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16.

Als Guhnotts nach Berlin übersiedelten, hatte Heinz gerade sein Staatsexamen gemacht. Sie bezogen ein der Frau Guhnott gehöriges Haus in der Regentenstraße.

Bald nach Neujahr gab das Ehepaar die erste große Gesellschaft. Eine Menge offizieller Persönlichkeiten mußte geladen werden, dazu die Kollegen des Geheimrats. Außerdem hatte Frau Guhnott zahlreiche Verwandte in Berlin, so daß sie trotz mehrerer Absagen immerhin noch über hundert Gäste zu bewirten hatten.

Guhnott selbst kümmerte sich wenig um die Vorbereitungen. Es war ein Zufall, daß er sich bei Beratung der Tischordnung erkundigte, wer Margots Nachbar sein werde.

»Sie hat sich Doktor Tann ausgebeten,« erwiderte seine Frau leichthin.

»Doktor Tann? Heinz?«

Guhnott fuhr sich über die gefurchte Stirn, hinter der neuerdings sich die sorgenden Gedanken zahlreicher denn je jagten.

»Entschuldige, meine Liebe, aber der Mensch kommt mir nicht ins Haus.«

»Warum denn nicht? Du scheinst dich wieder einmal um das, was in deiner Familie passiert, nicht im geringsten gekümmert zu haben. Heinz war schon wiederholt unser Gast.«

»Wenn ihr ihn bei euch seht, ohne daß ich davon weiß, so ist das eure Sache. Aber eine Einladung in meinem Namen bekommt er nicht. Verstanden?«

Dabei erhob er sich aus dem Sessel, trat mit der Liste der Geladenen ans Fenster und durchstrich den einen Namen.

»Sage Margot, daß sie sich einen andern Tischherrn aussucht!«

Bis jetzt hatte die Unterhaltung beim schneegrauen Dämmerlicht einer winterlichen Spätnachmittagsstunde stattgefunden, das die mit resedagrünem Damast ausgeschlagenen Wände fast schwarz erscheinen ließ. Nun drehte Guhnott unwillkürlich das elektrische Licht an, als müsse er bei der jetzt folgenden Auseinandersetzung seiner Frau ins Auge sehen können.

Während er auf dem schmalen S-förmigen Gang, den die Möbel freiließen, auf und ab ging, fuhr er erregt fort:

»Übrigens ist das doch wirklich ein starkes Stück. Ihr verkehrt ohne mein Wissen mit diesem Menschen, der für mich abgetan ist, weiter. Und dann machst du mir noch den Vorwurf, ich kümmere mich nicht um das, was ihr treibt. Es ist doch nicht meine Schuld, daß mein Beruf mich den ganzen Tag in Anspruch nimmt. Aber habe ich mich nicht jeden Tag erkundigt und dich gebeten, mir alles zu erzählen? Von wem gehen denn diese Heimlichkeiten und Absonderungen aus? Doch nur von dir und den Kindern.«

Ohne auf diesen Vorwurf zu antworten, fragte Frau Guhnott höhnisch:

»Was hast du übrigens gegen Heinz? Sein ganzes Verbrechen ist doch nur, daß er treu zu mir und den Kindern hält.«

Guhnotts zuerst betroffener Gesichtsausdruck schloß sich zusammen zu einem finsteren, tiefdringenden Blick.

Manchmal lag jetzt in den Worten seiner Frau eine so gehässige Bosheit, als spräche nicht sie, sondern Margot.

»Ja,« sagte er bitter. »Euch ist er treu geblieben, weil er Vorteil von euch hatte. Dafür aber hat er ein armes Mädel verraten, das ihm nichts geben konnte als sich selbst.«

Frau Guhnotts Augen füllten sich mit Tränen.

»Ach, du!« murmelte sie, zugleich furchtsam und drohend. »So bist du nun. Erst hast du Viktors Lebensglück zerstört, nun willst du auch noch Margot unglücklich machen.«

Guhnott ließ sich in einen Stuhl nieder, seiner Frau gegenüber.

»Was heißt das?«

Sie antwortete nicht.

»Willst du damit sagen, daß ich Viktors Werbung hintertrieben habe? Das war, weiß Gott, nicht nötig. Ich hatte dir doch von vornherein davon abgeraten, da ich wußte, daß Irmgard nicht das geringste für ihn empfindet. Aber was heißt denn das andere?«

»Margot liebt ihn eben!« schluchzte Frau Guhnott.

»Wen?«

»Den Doktor Tann.«

So! Darum!«

Guhnott atmete schwer auf.

»Der Junge will ja hoch hinaus. Und genügend skrupellos ist er auch.«

Also auch den hatten sie sich mit ihrem Gelde erkauft. Und mit besserem Erfolg als Irmgard.

Ein tiefer Ekel, eine tiefe Müdigkeit überkamen ihn.

»Das ist der Grund, warum ich möchte, daß er auch offiziell bei uns verkehrt,« sagte Frau Guhnott.

Es war dieselbe hoffnungslos starrende Mauer, vor der er wieder stand. Geld! Geld! Geld! ... In diesem Augenblick waren ihm seine Frau, seine Kinder so fremd, als wären sie Bewohner anderer Welten. Mochten sie's treiben nach ihrem Sinn. Er gab den Kampf um eine Verständigung auf. Auf ihm lasteten die Sorgen ohnehin bergehoch. Die verdreifachten Anstrengungen, die seine neue Stellung mit sich brachte, als Chirurg von Weltruf, seine Professur und die kaum zu bewältigende Privatpraxis. Und dazu der still, aber unaufhörlich rinnende Gram, daß er die, die in der zwiefachen Eigenschaft eines Kindes und einer ersehnten Geliebten von seinem Herzen Besitz genommen hatte, hilflos in der Einsamkeit hatte zurücklassen müssen, ohne ihr auch nur durch ein tröstliches Wort, durch einen teilnehmenden Händedruck beistehen zu können.

»Meinetwegen!« murmelte er, indem er sich erhob. »Tut, was euch recht scheint! Nur sorge dafür, daß dieser Mensch nicht mit mir in Berührung kommt!«

So bekam Heinz eine Einladung.

Er las sie, und die erste Empfindung seines von Mißtrauen zernagten Herzens war, sie abzulehnen. Dann aber brach aus einem unversehrten Winkel doch die Hoffnung von neuem hervor.

Er las sie wieder.

»Der Geheime Medizinalrat Dr. Guhnott und Frau geben sich die Ehre ...«

In allen seinen bitteren Gedanken hatten Guhnott und Irmgard sich unauflöslich verknüpft. Beide hatten ihn ja in derselben Stunde ausgelöscht, hatten ihn genommen und beiseite getan wie eine Schachfigur: Du spielst nicht mehr mit. Du existierst nicht mehr.

Und nun ... Was war geschehen? Was hatte sich geändert? Warum steckte Guhnott plötzlich die Hand nach ihm aus? Oder ... hatte er ihn vielleicht niemals fallen lassen? Beruhte alles auf einem jener unseligen Zufälle, die aus winzigen Anlässen oft die schwersten Katastrophen herbeiführen?

Möglicherweise hatte Guhnott jenen Brief gar nicht bekommen. Hatte plötzlich aus Oberhof abreisen müssen. Das Schreiben war ihm nachgesandt und verloren gegangen.

Seine lange unterdrückte Sehnsucht war so stark, daß es nur dieses kleinen Anlasses bedurfte, um sie und mit ihr eine Lichtgarbe von Hoffnungen aufschießen zu lassen.

Er hatte etwas von einem Fiebernden, als er die aus unsichtbaren Lichtquellen sonnenhell bestrahlte Vorhalle betrat, in der es durcheinanderwogte von pelzvermummten Gestalten, ordenüberladenen Fräcken, blitzenden Waffenröcken, weißschimmernden Frauenschultern.

Heiße und kalte Ströme durchrieselten ihn. Bald aufwallendes Glück, bald fröstelnde Ahnung irgendeines unnennbaren Unheils.

Ein Diener half ihm beim Suchen der auf einem Malachittisch aufgestellten Karten. Seine Stimme klang unwillkürlich respektvoller, als er Margots Namen las.

»Hier, bitte, Herr Doktor, im kleinen Saal der La-France-Rosen-Tisch.« Eine Sekunde lang zögerte Heinz vor der Tür, wie im Schwindel. Dann aber dachte er: Was Teufel, bin ich denn nicht in meines Vaters Haus? Wer hat denn mehr Recht hier zu sein als ich?

Das gab ihm Haltung.

Den schlanken Rücken gestrafft, den Kopf hoch, über dem ernsten Grundton seines Gesichts den Hauch eines Lächelns – so glitt er gewandt durch die Menge.

Er hatte es nicht weit, da streckten sich ihm zwei Hände entgegen. Frau Guhnott begrüßte ihn mit mütterlicher Herzlichkeit und stellte ihn einigen Gästen als einen lieben, jungen alten Freund des Hauses vor.

Jetzt bemerkte er im Rahmen der Flügeltür auch Margot. Sie bot ihm ihr Profil, während sie sich lebhaft mit einigen jungen Herren unterhielt. Aber einem Unterkleid von weißem Stoff trug sie eine goldene Netztunika, die mit einem breiten Rand von Goldperlen eingefaßt war. Schnallen und Spangen von Brillanten und farbigen Edelsteinen waren überreichlich an ihrem Taillenausschnitt befestigt, selbst ihr kunstvoll gepufftes Haar war mit Brillantnadeln aufgesteckt. Aber in dieser kostbaren Kleidung wirkten die unschönen Verhältnisse ihres Gesichts, die zu hohe Stirn mit den dicken schwarzen Brauen und der aufgeworfene Mund nur noch auffallender.

Übrigens sprach sie mit lebhaften Gesten und, wie es schien, witzig, denn die drei Herren lachten wiederholt. Dazwischen lehnte sie sich mit gesuchter Vertraulichkeit an den Arm eines nicht mehr jungen Mädchens, dessen bescheidenes Kleid zu lose um die mit Salznäpfchen verzierten Schultern hing.

Nun warf sie einen unruhigen Blick durch das Zimmer und erkannte Heinz. Burschikos winkte sie ihm, indem sie am halb erhobenen Arm mit der Hand schlenkerte.

»Endlich. Ich dachte schon, du hättest uns über deiner Wissenschaft vergessen.«

»Du überschätzest mich. Ich war sogar auf dem Eis.«

»Pfui! Und mich telephonierst du nicht an. So geht's einem. Vorhin habe ich noch meiner Kusine – erlaube übrigens« – damit wandte sie sich an das ältliche Mädchen, das ihr gefolgt war – »Herr Doktor Tann, meine Kusine Anna Beulitz. Eben habe ich dich herausgestrichen, was für ein guter Kamerad du bist, und nun entpuppst du dich so!«

»Wenn ich gewußt hätte, daß du mitkämest ...«

»Denkst du vielleicht, weil wir heute abend Gäste haben, werde ich wie 'ne Geheimratstochter zu Hause hocken und meine Frisur schonen? Ich bin, weil ich mich mopste, mal wieder im Tattersall geritten.«

»Hast du den Achmed nun gekauft?« fragte die Kusine.

»Noch nicht. Baron Grunstedt rät mir mehr zu einer irischen Stute. Schließlich, Achmed ist ja bildhübsch. Aber so ein wohlerzogenes, lammfrommes Vieh, so eine vierbeinige Lebensversicherung behagt mir nicht. Übrigens, Kinder, wir erzählen uns hier was, dabei muß Heinz doch Leute kennen lernen. Wem soll ich dich vorstellen?«

»Wenn du nachher so gütig sein willst. Erst möchte ich deinem Vater guten Tag sagen.«

Ihre Augen flimmerten leicht in nervösem Schielen.

»Dann mach' schnell! Dahinten steht er, neben dem Minister.«

Wieder jagten, in ihrer Wirkung noch verstärkt, die beiden Ströme durch sein Inneres: die heiße Sehnsucht und die eisige Angst. Die Menschen verschwammen zur unterschiedslosen Menge. Er sah nur die eine hochragende Gestalt und das mächtige Haupt, dessen Antlitz voll Güte und Kraft die letzten Jahre mit einem Zug von Schwermut geprägt hatten. Neben dem Professor stand ein weißbärtiger Herr mit einem einsamen Ordensstern auf der Frackbrust und sprach lebhaft auf ihn ein:

»Guten Abend, Herr Geheimrat ...«

Mit freundlichem Lächeln wandte Guhnott sich um, ergriff lebhaft die ausgestreckte Hand, um sie aber im selben Augenblick, als er Heinz erkannt hatte, wieder fallen zu lassen. Ein hart ablehnender Ausdruck begleitete das trockene »Guten Abend«.

»Ich danke Ihnen für Ihre Einladung, Herr Geheimrat.«

»Keine Ursache. Sie sind der Gast meiner Frau.« Und Guhnott wandte sich wieder dem Minister zu. Heinz trat zurück, stieß eine Dame an, die sich ärgerlich umwandte, erblickte plötzlich lauter fremde und, wie ihn schien, höhnische Gesichter und hatte das Gefühl einer grenzenlosen, furchtbaren Isolierung, als stände er, von Hunderten angestiert, an einem Schandpfahl.

Da hörte er Worte, die ihm galten, sah Margot.

»Hast du ihm guten Tag gesagt?«

Er antwortete nicht.

»Was ist dir?«

Er versuchte zu lächeln.

»Nichts.«

»Doch. Du hast etwas.«

»Dein Vater ...«

»Gewiß hat er dich nicht erkannt,« flüsterte sie hastig.

»Mich nicht erkannt? Doch, doch! Gerade als er mich erkannte ...«

»Was hat er denn gesagt?«

Heinz überlegte. Erforderte es nicht seine Ehre, daß er augenblicklich dies Haus verließ? Nein! Nein! Er würde Guhnott stellen. Der mußte ihm Aufklärung geben.

»Was hat Papa dir gesagt?« fragte Margot wieder.

Sie fühlte, in diesem Augenblick stand ihr ganzes Spiel auf Messers Schneide. Um sich die prickelnde, törichte Sensation zu gönnen, dem Freund sich selbst und das ganze Haus in vollem Glanz zu zeigen, hatte sie diese Einladung erwirkt. Der ausgestellte Reichtum, die Vornehmheit der Gäste sollten ihm imponieren. Darum hatte sie's gewagt, trotz der Gefahr, in der Hoffnung, daß im gesellschaftlichen Gewoge die beiden sacht aneinander vorübergleiten würden. Nun war es doch zu einem Zusammenstoß gekommen.

»Er war doch nicht kühl zu dir?«

»Kühl? Ja ... ziemlich kühl. Oder sagen wir hundekalt. Ich will ihn doch mal fragen, was er gegen mich hat.«

»Aber nicht das geringste!«

»Ich wüßte auch nicht. Aber es interessiert mich, es zu erfahren.«

»Was willst du?«

»Ihn einfach fragen.«

»Heinz, tu's nicht! Ich bitte dich. Jetzt nicht. Er hat gerade eine wichtige Sache mit dem Minister zu besprechen.«

»Das wird ja nicht ewig dauern.«

»Ich flehe dich an, Heinz, warte bis nach dem Essen!«

Er schüttelte den Kopf.

»Ich muß wissen, ob ich überhaupt hier noch einen Bissen zu mir nehmen kann.«

»Was hat er dir denn gesagt?«

»Nichts weiter, als daß ich sein Gast überhaupt nicht sei, sondern nur der deiner Mutter.«

»Er ist verrückt! Heinz, ich gebe dir mein Ehrenwort, du sollst volle Genugtuung haben. Ich werde dafür sorgen, daß du morgen vormittag eine Unterredung mit ihm hast. Hier im Haus. Nur jetzt nicht. Nur jetzt laß ihn in Ruhe! Sonst kommt's zu einem Skandal.«

»Von meiner Seite gewiß nicht.«

»Wer von seiner. Er ist ja vollständig unzurechnungsfähig in seiner Nervosität. Frag' nur Mama!«

Obwohl Heinz auf seiner Absicht beharrte, in diesem Augenblick wurde ihm die Ausführung unmöglich gemacht, denn man begann zu Tisch zu führen.

Während er Margots Arm nahm, sagte diese:

»Heinz, komm' morgen zu uns! Dann wird Papa sich bei dir entschuldigen, und alles wird sich aufklären. Nur vermeide heute abend einen Skandal!«

»Gut. Daran ist mir natürlich nichts gelegen. Wann soll ich bei euch sein?«

Sie überlegte einen Augenblick.

»Morgen mittag um eins.«

In dem hellen oktogonen Saal strahlten geschliffene Spiegelscheiben, zwischen denen zarte französische Malereien des achtzehnten Jahrhunderts eingelassen waren, das bunte Bild der blumengeschmückten Tische in endloser Folge wider. Nur Rosen waren zum Schmuck verwandt worden. Stolze Remontantrosen erhoben ihre schlanken Schäfte mit den dunklen vollen Blüten aus Meißener Schalen, zarte Teehybriden flossen in anmutigem Neigen ihrer gebrechlichen Zweige als duftende Kaskaden auf die von Silber und Kristall blitzende Weiße des Tischtuchs. Der Baron von Grunstedt, Margots Nachbar, äußerte sein Entzücken.

»Blendend! Man vergißt Berlin. Man träumt direkt von Monte.«

»Blumen sind Mamas Spezialität. Das Menü habe ich zusammengestellt. Dafür übernehme ich die Verantwortung.«

Heinz schwieg. Vergeblich suchte er seiner Verstimmung Herr zu werden und eine leichte Unterhaltung zu beginnen. Trotz Margots Gesprächigkeit wurden die Pausen immer länger. Endlich wandte sie sich an ihren Nachbar zur Rechten, der als gewandter Gesellschaftsakrobat über die verschiedensten Gegenstände voltigierte und mit derselben Sicherheit von Flugtagen wie von indischer Philosophie, Okkultismus und Pferdekrankheiten sprach.

Diese Gelegenheit benutzte die Kusine, um sich mit einem Lächeln, das ihr oberes Zahnfleisch entblößte, an Heinz zu wenden.

»Sieht Margot heut nicht entzückend aus?« fragte sie ziemlich laut, mit ihrer hohen, etwas kreischenden Stimme.

»Sehr apart.«

»Ich finde sie geradezu schön. Übrigens macht sie auch Furore. Sie hat ja überhaupt ein fabelhaftes Glück bei den Herren. Seitdem ihre Eltern hier sind ... schon drei Anträge. Aber um Gottes willen, das ist tiefes Geheimnis. Nicht verraten!«

»Wie sollte ich wohl?«

»Sie ist riesig kritisch. Da muß bei einem Mann schon viel zusammenkommen, ehe ihr einer paßt. Sie hat ja recht. In ihrer Position ...«

In diesem Augenblick wandte Margot sich den beiden zu.

»Unterhältst du dich gut, Annchen?«

»Glänzend! Wir sprechen eben von dir, Liebling.«

»Ach, du lieber Himmel! Heinz, weißt du kein besseres Thema?«

»Ich habe nicht davon angefangen.«

Ein böser, stechender Schein aus ihren Augen traf ihn. Aber dann hob sie ihr Glas.

»Prost! Du hast das Recht zur Grobheit.«

Und wandte sich lachend dem Baron Grunstedt zu.

Aber in Heinz gärte die Bitterkeit fort. Mit bösen Augen begann er Margot zu beobachten, fing einzelne Brocken ihrer übereifrigen Unterhaltung auf. Alles Mache und Lüge! dachte er. In Wirklichkeit ekelt das Geschwätz sie ja doch an. Dumm ist sie wahrhaftig nicht. Aber was will sie eigentlich ...? Eine Stimme flüsterte ihm zu: dies ganze Getue geschähe um seinetwillen. Um ihn zu reizen und eifersüchtig zu machen. Und ein Gedanke, der bisher nur irrlichterhaft in ihm gespukt hatte, ballte sich fester zusammen: daß sie es auf ihn abgesehen hätte und ihn zum Mann haben wollte.

Wahnsinn! Eben hatte er ja gehört, wie die Männer ihr nachstellten. Aber warum dann diese rätselhafte Freundschaft zu ihm? Aus welcher Laune hatte sie es sich in den Kopf gesetzt, sich zur Herrin seines Schicksals zu machen?

Damals als sie ihm zum erstenmal ihre Hilfe anbot, hatte er sich diese Frage nicht gestellt. Damals war es ihm ganz natürlich vorgekommen, daß Mutter und Tochter ihm von ihrem Überfluß mitteilten. Er selbst hätte sich in gleicher Lage keinen besseren Gebrauch seines Reichtums denken können.

Jetzt aber glaubte er nicht mehr an Uneigennützigkeit. Witterte Hintergedanken und unreine Nebenabsichten. Wahrscheinlich prahlten sie hinter seinem Rücken mit diesen Wohltaten. Nannten ihn in seiner Gegenwart einen treuen Freund des Hauses, um später hinzuzufügen: ein armer Teufel, der auf unsere Kosten studiert.

Dem allen mußte ein Ende gemacht werden. Und es würde ja auch! Morgen mittag um eins. Da würde er Aufklärung verlangen und würde es selbst nicht an Klarheit fehlen lassen. In aller Schärfe wollte er feststellen, wie ihm das Geld gegeben war. Als Darlehn. Nicht anders. Kein Geschenk. Keine Gnade. Er war der Schuldner. Aber es war eine Schuld, die durch Geld abgetragen werden konnte und durch nichts anderes.

Als sollten diese bitteren Gedanken Lügen gestraft werden, nahm nach dem Essen Frau Guhnott Heinz wieder aufs liebevollste unter ihre Fittiche. Er vermochte sich ihrer mütterlichen Herzlichkeit, mit der sie, halb im Scherz, halb ernsthaft immer betonte, daß er sie für ihre beiden ungeratenen Kinder entschädigen müsse, schwer zu entziehen. Jetzt machte sie ihm Vorwürfe, daß er sich so bescheiden im Hintergrund halte. Er müsse doch die Gelegenheit wahrnehmen. Und sie führte ihn zu einem halben Dutzend medizinischer Größen, Universitätsprofessoren, Direktoren von Krankenhäusern, denen sie ihn als einen lieben alten Freund vorstellte. Ein Kollege von Guhnott, ebenfalls ein hervorragender Chirurg, ein alter Herr mit spiegelnder Glatze und feinem, klugem, in einen weißen Spitzbart auslaufendem Gesicht, machte ihm Komplimente über seine Doktorarbeit, die er gelesen hatte. Und mit Worten, die mehr als Höflichkeitsphrasen waren, ließ er durchblicken, daß er sich über eine nähere Bekanntschaft freuen würde.

Aber Heinz verhielt sich kühl ablehnend. Er wollte diesem Hause nicht noch mehr verdanken. Seine Stellung wollte er sich wenigstens allein verschaffen.

Sobald es schicklicherweise ging, verließ er die Gesellschaft.

»Auf morgen mittag um eins!« war sein letztes Wort an Margot. Wie einen Fehdehandschuh warf er es ihr hin. –

Am nächsten Morgen lag er noch zu Bett, als seine Wirtin ihm mitteilte, daß eine Dame antelephoniert habe, sie würde ihn in einer Stunde besuchen.

Eilig kleidete er sich an, frühstückte, ließ das Zimmer aufräumen und sah zu seiner Bestürzung Margot eintreten.

»Mich hast du wohl nicht erwartet?«

»Nein. Ich sollte doch um eins zu euch kommen.«

»Solltest du auch. Wie hast du geschlafen? War's nicht hübsch gestern abend?«

Sie nahm auf einem der Mahagonisessel Platz. Ihr Gesicht ragte, blaß und scharfkantig, aus einem breiten Blaufuchspelz hervor. Ein dunkelvioletter Dreispitz ließ einen Teil ihrer klugen Stirn frei. Trotz ihrer Blässe und Abgespanntheit gefiel sie ihm in dieser Einfachheit erheblich besser als gestern abend.

Er ließ sich kaum Zeit, die Fragen zu beantworten, und stieß dann scharf hervor:

»Die Unterredung ist wohl unmöglich?«

»Unmöglich nicht. Aber zwecklos.«

Wie hatte in den schlaflosen Morgenstunden ihr Herz gehämmert unter dem Überdruck der Erregung! Jetzt aber war sie ihrer Sache sicher. Für den äußersten Notfall hatte sie ein Beweisstück in der Hand, das jeden Zweifel niederschlug. Das gab ihr die Kaltblütigkeit eines Spielers, der sich zwar des hohen Einsatzes, zugleich aber auch der Überlegenheit über seinen Gegner bewußt ist.

Um sich noch mehr zu beruhigen, nahm sie sich sogar Zeit, die befremdende Einrichtung des Zimmers zu mustern. Wie konnte er in dieser billigen Studentenbude nur hausen, mit den roten Ripsvorhängen, mit diesen Bildern an den Wänden, mit den zerwetzten Plüschmöbeln und dem wackligen Holzbett. Der einzige anständige Winkel war der am Schreibtisch, wo zwei hohe Schränke voller Bücher und Instrumente standen.

»Warum zwecklos?«

Heinz hatte schon einmal gefragt.

»Mama hat gestern nacht noch mit Papa gesprochen und sagte mir, ihr beide würdet zu keiner Verständigung kommen.«

»Verständigung? Aufklärung verlange ich. Eine Aufklärung darüber, warum er mich einlädt, um mich dann zu beleidigen.«

»Eben das wird Papa dir nicht sagen, sondern sich mit einigen nichtssagenden Phrasen aus der Affäre ziehen. Falls dir daran liegt, dann sprich mit ihm! Aber ich rate dir ab. Er hat wirklich einen Groll gegen dich. Du hattest gestern ganz richtig vermutet.«

»Warum?«

»Auch das wird er dir nicht sagen, sondern dich mit leeren Worten abspeisen.«

»Weißt du den Grund?«

Sie blickte auf ihren Muff, schien mit sich zu kämpfen und stieß dann, rasch aufblickend, hervor:

»Heinz, ich möchte es nicht sagen.«

Er machte eine abwehrende Bewegung.

»Ich will, weiß Gott, nicht drängen. Aber ...,« seine Brust hob sich wie unter einer unerträglichen Last, seine Stimme klang heiser, gepreßt ... »so etwas Unbestimmtes, Grundloses, was tausend Vermutungen zuläßt, jede einzelne wahrscheinlich schlimmer, beschämender als die Wahrheit ... das ist zum Wahnsinnigwerden.«

Impulsiv war sie aufgesprungen, legte ihm die Hand auf den Arm.

»Wenn's so ist, sollst du's wissen. Der Grund ist Irmgard.«

Gespannt bohrten ihre zusammengekniffenen Augen sich in seine.

Er war ganz fahl geworden beim Klang des Namens.

»Ich versteh' nicht.«

»Er hat einen Groll gegen dich. Er will mit dir nicht in Berührung kommen, wie er sagt. Aber in Wirklichkeit kann er deinen Anblick nicht ertragen, weil er ein schlechtes Gewissen gegen dich hat. Denn er ist schuld, daß ihr beide auseinandergekommen seid.«

»Das ist nicht wahr!« versetzte Heinz in gewaltsam unterdrücktem Ton. »Das ist eine Lüge. Er war ja unser Freund. Er war ja immer so gütig gegen uns. Bis zum letzten Tag!«

»Er tat so.«

»Nein, er tat nicht nur so, er war es auch. Und wenn er seine Meinung geändert hat, so kann der Grund nur der sein, daß man mich verleumdet hat. Ich muß mit ihm sprechen. Ich bin überzeugt, in zehn Minuten habe ich Klarheit geschaffen. Ich werde ihn antelephonieren. Er muß mich empfangen.«

Er stürzte hinaus und kam nach wenigen Minuten wieder.

»Er ist verreist.«

»Das wußte ich. Aber wäre er auch hier und du sprächst mit ihm, so würde das nicht das geringste ändern.«

»Er wird ja zurückkommen. Ich kann warten. Aber was zwischen uns beiden vorliegt, das will ich aus seinem eigenen Mund erfahren. Da soll sich kein Vermittler eindrängen. Weder du noch deine Mutter. Ich lasse ihn nicht verdächtigen. Von Anfang an ist er gut zu mir gewesen. In meiner Krankheit hat er mich besucht. Ihm verdanke ich meine rasche Heilung. Immer hat er sich als mein väterlicher Freund bewiesen.«

Ich muß für ihn einstehen, dachte er. Ich bin ja sein Fleisch und Blut. Er ist mein Vater. Und ich muß ihn verteidigen gegen die, die ihn nur Vater nennt.

Er sagte das nicht, sondern fuhr fort:

»Wie sollte ein Mensch, der immer großmütig und edel gewesen ist, plötzlich zu so schmählichem Benehmen kommen?«

»Aus einem Grund, der ihn beinahe entschuldigt. Er hat sich selbst in Irmgard verliebt, und du warst ihm lästig.«

Eine tiefe Stille trat plötzlich ein. Nebenan hörte man das Surren einer Nähmaschine und eine weinerliche Kinderstimme. Draußen fiel der Schnee, lautlos, geschäftig durch nebelgraue Luft.

»Du lügst!«

Es klang wie der letzte matte Fluch eines tödlich Verwundeten.

»Das hast du mir schon einmal gesagt,« erwiderte Margot.

Sie erhob sich und zog ihren Schleier herunter.

»Leb' wohl, Heinz! Das ist wahrscheinlich das letztemal, das wir uns sehen. Denn du glaubst mir ja nicht. Übrigens nimm noch dies! Dem wirst du ja auch nicht glauben; doch behalte es immerhin als Andenken an einen Menschen, der es wirklich gut mit dir gemeint hat!«

Sie entnahm dem Lederetui in ihrem Muff ein Bild von Irmgard, das sie unter vielen anderen in ihres Vaters Schreibtisch gefunden hatte, und reichte es Heinz.

Er las die Unterschrift: »Mein Herz ist ganz, ganz ... voll von dir« und sank mit gebeugtem Rücken nach vorn. So saß er am Fenster, und während die Flocken gegen die Scheiben wirbelten, sah es aus, als versuchten sie auch die regungslose Gestalt zuzudecken und zu begraben.

»Leb' wohl, Heinz.«

»Wo ist das Bild her?«

»Ich hab's bei ihm gefunden und wollte es verbrennen. Aber ich denke, es ist trotz allem dein Eigentum.«

»Nein! Behalt es! Es gehört ja ihm.«

Mein Vater! dachte er. Mein eigener Vater!

»Leb' wohl, Heinz!«

»Geh' noch nicht!«

Sie setzte sich und wartete schweigend.

Plötzlich erhob er sich.

»Du hast recht. Ich dank dir. Du hast mir einen großen Dienst erwiesen. Nur einstweilen ... hier ... mein blödsinniges Herz. Man sollte nur einen Kopf haben. Das wäre besser.«


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