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woraus hervorgeht, daß das Glück nicht immer auf den Höhen wohnt
Señor Esteban Paqueno gehörte einem alten Minorcanergeschlecht an, das sich schon im 16. Jahrhundert in der Geschichte des Herzogtums einen Namen gemacht hatte. Generation für Generation hatten seine Vorväter den Fürsten des Hauses Ramiros gedient, gewöhnlich als Krieger oder Hofleute, zuweilen als Diplomaten, immer gegen geringe Entlohnung. Treue und Selbstverleugnung, wozu sie von Anfang an große Anlagen hatten, waren mit der Zeit ihre zweite Natur geworden; sie sahen die Welt nicht aus dem Gesichtswinkel der Ewigkeit, auch nicht aus ihrem eigenen, sondern aus dem des jeweiligen regierenden Fürsten von Minorca. So kam es, daß Señor Esteban der herzoglichen Dynastie durch drei Fürstengenerationen gedient hatte, unter Ramon XIX., Luis XI. und Ramon XX. Für sie hatte er seit dem Jahre 1876 die Finanzen des Herzogtums verwaltet, ein in Wahrheit nicht beneidenswertes Amt, das von seinem Inhaber die List der Schlange, die Hartnäckigkeit des Esels und die versöhnliche Gesinnung eines Heiligen verlangte. Vielleicht gebrach es Señor Paqueno recht sehr an der ersteren Eigenschaft, aber in diesem Falle machte er es durch seinen Überschuß an den beiden letzteren wett. Wie verzweifelt die Lage auch aussehen konnte, er warf nie die Flinte ins Korn. Mit zäher Entschlossenheit ließ er nicht ab, Europas Finanzfirmen mit Darlehnsvorschlägen und Entschuldigungsbriefen zu bombardieren. Im Jahre 1910 gab es nicht einen Mann in Europa, der diese Wucherer und ökonomischen Haifische so kannte wie Señor Paqueno, keinen, der sich besser auf die krumme Psychologie dieser Herren verstand, und keinen, der besser geeignet gewesen wäre, einen Briefsteller für vor dem Konkurs Stehende herauszugeben. Und gleichzeitig gab es keinen, dessen Sinn ferner von diesen Dingen war als Señor Paquenos; während die Tage gingen und er halb mechanisch die laufende Korrespondenz erledigte, träumte sein Herz von einer kleinen weiß getünchten Zelle in einem fernen Jesuitenkloster in Spanien; sein Auge sah die langen steingepflasterten Gänge, die Klosterkirche und den blühenden Garten davor, und sein Ohr vernahm die große Ruhe zwischen seinen nackten Wänden. Denn in diesem Kloster war Señor Esteban einmal erzogen worden, und dahin zurückzukehren, war der Traum seines Lebens. Aber indes er davon träumte, vergingen die Jahre in dem ewigen, hartnäckigen Kampfe, die Finanzen des Herzogtums in Fluß zu erhalten, einem Kampfe, den Señor Esteban jetzt weniger aus Interesse für sein Vaterland als für seinen jungen Herrn führte. Denn Don Ramon hatte gänzlich Beschlag auf die Fonds von Ergebenheit gelegt, die Señor Esteban von seinen Vätern ererbt hatte. Fünfundzwanzig Jahre älter als sein Herr, wurde er von diesem vollständig beherrscht. Was Don Ramon sagte und wünschte, war sein Gesetz; wenn Don Ramon ihm befohlen hätte, ein Verbrechen zu begehen, er hätte es getan; und Don Ramon zuliebe verbrachte er jetzt Jahr für Jahr mit der Korrespondenz mit den Wucherern unseres Weltteiles, während der Traum vom Jesuitenkollegium in Barcelona immer weiter und weiter zurückwich.
Don Ramon nahm Señor Paquenos Ergebenheit so hin, wie die meisten anderen Erscheinungen des Lebens, mit einem unerschöpflichen guten Humor und als etwas, das nun einmal so war, wie es war. Über das Leben und seine Probleme nachzugrübeln, erschien ihm ganz zwecklos. Selbst war er ein Mann ohne tiefere Gefühle, mit einer ziemlich guten Bildung, und tief durchdrungen von der Eitelkeit aller Dinge. Die absurde Stellung, die er mitten im 20. Jahrhundert als absoluter Herrscher in einem Lande einnahm, dem alle Ressourcen fehlten, gab seiner Lebensanschauung und seinem kaustischen Witz stets neue Nahrung. Alle seine Versuche zu »regieren«, waren schon im vorhinein zum Mißlingen verurteilt, denn für alles, was er unternehmen wollte, fehlte stets die erste Grundbedingung, das Geld. Nach seinem ersten Jahre auf dem Throne waren diese Regierungsversuche auch immer seltener geworden, und im Jahre 1910 hatte er sich schon längst darauf beschränkt, mit Señor Estebans Hilfe zu trachten, die Maschine im Gang zu erhalten, und das war, wie er ganz richtig bemerkte, keine Sinekure.
Mit einer mehr als gewöhnlich bekümmerten Miene begrüßte Señor Paqueno an dem oben erwähnten Februarmorgen den Eintritt seines Herrn. Es lag ein Ausdruck von trübem Ernst in seinem Blick unter dem goldgefaßten Pincenez und eine Nervosität in seiner Haltung, die die gewöhnliche Wirkung hatte, die gute Laune des Großherzogs sofort zu verdoppeln. Nachdem er mit der Zigarre gewinkt hatte, steckte er die Hände in die Hosentaschen, betrachtete Señor Esteban blinzelnd und sagte:
»Guten Morgen, Paqueno!«
»Guten Morgen, Eure Hoheit.«
»Gut geschlafen, Paqueno?«
»Danke ja, und Eure Hoheit?«
Tatsächlich hatte Señor Paqueno miserabel geschlafen, aber es wäre ihm nie eingefallen, das zuzugeben, bevor er sich vergewissert, wie sein Herr geschlafen hatte.
»Vortrefflich, Paqueno, ein Mann mit so schlechten Finanzen wie ich schläft immer vortrefflich.«
»Hoheit belieben zu scherzen. Schlechte Finanzen pflegen nicht in dem Rufe zu stehen, den Schlaf zu befördern.«
Der Großherzog lachte herzlich.
»Das kommt ganz darauf an, wie schlecht sie sind, Paqueno. Sind sie so schlecht wie meine, das will sagen, vollständig hoffnungslos, dann schläft man ausgezeichnet, wenn man normal ist. Die einzige Zeit, wo ich schlecht geschlafen habe, war vor ein paar Jahren, als ich noch auf bessere Tage hoffte. Nun, wie ist es heute mit der Post?«
Señor Paquenos Antlitz nahm wieder den düsteren Ausdruck an, den es beim Eintritt des Großherzogs gezeigt hatte. Indem er einige Briefe aus seinem Portefeuille zog, sagte er:
»Wie gewöhnlich, Hoheit. Ungefähr ... Wir haben Brief von Altenstein aus Cadix.«
»Und was schreibt der vortreffliche Altenstein?«
»Daß die Zinsen für 1908 bezahlt werden müssen, sonst müßte er die spanische Regierung alarmieren.«
»Die Zinsen für 1908, Paqueno? Was haben wir denn heuer für ein Jahr?«
»1910, Hoheit, aber die Zinsen für 1908 sind noch nicht bezahlt.«
»Zum Teufel, das kann ich mir denken. Ich glaubte nur, Sie meinten 1898.«
»Nein, Hoheit, Altenstein hat die Zinsen bis inklusive 1907 schon voriges Jahr bekommen.«
»Schon voriges Jahr! Paqueno, es tut mir leid, einen alten Diener wie Sie tadeln zu müssen, aber Sie müssen wirklich ordentlicher in unseren Geschäften werden. Die Zinsen bis inklusive 1907, voriges Jahr – da sehen Sie, was die Folge ist, wenn man seine Gläubiger so verwöhnt! Infolge Ihres Unverstandes hat Altenstein in Cadix eine ganz unrichtige Auffassung von uns, was von sehr unangenehmen Folgen für uns sein kann.«
»Hoheit, ich bin vernichtet, ich will nur zu meiner Verteidigung anführen, daß dieser Altenstein mir den Eindruck eines Mannes machte, auf den wir Rücksicht nehmen müssen.«
»Einen Augenblick, Paqueno – Sie meinen, daß wir uns noch mehr bei ihm ausborgen könnten?«
»Nein, Hoheit, ich meine, daß er ein gefährlicher Mensch zu sein scheint, ein rücksichtsloser Mensch, und daß er das durch die Art gezeigt hat, wie er voriges Jahr der spanischen Regierung Schwierigkeiten machte.«
»Aber, lieber Paqueno, das hat doch keinerlei Bezug auf uns. Spaniens Finanzen sind schlecht, aber nur eine krankhafte Phantasie könnte sie mit unseren vergleichen. Und Spanien ist ein großer Staat, während wir durch unsere Kleinheit geschützt sind, genau wie die Bazillen. – Nun?«
Señor Paqueno zog einen neuen Brief aus dem Portefeuille und sagte: »Wir haben auch Brief von Thomson und French in Rom.«
»So! Und was schreiben Thomson und French in Rom?«
»Daß sie unmöglich länger mit den Zinsen für 1905 und 1906 für das Darlehen für 1905 warten können. Außerdem sehen sie einer Amortisierung entgegen. Die Schuld sollte jetzt schon zur Hälfte rückgezahlt sein und sie haben noch nicht einmal die Zinsen bekommen. In diesem Falle müßten sie das Pfand verkaufen, oder ...«
»Was haben sie denn für ein Pfand, Paqueno?«
»Die Insel Ibiza, Hoheit, mit sämtlichen Inventarien ... oder zu diplomatischen Maßregeln greifen.«
»Es ist gut, Paqueno. Die Zinsen für 1905 und 1906 – und jetzt haben wir 1910! Diese moderne Geschäftshetze, Paqueno. Mein verehrter Vater hätte nur von einer solchen Erwürgungspolitik der Banken reden hören sollen! Wer ist der nächste Mann?«
»Viviani, Hoheit, in Marseille. Er, der wie Hoheit sich vielleicht erinnern, die Salzsteuer als Pfand für ein Darlehen hat. Er schreibt und beklagt sich darüber, daß sie zu wenig abwirft ...«
»Dieser italienische Schurke! Wahrhaftig, ich wünschte, wir schrieben 1510 anstatt 1910, da würde ich ihn schon klagen lehren!«
»Nicht genug damit, daß er klagt, Hoheit, hat er noch die Kühnheit, sich in Beschuldigungen zu ergehen; er behauptet, daß unsere Ziffern dubios waren und daß er in ein mehr als zweifelhaftes Unternehmen hereingelockt worden ist.«
»Der Halunke, der unverschämte Halunke! Ein zweifelhaftes Unternehmen, bei dem er so gewiß wie etwas 15 Prozent einstreicht! Schreiben Sie ihm, wenn er sich nicht in acht nimmt, werde ich durch großherzogliches Dekret alle Verwendung von Salz auf Minorca mit der Todesstrafe belegen. Dann soll er sich nach seiner Sicherheit umsehen.«
»Hoheit sind guter Laune. Beruhigen Sie sich, Hoheit! Ich werde Viviani schon nach Gebühr behandeln. Vor Thomson und French habe ich auch keine Angst. Das ist eine feine alte Firma, die mit sich reden läßt. Und Altenstein werden wir schon mit den Argumenten abspeisen können, die Eure Hoheit eben anführten. Sein Drängen beruht nur auf jugendlichem Ungestüm.«
Señor Paqueno verstummte einen Augenblick und putzte nervös sein Pincenez. Dann fuhr er mit einem scheuen Blick auf den Großherzog fort:
»Wir haben leider auch Brief von Semjon Marcovitz. Hoheit erinnern sich an unsere Affäre mit Marcovitz in Paris?«
»Auf jeden Fall scheint Marcovitz in Paris sie nicht vergessen zu haben. Ich gestehe, daß sie mir entfallen ist.«
»Aber, Hoheit, Semjon Marcovitz ...!«
»Nun ja, Paqueno, Semjon Marcovitz.«
»Hoheit erinnern sich an das Jahr 1908?«
»Warum nicht, Paqueno? Es sind doch nur zwei Jahre her. Ich bin gegenwärtig fünfunddreißig, und bisher hat man kein Beispiel dafür, daß Schwachsinn in meiner Familie vor dem vierzigsten Jahre eingetreten wäre. Also.«
Señor Paqueno seufzte bei den Scherzen des Herzogs. Mit schwermütiger Stimme und gleichsam für sich selbst fuhr er fort, immer wieder zwischen den Sätzen innehaltend, wie um dem Großherzog Zeit zu lassen, ihn zu unterbrechen.
»Wenn Hoheit sich an das Jahr 1908 erinnern, so erinnern sich Hoheit wohl auch, daß damals in den Zeitungen Gerüchte zirkulierten über die Verlobung zwischen dem Großherzog von Minorca und einer Großfürstin von Rußland, die, wie man behauptete, ebenso schön wie reich war ... und daß diese Gerüchte nicht aller Grundlage entbehrten ... Zwei Monate lang wurden die Unterhandlungen zwischen mir einerseits und Grafen Fedor Obelinski, der russischer Gesandter in Madrid war, andererseits geführt ... Es wurden verschiedene offiziöse Briefe zwischen uns gewechselt ... Und eines Tages schrieb die Großfürstin selbst in einem Anfall von mädchenhafter Romantik, wie man sagt – einen Brief an Eure Hoheit ... einen Brief, der nicht ganz so offiziös im Stile war – erinnern sich Eure Hoheit?«
Señor Paqueno betrachtete seinen Herrn mit stummem Appell, wie um ihn ernstlich zu bitten, nicht weiter sprechen zu müssen. Der Großherzog stand ganz schlaff da, mit gesenktem Kopfe und starrte zum Fenster hinaus. Seine Mundwinkel waren tief herabgezogen, und es sah aus, als hörte er kaum zu.
Señor Paqueno seufzte noch einmal tief auf und fuhr mit derselben müden Stimme fort:
»Im Jahre 1908, als dies geschah, befanden wir uns in einer noch verzweifelteren Lage als sonst. Die Nachwirkungen der amerikanischen Krise machten sich arg fühlbar ... Unsere Staatspapiere notierten, insoweit sie überhaupt notierten, mit 47½, und Geld war nicht für 100 Prozent aufzutreiben ... Da galt es, nur einige Zeit auszuhalten und den Schein zu retten, bis die Verlobung perfekt war. Aber wir konnten nicht einmal daraufhin Geld aufbringen, niemand glaubte an unsere Versprechungen, und die Verlobung wurde nur für einen Bluff gehalten ... Da wendeten wir uns an Semjon Marcovitz ... Hoheit erinnern sich doch jetzt an Semjon Marcovitz ...?«
Señor Paquenos Stimme zitterte vor Gemütsbewegung, zum zweiten Male verstummte er und betrachtete nervös seinen Herrn, der regungslos in seiner früheren Stellung dastand. Seine Augenlider waren gesenkt, und man sah von seinen Augen nur das Weiße. Die Zigarre war ausgegangen, er rollte sie unaufhörlich im Mundwinkel hin und her.
»Wir bekamen 200 000«, fuhr Señor Esteban halb flüsternd fort, »gegen einen Schuldbrief auf 300 000 ... und eine Sicherheit, deren Art im Schuldbrief angegeben war ... Semjon Marcovitz, der den Charakter des russischen Hofes kannte, wußte, daß er nichts riskierte, wenn er auf diese Sicherheit borgte ... Ein solcher Brief wie der der Großfürstin Olga war in seinen Augen auch eine Million wert ...«
Señor Paqueno verstummte plötzlich und prallte unwillkürlich einen Schritt zurück; der Großherzog hatte einen Sprung gemacht und stand jetzt über ihn gebeugt, die Hände in den Taschen, rot vor Erregung.
»Genug, Paqueno!« schrie er. »Was sind Sie für ein Teufel? Sie sprechen, als wenn wir ein paar kaltblütige Schurken gewesen wären, bereit, unsere Ehre für ein paar lumpige Hunderttausend zu verkaufen. Wissen Sie nicht mehr, wie lange es dauerte, bis ich auf diesen elenden Handel einging? Sie sind doch ein frommer Mann, Paqueno, Sie hätten mich abhalten sollen.«
»Eure Hoheit tun mir unrecht,« erwiderte Paqueno mit sanftem Vorwurf. »Wenn sich Eure Hoheit jetzt an das andere erinnern, so erinnern sich Hoheit vielleicht auch, wer auf die unglückselige Idee kam. Nicht ich, Hoheit. Sondern Eure Hoheit selbst, obgleich ich mich beeile, zuzugeben, daß sie zuerst nur im Scherz hingeworfen wurde. Daß ich es wagte, die Sache zu betreiben, hat niemand mehr bedauert als ich; in den letzten zwei Jahren, wo Eure Hoheit das Ganze vergessen zu haben schienen, habe ich tausend Pläne geschmiedet, um meine Torheit auf eigene Faust wieder gutzumachen. Ach, ich war damals ein alter blinder Narr – aber ich wurde von dem Verführerischesten gelockt, das es auf Erden gibt, Hoheit, von der Hoffnung! Noch heute erinnere ich mich an all die Hoffnungen, die in uns erwachten, als die Verlobung geplant wurde. Zweiunddreißig lange Jahre hatte ich Tag für Tag daran gearbeitet, unsere Finanzen zusammenzuhalten – beinahe ohne Hoffnung! Und nun sah es plötzlich aus, als wären wir endlich gerettet. Nur noch ein paar Monate durchhalten ...«
»Wer zum Teufel konnte auch ahnen, daß die Verlobung in die Brüche gehen würde, Paqueno! Sagen Sie mir, wer!«
»Niemand, Hoheit, aber leider stand es so in den Sternen geschrieben. Fürst Nikolaus wollte nicht, und Großfürstin Olga war trotz alledem seine gehorsame Tochter ... Er ist jetzt tot – ich weiß nicht, ob Hoheit es vor einigen Monaten in den Zeitungen gelesen haben? Und wir, Hoheit, stehen als Verbrecher da, in Gefahr, jederzeit von Semjon Marcovitz entlarvt zu werden. Und doch ... Ich weiß, daß die Handlung, die wir begingen, in den Augen der Welt verbrecherisch und gemein war, aber wie tief ich sie auch bereue, in den meinen ist sie nicht so verbrecherisch. Unsere Absichten waren die besten, und Gott weiß, daß wir das Geld nicht zu unserem eigenen Nutzen angewendet haben. Unter solchen Verhältnissen würden viele meiner Ordensväter unsere Handlung für zulässig gehalten haben. Aber ich weiß, daß die weltliche Gerechtigkeit anders urteilt. Für sie ist eine solche Handlung ein Verbrechen, ob man nun Vorteil daraus gezogen hat oder nicht.«
Der Großherzog stampfte auf den Boden, so daß die alten Marmorplatten dröhnten.
»Ja, das macht mich ja eben so wahnsinnig!« rief er. »Hier stehen wir beide, Paqueno, mit der scharmanten Aussicht, in einem Monat für die Skandalzeitungen photographiert zu werden: Neue Enthüllungen von Europas Schandfleck – Don Ramons letzte Streiche usw. bis in die Unendlichkeit. Und was haben wir an unseren 200 000 für ein Vergnügen gehabt? Wenn ich mich recht erinnere, haben sie die Juden in London und Amsterdam für ihre Zinsen eingestrichen? Oder war es Herr Altenstein?«
Señor Paqueno nickte düster, ohne zu antworten, und der Großherzog fuhr im selben Ton fort, aber mit einem immer lebhafteren spitzbübischen Funkeln im Auge:
»Beherzigen Sie meine Worte, Paqueno. Es ist eine Hölle, ein absoluter Fürst ohne Geld zu sein. Wenn man das ist, ist man schon nicht weit vom Anarchismus entfernt. Don Jeronimo war ebenso arm wie ich, aber er hatte es doch auf jeden Fall gut. Er war in der Zeit geboren, in der er geboren sein sollte. Brauchte er Geld, so schrieb er ein paar Kaperbriefe und bohrte ein paar Dutzend Kauffahrteischiffe in den Grund. Niemand fand etwas daran. Überdies hatte er Freude an seiner Beute – feine Schlösser und jeden Tag Feste. Ich, Paqueno, begehe kleine Verbrechen und lebe die liebe lange Woche von Kaninchen. Ich bin ein Anachronismus, ein tief beklagenswerter Anachronismus. Gott sei Dank, daß ich unverantwortlich bin! Das war noch immer mein Trost in dunklen Stunden. Aber der Sicherheit halber werde ich mich diesmal an einen Spezialisten in Geisteskrankheiten wenden. Habe ich das Zeugnis in der Tasche, daß ich gestört bin, dann bin ich fein heraus. Und natürlich bekomme ich das Zeugnis. Man muß doch toll sein, um als Regent in Minorca zu bleiben.«
»Und was wird aus mir, Hoheit?« fragte Señor Paqueno mit einem leichten Beben in der Stimme.
Der Großherzog hatte begonnen, mit langen hinkenden Schritten im Zimmer auf und ab zu gehen. Bei Señor Paquenos Worten blieb er stehen und streckte die Hand aus.
»Alter Esteban! Verzeihen Sie mir! Ich glaubte, Sie merkten, daß ich scherze – töricht natürlich, wie gewöhnlich. Es ist doch klar, daß wir in dieser Sache zusammen stehen und fallen. Aber seien Sie ruhig, wir werden uns schon über Wasser halten. Wann verfällt dieser elende Schuldschein?«
»Am 13. März, Hoheit; er wurde am 12. März 1908 ausgestellt.«
»Also von heute in einem Monat! Und Marcovitz will natürlich alles haben?«
»Das glaube ich nicht. Marcovitz wird schon abschreiben.«
»Hm, ich habe eine Ahnung, was ein solches Abschreiben bedeuten würde. Nein, die Sache muß aus der Welt. Ich will sie nicht länger auf meinem Gewissen haben. Wir haben einen Monat vor uns, um uns die 300 000 für Marcovitz zu verschaffen, und unterdessen, Paqueno, können Sie so gut sein und irgendeinen Ihrer Ordensväter hervorkramen, der über das Gewissen geschrieben hat. Ich fühle mich in diesem Punkte einiger Tröstungen bedürftig.«
Don Ramon nahm seine Promenade durch das Zimmer wieder auf. Trotz des Tones, den er eben gegen den alten Paqueno angeschlagen, war es klar, daß seine gute Laune ihn augenblicklich verlassen hatte. Er riß das Fenster auf und starrte mit gerunzelter Stirne auf den Hafen, dessen Wasser im Sonnenschein schläfrig gluckste, und auf die kleinen Häuser, die sich auf den Terrassen ringsumher drängten. Die Palmen davor raschelten im Morgenwind, ein undeutlicher Lärm drang aus den Straßen von Mahon, und stoßweiße kam der Geruch von heißem Teer vom Hafen. Plötzlich drehte der Großherzog sich zu Paqueno um, der mit düsteren Blicken seine Schuhspitzen fixierte.
»Ist der Holländer noch da?«
»Wer, Hoheit?«
»Bekker.«
»Ja, der ist noch da. Hoheit sind wohl unterrichtet. Woher wissen Hoheit seinen Namen?«
»Mein Gott – in Minorca! Also er ist noch da! Das hätte ich mir denken können. Die Flagge des Hotels weht. Was macht er denn hier?«
»Ich weiß nicht, Hoheit. Er unternimmt viele Ausflüge in das Innere der Insel. Man sagt, daß er für eine ausländische Gesellschaft photographiert.«
»Hm, wir brauchen wenigstens keine Angst zu haben, daß er ein Spion ist und unsere Festungen photographiert, da sie ja sämtlich von der Natur rasiert sind, mit Ausnahme des alten Kastens hier in Mahon. Wir haben das Programm der Friedensbewegung schon in aller Stille verwirklicht. Er ist schon lange da?«
»Einen Monat, Hoheit.«
Die Tür des Speisesaales öffnete sich diskret, und Auguste erschien auf der Schwelle.
»Hoheit, das Frühstück ist serviert.«
Das Gesicht des Großherzogs erhellte sich, er schüttelte seine bekümmerte Miene ab, so wie ein großer Neufundländerhund das Wasser abschüttelt.
»Leisten Sie mir bei den Kaninchen Gesellschaft, Paqueno,« sagte er, und schob den alten Finanzminister vor sich in den Speisesaal. »Wir brauchen beide etwas Stärkendes.«