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Eine ernste Gestalt mit geheimnisvollen Brillengläsern auf der Nase und einer Feder hinterm Ohr saß an einem Pult in der Ecke eines Bureaus der Hauptstadt. Eine Kasse war in dem Raum, und er war mit einem Schrank aus Eichenholz ausgestattet und ein paar Stühlen; alles einfach und geschäftsmäßig. Rings an den Wänden hingen Anzeigen von Dingen, die verloren waren, die man suchte oder veräußern wollte. In irgendeiner Gruppe waren darunter fast alle Gegenstände der Behaglichkeit vertreten, oder vielmehr alles, was der Menschengeist zu seiner Bequemlichkeit ausgedacht hat. Das Innere des Zimmers lag im Schatten, teils auch die hohen Häuser, die auf der Gegenseite der Straße aufragten, zum Teil auch durch die ungeheuren blauen und knallroten Plakate, mit denen jedes der drei Fenster beklebt war. Ungestört von dem Trampeln der Füße, dem Rattern der Räder, dem Surren der Stimmen, von den Schreien der Ausrufer, dem Kreischen der Zeitungsjungen und anderen Zeichen des tausendfältigen Lebens, das vor dem Bureau dahinbrandete, brütete die Gestalt am Pult fleißig über einem Folioband, dem Hauptbuch nach Form und Aussehen. Er sah aus wie der Geist eines Registers – die fleischgewordene Seele seines eigenen dicken Buches.
Aber kaum ein Augenblick verging, ohne daß an der Tür irgendeine Gestalt aus der emsigen Bevölkerung auftauchte, deren Nachbarschaft sich durch soviel Lärm, Gerassel und Geschrei kundtat. Bald war es ein aufstrebender Handwerker, der nach einem Grundstück sich erkundigte, das er gegen eine bescheidene Summe pachten wollte; bald war es ein rotwangiges irisches Mädchen von der Küste von Killarney, das aus einer Küche unseres Landes in die andere wanderte, während ihr Herz noch immer im Torfrauch ihrer heimatlichen Hütte hing; dann ein Junggeselle, der sich nach einem billigen Kosthaus umsah, und nun – denn dieses Unternehmen befaßte sich mit allem, was es an weltlichem Trachten gab –, war es eine verwelkte Schönheit, die nach ihrer verlorenen Jugendfrische fragte; Peter Schlemihl, der seinen Schatten, ein Schriftsteller von vor zehn Jahren, der seinen verlorenen Ruhm; oder ein Mißmutiger, der den Sonnenschein von gestern suchte. Als die Klinke zum nächstenmal gehoben wurde, trat ein Mensch ein, der den Hut schief auf dem Kopfe trug; die Kleider paßten wunderlich schlecht zu seiner Gestalt; seine Augen starrten in Richtungen, die dem, was sie sehen wollten, entgegengesetzt lagen – über seiner ganzen Erscheinung lag eine gewisse Ungeschicklichkeit. Wo man sich ihn auch denken mochte, im Schloß oder in der Hütte, in der Kirche oder auf dem Marktplatz, zu Wasser oder zu Lande, selbst am eigenen Kamin – er mußte den charakteristischen Ausdruck eines Mannes tragen, der nicht am rechten Orte ist.
»Dies,« fragte er und gab seiner Frage die Form einer Behauptung, »dies ist das Zentralauskunftsbureau?«
»Ganz recht,« antwortete die Gestalt am Pult und schlug eine neue Seite um; dann sah er dem Bittsteller ins Gesicht und fragte kurz: »Sie wünschen?«
»Ich möchte,« sagte dieser mit bebendem Ernst, »eine Stellung.«
»Eine Stellung? Was für eine Stellung?« fragte der Auskunftgeber. »Es sind viele frei oder werden es bald, und einige werden sicher passen, denn sie gehen vom Lakai aufwärts bis zu einem Sitz am Ratstisch oder im Kabinett, oder bis zu einem Thron oder Präsidentenstuhl.«
Der Fremde stand nachdenklich vor dem Pult und sah unruhig und unzufrieden aus; ein dumpfer, unbestimmter Gemütsschmerz drückte sich in den leicht zusammengezogenen Brauen aus; sein ernster Blick fragte und erwartete, aber er flackerte beständig wie in Mißtrauen. Kurzum, was er wollte, war offensichtlich nicht in physischem oder verstandesmäßigem Sinn zu erfassen, sondern aus einer zwingenden inneren Notwendigkeit heraus, die am allerschwersten zu befriedigen ist, da sie selber nicht weiß, was sie eigentlich will.
»Ach, Sie mißverstehen mich,« sagte er schließlich und wurde ungeduldig nervös. »Eine von den Stellen, die Sie erwähnen, könnte natürlich meinem Zweck entsprechen – oder, noch wahrscheinlicher, keine von allen. Ich will meine Stelle! Meine eigene Stelle! Meine richtige Stelle in der Welt! Meine richtige Sphäre! Meine Aufgabe, die die Natur mir setzte, als sie mich so verdreht erschuf, und die ich mein ganzes Leben lang vergeblich gesucht habe! Ob es eines Dieners Beruf ist oder eines Königs, das tut wenig zur Sache, wenn es nur der ist, für den ich geschaffen bin. Können sie mir darin helfen?«
»Ich will Ihre Bewerbung eintragen,« sagte der andere und schrieb dabei einige Zeilen in sein Buch. »Aber ich muß ihnen offen sagen, derartiges zu übernehmen, liegt ganz außerhalb meiner Berufspflichten. Fragen Sie nach etwas Bestimmtem, und es wird zweifellos für Sie besorgt werden, wenn Sie mit den Bedingungen einverstanden sind. Aber wenn ich weiter gehen wollte, hätte ich bald die ganze Bevölkerung der Stadt auf dem Halse; denn die Menschen sind zum größten Teil mehr oder weniger in Ihrer Lage.«
Der Bittsteller knickte verzweifelt zusammen und ging aus der Tür, ohne noch einmal die Augen aufzuheben. Und wenn er an der Enttäuschung starb, so ist er wahrscheinlich im falschen Grab beerdigt worden. Solche Leute verläßt das Unglück nie, und, tot oder lebendig, sie sind unweigerlich am verkehrten Platz.
Sofort hinterher hörte man einen neuen Schritt auf der Treppe. Ein Jüngling trat hastig ein und warf einen Blick um sich, um sich zu vergewissern, ob der Auskunftsbeamte allein war. Dann trat er dicht an das Pult heran, errötete wie ein Mädchen und schien in Verlegenheit, wie er sein Anliegen vorbringen sollte.
»Sie kommen in einer Herzensangelegenheit,« sagte der Beamte und schaute durch seine geheimnisvollen Gläser in ihn hinein.
»Drücken Sie es so kurz wie möglich aus.«
»Sie haben recht,« erwiderte der Jüngling, »ich habe ein Herz zu vergeben.«
»Sie suchen einen Tausch?« sagte der Auskunftgeber. »Törichter junger Mann, warum sind Sie nicht zufrieden mit Ihrem eigenen?«
»Weil,« rief der Jüngling, der in leidenschaftlicher Glut alle Befangenheit verlor, »weil mein Herz mit unerträglichem Feuer in mir brennt. Es quält mich den ganzen Tag mit ungekannter Sehnsucht, fieberhaftem Pochen und den Qualen unbestimmbaren Kummers. Sein Beben weckt mich in der Nacht, auch wenn gar nichts zu befürchten ist! Ich kann es nicht länger ertragen. Es wäre klüger, ein solches Herz von sich zu werfen, auch wenn ich nichts dafür wieder haben sollte!«
»Sehr gut!« sagte der Beamte und machte eine Eintragung in sein Buch. »Eure Angelegenheit läßt sich leicht erledigen. Solche Maklergeschäfte machen einen großen Teil meines Unternehmens aus; und es ist immer ein großer Vorrat dieses Artikels zur Auswahl vorhanden. Wenn ich mich nicht täusche, kommt hier gerade eine ganz hübsche Probe.«
Er sprach noch, da tat sich die Tür leise und langsam auf und ließ die schlanke Gestalt eines jungen Mädchens sehen. Als sie schüchtern eintrat, schien sie das Licht und die Heiterkeit der Außenwelt in das etwas düstere Zimmer hereinzutragen. Wir wissen nicht, was sie dort wollte. Auch können wir nicht verraten, ob der junge Mann sein Herz in ihre Obhut gab. Wenn ja, so war es nicht besser und nicht schlechter als in neunundneunzig von hundert Fällen, wo gleiche Empfindungen in ähnlichem Alter, beengende Gefühle und die leichte Befriedigung bei Charakteren, die sich ihrer selbst nicht klar bewußt sind, die Stelle tieferer Sympathie ausfüllen.
Nicht immer jedoch war der Handel mit Leidenschaften und Neigungen ein so wenig beschwerliches Geschäft. Es kam vor – selten freilich im Verhältnis zu den üblichen Fällen – es kam aber immerhin vor, daß gelegentlich ein Herz hierher gebracht wurde aus so besonderem Stoff, so zart besaitet, so merkwürdig eingerichtet, daß sich kein anderes Herz finden ließ, das zu ihm paßte. Mit weltlichen Augen gesehen konnte es fast als Unglück betrachtet werden, der Besitzer eines solchen Diamantes vom klarsten Wasser zu sein; denn aller Wahrscheinlichkeit nach konnte er nur für einen gewöhnlichen Kiesel eingetauscht werden oder ein Stückchen geschickt bearbeitetes Glas oder doch zum mindesten gegen einen Edelstein, der wohl köstlich war, aber falsch gefaßt, oder einen häßlichen Fleck zeigte oder eine erdige Ader mitten durch sein klares Licht. Um ein anderes Bild zu wählen: es ist traurig, daß Herzen, deren Quell im Unendlichen liegt, die unerschöpflich reich an Liebe sind, je und je dazu verurteilt sind, in seichte Becken sich zu ergießen und so die reichen Gefühle zu vergeuden, die auf ihrem Grunde ruhen. Seltsam, daß die feinere und tiefere Natur, in Mann oder Weib, selbst wenn sie jedes andere höchste Zartgefühl besitzt, so oft das unschätzbarste entbehrt: sich vor der Berührung mit Niedrigerem zu bewahren! Manchmal freilich wird der geistige Quell aus eigenster Weisheit heraus klar erhalten und funkelt ins Himmelslicht hinein, ohne befleckt zu sein durch den irdischen Weg, auf dem er nach oben sprudelte. Und manchmal – selbst hier auf Erden – gesellt das Reine sich dem Reinen, und Unerschöpflichkeit wird mit Unendlichkeit belohnt. Aber solche Wunder, wenn er sie auch für sich beansprucht, liegen hoch über dem, was einem so oberflächlichen Makler menschlicher Angelegenheiten wie dem Mann mit der geheimnisvollen Brille erreichbar sein kann.
Wieder öffnete sich die Tür und gab dem Lärm der Großstadt in erneutem Widerhall Einlaß in das Auskunftsbureau. Nun trat ein Mann mit schmerzlich gesenktem Blick ein. So jämmerlich sah er aus, als habe er die Seele aus dem Leibe verloren und dann die ganze Welt durchwandert, suchend im Staub der Landstraßen, auf allen schattigen Pfaden, unter dem Laub des Waldes, im Sand der Küste – immer hoffend, sie wiederzufinden. Angstvoll hatte er das Straßenpflaster abgesucht, als er hierher kam; er sah auch in die Winkel der Türschwelle und auf den Boden des Zimmers; schließlich trat er an den Auskunftgeber heran und starrte durch die unergründliche Brille, als sei der verlorene Schatz in seinen Augen verborgen.
»Ich habe verloren –« begann er; dann stockte er.
»Ja,« sagte der andere, »ich sehe, daß Sie etwas verloren haben – aber was?«
»Ich habe einen kostbaren Edelstein verloren,« erwiderte der Unglückliche. »Einen solchen findet man in keines Königs Schatzkammer. Solange ich ihn besaß, war es mein einziges Glück, ihn zu betrachten, und es war mir Glück genug. Um keinen Preis hätte man ihn mir abkaufen können. Aber ich wanderte achtlos durch die Stadt, da fiel er mir von der Brust, wo ich ihn trug.«
Der Auskunftgeber veranlaßte den Fremden, den verlorenen Edelstein genau zu beschreiben; dann zog er eine Schieblade des eichenen Schrankes heraus, der, wie schon erwähnt, einen Teil der Zimmereinrichtung bildete. Darin lag alles, was man auf der Straße aufgehoben hatte, und wartete, daß der rechte Eigentümer es zurückverlangte. Es war eine seltsam gemischte Sammlung. Nicht der geringste Teil davon bestand in einer großen Anzahl von Eheringen; jeder von ihnen war mit heiligem Schwur an dem Finger befestigt worden und mit der ganzen mystischen Gewalt, die von den feierlichsten Bräuchen ausgeht, und doch hatte er sich als zu glatt bewiesen für die Wachsamkeit des Trägers. Bei manchen war das Gold ganz dünn getragen und sprach von jahrelanger Ehe, andere, die noch blitzten wie im Laden des Goldschmieds, mußten in den Flitterwochen schon verloren worden sein. Elfenbeinerne Notizbüchlein waren darunter, deren eng bekritzelten Seiten Gefühle verrieten, die in früheren Jahren der Schreiber als tiefste Wahrheit empfunden hatte, die aber jetzt ganz ausgelöscht waren aus seiner Erinnerung. So gewissenhaft wurde alles hier aufbewahrt, daß selbst welke Blumen nicht zurückgewiesen wurden: weiße Rosen, rote Rosen und Moosrosen – Sinnbilder jungfräulicher Reinheit und Schamhaftigkeit – die man verloren hatte oder weggeworfen, im Schmutz der Straße zertreten zu werden. Haarlocken – goldene und tiefschwarz, lange Frauenlocken und krause Männerlocken – zeigten an, daß Liebende mitunter so achtlos waren, das anvertraute Pfand der Treue aus dem Schrein des Busens zu verlieren. Viele dieser Dinge waren mit Wohlgerüchen durchtränkt, und vielleicht war auch aus dem Leben ihrer früheren Besitzer ein süßer Duft gewichen, seit sie so lässig und achtlos diese Dinge verloren. Da waren goldene Bleistifthalter, kleine Rubinherzen, von goldenen Pfeilen durchbohrt, Busennadeln, Münzen und allerhand andere kleine Gegenstände, alles, was seit langer Zeit verlorengegangen war. Das meiste davon hatte sicherlich seine Geschichte und tiefere Bedeutung, wenn man Zeit dazu hätte, sie herauszufinden oder zu erzählen. Wer etwas Wertvolles vermißt, im Herzen, im Gemüt oder in der Tasche, der tut gut daran, im Zentralauskunftsbureau nachzufragen.
Und in der Ecke einer Schieblade des Eichenschrankes wurde nach langem Suchen eine große Perle gefunden, fest und glänzend; wie die Seele himmlischer Reinheit sah sie aus.
»Da ist mein Juwel! das ist meine Perle!« rief der Fremde, fast außer sich vor Freude. »Sie gehört mir! Gebt sie mir – sofort! Oder ich sterbe!«
»Ich sehe,« sagte der Auskunftgeber, der sie genauer betrachtete, »daß dies die ›Perle des höchsten Lohnes‹ ist.« »Das ist sie,« antwortete der Fremde. »Stellen Sie sich also mein Elend vor, als ich sie verlor! Geben Sie sie mir wieder! Ich kann keinen Augenblick mehr ohne sie leben.«
»Verzeihen Sie,« fiel der andere ruhig ein. »Sie verlangen etwas, was meine Pflicht übersteigt. Diese Perle, wie Sie wohl wissen, wird nur als besonderes Lehen vergeben, und da Sie es einmal aus den Händen gleiten ließen, haben Sie keinen größeren Anspruch darauf – nein, nicht einmal einen so großen wie jeder andere Mensch. Ich kann sie nicht zurückgeben.«
Kein Bitten des unseligen Mannes, der das Juwel seines Lebens vor den Augen hatte und nicht die Macht besaß, es wiederzuerlangen, konnten das Herz dieses strengen Mannes besänftigen, den kein menschliches Fühlen rührte, obwohl er augenscheinlich so großen Einfluß auf menschliches Schicksal hatte. Schließlich zerraufte der Verlierer der unschätzbaren Perle sein Haar und rannte wie irrsinnig in die Welt hinaus, die vor seinen verzweifelten Blicken erschrak. Auf der Schwelle begegnete ihm ein eleganter junger Herr, der nach einer roten Rosenknospe fragen wollte, dem Geschenk der geliebten Dame, das er eine Stunde später schon aus dem Knopfloch verloren hatte. So verschiedenartig waren die Wünsche derer, die das Zentralbureau aufsuchten, wo alle menschlichen Wünsche vorgebracht zu werden schienen, um, soweit das Schicksal es zugab, erfüllt zu werden.
Der Nächste, der eintrat, war ein Mann über der Mittelgrenze des Lebens, der aussah wie jemand, der die Welt und seine eigene Stellung darin kennt. Er war gerade aus einem schönen eigenen Wagen ausgestiegen, der auf der Straße warten sollte, während der Besitzer seine Geschäfte erledigte. Dieser Mann kam mit raschem, festem Schritt auf das Pult zu und sah dem Auskunftgeber entschlossen in die Augen, obgleich dabei in seinem Blick ein geheimer Kummer rot und düster glühte.
»Ich habe ein Gut zu verkaufen,« sagte er mit einer Kürze, die für ihn bezeichnend schien.
»Beschreiben Sie es,« sagt der Auskunftgeber.
Der Bittsteller ging dazu über, die Grenzen seines Besitztums zu beschreiben, seine Art, die dazu gehörigen Acker, Weiden, Waldbestände und Gartenanlagen in weiter Ausdehnung; dazu ein Herrenhaus, bei dessen Bau er sich bemüht hatte, ein Luftschloß wirklich zu machen, indem er die schattenhaften Mauern zu Granit verdichtete und den Geisterglanz dem wachen Auge sichtbar machte. Seiner Beschreibung nach war es schon genug, wie ein Traum zu verblassen, und doch wirklich genug, Jahrhunderte zu überdauern. Er sprach auch von der prunkhaften Ausstattung, den vornehmen Möbeln und all dem künstlerischen Luxus, der dies Haus zu einem Wohnsitz machte, wo das Leben in einem Strome goldener Tage dahinfließen konnte, ungestört von Rauheit, mit der das Schicksal hineinzufassen liebt.
»Ich bin ein Mann von starkem Willen,« sagte er zum Schluß; »und als ich zuerst ins Leben trat, ein armer Jüngling, ohne Freunde, beschloß ich, mich zum Besitzer eines Hauses und eines Gutes wie dies zu machen und das ungeheure Einkommen zu erwerben, das zu ihrer Erhaltung nötig ist. Selbst der kühnste Wunsch hat sich mir erfüllt. Und dies ist der Besitz, den zu verkaufen ich mich nun entschlossen habe.«
»Und Ihre Bedingungen?« fragte der Auskunftsbeamte, nachdem er die Einzelheiten notiert hatte, die der Fremde ihm angab.
»Leicht – außerordentlich leicht!« antwortete der reiche Mann und lächelte, aber er zog dabei die Brauen ernst und fast schrecklich zusammen, als wolle er einer inneren Qual gebieten. »Ich war an den verschiedensten Unternehmungen beteiligt – Branntweinfabrikant war ich, trieb Geschäfte mit Afrika und Ostindien, spekulierte in Aktien, und aus all diesen Unternehmungen haben sich gewisse Belastungen ergeben. Von dem Käufer des Besitzes soll nur verlangt werden, daß er diese Lasten mit übernimmt.«
»Ich verstehe Sie,« sagte der Auskunftsbeamte und steckte die Feder hinters Ohr. »Aber ich fürchte, unter diesen Bedingungen kann kein Geschäft vermittelt werden. Höchstwahrscheinlich wird ja der nächste Besitzer das Gut unter ähnlichen Verpflichtungen erwerben, aber die wird er sich selber zugezogen haben, und das wird Ihre Lasten nicht im geringsten erleichtern.«
»So soll ich also weiterleben,« rief der Fremde zornig aus, »und der Schmutz dieser verfluchten Acker und der Granit dieses entsetzlichen Hauses soll meine Seele zermalmen? Und wenn ich nun das Gebäude in ein Hospital oder Armenhaus verwandelte, oder wenn ich es niederrisse und eine Kirche daraus baute?«
»Sie können zum mindesten den Versuch machen,« sagte der Auskunftgeber; »aber die ganze Angelegenheit kann nur von Ihnen selber geregelt werden.«
Der beklagenswerte reiche Mann zog sich zurück und stieg in seine Kutsche, die leicht über das Holzpflaster dahinrollte, und war doch mit dem Gewicht großer Ländereien beladen, einem prächtigen Hause und schweren Haufen Goldes, alles eingeschlossen in einem einzigen bösen Gewissen.
Nun erschienen viele Stellungsuchende. Einer der auffallendsten darunter war eine kleine, verhutzelte Gestalt, die sich als einen der bösen Geister ausgab, die Doktor Faustus in seinem Laboratorium gedient hatten. Er gab vor, ein Dienstzeugnis zu besitzen, das ihm, wie er behauptete, von jenem berühmten Schwarzkünstler ausgestellt worden und von verschiedenen Meistern mitunterzeichnet war, denen er der Reihe nach Dienste getan hatte.
»Es tut mir leid, guter Freund,« bemerkte der Auskunftgeber, »daß deine Aussicht, einen Dienst zu finden, nur gering ist. Heutzutage spielen die Leute selber den bösen Geist für sich und ihre Nachbarn, und sie spielen die Rolle wirkungsvoller als neunundneunzig Prozent deines Schlages.«
Aber gerade nahm der arme Teufel Dunstgestalt an und wollte in trauriger Enttäuschung und Bekümmernis durch den Fußboden entweichen, als der Herausgeber einer politischen Zeitung zufällig das Bureau betrat, um einen Winkelschriftsteller für Leitartikel zu suchen. Dem ehemaligen Diener Fausts wurde gestattet, sich in dieser Eigenschaft zu versuchen, nachdem einige Befürchtungen laut geworden waren, ob er dazu genügend Giftstoff in sich trüge. Dann erschien, gleichfalls auf der Stellungssuche, der geheimnisvolle ›Mann in Rot‹, der Bonaparte bei seinem Aufstieg zur kaiserlichen Macht behilflich gewesen war. Seine Fähigkeiten wurden von einem ehrgeizigen Politiker untersucht, aber schließlich wies man ihn ab, weil ihm die Vertrautheit mit der durchtriebenen Taktik der Gegenwart fehle.
Die Leute folgten so ununterbrochen rasch aufeinander, als ob jedermann aus dem Lärm und Tumult der Stadt einen Abstecher hierher mache, um von einem Mangel, Überfluß oder Wunsch zu berichten. Einige wollten über den Verkauf von Waren und Besitzungen verhandeln. Ein Kaufmann aus China hatte durch langen Aufenthalt in diesem verheerenden Klima die Gesundheit verloren. Freigebig bot er sie mitsamt seinem Reichtum jedem Arzt an, der ihn von beiden befreien wollte. Ein Soldat bot seinen Lorbeerkranz aus für ein ebenso gutes Bein, wie er auf dem Schlachtfelde dafür bezahlt hatte. Ein armer, müder Schelm wünschte nichts anderes zu erfahren, als wie er auf anständige Weise sein Leben los werden könne; denn Unglück und Geldschwierigkeiten hatten ihn so gebrochen, daß er an keine Glücksmöglichkeit mehr glaubte und auch gar nicht mehr den Mut dazu aufbrachte. Trotzdem, als er zufällig im Auskunftsbureau eine Unterhaltung mitanhörte, wie man durch eine gewisse Art von Spekulation rasch großen Reichtum erwerben könne, beschloß er, doch noch so lange zu leben, bis er diesen Versuch, sein Geschick zu verbessern, ausprobiert hätte. Viele Leute wollten die Sünden ihrer Jugend gegen andere eintauschen, die dem Ernst vorgerückten Alters besser entsprachen; einige machten erfreulicherweise auch ernsthafte Anstrengungen, Laster gegen Tugenden einzutauschen, und, so schwierig der Handel auch war, sie brachten ihn glücklich zustande. Aber es war auffallend: das, was alle am wenigsten gern aufgeben wollten, selbst unter den günstigsten Angeboten nicht, das waren die Angewohnheiten, die Sonderlichkeiten, die charakteristischen Züge, die kleinen lächerlichen Schrullen, die halb Fehler, halb Torheiten waren, und von denen keiner als sie selbst wußte, worin ihr Reiz bestand.
Der große Foliant, in den der Auskunftsbeamte all diese Launen müßiger Herzen, die heißen Wünsche tiefer Herzen, die verzweifelte Sehnsucht unglücklicher und die bösen Bitten verderbter Herzen einschrieb, müßte interessant zu lesen sein, wenn man ihn veröffentlichen könnte. Der menschliche Charakter in seiner Einzelentwicklung – die menschliche Natur als Ganzes – sie sind am besten an ihren Wünschen zu erkennen; und in diesem Buch waren sie alle zu Protokoll genommen. Endlos verschieden waren Art und Umstände und doch im tiefsten Grunde alle so ähnlich, daß jede einzelne Seite des Buches, mochte sie vor der Sintflut geschrieben sein oder am jüngst vergangenen Tage, sollte sie schon morgen geschrieben werden oder nach tausend Menschenaltern, als Beispiel für das Ganze dienen konnte. Was aber nicht sagen soll, daß da keine wilden Streiche der Phantasie verzeichnet waren, die kaum mehr als einem Menschenhirn entspringen konnten, ob es gesund war oder zerrüttet. Die seltsamsten Wünsche – die doch ganz natürlich schienen bei Männern, die sich ganz in die Wissenschaft versenkt hatten und auf hoher geistiger Warte standen, wenn auch noch nicht auf der allerhöchsten – bestanden darin, mit der Natur zu ringen, um ihr ein Geheimnis abzuringen oder eine Macht, die sie in ihrer Weisheit menschlicher Gewalt entrückte. Sie liebt es, ihre ehrgeizigen Gelehrten zu höhnen, sie zum besten zu haben mit Geheimnissen, die gerade eben über der Grenze ihrer Fassungskraft zu liegen scheinen. Neue Mineralien auszusinnen, neue Lebensformen zu erzeugen, ein Insekt zu erschaffen, wenn nicht gar ein höheres Lebewesen – das sind Wünsche, die oft in der Brust eines Gelehrten tobten. Ein Astronom, der viel mehr in den fernen Welten des Raumes lebte, als in dieser niederen Sphäre, sprach den Wunsch aus, die andere Seite des Mondes zu sehen, die er doch der Erde nicht zukehren kann, wenn nicht das ganze Himmelssystem geändert wird. Auf derselben Seite des Buches stand der Wunsch eines kleinen Kindes, das die Sterne als Spielzeug begehrte.
Der häufigste Wunsch, der in trostloser Häufigkeit wiederkehrte, war natürlich der, reich, reich, reich zu sein – von ein paar Schilling bis zu unzählbaren Summen. In Wirklichkeit aber umkleidete dieser oft wiederholte Wunsch ebensoviel verschiedenes Begehren. Reichtum ist der goldene Schlüssel zur irdischen Welt und führt zu allem, was außerhalb der Seele liegt; und darum ist es die natürliche Sehnsucht nach dem Leben, in dem wir stehen, und in dem Gold die Grundlage alles Glücks bedeutet, die in diesem allgemeinen Wunsche sich zusammenfaßt. Ab und zu freilich bewies das Buch, daß es auch verderbte Herzen gibt, die das Gold um seiner selbst willen begehren. Viele wünschten sich Macht. Wahrlich, ein seltsamer Wunsch, da sie doch nur eine andere Form der Sklaverei bedeutet. Alte Leute verlangte es nach den Freuden ihrer Jugend; ein Stutzer wollte einen modischen Rock; ein gedankenloser Leser einen neuen Roman; ein Verseschmied einen Reim auf irgendein widerspenstiges Wort; einen Maler gelüstete es nach Tizians Farbengeheimnis; einem Fürsten nach einer schlichten Hütte; einem Republikaner nach Königreich und Palast; einem Lüstling nach seines Nächsten Weib; ein Feinschmecker bat um junge Erbsen; ein Bettler um eine Brotrinde. Die ehrgeizigen Wünsche der Staatsmänner, sonst so geschickt verheimlicht, hier wurden sie kühn und offen ausgesprochen, in gleicher Reihe mit des Menschenfreundes selbstlosen Wünschen für das Wohl aller, so schön und trostreich im Gegensatz zu dem Egoismus, der ständig das eigene Ich gegen die Welt ausspielte. In die dunkleren Geheimnisse des Buches der Wünsche wollen wir nicht eindringen.
Es wäre eine lehrreiche Beschäftigung für einen, der die Probleme der Menschheit studiert, diesen Band aufmerksam durchzulesen und seine Berichte mit den zur Ausführung gelangten Plänen der Menschen zu vergleichen, wie sie sich in ihren Handlungen und im täglichen Leben offenbaren, und dann festzustellen, wie weit die beiden miteinander übereinstimmen. In den meisten Fällen würden sie sicher einander nur entfernt entsprechen. Der heiligste und edelste Wunsch, der wie Weihrauch aus einem reinen Herzen zum Himmel steigt, verliert im Pesthauch übler Zeiten oft den süßen Duft. Der böse, selbstische, mordgierige Wunsch, der aus einem schlimmen Herzen kommt, geht oft ins All hinaus, ohne sich zu einer irdischen Tat zu verdichten. Und doch stellt dieses Buch das menschliche Herz wahrscheinlich getreu dar als das lebendige Drama der Handlungen, das sich rings um uns abspielt. Es ist mehr Gut und Böse darin; mehr Entlastung für die Schlechten und mehr Schwächen der Tugendhaften; höherer Aufschwung und tiefere Erniedrigung der Seele, kurzum ein erstaunlicheres Gemisch von Tugend und Laster, als wir es in der Außenwelt beobachten. Wohlerzogenheit und äußerliche Gewissenhaftigkeit machen das Äußere oft schöner als die inneren Mängel erwarten lassen. Und andererseits muß man zugeben, daß ein Mensch nur selten, ebensowenig wie er sie in die Tat umsetzt, selbst zu seinem besten Freunde von den reinsten Wünschen spricht, die zu irgendeiner gesegneten Zeit aus der Tiefe seines Herzens stiegen und in diesem Buche für ihn Zeugnis geben. Und doch steht auf jedem Blatt genug, um selbst den Guten schaudern zu machen vor seinen eigenen wilden, törichten Wünschen sowohl wie vor dem Sünder, dessen ganzes Leben die Verkörperung schlimmen Begehrens ist.
Doch wieder öffnet sich die Tür, und wir hören das lärmende Treiben der Welt – ein tiefer, furchtbarer Ton, der nur in anderer Form einen Teil dessen ausdrückt, was in dem Buche steht, das vor dem Auskunftgeber liegt. Ein großväterlicher, alter Mann wankte eilig in das Bureau. So ernst war ihm mit seiner gebrechlichen Hast, daß sein weißes Haar zurückwehte, als er auf das Pult zueilte; und seine trüben Augen erhielten vorübergehenden Glanz aus der Leidenschaftlichkeit seines Zieles. Diese ehrwürdige Gestalt erklärte, daß sie auf der Suche nach dem ›Morgen‹ sei.
»Mein ganzes Leben lang habe ich danach gejagt,« fügte der würdige, alte Herr hinzu, »denn ich war sicher, daß das ›Morgen‹ irgendein großes Glück für mich im Schoße trüge. Aber nun komme ich etwas zu Jahren und muß mich beeilen, denn wenn ich das ›Morgen‹ nicht bald erhasche, fürchte ich, es könnte mir schließlich ganz entwischen.«
»Dieses flüchtige ›Morgen‹, mein verehrter Freund,« sagte der Auskunftgeber, »ist ein verirrtes Kind der Zeit, das von seiner Mutter fort ins Unendliche entlief. Setzt Eure Verfolgung fort, und Ihr werdet es zweifellos erreichen; aber was die irdischen Güter angeht, die Ihr erwartet – es hat sie alle unter einer Menge von Gestern ausgestreut.«
Mit dieser rätselhaften Antwort mußte sich der Großvater begnügen. Er eilte hinaus, und sein Stock klapperte voll Hast auf dem Fußboden; und als er verschwand, kam ein kleiner Junge zur Tür hereingetrippelt, der hinter einem Schmetterling herlief, der sich im kahlen Sonnenschein der Großstadt verflogen hatte. Wäre der alte Mann klüger gewesen, so hätte er sein Morgen im Bilde dieses schimmernden Insekts entdeckt. Der goldene Schmetterling blitzte durch den düstern Raum, stieß mit den Flügeln an das Buch der Wünsche und flatterte wieder hinaus; das Kind lief immer hinterher.
Jetzt trat ein Mann in nachlässiger Kleidung ein. Er sah aus wie ein Denker, und doch für einen Gelehrten etwas zu ungeschliffen und stämmig. Unbeugsame Kraft lag in seinem Gesicht; doch etwas Vornehmes und Kluges war darunter verborgen. Im ersten Augenblick erschien es rauh, doch der Strahl aus einem großen, warmen Herzen milderte den Ausdruck, und es lag Kraft genug darin, den ganzen machtvollen Geist zu durchglühen. Er trat auf den Auskunftsbeamten zu und schaute mit einem Blick so ernsthafter Offenheit auf ihn, daß nur wenige Geheimnisse für ihn undurchdringlich schienen.
»Ich suche die Wahrheit,« sagte er.
»Das ist das Ziel, das mir am seltensten genannt wurde,« erwiderte der Auskunftgeber, als er diese neue Eintragung in sein Buch machte. »Die meisten Leute versuchen, sich irgendeine geschickte Unaufrichtigkeit als Wahrheit einzureden. Aber ich kann Euch nicht behilflich sein bei Euren Nachforschungen. Ihr müßt das Wunder selber vollbringen. In irgendeinem beglückenden Augenblick könnt Ihr die Wahrheit an Eurer Seite finden oder Ihr seht sie in nebelhafter Ferne vor Euch – oder vielleicht auch hinter Euch.«
»Hinter mir nicht,« sprach der Suchende, »denn ich habe nichts auf meinem Wege zurückgelassen, was ich nicht gründlich erforschte. Sie schwebt vor mir her; bald schreitet sie durch eine kahle Wüste, bald mengt sie sich in das Gewühl einer Volksmenge, dann wieder schreibt sie mit der Feder eines französischen Philosophen, oder sie steht vorm Altar eines alten Domes, angetan wie ein katholischer Priester, der das Hochamt liest. Beschwerlich ist das Suchen! Aber ich darf nicht ermatten. Wenn ich so mit ganzem Herzen suche, wird sich die Wahrheit sicher endlich finden lassen.«
Er hielt inne und heftete die Augen auf den Auskunftgeber, so eindringlich forschend, daß es schien, als berede er sich mit der innersten Natur dieses Wesens, ganz ohne seiner äußeren Erscheinungsform zu achten.
»Und was seid Ihr?« fragte er. »Ich gebe mich nicht zufrieden mit dieser Aufmachung eines Auskunftsbureaus und diesem scheinbaren Geschäftsbetrieb. Sagt mir, was dahinter steckt und was Eure wirkliche Tätigkeit und Euer Einfluß auf die Menschheit ist.«
»Vor Eurem Geiste,« antwortete der andere, »verschwinden sogleich alle Formen und Verstellungen, die den inneren Kern vor der Menge verbergen, und es bleibt nur die nackte Wahrheit, die darunter liegt. So erfahrt das Geheimnis. Meine Tätigkeit im irdischen Getriebe, mein Zusammenhang mit der Hast und dem Lärm, mit der Verwirrung und Entwirrung menschlicher Angelegenheiten ist nur eine Täuschung. Der Wunsch im Herzen tut für den Menschen das, was ich zu tun scheine. Ich bin kein Werkzeug des Handelns, ich bin der Geist, der Buch hält für die ewige Gerechtigkeit.«
Was sonst noch für Geheimnisse enthüllt wurden, bleibt verborgen. Das Getöse der Stadt, der Lärm menschlicher Geschäftigkeit, das Geschrei der drängenden Masse, das Stürmen und Brausen irdischen Lebens auf seinem kurzen, geräuschvollen Wege schwoll so hoch an, daß es die Worte der beiden Redenden erstickte. Ob es im Mond war, wo sie plaudernd standen, auf dem Markt der Eitelkeit oder in einer Stadt dieser wirklichen Welt – das vermag ich nicht genau zu sagen.