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Übersicht der Geschichte der Tortur. – Griechen und Römer. – Mittelalter. – Kreuzzüge. – Inquisition. – Ketzerverfolgungen. – Hexenwesen. – Reformation. – Bamberger Halsordnung. – Carolina. – Neuzeit. – Blütezeit der Tortur. – Ende der Tortur in Europa – Achtzehntes Jahrhundert. – Neunzehntes Jahrhundert. – Neuzeitliches Untersuchungswesen im Strafverfahren. – Schluss.
Wir sind nun zum Schlusse unserer Schilderungen der Tortur im Kriminalverfahren aller Völker und Zeiten gelangt und es erübrigt uns nur noch einen Rückblick auf das Ganze zu werfen, in Kürze alles in Betracht zu ziehen, was hier ausführlich vorgebracht wurde.
Nicht ohne Schaudern sprechen wir das Wort Tortur aus, das für unsere heutigen Anschauungen der Inbegriff herzloser Grausamkeit ist, und dankbarlich blicken wir auf unsere Zeit, die wir, wenigstens bei den Völkern mit europäischer Kultur, von diesem Gräuel gänzlich befreit wähnen. Ein genaues Erwägen der Zustände und Verhältnisse will uns jedoch zeigen, dass einerseits die Tortur im allgemeinen nicht gar so entsetzlich war, wie wir gewöhnlich anzunehmen geneigt sind, allerdings nur insofern, als Wahn und Fanatismus dabei nicht zur Geltung kamen, anderseits wieder, dass wir aufrichtigerweise selbst unsere vielgerühmten humanitären Tage von diesem Übel nicht völlig freisprechen können, wenn es nun auch weniger formell und legal in Erscheinung tritt. Wir werden auch davon absehen müssen, die Tortur als Produkt der Barbarei zu betrachten, finden, dass sie leider zu den Kulturerscheinungen gehört, die im Fortschreiten der menschlichen Gesellschaft gross und stark geworden. Allerdings, der Gedanke, dass der Stärkere den Schwächeren vergewaltigt, ihn auch mit grausamen Mitteln zur Aussage dessen zu zwingen sucht, was dieser von einer gewissen Sache weiss oder wissen könnte, ist leider nur zu natürlich, zu menschlich, könnte man sagen, und nur wer jeden harten Zwang, jede Gewalttätigkeit überhaupt aufrichtig verurteilt – und es würde bei einer genauen Prüfung aller etwa möglichen Fälle selbst bei dem entschiedensten Philanthropen so manches Wenn und Aber laut werden – nur der darf auch über die Anwendung der Tortur den Stab brechen. Wir finden sie in Sagen und Mythen der Alten erwähnt, finden sie bei Völkern mit noch ziemlich ursprünglichen Kulturformen, wie auch bei Völkern mit alter, petrafakter Kultur. Oft auch wird sie in den Überlieferungen auch nicht erwähnt, ein Umstand, der uns weniger berechtigt, auf ihre Abwesenheit bei dem betreffenden Volke zu schliessen, als auf eine gewisse Zurückhaltung, eine Scheu, das auszudrücken oder niederzuschreiben, was der Empfindung gemäss nicht rühmlich ist, wenn auch an der Berechtigung nicht gezweifelt worden sein mochte.
Vergeblich forschen wir nach dem Ursprung der Tortur: Die Heimstätte der Gesellschaft dürfte auch die der »peinlichen Frage« gewesen sein und vielleicht kam sie geeigneten Falls schon dort zur Anwendung, wo sich zum ersten mal ein Mensch zu dem andern gesellte. Man hat sie mit dem uralten Brauch der Ordalien in Verbindung gebracht. Eine Verwandtschaft beider muss allerdings entschieden zugestanden werden, doch lässt sich dabei wohl annehmen, dass erstere früher vorhanden war als letztere, deren Anwendung bereits eine gewisse Kulturhöhe, eine Ausbildung des Glaubens oder Aberglaubens voraussetzen lässt. Nehmen wir an, dass der ferne Orient die Urheimat des Menschengeschlechtes gewesen sei, so müssen wir ihn auch als die der Tortur erkennen. Auch ihre Ausbildung sozusagen erhielt sie an diesen alten Kulturstätten, wie alle Anzeichen darauf hinweisen. Von hier aus scheint sie mit anderen Kulturerrungenschaften den Griechen überliefert worden zu sein, womit jedoch keineswegs gesagt sein soll, dass sie bei diesen nicht auch schon ursprünglich vorhanden gewesen war. Sie kam hier hauptsächlich gegen Sklaven zur Anwendung, die im allgemeinen nicht sehr menschlich behandelt wurden, finden sie aber auch, besonders bei Staatsverbrechen gegen Freie angewandt. Die Foltermethode war einfach aber grausam und wir fanden hier das Tympanum, das wir später bei den Römern als Equuleus vorfinden und noch später bei den Deutschen und anderen Völkern als Streckleiter. In ähnlicher Weise wie die Griechen vom Orient, erhielten wohl die Römer, wie so manche andere Rechtsbräuche auch die Tortur von den Griechen überliefert, um sie wieder in ihrer Weise auszubilden. Später mag sich hierbei auch der direkte Einfluss des Orients geltend gemacht haben, der ja auch sonst so viel zur Entsittlichung und Verweichlichung der Römer beigetragen hat. Wie wir eben angedeutet haben stimmte ihre Tortur in vielen Stücken mit der griechischen überein, erhielt aber allmählich durch die Gesetzgebung so manches, was den Griechen fremd war. Westphal kennzeichnet in seinem bereits angeführten Buch den Unterschied beider mit folgenden Worten: »Der Unterschied zwischen griechischer und römischer Tortur bestand hauptsächlich in folgendem: 1) Unter den Kaisern wurde die Privat-Tortur abgeschafft, die bei den Griechen immer angewandt wurde. 2) Die Römer hatten besondere Verordnungen, wonach Sklaven nur ausnahmsweise zur Aussage wider ihren Herrn gefoltert werden durften, was bei den Griechen keine Geltung hatte. 3) Bei den Römern mussten zur Vornahme der Tortur einige Beweise vorhanden sein, die durch die Marter erst bestärkt werden sollten. Auch davon ist bei den Griechen nichts zu finden. 4) Die Römer hatten im Gegensatz zu den Griechen Vorschriften, die eine übermässige Tortur untersagten. 5) Bei den Römern konnte auch der Freie als Verbrecher gefoltert werden, was bei den Griechen ausgeschlossen gewesen zu sein scheint. 6) Auch kannten diese keine Ausnahmen von der Folter, wie es bei jenen der Fall war. 7) Endlich ist auch ein Unterschied in der Art der Tortur zu verzeichnen.«
Hier wie dort finden wir den grausamen, von schnöder Rechtsklügelei geschaffenen und selbst in dem tyrannischen Orient nicht vorhanden gewesenen Brauch, die als Zeugen auftretenden Sklaven dabei zu martern und dadurch erst ihrer Aussage einen Wert beizumessen. Dass die Tortur überhaupt gewöhnlich nur gegen Sklaven zur Anwendung gelangte, also gegen Kriegsgefangene, und erst später, in der despotischen Zeit bei besonderen Verbrechen gegen Freie zur Anwendung gelangen konnte, beweist, dass sie nicht für Menschen Würdiges gehalten wurde; Sklaven galten eben als Geschöpfe niederer Art.
Mit dem Fall Westroms übernahm Ostrom, das byzantinische Reich, der formelle Staatserbe des gesunkenen Imperiums auch diese Errungenschaft und übte sie, der geographischen Lage und den nahen Einflüssen gemäss, mit vermehrter, orientalischer Grausamkeit aus. Die eigentlichen Kulturerben Roms, die romanischen Völker, hielten grösstenteils an den vorhandenen Rechtsgewohnheiten fest, somit auch an die Anwendung der Tortur, obgleich sich bei ihnen auch noch germanische und andere Einflüsse geltend machten.
Auch bei den Bezwingern der römischen Macht, bei den Germanen, finden wir, dass die Anwendung der Tortur von Rom stark beeinflusst wurde. Es wäre aber ein Irrtum anzunehmen, dass sie nicht auch bei diesen schon früher vorhanden war und zur Anwendung gelangte, wie wir an den betreffenden Stellen zu erweisen bemüht waren. Der Einfluss des zur Macht gelangten Christentums, oder vielmehr Papsttums brachte das römische Recht erst in kirchlichen und später auch in weltlichen Dingen zur Geltung und damit auch die Tortur, die ja ohnehin nirgends völlig gefehlt hatte, und demnach im Mittelalter immer ausgreifender in Erscheinung trat. Es wird den orientalischen Kreuzzügen in dieser Beziehung ein grosser Einfluss zugeschrieben. Es mag ja immerhin sein, dass mit manchem anderen aus diesen wilden Kämpfen auch einiges was die Tortur betrifft nach dem Westen gelangte, wo es aber immerhin nicht als Fremdling erscheinen mochte. Bedeutsamer für die Ausbildung der peinlichen Frage dürften die Ketzerverfolgungen in Europa gewesen sein, die fortan mit grausamer Härte seitens der Kirche ausgeübt wurden, die sich durch das bisher nur mit massigen Strafen belegte Sektenwesen in ihrer Machtentfaltung bedroht fühlte. Es sei da nur auf die Ausrottung der Templer, die Verfolgungen der Albigenser, Waldenser und Stedinger hingewiesen, wobei allerdings oft auch materielle Interessen mit ins Spiel kamen. Doch die Ketzerverfolgungen mussten sich endlich erschöpfen, zumal bei den Völkern und auch bei einem grossen Teil der Geistlichkeit wenig Sympathie für diese selbst, sowie für das Treiben der eingesetzten päpstlichen Ketzerrichter vorhanden war, die mit barbarischer Strenge ihres Amtes walteten, die Tortur erbarmungslos anwandten und die Scheiterhaufen lodern liessen. Besonders in Deutschland sehen wir deren Wirken bald gewaltsam eingeschränkt, während in den romanischen Staaten deren Einfluss noch lange fortwährte, Dank der heiligen Inquisition. Der von Dominik de Guzman gegründete und nach ihm benannte Dominikaner-Orden war es hauptsächlich der die Inquisition mit allen ihren Schrecken und Verderben leitete und deren Wirken besonders Spaniens Geschichte bis zum neunzehnten Jahrhundert schändete, wo diese Institution auf der pyrenäischen Halbinsel unter den Kolbenstössen französischer Soldaten zusammenbrach. Welche Opfer dieser Orden, der kennzeichnender Weise einen Spürhund mit brennender Fackel im Maul im Wappen führte, in Spanien an Menschenleben gekostet hat, findet der Leser in dem Werke vermerkt, womit jedoch keineswegs gesagt sein will, dass diese Zahlenangaben erschöpfend seien. Was bei den Ketzerverfolgungen dieses Ordens noch besonders hervorzuheben ist, besteht in der Hereinziehung des Teufelskultus, Zauber- und Hexenwesens in die Sache, ein recht schlauer und geschickter Zug, der jedoch keineswegs nur auf Berechnung beruhte, nicht nur eine einfache Spekulation auf die Wahnvorstellungen der Menge war. Wenigstens wird von dem Ordenstifter Dominik in der »goldenen Legende« erzählt, er habe einige von Ketzern verführte Frauen zum wahren Glauben bekehrt und ihnen in der Kirche auch gezeigt, welchen Herrn sie bis dahin gedient hatten. Aus ihrer Mitte sei nämlich eine Katze mit grossen, feurigen Augen, kurzen aufrecht stehenden Schwanz gesprungen, wäre einige Zeit um diese Frauen herumgeschritten, um schliesslich am Glockenstrang hinaufzuklettern und zu verschwinden. Es ist nicht anzunehmen, dass der fanatische Dominik einen trügerischen Hocus-Pocus mit diesen Weibsbildern getrieben habe, es lässt sich daher wohl nur annehmen, dass es sich hierbei um ein nachträglich erfundenes Histörchen handle, das aber immerhin zeigt, welche Anschauungen man ihm zutrauen konnte, und welche Ansichten in den ihm nahe gestandenen Kreisen vorhersehend waren. Es ist übrigens auch nur ganz natürlich, dass die kirchlichen Eiferer in ihren Ketzerverfolgungen bei den Gegnern den Teufel mit im Spiel wähnten, denn diese Erklärung des angenommenen Abfalls vom wahren Glauben und somit von Gott konnte nach all ihren Vorstellungen nur als ein Höllentrug dienen. Allerdings ist keineswegs ausgeschlossen, wahrscheinlich sogar, dass später die Schlauen um den Stuhl Petri den bei den Völkern, und ganz besonders bei den Deutschen grassierenden Wahn von Zauber- und Hexenwesen ausnutzten, um die Verfolgungen, die oft auch, wie bereits bemerkt, einen sehr materiellen Beweggrund hatten, eine volkstümlichere Form zu geben. Und es gelang auch in der Tat allmählich. Der Hexenwahn setzte sich nach und nach so fest, dass er später auch die Kirchenreformation durchdrang und auf Seiten dieser eine fast noch grössere Verfolgungswut mit obligater Tortur und Verbrennung herrschte.
Inzwischen war aber fast in ganz Europa das römische Recht zur allgemeinen Geltung gekommen und damit auch die Tortur ein unerlässliches Rechtsmittel geworden. Es wurde von ihr, besonders in Deutschland mit seinen unzähligen Herren und Herrchen, Rechten und Sonderrechten, mehr Missbrauch als Gebrauch gemacht und es war schon als ein Fortschritt zum Bessern zu verzeichnen, dass die Bamberger Halsordnung erschien und in dem justiziellen Wirrwarr einigermassen Regelung brachte. Dieses Gesetz mit seinen Torturvorschriften wurde nicht nur von verschiedenen andern kleinen Herrschern angenommen, es diente auch der bald darauf von Kaiser Karl V. erlassenen Halsgerichtsordnung zum Vorbild; letztere stimmt auch, wie aus den mitgeteilten Stellen zu ersehen ist, grossenteils mit ersterer überein. Die damaligen Strafrechtszustände Deutschlands in Betracht genommen, bildete die Carolina, wohl einen wesentlichen legislatorischen Fortschritt, dessen Bedeutung jedoch nicht sehr hoch zu bewerten war, weil niemand der vielen kleinen Herrscher zur Annahme dieses Reichsgesetzes verpflichtet war und nach seinem eigenen Belieben und Gutdünken peinlich vorgehen lassen konnte. Immerhin war die Carolina aber ein gewisses Feststehendes in der Erscheinungen Fluht und galt, namentlich in späteren Zeiten, vielen Rechtslehrern und andern Juristen als massgebend. Mehr Einfluss jedoch hatte auf die Hexenverfolgungen, der einige Jahre früher erschienene » Hexenhammer«, der, trotz seiner katholischen Herkunft, trotz seiner oft in das Wahnwitzige hineinragenden Sentenzen selbst von protestantischen Rechtsgelehrten und Richtern als Orakel betrachtet wurde. Wir haben in unserer Darstellung der Erörterung des Hexenwesens einen breiten Raum gewährt, weil bei derartigen Prozessen die Tortur zumeist zur Anwendung gelangte, in Deutschland wenigstens, obgleich auch bei andern Prozessen mit der peinlichen Frage keineswegs gezögert wurde. Die Blütezeit der Hexenprozesse, wenn diese Giftpflanze überhaupt diese immerhin ein Gefühl des Wohlwollens erweckende Bezeichnung verdient, finden wir im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Welche Schreckensscenen damals der von religiösen Eifer, Dummheit und zuweilen auch von den gemeinsten und hässlichsten Motiven angeregte Verfolgungswahn gezeitigt, wie viele Hekatomben von Menschenleben er erfordert hatte, lässt sich aus unserer Darstellung so ziemlich ermessen. Mit Befriedigung aber sehen wir auch, dass es nicht an Männern fehlte, die, der Zeitströmung und anderen Widerständen zum Trotz, den Kampf gegen Hexenwahn und Tortur schon frühzeitig aufnahmen und deren anfangs oft ungeachtet gebliebenes, gering geschätztes und mit Verfolgungen erwidertes Streben viel dazu beigetragen hatte, dass diese gesellschaftlichen Krebsschäden eingeschränkt und schliesslich fast völlig beseitigt wurden. Mit Befriedigung kann es uns auch erfüllen, dass unter diesen Streitern für Wahrheit und Recht sich auch katholische Ordensgeistliche befanden und damit wenigstens teilweise das moralisch ausglichen, was ihre Amtsgenossen vorher verschuldet. Anderseits wieder sehen wir, dass die Anwendung der Tortur eine mit den einfachsten Geboten der Menschlichkeit in Widerspruch stehende Behandlung und Verteidigung erfuhr durch die zur Urteilsfällung herangezogenen Rechtsgelehrten an den Universitäten. Man könnte sagen, dass sie oft in ihrer strengen Sachlichkeit alle sonstigen Anforderungen der Vernunft und des Gefühls ausser Acht liessen. Allerdings muss aber auch zugegeben werden, dass von dieser Seite in manchen Fällen auch ein wohlthätiger Einfluss ausging, Massregeln nach Möglichkeit verhindert wurden, deren Ausführung ungerecht und auch sonst noch schändlich gewesen wäre.
Als besonders bemerkenswert müssen wir auch die Tatsache hervorheben, dass kein anderes Land so viel neue Foltermittel eingeführt hat als Deutschland, trotzdem an anderen Stellen die Tortur in der Regel nicht milder, zeitweise sogar viel strenger ausgeübt wurden. Wir ersehen diese Tatsache aus den verschiedenen diesen Werkzeugen beigelegten Namen oder auch aus der Gesamtbezeichnung wie z. B. Bamberger Tortur. Die Erklärung dieser Eigentümlichkeit dürfte in der trotz der Kaiserwürde vorhandenen Vielherrschaft zu suchen sein, wobei jede Machtstelle bemüht war die andere durch gewisse selbständige Anordnungen zu übertreffen, oder doch sich von ihr dadurch zu unterscheiden. In den romanischen Staaten finden wir die römischen, von der Inquisition grausam ausgebildeten Torturmitteln in Anwendung und von den slavischen Staaten ist hier nicht viel eigenartiges zu vermelden. Auch sie standen hiermit entweder unter dem Einflusse der Inquisition, was z. B. Polen betrifft, oder gaben dem Ganzen eine byzantinisch-orientalische Gestaltung, wie in Russland, von wo als besondere klimatische Eigenart nur die erwähnte Eistortur zu erwähnen ist.
Die zweite Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts hatte bereits eine beträchtliche Abnahme der Tortur in Europa zu verzeichnen, so toll auch in dem vorhergegangenen Teil dieses Saeculums mit der peinlichen Frage vorgegangen wurde. Wir sehen nunmehr bereits ein Schwanken in deren Anwendung, besonders was die Hexenprozesse betrifft, Vernunft und Menschlichkeit begannen fast unwillkürlich gegen diese Rechtsmittel sich aufzulehnen. Es ist mir zu natürlich, dass durch Jahrhunderte eingewurzelte Bräuche sich nicht rasch ausroden liessen, es brauchte noch eine gute Spannzeit bis ernstliche Versuche gemacht wurden dem Strafverfahren eine andere, minder martervolle Form zu geben. Dem achtzehnten Jahrhundert war dies vorbehalten, das sich so gern das »illustre« nennen hörte, und in der Tat auch einen neuen Aufschwung des Geistesleben zeitigte, in einem Zeitalter gipfelte, das die stolzen Namen Voltaire und Rousseau trug. Aber selbst zu einer Zeit, wo schon damit begonnen wurde die Tortur aufzuheben, wo zwischendurch den Schnörkelzügen des Rokoko sich bereits ernste Formen neuer Gestaltungen sichtbar machten und selbst einem minder fein ausgebildeten Ohr über seinem Haupte bereits der Flügelschlag einer andern, neuen Zeit deutlich vernehmbar war, aus dem Gewölk bereits das Wetterleuchten der grossen französischen Revolution zuckte – selbst zu dieser Zeit wurde noch der Versuch gemacht die bereits ersterbende Tortur im Rechtsverfahren durch neue Gesetze zu beleben. Es sei hier nur die Theresiana genannt, deren auf die Tortur sich beziehenden Stellen in diesem Werke vollinhaltlich wiedergegeben wurden. Es ist ein merkwürdiges Geistesprodukt, das sich bemüht zwischen zwei verschiedenen Geistesrichtungen die Mitte zu halten, dem Alten nicht entsagen will, ohne sich jedoch auch von dem Neuem abhalten zu können, oder vielleicht auch nicht zu wollen. An manchen Stellen macht die Theresiana den Eindruck, wie an geeigneter Stelle bereits bemerkt wurde, als wären deren Verfasser oder Urheber Krypto-Radikale, die nur aus wohlbedachten Gründen davor scheuten der »unmündigen Menge« die Botschaft einer neuen, freieren Zeit zu verkünden, und deswegen sogar den von ihnen heimlich mit Voltaireschen Spottlächeln betrachteten Hexen- und Zauberwahn einige kleine Konzessionen machten. Aber so entschieden auch die Torturregeln der Theresiana lauten, es war das unter den vorhandenen Umständen Möglichste getan, um deren Missbrauch seitens der untergeordneten Gerichtsstellen zu vermeiden, zu verhindern, dass völlig Unschuldige gemartert werden. Übrigens war diesem Gesetzbuch kaum irgendein praktischer Wert beizumessen, weil es schon nach wenigen Jahren beseitigt wurde, mit ihr auch die Tortur im Kriminalverfahren der österreichischen Erbländer, die in einigen Staaten bereits früher aufgehoben wurde und in anderen bald unter dem Einfluss der französischen Revolution fallen sollte. Allerdings währte dies da und dort noch bis zum zweiten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts, wurde aber bereits früher schon nur in Ausnahmsfällen angewandt. In Preussen wurde die Tortur durch Erlass vom 3. Juni 1740 eingeschränkt, gänzlich beseitigt jedoch erst durch Kabinettsordre vom 4. August 1754. Anlass zu dieser gab ein Vorfall ähnlich dem, der zur Aufhebung der Tortur zu Genf geführt hatte, (s. II, S. 142). Es wurde nämlich in Berlin eine Witwe ermordet und der Tat ein bei ihr wohnender Kandidat beschuldigt. Er leugnete, wurde der Tortur unterzogen und – gestand. Auf Einschreiten mehrerer Bürger jedoch unterzog Grosskanzler von Cocceji die Sache einer neuen Untersuchung,, wobei die Unschuld des Kandidaten erwiesen und die wirklichen Täter – zwei Brüder der Ermordeten – entdeckt wurden
Im neunzehnten Jahrhundert, bis zum Beginn des zwanzigsten hörten wir nur von vereinzelten Fällen wo die Tortur entweder von untergeordneten Beamten widerrechtlich vorgenommen wurde, oder in einzelnen kulturell etwas zurückstehenden Ländern, entgegen den gesetzlichen Vorschriften, zur Anwendung gelangte, besonders gegen politischer Verbrechen Beschuldigte. In Ländern aussereuropäischer Kultur gedeiht sie noch ebenso unumschränkt und wahrscheinlich auch in denselben Formen wie in alten Tagen, soweit der Einfluss der europäischen Kultur, was zumeist leider nur besagen will,, der europäischen Waffen, einigermassen Wandel geschaffen hat.
Ganz beseitigt können wir aber die Tortur des im Rechtsverfahren der verschiedenen europäischen Völker noch nicht nennen, abgesehen von deren bereits bemerkten missbräuchlichen und latenten Anwendung. Das neuere Untersuchungsverfahren in Strafprozessen pflegt zwar nicht mehr Daumschrauben, spanische Stiefel und andere dergleichen freundliche Überredungsmittel zum Geständnis anzuwenden, enthält aber noch legaler Weise genug, um für ein peinliches Befragen zu gelten. Es lässt sich kaum annehmen, dass die Untersuchungshaft mit ihrer mehr oder minder strengen Isolierung jemals im Strafverfahren ganz zu entbehren sein wird. Aber es wird wohl Sorge dafür getragen werden müssen, dass dieses »notwendige Übel« eben als solches anerkannt werde, dass der Grundsatz, niemand sei schuldig bevor er von den zuständigen Richtern nach sorgfältiger Prüfung des Tatbestandes und aller für und wider ihn sprechenden Umstände verurteilt wird,, auch praktisch die ausreichendste Geltung finde, und dass der wegen Verdacht in Haft Genommene mit der möglichsten Rücksicht behandelt werde, immer vor Augen gehalten, dass er überhaupt unschuldig sein könnte und der an ihn ausgeübte Zwang zwar gesetzlich berechtigt ist, aber immerhin doch im besten Fall nur ein legaler Gewaltsakt ist. Noch schwerer als dieser Regel über manche Vorurteile und Traditionen hinweg uneingeschränkte formelle Geltung zu verschaffen, dürfte es sein, sie praktisch allseits durchzuführen.. Der pessimistische Grundzug der strafrechtlichen Tätigkeit ist gewohnt zu sehen und sieht selbst unwillkürlich in jedem Beschuldigten auch den Schuldigen, der nötigenfalls mit aller Entschiedenheit zum Geständnis gebracht werden muss und die tatsächlichen Vorkommnisse rechtfertigen sogar einigermassen diese Annahme. Ferner ist in Betracht zu ziehen, dass die mit der Untersuchung eines Straffalls betrauten Beamten häufig, ob mit mehr oder mindere Berechtigung möge dahin gestellt sein, die Überführung des Täters als für ihre amtliche Laufbahn nützlich betrachten, als eine Probe ihrer Leistungsfähigkeit, die sie ihren Vorgesetzten und auch sich selbst abzulegen verpflichtet sind. Von solchen Ausgangspunkten aber wird nur zu leicht die Grenze überschritten, die die nötige Untersuchungsfrage zu einer peinlichen Frage gestaltet, selbst ohne Anwendung von Territion oder wirklicher Tortur. Noch gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts konnte Ernst Christian Westphal als Erklärung bemerken: »Die Tortur ist heutigen Tages dasjenige Zwangsmittel, dadurch man einen, der eines Verbrechens verdächtig ist, zu dessen Geständnis zu bringen sucht. Bei den Alten war sie zwar auch dieses gleich mit, jedoch war sie daneben noch derjenige Schmerz, der bei der Aussage besonders eines Knechts, zu mehren Glaubwürdigkeit der Sache dem Zeugen angetan wurde.« Selbst das letztere können wir als noch nicht ganz beseitigt betrachten, sofern wir auch eine nicht physische Marterung als Tortur zu betrachten geneigt sind. Auch Zeugen gegenüber kommen nur zu häufig Worte und Massregeln zur Anwendung, die dieser sehr peinlich empfinden muss, zuweilen sogar vor der schmerzlichen Wahl stellen entweder eine Aussage zu machen, die er als Verletzung geheiligter Pflicht betrachten müsste, oder gegen besseres Wissen die Unwahrheit vor Gericht auszusprechen, ebenfalls mit Verletzung seiner sittlichen Empfindung und überdies noch von der Möglichkeit bedroht, wegen Meineid streng bestraft zu werden. Die Unmöglichkeit, den Zeugenzwang völlig durchzuführen, wurde zwar fast allseits von der Gesetzgebung anerkannt und unter Umständen – bei naher Verwandtschaft, Beichtgeheimnissen, vertraulichen Mitteilungen an Anwälten etc. – eine Verweigerung der Zeugenschaft für zulässig erklärte, auch in Fällen, wo sich der Zeuge selbst eine Anklage zuziehen kann. Indes, abgesehen davon, dass diese Verweigerung in vielen Fällen als eine stumme Bezichtigung der Tat betrachtet werden kann und wohl oft auch wird, sind unsere gesellschaftlichen Beziehungen so mannigfaltig und vielgestaltig, dass die berechtigte moralische Anziehungskraft zwischen Personen kaum durch derartige Einschränkungen festgestellt werden. kann. Freilich erhebt sich da die Frage: Wie denn anders? Es ist nicht leicht eine befriedigende Antwort darauf zu finden, aber es darf nicht von vornherein die Hoffnung aufgegeben werden, sie überhaupt zu finden. Es gab eine Zeit, die wähnte ohne Anwendung der Tortur überhaupt nicht über eine Missetat rechtlich entscheiden zu können und diese Zeit entschwand, um günstigeren Zuständen Platz zu machen. Auch unsere Zeit mit all ihrem geistigen Rüstzeug wird zu einer überwundenen Vergangenheit werden und – spiro, spero! – ihre Nachfolgerin wird den letzten Rest dessen zu beseitigen wissen, was in unserem Rechtsverfahren als Seelenzwang bezeichnet werden kann, als Rudimente des entschwundenen Tortur-Verfahrens, trotz alledem und alledem!