Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V. Kapitel.

Die Germanen. – Knechtschaft und Sklaverei. – Stände. – Gerichtsverfassung. – Fehderecht. – Gottesfreuden. – Vehme. – Der ewige Landfrieden. – Sachsenspiegel.– Schwabenspiegel. – Kanonisches Recht. – Gegner der Tortur. – Die Tortur im alten Russland. – Iwan, der erste Zar. – Iwan der Schreckliche. – Peter der Grosse. – Strelitzen-Aufstand. – Polen. –

Von den Versammlungen der Germanen sprechend, bemerkt Tacitus in seiner »Germania« (Uebersetzt von Wilhelm Bötticher): »Erlaubt ist vor der Versammlung auch zu klagen und auf Todesstrafe anzutragen. Der Unterschied der Strafen richtet sich nach dem Vergehen. Verräter und Ueberläufer hängen sie an Bäumen auf; Feige, Kriegsscheue, am Körper Geschändete versenken sie, noch eine Hürde darüber werfend, in Schlamm und Sumpf. Die Verschiedenheit dieser Bestrafung deutet darauf hin, dass man Verbrechen durch die Strafe an das Licht bringen, Schändlichkeiten dagegen verhüllen musste. Doch auch auf die leichteren Vergehen steht eine angemessene Strafe; die Ueberführten müssen mit einer bestimmten Zahl von Pferden und Schafen büssen. Ein Teil der Busse wird dem König oder der Gemeinde, der andere den Beleidigten selbst oder seinen Verwandten entrichtet ... Feindschaften, sei es des Vaters oder eines Angehörigen, ebenso wie Freundschaften derselben zu übernehmen ist Gesetz. Doch dauern sie nicht unversöhnlich fort. Denn selbst der Totschlag wird mit einer bestimmten Zahl von Rindern oder Schafen abgebüsst, und das ganze Haus lässt sich die Genugtuung gefallen, ein Glück für das allgemeine Wohl, weil ja Feindschaften neben der Freiheit umso gefährlicher sind ... Das Würfelspiel treiben sie, worüber man sich wundern möchte, nüchtern, ganz wie ein ernstes Geschäft, mit solcher Verwegenheit bei Gewinn und Verlust, dass sie nichts mehr haben, auf den äussersten und letzten Wurf sogar ihre Freiheit und Person setzen. Der Ueberwundene begiebt sich freiwillig in die Knechtschaft. Ist er auch jünger und stärker, so lässt er sich dennoch binden und verkaufen. So gross ist ihr Starrsinn bei solcher Verkehrtheit; sie selbst nennen es Worthalten. Sklaven dieser Art verkaufen sie, um sich zugleich auch von der Schande ihres Sieges zu befreien. Die übrigen Sklaven verwenden sie nicht so wie wir, dass die Geschäfte unter die Dienerschaft verteilt sind, sondern jeder schaltet über Haus und Herd als sein Eigentum. Eine bestimmte Menge Getreide, Vieh oder Kleidungsstücke legt ihm der Herr wie einem Lehensmann auf und insoweit gehorcht er als Sklave. Die übrigen Geschäfte des Hauses verrichten Frau und Kinder. Einen Sklaven geisseln oder durch Bande und Arbeit zu züchtigen, ist selten. Zu töten pflegt man sie, nicht der Zucht und Strenge wegen, sondern in der Aufwallung und im Zorne, wie einen Feind, nur dass es ungestraft geschieht. Freigelassene sind nicht viel mehr als Sklaven, haben selten einiges Gewicht im Hause, wie in der Gemeinde, lediglich die Völkerschaften ausgenommen, die unter Königsherrschaft stehen. Denn da erheben sie sich selbst über Freigeborene, selbst über den Adel. Bei den übrigen ist eben das Nachstehen der Freigelassenen Beweis der Freiheit.«

Obgleich nun Tacitus die Verhältnisse der Germanen mit römisch gefärbter Brille betrachtet hat und manche seiner Angaben nur vom Hörensagen zu machen wusste, müssen wir ihn doch in diesen Dingen bei den geringen Ueberlieferungen, die uns sonst darüber überkommen sind, als vertrauenswerte Autorität betrachten. Von einer Anwendung der Tortur bei den Germanen weiss er uns nichts zu vermelden, ein Umstand, der jedoch keineswegs zu der Folgerung berechtigt, dass sie bei ihnen nicht vorgekommen sei. Tacitus könnte diese Sache, vom Standpunkt eines Römers, als zu geringfügig ausser Betracht gelassen haben. Die, wenn auch selten vorgekommene Geisselung und anderartige Züchtigung der Sklaven, sowie deren ungestraft gebliebene Tötung, geben nur zu sehr der Vermutung Raum, dass auch in germanischen Gauen die Folter, wenigstens den Sklaven gegenüber, zur Anwendung gelangt sein mochte. Noch mehr wird die Vermutung, dass diese Peinigungsmittel den Germanen überhaupt nicht fremd geblieben sind, bestärkt durch eine Stelle in der Edda. König Geirödr liess einen Fremden, namens Grimner, der ihm verdächtig schien, weil die Hunde vor ihm zurückwichen und der auf alle an ihn gerichtete Fragen keine Antwort gab, zwischen zwei Feuer setzen, um ihn zur Aussage zu nötigen. Grimner ertrug acht Tage lang schweigend diese Folter, und erst dann, als seine Kleidung Feuer fing, war er zu sprechen bereit.

Johannes Scherr schreibt (a. a. O. Seite 43): »Von altdeutscher Freiheit ist viel gesagt und gesungen worden. Unverzeihliche Unkenntnis und verzeihlicher Enthusiasmus haben gleicherweise daran gearbeitet, den staatlichen Haushalt unserer Ahnen mit einer Glorie der Freiheit zu schmücken, deren phantastischer Schimmer vor dem Lichte unparteiischer Forschung nicht hat bestehen können. Es ist wahr, es lag in der altgermanischen Freiheit der Verfaultheit der römischen Welt gegenüber ›die Ankündigung einer zweiten Jugend Europa's,‹ allein ebenso wahr ist es, dass von einer Freiheit im jetzigen Sinne, d. h. von Erstreckung der ewigen Menschenrechte über alle Klassen der Nation, in den altdeutschen Wäldern überall gar keine Rede war. Es gab Freie, ja, aber Sklaven gab es noch weit mehr. Das ganze Volk schied sich zuvörderst in zwei grosse Stände, in Freie oder Bevorrechtete und in Unfreie oder Rechtlose. Die letzteren übertrafen die ersteren an Zahl bedeutend: zu allen Zeiten hat ein Herr, eben um den Herrn spielen zu können, viele Knechte nötig. Der Stand der Freien und der Stand der Unfreien teilten sich dann später wieder jeder in zwei Unterarten, nämlich der erste in edle Freie (Adalinge, Edelinge, in den alten Rechtsbüchern nobiles genannt) und in gemeine Freie (Gemeinfreie, ingenui oder liberi), der zweite in zins- und dienstpflichtige Hörige (Liten, liti) und in eigentliche Sklaven (Schalke, servi). Die Sklaven, ein ursprünglich aus Kriegsgefangenen gebildeter Stand, werden in den alten Rechtssatzungen ausdrücklich mit den Tieren auf eine Stufe gestellt. Der deutsche Sklave wäre eine Sache, eine Waare, ein Tauschmittel; der Herr konnte ihn ungestraft misshandeln, verwunden, töten, weil nach altgermanischer Gerichtsverfassung nur Freie im Schutze des Rechtes standen. Die Hörigen oder Liten unterschieden sich von den Schalken dadurch, dass ihnen von den Herren Grundstücke zur Bebauung und Nutzniessung gegen gewisse Dienstleistungen und Abgaben (Feod) überlassen wurden und dass sie nur zugleich mit dem Grundstück, auf welchem sie sassen, verkauft werden konnten. Auf dem ökonomischen Verhältnis der Hörigen zu den Grundbesitzern beruht das später ausgebildete Lehns- oder Feudalwesen (eben von ›Feod‹). Besser daran als der eigentliche Sklave war der Hörige allerdings, namentlich deshalb, weil ihm die Gelegenheit des Erwerbes und damit die Möglichkeit geboten war, sich aus der Knechtschaft loszukaufen, wobei jedoch anzumerken ist, dass eines freigewordenen Liten Nachkommen erst im dritten Geschlecht in den Genuss sämmtlicher Rechte der Freien eintraten. So lange er hörig war, hatte er ebenso wenig wie der Sklave ein Klagerecht oder die Befugnis, vor Gericht zu erscheinen, sondern musste sich durch einen Freien vertreten lassen. Die ganze Brutalität des Verfahrens gegen Unfreie verrät schon der Rechtssatz, dass einem Knecht, der seinen Herrn eines Verbrechens zieh, nicht geglaubt werden durfte. Je grösser nun die Rechtlosigkeit der Unfreien, um so grösser die Vorrechte der Freien. Nur diese hatten das Recht, Waffen zu tragen, nur sie hatten Sitz und Stimme in der Volksversammlung, nur sie konnten Ankläger, Zeugen und Richter sein, nur sie konnten das Priesteramt bekleiden. So war also Kult, Gesetzgebung, Staatsgewalt und Richteramt ausschliesslich in ihren Händen. Von einem demokratischen Zug, welcher durch unsere Urzeit hindurchgehe, kann man demnach nur sprechen, sofern man den Begriff »Volk« auf eine Minderzahl von Bevorrechteten, auf die Herren, die Freiherren einschränkt. Für das eigentliche Volk aber bestand die altdeutsche Freiheit in schweren Arbeiten und Entbehrungen, starken Abgaben, Frohnden und Stockschlägen. Sein Loos, das der Hörigen und Sklaven, war ein sehr trauriges. Es hatte für seine müssig gehenden Herren zu schaffen und bei dem geringsten Vergehen Misshandlungen zu erfahren. Rechtlos in diesem Leben, hatte es auch keine Aussicht auf ein jenseitiges: nur Freie fanden Zutritt in Wuotans Walhalla.

In der frühesten Vorzeit bildeten den bevorrechteten Stand allein die Adalinge (daher auch Unfreie, Semperfreie genannt), welche sich im Besitze eines Allod, d. h. eines nach dem Recht der Erstgeburt vererbbaren Freigutes befanden. Grundbesitz und Adel waren demnach ursprünglich ein und dasselbe Ding. Deshalb wird auch das Wort Adal oder Adel selbst zurückgeführt auf Odal (von Od, d. i. Gut), wobei freilich zu bemerken, dass diese Ableitung streitig, indem anderweitig behauptet wird, Adel habe uranfänglich Geschlecht (genus) bedeutet, mit dem Nebensinne von Nobilitas, wie ja auch im Mittelalter die adeligen Stadtbürger »Geschlechter« hiessen. Der Stand der Gemeinfreien bildete sich allmählig aus freigewordenen Liten. Aus den Adalingen ging später der hohe, aus den Gemeinfreien der niedere Adel hervor, während die Gefolgschaften, die sich um einzelne berühmte Kriegshelden scharten, die Pflanzschule des durch die Völkerwanderung bedeutend gewordenen Waffenadels waren. Dem Allodbesitzer stand die Mundschaft und Herrschaft über seine Familie (Sippschaft) zu; seine männlichen und weiblichen Verwandten (Schwertmagen und Spill- oder Spindelmagen) schuldeten ihm Gehorsam (standen in seinem Bann). Mehrere Allode machten in freier Vereinigung eine Mark oder Gemeinde aus. Gemeinsamkeit der Interessen vereinigte eine Anzahl von Gemeinden zu einem Gau, dessen öffentliche Angelegenheiten in einer Versammlung der Freien unter freiem Himmel beraten und entschieden wurden. In solchen Versammlungen wählte man durch Besitz, Mut und Kriegsruhm ausgezeichnete Männer zu Herzogen, die vor dem aus Allodbesitzern und ihrem Gefolge bestehenden Heerbann als Führer herzogen, daher der Name; ferner die Priester und die Gaurichter Grafen, vom altd. gerefa, Einnehmer, Richter). Von diesen Beamten gingen die auf Gewohnheitsrecht beruhenden, wohl auch mittels der Runenschrift fortgepflanzten Gesetze aus. Fassen wir das Gesagte zusammen, so ergiebt sich, dass den losen, lockeren Staatsverbänden von Altdeutschland mit Fug und Recht der Name Adelsrepubliken, aristokratischer Freistaaten gegeben werden darf.

Die germanische Gerichtsverfassung blieb im Wesentlichen von der ältesten bis zum Ende der karlingischen Zeit die gleiche. Dass nur Freie Ankläger, Zeugen und Richter sein konnten, ist schon erwähnt worden. Die Stätten, wo Gericht gehegt wurde, die Mallen, befanden sich im Freien bei geheiligten Bäumen und Quellen, was schon erraten lässt, dass die Schlichtung der Rechtshändel im Heidentum von religiösen Gebräuchen begleitet war und das Priestertum an der Rechtspflege seinen Anteil hatte. Anfangs waren die Priester selbst Richter, später wurden die Richter durch die Freien aus ihrer Mitte gewählt und der Graf sass dem Gerichte vor. Das Verfahren war ein öffentliches vor dem versammelten Volke, d. h. vor dem rechtsfähigen Teile desselben, woraus sich ergiebt, dass die Urteile entschieden auf der Basis der öffentlichen Meinung ruhten. Dem uralten Rechtsgrundsatz: »Wo kein Ankläger, kein Richter« – gemäss war die Form des Verfahrens die des Anklageprozesses. Das gangbarste Beweismittel von Schuld oder Nichtschuld war der Eid, abgelegt auf des Schwertes Griff oder Schneide, unter Anrufung dieses oder jenes Gottes. Männer schwuren auch auf ihren Bart, während die Frauen beim Schwören die Hand auf ihre Brust oder an ihren Haarzopf legten. Mit dem Eid war das eigentümlich germanische Institut der Eidhelfer verbunden. Bei den meisten deutschen Stämmen galt nämlich der Grundsatz, der Ankläger habe nicht die Schuld des Angeklagten, sondern dieser seine Unschuld zu beweisen. Deshalb musste sich der Angeklagte vermittelst eines Eides reinschwören, aber sein Wort allein genügte nicht, um das öffentliche Vertrauen zu ihm wiederherzustellen. Darum musste er sich nach einer Anzahl Freunde umsehen, welche bereit waren, mit ihrem eigenen Eide zu bekräftigen, dass sie der Versicherung seiner Unschuld glaubten. Sie legten also nicht sowohl Zeugnis über den Tatbestand ab, als vielmehr über die Glaubwürdigkeit des Angeklagten, sie halfen ihm bei seinem Eide, daher die Bezeichnung Eidhelfer. Die Zahl derselben war je nach der Schwere des in Frage stehenden Verbrechens verschieden, bei den schwersten stieg sie bis auf 40, 70 und 80. Wenn aber der Ankläger dem Eide des Anklagten und dem der Eidhelfer desselben nicht traute, so blieb ihm noch übrig, auf gerichtlichen Zweikampf als auf ein Gottesurteil (Ordâl, wovon das lat. ordalium, angelsächsische Wortform, althochdeutsch urteili) – zu provozieren, denn in solchen Fällen, meinten unsere Ahnen, müsse man das Urteil der Gottheit selbst anheimstellen, welche dem unschuldigen Teile Sieg verleihen würde. Auch der Angeklagte musste sich, wenn er keine Eidhelfer finden konnte, durch Zweikampf reinigen oder aber sich einer andern Art von Gottesurteil unterwerfen, nämlich der Wasser- oder Feuerprobe ... Einem angeklagten Freien war nur in zwei Fällen jedes Schutzmittel entzogen, wenn er nämlich von der ganzen Gemeinde auf handhafter Tat ergriffen wurde oder wenn die ganze Gemeinde den Tatbestand zu seinem Ungunsten bezeugte. Gegen überwiesene Unfreie lautete in Kriminalfällen von irgendwelcher Bedeutung das Urteil kurzweg auf Tod in mannigfachster Gestalt oder wenigstens auf grausame Verstümmelung. Ueber Freie jedoch konnte die Todesstrafe oder eine körperliche Strafe überhaupt nur dann verhängt werden, wenn sie durch Mord des Heerführers, durch Landesverrat u. dgl. m. als unmittelbare Feinde und Schädiger des Gemeinwesens auftraten. Alle sonstigen Verbrechen, Mord nicht ausgenommen, büsste der Freie bloss durch Erlegung von Sühngeld (Wergeld, compositio), welches an die Familie des Beleidigten, Geschädigten oder Getöteten fiel. Diese Busse, deren Höhe nach der Schwere des Verbrechens sich bestimmte und gerichtlich festgestellt wurde, ward in Geld oder in Ermangelung desselben in Vieh oder anderer Habe entrichtet und diese Bestimmung würde roher Willkür und Lasterhaftigkeit der Reichen allerdings Thür und Thor geöffnet haben, hätten nicht die ziemlich hohen Wergeldsansätze einigermassen einen Riegel vorgeschoben. Bei den Franken z. B., wo der Wert einer Kuh einem Solidus (Schilling) gleichstand, musste der Mord einer wehrlosen Frau mit 600 Solidis oder Kühen gesühnt werden und in diesem Verhältnisse wurden auch geringere Verletzungen und Beleidigungen, namentlich solche gegen weibliche Schwäche und Ehrbarkeit gebüsst. Wer z. B. einer Frau in beleidigend unehrbarer Weise die Hand streichelte, musste es mit 15 Schillingen oder Kühen büssen; streichelte er ihr den Oberarm, so hatte er es, natürlich bei erfolgter Klage und Ueberweisung, mit 35 Schillingen oder Kühen zu sühnen; wagte er gar, ihr die Brust zu betasten, so stieg die Busse auf 45 Schillinge oder Kühe. Noch ist hervorzuheben eine weitere wichtige Seite des germanischen Strafrechts, das Faust- oder Fehderecht, welches einesteils in dem uralten Brauch der Blutrache seine Wurzel hatte, andernteils in der Auffassung des ganzen Rechtsverhältnisses als eines Friedensverhältnisses von Seiten unserer Vorväter. Wer das Recht brach, brach damit auch den Frieden mit dem Verletzten und dessen Sippschaft. Der unpolizierte altgermanische Staat überlies es nun dem Beleidigten, falls derselbe nicht bei den Gerichten Recht suchen wollte, sich selber Genugtuung zu verschaffen, zum Faust- oder Fehderecht zu greifen, welches darin bestand, dass dem Geschädigten gestattet war, mit seinen Sippen und Freunden gegen den Schädiger Fehde (Faida) zu erheben und den Bruch des Rechtsfriedens mit dem Blute des Friedenbrechers zu sühnen, wenn er dies im Stande war oder wenn nicht ein rechtzeitiger Vertrag das Aeusserste verhütete. So bildete zum Recht auf Wergeld das Fehderecht eine Ergänzung; auch war es nicht ohne Einschränkung, denn bei blossen Civilansprüchen durfte nicht zur Fehde gegriffen werden.«

Schwur und Wasserurteil. Aus dem Heidelberger Sachsenspiegel Handschrift 13. Jahrhundert

Das Fehderecht ist auch unter dem Namen Faustrecht bekannt, um dessen Beseitigung sich später mehrere deutsche Kaiser vergeblich bemühten. Die verkündeten »Landfrieden« fanden nur wenig Beachtung obgleich die Uebertreter zuweilen zu der schimpflichen Strafe des Hundetragens verurteilt wurden, so im Jahre 1185 selbst der Pfalzgraf Hermann und andere Grafen Dodechinius ad an. 1185: Rex Nativatem Domini Vormaciae (Worms) celebravit, ubi Hermanus Palatinus Comes, et Emicho Comes de Linengen et Gotfridus de Spanheim, et Henricus de Katzenelboge et Conradus Comes de Kirberg, Henricus de Dodissen et allii ex parte praedicti Hermanni canes portaverunt, et sic dominus Arnoldus episcopus ab exeommunicatione eos absolvit.. Damals war übrigens das Faustrecht noch zulässig und nur an gewisse Formen gebunden. Der Landfrieden vom Jahre 1187 fordert nur, dass die Fehde dem Gegner drei Tage vorher angekündigt werden musste. »Wir setzen auch und bestimmen durch dieses Edikt, dass, wer einem andern Schaden zufügen und ihn zu verletzen beabsichtigt, ihm mindestens drei Tage vorher durch eine sichere Botschaft absagen soll. Würde der Verletzte in Abrede ziehen, dass ihm vorher abgesagt worden sei, so soll der Bote, wenn er noch lebt, schwören, dass er von seiten seines Herrn zu bestimmter Stelle und Zeit abgesagt habe. Ist der Bote tot, so soll der Herr in Verbindung mit zwei wahrhaften Männern schwören, dass er ihm abgesagt habe.« Reichsabschied von Nürnberg 1187. Auch die Kirche trat wider diese Privat-Kriegsführung auf und stiftete den Gottesfrieden (treuga Dei) wonach von Mittwoch bis Montag und an andern geweihten Tagen jede Fehde ruhen müsste. Der Bruch des Gottesfriedens wurde mit dem Kirchenbann bestraft, dem, wenn er nicht in einer gewissen Frist gelöst wurde, die Reichsacht folgte. Der erwähnte Vorfall des Hundetragens scheint sich eigentlich auf Gottesfriedensbruch bezogen zu haben.

»Diese Zustände eines allem Recht Hohn sprechenden Faustrechts,« schreibt Wächter in »Vehmgerichte und Hexenprozesse in Deutschland« S. 26 etc., »wurden in ganz Deutschland als eine wahre Landplage empfunden. Und doch währte solche Herrschaft roher Gewalt und kräftiger Fäuste bis gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, nur ein wenig gezügelt durch den ritterlichen Sinn, durch einzelne energische Kaiser, durch den Einfluss der Kirche und durch die Entwicklung der Städte.

So war es einem Verbrecher nur gar zu leicht möglich, sich den Gerichten zu entziehen und sogar auch ihnen offen zu trotzen im Vertrauen auf seine Burg und auf seine und seiner Genossen Fäuste. Der Schwache und Wehrlose wurde unterdrückt und musste alle Unbill über sich ergehen lassen. Inmitten dieser anscheinend unentwirrbaren Rechtlosigkeit und gegenüber der Unmacht fast aller Gerichte, sehen wir in Westfalen einfache Volksgerichte, von Ungelehrten, meist Bauern besetzt, sich erheben, einen Hort des Rechts für jeden durch Verbrechen Geschädigten. Es sind dies die Vehmgerichte, welche bald mit unwiderstehlicher Macht ihrer Ladung und ihrem Richterspruch bis an die fernsten Grenzen des deutschen Reichs Geltung zu schaffen wussten.

Immerhin aber war es ein ungesunder Zustand, wenn wegen Machtlosigkeit der einheimischen Gerichte der Freistuhl auf roter Erde auch von dem in andern Gauen des Reichs Verletzten angerufen werden musste. Es galt daher das entartete Fehderecht völlig zu beseitigen. Dies geschah, zunächst freilich noch auf dem Papier, auf wiederholtes Andrängen der Reichsstände und Kaiser Maximilians I. im Jahre 1495 durch den sogenannten ewigen Landfrieden. Durch dieses Reichsgesetz wurde das Reichskammergericht, welches für Ordnung und Frieden im Reiche sorgen sollte, neu organisiert, das Fehderecht ganz aufgehoben und jede Fehde bei Strafe des Landfriedenbruchs verboten. Aber noch lange Zeit wurde das Verbot übertreten, so dass es Sprichwort war: man traue dem Landfrieden nicht.

Die Gerichte gelangten allmählich zu grösserem Ansehen und ausreichender Machtstellung. Aber im Strafverfahren selbst vollzog sich eine tief einschneidende Aenderung. An Stelle des alten Anklage-Verfahrens schritt man mehr und mehr von Amtswegen ein. Für diesen inquisitorischen Prozess bildete sich ein geheimes und schriftliches Verfahren. Den Beweis der Schuld suchte man vorzugsweise durch Geständnis des Verdächtigen zu erbringen. Und hierbei geriet man auf die folgenschwerste Verirrung, nämlich darauf, das Geständnis durch die Folter zu erpressen.«

Diese Veränderung der Rechtszustände trat bereits Ende des zwölften Jahrhunderts ein, wo die zahlreichen in Deutschland geltenden Gesetze durch das römische unter Justinian zusammengestellte Recht verdrängt wurden. Es war nur zu selbstverständlich, dass die römisch-deutschen Kaiser, die sich gewissermassen als die Nachfolger der römischen Kaiser betrachteten, in dem von ihnen regierten Reich auch die Satzungen der alten Weltbeherrscher zur Geltung zu bringen suchten. Allerdings wollte man die alte Gepflogenheit nicht leicht aufgeben und besonders die Städte waren später bemüht, ihre Rechte zu sammeln, wobei allerdings auch manches »Römische« eindrang. Manche dieser Sammlungen, »Weistümer« sind uns überliefert worden und bilden recht beachtenswerte kulturhistorische Zeugen der Vergangenheit.

Zwei dieser Rechtsbücher sind die bereits angeführten »Sachsenspiegel« und »Schwabenspiegel«. Ersterer enthält die norddeutschen, letzterer die süddeutschen Rechtsregeln. »Ausserdem,« bemerkt Wessely in seinem »Deutschlands Lehrjahre«, ist das alte alemannische Recht zu nennen, die älteste Gesetzsammlung, die im ursprünglichen germanischen Volksrecht seine Wurzel hat. Später wurde es umgearbeitet, bei welcher Gelegenheit das kanonische Recht grossen Einfluss auf dessen Umgestaltung nahm. Es enthält eine ausführliche Beschreibung aller damals vorkommenden Gesetzübertretungen nebst Bemessung der Strafen, die durchweg Geldstrafen sind: Wer einen Bischof insultierte, muss so büssen als ob er einen Fürsten beleidigt hätte. Auf den Tod eines Priesters sind sechshundert, auf den eines Mönches vierhundert Gulden Strafe gesetzt, ein hoher Preis nach damaliger Währung. Dagegen wurde der Mord eines gewöhnlichen Mannes nur mit neun, eines Weibes mit achtzehn Gulden bestraft. Wer am Sonntag arbeitet, verliert ein Drittel seines Erbes, und wer nochmals betreten wird, der soll in die Leibeigenschaft gegeben werden. Weil er Gott zu Ehren nicht feiern wollte, soll er ewig dienstbar bleiben, begründet erbarmungslos das Gesetz seine Strafe. Auch die ehelichen Verhältnisse sind aus dem Gesichtspunkt des kanonischen Rechts aufgefasst. Die Entführung einer Braut musste mit zweihundert Gulden gebüsst werden. Auch die Verstümmlung einzelner Gliedmassen wurde hart gestraft; beim Ohr, Auge, bei der Nase u. s. f. sind viele Fälle und Variationen der möglichen Verstümmlung vorgesehen und nach dieser Auseinandersetzung müssen unsere Vorfahren jener Zeit rechte Raufbolde gewesen sein. Wenn das kanonische Recht, das auf Mosis Dekalog fusste, auf die Handhabung der Gerechtigkeit einen immerhin wohltuenden Einfluss übte, so hat es anderseits die Gesetzgebung mit einer Anstalt belastet, die der Menschheit stets zur Schande gereichen wird, mit der Inquisition und dem Ketzergericht. Man wusste sehr geschickt die erste als eine politisch notwendige Anstalt zu deklarieren. Die katholische Kirche war Staatsreligion; wer gegen diese frevelt, ist nicht allein ein Abtrünniger und Feind der Kirche, sondern auch des Staates ...«

Es ist stark in Zweifel zu ziehen, dass das kanonische Recht (Jus canonicum) einen heilsamen Einfluss auf die deutschen Rechtzustände ausgeübt hat. Indes ist es leicht erklärlich, dass zu einer Zeit wo die Kirche, oder vielmehr das Papsttum zu einer Grossmacht, oder vielmehr Allmacht herangewachsen war, diese Institution auch bemüht war, dem wichtigsten Faktor im Leben jedes Volkes, der Rechtsprechung ihr Gepräge zu geben. Zweifellos ist auch, dass die Inquisition, mit der wir uns noch ausführlicher beschäftigen werden, die Tortur im grossen Umfang und mit unmenschlicher Grausamkeit zur Anwendung brachte, wobei eben die Machtbestrebungen des Papsttums und der bis zum Wahnwitz gesteigerte religiöse Fanatismus, auch in Verbindung mit anderen Motiven, die Urheber dieser Scheusslichkeiten waren. Irrig wäre es aber anzunehmen, dass das päpstliche Rom immer der Anwendung der Folter geneigt war und die europäischen Staaten allzeit von dieser Seite her Anregung und Aufmunterung zur Anwendung dieser Marter erhielten. Die Traditionen des alten Römerstaates haben sich vielmehr auch in diesem Punkte erhalten und fortgepflanzt, nicht nur bei den unmittelbaren Erben jener Kultur, sondern auch bei Germanen und Slaven. Es kam sogar vor, dass das Papsttum, wenigstens zur Zeit wo es noch nicht auch politisch völlig als Herr der Welt sich gebärdete, gegen die Anwendung der Tortur entschieden auftrat. So wissen wir von Papst Nikolaus I. (858-867), der auch der Grosse genannt wurde, durch Exkommunication des Patriarchen von Jerusalem Photius die erste Spaltung der abendländischen und morgenländischen Kirche hervorrief, und der fränkischen Kirche seine Oberhoheit aufzwang, ein Papst also, dem es keineswegs an Machtbewusstsein fehlte, dass er den Fürsten der Bulgaren nachdrücklichst zur Unterlassung der Tortur ermahnte, die damals bei diesem Slavenvolk auch gegen unter Verdacht des Diebstahls Stehende angewandt wurde. Er schrieb ihm, dieses Vergehen sei wider alle göttlichen und menschlichen Gesetze: »Und wenn ihr nun durch alle von euch angewandten Strafen kein Bekenntnis von dem Angeklagten erpressen könnt, schämt ihr euch nicht dann wenigstens und erkennt ihr dann nicht, wie gottlos ihr richtet? Gleicherweise wenn Einer durch die Marter dazu gebracht worden, sich dessen schuldig zu bekennen, was er nicht begangen, wird dann nicht die Schuld auf den fallen, welcher ihn zu einem solchen lügenhaften Bekenntnis zwingt? Verabscheut also von ganzem Herzen, was ihr bisher in eurem Unverstande zu tun pflegtet.« Neander, Allgemeine Gesch. der christlichen Religion und Kirche 3. Aufl. B. II. S. 170.

Mittelalterliches Gericht in der Holzschranke. Im Hintergrund die verschiedenen Todesstrafen. Aus Petrarcas Trostspiegel, Augsburg 1539.

Auch bei den andern Slavenvölkern finden wir die Tortur in Anwendung. Iwan I., der erste Zar von Russland (1462-1505), gab seinem Volke ein neues Gesetzbuch, in dem auch die Folter eine grosse Rolle spielt. Graf von Ségur urteilt in seiner »Geschichte Russlands« über dieses Werk: »Uebrigens ist in diesem Gesetzbuch alles scharf, wie das danach alles zerschneidende Schwert. Der Zweikampf entscheidet den grössten Teil der Kriminal-Verbrechen. Im Falle eines Verdachts und wenn ein unantastbarer Ruf mangelt, muss die Tortur die Justiz aufklären. Die Strafen in Iwans Gesetzbuch sind Güter-Entziehung, die Knute, Sklaverei, der Tod, die seinem Despotismus die Wage halten, und deshalb hat auch Russland durch seine blinde Knechtschaft Europa in Staunen versetzt.« Von Zar Iwan II. (1553-84), auch »der Schreckliche« genannt, wird nach dessen Sieg über Nowgorod und den nachfolgenden Grausamkeiten gemeldet:

»Jetzt erklärte er, dass der Gerechtigkeit Genüge geleistet sei; er zog sich zurück, empfahl sich ernstlich dem Gebete der Ueberlebenden, die sich denn auch wohl vorsahen, gegen das Gebot ihres Erdengottes nicht zu verstossen. Auch Twer und Pskow erfuhren seine Gegenwart; endlich sah Moskau ihn wieder, und an demselben Tage füllten glühende Kohlenpfannen, ungeheure Kessel von Erz und 80 Galgen den Markt. Fünfhundert der angesehensten, von der Folter bereits zerrissene Edelleute wurden dort hingeschleppt, und ein Teil derselben unter dem wilden Jubel der Leibwächter niedergemetzelt, während die grössere Zahl von ihnen unter den langsamen Messerschnitten der Höflinge des moskowitischen Ungeheuers ihr Leben aushauchte.

Die Frauen wurden eben so wenig geschont; Iwan liess sie an den Türen ihrer Wohnungen aufknüpfen, und zwang ihre Gatten, diese nicht anders, als vermittelst Durchkriechens unter den Leichnamen ihrer Lebensgefährtinnen, und zwar solange, bis sie in Fäulnis übergegangen und auf sie niedersinken würden, zu betreten und zu verlassen. Ferner wurden tote Männer und Kinder auf den Stellen, die sie an dem Familientische sonst einnahmen, festgebunden, und ihre Frauen und Mütter genötigt, sich mehrere Tage hindurch den teuren und entseelten Hüllen der Ihrigen gegenüber zu setzen.

Hunde, Bären, die der Wahnwitzige Spasses halber auf das Volk losliess, mussten den durch verstümmelte Leichname gesperrten Markt säubern Nach den Jahrbüchern Pskows gab es zu Nowgorod allein 60 000 solcher Schlachtopfer.. Mit jedem Tage ersann er neue Martern, die seine alles Mass überschreitende, stumpf gewordene Tyrannei doch nicht ausreichend fand. Es verlangte ihn nach Bruder- und Vatermord. Basmanoff war gezwungen, seinen Vater, Prozorowski seinen Bruder zu töten! Dann liess das Ungeheuer 800 Frauen ersäufen, durchstöberte mit wilder Raubgier die Wohnungen seiner Schlachtopfer, und durch schreckliche Folterqualen nötigte er die übrig gebliebenen Angehörigen, ihm die Stellen, wo sie ihre Schätze verborgen gehabt, zu zeigen. Die Güterbeschlagnahme, verbunden mit Monopolen, Auflagen und Eroberungen, häufte in seinem Palaste die Schätze des Reichs und der Tataren auf, wozu noch die des geplünderten, wenn gleich nicht eroberten Lieflands sich gesellten.

Bei seinen langen und fruchtlosen Kriegen gegen die Schwertritter bezeichneten schreckliche Todes-Martern seine flüchtigen Erfolge. Der mutige Widerstand, den der Feind ihm entgegensetzte, schien ihm Empörung, und seine Gefangenen liess er in glühende Kessel werfen, oder auf Lanzen aufspiessen, auf Kohlenpfannen, die er selbst anschürte, lebendig braten.«

Diese Rechtszustände, sofern bei einer despotischen Regierung überhaupt von Rechtszuständen gesprochen werden kann, währten auch fort nachdem das Herrschergeschlecht Rurik von den Romanoff abgelöst wurde. Bis zur Zeit Peters des Grossen, und vielleicht auch noch später gab es in Russland auch eine Eisfolter. Auf einem der grössten Plätze Moskaus stand eine steinerne Säule, an der der Inquisit im Winter in sehr dünner Bekleidung gefesselt wurde. Konnte ihn die Kälte nicht dazu bringen, das zu gestehen oder auszusagen was man wollte, so wurde von einer über der Säule befindlichen Gallerie auf ein Zeichen des Verhörenden ein grosser Kübel kaltes Wasser auf den Inquisiten gegossen das sogleich zu Eis wurde. Verlor der Gemarterte dabei die Besinnung oder schien es sonst ratsam, so wurde er dann in einen warmen Raum gebracht und mittelst Reibung und anderer Mittel wieder zu Bewusstsein gebracht. Dann wurde er wieder befragt und wenn seine Aussage nicht befriedigte, der Vorgang wiederholt, auch mehrmals wiederholt. Es soll nur selten bei dieser Qual einer mit dem Leben davon gekommen sein. Dann wurde sein Leichnam so lange begossen, bis sich eine dicke Eisrinde bildete und in diesem Zustand blieb er bis zum Abend als warnendes Exempel ausgestellt.

Als Peter der Grosse den Strelitzen-Aufstand niederschlug, kam ebenfalls die Tortur zur Anwendung. Ségur berichtet:

»Seine Rache war entsetzlich, die Strafe milder, denn das Verbrechen. Anfänglich die Folter, dann die gliedweise Verstümmlung, dann, als nicht mehr Blut genug vorhanden war, um Schmerz zu empfinden, der Tod. Zum Beschluss wurden ihre Köpfe auf der Spitze einer Säule zur Schau gestellt, und die Gliedmassen gleichsam wie zur Verzierung ebenmässig rund umher geordnet; eine Sitte, die sich für eine Regierungsform von Gebietern und Sklaven, die sich gegenseitig zum unvernünftigen Viehe herabwürdigen und deren einziger Gott die Furcht ist, eignet.«

Von einem bald darauf folgenden zweiten Strelitzen-Aufstand, der ebenfalls niedergeschlagen wurde, wird mitgeteilt:

»Peter, der sich damals in Wien aufhielt und in Begriff stand, nach Italien zu gehen, traf gerade bei dem Siege der Ordnung gegen die Unordnung wieder ein und benutzte ihn. Aber wie wollte er wohl eine Umbildung bewirken, als er aus gesitteten Ländern wiederkehrend, in jene rohen und wilden Sitten so zurücksank, dass er mit seinen eigenen Händen zwei Tausend jener elenden Janitscharen marterte und zerfleischte? Zwar waren es die nämlichen Barbaren, die ehemaligen Mörder der Grossen des Staats, die Henker seiner Familie, die dreifachen Meuchelmörder seiner Kindheit und Jugend; jene Uebermütigen waren es, die mit dem Beil in der Hand darauf bestanden, in ihren blutigen Saturnalien den Staat zu regieren; jene Anführer, die, für den Augenblick noch doppelte Verräter an ihrem Vaterlande, dessen Grenzen verlassen hatten, um dessen Regierungsform umzustossen, um es wieder in das tiefe Dunkel zu versenken. Gleichwohl kann das Uebermass so mannigfacher Verbrechen keinen Grund zu der Abscheulichkeit so gehäufter Todesmartern abgeben. Das Fortreissen damaliger Sitten und Gewohnheiten kann sie eben so wenig entschuldigen, als die Bedrängnis der Lage und die rohen Formen, deren Anwendung bei wilden und stumpfen Sklaven unerlässlich ist.

Die einzelnen Umstände (jenes verabscheuungswürdigen Verfahrens) sind schrecklich; die Geschichte kann sie nicht verschweigen. Peter selbst vernahm die Verbrecher auf der Folterbank; dann, um Iwan, dem Tyrannen, nachzuahmen, wurde er ihr Richter, ihr Henker. Er nötigte die ihm treugebliebenen Adligen, den straffälligen Standesgenossen, denen er das Todesurteil gesprochen, die Köpfe herunterzuschlagen.

Von seinem Trone trocknen Blickes niedersehend, wohnte der Grausame den Hinrichtungen bei; er tat noch mehr! denn mit den Freuden der Festlichkeiten vermischte er den Schauder der Todesmartern. Trunken von Wein und Blut, in der einen Hand das Glas, in der andern das Beil, deuteten zwanzig in einer einzigen Stunde nach und nach dargebrachte Libationen auf den Fall von zwanzig Strelitzen-Köpfen, die er herunter schlug, und dabei auf seine fürchterliche Geschicklichkeit stolz tat. Im darauf folgenden Jahre, mochte es nun von dem Aufstande jener Janitscharen, oder von der Abscheulichkeit ihrer Todesstrafe herrühren, wurde aus des Reiches entlegener Ferne ein Rückschlag laut, andere Unruhen brachen aus. Achtzig mit Ketten beladene Strelitzen wurden von Asow nach Moskau geschleppt, und ihre Häupter, die ein Bojar an den Haaren festhalten musste, fielen nach und nach noch unter dem Beil des Zaren. Er verlangte, dass fünf volle Monate hindurch Galgen und Rad fortwährend aufgerichtet werden, und ihre Beute zur Schau ausstellen sollten.«

Peter gab Russland auch ein neues Strafgesetz. Es ist kaum nötig hierbei zu erwähnen, dass dieses neue Gesetz die Anwendung der Tortur zuliess, eine Tatsache, die übrigens umsoweniger zu verwundern ist, als damals noch in ganz Europa die Tortur angewandt wurde und viele Jahre später sogar noch Maria Theresia für ihre Erbländer neue ausführliche Bestimmungen dieser Art erliess.

Auch bei den Polen kam die Folter vor, von der aber Adel und Geistlichkeit, wie in Oesterreich und Bayern ausgenommen waren.

Wir haben, um die Darstellung nicht zu zersplittern, mit einigem die dieser Abteilung unseres Werkes gesteckten Zeitgrenzen überschreiten müssen und kehren wieder zum Mittelalter zurück. Wir finden hier überall die Tortur als Zwangsmittel zu gerichtlichen Aussagen, zumeist als Ueberlieferung vom alten Rom, ohne aber dabei behaupten zu können, dass sie bei den meisten Völkern nicht schon ursprünglich vorhanden gewesen wäre. Ja für diese Annahme ist sogar die Wahrscheinlichkeit gross. Wir finden die Kirche als Gegner dieses Zwangsmittels, sehen aber, und werden noch weiter zu erkennen Gelegenheit haben, dass es von ihr mit ihrer Machtzunahme bedeutend zur Anwendung gelangte, umfangreicher sogar, als dies von weltlichen Mächten vorgenommen wurde. Man hat nicht mit Unrecht den Kreuzzügen einen Einfluss auf die Anwendung der Tortur in Europa zugeschrieben. »Auf allen Gebieten des europäischen Lebens,« schreibt Henne am Rhyn in seiner »Kulturgeschichte der Kreuzzüge« S. 208 ff., »in Handel und Verkehr, Gemeinde und Staat, Kunst und Wissenschaft, zeigte sich seit den Kreuzzügen eine grössere Lebendigkeit statt der früheren geistigen Harmlosigkeit, eine grössere Selbständigkeit gegenüber der vorher herrschenden Engherzigkeit. Diesem lebhaften Treiben fehlten aber auch die Schattenseiten nicht. Das Völkergewühl in den Kreuzzügen brachte eine Verschlimmerung der Sitten, eine Zunahme der Rauf- und Fehdelust und das Raubrittertum neben einer Abnahme des echten Rittertums und der feineren Lebensart; Trunksucht und Völlerei nahmen überhand, die Frauenhäuser wurden allgemeine Unsitte; die Verbrechen nahmen zu und wurde die Folter, wurden die barbarischen Todesstrafen allgemeiner.«

Allerdings ist den Kreuzzügen nach dem Orient ein grosser Einfluss auf das nachfolgende Leben in Europa zuzuschreiben. Allein es ist dabei nicht ausser Acht zu lassen, dass diese Kreuzzüge selbst schon Symptome veränderter Verhältnisse und veränderter Anschauungen waren. Dann aber ist es auch ziemlich fraglich, ob die im Orient ziemlich stark zur Anwendung gelangte Tortur derart die Kreuzfahrer beinflussen konnte, dass sie auf deren heimische Rechtspflege so verderblich einwirkte, wie der Tatbestand später zeigte. Wenigstens liesse sich für diese Behauptung kein stichhaltiger Grund ausfindig machen.


 << zurück weiter >>