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Zweites Kapitel,

worin der Leser erkennen lernt, an welch dünnen Fäden die Schicksale der Nationen hängen

Die Frage, die Mr. Isaacs sich zu Ende des vorigen Kapitels stellte, haben wir für unsere Leser schon in einer Serie von Erzählungen beantwortet, genannt »Herrn Collins Abenteuer«. Diese Erzählungen, welche auf keinem Bücherbrett fehlen sollten, schildern Leben und Taten des jur. utriusque cand. Philipp Collin von 1875-1910. Herr Collin gehörte der leider nicht geringen Anzahl von Schweden an, die aus besonderen Gründen gezwungen sind, ihre Adresse im Auslande zu haben. Seine Laufbahn in der Heimat – er war Advokat in der Stadt Kristianshamn gewesen – fand ein Ende, als er im September 1904 von dort entwich, nachdem er seine Reisekasse einer Anzahl von Banken entnommen hatte. Er war damals neunundzwanzig Jahre alt. Drei Jahre mißlungener Börsenspekulationen, vermittelt durch ein paar dänische Firmen, genügten, um eine vielversprechende Zukunft zu zerstören und Herrn Collin in einen unlösbaren Konflikt mit fünf Paragraphen des Strafgesetzes zu bringen. Die zwei nächsten Jahre seines Lebens weihte er der Rache; er verbrachte sie in Kopenhagen, damit beschäftigt, mit den dänischen Firmen abzurechnen, die ihn »ins Verderben gestürzt hatten« (Herrn Collins eigene Worte in seinen hinterlassenen Papieren). Nachdem diese Aufgabe in einer Weise erfüllt war, die die betreffenden Firmen 70 000 dänische Kronen kostete, reiste Herr Collin im Januar 1906 plötzlich aus Kopenhagen ab. Er lenkte seine Schritte nach England, wo er mit einer ziemlich gerundeten Krokodillederbrieftasche landete, voll Pläne für ihr weiteres Wachstum. Die Ironie des Schicksals sowie die poetische Gerechtigkeit wollte es, daß er im Zuge mit einem englischen Taschendieb zusammentraf, der ihn in Liverpool Street Station entgegenkommend von seiner Brieftasche, der Frucht der unredlichen Mühen mehrerer Jahre befreite. Wie er sich an diesem Herrn rächte, steht näher in der oben erwähnten Serie von Erzählungen beschrieben, die, wie gesagt, auf keinem Bücherbrett fehlen sollten. Da wird auch sein erstes Zusammentreffen mit Mr. Ernest Isaacs geschildert, auf das der Finanzmann im letzten Kapitel anspielte. Dieses Zusammentreffen endete mit einer fühlbaren Niederlage für Mr. Isaacs, der zuerst Herrn Collin einen größeren Posten wertloser Aktien der britischen Digammagesellschaft angehängt hatte. Wir brauchen nicht hinzuzufügen, daß der Name, unter dem Mr. Isaacs ihn kannte, Pelotard, nicht Collin geschrieben wurde. Unter dem Namen Professor Pelotard hatte Herr Collin nach seiner Rache an dem Taschendieb die Praxis aufgenommen, die in der Geschichte vom Abenteuer der zerstreuten Herren näher geschildert ist, und ihn auch weiter beibehalten. Mr. Isaacs, der ein kluger Mann mit Sinn für Humor war, wenn es sich um anderer Leute Angelegenheiten handelte, lernte Herrn Collin so allmählich schätzen, bezwungen durch die geschickte Art, mit der er operierte, und sich den Folgen seiner Operationen entzog. Sein Groll über seine eigene Niederlage schmolz langsam dahin; und bei einer Begegnung in Paris beschlossen er und Herr Collin die Streitaxt endgültig zu begraben. In der unbehaglichen Lage, in die er sich durch Mr. Adolfus Hornstein versetzt sah, hatte sich der große Börsenmann beeilt, bei seinem früheren Feinde in der Art, die wir im vorhergehenden Kapitel gesehen haben, Hilfe zu suchen.

Fünf Tage waren seither verflossen, ohne daß Herr Collin ein Lebenszeichen gegeben hatte, und Mr. Isaacs, der zwischen London und seinem Wahlkreis hin- und herpendelte, begann sich schon über sein Schweigen zu beunruhigen, als eines Morgens Mr. Crofton mit derselben tief mißbilligenden Miene hereinkam, wie bei Professor Pelotards früherem Besuche.

»Der alte Herr aus Sutherland wünscht Sie zu sprechen, Sir.«

Mr. Isaacs zuckte vor Freude zusammen.

»Famos, famos, führen Sie ihn sofort herein, Crofton, und ich will bis auf weiteres nicht gestört werden, Sie verstehen?«

Mr. Crofton, der im Gegenteil durchaus nicht verstand, zeigte dies deutlich mit seinem ganz presbyterianischen Gesicht; dann ging er langsam hinaus und ließ nach ein paar Augenblicken den greisen Professor Pelotard eintreten.

Mr. Isaacs sprang mit gespanntem Gesicht aus seinem Fauteuil auf.

»Nun? Wie ist es gegangen? Sagen Sie es mir rasch, Professor. Haben Sie sie?«

»Wie es gegangen ist! Aber Mr. Isaacs, Sie sind zu unhöflich. Haben Sie Ihr Scheckbuch in erreichbarer Nähe, so wird mir eine Anweisung auf 6000 Pfund ausgezeichnet behagen.«

Mr. Isaacs lachte mit nervöser Erleichterung.

»Ah, Professor, Sie sind ein großer Mann! Setzen Sie sich und erzählen Sie! Wie haben Sie das angestellt? Sie haben sie tatsächlich?«

Philipp Collin zog gleichgültig ein Paket Briefe aus der Tasche und warf sie Mr. Isaacs zu.

»Ich hoffe, daß es alle sind,« sagte er, »auf jeden Fall haben Sie nichts mehr von Mr. Hornstein zu befürchten. Ich gab ihm selbst gestern abend das Geleit zum Nachtexpreß in Charing Croß und überzeugte mich, daß er nach Paris abgedampft ist.«

»Abgedampft? Nach Paris? Was meinen Sie?«

»Ja, um nie mehr nach England zurückzukehren. Das heißt, falls er nicht seine Adresse in Dartmoor haben will.«

»Sie sind wirklich unglaublich, Professor. Sie befreien Hornstein von meinen Briefen – wie, weiß ich nicht, aber ich vermute, daß Sie ihm nicht die 20 000 Pfund gezahlt haben, die er dafür haben wollte. Dann senden Sie ihn aus dem Lande und versprechen, ihn ins Dartmoorgefängnis zu bringen, wenn er wiederkommt. Sie sind wirklich ein Teufelskerl.«

Philipp lächelte dankbar.

»Jetzt sind Sie wieder ebenso höflich wie gewöhnlich, Mr. Isaacs. Wenn Sie mir gestatten, mir eine Zigarre anzuzünden, werde ich Ihnen sofort erzählen, was ich getan habe.«

Mr. Isaacs reichte ihm stumm sein Futteral, Herr Collin bediente sich, ließ sich in einen Fauteuil sinken und begann:

»Als ich Sie verließ, Mr. Isaacs, hatte ich drei Pläne, um Ihre Briefe von Hornstein wiederzubekommen. Der erste war Einbruch – es gibt Präjudikate dafür, sintemalen Sherlock Holmes selbst bei einem ähnlichen Anlaß nicht davor zurückscheute. Was der zweite war, ist gleichgültig, denn zur Ausführung kam der dritte Plan.

Als ich Sie verließ, ging ich direkt zu mir nach Hause und nahm eine kleine Veränderung an meinem Äußeren vor. Ich hatte mich entschlossen, den Löwen in seiner Höhle aufzusuchen – den Schakal, sollte ich eigentlich sagen. Ich kostümierte mich meinem Plan entsprechend als arbeitsfreier Bedienter eines besseren Hauses, und unter uns gesagt, war es ganz geglückt. Furlong Lane 12, das Haus, wo Hornstein wohnte, entpuppte sich als ein ziemlich verfallenes Gebäude in einer Nebengasse von Lloyds Avenue; Hornsteins Wohnung lag im Erdgeschoß. Ich klingelte, und die Tür wurde von einem großen, vierschrötigen Gesellen mit blatternarbigem Gesicht geöffnet, offenbar dem Cerberus des Lokals. Er sah auch danach aus, seinen würdigen Herrn verteidigen zu können, wenn eines seiner Opfer etwa bei einem Besuche bei ihm die Besinnung verlieren sollte. Besagter Cerberus warf einen mißtrauischen Blick auf mich, aber ließ mich ohne Widerspruch zu Hornstein ein.

Sie wissen, daß ich keine Rassenvorurteile hege, Mr. Isaacs, am allerwenigsten gegen Ihre Rasse, die ich gewöhnlich den Europäern an Begabung überlegen gefunden habe. Aber ein widerlicheres, klebrigeres Subjekt als diesen Hornstein habe ich nie im Leben gesehen. Sein ganzes Gesicht verriet die rücksichtsloseste Gier, sein ganzes Auftreten sagte, daß er bereit war, sie in jeder Weise zu befriedigen.

Verzeihen Sie mir, ich werde beinahe beredt, aber glauben Sie mir, nicht ohne Ursache. Nun gut! Ich stellte mich Hornstein als Charles Ferguson, Bedienter bei einem sehr bekannten konservativen Staatsmann vor; ich deutete an (was die ganze Welt aus den Zeitungen weiß), daß der Lord und seine Gemahlin nicht auf bestem Fuße miteinander stünden und daß die Frau allen Grund zur Scheidung habe. Hornstein spitzte sofort die Ohren, aber war äußerst vorsichtig, und fragte, worauf ich hinaus wolle. Ich erwiderte, ich hätte von ihm durch Arthur Sanders gehört, der Bedienter bei Lady Birchell war – sein Name stand ja in den Zeitungen, und er ist tot, so daß ich nichts riskierte. Dann ging ich gerade aufs Ziel los und fragte, was er für die kompletten Beweise gegen Lord – ja, gegen den betreffenden Lord – geben wolle. Er wurde noch interessierter, noch eifriger und zudringlicher – enfin, ich brachte ihn auf den Siedepunkt, aber verschanzte mich hinter dem Preis. Er bot 100 Pfund, ich lachte und verlangte 2000. Er brach in die furchtbarsten Flüche aus, und ich ging auf 1500 herab – genug, damit er nicht ja sagte. Dann verabschiedete ich mich, wobei er sich höchst zudringlich und beinahe drohend zeigte. Ich versprach, mir die Sache noch zu überlegen und ging meiner Wege.

Sie fragen vielleicht, was ich mit all dem beabsichtigte. Nichts anderes, als Mr. Hornsteins Gesicht in allen Einzelheiten zu studieren und einen Überblick über den Schauplatz zu bekommen. Ich dachte mit keinem Gedanken daran, ihm auch nur irgendwelche wertlose Briefe zu verkaufen, obgleich das ja ein guter Witz gewesen wäre. Nach diesem Interview ließ ich vier Tage vergehen, die ich anderen Dingen widmete – Ihre kleine Affäre eilte ja nicht so sehr – .« Mr. Isaacs betrachtete seinen Gast vorwurfsvoll. »Dann, gestern, schickte ich Hornstein ein Billett und bat ihn um eine Zusammenkunft im Café Monico. Ich wußte, daß er keinen Anstand nehmen würde, sich in einem so bekannten Lokale einzufinden. Ich bat ihn, mich da zwischen vier und fünf zu erwarten, da es unsicher sei, wann ich beim Lord frei bekäme. Ich hegte nicht den geringsten Zweifel, daß er kommen würde, da ich andeutete, daß ich bereit wäre, 800 zu nehmen und meine Ware mitbringen würde.

Um halb vier Uhr, als ich vermutete, daß Mr. Hornstein sich für das Rendezvous in Ordnung brachte, begann ich selbst zu Hause in meiner Wohnung meine Vorbereitungen, und zehn Minuten über vier fand ich mich mit Lavertisse in Furlong Lane 12 ein – habe ich Ihnen schon von meinem alten Freunde und Mithelfer Lavertisse erzählt? Ein wunderbarer Mann in seiner Art! – was Verständnis für Antiquitäten und ›Gehör‹ angeht, habe ich nie etwas Ähnliches getroffen. Ich klopfte an die Tür, und der Cerberus öffnete. Mir scheint, ich habe vergessen zu sagen, daß ich mich selbst zu einer ziemlich getreuen Kopie von Mr. Hornstein gemacht hatte. Wie Sie wissen, ist es übrigens um diese Zeit schon halb dunkel, und so war ich meines Erfolges so ziemlich sicher. Überdies hatte ich eine Vollmacht mitgenommen, Cerberus und seinen Herrn zu arretieren und das Lokal zu untersuchen. Wo ich sie her hatte, wollten Sie fragen? Mr. Isaacs! Ich habe immer gefunden, was ein rechter Kerl ist, der hilft sich selbst am besten.

Cerberus öffnete also. Ich wies auf Lavertisse und sagte mit einer recht guten Imitation von Hornsteins dicker Stimme: Ich habe es mir überlegt, wie du siehst. Ich und dieser Herr haben etwas miteinander zu besprechen. Ich muß den Schlüssel auf dem Schreibtisch vergessen haben. Du bekommst für eine Stunde frei.

Cerberus verschwand, ohne sich auch nur zu bedanken, und Lavertisse und ich eilten in Hornsteins Arbeitszimmer.

In einer Minute war Lavertisse bei der Kasse an der Arbeit, während ich an der Tür Wache hielt. Habe ich Ihnen schon gesagt, daß ich noch nie einen Mann mit solchem ›Gehör‹ getroffen habe, wie Lavertisse? Dann habe ich aber vergessen hinzuzufügen, daß es speziell Kombinationsschlössern galt. M. Lépine, der Polizeichef in Paris ist – aber das tut nichts zur Sache. In fünfundzwanzig Minuten hatte Lavertisse Hornsteins Einbruchs- und Feuersicherer ihr Geheimnis entlockt – für den Fall, daß es kein Kombinationsschloß gewesen wäre, hat Lavertisse auch die ersten Anfangsgründe im Dietrichfach erledigt – und ich begann meine Untersuchungen. Ich kann sagen, sie waren nicht so wenig verblüffend. Das erste, was ich entdeckte, war, daß Hornstein gar nicht Hornstein heißt.«

»Wie denn, um Himmels willen, Professor? Ich hatte natürlich die ganze Zeit den Verdacht, daß er auch anders heißen kann. Wie heißt er also?«

»Semjon Marcovitz, und was mehr ist, er hat offenbar eine Filiale seines sauberen Geschäftes in Paris. Das war das erste, was ich entdeckte. Das nächste waren Ihre Briefe, mit einem rosa und einem himmelblauen Seidenband umwunden – ich hoffe, daß Hornstein und nicht Mrs. Bell einen so schlechten Geschmack hat. Nach Ihren Briefen entdeckte ich eine überwältigende Menge von Bestätigungen meiner ersten Entdeckung – daß Hornstein Semjon Marcovitz heißt und daß er die Praxis im großen betreibt, hier sowohl wie in Paris. In Paris scheint er obendrein ein einträgliches Wuchergeschäft zu haben. Und wenn Sie sich denken könnten, was für ein Dokument aus der Pariser Filiale ich hier deponiert fand! Wahrhaftig, Mr. Isaacs, Hornstein ist kein gewöhnlicher Pfuscher in seinem Fache; was werden Sie denken, wenn ich Ihnen sage, daß er regierende Fürsten zu seinen Klienten zählt?!«

Mr. Isaacs betrachtete mit weitaufgerissenen Augen Philipp Collin, der im Begriffe schien, fortzufahren, aber dann zu lachen anfing und die Achseln zuckte.

»Nein, nein, das ist vorderhand mein Geheimnis. Aber was ich zu allerletzt entdeckte, will ich Ihnen nicht vorenthalten. Ich glaubte zu bemerken, daß die Dimensionen im Innern des Schrankes und außen nicht recht übereinstimmten. Zur größeren Sicherheit ließ ich Lavertisse die Innenseite etwas abtasten, und ganz richtig dauerte es nicht lange, so war mein Verdacht bestätigt. Es fand sich eine Geheimabteilung, und Lavertisse – der eine Perle in seinem Fach ist und so gewiß wie etwas von mir 1000 Pfund für diese Leistung bekommt – hatte sie in weniger als zehn Minuten geöffnet. Und wissen Sie, was ich in dieser Geheimabteilung entdeckte – deutlich und klar wie das Evangelium? Ja, daß Hornstein oder Marcovitz zu alledem ein Spion ist.«

»Teufel auch! Teufel auch!« Mr. Isaacs' Augen hingen an Philipp Collin wie die des Kindes am Märchenerzähler.

»Ja, kein Zweifel! Ein Teil der Dokumente war chiffriert, die übrigen in gewöhnlichem Englisch. Ich konstatierte in größter Eile, daß Hornstein seit 1905 der Spionage obliegt, mit der Flotte als Hauptbranche, und räumte dann den ganzen Inhalt der Kasse aus. Alles außer Ihren Briefen, dem Dokument aus Paris und noch einigen Sachen, die als Beweise dienen können, daß er ein Spion ist, legte ich in den Kamin und feuerte ein. Dann schrieb ich rasch einen Brief, Charles Ferguson unterzeichnet, worin ich ihn darauf aufmerksam machte, welches Schicksal Spione hierzulande erwartet, und riet Mr. Hornstein, ohne allzuviel Umstände England zu verlassen, spätestens mit dem Expreß zwölf Uhr am selben Abend aus Charing Croß. Ich versiegelte den Brief, adressierte ihn an Mr. Hornstein-Marcovitz und legte ihn auf den Schreibtisch. Dann versperrten Lavertisse und ich den Kassenschrank und verabschiedeten uns. Da war es etwas über fünf Uhr.

Wir warteten an der Ecke von Lloyds Avenue bis sechs Uhr; im selben Augenblick, in dem die Uhr schlug, sahen wir Hornstein in Gesellschaft des Cerberus heranlaufen, offenbar bereit, den ersten besten zu ermorden, dem sie begegneten. Sie verschwanden in 12 Furlong Lane und blieben da zirka zwanzig Minuten, worauf sie wieder herauskamen, einer bleicher als der andere. Wir hatten das Vergnügen zu sehen, wie Mr. Hornstein-Marcovitz einen Polizeikonstabler befragte, der einen Fahrplan herauszog und ihm verschiedene Auskünfte gab, wie ich allen Grund habe zu vermuten, über die Abgangszeiten der Züge nach dem Kontinent. Dann stiegen Cerberus und sein Herr in einen Cab und verschwanden. Natürlich hegte ich keinen Zweifel an der Wirksamkeit meines Briefes, aber um ganz sicher zu gehen, fand ich mich um zwölf Uhr in meinem jetzigen Kostüm in Charing Croß ein. Mr. Hornstein-Marcovitz wartete da seit einer halben Stunde und vertrieb sich die Zeit damit, alle Bahnbediensteten zu fragen, ob der Abendexpreß Verspätung habe. Ich weidete mich an diesem Anblick, bis der Zug abging, und fuhr dann nach Hause und legte mich schlafen. Das einzige, was ich bedaure, ist, daß ich Marcovitz' Gesicht nicht sehen konnte, als er die Kasse öffnete. – Ja, das ist also diese Sache, Mr. Isaacs. Sie haben Ihre Briefe, und ich das Vergnügen, meinem kleinen Scheck entgegenzusehen. Auf den Inhaber, wenn ich bitten darf.«

Mr. Isaacs, der mit offenem Munde Philipps einfacher Erzählung gelauscht hatte, zog schweigend ein Scheckbuch aus der Brusttasche und schrieb eine Anweisung, die er ihm ebenso schweigend überreichte. Herr Collin las sie langsam durch und verbeugte sich.

»10 000 Pfund! Mr. Isaacs, Sie sind mehr als artig! Sie machen mir das größte Kompliment, das ich seit langem erhalten habe.«

»Sie sind ein großer Mann, Professor,« sagte Mr. Isaacs. »Ich bin vorurteilslos und sage nichts, aber Sie könnten ein großer Mann auf anderen Gebieten werden ...«

Philipp unterbrach ihn mit einer Geste.

» Tous les genres sont bons, hors le genre ennuyeux ... Ich möchte mit Ihnen über etwas anderes sprechen, Mr. Isaacs.«

Mr. Isaacs' Antwort war, seinen Fauteuil schweigend näherzuschieben. Er sah nicht einmal auf die Uhr, das war ein Kompliment so gut wie nur eines von einem Manne, der mehr in Anspruch genommen war als die meisten seiner Klasse in London, und von dessen Wort auf der Börse das Wohl und Wehe von Tausenden abhing.

»Haben Sie auf diesen Brief geantwortet, den Sie mir kürzlich zeigten, Mr. Isaacs? Den Brief aus Minorca?«

»Minorca? Ach, wegen der Oliven. Ja. Gewiß habe ich darauf geantwortet.«

»Daß Sie nicht wollen?«

»Natürlich.«

»Hm. Nun ja, das macht nichts. – Wie war es doch, Mr. Isaacs, nur die Furcht, daß schlechte Gesellschaft Ihre guten Sitten verderben könnte, hat Sie von dieser Unternehmung abgehalten?«

»Hauptsächlich. Außerdem kenne ich die Sicherheit nicht. Die Ziffern aus dem großherzoglich statistischen Bureau können ja auch etwas retuschiert sein – ich habe schon früher in Staatsanleihen gemacht. Aber es ist auch sehr möglich, daß sie korrekt sind und die Sicherheit ganz gut. Mehrere der Wucherfirmen machen, glaube ich, ausgezeichnete Geschäfte an Minorca – bis zu dreißig Prozent, vierzig Prozent ihres Geldes. Aber gerade deshalb kann man sich in ein solches Geschäft nicht einlassen. Die Leute hier in England sind so zartbesaitet. Man traut sich kaum, Portugal Geld zu leihen, von China gar nicht zu reden. Ein Mann in meiner Stellung muß ebensoviel an die allgemeine Meinung denken wie an die Prozente. Ein Geschäft mit Minorca würde sein Ansehen ruinieren.«

Philipp Collin betrachtete Mr. Isaacs mit einem langen Blick aus seinen klugen schwarzen Augen.

» Wenn,« sagte er leise und jedes Wort betonend. » Wenn er selbst für das Geschäft einsteht! Daran haben Sie gewiß noch nicht gedacht, Mr. Isaacs.«

Mr. Isaacs fuhr zusammen und fixierte seinen Gast.

» By Jove!« rief der Finanzmann. »Verstehe ich Sie recht? Sie meinen, ich sollte durch Sie Minorca Geld auf die Oliven leihen?«

»Nein,« sagte Philipp Collin ruhig, »ich meine, Sie sollen durch mich die gesamte Staatsschuld des Großherzogtums Minorca aufkaufen.«

Hätte Herr Collin, um Mr. Isaacs zu verblüffen, diesem vorgeschlagen, er solle sich auf der Spitze der St.-Pauls-Kathedrale auf den Kopf stellen oder jetzt gleich zum Fenster hinausspringen, er hätte sicherlich bei diesem keine aufrichtigere Bestürzung hervorrufen können. Mr. Isaacs, der ihn gespannt betrachtet hatte, sank in seinen Fauteuil zurück. Sein wohlfrisiertes Kinn fiel tief auf die Krawatte, und er starrte Herrn Collin an, wie man einen Narren anstarrt. Philipp betrachtete ihn mit einem ruhigen Lächeln. Endlich lösten sich die Bande der Zunge des Bankiers, und er sagte:

»Aufkau..., Professor, rappeln Sie oder machen Sie sich mit mir einen Witz? Oder höre ich nicht recht! Was sagten Sie, daß ich tun soll?«

»Mr. Isaacs, ich versichere Ihnen, ich rapple weder, noch bin ich frech genug, mir mit Ihnen einen Witz machen zu wollen; und was ich sagte, war: Sie sollen durch mich die gesamte Staatsschuld des Großherzogtums Minorca aufkaufen.«

Mr. Isaacs betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn und strich heftig seinen Mephistobart.

»Sie sind doch sonst ein kluger Kerl, Professor. In Ihrem Wahnsinn muß doch Methode sein. Auf jeden Fall will ich Ihnen zuhören. Bitte, erklären Sie sich!«

Philipp Collin verbeugte sich.

»In meinem Wahnsinn ist Methode, Mr. Isaacs. Ich werde es sofort beweisen. Haben Sie schon vom Ei des Columbus gehört?«

Mr. Isaacs winkte ungeduldig mit der Hand ab.

»Zur Sache, Professor!«

» All right, ich überspringe also das Ei des Columbus. Sonst hätte ich Ihnen sagen wollen, daß das Geschäft, das ich mir zu unserem gemeinsamen Vorteil ausgedacht habe, eben ein solches Ei des Columbus ist. Niemand hatte daran gedacht, das Ei gerade so zu stellen wie Columbus, bis er es tat, und niemand ist es vor mir eingefallen, ein Corner in Minorcas Staatspapieren zu machen. Viele kleine Wucherfirmen sind dagehockt und haben jahraus, jahrein ihre verschiedenen Prozente eingestrichen. Einige haben viel verdient, andere weniger; etliche haben wahrscheinlich verloren, aber alle sind sie einander im Wege gestanden, und keiner hat daran gedacht, das Geschäft im großen zu betreiben. Und doch wissen Sie, Mr. Isaacs, daß jetzt die Zeit der Trusts ist, der Kleinbetrieb ist überholt. Darf ich eine Ihrer köstlichen Zigarren nehmen?«

Mr. Isaacs nickte. Philipp zündete die Zigarre an und fuhr fort:

»Ich habe die letzten Tage dazu benutzt, mir alle Informationen zu verschaffen, die ich über die finanzielle Lage des Großherzogtums erlangen konnte. Ihre kleine Affäre eilte ja nicht, da ich nicht die geringste Angst vor Hornstein-Marcovitz hatte. Alle Details konnte ich mir ja nicht verschaffen, aber die wichtigsten habe ich. Ich werde nur auf die Hauptpunkte eingehen, da Sie ja schon einiges wissen.

Die Staatsschuld des Großherzogtums Minorca ist in Form von vom Staate garantierten Obligationen zu 200, 500 und 1000 Pesetas das Stück placiert. Wenn sie beispielsweise eine Anleihe von 600 000 Pesetas gemacht haben, haben sie also mindestens 600 Obligationen zu 1000 ausgegeben, gewöhnlich aber mehr zu kleineren Beträgen. Die Banken, die das Geld zur Verfügung gestellt haben, haben als Sicherheit irgendein Pfand – entweder Grundstücke, Monopole oder die Steuer irgendeines Erwerbszweiges erhalten. Soweit ist alles normal; jetzt kommt das Freche der Sache (abgesehen davon, daß der Zinsfuß mindestens siebeneinhalb Prozent war). Für den Fall, daß die Zinsen oder Amortisationen für ein einziges Jahr ausbleiben sollten, haben sich die Banken im Kontrakt das ausdrückliche Recht vorbehalten, die Verwaltung und Beaufsichtigung des Pfandes zu übernehmen; gleichzeitig haben sie sich besondere ›Verwaltungskosten‹ für die Verwaltung des Pfandes und seine Erhaltung in guter Kondition ausbedungen, und last not least gelten diese Bedingungen, bis alle ausstehenden Zinsen, Amortisationen und Zinsen dieser Amortisationen beglichen sind! Sie verstehen die Unverschämtheit, Mr. Isaacs. Sie wußten, daß alle anständigen Bankiers so denken wie Sie, Mr. Isaacs, und sie wußten besser als irgend jemand, wie die Lage des Herzogtums war. Mit Schulden belastet, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen, war alle Aussicht vorhanden, daß es die Renten und Amortisationen nicht zur festgesetzten Zeit bezahlen konnte. Im Hinblick darauf dachten sich die Banken dieses maskierte Wuchergeschäft aus: sobald Amortisationen und Zinsen ausblieben, beeilten sie sich, ihr Recht geltend zu machen. Sie übernahmen die Verwaltung des Pfandes, und Sie können versichert sein, daß die Kosten, die sie dafür berechneten, nicht unter zwanzig Prozent betrugen. Die armen Großherzoge mußten wirklich die Wahrheit des Sprichwortes kennenlernen, wenn man dem Teufel den kleinen Finger gibt, so nimmt er gleich die ganze Hand. Weil einer von ihnen sich irgendeinmal an die Wucherer gewendet hat, mußten seine Nachkommen bis ins vierte und fünfte Glied dafür büßen. Nun ja, manchmal schmierten sich die Wucherer auch an. Ich glaube nicht, daß der, welcher auf die Mineralwasserquellen in Nordminorca borgte, Grund hat, sich seiner Transaktion zu freuen. Sie können sicher sein, daß sein Schrei zum Himmel aufsteigt!

Well, Mr. Isaacs, all das ist ja nicht so wunderlich. Es kommen ja ähnliche Dinge in der Türkei und China vor – vielleicht werden sie nicht mit ganz so brutaler Offenheit praktiziert, da die Türkei und China größer sind und auch größere Schulden haben als Minorca. Aber nun komme ich zum Lächerlichen der Sache.

Wissen Sie, was diese Wucherbanken überdies getan haben? Wenn man nicht wüßte, daß es wahr ist, man würde kaum seinen Ohren trauen. Hören Sie nur, Mr. Isaacs! Sie leihen Minorca Geld, nie unter siebeneinhalb Prozent, und mit einem Emittierungskurse von höchstens neunzig. Nach ein paar Jahren, wenn es mit der Bezahlung hapert, übernehmen sie die ›Verwaltung‹ des Pfandes, was, bedenken Sie, nicht als irgendeine Anzahlung oder Verzinsung angesehen wird. Eventuell bekommen sie dann jedes achte oder zehnte Jahr eine Abschlagszahlung der ausstehenden Zinsen – wenn es dem Großherzog oder seinem Finanzminister gelungen ist, anderswo Geld aufzutreiben, und sie einen krampfhaften Versuch machen, sich von ihnen zu befreien. Oft trifft das jedoch nicht ein, und so kommt den feinen Banken eine Idee!

Eine Rückzahlung, sagen sie sich, siebeneinhalb Prozent jedes achte Jahr, ist nichts für uns, das gönnen wir anderen – Leuten, die ihr Geld in Staatspapieren placieren! Emittieren wir die minorcanischen Staatspapiere auf den Markt, dann bekommen wir unser ausgeliehenes Geld zurück; die Leute, die die Papiere übernehmen, bekommen die Zinsen, die jedes achte Jahr einfließen, und wir fahren fort, das Pfand zu zwanzig bis dreißig Prozent zu verwalten. So sind alle Teile zufrieden!

Das ist ihre kleine Idee, die sie sich sofort beeilen, zur Ausführung zu bringen. Die Papiere werden an einer oder an mehreren Börsen emittiert, siebeneinhalb Prozent im Prospekt klingt ja ganz schön, und Staatspapiere sind doch so sicher! Das Publikum übernimmt sie bereitwillig, und alles geht nach der Berechnung der Wucherer.

Ich will eines zugeben: bis in die letzten Jahre ist es so gewesen. Seit die Pariser Zeitungen die Verhältnisse in Minorca zu durchschnüffeln begannen, wird es den Banken wohl kaum mehr gelungen sein, ihre Papiere anzubringen; und darum befindet sich ein Teil der Obligationen des Großherzogtums bei den direkten Darlehnsgebern.

Aber, Mr. Isaacs, Sie begreifen jetzt, worauf ich hinauskommen will, was für ein Ei des Columbus ich gefunden habe; wie märchenhaft dumm der Geiz die Menschen machen kann! Sie verstehen, woran bisher niemand gedacht hat, die Habgier der Wucherbanken hat ihnen ihr eigenes Grab gegraben! Jahrzehnte wartet es schon auf sie, und wahrscheinlich hätte es für alle Zeit ihren Staub entbehren müssen, wenn ich nicht zufällig vor einer Woche den Brief aus Minorca bei Ihnen gesehen hätte! Meine Bescheidenheit verbietet mir, eine Betonung auf das Wort ich zu legen. Bedenken Sie, wie die Dinge stehen, Mr. Isaacs, und freuen Sie sich! Mit welchem Rechte ›verwalten‹ die Banken die Pfänder und heimsen ihre fetten Wucherzinsen ein? Einzig und allein als Inhaber der Schuldverbindlichkeiten des Herzogtums; aber wer hat diese Schuldverbindlichkeiten inne, Mr. Isaacs? Das Volk, die kleinen Leute, die über neunzig Prozent des Nominalwertes dafür bezahlt haben und die jeden Tag mit tausend Freuden bereit sind, sie auf den Börsen für fünfundvierzigeinhalb – den letzten Kurs – zu verkaufen!

Die Bank hat ihre einzige Waffe von sich gegeben – dem, der stark genug ist, sie an sich zu nehmen. Sagen Sie mir die Wahrheit, Mr. Isaacs, ist das ein Ei des Columbus oder nicht?«

Philipp Collin hatte sich warm gesprochen und betrachtete Mr. Isaacs mit blitzenden Augen. Der große Börsenmann erhob sich ernst aus seinem Fauteuil und sagte:

»Bei Allah, Professor, Sie sind ein großer Mann, und ich bin Ihr Prophet; das ist ein Ei des Columbus!«

»Ein Goldei, ein Goldei!« rief Herr Collin. »Und die poetische Gerechtigkeit, Mr. Isaacs! Die Wucherer betrügen! Den kleinen Leuten ihre Obligationenlast abnehmen und uns selbst bereichern! Können Sie sich eine schönere Kombination denken? Ah – das Großherzogtum Minorca ist lange der geringste unter Judas Fürsten gewesen, aber durch Professor Pelotard wird es eine Goldgrube werden!«

»Aber die Einzelheiten,« unterbrach Mr. Isaacs, »die Einzelheiten, Professor!«

»Die Einzelheiten? Hier haben Sie alle Ziffern, die ich in der letzten Woche zusammengebracht habe, Sie können die Stellung des Großherzogtums daraus entnehmen, und mit welchen Darlehnsgebern und Banken es in Verbindung steht. Die Einzelheiten dessen, was ich zu tun gedenke, sind so einfach als möglich. Die Papiere notieren augenblicklich in Paris, Marseille, Madrid und Rom. Wir bereiten den Coup mit Hilfe Ihrer Zeitungen vor – Alarmartikel usw., so daß die Leute erschrecken und bereit sind, um jeden Preis zu verkaufen; und eines schönen Morgens, wenn die Börsen eröffnen, kaufen wir das ganze Schundlager der minorcanischen Staatsobligationen ... Sie übernehmen die Verwaltung der Pfänder und werden Herr über das Herzogtum vom einen Ende bis zum anderen, und reich wie Rothschild – zusammen mit mir! Sind Sie exzentrisch, so setzen Sie die Verwaltungskosten um fünf Prozent herab und lassen sich zum Dank dafür vom Großherzog zum Baron von Jericho machen, er ist doch selbst Graf von Bethlehem!«

»Baron von ... zu nahe der Heimat,« bemerkte Mr. Isaacs trocken. »Aber Sie lächeln so eigentümlich, Professor, haben Sie noch etwas im Hinterhalt?«

Philipp Collin nickte mit einem kleinen Schmunzeln.

»Vielleicht,« sagte er, »waren Sie einmal in Monte Carlo?«

»Das könnten Sie doch wissen, da ich Sie dort kennengelernt habe.«

»Das öffentliche Spiel«, erwiderte Philipp Collin langsam mit einer Neigung des Kopfes, »wird augenblicklich eigentlich nur in Frankreich und Monte Carlo geduldet. In Monaco hat M. Blanc das Monopol. In Frankreich liegt es in den Händen von überaus mächtigen Finanzinteressenten, die sogar das Parlament beherrschen. In allen anderen Ländern ist seine Stellung bedroht, wo es überhaupt noch existiert. Im Augenblick gibt es nur einen Fürsten außer dem Zaren, der ohne weiteres die Lizenz zu einer neuen, wirklich erstklassigen Spielhölle bewilligen kann, und dieser Fürst, Mr. Isaacs, ist der Großherzog von Minorca! Minorca hat alle Vorbedingungen – Natur und Lage. Eine Dampfschifflinie nach Barcelona wäre im Augenblick eingerichtet. Das Kasino in Monte Carlo hat voriges Jahr 43 Millionen Franken verdient, und das Kasino in Enghien über 30.«

Philipp verstummte, Mr. Isaacs hatte sich erhoben, er pfiff vor Staunen vor sich hin und betrachtete seinen Gast, die Daumen in die Armlöcher gesteckt.

»Ein Corner in Staatspapieren, und ein neues Monte Carlo im Hintergrunde! By Jove, Professor, ich habe schon von geringeren Plänen gehört!«

Er musterte seinen Gast eine halbe Minute lang.

»Bei Allah, Sie sind nicht von gestern! Das ist das größte, was ich gehört habe, der größte Plan, bei dem ich noch mitgetan habe – und ich bin doch auch kein heuriger Hase. Er ist Ihrer würdig, Professor – aber ich fürchte eines. Er wird für mich zu groß sein. Zu große Orders, Sir!«

Philipp Collin winkte abwehrend mit der Hand.

»Ich bezweifle, daß ich Orders geben könnte, die für Sie zu groß wären, Mr. Isaacs. Das Neue der Sache erschreckt Sie nur, und bringt Sie dazu, sich selbst zu unterschätzen. Gehen wir zu Ziffern über, und Sie werden sehen, wie sehr Sie sich irren. Wissen Sie, wieviel die Gesamtsumme der Staatsschuld von Minorca beträgt?«

Mr. Isaacs schüttelte den Kopf.

»Wenn ich Ihnen die Ziffer sage, werden Sie sehen, wie ungerecht man in den Ruf schlechter Finanzen kommen kann. Wenn meine Informationen richtig sind, beträgt die ganze Summe der Schulden des Herzogtums nicht mehr als 89 Millionen Pesetas. 3½ Millionen Pfund, wenn wir Pesetas mit Franken gleich rechnen, was sicherlich zu hoch ist. Was machen fünfundvierzigeinhalb Prozent dieses Betrages, Mr. Isaacs? Kaum 1¾ Millionen Pfund, wenn Sie die Sache kaufen wollen, wie sie steht und geht. Aber das brauchen Sie gar nicht, wenn Sie nicht wollen. Für einen Teil der Darlehen, zum Beispiel das auf das Mineralwasser oder eines, das auf die Langustenfischerei gegeben wurde, haben Sie gar keine Verwendung. Alle beide sind in Marseille emittiert. Marseille können wir also übergehen, wenn wir den Coup machen. Angenommen, daß wir nur fünfundsiebzig Prozent der sämtlichen Staatspapiere kaufen, sind Sie absoluter Herr über den minorcanischen Staat: für 1? Millionen Pfund. Hat es Sie nie gelüstet, den Zauber unumschränkter Macht zu fühlen, Mr. Isaacs? Und sich noch dafür in einer Weise bezahlen zu lassen, die jeden Geizhals grün vor Neid machen muß! Überdies brauchen Sie Ihre 1 350 000 Pfund gar nicht allein zu riskieren; wenn ich auch nur ein armer Professor bin, ich riskiere auch, was ich kann.«

»Wieviel?« fragte Mr. Isaacs lächelnd.

Philipp Collin strich liebkosend über seinen neuerworbenen Scheck.

»10 000 mindestens,« sagte er ernsthaft. »Aber sehen Sie sich jetzt meine Detailziffern an!«

Mr. Isaacs, der sich an den Schreibtisch gesetzt hatte, begann sie zu prüfen, zuweilen seinen wunderlichen Gast mit langen Blicken fixierend, dann wieder mehrere Minuten lang Ziffern auf ein Blatt Papier hinwerfend. Professor Pelotard, der müde in seinen Lederfauteuil zurückgesunken war, rauchte seine Zigarre zu Ende und zündete sich eine neue an. Von draußen hörte man das dumpfe Vormittagsbrausen Londons. Plötzlich begannen die Glocken einer nahegelegenen Kirche zu dröhnen, und Mr. Isaacs erhob sich.

» God damn me, Professor,« sagte er langsam. »Ich glaube wahrhaftig, Sie haben das Goldei gefunden, wie Sie sagen. Vielleicht wird mich das, was ich tue, noch reuen, aber ich will mich wieder einmal auf Ihre Schlauheit verlassen. Auf jeden Fall mache ich das größte Geschäft meines Lebens.«

»Bis jetzt,« schaltete Herr Collin ein, »bis jetzt, Mr. Isaacs! So allmählich werden wir schon noch größere machen.«

»Wenn uns dieses nicht umschmeißt,« sagte Mr. Isaacs trocken. »Die Details müssen wir nach meiner Wahl in meinem Kreise durchgehen. Man wählt morgen, wie Sie wissen. Bis dahin haben Sie mein Versprechen, daß ich Ihnen an dem Tage, an dem Sie alles in Ordnung haben, 1 350 000 zur Verfügung stelle.«

»1 340 000,« korrigierte Philipp Collin, »Sie vergessen meinen Beitrag.«

Der große Finanzmann lachte, und sein weißhaariger Gast verschwand mit müden Schritten und gesenktem Kopfe durch die gepolsterte Doppeltür.


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