male und als letzter königlicher Statthalter aus dem Portal der Statthalterei schritt.

»Horch! – Der Zug bewegt sich,« sagte Fräulein Joliffe. Die Musik verklang auf der Straße und ihre trostlosen Weisen vermischten sich mit den Schlägen der Mitternacht vom Turme von Old South und dem Brüllen des Artilleriefeuers, das anzeigte, daß Washingtons Belagerungsarmee sich auf einer näher gelegenen Anhöhe verschanzt hatte als bisher. Als das tiefe Brüllen der Kanone sein Ohr traf, richtete Oberst Joliffe seine bejahrte Gestalt zu voller Höhe auf und schaute mit strengem Lächeln auf den britischen General.

»Möchten Eure Exzellenz noch weiter in das Geheimnis des Possenspiels eindringen?« fragte er.

»Hütet Euer graues Haupt!« rief Sir William Howe wütend, doch mit zitternden Lippen. »Es steht schon zu lange auf den Schultern eines Verräters!«

»Ihr müßt Euch beeilen, wenn Ihr es abschlagen wollt,« erwiderte der Oberst kühl; »denn noch ein paar Stunden, und keine Macht Sir William Howes noch die seines Königs kann mehr ein einziges dieser grauen Haare krümmen. Die britische Oberherrschaft in dieser alten Provinz liegt heute nacht in den letzten Zügen; – schon während ich spreche, ist sie fast eine Leiche; – und mir scheint, die Schatten ihrer einstigen Statthalter sind das passende Gefolge in ihrem Leichenzug!«

Mit diesen Worten warf Oberst Joliffe seinen Mantel über, zog den Arm seiner Enkelin durch den seinen und verließ das letzte Fest, das je ein britischer Statthalter in der alten Provinz von Massachusetts feierte. Man vermutete, daß der alte Oberst und die junge Dame irgendwie heimlich gewußt hatten um das gespenstische Maskenspiel in dieser Nacht. Wie dem auch sei, es wurde niemals allgemein bekannt. Die Darsteller waren in tieferes Dunkel entschwunden als selbst die wilde Rotte von Indianern, die damals die Ladungen der Teetransportschiffe ins Meer streuten und einen Platz in der Geschichte gewannen, ohne Namen zu hinterlassen. Doch der Aberglaube erzählt unter anderen Legenden von diesem Hause auch, daß am Jahrestag der britischen Niederlage die Geister der ehemaligen Statthalter von Massachusetts noch immer aus der Tür der Statthalterei gleiten. Und ganz zuletzt kommt eine Gestalt, in einen Militärmantel gehüllt, schüttelt die geballte Faust in der Luft und stampft mit den eisenbeschlagenen Stiefeln auf die breiten Sandsteinstufen, wie in fiebernder Verzweiflung; aber man hört den Tritt des Fußes nicht.


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