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An einem sommerhellen Morgen in den guten alten Zeiten der Stadt Boston stand ein junger Holzbildhauer, wohlbekannt unter dem Namen Drowne, nachdenklich vor einem großen Eichenklotz, aus dem er die Gallionsfigur eines Schiffes zu machen gedachte. Während er bei sich überlegte, welche Gestalt er wohl am besten diesem vorzüglichen Stück Holz geben sollte, betrat ein gewisser Kapitän Hunnewell seine Werkstatt, der Eigentümer und Führer der guten Brigg Cynosure, die gerade von ihrer ersten Reise nach Fayal zurückgekehrt war.
»Ah! der ist gut, Drowne – der ist gut!« rief der fröhliche Kapitän und tippte mit seinem Rohrstock auf den Block. »Das Stück Eichenholz da bestelle ich für die Gallionsfigur der Cynosure. Sie hat sich als das prächtigste Fahrzeug erwiesen, das je im Wasser schwamm, und ich möchte ihren Bug mit dem schönsten Bildnis schmücken, das menschliche Geschicklichkeit aus Holz zu schneiden vermag. Und Ihr seid der Rechte, Drowne, das auszuführen.« »Ihr traut mir mehr zu, als ich verdiene, Kapitän Hunnewell,« sagte der Schnitzer bescheiden, aber doch so wie einer, der weiß, daß er etwas Besonderes in seiner Kunst leistet. »Aber der guten Brigg zuliebe bin ich bereit, mein möglichstes zu tun. Und welches von diesen Mustern zieht Ihr vor? Hier« – und er deutete auf eine grellfarbige Halbfigur in weißer Perücke und scharlachrotem Rock –, »hier ist ein ausgezeichnetes Modell, unser gnädiger König. Das ist der tapfere Admiral Kruon. Oder, wenn Ihr eine weibliche Figur vorzieht, was meint Ihr zur Britannia mit dem Dreizack?« »Alle sehr schön, Drowne, alle sehr schön!« antwortete der Seemann. »Aber da niemals so etwas wie diese Brigg auf dem Ozean schwamm, bin ich entschlossen, ihr eine Gallionsfigur zu geben, wie der alte Neptun sie in seinem Leben noch nicht gesehen hat. Und dazu kommt noch: es steckt ein Geheimnis hinter der Sache, und Ihr müßt Euer Wort geben, es nicht zu verraten.«
»Gewiß nicht,« sagte Drowne, allein er wunderte sich doch, was für ein Geheimnis bei einer so offenen Angelegenheit wie der Gallionsfigur eines Schiffes sein konnte, die doch notwendigerweise allen Blicken freigegeben war. »Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß ich so verschwiegen sein werde, wie die Natur der Sache es erlaubt.«
Dann faßte Kapitän Hunnewell Drowne beim Rockknopf und teilte ihm seine Wünsche so leise mit, daß es unhöflich wäre, zu wiederholen, was augenscheinlich nur für den Bildschnitzer bestimmt war. Wir wollen daher die Gelegenheit ergreifen, dem Leser ein paar wünschenswerte Einzelheiten über Drowne selber mitzuteilen. Er war der erste Amerikaner, von dem man weiß, daß er sich – auf sehr bescheidener Stufe allerdings – in der Kunst versuchte, in der wir jetzt schon so viele berühmte oder aufstrebende Namen zu verzeichnen haben. Von früher Kindheit an hatte er eine Fertigkeit – es wäre zu hochtrabend, es Talent zu nennen –, eine Fertigkeit also gezeigt, menschliche Gestalten nachzuahmen, in jedem Material, das gerade am besten zur Hand war. Der Schnee im Winter Neuenglands hatte ihm oft einen Marmor geliefert, der mindestens ebenso blendend weiß war wie der Parische oder der von Carrara; und wenn auch weniger dauerhaft, so doch dem Anspruch auf Dauer entsprechend, den die gefrorenen Gestalten des Knaben stellen konnten.
Doch sie fanden die Bewunderung reiferer Beurteiler als seiner Schulkameraden und waren wirklich auffallend geschickt, wenn ihnen auch die warme Ursprünglichkeit fehlte, die den Schnee unter seiner Hand zum Schmelzen gebracht hätte. Als er älter wurde, suchte sich der junge Mensch Tannen- und Eichenholz als passendes Material für die Entfaltung seiner Kunst aus, die nun anfing, ihm gediegenes Silber einzubringen, so wie früher leeres Lob der rechte Lohn gewesen war für die Erzeugnisse aus vergänglichem Schnee. Er wurde bald bekannt durch kunstvoll geschnitzte Pumpenköpfe, hölzerne Urnen auf Torpfosten und durch wunderliche, meist groteske Schmuckstücke für Kamine. Kein Apotheker glaubte mehr zu Kundschaft kommen zu können, ohne einen bronzierten Mörser oder gar den Kopf des Galen oder Hippokrates auszustellen, die aus der geschickten Hand Drownes hervorgegangen waren. Aber die größten Möglichkeiten für sein Geschäft lagen in der Herstellung von Gallionsfiguren für Fahrzeuge. Ob es der König selber war oder ein berühmter britischer Admiral oder General, oder der Statthalter der Provinz oder vielleicht die Lieblingstochter des Schiffsbesitzers – das Bild stand über dem Bug in leuchtenden Farben, prächtig vergoldet, und brachte mit seinem starren Blick jedermann außer Fassung, als sei ihm das Bewußtsein der eigenen Überlegenheit vom Schöpfer mitgegeben. Diese Proben der heimischen Skulptur hatten das Meer nach allen Richtungen durchquert und waren rühmlich aufgefallen im Schiffsgedränge in der Themse und wo sonst die beherzten Seeleute Neuenglands auf Abenteuer gezogen waren. Man muß zugeben, daß eine Familienähnlichkeit unter den wackeren Kindern der Geschicklichkeit Drownes herrschte – daß das huldvolle Gesicht des Königs dem seiner Untertanen ähnlich sah, und daß Fräulein Peggy Hobart, die Kaufmannstochter, eine auffallende Ähnlichkeit mit Britannia, der Siegesgöttin, oder andern allegorischen Damen zeigte; und schließlich, daß sie alle etwas hölzern aussahen, was eine enge Verwandtschaft mit den ungeformten Holzblöcken in des Bildschnitzers Werkstatt bewies. Aber immerhin verrieten sie eine nicht unbedeutende Handfertigkeit; auch fehlte ihnen zum wahren Kunstwerk nur ein Merkmal, die geistige und seelische Tiefe, die dem Leblosen Leben einhaucht, dem Starren Wärme gibt und die, wenn sie dagewesen wäre, Drownes hölzerne Bilder mit Geist beseelt hätte.
Der Kapitän der Cynosure war mit seinen Anweisungen zu Ende. »Und, Drowne,« sagte er dringlich, »Ihr müßt alles andere beiseite schieben und sofort damit anfangen. Was den Preis betrifft – macht die Sache nur ganz erstklassig und bestimmt dann selbst über diesen Punkt.« »Gut, Kapitän,« antwortete der Schnitzer, der ernst aussah und etwas verblüfft, dem aber doch ein leises Lächeln im Gesicht stand, »verlaßt Euch darauf, ich werde mein Äußerstes tun, Euch zufrieden zu stellen.«
Von diesem Augenblick an bemerkten die Leute von Geschmack auf der Werft und dem Dock, die durch häufige Besuche in Drownes Werkstatt und durch ihre Bewunderung seiner Holzfiguren ihre Kunstliebe zu beweisen pflegten, etwas Geheimnisvolles im Benehmen des Bildschnitzers. Oft war er am Tage nicht da. Manchmal arbeitete er bis in späte Abendstunden hinein, wie man am Lichtschein aus seinen Werkstättenfenstern sehen konnte, obwohl dann weder Klopfen noch Rufen irgendeinem Besucher Einlaß verschaffen oder überhaupt eine Antwort herauslocken konnte. Wenn aber in diesen Stunden die Werkstätte geöffnet wurde, ließ sich nichts Auffallendes darin beobachten. Man sah nur, daß ein schönes Stück Holz, von dem man wußte, daß Drowne es für einen besonders würdigen Zweck aufbewahrt hatte, allmählich Form gewann. Welche Gestalt es endgültig annehmen sollte, das blieb ein Rätsel für alle Freunde, und über diesen Punkt hüllte sich der Bildhauer hartnäckig in Schweigen. Aber Tag für Tag bildete sich die rohe Form deutlicher heraus, obwohl man Drowne nur selten bei der Arbeit daran beobachtete, bis es schließlich allen Besichtigern klar war, daß da eine weibliche Gestalt ein Geheimleben gewann.
Bei jedem Besuch sahen sie einen größeren Haufen von Holzspänen und eine größere Annäherung an irgend etwas sehr Schönes. Es schien, als habe die Nymphe des Eichbaums sich vor der phantasielosen Welt in das Herz des heimatlichen Baumes geflüchtet, und als brauche man nur die seltsame Gestaltlosigkeit, die sie umschloß, zu entfernen, um die Anmut und Lieblichkeit der Göttin zu enthüllen. So unvollkommen auch der ganze Vorwurf, die Haltung, das Gewand und besonders das Gesicht des Bildes noch waren, so ging schon eine solche Wirkung davon aus, daß das Auge von der hölzernen Geschicklichkeit der früheren Werke Drownes abgezogen und auf das quälende Geheimnis dieser neuen Arbeit hingelenkt wurde.
Copley, der berühmte Maler, der damals ein junger Mensch war und in Boston wohnte, besuchte Drowne eines Tages. Er hatte so viel, wenn auch mittelmäßiges Talent in dem Bildschnitzer erkannt, daß ihn das, ohne weiteres berufliches Interesse dazu veranlaßte, seine Bekanntschaft zu pflegen. Als er die Werkstatt betrat, warf der Künstler einen Blick auf das unbewegliche Gesicht des Königs, der Feldherrn, der Damen und der allegorischen Figuren, die alle umherstanden. Dem besten von ihnen hätte man das zweifelhafte Lob spenden können, daß es aussähe, als habe sich hier ein Lebender in Holz verwandelt, wobei nicht nur der physische, sondern auch der geistige und seelische Teil die törichte Wandlung mitgemacht habe. Aber nicht in einem Fall sah es so aus, als sei das Holz vom himmlischen Odem der Menschlichkeit durchtränkt. Wie groß ist da der Abstand, und wie weit hätte der kleinste Bruchteil solchen Verdienstes die höchste Vollendung in der anderen Richtung überragt!
»Freund Drowne,« sagte Copley und lächelte bei sich, spielte aber auf die handwerksmäßige und hölzerne Geschicklichkeit an, die alle Bilder gleichmäßig auszeichnete, »Ihr seid wirklich ein denkender Mensch! Ich habe selten einen Mann Eures Berufes getroffen, der das fertiggebracht hätte. Es fehlt nur wenig, und diese Figur General Wolfes zum Beispiel wäre ein atmendes und denkendes Lebewesen.« »Ihr wollt mich glauben machen, daß Ihr mir ein hohes Lob spendet, Mister Copley,« antwortete Drowne und wandte sich mit offensichtlicher Geringschätzung von der Figur Wolfes ab. »Aber es ist eine Erleuchtung über mich gekommen. Ich weiß, so gut wie Ihr es wißt, daß das eine, was noch fehlt, wie Ihr sagt, das einzig wirklich Wertvolle ist, und ohne das sind alle meine Arbeiten nur wertlose Fehlgeburten. Zwischen ihnen und den Werken eines begnadeten Künstlers besteht der gleiche Unterschied wie zwischen einem schlechten Aushängeschild und einem Eurer besten Bilder.« »Wie seltsam!« rief Copley und sah ihm ins Gesicht, das jetzt, wie es dem Maler vorkam, von auffallender Geistestiefe sprach, wo es sich doch bisher nicht sehr von seiner hölzernen Bildfamilie ausgezeichnet hatte. »Was ist über Euch gekommen? Wie ist es nur gleich, daß Ihr bei solcher Einsicht, wie Ihr sie eben ausspracht, nur Werke wie diese hervorbringt?«
Der Bildschnitzer lächelte, antwortete aber nicht. Copley wandte sich wieder den Bildnissen zu. Er meinte, daß das Bewußtsein der Unzulänglichkeit, das bei einem rein mechanischen Arbeiter so selten zu finden ist, sicher ein Talent verbürgen müsse, dessen Anzeichen man übersehen hatte. Aber nein; keine Spur davon war zu entdecken. Er war beim Weggehen, als sein Blick zufällig auf eine halbausgearbeitete Figur fiel, die in einer Ecke der Werkstatt inmitten verstreuter Eichenspäne lag. Sie fesselte ihn sofort. »Was ist das hier? Wessen Arbeit ist dies?« rief er plötzlich, nachdem er sie einen Augenblick lang in sprachloser Verwunderung bestaunt hatte. »Hier ist das Göttliche, das Lebenspendende! Welche begnadete Hand läßt dieses Holz zum Leben auferstehen? Wessen Werk ist das?« »Keines Menschen Werk,« erwiderte Drowne, »die Gestalt liegt in diesem Eichenklotz verborgen, und meine Aufgabe ist es, sie herauszufinden.« »Drowne,« sagte der wahre Künstler und faßte begeistert des Bildschnitzers Hand, »Ihr seid ein Genie!«
Als Copley fortging und sich zufällig an der Schwelle umwandte, sah er, wie Drowne sich über die halbfertige Gestalt beugte und die Arme breitete, als wolle er sie umarmen und ans Herz ziehen; sein Gesicht drückte dabei Leidenschaft genug aus, daß es dem leblosen Eichenholz Wärme und Gefühl hätte einhauchen können, wenn solch ein Wunder möglich gewesen wäre. ›Zu seltsam!‹ sagte der Künstler zu sich selber, ›wer hätte einen modernen Pygmalion in der Gestalt eines amerikanischen Handwerkers erwartet!‹
Bis jetzt war das Bild noch undeutlich in seinen äußeren Umrissen, so daß man wie in den Wolkenbildungen um die untergehende Sonne mehr fühlte oder sich vorstellen konnte, was daraus werden sollte, als daß man es wirklich sah. Tag für Tag jedoch wurde die Arbeit klarer, und die verschwommenen und regellosen Umrißlinien fügten sich zu deutlicher Anmut und Schönheit. Der wesentliche Plan war jetzt für jeden ersichtlich. Es war eine weibliche Gestalt in einem scheinbar ausländischem Gewand. Das Kleid war über der Brust verschnürt und vorne offen, so daß es einen Rock oder ein Unterkleid sehen ließ, dessen unregelmäßige Falten bewundernswert in dem hölzernen Material wiedergegeben waren. Sie trug einen eigenartig anmutigen Hut, überreich mit Blumen geziert, wie sie nie auf dem rauhen Boden Neuenglands wuchsen, die aber in all ihrer phantastischen Fülle so naturgetreu aussahen, daß es unmöglich schien, daß selbst die fruchtbarste Einbildungskraft sie so hätte schaffen können ohne wirkliche Vorbilder. Verschiedene Kleinigkeiten an der Kleidung hätte man alle für unter der Würde des Bildhauers halten können: einen Fächer, ein Paar Ohrringe, eine Kette am Hals, eine Uhr an der Brust und einen Ring am Finger. Sie waren aber mit soviel Geschmack angebracht, wie eine hübsche Frau nur in ihrer Kleidung beweisen kann, und konnten daher nur einen Beschauer zur Kritik reizen, der in toten Kunstregeln gefangen war.
Das Gesicht war noch unvollendet. Aber allmählich, wie durch zauberhafte Berührung, strahlte Geist und Gefühl aus den Zügen, ganz als ströme Licht aus dem Innern des harten Eichenholzes heraus. Das Gesicht wurde lebendig. Es war schön, wenn auch nicht ganz regelmäßig, und etwas hochmütig. Aber es lag ein gewisser Reiz um Mund und Augen, von dem man am wenigsten von allem geglaubt hätte, daß man ihn auf einem hölzernen Gesicht zum Ausdruck bringen könnte. Und nun war dies wunderbare Werk fertig, soweit die Bildhauerei dabei in Betracht kam.
»Drowne,« sagte Copley, der kaum einen Tag seine Besuche in der Werkstatt unterlassen hatte, »wenn dieses Werk in Marmor ausgeführt wäre, würde es Euch mit einem Schlage berühmt machen; ja, ich möchte fast behaupten, es würde eine neue Epoche in der Kunst herbeiführen. Es ist so vollkommen wie eine antike Statue, und doch so wirklich wie jede leibliche Frau, die man am Kamin oder auf der Straße treffen kann. Aber ich hoffe, Ihr wollt diese ausgezeichnete Schöpfung nicht durch Malerei entweihen, wie dort die grellen Könige und Admirale?«
»Nicht bemalen?«, rief Kapitän Hunnewell, der dabei stand, »die Gallionsfigur der Cynosure nicht bemalen? Und was für eine Rolle sollte ich in einem fremden Hafen spielen, mit so einem unbemalten Stück Eichenholz überm Bug wie das da? Sie muß und soll lebensgetreu bemalt werden, von der obersten Blume auf ihrem Hut bis zu den Silberspangen auf den Schuhen.«
»Herr Copley,« sagte Drowne ruhig, »ich verstehe nichts von Marmorbildern und den Kunstregeln der Skulptur. Aber von diesem hölzernen Bildnis – diesem Werk meiner Hände – diesem Geschöpf meines Herzens« – und hier zitterte und versagte seine Stimme ganz sonderbar – »davon, von ihr, verstehe ich doch wohl etwas. Ein Born innerer Weisheit sprudelte in mir, als ich mit aller Kraft, mit ganzer Seele und innigem Glauben an der Eiche arbeitete. Andere mögen mit dem Marmor anfangen, was ihnen beliebt, und sich nach soviel Regeln richten, wie sie wollen. Wenn ich die gewünschte Wirkung in gemaltem Holz erreichen kann, so gelten diese Regeln nicht für mich, und ich habe das Recht, sie zu mißachten.« ›Ganz die Gesinnung des Genies!‹ dachte Copley bei sich. ›Wie könnte sich sonst dieser Bildschnitzer berufen fühlen, alle Regeln zu durchkreuzen und mich zu beschämen, wenn ich sie erwähne!‹
Er blickte Drowne ernsthaft an und bemerkte wieder jenen Ausdruck der Menschenliebe, die, auf übersinnliche Weise, wie der Künstler unwillkürlich fest glaubte, das Geheimnis des Lebens einschloß, das diesem Holzblock eingehaucht war.
Dann ging der Bildschnitzer dazu über, mit derselben Heimlichkeit, die alles kennzeichnete, was er an diesem geheimnisvollen Bilde vornahm, die Kleider in den entsprechenden Farben und das Gesicht in natürlichem Rot und Weiß zu bemalen. Als alles fertig war, öffnete er seine Werkstatt und ließ die Leute aus der Stadt sehen, was er gemacht hatte. Die meisten Leute glaubten im ersten Augenblick, sie müßten den Hut abnehmen und der reichgekleideten, schönen jungen Dame die gebührende Ehre erweisen, die da in einer Ecke des Zimmers zu stehen schien mit Eichensplittern und Spänen ringsum. Dann kam ein Angstgefühl. Da sie kein wirklicher Mensch war und doch so menschlich aussah, mußte sie ein übernatürliches Wesen sein. Es lag tatsächlich etwas so undefinierbares in Haltung und Ausdruck, daß die Frage ganz berechtigt schien, wer diese Tochter der Eiche sei und aus welcher Sphäre sie komme. Die seltsamen, üppigen Blumen aus dem Garten Eden auf ihrem Haupte, die Hautfarbe, die soviel tiefer und strahlender schien als die der Schönheiten unseres Landes, das scheinbar fremdländische phantastische Gewand, das doch nicht zu auffallend war, als daß man es nicht auf der Straße hätte tragen können, die kunstvoll gearbeitete Stickerei des Kleidersaumes, die breite Goldkette um den Hals, der sonderbare Ring am Finger, der Fächer in seiner Durchbrucharbeit mit einer Bemalung, die ihn Perlmutt und Elfenbein gleichsehen ließ – wo konnte Drowne auf seinem nüchternen Lebenswege der Erscheinung begegnet sein, die hier so unvergleichlich verkörpert war! Und dann das Gesicht! In den dunklen Augen und um den sinnlichen Mund spielte ein Ausdruck von Stolz und Koketterie und ein Schimmer von Belustigung, der Copley die Idee aufdrängte, daß das Bild sich heimlich lustig mache über seine und der andern Beschauer verblüffte Bewunderung.
»Und Ihr wollt zugeben,« sagte er zu dem Schnitzer, »daß dieses Meisterstück die Gallionsfigur eines Schiffes wird? Gebt doch dem guten Kapitän die Britannia dort – sie wird seinen Zwecken viel besser entsprechen – und sendet diese Elfenkönigin nach England, wo sie Euch, wenn mich nicht alles täuscht, mindestens tausend Pfund einbringen kann.« »Ich habe sie nicht für Geld gearbeitet,« sagte Drowne. ›Was ist das für ein Mensch?‹ dachte Copley. ›Ein Yankee, der die Möglichkeit, sein Glück zu machen, von sich weist! Er ist verrückt geworden; und daher ist auch diese geniale Erleuchtung gekommen.‹ Es gab noch mehr Beweise für Drownes Irrsinn, wenn man dem Gerücht glauben durfte, daß man gesehen hatte, wie er vor der hölzernen Dame niederkniete und in leidenschaftlicher Verliebtheit das Gesicht betrachtete, das seine eigenen Hände geschaffen hatten. Die Abergläubigen deuteten an, daß man sich nicht wundern dürfe, wenn ein böser Geist in die schöne Gestalt führe und den Bildschnitzer durch ihre Verführungskünste verderbe. Der Ruf des Bildes drang weit umher. Die Bürger kamen so allgemein, daß nach wenigen Tagen der Ausstellung kaum noch ein Kind oder alter Mann da war, der nicht bis ins kleinste darüber Bescheid wußte. Wäre die Geschichte von Drownes hölzernem Bildnis hier zu Ende, dann hätte seine Berühmtheit noch lange Jahre angedauert durch die Erinnerung derer, die es in der Kindheit angeschaut hatten und die im späteren Leben nie wieder etwas so Schönes sahen. Aber die Stadt wurde jetzt durch ein Ereignis in Aufregung versetzt, das zur Bildung einer der eigenartigsten Legenden beitrug, die noch heute in den berühmten Kaminecken der Hauptstadt Neuenglands erzählt wird, wo alte Männer und Frauen von der Vergangenheit träumen und über die Träumer der Gegenwart und Zukunft das Haupt schütteln. Eines schönen Morgens, gerade vor der zweiten Abreise der Cynosure nach Fayal, sah man den Kapitän des schmucken Schiffes aus seiner Wohnung in der Hannoverstreet herauskommen. Er war vornehm gekleidet in blauen Tuchrock mit goldener Tresse an den Säumen und Knopflöchern, scharlachroter, gestickter Weste, Dreimaster mit breiter Goldschnur und an der Seite ein Hirschfänger mit silbernem Griff. Aber der gute Kapitän hätte in den Gewändern eines Fürsten oder in den Lumpen eines Bettlers auftreten können und wäre doch in keinem Falle beachtet worden, da er völlig verdunkelt wurde von seiner Begleiterin, die sich auf seinen Arm stützte. Die Leute auf der Straße fuhren herum, rieben sich die Augen und sprangen entweder beiseite oder standen vor Erstaunen still wie in Holz oder Marmor verwandelt. »Seht Ihr? – Seht Ihr es?« rief einer, zitternd vor Eifer. »Es ist sie selber!« »Sie selber?« antwortete ein anderer, der erst am Abend vorher in die Stadt gekommen war. »Wen meint Ihr? Ich sehe nur einen Kapitän, der sich landfein gemacht hat, und eine junge Dame in fremdländischer Kleidung mit einem schönen Blumenstrauß auf dem Hute. Bei Gott, sie ist ein so strahlend hübsches Dämchen, wie meine Augen schon lange nicht gesehen haben!« »Ja, sie! – ganz genau sie!« wiederholte der andere; »Drownes hölzernes Bildnis ist lebendig geworden!« Das war wirklich ein Wunder! Aber im Licht des Sonnenscheins oder verdunkelt vom wechselnden Schatten der Häuser ging das Bildnis die Straße entlang, und seine Kleider flatterten leicht im Morgenwind. Es war peinlich genau die Gestalt, das Kleid und das Gesicht, vor dem sich erst so kürzlich die Leute aus der Stadt bewundernd gedrängt hatten. Nicht eine der üppigen Blumen auf ihrem Kopf, nicht ein einziges Blatt war da, das nicht sein Gegenstück gehabt hätte in Drownes hölzerner Geschicklichkeit. Aber jetzt war ihre zarte Anmut beweglich und neigte sich bei jedem Schritt der Trägerin. Die breite Goldkette am Halse stimmte genau mit der des Bildnisses überein und erglänzte, wenn die Brust, die sie schmückte, sich hob oder senkte. Ein echter Diamant glänzte an ihrem Finger. In der rechten Hand trug sie einen Perlmutt- und Ebenholzfächer, den sie mit bezaubernder Koketterie schwenkte, die sich auch in all ihren anderen Bewegungen ausdrückte, sowie im Stil ihrer Schönheit und der Kleidung, die ihr so gut angepaßt war. Das Gesicht in seinen strahlenden Farben trug den gleichen Reiz heiteren Unfugs, der auch auf dem Anstrich des Bildes lag; hier aber war er wechselvoll und stets verschieden und doch im Grunde immer gleich, wie der Sonnenglanz auf einem sprudelnden Brunnen. Über der ganzen Erscheinung lag etwas so Feenhaftes und doch wieder Wirkliches, und sie gab Drownes Bildnis so vollkommen wieder, daß die Leute nicht wußten, ob sich das zauberhafte Holz in einen Geist verflüchtigt oder zu einer wirklichen Frau geschmiegt und belebt hatte. »Eins ist gewiß,« murmelte ein echter alter Puritaner, »Drowne hat sich dem Teufel verschrieben, und zweifellos spielt dieser lustige Kapitän Hunnewell eine Rolle bei dem Handel.« »Und ich,« sagte ein junger Mann, der ihnen zuhörte, »wäre fast bereit, das dritte Opfer zu sein, wenn ich dafür diese lieblichen Lippen küssen dürfte.« »Ich auch,« sagte der Maler Copley, »wenn ich dafür ihr Bildnis malen könnte.« Das Bild, oder die Erscheinung, was es nun sein mochte, ging weiter unter dem Schutz des wackeren Kapitäns, aus der Hannoverstraße durch einige der Querstraßen, die dieses Stadtviertel so verworren machen, in die Annengasse, dann über den Anlegeplatz zur Werkstatt Drownes, die dicht am Wasser stand. Die Menge folgte noch immer und wurde größer unterwegs. Niemals war in neuer Zeit bei so hellem Tageslicht und vor so viel Zeugen ein Wunder geschehen. Als ob sie sich bewußt sei, der Gegenstand des Geflüsters und der Aufregung hinter ihr zu sein, schien die luftige Gestalt leicht gequält und verwirrt, aber doch nur so, wie es sich mit der Lebhaftigkeit und leisen Freude am Unfug vertrug, die ihr im Gesicht geschrieben standen. Man sah, wie sie so heftig den Fächer schwenkte, daß sein zarter Bau nicht standhielt, und er zerbrach in ihrer Hand. Als sie vor Drownes Tür angekommen waren, die der Kapitän aufstieß, blieb die wundersame Erscheinung einen Augenblick auf der Schwelle stehen, nahm genau die Stellung des Bildes an und warf den gleichen ein wenig koketten Blick über die Menge, den sie alle an der Dame aus Eichenholz kannten. Darauf verschwand sie mit ihrem Begleiter.
»Ah,« murmelte die Menge, und alles atmete tief, wie aus einer großen Lunge. »Die Welt sieht dunkler aus jetzt, wo sie verschwunden ist,« sagten ein paar junge Leute. Aber die alten, deren Erinnerungen noch bis in Hexenzeiten zurückreichten, schüttelten die Köpfe und deuteten an, daß unsere Vorfahren es sicher für eine fromme Tat gehalten hätten, die Tochter der Eiche zu verbrennen. »Wenn sie etwas anderes ist als leerer Schein,« rief Copley, »muß ich ihr noch einmal ins Gesicht sehen!« Daraufhin trat er in die Werkstatt. Und da stand das Bildnis in der gewohnten Ecke und schaute ihn, wie es schien, mit genau dem gleichen Ausdruck heiteren Mutwillens an, der auch der Abschiedsblick der Erscheinung gewesen war, als sie, vor einem Augenblick erst, sich der Menge zugewandt hatte. Der Bildschnitzer stand vor seinem Werk und besserte den schönen Fächer aus, der durch irgendeinen Zufall zerbrochen war. Aber es war keine Bewegung mehr in dem naturgetreuen Bilde – auch keine wirkliche Frau in der Werkstatt, nicht einmal ein zauberischer Sonnenschatten, der die Augen der Menschen geblendet haben konnte, als er über die Straße huschte. Auch Kapitän Hunnewell war verschwunden. Aber seine rauhe Seemannsstimme hörte man hinter einer Tür, die nach dem Wasser zu führte. »Setzt Euch auf den Achtersitz, Gnädigste,« sagte der Kapitän ritterlich. »Hallo, rührt euch, ihr Schlingel, und bringt uns an Bord bis ich drei zähle!« Dann hörte man Ruderschläge. »Drowne,« sagte Copley mit verständnisvollem Gesicht, »Ihr habt wirklich Glück gehabt. Welcher Maler oder Bildhauer hatte je solch ein Modell! Kein Wunder, daß sie das Genie in Euch weckte und den Künstler schuf, der dann ihr Bildnis schaffen konnte.« Drowne sah ihn mit Augen an, in denen noch Tränen glänzten, aber das Licht der Phantasie und künstlerischen Empfindens, das noch so kurz vorher darin geleuchtet hatte, war erloschen. Er war wieder der mechanische Bildschnitzer, als den man ihn sein Leben lang gekannt hatte. »Ich weiß nicht recht, was Ihr meint, Herr Copley,« sagte er und fuhr sich über die Stirn. »Dieses Bildwerk! habe ich das wirklich gemacht? Ja – dann habe ich es wie im Traum gemacht. Und jetzt, wo ich ganz wach bin, muß ich mich daran machen, den Admiral Vernon dort fertigzustellen.«
Und sofort beschäftigte er sich mit dem ausdruckslosen Gesicht eines seiner hölzernen Erzeugnisse und vollendete es ganz in seiner alten mechanischen Art; und man hat nie gehört, daß er später je wieder davon abgewichen sei. Viele Jahre lang ging er fleißig seinem Gewerbe nach, erwarb sich ein hinlängliches Auskommen, und im Alter gelangte er zu einer hohen Stellung in der Kirche, denn er wird in Berichten und Überlieferungen als »Diakonus Drowne, der Bildschnitzer« erwähnt. Eines seiner Erzeugnisse, ein ganz vergoldeter Indianerhäuptling, stand während der glücklicheren Zeit eines Jahrhunderts auf der Kuppel des Provinzhauses und blendete wie ein Sonnenengel die Augen aller, die hineinsahen. Ein anderes Werk des guten Diakons – ein verkleinertes Abbild unseres Freundes Kapitän Hunnewell mit Teleskop und Quadrant – kann man heute noch an der Ecke von Broad- und Statesstreet sehen, in der nützlichen Verwendung als Wahrzeichen eines Schiffsgerätemachers. Die Geringwertigkeit der seltsamen alten Figuren im Vergleich zu der Vorzüglichkeit der Dame aus Eichenholz läßt sich nicht anders erklären als durch die Annahme, daß in jedem Menschengeiste Phantasie, Empfindsamkeit, Schöpferkraft und Talent schlummert, die je nach den Umständen in dieser Welt zur Entwicklung gelangen oder hinter Stumpfheit versteckt auf einen andern Seinszustand warten. Unserem Freund Drowne war eine kurze Zeit der Erregung beschieden, die von der Liebe entfacht war. Sie machte bei dieser einen Gelegenheit ein Genie aus ihm, aber als die Enttäuschung kam, blieb er wieder der handwerksmäßige Holzschneider, der nicht einmal das Werk erfassen konnte, das seine eigenen Hände geschaffen hatten. Und doch – wer kann bezweifeln, daß der höchste Stand, den ein Menschengeist erreichen kann, in seiner kühnsten Sehnsucht der wahrste und natürlichste ist? Und daß Drowne ein harmonischerer Mensch war, als er die wunderbare Gestalt der geheimnisvollen Dame schuf, als wenn er eine ganze Brut von Dummköpfen verbrach?
Es ging in jener Zeit ein Gerücht um in Boston, daß eine vornehme junge Dame aus Portugal bei irgendeiner politischen oder häuslichen Aufregung aus ihrer Heimat in Fayal geflohen war und sich unter den Schutz des Kapitäns Hunnewell gestellt hatte, auf dessen Schiff und in dessen Hause sie Aufnahme fand, bis die Lage sich geändert hatte. Diese schöne Fremde muß das Urbild von Drownes hölzernem Bildnis gewesen sein.