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»Es erben sich Gesetz und Rechte – Wie eine ew'ge Krankheit fort,« heisst es in der Schülerscene von Goethes »Faust«, und die Richtigkeit dieses Ausspruches zeigt sich uns überall, wo wir »Gesetz und Recht« von einst und jetzt in Betracht ziehen. Auch für die Anwendung der Folter, ein Wort, das wir heute nur mit Entsetzen aussprechen und als Barbarei der Vergangenheit betrachten, gilt dieser Ausspruch. Der Ursprung ihrer Anwendung verliert sich in das Dunkel der Vergangenheit und ohne einem Volke, ohne einer Epoche Unrecht zu tun, lässt sich wohl behaupten, dass sie immer und überall zur Geltung kam, mögen uns auch mancherseits die Mitteilungen darüber fehlen und mag auch, was besonders für die unmittelbare Gegenwart gilt, ihre Form eine andere, scheinbar mildere geworden sein, oder auch die Ausübung nicht dem Wortlaut des geltendes Gesetzes entsprechen.
Zweifellos war Asien, die Wiege der menschlichen Kultur, auch die Geburtsstätte der Folter, wenn auch die von altersher von dort uns überlieferten Schriften nur ein Geringes davon zu vermelden wissen. Die alten Aegypter, die trotz des geographischen Widerspruches kulturell als Angehörige Asiens zu betrachten sind, sind zwar, entgegen ihrer sonstigen bildschriftlichen Redseligkeit, über diesen Punkt nicht sehr mitteilsam, aber immerhin können wir folgern, dass im Lande der Pyramiden und Pharaonen, im Lande der Knechtschaft und Unterdrückung das »sanfte« Pressionsmittel der Tortur ausgiebig und häufig in Anwendung noch fleissig gebraucht wird und sicherlich nicht erst in späteren Tagen aufgenommen wurde. Mehr aber noch gilt dies von China, dessen Justizpflege gegenwärtig bekanntlich eine Meisterschaft in der Anwendung von Folterwerkzeugen bekundet, wie hier später noch ausführlicher dargelegt werden soll. Auch das benachbarte und stammverwandte Japan hatte eine umfangreiche Anwendung der Folter aufzuweisen, die wohl auch seit 1868, dem Jahre wo dieses Reich europäische Kulturformen anzunehmen begann, nur teilweise von ihrer Ursprünglichkeit abgewichen ist. Dass Persien und andere asiatische Despotien diese Marter einst anwandten und auch jetzt noch, so weit sie vorhanden sind, anwenden, muss leider als selbstverständlich gelten.
Merkwürdigerweise finden wir nicht die geringsten Belege darüber, dass die Tortur bei den Juden in Anwendung kam, auch nicht Sklaven gegenüber, und wenn wir die biblische Gesetzgebung in Betracht ziehen, so können wir als ausgeschlossen annehmen, dass die Marter wenigstens in älterer Zeit bei ihnen in Brauch war. Aus der Bibel ersehen wir, dass bei den Juden die Blutrache zur Anwendung kam, dass für Verbrechen Steinigung und andere Todesstrafen galten, dass für zufällige Tötung Zufluchtsstätten für den Täter vorhanden waren, ferner, dass zur Ueberführung der Schuld mehrere Zeugen nötig waren. »Und der Herr redete mit Mose und sprach: Rede mit den Kindern Israel und sprich zu ihnen: Wenn ihr über den Jordan ins Land Kanaan kommt, sollt ihr Städte auswählen, dass Freistädte seien; dahin fliehe, der einen Totschlag unversehens tut. Und sollen unter euch solche Freistädte sein vor dem Bluträcher, dass der nicht sterben müsse, der einen Totschlag getan hat, bis dass er vor der Gemeinde vor Gericht gestanden sei.« (4 Mose 35, 9-11). »Auf zweier oder dreier Zeugen Mund soll sterben, was des Todes Todes wert ist; aber auf eines Zeugen Mund soll er nicht sterben.« (5 Mose 17, 6). »Wenn ein freveler Zeuge wider jemand auftritt über ihn zu bezeugen, eine Uebertretung; so sollen die beiden Männer die eine Sache mit einander haben vor dem Herrn, vor den Priestern und Richtern stehen, die zur selben Zeit sein werden. Und die Richter sollen wohl forschen. Und wenn der falsche Zeuge hat ein falsch Zeugnis wider seinen Bruder gegeben, so sollt ihr ihm tun, wie er gedachte seinem Bruder zu tun, dass Du den Bösen von Dir wegtust. Auf dass die andern hören, sich fürchten und nicht mehr solche böse Stücke vornehmen zu tun unter Dir. Dein Auge soll sein nicht schonen. Seele um Seele, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuss um Fuss.« (5. Mose 19, 16-21). Dass neben der Steinigung auch der Galgen als Strafmittel zur Anwendung gelangte, ergiebt sich aus 5. Mose 21. 22: »Wenn jemand eine Sünde getan hat, die des Todes würdig ist und wird also getötet, dass man ihn an ein Holz hänget; so soll sein Leichnam nicht über Nacht an dem Holz bleiben, sondern sollst ihn desselben Tages begraben, denn ein Gehängter ist verflucht bei Gott; auf dass Du Dein Land nicht verunreinigst, das Dir der Herr, Dein Gott giebt zum Erbe.« Auch die Prügelstrafe sehen wir in Anwendung kommen, doch wird diese auf höchstens vierzig Schläge beschränkt: »Und so der Gottlose Schläge verdient hat, soll ihn der Richter heissen niederfallen und sollen ihn vor ihm schlagen nach dem Mass und Zahl seiner Missetat. Wenn man ihm vierzig Schläge gegeben hat, soll man ihn nicht mehr schlagen, auf dass nicht, so man mehr Schläge giebt, er zu viel geschlagen werde und Dein Bruder scheusslich vor Deinen Augen sei« (5. Mose 25, 2, 3). In Josua 20 finden wir die Feststellung der Freistädte in Kanaan. Auch in dem Neuen Testament finden wir keine Stelle, die auf Anwendung der Folter bei den Juden hinwiese, obgleich damals bereits im Rechtsverfahren wie in anderem so manches vom Griechentum und Römertum in das jüdische Kulturleben eingedrungen war.
Bei den Griechen und Römern wurde, wie im folgenden Kapitel dargelegt werden soll, die Tortur angewandt. Zum besseren Verständnis des Nachfolgenden dürfte es jedoch gut sein, hier einiges über die Rechtszustände bei diesen Völkern vorzubringen:
»Die Gerichte« – schreibt J. J. Eschenburg in seinem »Griechische und römische Altertümer« II. Auflage S. 19 etc. – »hielt man an öffentlichen Plätzen, und die ganze Sitzung und Versammlung bildete dabei gewöhnlich einen Kreis. Die Richter sassen auf steinernen Bänken, und man wählte dazu Männer, die durch Alter und Erfahrung ehrwürdig waren. Diese hatten zum Abgehen Scepter oder Stäbe in der Hand. Die Rechtssache wurde von den streitenden Parteien selbst mündlich vorgetragen und von diesen wurden auch die Zeugen herbeigeführt. Die Könige oder Fürsten hatten bei einer solchen Gerichtsversammlung den Vorsitz, auf einem erhabenen Sessel oder Thron. Richtschnur des Rechts und des Endurteils waren hauptsächlich Billigkeit und Herkommen und in der Folge waren es bestimmtere Gesetze, die zuerst von Phoroneus und noch mehr und allgemeiner von Cekrops in Griechenland eingeführt wurden.
So wie diese in den älteren Zeiten einfach und einzeln waren, so auch die daran bestimmten Strafen, deren es nur wenige für Hauptverbrechen gab. Den Mord bestrafte man gewöhnlich mit der Verbannung, die entweder in freiwilliger Flucht des Mörders bestand, oder die ihm ausdrücklich auferlegt war. Ihre Dauer erstreckte sich aber nur auf ein Jahr und man konnte zuweilen diese Strafe durch Lösegeld abkaufen. Die Freistätte war nur für Urheber einer zufälligen, unvorsätzlichen Entleibung. Auch der Ehebruch wurde scharf, gemeiniglich mit dem Tode bestraft. Raub und Diebstahl hingegen waren in dem früheren Zeitalter Griechenlands sehr häufig und wurden anfänglich nicht für strafbar gehalten, weil überall das Recht der Stärkeren galt, besonders da, wo List und Klugheit mit dem Raube verbunden war. Man strebte daher bloss nach der Wiedererlangung des Geraubten, oder rächte sich durch gegenseitige Beeinträchtigung. In der Folge aber wurden auf diese Vergehungen eigene Strafen gelegt.
Insofern die Bewohner der Insel Kreta, ihrer gemeinschaftlichen Sprache wegen, mit zu den Griechen gehören, sind auch ihre, von dem ersten Minos eingeführten Gesetze hier zu erwähnen, weil sie für die ältesten schriftlichen Satzungen gehalten, und in der Folge von Lykurg zum Muster gewählt wurden. Kriegerische Tapferkeit und Eintracht des Volkes waren die vornehmsten Absichten derselben; Abhärtung des Körpers und gesellige Vereinigung der einzelnen Mitglieder des Staats sind daher fast in jeder Anordnung des Minos sichtbare Zwecke. Um diesen Gesetzen desto mehr Ansehen zu schaffen, gab er eine ihm von Zeus unmittelbar erteilte Offenbarung vor ...«
Der Regierungszustand Griechenlands erfuhr mit der Zeit mancherlei Veränderungen. Aus der beschränkten Monarchie ging in manchen der zahlreichen Griechenstaaten eine Aristokratie hervor, die in Oligarchie ausartete, mit noch grösserer Bedrückung des Volkes als früher. Doch wurde in den meisten Staaten die Regierungsform mit der Zeit demokratisch. Die hervorragendsten Griechenstaaten waren bekanntlich Athen und Lacedämon. Ersterer wurde anfangs von Königen regiert, deren Macht jedoch im Frieden sehr beschränkt war. Nach dem Tode von Kodrus (1068 v. Chr.) wurde jedoch Athen Freistaat, dessen Regierung von Archonten versehen wurde, die anfangs auf Lebenszeit, (bis 752 v. Chr.) dann auf eine bestimmte Dauer gewählt wurden. Die Eigenmächtigkeiten der Archonten wurden durch Drakons strenge Gesetze eingeschränkt (624 v. Chr.), mehr noch aber durch die gemilderten Gesetze Solons (594 v. Chr.), wo von ersteren nur die, welche den Mord betrafen, unverändert geblieben waren. Doch auch diese Gesetze wurden bald wieder abgeändert und es erfolgte bis zur Eroberung Athens durch den Römer Sulla noch so mancher Wechsel.
Die Bewohner des attischen Gebiets waren eingeteilt in freie Bürger, Schutzgenossen und Sklaven. Die freien Bürger waren der Kern, der angesehenste Teil der Bevölkerung. Die Schutzgenossen waren Fremdlinge, die sich im attischen Gebiet niedergelassen hatten, keinen Anteil an der Regierung hatten und in Rechtssachen sich einen freien Bürger als Beschützer wählen mussten. Die am zahlreichsten vorhanden gewesenen Sklaven waren öffentliche, d. h. Staatssklaven oder Privatsklaven. Sie standen völlig unter der Gewalt ihrer Herren, die sie oft sehr hart behandelten. Sie konnten sich mit ihren Ersparnissen loskaufen ohne jedoch als Freigelassene das Bürgerrecht erwerben zu können. Zur Zeit des Demetrius Phalereus (317 v. Chr.) gab es in Athen 400 000 Sklaven.
»Unter den Gerichtshöfen der Griechen« – berichtet Eschenburg weiter, Seite 56 – »war keiner so berühmt wie der von den römischen Schriftstellern Areopagus genannte zu Athen. Die Zeit der Entstehung desselben ist ungewiss, aber sehr alt, und früher als die Lebenszeit Solons, der den Areopagus nicht zuerst stiftete, sondern nur verbesserte und sein Ansehen erhöhte. Zu Mitgliedern dieses Gerichts wurden anfänglich die rechtschaffensten und einsichtsvollsten Bürger jeden Standes, nach Solons Anordnung aber alle gewesenen Archonten berufen. Ihr Amt dauerte auf Lebenszeit. Alle grösseren Verbrechen, Diebstahl, Raub, Meuchelmord, Vergiftung, Mordbrennerei, Frevel wider die Religion u. s. f., wurden vor dieses Gericht gebracht und man erkannte darüber Todesstrafen oder Geldbussen ... Das gefällte Urteil wurde sogleich vollzogen. Uebrigens hielt man dieses Gericht unter freiem Himmel. So ehrwürdig und streng indes der Areopagus in der früheren Zeit war, so traf doch in der folgenden auch ihn das allgemeine Sittenverderbnis.
Von ähnlicher Strenge und Gerechtigkeitsliebe waren die Epheten zu Athen, welche den Gerichtshof zum Palladium bildeten und von Demophoon, einem Sohne des Theseus zuerst angeordnet sein sollen. Wahrscheinlich ist aber Drakon als der eigentliche Stifter dieses Richterkollegiums zu betrachten. Man wählte dazu aus edlen Familien einundfünfzig unbescholtene Männer, die alle älter als fünfzig Jahre sein mussten. Solon bestätigte die Einrichtung der Wahl; nur übertrug er die Untersuchung der wichtigeren Rechtssachen allein den Areopagiten und liess den Epheten hauptsächlich nur das Gericht über unvorsätzlichen Mord, über Misshandlungen, die den Tod zufolge gehabt hatten, und über Nachstellungen gegen das Leben eines Bürgers. – Die merkwürdigsten übrigen Blutgerichte zu Athen waren das delphinische, das prytaneische und das phreattische. Aber auch in diesen Gerichtshöfen wurde späterhin von den Epheten Recht gesprochen, namentlich im delphinischen über solche Totschläge, die nach der Behauptung des Beklagten gesetzlich waren, z. B. aus Notwehr; im prytaneischen über Tötung durch Unglücksfälle und gewaltsame Totschläge, wo aber der Mörder unbekannt war. Das phreattische Gericht am Meeresufer beim Piräus, wobei der Beklagte während der Verhandlung auf einem Schiffe sein musste, wurde selten in Anwendung gebracht.«
An Strafen wurden ausgesprochen: Geldstrafen, die zuweilen noch durch andere Strafen geschärft wurden, Ehrlosigkeit in verschiedenen Graden, Sklaverei, die jedoch nach Solons Gesetzen nur gegen Fremde verhängt wurde. Brandmale auf Stirn oder Hand als Strafe entlaufener oder sonst schuldiger Sklaven, die Schandsäule, auf die der Name des Verbrechers und seine Schuld geschrieben wurde, Gefangenschaft in Ketten oder Banden. Bei letzterer wurde auch entweder eine Art hölzernes Joch angewendet, das den Nacken niederhielt, oder ein Fussblock, ein Brett. Ferner wurde als Strafe Ausweisung ohne Hoffnung auf Rückkehr ausgesprochen und Einziehung des Vermögens. Der sogenannte Ostracismus war keine eigentliche Strafe, sondern eine Verbannung auf zehn Jahre, ausgesprochen durch Abstimmung mittelst Scherben durch die Bürger. Es mussten wenigstens sechstausend Stimmen abgegeben werden gegen einen Mitbürger, dessen steigender Einfluss für staatsgefährlich betrachtet wurde. Todesstrafen wurden mittelst Schwert, Strang, Giftbecher, Ertränken, Herabstürzen von einem Felsen vollzogen. Auch die Kreuzigung kam zuweilen vor.
Bei den Lacedämoniern, den der Jugend so begeistrungsvoll in Erinnerung kommenden Spartanern, gab es eine dreifache Gerichtsbarkeit: Den König, den Senat und die Ephoren, deren jeder sich mit einer besonderen Art von Prozessen befasste. Kriminal-Angelegenheiten kamen in der Regel vor den Senat, die Strafen glichen so ziemlich den athenischen, doch scheint als Todesstrafe hier die Erdrosslung zumeist angewandt worden zu sein. Diebe wurden weniger der Tat wegen bestraft, als ihrer Ungeschicklichkeit wegen, die das Ertappen ermöglichte. Die einfache, und mit geringen Abänderungen acht Jahrhundert in Geltung gebliebene Gesetzgebung rührte grösstenteils von Lykurg her und wies so manche Eigentümlichkeit auf. Die Sklaven wurden ziemlich hart behandelt. Es scheint deren nur eine Klasse gegeben zu haben, Heloten genannt, die aus der von den Spartanern eroberten Seestadt Helos ursprünglich herrührten und zu denen auch die im zweiten messenischen Krieg gefangenen Messenier gezählt wurden. Sie hatten eine unterscheidende, armselige Tracht, mussten die schwersten Arbeiten verrichten und waren den ärgsten Misshandlungen, selbst meuchelmörderischen Anfällen der Spartaner-Jugend ausgesetzt. Es wurde sogar jährlich eine förmliche Jagd gegen sie veranstaltet. Wie in Athen war auch hier ihre Anzahl sehr gross.
Die römische Rechtspflege beeinflusste bekanntlich die spätere Gesetzgebung aller europäischen Völker und weist demnach in manchem grosse Aehnlichkeit mit unseren gegenwärtigen juristischen Gepflogenheiten auf. »Die Rechtspflege und Gerichtshaltung der Römer,« bemerkt Eschenburg a. a. O. Seite 149, »betraf entweder öffentliche oder Privatstreitigkeiten. Jene gingen die öffentliche Ruhe und Sicherheit an, diese nur die Ansprüche und Rechte einzelner Personen. Die öffentlichen Gerichte waren entweder ordentliche oder ausserordentliche; die letzteren gehörten nicht für eine besondere Obrigkeit, noch für gewisse festgesetzte Orte und Zeiten, sondern es wurde dazu ein besonderer Gerichtstag oder eine eigene Volksversammlung angesetzt. Bei allen öffentlichen Gerichten wurde eine gewisse Ordnung und eine Folge bestimmter Gebräuche beobachtet. Der Ankläger (actor, accusator) hielt gewöhnlich eine Rede wider den Beklagten (reus), hierauf wurden die Zeugen abgehört, und dann wurde von den Richtern mündlich oder schriftlich gestimmt und das Urteil gefällt. Letzteres geschah durch Täfelchen, welche entweder mit dem Buchstaben A (absolvo) oder C (condemno) oder N L (non liquet) bezeichnet waren. Der Losgesprochene konnte, wenn er Grund dazu hatte, seine Ankläger wegen falscher Beschuldigung (calumnia) vor Gericht belangen; der Verurteilte hingegen wurde den Gesetzen gemäss bestraft ...
Zu den vornehmsten peinlichen Verbrechen, welche öffentliche Untersuchungen erforderten, gehörten crimen majestatis, oder Verletzung der Würde und Sicherheit des römischen Volkes und der Magistrate, crimen perduellionis, oder Hochvorrat an der Volksfreiheit, crimen peculatus oder Veruntreuung des öffentlichen Schatzes, Kirchenraub, Prägung falscher Münze oder Fälschung öffentlicher Urkunden, crimen ambitus, Bestechung des Volks um Stimmen bei einer Wahl zu obrigkeitlichen Aemtern zu erkaufen, crimen repetundarum, wenn von Prätoren, Quästoren u. s. f. in den Provinzen ungerechte Gelderpressungen verübt waren, deren Ersatz gefordert wurde, crimen vis publicae, wozu besondere Verschwörungen zum Aufstande und mancherlei persönliche Gewalttätigkeiten gerechnet wurden. Ausserdem waren auch manche Privatverbrechen, z. B. crimen inter sicarios, crimen veneficii, parricidii, falsi, adulterii und plagii, Gegenstände öffentlicher Untersuchungen.
Die Strafen, wozu die in den Gerichten schuldig Befundenen verurteilt wurden, gab es bei den Römern mancherlei Arten. Die vornehmsten darunter waren: Die Geldstrafe, (damnum, mulcta), die anfänglich höchstens in dreissig Ochsen und zwei Schafen bestand, welche man nachher in Geld rechnete; die Bande (vincula), die entweder in Stricken oder in Ketten an Händen und Füssen bestanden; die Schläge oder die Geisselung (verbera) mit Stäben der Lictoren für Freigeborene und mit Peitschen oder Ruten für Sklaven; die Widervergeltung (talio) oder die Zufügung des nämlichen Schadens, den der Kläger erlitten hatte; die Entehrung (infamia), die Verbannung (exilium oder capitis deminutio), die entweder auferlegt, oder freiwillig und mit Entziehung aller Ehrenstellen verbunden war. Wurde dabei kein besonderer Ort des Aufenthalts angewiesen, so hiessen die Verbannten interdicti; geschah das aber, verbunden mit öffentlicher Unehre, so hiessen sie relegati. Noch härter war die Strafe, die man deportatio nannte, indem man den Verbannten in ganz entlegene öde Oerter oder Inseln bringen liess. Dazu kam noch die Verkaufung in die Knechtschaft und endlich die Todesstrafe, die bei den Sklaven gewöhnlich die Kreuzigung war.«
In der ersten Zeit des römischen Staats war die Rechtsprechung sehr schwankend und willkürlich. Es sollen daher im Jahre 455 v. Chr. drei Männer nach Athen und Sparta gesandt worden sein, um dort die Gesetze Solons und Lykurgs zu sammeln. Nach ihrer Rückkehr wurden zehn edle Römer mit der Prüfung des Materials und Entwerfung von Gesetzen betraut. Diese wurden erst auf zehn, dann auf zwölf Tafeln verzeichnet, deren Inhalt auch noch in späterer Zeit als Grundlage der recht mannigfaltigen römischen Gesetzgebung galt.
Zahlreich, wie bei den Griechen, waren auch bei den Römern die Sklaven und wurden von diesen auch in ähnlicher Weise behandelt. In der Geschichte der Tortur spielen die römischen Sklaven eine grosse Rolle, indem die Folter hauptsächlich gegen sie zur Anwendung gelangte, wie später noch ausführlicher erörtert werden soll. Auch von dem Kriminal-Verfahren anderer Völker soll an geeignetem Orte ausführlich die Rede sein.
Ziehen wir die sogenannten Naturvölker in Betracht, deren Verfahren uns im allgemeinen Schlüsse ziehen lässt, auf die Anwendung der Folter in der menschlichen Gesellschaft von einst, so kann hier natürlich kaum von einer Untersuchung in Straffällen die Rede sein. Der Häuptling, oder wer sonst mit der Urteilfällung betraut ist, entscheidet nach eigenem Ermessen über Schuld oder Nichtschuld und dem folgt die Strafe, gewöhnlich der Tod unmittelbar. Eine Marter findet aber nicht selten gefangenen Feinden gegenüber statt.
In der »Allgemeinen Kulturgeschichte« von Klemm II 146 wird nach Davies History of the Caribby Islands« berichtet, das die Caraiben ihre Gefangenen in eine Hängematte einschnüren, hoch aufhängen und mehrere Tage hungern lassen, bevor sie sie öffentlich hinrichten und dann verzehren. »Andere Amerikaner haben die Sitte, den Gefangenen nur dann zu morden, wenn sie sehen, dass er bei ihren Martern und Drohungen Furcht und Angst zeigt. So stellen die Seucis den Mut ihrer Gefangenen auf die Probe, indem sie ihre Pfeile und Bogen auf ihn richten, spannen, aber nicht losfahren lassen. Zeigt der Gefangene keine Furcht, so ist er ein willkommener Gast.
Ernsthafter und bedenklicher sind die Prüfungen, womit die Nordamerikaner nach dem einstimmigen Zeugnis der früheren Reisenden ihre Gefangenen quälen. Selbst diejenigen, die mit Begeisterung von dem Wesen der Amerikaner erfüllt sind, stimmen darin überein, wie z. B. Sir John Crevecour und Heckewelder. Doch versichert letzterer, dass diese Gräuelscenen bei weitem nicht so häufig sind, dass die Indianer vielmehr die Gefangenen für verstorbene oder verlorene Freude und Verwandte adoptieren, dass grausaume Marter nur dann stattfindet, wenn eine Völkerschaft im Kriege viel verloren hat und man es für nötig hält, die in der Schlacht gefallenen Krieger zu rächen oder wenn mutwillige und vorsätzliche Mordtaten an Weibern und Kindern von einem Feinde verübt wurden, in welchem Falle die ersten Gefangenen, die man macht, hingeopfert werden. Ein glücklich beendeter Krieg bringt auch den Gefangenen milde Behandlung.« Freilich dürften diese Vorgänge nunmehr schon als der Vergangenheit angehörig betrachtet werden können. Totschlag innerhalb eines Stammes dürfte wohl nicht vorgekommen sein, auch nicht Diebstahl. Dagegen scheint letzterer bei den Kamtschadalen nicht selten gewesen zu sein. »Erhaschten sie einen Dieb, der mehrmals oder sehr viele bestohlen, so banden sie ihn an einem Baum, spannten ihm die Arme aus und befestigten diese an eine Stange, banden ihm Birkenrinde um die Handwurzeln, zündeten sie an und verbrannten ihm die Hand dergestalt, dass die Finger lebenslang einwärts in die hohle Hand gebogen blieben und er sofort als Dieb erkannt wurde.« (Klemm, a. a. O. Seite 207.) Ist dies auch als Strafe selbst zu betrachten, so liegt doch dabei die Vermutung nicht fern, dass dieses Foltermittel gelegentlich auch zur Erpressung einer Aussage benützt wurde. Bei anderen Stämmen des Nordens, wie z. B. bei den Samojeden und Ostiaken sind Verbrechen fast unbekannt. Bei den Tungusen wird in Streitfällen zur Erforschung der Wahrheit der Eid (Adakatschan) angewendet, dessen man dreierlei Arten hat. »Der geringste Eid ist, wenn der Beschuldigte gegen die Sonne mit einem Messer treten, gegen sie fechten und ausrufen muss: »Bin ich schuldig, so lasse die Sonne die Krankheit wie dieses Messer in meinen Eingeweiden wüten.« Schwerer ist der Eid, wenn der Beklagte auf gewisse Berge, z. B. am Baikal auf Schamanenklippen steigen und laut ausrufen muss: Bin ich schuldig, so will ich sterben, oder Kinder und Vieh verlieren, oder immer ein unglücklicher Jäger sein, welche Formel ihm nun eben zuerkannt worden ist. Der schwerste Eid aber ist, wenn bei einem Feuer ein Hund geschlachtet wird, den die Aeltesten entweder aufspiessen, verbrennen oder auch fortwerfen, den Beklagten aber etwas von dem Blute trinken lassen, wobei er sagen muss: So gewiss ich dieses Blut trinke, rede ich die Wahrheit; lüge ich, so will ich umkommen, verdorren oder verbrennen wie dieser Hund.« Wenn der Krone der Eid geleistet werden soll, so berührt der Tunguse eine Kanone, Flinte oder einen Degen und küsst sie nachher. Demnächst finden wir auch den Zweikampf, der ehedem im Wechseln der Pfeile (Kuschigera) bestand und mit einer gewissen Feierlichkeit vollzogen wurde. Man setzte den Ort und die Entfernung fest, und ein dritter gab das Zeichen zum Beginn. Seitdem die Russen dort herrschen, kommt dieser Zweikampf selten vor, und wird dann ganz im geheimen vollzogen. Für den Mord im Zweikampf wird niemand bestraft, da die Schuld auf beiden Teilen gleich schwer lastet. Ein Tunguse wird auch keinen bei der Regierung wegen eines im Zweikampf verübten Mordes anklagen, weil die Beklagten ausser den Schlägen auch noch verschickt werden. Einen gewöhnlichen Mörder bestraft man mit Prügeln, und er wird verurteilt, die Hinterbliebenen des Ermordeten zu ernähren. Totschlag beschimpft übrigens keinen Menschen, er giebt ihm vielmehr den Ruf der Tapferkeit ... Diebe müssen das Gestohlene ersetzen und bekommen Prügel, sind auch übrigens für ihre ganze Lebenszeit verachtete und beschimpfte Leute.« (Georgis Reise I 272-274).
Bei den Mongolen finden wir neben dem Eid auch das Ordal, das als Vorgänger der Tortur zu betrachten ist. Es wird bei bekannten Verbrechern angewendet und dabei ein Beil vom Stiel genommen und glühend gemacht. Dann wird es mit einer Zange herausgenommen und auf zwei mit dem Oberteil in die Erde gesteckte Steigbügel gelegt. Der Beklagte muss es nun auf die Hand nehmen und in eine in geringer Entfernung befindliche Grube werfen. Gelingt dies nicht das erstemal, so kann die Feuerprobe noch zweimal wiederholt werden. Nachdem dies geschehen ist, wird dem Beklagten der Aermel um die Hand zugenäht, damit kein Heilmittel angewandt werden könnte. Nach einigen Tagen wird die Hand von den Richtern besichtigt. Ist die Brandwunde in der Heilung begriffen, so wird der Beklagte freigesprochen, andernfalls aber verurteilt. Von den Ordalien wird übrigens noch ausführlich die Rede sein. Dass die Tortur in Rechtsuntersuchungen, bei halb- oder unkultivierten Völkern verhältnismässig weniger als man glauben sollte zur Anwendung gelangt, mag seine Ursache auch in dem Aberglauben und Zauberwesen haben, mit denen der Glaube dieser Völker und Stämme überaus reichlich durchsetzt ist und deren Trug nicht selten zur Auffindung von Schuld und Schuldigen benützt wird, wobei allerdings der Unschuldige oft leiden muss. Uebrigens kommt aber dergleichen zuweilen auch in unseren Volksschichten zur Erscheinung.
Bei den Kaffern in Afrika gilt der Diebstahl als schweres Verbrechen. Ein bei der Tat ertappter Dieb darf getötet werden. Ein des Diebstahls Angeklagter, der seine Unschuld nicht beweisen kann, wird zum Verlust seiner Habe verurteilt und ähnlich werden auch Hehler und Helfer bestraft. Im allgemeinen herrscht bei den Negervölkern die Blutrache und auch das Ordal ist bei ihnen zu finden. Klemm schreibt III, 339: »Kann nun das Gericht die Schuld oder Unschuld einer angeklagten Person nicht ermitteln, so wird ein Ordal veranstaltet, dergleichen wir schon bei den Mongolen fanden. Der Verbrecher muss entweder ein glühendes Eisen angreifen, oder den entblössten Arm in einen Kessel voll siedenden Oeles stecken und einen Schlangenkopf, einen Ring oder sonst etwas herausholen, das man für diesen Zweck hingetan hat. Wenn er sich verbrennt, so ist man überzeugt, dass er das Verbrechen begangen hat. Andere lassen sich mit einer grossen Anzahl Nadeln die Zunge durchstechen, streichen ein glühendes Messer über den Arm und dergleichen mehr. Die Feuerprobe besteht in Angola darin, dass der Beschuldigte eine glühende Kohle in der Hand halten muss, die seine Unschuld erweist, wenn sie keine Spur in der Hand zurücklässt. Die grösste Probe ist jedoch die des roten Wassers ...
Ist nun der Verdacht des Mordes auf jemand gefallen und demselben Erlaubnis geworden durch Proben seine Unschuld zu beweisen, so findet dieses unter grossen Zulauf der Menge statt. Die grösste Probe ist das Trinken des roten Wassers. Um das rote Wasser zu bereiten, nimmt man die Rinde eines Baumes, den die Bullanier Kevon, die Timmaner Okwon, die Susuer Millen nennen. Sie wird im Wasser geweicht, welches dadurch eine purgierende Wirkung erhält. Da es in einigen Fällen tötlich gewirkt hat, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Angeschuldigte ganz in der Gewalt der das Mittel bereitenden Person ist. Indessen wird die ganze Feierlichkeit mit dem Schein der grössten Oeffentlichkeit vollzogen. Der Angeklagte muss sich auf einen drei Fuss hohen Stuhl setzen, die eine Hand in die Höhe halten und die andere auf das Dickbein legen. Unten um den Stuhl herum werden eine Menge frischer Pisangblätter gestreut. Rings um ihn wird ein Kreis gezogen, den niemand betreten darf, als der Mann der das rote Wasser zubereitet. Die Rinde wird öffentlich zur Schau vorgelegt, um zu zeigen, dass sie echt ist. Der Fetischmann, der die Zeremonie leitet, wäscht sich zuvor die Hände, dann auch die Rinde, den Mörser und den Stampfer, womit sie zu Pulver gestossen wird, um die Umstehenden zu überzeugen, dass nichts Unrechtes dazu genommen wird. Wenn er nun die Rinde zu Pulver gestossen hat, so nimmt er soviel davon als in eine Kürbisflasche geht, schüttelt es in eine grosse Kupferpfanne mit Wasser und peitscht diese Masse mit einem Besen so lange durcheinander, bis sie wie Seife schäumt. Dies geschieht unter allerlei Zeremonien und Gebeten. Auch wird der Angeklagte auf feierliche Art ermahnt, das ihm angeschuldigte Verbrechen zu gestehen. Kurz vorher, ehe er den Trank nimmt, muss er sich den Mund mit Wasser ausspülen und es ausspucken, damit er kein Gegenmittel im Munde verbergen kann. Dann giebt man ihm ein wenig Reis oder ein Stückchen Kolatnuss zu essen, und das ist alles, was er in den letzten zwölf Stunden vor dem Ordale essen darf, weshalb er denn auch während dieser Zeit sorgfältig bewacht wird. Nun sagt man ihm ein Gebet vor, das er nachsprechen muss, und wodurch er den Wunsch äussert, dass ihn ein Fluch treffen möge, wenn er das Verbrechen wirklich begangen habe und ein falsches Bekenntnis ablege. Hierauf wird ihm das rote Wasser gereicht, und zwar in einer Kürbisflasche, die ein halbes Nössel enthält, und die er acht, zehn, auch zwölf mal hintereinander ebenso geschwind austrinken muss, als sie gefüllt werden kann. Gemeiniglich fängt nun der Trunk an als Brechmittel zu wirken, dennoch muss er so lange damit fortfahren, bis er den Reis oder die Kolatnuss von sich giebt, was sich auf den Pisangblättern bald wahrnehmen lässt. Wenn aber kein Erbrechen erfolgt und die Medizin als Laxanz wirkt, so wird der Angeklagte auf der Stelle als schuldig erkannt. Lässt sich vermuten, dass derselbe nicht alles, was er zu sich genommen, weggebrochen habe, so wird er zwar entlassen, jedoch mit dem Vorbehalte, ihn nicht eher für unschuldig zu erklären, bis man mit voller Gewissheit überzeugt worden sei, dass der Trank bis zur nämlichen Stunde des folgenden Tages noch nicht gewirkt habe. Erfolgt das Gegenteil, so wird er für schuldig erklärt. Sechszehn Kürbisflaschen sind die stärkste Portion. Bleibt das Wasser bei dem Beschuldigten, so empfindet er ein Schneiden in den Gedärmen, was wohl als Zeichen der Schuld angesehen wird. Man sucht ihn dadurch zu helfen, dass man ihm das Brechen erleichtert, giebt ihm rohe Eier und dergleichen. Ausser dem roten Wasser wird dem Angeschuldigten auch noch gestattet durch Verschlingen vergifteter Nahrungsmittel vor den Fetischen und unter Anrufung derselben seine Unschuld zu beweisen. In Fantin muss er ein Stückchen Doomrinde kauen und ein paar Calabassen kaltes Wasser nachtrinken. Bricht er die Rinde weg, so ist er unschuldig. Die Bangos und die Neger am Kongo trinken vergiftetes Getränk, das der Unschuldige ohne Schaden von sich bricht.«
Wir schliessen hiermit diese Einleitung, um näheres über die Ordalien im nachfolgenden Kapitel anzuführen.