Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ferner erzählt man, daß Hārûn er-Raschîd zu jener Zeit, als er noch nicht auf die Barmekiden eifersüchtig geworden war, einen seiner Garden, Namens Sâlih, rufen ließ und zu ihm sagte, als er vor ihm erschienen war: »Sâlih, geh' zu Mansûr und sprich zu ihm: du schuldest uns tausendmaltausend Dirhem, und wir verlangen, daß du uns sofort die Summe bezahlst. Dir aber, o Sâlih, befehle ich, daß du ihm, falls er die Summe nicht zwischen jener Stunde und Sonnenuntergang bezahlt hat, das Haupt vom Rumpfe holst und es mir bringst.« Sâlih entgegnete: »Ich höre und gehorche;« darauf machte er sich auf den Weg zu Mansûr und teilte ihm den Auftrag des Fürsten der Gläubigen mit. Mansûr aber rief: »Es ist um mich geschehen, bei Gott! denn alle meine Habe und der Besitz unter meiner Hand, wenn zum höchsten Preise verkauft, würde nicht mehr als eine Summe von hunderttausend Dirhem ergeben, und woher, o Sâlih, soll ich den Rest von neunhunderttausend Dirhem beschaffen?« Da sagte Sâlih zu ihm: »Sieh zu, wie du schnell einen Weg zu deiner Rettung findest, sonst bist du verloren, denn ich kann dir keinen Augenblick Aufschub über die Zeit hinaus, die mir der Chalife festgesetzt hat, gewähren, noch kann ich irgend etwas von dem Befehle des Fürsten der Gläubigen unterlassen. Beeile dich also irgend ein Mittel zu deiner Rettung ausfindig zu machen, ehe die festgesetzte Frist abgelaufen ist.« Nun sagte Mansûr: »O Sâlih, bei deiner Güte bitte ich dich, bringe mich nach 41 Hause, daß ich von meinen Kindern und meiner Familie Abschied nehmen und meinen Verwandten meine letzten Verfügungen übermachen kann.« »Ich ging nun,« so erzählt Sâlih, »mit ihm nach seinem Hause, wo er von seiner Familie Abschied zu nehmen begann, wobei sich lautes Geschrei und Weinen und Wehklagen und Hilferufen zu Gott, dem Erhabenen, in seiner Wohnung erhob; da sagte ich zu ihm: »Mir fällt soeben ein, daß Gott dir durch die Hand des Barmekiden Trost verschaffen kann; laß uns deshalb zu Jahjā, dem Sohn des Châlid, gehen.« Als sie sich nun zu Jahjā, dem Sohne des Châlid, begaben, und Mansûr ihm seine Lage mitteilte, ward dieser hierüber bekümmert und ließ sein Haupt eine Weile zu Boden hängen. Alsdann hob er es wieder, worauf er seinen Schatzmeister rufen ließ und ihn fragte: »Wieviel Geld ist in unserer Schatzkammer?« Der Schatzmeister erwiderte: »Fünftausend Dirhem.« Da befahl er ihm das Geld zu bringen und schickte einen Boten zu seinem Sohne El-Fadl mit dem Auftrage des Wortlauts: »Mir sind wertvolle Landgüter zum Verkauf angeboten, die nimmer verwüstet werden können; schicke uns daher etwas Geld.« Da schickte er ihm hunderttausend Dirhem. Hierauf schickte er einen andern Menschen zu seinem Sohne Dschaafar und ließ ihm sagen: »Wir haben ein wichtiges Geschäft zu erledigen und benötigen etwas Geld dazu;« worauf Dschaafar ihm sofort ebenfalls hunderttausend Dirhem schickte. In dieser Weise sandte Jahjā zu allen Barmekiden Boten aus, bis er für Mansûr eine große Geldsumme zusammengebracht hatte. Es wußte aber weder Sâlih noch Mansûr etwas davon, und Mansûr sagte zu Jahjā: »Ach, mein Gebieter, ich habe mich an deinen Saum gehängt und weiß von niemand anders als von dir dies Geld zu erhalten um deiner gewohnten Großmut willen; so beschaffe mir den Rest meiner Schuld und mache mich zu deinem Freigelassenen.«
Da ließ Jahjā weinend sein Haupt niederhängen; dann aber sagte er zu einem Pagen: »Der Fürst der Gläubigen 42 schenkte unserer Sklavin Danānîr einen Edelstein von außerordentlichem Wert; geh' zu ihr und sprich zu ihr: Schicke uns jenen Edelstein.« Wie nun der Page mit dem Edelstein wieder zurückkehrte, sagte Jahjā zu Mansûr: »Mansûr, ich kaufte diesen Edelstein für den Fürsten der Gläubigen von den Kaufleuten für zweihunderttausend Dinare, und der Fürst der Gläubigen schenkte ihn unserer Sklavin Danānîr der Lautenschlägerin. Wenn er den Edelstein bei dir sieht, so wird er ihn erkennen und dich um unsertwillen ehren und dein Blut verschonen. Und nun, o Mansûr, ist dein Geld voll beisammen.« »Hierauf,« so erzählt Sâlih, »nahm ich das Geld und den Edelstein und schaffte es zu Er-Raschîd, von Mansûr begleitet, welchen ich unterwegs mit Bezug auf seinen Fall folgenden Vers sprechen hörte:
Nicht aus Liebe war's, daß meine Füße zu ihnen eilten,
Aus Furcht nur geschah's von den Pfeilen getroffen zu werden.
Da verwunderte ich mich über seinen boshaften Charakter, seine Verworfenheit und Verderbtheit und über seine gemeine Abstammung und Geburt und, ihm entgegnend, sagte ich: »Auf dem ganzen Angesichte der Erde ist niemand edler als die Barmekiden und keiner gemeiner und nichtswürdiger als du. Sie haben dich von dem Tode losgekauft und dich von dem Untergang errettet, indem sie dir das Lösegeld schenkten, und du danktest ihnen nicht und priesest sie nicht und thatest nichts, was Edle thun würden, sondern vergaltest ihnen ihre Güte mit solchen Worten.« Hierauf ging ich zu Er-Raschîd, erzählte ihm die Geschichte und teilte ihm alles Vorgefallene mit.
Dreihundertundsechste Nacht.
Der Chalife erstaunte über die Hochherzigkeit, Freigebigkeit und Großmut Jahjās und über die Gemeinheit und Schlechtigkeit Mansûrs und befahl den Edelstein Jahjā, dem Sohn des Châlid, wiederzugeben, indem er sprach: »Was wir einmal verschenkt haben, das geziemt uns nicht wieder zurückzunehmen.« Nun ging Sâlih wieder zu Jahjā, dem 43 Sohn des Châlid, und erzählte ihm die Geschichte von Mansûr und seiner Bosheit. Jahjā entgegnete jedoch: »O Sâlih, wenn ein Mann arm, beklommenen Herzens und voll trüber Gedanken ist, so soll er für keine seiner Äußerungen gestraft werden, da es nicht aus seinem Herzen kommt;« und so suchte er eine Entschuldigung für Mansûr. Sâlih aber weinte und rief: »Nimmer wird die kreisende Sphäre einen Mann gleich dir zu Tage fördern. Wehe, daß ein Mann von solchem Charakter und solcher Hochherzigkeit wie du einst in den Staub gebettet werden muß!« Alsdann sprach er die beiden Verse:
»Eile die Gutthat, die du im Aug' hast, zu thun,
Denn nicht zu jeder Zeit ist Großmut möglich.
Wie viele schon säumten hier mit edlen Werken,
Bis die Not sie an edeln Werken hinderte.«