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Nachdem Heinz dies Erlebnis überwunden hatte, erhob sich in ihm noch einmal so behend und tatendurstig der alte Lebensmut.
Es galt Geld herbeizuschaffen. Mit Hilfe seines wohlwollenden Naturgeschichtslehrers bekam er etliche Privatstunden. Außerdem stellte er für einen Rentner Kurse zusammen und ließ sich von einer alten Jungfer deren Familiengeschichte diktieren. Wenn Straßenkehren gut bezahlt worden wäre, hätte er auch das getan.
Bald waren seine Tage vollkommen ausgefüllt. Abends meldete sich dann freilich manchmal die Sorge. Er kam sich vor wie jemand, der atemlos auf den Straßen Steinchen zusammenliest, um sich ein Haus davon zu bauen.
Doch ließ er diese Verzagtheit niemanden merken, weder seine Eltern noch Irmgard, an die er immer vergnügte und zuversichtliche Briefe schrieb. Und auf dem grünen Grund seiner Seele hoffte er auch noch auf ein Wunder.
Von den Guhnottkindern erfuhr er nichts. Zwar war ausgemacht worden, daß sie ihn während der Ferien mit ihrem Auto zu einer Rheinreise abholen wollten, doch schienen sie dies vergessen zu haben. Heinz war es recht so.
Da teilte eines Nachmittags seine Mutter ihm mit, daß soeben Viktor dagewesen sei und gebeten habe, Heinz möge doch gleich ins Hotel kommen. Die verabredete Reise sollte am nächsten Morgen angetreten werden.
Heinz wollte zuerst absagen, aber seine Eltern redeten ihm freundlich zu, die Einladung anzunehmen. Und da es sich um einen Sonnabend und Sonntag handelte, er auch wußte, daß der Geheimrat selbst sich in den Alpen befand, so schlug er seine Bedenken nieder.
In der Frühe fuhren die vier mit der Bahn nach Bonn, wo das Auto sie erwartete.
So herrlich das Wetter war, so beglückt Heinz sich fühlte, endlich den Rhein kennen zu lernen, die Fahrt selbst machte ihm nur mäßiges Vergnügen.
Viktor hielt es für seine Pflicht, als Mann, der Frankreich, Italien und Spanien kannte, alles kitschig zu finden: diese Maulwurfshügel von Bergen, diese besoffene Rheinweinpoesie, diese üble Ritterromantik.
Frau Guhnott zankte sich fortwährend mit ihren Sprößlingen, und Heinz wurde dann aufgefordert, den Schiedsrichter zu spielen oder zu erklären, daß er noch nie so ungezogene und rücksichtslose Kinder gesehen hätte wie die beiden.
Während der Wagen leise federnd, in mäßigem Tempo den Strom entlang rollte, der in der windstillen Herbstklarheit wie eine breite, grausilbrige Spiegelscheibe dalag aus der die grünen Rebenhänge und die burgengekrönten Schroffen hervortauchten, beneidete er oft die harmlosen Touristen, die, mit ihrem Ränzel auf dem Rücken, stillvergnügt oder fröhlich singend ihre Straße zogen.
Der einzige gute Reisekamerad war Margot. Jetzt, wo diese keine Konkurrenz zu fürchten hatte, gab sie sich in harmloser Natürlichkeit, klug und ernst, mit Nachsicht gegen ihre Mutter, mit überlegenem Spott gegen ihren Bruder, mit einem verhaltenen Unterton von Herzlichkeit gegen Heinz selbst.
In diesen wenigen Tagen gewann dieser sie geradezu lieb.
Am Abend des dritten Tages – denn am Sonntag hatte man Heinz trotz seines Drängens nicht fortgelassen, – machten die beiden noch einen kurzen Spaziergang und ließen sich am Rain eines verlassenen Weinbergs zwischen duftendem Thymian und wilder Zichorie nieder.
Lastschiffe schwammen gewichtig und stolz den Strom hinunter, der wie silber- und golddurchwirkte Luft im Abendsonnenglanz funkelte. Personendampfer zogen vorüber. Von ihren schäumenden Rädern rauschten die weißen Wellenkämme gegen das Ufer, und die fröhlichen Rufe der Gäste vermischten sich mit dem Jauchzen der Schwimmer in den Badeanstalten.
Zum erstenmal seit langer Zeit durchströmte Heinz wieder ein freudiges und ganz freies Lebensgefühl, als wäre all sein Sehnen nicht erfüllt, wohl aber der Erfüllung nahe. Lange hatte er mit schweifenden Augen gelegen, nun richtete er lächelnd den Blick auf Margot, deren sonst so trockenes Augenrund jetzt ein feuchter Schimmer überzog.
»Woran haben Sie gedacht?« fragte sie.
»An alles und nichts. Meine Gedanken schossen mit den Schwalben zum Himmel auf, schwammen mit den Schiffen ins Weite und quietschten um die Wette mit den badenden Jungs.«
»An Irmgard haben Sie nicht gedacht?«
Er richtete sich auf, errötend.
»In diesem Augenblick nicht.«
»In diesem Augenblick nicht ...,« wiederholte sie und stieß einen leisen Seufzer aus. »Heinz, sprechen wir uns doch mal aus. Sie lieben Irmgard, und Irmgard liebt Sie. Das ist eine Tatsache. Es hat mir etwas Mühe gekostet, sie zu begreifen. Mal dachte ich ja, es könnte anders sein, und war dann wohl ... sagen wir, ein klein bißchen eifersüchtig. Aber das ist nun vorbei.«
Sie krauste die zuckenden Lippen zu einem Lächeln.
»Für eine unglückliche Liebe bin ich, offen gestanden, zu nüchtern. Aber Freunde sollten wir werden, Heinz.«
»Das ist auch mein Wunsch.«
Sie reichte ihm die Hand hin und murmelte:
»Mein lieber, guter Freund.«
»Meine liebe, reizende Freundin.«
»Reizend ist eine andere. Aber treu will ich dir sein. In allen guten und bösen Stunden.«
»Ich dir auch. Wenn du mich brauchst, rufe mich.«
»Ich brauche dich schon jetzt. Ja, Heinz, ich muß unsere Freundschaft gleich in dieser Stunde auf die Probe stellen. Ich habe eine große Bitte an dich.«
»Was denn?«
»Du warst in den letzten Tagen nicht so vergnügt wie sonst. Und ich weiß auch warum. Du machst dir Sorgen wegen deiner Zukunft.«
»Ja, da hast du recht. Aber es wird schon werden.«
»Sicher! Du bist ganz und gar ein Mensch, der sich aus eigener Kraft durchsetzt. Aber mit welcher Mühe! Mit welcher Kraftverschwendung, die du auf Besseres verwenden kannst. Darum erlaube mir, dir zu helfen. Mama will dir die Mittel zu deinem Studium schenken. Nein, nicht schenken, sondern borgen auf unbestimmte Frist. Es ist meine Idee, ich habe mit Viktor und Mama schon darüber gesprochen. Mama ist schon ganz glücklich bei dem Gedanken.«
»O, Margot, das – das kann ich nicht annehmen,« stammelte er verwirrt.
»Dacht' ich's doch! Da ist schon dein elender, törichter Stolz!«
»Nein, nicht Stolz. Wirklich nicht! Ich kann's dir nicht sagen.«
Er dachte an Guhnott – seinen Vater. Es erschreckte ihn geradezu, die verschmähte Hilfe nun auf diesem Umweg doch anzunehmen.
»Heinz, ich weiß wirklich nicht, was du dagegen haben kannst. Du tust direkt ein gutes Werk damit. Du weißt vielleicht, oder nicht, daß Mama sehr vermögend ist. Aber da Papa, ich habe keine Ahnung, aus welcher Laune, darauf besteht, daß die ganzen Kosten des Haushalts aus seinem Verdienst bestritten werden, so weiß Mama einfach nicht, wohin mit ihren Zinsen. Große Summen werden ihr von unwürdigen Menschen abgeschwindelt. Laß etwas wenigstens einem Würdigen zugute kommen!«
Er schwieg noch immer, wenn er auch einsah, daß durch diese letzten Worte das Anerbieten ein anderes Gesicht bekam.
»Übrigens sollst du dies Darlehn nicht einmal umsonst bekommen. Mama hat schon einen Plan mit dir. Viktor will diesen Winter doch nach Berlin. Da möchte Mama, daß du ebenfalls dein Studium dort fortsetzest und dich etwas um ihn kümmerst. Das soll natürlich nicht irgendwelche Pflicht einschließen. Sie meint nur, durch deinen Umgang würde er von schlechter Gesellschaft abgehalten. Heinz, nun sei nicht verstockt! Zeige, daß du mein Freund bist!«
»Ihr seid so großmütig,« stammelte er. »Und ich will gewiß nicht verstockt sein. Aber laß mir Zeit! Ich muß erst meine Eltern fragen.«
»Kannst du deine Angelegenheiten nicht selbst entscheiden?«
»Diese betrifft doch auch meinen Vater. Noch einmal, laß mir Zeit! Und, Margot, ob ich dein Geschenk annehme oder nicht, ich werde dir immer dafür dankbar sein.«
Sie drang noch weiter in ihn, aber er blieb fest. Am nächsten Tag reiste er nach Hause.
Beinahe gleichzeitig traf ein Brief von Frau Guhnott ein, worin sie mit herzlichen Worten das Anerbieten ihrer Tochter wiederholte. Von ihrem Mann war nicht die Rede. Sondern sie bot das Geschenk dem Freund ihrer Kinder an.
Zu Heinzens Erstaunen äußerten seine beiden Eltern die bestimmte Meinung, daß er es mit gutem Gewissen annehmen könnte. Da erschienen auch ihm seine Bedenken grundlos.
So war das Wunder doch noch eingetroffen.